1898 / 72 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 24 Mar 1898 18:00:01 GMT) scan diff

der deutschen Bevölkerung in den ehemals polnishen Landes- theilen die wirthschaftlihe und politishe Stellung gewahrt bleibt, die für das preußishe Staatswohl unbedingt noth- wendig ist (Bravo! rechts), und die Politik der preußischen Regierung geht mithin nur dahin, das deutshe Element, wie es in den gemischt \prahlichen Landestheilen im Osten vorhanden if, zu erhalten und zu \tärken. (Bravo! rets.) Es liegt der preußischen Staatsregierung insbesondere ferne, die polnische Bevölkerung, wie das häufig in der Presse behauptet wird, germanisieren zu wollen. (Zuruf.) Ein solcher Versu wäre fruchtlos und nah meiner Kenntniß der Verhältnisse au thöriht. Aber die Einsassen des preußischen Staats polnischer Zunge sind Preußen und gehören als folhe au zum Deutschen Reih. Der Herr Redner der polnishen Fraktion hat ausdrücklich anerkannt, daß die Vertheidigung Deutsch- lands zur See eine widtige, eine nothwendige Maßregel fei. Gr hat au sahlich n i ch t die Bedeutung der Flottenvorlage bestritten. Fch meine, wenn also seitens der polnischen Fraktion die sachliche Nothwendigkeit dieser Vorlage anerkannt wird, so hätte die Fraktion folgerihtig die Verpflihtung, auch dafür zu stimmen (sehr rihtig!), stati in einer innerpolitischen Maßregel der preußischen Regierung einen Grund für die Ablehnung einer nothwendigen Maßregel der Landesvertheidigung im Reiche zu suchen; denn die ehemals polnishen Landestheile sind ein Theil des preußishen Staats und damit des Deutshen Reichs, und sie haben deshalb das ganz gleiche Interesse an der Vertheidig:ng Deutschlands wie die Staatsbürger deutscher Zunge. (Zuruf.) Ich hätte gewünscht, daß die polnische Fraktion aus politischen und taktishen Gründen zu diefer Ueberzeugung gekommen . wäre, und ich muß es zurückweisen, wenn hier im Neichstage auf die

preußishe Regierung ein Angriff gerihtet wird, der den Anschein erwedckt, als wenn wir einen Krieg gegen unsere polnischen Unterthanen führten. Wir vertreten die Staatsraison, wir vertreten die Inter- essen der deutshen Bevölkerung, soweit diese Vertretung aus poli- tishem Interesse unbedingt geboten ist, wir werden aber auch die polnischen Staatsbürger Preußens stets mit gleihem Maße messen, wie die Staatsbürger deutsher Zunge. (Bravo!)

Abg. Dr. Lieber verwahrt sich in persönliher Bemerkung da- egen, daß aus seinen Worten gefolgert werden fônne, daß er seinen tandpunkt gewechselt habe; er habe im vorigen Jahre, wie heute,

den Standpunkt der Mehrheit der Kommission vertreten.

Abg. Dr. Shönlank: Der Abg. Lieber hat si aber beide

Male auf den Standpunkt der Mehrheit der Kommission E /

Darauf wird nah 5 Uhr die weitere Berathung bis

Donnerstag 11 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 54. Sißung vom 23. März 1898.

Das Haus seßt die zweite Berathung des Etats der Eisenbahnverwaltung bei dem Titel „Einnahmen aus dem Güterverkehr“ und die Debatte über den An- trag Gothein auf Versezung von Getreide, Malz und Mühlenfabrikaten aus dem Spezialtarif T in den niedrigeren Spezialtarif 11 fort.

Abg. Dr. Beumer (nl.): Jn einer an das Haus gerichteten Denkschrift des Vereins der lothringischen Eiseninteressenten werden mir und der rheinish- westfälishen Eisen- und Stahlindustrie ganz unqualifizierbare Vorwürfe gemaht. Jch bleibe dabei, daß für Millionen Erzkonzessionen in den Besiß ausländisher Gründungs- gesellshaften übergegangen find. Die genannte Denkschrift behauptet unrihtige Thatsahen. Es wird gesagt, daß die beiden Haupt- gruppen der Eisenindustriellen nur aus rein persönlihen Gründen vie Verbilligung der Eisenfrahten beantragt hätten. Der Minister wird mir bezeugen, daß die betheiligte Eisenbahn-Direktion zu der Ueberzeugung gelangt is, daß diese Behauptung objeftiv un- wahr iff. Die minutiösesten Untersuchungen der Eisenbahnverwaltung haben ergeben, daß die Kosten für die Herstellung des Thomas- roheisens ich im Ruhrbezirk um 1,10 (M per Tonne, in Lothringen nur um 0,50 #4 erhöht haben. Daß es fi hier keineswegs um eine fünstlihe Begünstigung eines Bezirks handelt, beweist, daß au die \hlesishe Industrie die Frachtermäßigung gewüns{cht hat, unter der außerdem die Staatéfinanzen garniht werden zu leiden haben. Die rheinis-westfälishen Hochöfen bedürfen der Ermäßigung auch im Interesse der Landwirthschaft, denn durch den Bezug der Minette werden fle in den Stand geseßt, ihre Schlakenproduktion aufrecht zu erbalten. Ich hoffe und wünsche, daß die Staatsregierung das Votum des Landeseisenbahnraths für eine Tarifermäßigung s{chleunigst in Kraft seßen wird.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Gegen den Vorwurf der Parteilichkeit, der mir in der vorhin erwähnten, von dem Herrn General-Sekretär Nagoßczy in Mey verfaßten Denkschrift gemacht worden ist, dürfte mi schon allein der Umstand s{üßen, daß ic nicht nur preußischer Eisenbahn-Minister, sondern auch Chef der Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen bin, welche gleicherzeit die Luxemburgishen Bahnen mitverwalten, daß ih also in meiner amtlichen Stellung verpflichtet bin, in dieser Frage au die Interessen der Neichslande sowohl wie Luxemburgs zu wahren. Meine Herren, mich \{chüßt aber ferner ein Umstand, der {on vom Herrn Grafen Kaniß wie von dem Herrn Abg. Dr, Beumer erwähnt worden ist, daß nämlih wohl selten eine Tariffrage so gründlich, so eingehend nah allen Seiten hin studiert worden is, wie die Frage der Ermäßi- gungen der Erztarife von Lothringen und Luxemburg nah der Ruhr, bezw. nach anderen Revieren. Und, meine Herren, sie ist eingehend studiert worden, nicht bloß in Bezug auf die Behauptungen, die seitens der rheinisch-westfälishen Hochofenindustrie aufgestelt worden sind; meine Kommissare haben auch das gesammte lothringische und luxemburgishe Erz- und Hochofenrevier bereist, und dort unter Zu- ziehung der Interessenten die gesammten technischen und wirthschaft- lichen Verhältnisse der Erzproduktion und der Hochofenproduktion untersucht.

Meine Herren, ich darf hier vielleiht noch hinzufügen, daß mit der Leitung dieser Kommission der jeßige Ministerial-Direktor im Handels-Ministerium, Hoeter, betraut war, der seit langen Jahren gerade in dieser Frage vollständig zu Hause ist. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, ich kann auch im allgemeinen nur bestätigen, daß das Ergebniß der Untersuhung im wesentlihen mit den Angaben der Nordwestdeutshen Gruppe übereinstimmt. Es if außerordentlih s{chwierig, selbst s{chwierig für den konkurrierenden Fachmann, die Kosten der Robeisenproduktion vollständig bis auf den leßten Pfennig festzustellen; denn die Faktoren, die hierauf einwirken, find einem stetigen Wechsel unterworfen, je nahdem die Konjunkturen der Kohlen- preise, der Erzpreise, der Tagelöhne u. s. w. s{chwanken. Aber das darf doch wohl als unbestritten angenommen werden, daß die Pro-

duktionskosten des Roheisens in Rheinland-Westfalen zur Zeit der Untersuhung höher waren, als - die Produktionskosten der gleiden industriellen Anlagen in Lothringen und Luxemburg.

Meine Herren, die Frage ist, wie der Herr Abg. Graf Kaniß bereits hervorgehoben hat, eine seit langen Jahren ventilierte. Sie ift angeregt worden allerdings von der rheinisch-westfälishen Hochofen- industrie, die seit der Einführung des Thomas-Prozesses und der immer weiteren Ausdehnung. derselben insbesondere für die Stahlproduktion genöthigt war, sich nach Erzen umzusehen, da phosphorhaltige Erze in der Nähe überhaupt niht mehr erhältlich waren. Die Ersaßzmittel, welche anfangs dafür noch zur Verfügung standen, das Nasenerz am Niederrhein und in Holland, die alten Puddel- und Schweißofen- \{ladcken, die auf den früheren Produktionsstätten und au zum theil auf den jeßigen zerstreut lagen, näherten fich ihrem Ende. Wollte daher die rheinisch-westfälishe Hochofenindustrie auf der Höhe bleiben, so mußte sie sich nah neuen phosphorhaltigen Erzen umsehen; und da war es natürli, daß die geographish am nächsten liegenden Minetteerze in Lothringen- Luxemburg, welche ohnedies den großen Vorzug haben, daß sie wegen threr erheblichen Kalkbeimishung außer- ordentli leichtflüssig sind und daher eine verhältnißmäßig geringere Koksaufwendung erfordern, in erster Linie ins Auge gefaßt wurden.

Meine Herren, aus diesen Bestrebungen ging zunächst der Antrag der betreffenden Interessenten auf Erbauung des Moselkanals hervor. Der Moselkanal, wenn er ausgeführt worden wäre, hätte ja für die Eisenindustrie, namentli für diejenige, die unmittelbar oder in der nächsten Nähe des Rheins gelegen, jedenfalls wohl noch größere Bor- theile gebraht, als die Ermäßigung der Erztarife auf den Eisen- bahnen. (Sehr richtig! links.) Aus dem Moselkanal is bis heute nichts geworden. Es stellten s{ch ihm Schwterigkeiten entgegen, die der Frage selbst nicht ganz fern lagen. Die Mosel ist auf einem Theil ihres Laufes begrenzt von Luxemburg. Die Luxemburger Negierung wurde dur die Hochofeninteressenten gerade nit günstig gestimmt für eine Moselkanalisierung, und verweigerte daher ihrer- seits den Beitritt zu einem derartigen Unternehmen. Fnfolgedessen wurde seitens der betheiligten Industrien wieder der dringende Antrag an die Staatsregierung gerihtet, den Erzen einen billigeren Eisenbahntarif zukommen zu lassen. Meine Herren, die rheinisch-west- fälishe Eisenindustrie begründete diesen Antrag einmal damit, daß sie gegen das Ausland entschieden gestärkt werden müsse, und zweitens damit, daß sie einer Ausgleichung bedürfe gegen die [lothringis{-luxemburgische Eisenindustrie. Und zwar gab sie dabei zu verstehen, daß, wenn diese Ermäßigungen nicht gewährt werden sollten oder könnten, sie mit der Zeit voraussichtlich in die Lage gedrängt werden wücde, einen Theil ihrer Hochöfen nah Lothringen-Luxemburg zu verlegen, ‘da die Berechnung für die Herstellungskosten des Roheisens eine derartige Verschiebung mit der Zeit als ôfonomish richtig erweisen würde. Meine Herren, ob das nun wirklich der Fall gewesen sein würde, darüber habe ih kein maßgebendes Urtheil. Die Probe auf das Exempel ist verschoben worden, und zwar zum theil wohl aus dem Grunde, weil dur die \{wedischen Erze sich ein gewisser Ersay für die luxemburgisch- lothringishe Minette darbot. Die s{chwedishen Erze aus den Erzbezirken Gelivara und Grängesberg sind sehr hochhaltig an Eisen, aber sehr \chwer- flüssig und konnten bisher in größeren Massen au nur von denjenigen Werken bezogen werden, welche in der Nähe der Wasserstraßen liegen, aiso in der Nähe des Rheins. Beim Bau des Dortmund-Ems-Kanals ist allerdings auch wesentlich darauf mitgerechnet worden, daß der Fmport derartiger Erze für das nördliche Revier der Hochofenproduktion in Rheinland-Westfalen Ermäßigungen bringen müsse. Allein die Zone derjenigen Werke, welche hiervon einen nennenswerthen Vortheil erlangen werden, ist niht sehr ausgedehnt, wie das dur genaue Be- rechnungen festgestellt ist. Der mittlere und westlihe Theil der Hoch- ofenindustrie wird davon im Großen und Ganzen wenig berührt.

Meine Herren, die Frage ist nun mit allen Interessenten . seit Fahren verhandelt worden und war s{ließlich zu einem gewissen Er- gebniß dahin gelangt, daß die lothringisch-luxemburgischen Interessenten sagten: ja, wenn das einmal nit anders ist, wenn die Erztarife er- mäßigt werden sollen, dann müßt ihr uns in irgend einer Weise ent- schädigen. Und zwar stellten sie zunächst den Antrag, die Entschädigung in einer Ermäßigung der Kokestarife des Ruhrvereins nah Elsaß- Lothringen zu gewähren. Diese Ermäßigung der Kokestarife würde für die Eisenbahnverwaltung eine große finanzielle Einbuße mit sich bringen.

Es ift dann ferner die Frage geprüft worden, ob eine billige Ausgleichung nicht auch dur die Ermäßigung der Roheisenfracht ge- schehen könnte. Diese Frage ist zur Zeit noch in der Shwebe. JIn-

zwischen meldeten sich außer den beiden hauptsächlich interessierten

Gruppen der Roheisenproduktion auch die anderen in einiger Ent- fernung liegenden, also zunähsi die Aachener Werke, die Saarwerke und in leßter Linie auch die Werke an der Sieg, Lahn und Dill. Die eigentlihe Erzproduktion in Lothringen-Luxemburg ist dabei aus dem Grunde wenig in den. Vordergrund getreten, weil die Erz- felder entweder noch in der Hand des luxemburgischen Staats oder in der Hand der lothringish-luxemburgishen Hochofenindustrie oder endlih in der Hand der rheinish-westfälischen, der Aachener und der Saarindustrie sich befinden, also eine eigentlihe selbständige Erz- produktion verhältnißmäßig nur in geringem Maße besteht. Es ist nicht zu leugnen, daß auch die Werke im Aachener Revier, an der Saar sowie an dex Sieg, Lahn und Dill an der Entscheidung der vorliegenden Frage wesentli interessiert sind. Dabei möchte ih in- dessen auf eine Bemerkung, die gestern Herr Graf Kaniß gemacht hat, eingehen, daß nämlih die Produzenten von der Sieg, Lahn und Dill behaupteten, die rheinish-westfälishe Industrie würde seitens der Staatseisenbahnverwaltung zu ihren Ungunsten und auf ihre Kosten entshieden bevorzugt. Meine Herren, wenn jemand bevorzugt ift, so ist es die Sieg, Lahn und Dill, denen seit einer langen Reihe von Jahren ausnahmsweise niedrige Tarife für die Noheisen- produktion bewilligt worden sind. Es is das der sogenannte Noth- \tandstarif, der seiner Zeit bewilligt wurde, um dem damals wirkli vorhandenen Nothstand in den Bergwerkdistrikten der Sieg, Lahn und Dill entgegenzuwirken. Diese Tarife sind aber au, nahdem der Nothstand längst überwunden ist, den betreffenden Revieren gelassen worden, sodaß meines Erachtens die Interessenten dieser Reviere keine Ursache haben, über eine Parteilichkeit der Staatseisenbahnverwaltung Klage zu führen. Meine Herren; die Entscheidung in dieser Frage ist noh nicht getroffen, aber nahe bevorstehend. Die Eisenbahndirektion Köln | ist zunächst von mir beauftragt worden, nochmals gerade diese Verhältnisse im Aachener Revier, an der Saar, der Dill und der

Lahn ‘und im Osnabrückeshen genauer zu prüfen nah der Richtung !

hin, welhen Einfluß die beantragte Tarifermäßigung der Erze auf sie ausüben könnte. Jh bin daher auch heute nicht in der Lage, irgend eine Erklärung über den Ausfall der Entscheidung in dieser Frage

abzugeben.

Ich möchte zum Schluß aber bemerken, daß es \ih hier voraus- sihtlih niht um Ausnahmetarife von Lothringen-Luxemburg nach dex Ruhr und den ‘übrigen Relationen handelt, sondern vorausfihtlich um eine allgemeine Ermäßigung der Erztarife. Meine Herren, die Frage wird auch in der leßten Instanz, im preußischen Staats-Ministerium, mit aller Gründlichkeit geprüft werden. Von einem Vorurtheil und einer Parteinahme für irgend welhe Interessentengruppen kann meines Erachtens durchaus nicht die Rede sein. (Bravo! bet den National. liberalen.) ,

Abg. Graf von Kan ih (kons.): Von der Regierung ift darauf hin« gewiesen worden, daß der Dortmund - Ems - Kanal nicht rur ein Aequivalent für die Unterhaltung, sondern auch eine angemessene Verzinsung und Amortisation bringen soll. Man hat die aus wärtiae Konkurrenz als Motiv für die Ermäßigung des Tarifs angeführt und sich auf die billizen Frachten und niedrigen Arbeits» löhne in Amerika bezogen. Dieser Hinweis ist aber hinfällig, da die amerikanishen Erze dort zum großen Theil garniht auf der Eisenbahn verfrahtet werden und die Kokspreise dort sehr viel niedriger sind als bei uns. Die Arbeitslöhne sind fast gleih. Die Zahl der Erzarbeiter im Ruhrgebiet hat sih in 17 Jahren um mehr als 100 000 vermehrt, und das ist für mich und für Herrn von Stumm bedenklih. Was sollen den benactheiligten Gebieten für Kompensationen gewährt werden? Es sollen thnen Tarifermäßigungen zugestanden werden. Das ift eine Schraube ohne Ende; bald werden die Kokstarife, bald die sür Minette ermäßigt; im Interesse einer stetigen Tarifpolitik muß dieser Schraube ein Ende bereitet werden, Ich gebe zu, daß das Rhein- und Siegrevier ih seit 10 Jahren im Besitz eines Nothstandéêtarifs befindet. Es ist aber zu befürchten, daß sie in Zukunft durch den Dortmund-Ems-Kanal geschädigt werden, Ich freue mich, daß der Ministec die Frage noch nit entschieden hat; sie verdient eine fehr forgfältige Prüfung. i

Abg. Jürgensen (nl.) wünscht eine größere Einfiellung von guten Viehwagen in Schleswig-Holstein und eine Bescjleuniguvg der Viehzüge. / /

Abg. von Mendel -Steinfels (konf.): Bei weitem Tranéport müssen in den Viehwoagen ausreichende Trinkeinrihtungen angebrat werden. Die Wagen sollten gut ventiliert und gedeckt werden, damit fie auch im Winter ohne Thierquälerei benußt werden können. So- bald eine Seuche ausbriht, müssen sie niht nur mit warmem Wasser und Sodalösfung, fondern mit einer 5Sprozentigen Karboliösung desinfi- ziert werden. Wir verlangen vor allem eine Vermehrung der Vieh- wagen.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Fch gestatte mir, zu den Ausführungen des Herrn Abg. von Mendel einzelne Bemerkungen zu machen.

Die Vermehrung der Viehwazen ift bereits angeordnet und voll- zieht fich in regelmäßigem Gange. In Bezug auf die Ausrüstung der Viehwagen mit Tränkvorrichtung glaubte ih allerdings, Herrn von Mendel gestern so verstanden zu haben, als wünsche er neben den Tränk- auch Futtereinrihtungen. Diese sind früher in ziemli reihem Maße eingeführt gewesen, fie sind aber auf Wunsch der Vieh- händler wieder beseitigt worden, und die Eifenbahnen haben |ch über- zeugen müssen, daß die Ausstattung mit Tränkvorrichtungen unzweckmäßig war, und zwar erstens unzweckmäßig aus dem Grunde, weil das Vieh über- haupt im Wagen keinen Trank aus diesen Vorrichtungen annimmt; namentli ift genau konstatirt worden, daß alles Weidevieh auf dem Tran3port weder Trank noh Futter zu sih nimmt, sondern, daß et, wenn es unterwegs gefüttert oder getränkt werden muß, erft ausgeladen und für einige Zeit in den Stall gestellt werden muß. Wenn aber das Vieh wirklich bereit ift, unterwegs Trank anzunehmen, dann ift dies viel einfaher mit einem Eimer als mit einer festen Tränk- vorrihtung zu machen. Diese Tränkvorrihtung hat zweitens den Nachtheil, daß außerordentlich viel Verleßungen vorkommen; beim Rangieren wird das Vieh gegen diefe Tränkvorrißtung geworfen und zerbriht ih dabei die Gliedmaßen. Das ift sehr vielfach beobachtet worden, und deswegen möchte ih bitten, taß diese Frage in land- wirths{aftlihen Kreisen noch näher studiert wird, ehe wir dazu übergehen, derartige Tränkvorrihtungen wieder in den Wagen an- zubringen.

Was die Desinfektion betrifft, und zwar die Frage, ob man, wenn in einer großen Ausdehnung Seuchen im Lande berrschen, sofort die \härfere Desinfektion vorschreiben soll, so bin ih sehr gern bert, mit dem Herrn Landwirthschafts-Minister diesbezüglih in Verbindung zu treten, nah dessen Gutachten wir unsere Anordnungen ja stets machen und machen müssen. Jh möchte mir aber gestatten, in dieser Beziehung, wenn der Herr Präsident es erlaubt, aus den Vorschriften über die Reinigung und Desinfektion den betreffenden Passus vor- zulesen :

Der Landespolizeibehöcde bleibt vorbehalten, diese Art der Des- infektion Desinfektion b nämlih auch in anderen Fällen anzuordnen, wenn fie folhes zur Verhütung der Vershleppung von Seuchen für unerläßlih erachtet. Also, wenn der Herr Landwirthschafts-Minister derselben Ansicht ift, die der Herr Abg. von Mendel hier vertritt, so bin ich gern bereit, diesen Weg zu beschreiten.

Was die leyte Frage anbetrifft, die Anstellung von Versuche! mit Getreidetransportwagen, so bin i ebenfalls bereit, den land wirthschaftlihen Wünschen entgegenzukommen. (Bravo!)

Abg. von Werdeck (kons.) fragt, ob die Verwaltung die Absicht habe, 200-Zentner-Wagen einzuführen. Dies würde den kleineren landwirthshaftlihen Genossenschaften sehr unerwünsht sein. Redner wünscht die Benachrichtigung der Besteller von Wagen, ob ste die be stellten Wagen erhalten können. : i

Wirklicher Geheimer Ober - Regierungs - Rath Msllhausen: Dem letzteren Wunsche soll entprohen werden. Die größeren Wagen sind eingeführt worden, um die Züge zu verkürzen; aber wenn diel& Wagen nicht vollgeladen sind, brauchen sie au nit voll bezahlt zu werden.

Abg. Reichardt (nl.) spricht sih gegen eine Frahtermäßiguns für die Zuckerausfuhr aus. Wenn auch der Export größer würde, würde doch die gesammte Zuckerindustrie davon keinen Nugen haben, da der Weltmarktpreis sh um den Betrag unserer Frahtermäßiguns verringern würde. Dann würden die JInlandsfabriken, welche p Wasserweg enden könnten und an der Frahtermäßigung nit e nähmen, die Differenz zahlen müssen. Deshalb habe sich die Hande kammer der Previn Sachsen gegen diese Tarifermäßigung erklärt, A übrigens wahrscheinli Oesterreich mehr nüßen würde als mand inländischen Zuckerfabriken. i B

Abg. Wallbrecht (nl.): Ich kann diesen Ansichten nicht fa stimmen, Den Oesterreihern wird kein Nupyen erwachsen. en

annover wünscht man die Ermäßigung; au der Verein der deuts s uckerindustriellen hat \sich im allgemeinen Interesse für dieselbe a

JIch wünsche ferner die Anlage einer Viehrampe neben

gelprodt Jet bleiben die Kälber im Wag"

dem Bahnhofe in Hannover.

und brüllen die ganze Nacht hindurch. Ein Mensch würde wegen solhen Sfandals eingesperrt werden. Die Hausbesißer können des- halb ihre Wohnungen nit vermiethen.

Ein Negierungskommissar sagt den Bau der Vieh-

rampe zu. s Abg. Baensh-Schmidtlein (fr. kons.) befürwortet, daß die

den Landwirthen in den Uebershwemmungsgz-bieten zugestandenen Frachtermäßigungen allen Betheiligten und auch in diesem Frühjahr noch gewährt würden.

Geheimer Regierungs-Rath Krönig theilt die einzelnen Vor- ausseßungen mit, unter denen der Frachterlaß gewährt werde. Einige Lokolbehörden schienen allerdings diese Bestimmungen mißverstanden zu haben. Der Frachterlaß solle auch weiter aewährt werden.

Damit schließt die Diskussion. Der Antrag Gothein wird der Budgetkommission überwiesen. Die Einnahme aus dem Güterverkehr wird bewilligt.

Bei der Einnahme für Ueberlassung von Bahnanlagen und für Leistungen zu Gunsten Dritter, 20 107 400 M, bemängelt i

Abg. Dr. von Woyna (fr. kons.) die Höhe der Beiträge, welche die Kleinbahnen bezzhlen müffen für den Umbau von Stationen der Staatsbahnen wegen des Anschlusses der Kleinbahn an diese, und bittet, hierin nah milden Grundsäßen zu verfahren. ;

Wirklicher Geheimer Ober - Regierungs-Rath Möllhausen theilt mit, daß eine Kommission zur Prüfung diesec Frage bereits ein- geseßt fei, und daß ein mildes Verfahren eintreten solle. E

Der Titel und der Rest der Einnahmen werden bewilligt.

Bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei den Besoldungen der Beamten der vom Staat verwalteten Eisen- bahnen, bittet

Referent Abg. Möller (nl.), die Petitionen einzelner Beamten- fategorien aus der Diskussion auszuscheiden, da diese Petitionen erst noch ia der Budgetkommission berathen würden.

Die Abgg. Dr. Lohmann- Hagen (nl.) u. Gen. bean- tragen

den Vermerk im Etat zu streichen, daß mit gewissen Modalitäten 135 Stellen der Eisenbahn-Bau- und Betriebs- bezw. Maschinen- inspektoren künftig wegfallen sollen. j

Die Abgy. Dr. Sattler (nl.) und Dr. Beumer (nl.) beantragen, i

die Bezeihnung „bau- und maschinentehnishe Eisenbahn - Be- triebsingenieure“ zu erseßen durch „Ober-Bahnmeister“. ;

Abg. Dr. Loh mann - Hagen begründet seinen Antrag damit, daß nah den Erklärungen der Regierung es an höheren technischen Be- amten fehle und daß in den nächsten sechs Jahren wahrscheinlich von diesem Etatsvermerk überbaupt kein Gebrau gemacht werden könne. Wenn aber wirklih ein Bedürfniß für eine solhe Stelle aufhöre, fo sei die Verwaltung in der Lage, die Stelle einzuziehen. Er möchte im Gegentheil um eine Vermehrung der tehnischen Beamtenstellen bitten, um den gerechten Klagen dieser Beamten abzuhelfen.

Geheimer OÖber-Finanz-Nath Lehmann bittet um die Aufreckt- erhaltung des Etatsvermerks. Es handle sih um Stellen, die nu;c für einen vorübergehenden Bedarf geschaffen seien.

Aktg. Mücke (Zentr.) tritt für die Verbesserung der Anstellungs- und Pensionsverbältnisse der Telegraphistinnen und sonstigen Ge- hilfinnen im Eisenbahndienst ein. / :

Geheimer Regierungs-Rath Hoff theilt mit, daß die etats- mäßigen Stellen den Fahrkartenausgeberinnen, Telegraphistinnen 2. verliehen werden sollen, wenn fie fünf Jahre im Amte sind. j

Abg. Knebel (nl.) unterstüßt den Antrag Lohmann; es herrsche wohl allgemein die Meinung, daß von dem Etatsvermerk kein Ge- brauch gemaht werden könne. Der Vermerk diene nur als eine Warnungstafel, die vom Studium des Baufahs abschrecke ; nach feiner Beamtenkategorie sei aber die Nachfrage so groß, wie nah den Baumeistern. Mindesters müßten die schon neun und zehn Jahre diätarish beschäftigten Baumeister etatsmäßig angestellt werden.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Das ist ja eben der Zweck der neueren Bemerkung, die in den Etat gesct worden ist, daß den Baumeistern, die noch aus den älteren Jahrgängen stammen, zur etatsmäßigen Anstellung ver- holfen werde. Es sind 22 Baumeister aus dem Jahre 1887, 23 aus dem Jahre 1888 und 27 aus dem Jahre 1889. Im Jahre 1890 fällt die Zahl sofort auf 6. Welchen Bedarf wir nah einer Reihe von Jahren haben werden, werden wir ja bei den demnächstigen Etatsberathungen und bei der Aufstellung der demnächstigen Eiats zu erwägen haben. Aber zur Zeit können wir niht übersehen, ob die 135 Stellen, die eingeseßt sind, dann noch erforderlich sind oder nicht.

Die Baubeamten selber haben darüber einen viel rihtigeren Be- griff als die Herren, die hier darüber gesprohen haben. (Zuruf bei den Nationalliberalen: Na! na!) In den „Klagen und Wünschen der höheren Techniker der preußishen Eisenbahnverwaltung“ ift unter anderem der Herr Präsident wird wohl gestatten, daß ich den kurzen Absay vorlese mit vollem Verständniß der Sachlage gesagt worden :

Bezüglih der Techniker dagegen hat die Staatseisenbahnver- waltung in den 80er Jahren den Fehler begangen, weit mehr An- wärter, Regierungsbaumeister, einzuberufen, als nach dem zu er- wartenden Jahresabgang an älteren Beamten zulässig war.

Um diesen Fehler wieder gnt zu machen, ist die Vereinbarung mit dem Herrn Finanz-Minister getroffen und die Bemerkung in den Etat aufgenommen worden.

Die Techniker stehen in Bezug auf die etatsmäßige Anstellung verhältnißmäßig recht günstig. 82 9/0 find etatsmäßig angestellt. Jch kann nur bitten, daß das Haus sich dem Votum der Budgetkommission

anschließt.

Abg. Reimnißt (nl.) wünscht eine Verbefserung der Gehalts- und Pensionsverhältnifse der Eisenbahnwerkführer.

Abg. von Czarlinski (Pole) tritt für die vermehrte Sonntags- ruhe der Gepäckträger ein, die nur an jedem vierten oder fünften Sonntag von 124 Uhr Nachts bis 12 Uhr Mittags Ruhe hätten. Ein Gepäckträaer habe in seinen 37 Dienstjahren nicht einen einzigen ganzen freien Sonntag gehabt. Herr von Werdeck habe sih über eine polnische Speisenkarte in einem Speisewagen aufgehalten; eine all- gemeine Entrüstung habe dies niht hervorgerufen, der Zug sei dadur auh nicht gefährdet worden. Redner dbeshwert sich sodann über Wakhlbeeinflussungen des Stations-Vorstehers in Dirschau, der zu einem Beamten gesagt habe: Wenn Sie nicht deutsch wählen, kommen Sie dahin, wohin Fricke gekommen ift.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen :

Meine Herren ! Die Beamten haben im Dienst deutsch zu sprechen und nicht polnisch. (Sehr richtig! rechts und bei den Rational- liberalen.) Diese Vorschrift hat der Stationsvorsteher, wie es scheint, einem seiner Untergebenen eingeshärft. (Rufe bei den Polen: nein!) Was er noch daneben gesagt hat, das kann ih ja niht wifsen; das könnte erf durch cine nähere Untersuhung festgestellt werden. (Abg. von Czarlinski: davon ist gar niht die Rede gewesen! Der Herr Minister hat mich gar niht verstanden!) Dann bedaure ih das. Ich habe den Herrn Vorredner dahin verstanden, daß der Stations- vorsteher seinem Untergebenen, dem Telegraphisten, untersagt habe, im Dienste poluish zu sprehen. (Abg. von Czarlinski: nein! er hat gesagt, er solle deutsch wählen!) Wählen? Dann habe ih Sie

mißverstanden. (Abg. von Czarlinski: Wahlagitation getrieben !) Danû werde ih aus der Mittheilung des Herrn Abgeordneten Ver- anlassung nehmen, die Sache näher zu untersuchen.

Der Herr Vorredner hat auch über die Sonntagsruhe der Gepäckträger gesprohen. Meine Herren, die Gepäckträger find keine Beamten, sondern sie sind Arbeiter, die im Eisenbahndienst be- \{äftigt sind. Ihre Besoldung ist verschieden: sie besteht entweder in Tagelohn oder in den Gebühren, die sie von den Reisenden zu erheben haben. Meistentheils is leßteres der Fall. Alsdann haben aber die Leute ein großes Interesse daran, zu einem Zuge zugegen zu sein, und ih weiß aus einer ganzen Reihe von Vorsällen, daß fie sogar wegen dieses Geldinteresses es vorziehen, den ganzen Sonntag im Dienst zu bleiben. Es besteht jedoch die Vorschrift, daß den Leuten an jedem zweiten, mindestens aber an jedem dritten Sonntage Gelegenheit gegeben werde, ihren kirchlihen Pflihten nahzukommen, und dazu wird ibnen au thatfählich Gelegenheit geboten. Im übrigen kann ih nur sagen, daß mit Nachdruck auf die Beobachtung aller für die Sonntagsruhe gegebenen Vorschriften gehalten: wird. Es können aber Zeiten eintreten, und sie find im vorigen Herbst eingetreten, wo das nicht immer ausführbar ist.

Abg. Dr. Böttinger (nl.) bittet den Minister, bei der Auf-

hebung der Klasse der Betriebs-Sekretäre möglichst alle Härten zu ver- meiden, die Stellen der Eisenbahn-Sekretäre zu vermezren und die Eisenbahn-Telegraphisten den Reichs-Telegraphisten aleihzusftellen. Ueber die bevorstehende Aufbesserung der Unterbeamten spreche er seine ganz besondere Freude aus. __ Abg. Feli \ch (kons.) {ließt sich dem Wunsche des Vorredners in Bezug auf die Betriebs-Sekretäre an und bittet um Anrechnung der diätarishen Beschäftigung der Baumeister auf deren Dienstalter. Er stimmt ferner dem Plane der Aufbesserung der Gehaltsverhältnisse der Unterbeamten zu und empfiehlt namentlich eine Besserstellung der Zugführer und der Rangiermeister,

Abg. Kircher (Zentr.) bemängelt, daß bei den Güterexpeditions- Vorstehern eine Verminderung der Stellen in der unteren Gehalts- klasse eingetreten fei. : '

Geheimer Regierungs-Rath Hoff weist nach, daß diese Auf- fassung auf einem Irrthum beruhe.

__ Abg. von Botckelberg (kons.) betont, daß in seiner Partei das Wohlwollen für die Beamten ebenso groß sei, wte bei den anderen Paiteien. Wenn seine Partei den Antrag Lohmann ablehne, so geschehe es nicht aus Mangel an Wohlwollen für die höheren Techniker; im Gegentheil, im vorigen Jahre seien ja Einrichtungen getroffen worden, damit die drei ältesten Jahrgänge zur Anstellung kommen konnten. Der Antrag Lohmann wolle aber vorübergehend nothwendige Stellen dauernd feftsezen. Es sei ein etatsrechtlihes Unikum, daß man der Verwaltung mehr Stellen aufdränge, als sie gebrauchen könne.

Abg. Wallbrehcht: Diese Stellen sind doch geschafen worden, weil sie nothwendig waren, und es werden noch mehr nothwendig werden, zwar niht für den Betrieb, aber für die Neubauten. Ein Unikum i} es daher, erft einen folien Vermerk zu machen. Man muß die Beamten zufrieden ftellen, und deéhalb müssen die Techniker den anderen Beamten gleichgestellt werden.

Abg. Dr., Sattler (nl.) bittet um eine andere Uniform und anderen Rang für die Haltestellen-Vorsteher, um fie von den Weichen- stellern I. Klafse zu untersheiden, und befürwortet seinen oben mit- getheilten Antrag, den er jedo dahin modifiziert: die Regierung zu ersuchen, für die bau- und maschinentehnischen Eisenbahnbetriebs- Ingenieure eine andere zutreffende Dienstbezeihnung herbeizuführen. Redner weist ferner darauf hin, daß die Technishen Hochschulen den fstaat- lichen Schutz des Titels Ingenieur wünschten. Man könne sich ja philo- \sophish über alle Titel hinwegsctzen, aber innerhalb unseres Staats- wesens seien die Titel do niht ohne Bedeutung, und deshalb müsse auch der technisbe Beruf äußerlih kenntlißh gemacht werden. Die französishen Präsidenten Grêvy und Carnot seien aus dem Stande der Techniker hervorgegangen. Die Regierung verleye diese Beamten durch Vorenthaltung eines geeigneten Titels.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Fh würde “allerdings der Meinung sein, daß der vorliegende Antrag niht wohl formell gerechtfertigt ist, da die Verleihung von Titeln und Rang ein Ausfluß der Kronrechte ist.

Was die Sache selbst betri, so find den Vorständen der Bau- und Betriebsinspektionen sowie au den Vorständen der Maschinen- inspektionen Stellvertreter, Assistenten, beigegeben. Den wichtigeren Inspektionen sind auch Baumeister neben den mittleren Beamten, zuz getheilt.

Wir haben nun die Erfahrung gemacht, daß es absolut noth- wendig ift, den Bau- und Betriebsinspektionen solhe Beamten zur Seite zu f\tellen, die eine {hon mehr umfasserde technishe und all- gemeine Bildung besizen, und haben infolge dessen die Bedingungen festgestellt, welhe diese Beamten zu erfüllen haben, um in diese mittleren Stellen einrücken zu können.

Diese Beamten sind zunächst als Betriebs-Kontroleure bezeichnet gewesen. Ihr Titel {hien aber einmal unzureichend gegenüber dem Inhalt ihrer dienstlichen Thätigkeit, dann aber auß unzureichend gegenüber dem Maß von technischer Vorbildung, welches von thnen verlangt werden mußte. Die Staatsregierung ents{chloß sich also, diese Beamten, vollständig entsprehend dem Gebiete ihrer Thätigkeit, mit dem Titel Eisenbahn-Betriebsingenieur auszustatten. Sie hatte um so mehr Veranlassung dazu, diesen Titel zu wählen, weil er- fahrungsgemäß Beamte mit so weitgehender technisher Vorbildung mit einem Titel, der, wie Betriebs-Kontroleur, eigentlih dem tehnischen Wissen und der Bildung der Beamten nicht entsprach, sich nit zu- frieden geben konnten und daher auch in zureihender Zahl und mit zureihender Vorbildung sih nicht würden gemeldet haben,

Nun, meine Herren, hat sich gegen die Verleihung dieses Titels Eisenbahn-Betriebsingenieur, wie ih zugeben muß, in weiten Kreisen eine seht lebhafte Agitation kund gegeben, und zwar ist diese Agitation wesentli ausgegangen von den Professoren der Technischen Hochschulen und hat sih dann fortgepflanzt auf den Vorstand des Ingenieur- und Architektenvereins. Mir ist die Sache eigentlich muß ih sagen ziemlich unverständlich. Ich bin mit dem Herrn Vorredner voll- kommen der Meinung, daß der Stand der Techniker, der akademish gebildeten Techniker, in aller und jeder Beziehung eine ganz außer- ordentliche Zukunft für fih hat. Um so weniger kann ih es begreifen, wenn er auf \o kleinlihe Dinge einen solchen Werth legt. Meine Herren, der Titel Eisenbahn-Betriebsingenieur entspriht vollkommen der Aufgabe, die den Leuten geftellt ist. Sie sollen den Bahn- und Betriebs8-Fnspektor unterstüßen und vertreten im ganzen Umfange seiner Thätigkeit, also nicht nur bezüglich der Bahnunterhaltungen und der Ergänzungsbauten, sondern auch auf dem ganzen Gebiete des Betriebes, und gerade das leßtere ist die hervorragendste und wesent- liste Seite seiner Thätigkeit. Es würde daher der Titel Ober- Bahnmeister für die betreffenden Beamten ganz und gar niht passen. Er würde noch viel weniger passen für denjenigen Theil der Beamten, die dem maschinentechnischen Vorstande überwiesen werden als Assistenten und Stellvertreter. Da würde der Titel Ober-Bahnmeister

einfach gar keinen Sinn haben, dein mit der Bahnmeisterei hat der Vorstand des maschinentehnisch:n Wesens überhaupt garnichts zu thun. Meine Herren, es würde aber auch der Titel Ober-Bahnmeister insofern ganz unzutreffend sein, da ja diesen Beamten nit nur die Bahnmeister, sondern auch die Stations-Vorsteher untergeordnet werden müssen, und ein Ober-Bahnmeister als Vorgeseßter des Stations-Vorstehers würde do, wie Sie mir zugeben werden, kein rihtiges Verhältniß geben.

Fh möchte auch fernerhin darauf aufmerksam machen, daß ebenso wenig der Titel Betriebs-Afsistent der rihtige Ausdruck für die Thätigkeit und die Aufgaben dieser Beamten sein würde, und der Titel Assistent würde namentlich im Verhältniß zu den ihm untergeordneten Stations- beamten durhaus deplaciert sein. i

Es giebt meines Erachtens keinen Titel, der rihtiger die Aufgaben der betreffenden Beamten zum Ausdruck bringt als gerade der Titel Eisenbahn- Betriebsingenieur, Nun muß ih sagen und habe ih {on gesagt: ih begreife nit, wie von seiten der übrigen Technik, alfo der höheren technishen Beamten inklusive der Technischen Hochschulen, hier« gegen ein Bedenken erhoben werden kann. Die ftaatlich geprüften technishena Beamten sind ja wit einem Titel ausgestattet, der \ich vollständig unterscheidet von diesem „Eisenbahn-Betriebsingenieur“ und für diejenigen Techniker, die eben keine \staatlihe Prüfung durchgemacht haben, ift ja der Titel Ingenieur heutzutage vollständig frei.

Meine Herren, es wird behauptet in der Presse, daß in dem be- \stchenden Ingenieurverein mehr Ingenieure wären, die eine technishe Hochschulbildung niht durhgemaht haben, als solche, die eine durh- gema{ht haben. Ob das richtig ift, kann ich uit feststellen, will ih auch dahingestellt sein lassen; aber das ift do jedenfalls unzweifelhaft, daß im kommunalen Dienst, in der Privattehnik eine greß: Anzahl von Ingenteuren si befinden, die keine akademishe Bildung durh- gemacht haben, die in Bezug auf ihre tehnishe Fachbiltung weitaus nicht diejenigen Ansprüche erfüllen können, die wir von den Eisenbahn- Betriebsingenieuren verlangen.

Meine Herren, früher ist man überhaupt in der Beziehung nicht so empfindlih gewesen. Bei den alten Privatbahnen find diese mitt- leren Beamten immer als Ingenieure bezeichnet worden; bei der Rheinischen, bei der Köln-Mindener Bahn hießen diese mittleren Beamten Sektionsingenieure, hatten ungefähr dieselben Berrichtungen und Aufgaben zu erfüllen, die jeßt diesen Betriebsingenieuren zu- gewiesen sind und niemand nahm Anstoß daran. Bei der Hessischen Ludwigsbahn haben wir diese Herren übernommen, und auch bei einer ganzen Reihe anderer Staatsbahnen außerhalb Preußens ift dieser Titel mittleren Beamten verliehen worden.

Ich will gar nicht weiter darauf exemplifizieren, daß ja auch in der Marine auch eine ganze Reihe von mittleren Beamten als FIn- genieure bezeichnet sind, ja daß in der Marine sogar diesen mittleren Beamten die Möglichkeit gegeben ift, demnächst die höheren Stellen auch einzunehmen.

Ich möchte daher dringend bitten, daß auch der in Ausficht gestellte zweite Antrag des Herrn Abg. Dr. Sattler vom hohen Hause nit angenommen wird, und daß das Haus damit ausspricht, daß auch nach seiner Auffassung der Titel „Eisenbahn-Betriebsingenieur“ der richtige ift.

Fch möchte sch{ließlich noch bemerken, daß einstweilen ja Vor- {riften noch nit bestehen, wonach die Hochschulen den Titel „Jngenieur*“ in Form des Diploms oder in einer anderen Weise ver- [leihen und ihm damit auh eine gewifse ftaatlihe Bedeutung geben. Aber selb für den Fall, daß man fich hierzu ents{chließen würde würde immerhin dadurch, daß diese Ingenieure „Eisenbahn-Betriebs- ingenieure“ benannt werden, doch ihre Stellung vollständig klargestellt sein und Verwechselungen mit den übrigen Ingenieuren nicht vor- kommen.

Ich möchte daher meine Bitte wiederholen, auch den eventuellen Antrag des Herrn Abg. Sattler abzulehnen.

Abg. Bröse (konf.) weist auf verschiedene Unglücksfälle hin, welche durch uicht rechtzeitige Schließung der Barrièren bei Bahn- übergängen herbeigeführt worden seien.

Abg. Cahensly (Zentr.) sprihi fich gegen den Antrag Sattler

aus, während Abg. Krawinkel (nl.) denselben sowie den Antrag Lohmann unterstüßt.

Geheimer Ober-Finanz-Rath Lehmann betont nochmals die Nothwendigkeit des Etatêvermerks, der zwar keine Warnungstafel sein solle, die von dem technishen Beruf abschreckt, aber do klar machen solle, was ein junger Mann in diesem Berufe zu ér- warten habe.

Abg. von Knapp (nl.) befürwortet besonders die Gehalts- aufbesserung für das Zugpersonal und die Beamten des äußeren Dienstes und die Herausnahme der geprüften Telegraphenbeamten aus der Klasse der Unterbeamten.

_Abg. Mtes (Zentr.) bittet, die Eisenbahn-Landmesser aus der Klasse der Sekretäre herauszunehmen. ¿

_ Abg. Ring (konf.) empfiehlt die Bureaudiätare, welhe aus den Militäranwärtern hervorgegangen find, dem Wohlwollen des Ministers; diese Beamte seten durch die Neuorganisation zu kurz gekommen, und es müsse ihr Aufrücken erleihtert werden. Redner befürwortet ferner die Erhöhung des Gehalts der Bahnsteigshaffner und der Werkmeister. y

Abg. Wetekamp (fr. Volksp.) wünscht die Herausnahme der Telegraphisten aus der Klasse der Unterbeamten, die Vermehrung der Beamten des Abfertigungsdienstes und Festsezung eines bestimmten Verhältnisses zwischen den Zahlen diefer Beamten I. und Il. Klasse. Die Titelfrage lasse ihn ziemlih kühl; es sei wünschenswerth, daß die Beamten fch außerhalb des Dienstes mehr als Bürger denn als Beamte fühlten.

Abg. Kirs\ch (Zentr.) meint, daß der Titel- und Ordenssuht und dem Streberthum entgegengetreten werden müsse, und erklärt si deshalb gegen den Antrag Sattler und ebenso gegen den Antrag Lohmann.

Abg. von Eichel (kons.) tritt für die Wünsche der Werkführer, der Lademeister und der Packmeister ein.

__ Abg. Dr. Sattler bemerkt, daß sein Antrag ja nur die Erseßung eines Titels dur einen anderen bezwecke.

__ Die Anträge Sattler und Lohmann werden abgelehnt ; die Besoldungen werden bewilligt.

Bei den Wohnungsgeldzushüssen für die Beamten giebt

_ Abg. Dr. Schulhz- Boum (nl.) eine Uebersicht über die Thättg- keit der Baugenossenschaft, welche sih auf Grund des aus der Staats- kasse zur Verfügung gestellten Fonds von 5 Millionen. Mark gebildet habe, um für die Eisenbahnbeamten Wohnungen zu beschaffen. Diese Genossenschaft könne das Wohnungsbedürfniß der Beamten noch nicht hinreichend befriedigen, es müsse also die Herstellung von Dienfk- wohnungen in s{leunigerem Tempo betrieben werden. Im rheinish- westfälishen Industriegebiet finde der Eisenbahnbeamte auf dem Lande viel s{chwerer eine Wohnung und müsse mehr dafür bezahlen als in der Stadt, und diese Beamten seien auf einen Wohnungsgeldzushuß von 60 oder 70 Æ# angewiesen. Durch Theuerungszulagen müßten dié Eisenbahnbeamten im rheinish-westfälischen Revier wieder in den Stand geseßt werden, gesunde Wohnungen zu miethen.