1898 / 79 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Apr 1898 18:00:01 GMT) scan diff

ürde. Jch weiß nicht, was der Herr Abgeordnete mit dieser ver- meintlichen Thatsache, ‘deren Richtigkeit er seinerseits nit verbürgen “will, die er nur als von anderer Seite miigetheilt erwähnt, gegenüber der Verwaltung fagen will. Es ist möglich, daß diese Eintragung - na@träglih für irgend einen Zweck geschehen ist, der mit der Frage, die uns hier beschäftigt, außer aller Beziehung steht. Die Ein- Tragung fkann später gesehen sein, und aus einer loyalen ‘und fkorrekten Veranlassung geshehen sein, sie deshalb später als auffällig hervorzuheben, würde dann aber ein Grund nicht vorgelegen haben. Sollte die Eintragung in inkorrekter Weise später erfolgt sein, etwa, um ein unrihtiges Verhalten des einen oder des anderen Beamten dadur zu decken, so würde natürlih eine Ahndung geboten sein, und wenn ih in die Lage gekommen wäre, den Sach- verhalt feststellen zu können, fo wäre es mir auch mögli gewesen, dem Hause zu erklären, daß den etwa betheiligten Beamten die nöthige Zurehtweisung zu theil geworden sei, wenn sie folhe nickt {on früher getroffen hätte. :

Der Herr Abgeordnete hat die Frage aufgeworfen, weshalb die Richtigstelung des Sachverhalts niht früher erfolgt set, Ich kann auch darüber keine Auskunft geben; aber es liegt nahe, daß zu einer solhen Berichtigung eine Veranlafsung nicht gegeben war, so lange nicht der Fall, der vorgekommen fein sollte, hier oder im preußishen Abgeordnetenhause zur Sprache gekommen war. Es is mögli, daß hon früher in der Presse auf die Sache hingewiesen worden ist. Jede Preßäußerung kann aber zu einer Berichtigung nit Anlaß geben; die preußische Verwaltung würde nit gezögert haben, diefe Berichtigung, wie sie der preußische Justiz-Minister im Abgeordnetenhause hat eintreten lassen, früher ein- treten zu lassen, wenn das geboten gewesen wäre. Jch glaube, daß aus der Thatsache, daß diese Berichtigung erst jeßt erfolgt ist, irgend ein für die Verwaltung nachtheiliger Schluß niht gezogen werden kann; ih habe aber doch das Bedürfniß, dieses dem verehrten Herrn Abgeordneten gegenüber ausdrücklich zu konftatieren. | :

Drittens hat Herr Dr. Lieber mitgetheilt, daß die dem Herrn Erzbischof zu theil geroordene Nücksihtnahme sich nicht erstreckt habe über die volle Dauer feiner Haft, er sei später in {chlechteren und den Nüeksichten seiner Stellung niht Rechnung tragenden Räumen unter- gebracht worden. Auch darüber hätte ih sehr gern dem Haufe sihhere Mittheilungen gema&t; denn ih glaube gar nit zweifeln zu dürfen, daß, wenn das richtig ist was ih nach den Mittheilungen des Herrn Abgeordneten nicht bezweifle —, für die Verwaltung awingende Rüdsichten maßgebend gewesen find, aber nit ein böser Wille. Auch das möchte ih den Ausführungen des Herrn Abgeordneten gegenüber konstatieren, damit niht in der Oeffentlichkeit etwa die Meinung Plat greift, als wenn man aus einer unberehtigten Stimmung heraus, illoyal und absihtlich an die Stelle der guten Behandlung eine {leckchte haben treten lassen.

Das ifi alles, was ih heute fagen kann. Wäre ih in der Lage gewesen, die Bemängelung des Herrn Vorredners vorher kennen zu Lernen, so wäre ih im stande gewesen, dem hohen Hause eine be- fricdigendere Auskunft zu geben.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Jch mußte annehmen, daß die Mit- theilungen des Herrn Noeckerath au dem Staatssekretär und dem preußishen Justiz-Minister bekannt geworden sind. Der Prozeß gegen den früheren Abg. Noecckerath is 1875 zweimal vor dem Zucht- polizeigeriht in Düsseldorf verhandelt worden. Redner führt mehrere Einzelheiten aus den Prozeßverhandlungen an, welche nach seiner An- sicht mit den Behauptungen des preußishen Justiz-Minifters nicht übereinstimmen. Niemand könne mehr bedauern als das Zentrum, daß solhe Erinnerungen aufgefrischt werden müßten und zur Verstimmung Anlaß gäben. Schon die bloße Eintragung „Paulus Melchers, Stroh- flechter* sei unwürdig eines Erzbischofs.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:

Ich möchte doch meinerseits ausdrücklih konstatieren, daß mir die Zeitungsmittheilungen, auf die der Herr Abg. Dr. Lieber seine leßten Ausführungen gestüßt hat, vollständig unbekannt gewesen sind. Der Herr Abgeordnete kann von einem vielbeshäftigten Mann, wie mir, niht verlangen, daß ih derartige Dinge alle kenne, namentlich wenn fie auf Gebieten liegen, die meinem Ressort an und für si fern sind. Wenn sie aber für die Frage, die hier in Betraht kommt, von Interesse waren, dann hätte auch der Herr Abgeordnete wohl die Güte haben können, mir fein Material zur Verfügung zu stellen, wie ih meinerseits keinen Anstand genommen habe, die Mit- theilungen, die ih zu dieser Sache erhalten hatte, ihm zur Verfügung zu stellen.

Was die neuen thatfsächlihen Ausführungen des Herrn Abgeordneten angeht, so rehtfertigte er ihr Vorbringen damit, daß auch der preußische Herr Justiz-Minifter bei seinen Ausführungen im Abgeordnetenhause über den Rahmen einer bloßen Berichtigung hinausgegangen sei. Jch lasse das dahingestellt. Jh erinnere mih der Vorgänge fo genau nicht ; wenn das aber rihtig wäre, dann hätte der Herr Abgeordnete wohl Veranlassung nehmen können im preußishen Abgeordneten- hause dem Herrn Justiz - Minister gegenüber, der ihm nah seiner Meinung zu einer weiteren Replik Veranlassung gab, diese Ausführungen zu machen, niht aber mir gegenüber, der ih diesen Mittheilungen vollkommen wehrlos gegenüberstehe. Ih bin natürli außer stande, auf die thatsählihen Behauptungen irgend etwas zu erklären. Wenn der Herr Abgeordnete verlangt, daß ih ihre Nichtigkeit ohne weiteres anerkennen soll, so würde ih das thun, sobald er persönlich die Gewähr dafür übernimmt. Wenn er ih hier aber auf Zeitungsmittheilungen, auf Erklärungen anderer Personen in einem mir unbekannten Prozesse beruft, so bin ih der angegriffenen preußishen Verwaltung schuldig, ten Vorbehalt zu machen, daß sie diese thatsählichen Angaben zunächst zu prüfen sich berehtigt halten darf, bevor sie ihre Richtigkeit anerkennt. (Sehr rihtig!) Wenn dann der Herr Abg. Dr. Lieber so weit geht zu sagen, daß es dem Herrn Erzbischof gegenüber {hon eine Beleidigung gewesen

| meiner Beurtheilung der Mittheilungen des Herrn Abg. Auer dur

kann mit ihm nit debattieren, weil ich in einer ungünstigen und das hohe Haus wird mir darin Recht geben unbilligen Situation bin, und auf diesem ungleichen Boden gehe ich mit ihm auf eine Erörterung nicht ein. j S L i e L,

. Dr. Lieber (Zentr.): enn i er im Ne age von V 10 L ta 7 Ubr oeltitigt bin, fo kann ih nit gleichzeitig im- Abgeordnetenhause. erschéinen, um mi mit dem preußischen Justiz-Minister auseinanderzusegen. . Jch habe. mich nicht nur auf Zeitungsnachrichten, fondern auf gerichtliche Verhandlungen und die Behauptungen eines früheren Abgeordneten berufen.

Abg. Sch{Gmidt- Frankfurt (Soz.) behauptet, daß in Frank- furt a. M. die Frau eines Tischlers aufgefordert worden sei, mit ihrem Säugling eine Gefänguißstrafe in Preungesheim zu verbüßen.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Das hohe Haus hat sonst die Gewohnheit, Fälle, in denen der Verwaltungsinstanzenzug, der Beshwerdegang noch nicht erschöpft ift, seiner Beurtheilung niht zu unterziehen, sondern Petenten zunächst darauf hinzuweisen, daß sie sich an die höhere Instanz wenden sollen, die ja noch immer im s\tande ist, Remedur zu hafen, wenn die Lage des Falles zu einer solhen Remedur wirklich Anlaß giebt. Aus dem Vortrage des Herrn Vorredners glaube ih entnehmen zu müssen, daß die verhaftete Frau, die Grund zu haben meint, sich über den Ersten Staatsanwalt in Frankfurt a. M. zu beschweren, nicht Veranlassung genommen hat, fih an ten Ober-Staatsanwalt und eventuell von diesem an den preußischen Herrn Justiz-Minister zu wenden. Solange dieser Beschwerdeweg niht abgeschlossen ift, hat, glaube ih, das hohe Haus weder Veranlassung noch auch die richtige Unterlage, um in eine Würdigung des Falles einzutreten, und auch für die Reichs - Justizverwaltung fehlt unter diesen Urständen jeder Grund, si mit dieser Sache zu beschäftigen. Wenn dem Herrn Redner das Schickfal der von ihm vertretenen Frau so nahe geht, fo kann ich ihm nur empfehlen, sie darauf hinzuweisen, daß sie |ich an den Ober-Staatsanwalt, und falls dessen:Bescheid nicht befriedigend ausfällt, an den Herrn Justiz-Mipoister wenden könne. Jh bin über- zeugt, daß das Recht, das ihr etwa versagt worden ist, ihr an einer dieser anderen Stellen zu theil werden wird. Auf die Sache selbst gehe ih unter diesen Umständen nit weiter ein.

Abg. Schmidt - Frankfurt erklärt, er halte es für unzulässig, daß eine Frau unter solhen Umständen zum Strafantritt aufgefordert

ie Stadthagen (Soz.) führt aus: Für die Eintragung

Paulus Melchers, Strohflehter* treffe niht den Beamten ein Vor- wurf, sondern die Berwaltung und deren Vorschriften, welche entgegen den bestehenden geseßliden Bestimmungen die Beamten zwängen, den eingelieferten Gefangenen eine Beschäftigung zuzuweisen. Er wisse aus eigenen Erfahrungen, daß die Behandlung der Gefangenen nah dem Gese als eine Begünstigung betrachtet werde. Der Strafyollzug müsse so eingerihtet werden, daß der Verurtheilte nicht in seinem Beruf geschädigt werde. Ungehörig sei es auch, wenn Privatbriefe und Drucksachen dem Gefangenen nicht eingehändigt würden. Redakteure seien zu Arbeiten gezwungen worden, zu welchen cigentli4 nur Zuchthäusler gezwungen werden könnten. Auf die Er- folge einer Beschwerde könne man nicht warten, so lange sie keine aufshiebende Wirkung habe,

Staatssekretär des Reichs - Justizamts Dr.. Nieberding:

Meine Herren! Nur zwei Bemerkungen!

Der Herr Vorredner hat dem preußischen Herrn Justiz-Minister den Vorwurf gemacht, daß er mit Unrecht einem Beamten der Kölner Strafanstalt ein Versehen bei der Eintragung des Namens des Herrn Grzbishofs Melchers in die Lifte der Strohflehter zur Last gelegt habe. Er behauptet auf Grund seiner Erfahrungen, daß das Ver- fahren, wie es bei dem Herrn Erzbischof stattgefunden habe, korrekt gewesen sei.

Meine Herren, dieser Feststellung gegenüber muß ih doch die Feststellung des preußischen Herrn Justiz-Ministers, wie sie nah den Meittheilungén des Herrn Abg. Dr. Lieber, die ih niht bezweifle, statt- gefunden habt, wahren: Der Herr Justiz-Minister hat seine Erklärung abgegeben auf Grund der Einsicht der Alten und auf Grund eines Berichtes wenn ih mich recht erinnere, der Anstaltsverwaltung in Köln (Zustimmung in der Mitte), und ih nehme an, daß die Verwaltung in Köln über die Vorgänge, die bei der JInhaftierung des Herrn Erzbischofs stattgefunden baben, und über die Einrichtungen, die in der Kölner Anstalt bestehen, besser unterrichtet ift als der Herr Abg. Stadthagen, der vielleicht Einrihtungen anderswo, nicht aber die Gefängnißeinrihtungen in Köln kennt.

Zweitens hat der Herr Abgeordnete behauptet, daß hier im Hause und, wie ich annehme, hat er dabei auf die zweite Lesung des Justiz-Etats Bezug nehmen wollen von seinen Parteigenossen fest- gestellt sei, daß wiederholt Redakteure, die inhaftiert waren, zu Ar- beiten, die nit für sie geeignet gewesen, gezwungen worden feien.

Meine Herren, ih kann auf die Ausführungen, die in dieser Be- ziehung der Herr Abg. Auer in der zweiten Lesung des Justiz-Etats gemacht hat, niht eingehen ; dazu fehlt gegenwärtig uns allen die Zeit und auch, wie ih annehme, die Geneigtheit im Hause, diesen Details jeßt Aufmerksamkeit zu s{henken. Jch muß aber den Ausführungen des Herrn Abg. Stadthagen gegenüber doch konstatieren, daß uns die Mittheilungen des Herrn Abg. Auer in der zweiten Lesung des Justiz- Etats Veranlassung gegeben haben, auf die zur Sprache gebrachten Verhältnisse näher einzugehen, und daß wir dabei und zum theil ich perfönlih durch Einsicht der Akten festgestellt haben, daß die Mittheilungen des Herrn Abg. Auer in vieler Beziehung thatsählih unrichtig gewesen sind, ein s{hiefes Bild geben und grundlos zum Nachtheil der Verwaltung ausgefallen sind.

Ich werde die Gelegenheit noch finden, von der Richtigkeit dieser

nähere Angaben aus dem Inhalt der Akten auch dem hohen Hause die Ueberzeugung zu verschaffen. Heute habe ih dazu nach der Geschäftslage des Hauses nicht die Zeit. Jh beschränke mich darauf, das korrekte Verfahren der Anftaltsverwaltungen gegenüber der Be- hauptung des Herrn Abg. Stadthagen und den früheren Aus-

sei, daß sein Name eingetragen worden sei in die Liste der Stroh-

flechter, so will ich das seiner Auffassung ganz anheinmgeben. Ih |

bezweifle garnicht, daß die preußisGe Verwaltung mit mir es auf-

, daß dieser Jrrthum vorgekommen ist. | 1 i E oe vedentert E E L i ¡ gefallen, und hier muß die Sache weiter erörtert werden.

Ich persönlih aber, meine Herren, kann doch nicht recht begreifen, wie darin, daß ein Unterbeamter ein Verseben sich zu shulden Tommen läßt, dem irgend eine s{chlimme Absicht nit zu Grunde liegt, - wie darin eine Beleidigung liegen kann, und ih fielle die

Sinnesart des Herrn Erzbischofs zu hoh, als daß ih annehmen | könnte, er habe seinerseits das Verschen dem betreffenden Beamten als eine Beleidigung übel genommen; ih glaube nicht, daß das der |

Fall gewesen ist. Auf die thatsählihen Mittheilungen des Herrn Abgeordneten lasse ih mich an dieser Stelle nicht weiter ein; ih

führungen des Herrn Abg. Auer ausdrücklich zu wahren.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Daß Herr Lieber im Abgeordreten- hause dem Justiz-Minister hätte gegenübertreten müssen, ist staats- rechtlich anfechtbar. Die ersten Aeußerungen in dieser Sache sind hier

Staatssekretär des Reichs- Justizamts Dr. Nieberding: Der Herr Abg. Dr. Spahn unterstellt mir etwas, was ich nicht gesagt habe. J habe es durhaus nicht abgelehnt, über Din ze, über die ich informiert bin, dem hohen Hause Auskunft zu geben, au wenn sie eine einzelstaatlihe Verwaltung angehen. Jh habe au nitt abgelehnt, daß irgend ein einzelstaatliher Minister, in diesem Falle

Standpunkt gewahrt, daß, wenn von mir eine Auskunft erlangt werden will in derartigen Dingen, es billig und recht und im Interesse der Sache ist, daß mir vorher Nachricht gegeben werde, damit ich mich über den Sachverhalt orientiere. Denn auch der Herr Abg. Dr. Spahn wird von mir nit verlangen, daß ich über diese Dinge, ohne vorher Mittheilung bekommen zu haben, unterrichtet sein kann. Wenn der Herr Abg. Dr. Lieber nit in der Lage war im preußischen Abgeordnetenhause dem preußishen Herrn Justiz-Minister gegenüber, der doch eigentlih die Adresse bildete, an die er sih zu wenden hatte, seine Mittheiluagen zu machen, . weil seine, wie ih gern zugebe, fehr beschränkte Zeit ihm nicht - gestattete, im Abgeordnetenhause zu ersheinen, so hätte es bloß einer kurzen Mittheilung an mi be- durft, dann hätte ih den preußishen Herrn Justiz-Minister gebeten, hierher zu kommen, und der Herr Minister hätte gewiß nit abgelehnt, hier zu erscheinen, um seinerseits auf die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Lieber Rede zu stehen. Aber daß weder mir eine Mit- theilung davon gemaht worden ist, daß neue Dinge hier berührt werden sollten, noch dem Herrn Justiz-Minister Preußens Ge- legenheit gegeben wurde, hier zu erscheinen, das ist das, was ih den geehrten Herren entgegengehalten habe. Das muß ich auch den Aus- führungen des Herrn Abg. Spahn gegenüber aufrecht erhalten.

Abg. Auer (Soz.) erklärt, er halte alle seine Behauptungen i: Dr. Lieber: Daß ih heute auf. diese Sache eingehen würde, mußte der Staatssekretär erwarten ; er brauchte also eine weitere Be- nachrihtigung niht. Den preußishen Justiz-Minister zu benah- ribtigen, batte ih keine Veranlassung, da er mi au nicht benah- ri@tigt hat, daß er im Abgeordnetenhause mir entgegentreten würde.

Staatssekretär des Reichs- Justizamts Dr. Nieberding: Ich habe erwartet und habe mi niht darin getäust, daß der Herr Abg. Dr. Lieber Veranlassung nehmen werde, auf Grund des von mir ihm mitgetheilten Materials die Richtigstellung seiner Er- klärungen aus der zweiten Berathung hier zu bewirken, ih habe aber nicht erwartet und nicht erwarten können und darin kann das Erstaunen des Herrn Abg. Dr. Lieber auch nihchts ändern —, daß er mit der Berichtigung weitere thatsächlihe Ausführungen und neue Beschuldigungen der Verwaltung verbinden werde, die zu widerlegen oder auch nur klarzustellen ich vollständig außer stande war, weil ih darauf niht vorbereitet sein konnte. Meine Herren, das ist die einzige Differenz, die zwischen dem Herrn Abg. Dr. Lieber und mir besteht, und ih bedauere, daß ste besteht. Hätte ih vorher Mittheilung darüber bekommen, so würde ich au an Stelle des preußishen Herrn Justiz-Ministers, falls dieser nicht erscheinen konnte, in der Lage gewesen fein, die mir fehr gewünschte und im Interesse der Sache gebotene Klarstellung der hier berührten weiteren thatsählichen Vorgänge vorzunehmen.

Der Etat der Reichs-Justizverwaltung wird genehmigt.

Beim Etat des Reihs-Schaßamts beantragt Abg. Dr. Lieber, das Gehalt des Staats}ekretärs um 6000 A zu ermäßigen, e den Abstrichen bei den Gehältern der übrigen E 8jefretäre.

R Dia von T (Rp.) bâlt ein folches Vorgehen ti d inlich.

1 Mb Dres je ba E Der epu wide die verbündeten NRegie- rungen treffen, welhe das Gehalt des Staatssekcetärs erhöhen wollten, das der Postunterbeamten aber nicht. : i

Abg. Meyer - Danzig (Np.) erklärt, daß er in der zweiten Lesung nicht die Zinsen der Zolikredite, sondern die Summe der Zollkredite felbst als sehr S G uod darin eine unberehtigte Unter- 1 es Handels gefunden habe. lte Sfreilina der 6000 6 wird beschlossen.

Beim Etat der Reihs-Postverwalt ung bezeichnet es der

Abg. Buddeberg (fr. Volksp.) als eine das CGhrgefühl der Beamten verleßende Handlung, wenn der Postdirektor in Zittau seinen ihm unterstellten Beamten eine Verfügung zugeben lasse, wonach dies selben zu Anzeigen aufgefordert würden über die Vorkommnisse im öffentlihen oder privaten Leben ihrer Kollegen, besonders über den Besuch von Gastwirthschaften, Tanzlofkalen , den Verkehr in un- passender Gesellshaft 2c. Die Zumuthung einer solchen Spionage sei eine unwürdige, der ein ehrliebender Mann sich erwehren müsse.

Unter-Staatssekretär im Reichs-Postamt Frit \ch: Jch bedauere, über die Mittheilung des Vorredners eine Auékunft niht ertheilen zu können; die Dinge sind uns niht bekannt geworden. i

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

Meine Herren! In der Neichstagsfißung vom 8. März hat der Abg. Wurm behauptet, daß unter dem Staatssekretär von Stephan das Bricfgeheimniß verleßt worden wäre.

Zur Begründung dieser Behauptung hat der Herr Abgeordnete angeführt,

daß die stattgefundene Verleßung des Briefgeheimnisses durch ein Leipziger Gerichtserkenntniß vom 22. Februar 1873 be- stätigt worden sei.

Ich habe das Erkenntniß kommen lassen. Es ist hier, und ih werde die Akten auf den Tish des Hauses niederlegen lassen. Jch halte mi verpflihtet, die Sache klarzustellen, weil in den Aeußerungen thatsählich nur der erste Saß vorgelesen worden ist, der zweite Sah aber fehlt. Nach Lage der Akten, welche dietseits eingefordert worden find, liegt der Fall folgendermaßen :

In der Nr. 68 der fozialdemokratishen Zeitung „Der Volks- aat“ vom 24. August 1872 befand sich ein Artikel mit der Spißmarke „Es sticbert“. Jn diesem Artikel wurde be- hauptet, daß das Erbrehen von Briefen an sozialdemokratische Führer und von denselben seit langem eine in Deutschland und dur deutshe Agenten gepflegte „Eigenthümlichkeit*" wäre. Die Staats- anwaltschaft beschlagnahmte die Zeitung und f\tellte bei dem zu- ständigen Gericht den Antrag, gegen den verantwortlihen Redakteur auf Grund des § 131 des Strafgeseßbuchs Untersuchung einzuleiten.

Das Gerichtsamt im Bezirkêgeriht Leipzig verurtheilte den Redakteur Muth wegen Vergehens gegen die öffentlihe Ordnung (f. den obenbezeihneten Paragraphen) zu einer Gefängnißstrafe von 6 Wochen. Auf die Berufung des Angeklagten sprach ihn das Bezirksgeriht durch Erkenntniß vom 20. Februar 1873 frei. In der Begründung des Urtheils finden sich allerdings die vom Abg. Wurm angeführten Worte, welhe folgendermaßen lauten :

Durch die auf Antrag des angeklagten August Bernhard Muth befragten Zeugen Fink, Bebel, Liebkneht, Fritsche is eine Mehr- heit von Fällen nahgewiesen worden, in welhen von auswärtigen Führern der sozialdemokratishen Partei an die Expedition und Redaktion der Zeitschrift „Der Volks- staat* hier, sowie die hiesigen Führer dieser Partei, ebenso wie von diesen an auswärtige Gesinnungsgenossen gerihtete und der Post zur Beförderung übergebene Briefe und Päckereien entweder gar-

| der preußische Herr Justiz-Minister, hier erscheint, um Auskunft zu geben. Ich habe dem Herrn Abg, Dr, Lieber gegenüber nur den

niht oder doch in fo verleztem Zustande an die Adressaten ge-

langt sind, daß man deutlih an denselben hat wahrnehmen können, wie dieselben in der Zwischenzeit an den Seiten aufgeschnitten oder fonst zur Herausnahme des Jnhalts geöffnet und später wieder zugeklebt und verschlossen worden waren.

Der Abg. Wurm hat aber lediglich diesen einen, anscheinend seine Be- hauptung beftätigenden Saß dem Erkenntnisse entnommen, dagegen den unmittelbar folgenden Sat, welher das Gegentheil fagt, weggelassen. Jn diesem niht erwähnten Sate heißt es nämlich wörtlich:

„Durch diese Mehrheit von dergleichen Vorkommnissen mag si bei der sozialdemokratischen Partei allerdings die irrige Ansicht gebildet haben, daß von ihr abgesendete oder an sie ges richtete Briefshaften behufs Ueberwahung thres Treibens und ihrer Absichten bei der Poft dur besondere Agenten geöffnet und gelesen würden“.

Weiter führt dann das Gericht aus:

Man könne unter diefen Umständen nit zweifellos sagen, daß der Angeklagte den Artikel mit dem Wissen und der Veber- ¿eugung, daß die von ihm in Betreff der Berletzung des Briefgeheimnisses bei der Post aufgestellten Thatsachen unwahr oder entstellt seien, geschuieben und zur Verbreitung gebracht habe.

Man könne und möge aber nicht in Abrede stellen, daß dem Angeklagten ein niht unbedeutender Grad von Fahrlässigkeit z ur Last falle.

Hiernach hat das Gericht gerade das Gegentheil von dem festgestellt, was seitens des Abg. Wurm behauptet worden ist; das Gericht hat ausgesprochen, daß eine Verleßung des Briefgeheimnisses seitens der Post nicht stattgefunden habe. Der Vorwurf gegen den Staatssekretär von Stephan, daß er das Briefgeheimniß nicht gewahrt habe, ift also völlig unbegründet.

Also, meine Herren, hier liegt das Aktenstück. Wie gesagt, rwoar es schr s{wierig, nach 25 Jahren es ift überhaupt wunderbar, daß die Akten noch dagewesen sind dieses Erkenntniß aus L-ipzig noch zu bekommen, und ich kann nunmehr an die Herren der sozialdeno- kratishen Partei die Bitte rihten, in ihren Blättern auch diesen Zu- faß zu veröffentlichen, daß es eine irrige Ansicht gewesen set.

Abg. Dr. Müller- Sagan (fr. Volkêp.) fragt, ob der Zutritt zur Postgehilfenlaüfbahn noch längere Zeit vers{chlossen bleiben folle,

oder ob er in Jahresfrist yielleiht wieder eröffnet würde. Die nicht- angestellten Post-Assiftenten bezögen Tagegelder von 3,25 6, nah siebenjähriger Beschäftigung 3,50 4, aber nur in den Orten der Serviéklasse A, I und Il. Mit einem Tagegeld von 3,25 M könnten die Assistenten niht auskommen. Redner beschwert sh fecner dar- über, daß Vorschriften über die Höchstzahl der Dienststunden, die ein Beamter wöchentlich zu leisten habe, garniht beständen. Ferner empfiehlt er die Einrichtung eines weiteren Postamts in Glogau.

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

Meine Herren! Jh darf wohl auf die einzelnen Fragen jeßt noh bei der dritten Berathung eingeben.

Was zurächst die Frage der Postgehilfen anlangt, so fann ih nur Tkonstatieren, daß wir zur Zeit keinen Bedarf haben und erst bei eintretendem Bedarf, je nachdem Pest - Assistenten- stellen in Zukunft frei werden, Postgehilfen zur Annahme gelangen. Es is ja ganz naturgemäß, nachdem in vergangenen Fahren durch Vermehrung der Postanstalten ein großes Anschwellen dieser Beamtenkategorien vorgekommen ist, daß nun die Herren gedacht haben, das ginge ad infinitum fo weiter. Natürlich tritt jegt ein Nück- lag ein. Im großen Ganzen sind die Postämter formiert und infolge dessen ist auch das Bedürfniß nah einer Vermehrung der Post-Assistenten resp. Postgehilfen in dem Maße niht mehr vor- handen. Das Annehmen wird also erft je nah Bedarf s\tatifinden können.

Was nun die zweite Frage betreffs der Tagegelder anbelangt, fo muß ih doch in erster Linie konstatieren das zeigt ja auch der seit Jahren bestehende Andrang zur Postcarrière —, daß thatsächlich gerade diese Postbeamten sich fehr gut gestanden haben gegenüber allen anderen Verwaltungen. Meine Herren, rechnen Sie gencigteft, daß die jungen Leute mit sechzehn Jahren eintreten, bereits nach einem Jahre gewöhnliÞh ein Einkommen bis zu 600 M haben. Ja, meine Herren, in wel§er Carriòre bat ein 17 jähriger Mensch bereits auf eine folde Einnahme zu rechnen ? Weiter, meine Herren, {hon mit dem 20., 21. Lebensjahre können sie ihr Examen machen und erhalten demnächst Tagegelder. Sehen Sie si bei den Gerichten um, ob da ein Beamter in diesem Alter auf 11-, 1200 A Einkommen zu rechnen hat! Thatfächlich liegt also diese Carrière so, daß ‘die jungen Leute, nachdem sie eben erst gelernt haben, vom ersten Moment an von der Postverwaltung Geld bekommen und fortdauernd in ibren Bezügen steigen. Die Verhältnisse sind hiernah zweifellos wesentlih günftiger als in einer anderen Verwaltung.

Was nun weiter die Arbeitszeit anlangt, so sind für die Beamten 92 bis 54 Stunden festgesegt; bei kleineren Poftämtern debnt fie sih für die Assistenten, Sekretäre unter Umständen auf 60 Stunden aus. Aber warum ? Wer ein solches kTleineres Postamt beobachtet, der findet, daß der Dienst nit sehr austrengend is. Der Verkehr ist fo gering, daß man den Beamten wobl zumuthen kann, einige Stunden länger im Bureau zu sein. Sie sind nicht so angestrengt, als die Beamten auf den Postanstalten in größeren Städten, wo unausgeseßt gearbeitet wird. Darin liegt der Unterschied.

Ih gebe zu, betreffs der Unterbeamten wird es noch ciner Prüfung bedürfen; unter Umständen wird da noch die helfende Hand anzulegen sein; aber das muß sorgfältig untersucht und festgestellt werden. Jch kann nur meine Bereitwilligkeit hier aussprechen, Mißstände zu beseitigen. Ein abfolutes Festlegen, wie es in der Budgetkommission erörtert worden ist ich glaube, ih habe das auch in der zweiten Lesung autgesprohen z. B. ein Festlegen der Entfernungen, die ein Landbriefträger zu gehen hat, das } ist unmögli, das läßt sich nur im großen Rahmen magen. Nach meinem Willen wird es niht ges{chchen, daß die Leute überanstrengt werden.

Hinsichtlih der Sonntagsrube ist ja die Pesitiosn durch mein Kopfshütteln dem Herrn Abg. Lenzmann gegenüber gekläct. Ich werde auch nach dieser Nichtung hin die Sache zu prüfen und im nächsten Jahre darauf zurückzukommen Gelegenheit haben.

In der Sache Glogau wäre cs mir lieb gewesen, wenn die Frage früher an mich gerichtet worden wäre. Prüfen will ih sie; aber eine Brücke als Bedürfniß für eine zweite Postanstalt zu konftruieren,

dadur geschädigt fühlten, daß die Postverwaltung die durch Ein- rihtung von Fernfprehleitungen nothwendigen Dachreparaturen in eigener Regie ausführe und die Hauseigenthümer dur Vertrag dazu zwinge, wenn sie niht auf einen Anschluß verzihten wollten.

__ Abg. Bebel (Soz.) erklärt, die fozialdemokratische Presse sei bisher immer loyal verfahren. Jn dem Erkenntniß sei auch davon die Nede, daß die Vermuthung von der Verleßung des Briefgeheim- nis}ses sich gebildet habe und daß sie durch die gerichtliche Verhandlung nicht widerlegt sei.

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

Meine Herren! Wenn Sie genau lesen, so steht da: es hat sich die Vermuthung bei ihm gebildet, und die ist nit widerlegt worden. Wie ist es denn möglich, daß in einer großen Verwaltung mein Vor- gänger oder ih eine Verfügung erlassen hätte, es sollte jemand Briefe anhalten und nahsehen! Das ift nur vermöge gerihtlihen Einschreitens mögli. Ich weiß garnicht, wie die Herren sich das vorstellen, wie ih oder mein Vorgänger eine fol{he Verfügung hätte erlassen können, und wie {ih Beamte gefunden hätten, die diese Verfügung ausgeführt hätten. Das sind eben Gebilde, die sih dort gebildet haben, ih habe mi aber für verpflichtet gehalten, im Andenken an meinen großen Vor- gänger dagegen Front zu machen und zu zeigen, wie damals sich eine folche irrige Ansicht hat bilden können, die aber des thatsählihen Be- weises entbehrt hat.

Abg. Bebel: Als er während des Sozialistengeseßes erfahren babe, daß einige feiner Freunde Briefe, in denen eine verbotene Zeitung, der «Sozia|demokrat“, vermuthet wurde, nicht erhielten, habe er fi darüber im Reichstage beschwert, und von diesem Augen- blick an seien ihm diese Briefe mit dem „Sozialdemokrat", die er bis dahin erhalten, niemals mehr zugestellt worden.

Abg. Singer (Soz.) kommt auf die Versammlung von Post- unt:rbeamten in Hamburg zurü, Eine Folge der Versammlung fei gewesen, daß mehreren Unterbeamten gekündigt worden und anderen

pu

Beamten Vorhaltungen darüber gemacht worden seien, daß sie die sozialdemokratishe Versammlung niht verlassen hätten ; Ld seien sie vor dem Eintritt in sozialdemokratishe Vereine und dem Halten sozialdemokcatisher Blätter gewarnt worden.

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

Ich habe hierauf nur kurz zu erwidern : jede direkte oder indirekte Betheiligung eines Beamten der Neichspostverwaltung an den Be- strebungen der Sozialdemokratie halte ih für unvereinbar mit dem von ihm geleisteten ODiensteide. (Lebhaftes Bravo! rechts. Heiterkeit links.) Aus diesem Grunde werde ih gegen jeden Beamten, der sich dagegen vergeht, vorgehen. (Bravo! rets. Heiterkeit liaks) Jh werde gegen die festangestellten Beamten das Disziplinarverfahren in einem jolchen Falle einleiten. Der Gerichtshof wird darüber befinden, wie gegen diese Beamten vorzugehen ist. Dieser Standpunkt ist bereits im Ober: Verwaltungs- geriht durch Erkenntniß klargelegt. Betreffs der Poft- Assistenten und deren unwiderrufliher Anstellung habe ih zu erwidern, daß wir erst vor zwei Jahren in der Lage gewesen sind, diese Zeit von fünf auf drei Jahre abzukürzen. Zur Zeit bedaure ih sehr, auf die Wünsche noch nicht eingehen zu können.

Abg. von Kardorff (Np.) spricht die Hoffnung aus, daß mehr

Mittel in den nächsten Etat „für die Ausdehnung des Fernsprech- wesens auf dem platten Lande eingestellt werden würden. Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

Von allen Seiten is zugegeben, daß die Ausdehnung des Fern- sprehwesens auf dem platten Lande und in den kleineren Städten eine unbedingte Nothwendigkeit sei. (Sehr rihtig)) Damit über- stürzend vorzugehen, hat fein Bedenken. Das würde die Drahtindustrie plöglih anspannen, wenn wir ihr zu große Aufträge gäben. Auch aus anderen Grünbken, z. B. Einübung der Beamten u. s. w., ift es gut, die Sache auf eine Reihe von Jahren zu vertheilen. Im Ganzen wird die Durchführung diefes Gedankens etwa aht Fahre beanspruzen. Nah den jeßigen Feststelungen würden auf dem platten Lande und in den kÉletneren Städten 11 176 Fernsprechanstalten erwünscht sein. Es liegt in der Absicht der Verwaltung, im Laufe des Jahres bereits 4694 An- stalten durch Benutzung vorhandener Leitungen dem Betriebe zu über- geben. (Bravo! rets.)

Abg. Dr. Müller - Sagan bleibt dabei, daß über die Zahl der Dienststunden keine bindenden Vorschriften beständen, auch werde dadurch, daß die Woche zu sieben Tagen statt zu ses Arbeitstagen berenet würde, die Sonntagsruhe beeinträchtigt.

Abg. Dr. Förster Neustettin (b. k. F.) bemängelt die kostbare Ausstattung und die übermäßig große Dienstwohnung in einem Obexr- Postdirektionsgebäude. , :

Abg. Singer: Die Erklärung des Staatssekretärs steht im Widerspruch mit dem, womit er \sih eingeführt hat, daß er nämli über den Parteien ftehen und nur ein Berkehrs-Pteinister sein wolle.

In Hamburg handelte es sich nicht um eine sozialdemokratische Ver- jammlung.

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski: Meine Herren! Jh möchte auf den Streit, ob die Versammlung in Hamburg eine sozialdemokratische gewesen ift oder nicht, niht näher eingehen. Ih möchte nur den Herrn Abg. Singer darauf hinweisen, daß der Veranstalter dieser Versammlung respektive soweit ih unterrihtet bin —, der Hauptredner, dort ein ehemaliger Post- Assistent mit Namen Viet —, gewesen ist, der iach meinen Nach- richten längere Zeit in der Redaktion des „Vorwärts“ beschäftigt wurde. Ih führe diese Thatsache nuc an. Wie diese ganzen Ver- handlungen in jener Versammlung gewesen sind, davon werden si ja die Mitglieder des hohen Hauses durch Einsicht in die Berichte wohl überzeugen können.

Meine Herren, hier handelt es fih nit um eine Swneidigkeit oder ein besonderes Vorgehen, sondern meines Erachtens um den einzig kTorrekten Boden, auf dem unser gesammtes Staatswesen auf- gebaut ist. Hat der Eid eines Beamten eine Bedeutung oder nicht ? Der Mann wird nit zu diesem Eide gezwungen oder veranlaßt; er muß sich klar werden: will er Beamter des Deutschen Reichs sein, so hat er bei seiner Anstellung einen Eid zu s{chwören. Diesen Eid jederzeit zu befolgen, ist seine Aufgabe. Da stehe ih mit meinen sonstigen Ausführungen woll niht im Widerspruch! Jeder Mann, der klar auf dem Boden unseres Staatslebens steht und weiß, was er will, muß fich sagen, daß ein Eid noch eine Bedeutung hat.

Abg, Metzner (Zentc ): Die Ausdehnung des Fernsprechwesens auf das platte Land wird keine Bedeutung haben, wenn nicht die Ge- bühren ermäßigt werden. d Der Etat der Postverwaltung wird genehmigt.

Veim Etat der Reichsdru erei fragt

Abg. Dr. Hammacher (nl.) nah dem Stande der Unter- suhungen bezüglih der Banknotenverfälshung; nah den Zeitungs- nahrihten solle es sh um eine Fälschung bei einer ganz bestimmten

kann ih nicht zugeben,

Abg. Liebermann von Sonnenberg (Reformp.) bringt die j Beschwerde der Dachdecker von Frankfurt a. M. ¿ur Sprache, die sich !

Lieferung handeln. Wenn der Beamte von “em Ausschuß sich hätte Banknoten aneignen können, fo müßte die Vorschrift erlassen werden, daß nur so viel Noten gedruckt würden, wie bestellt sind, die

druckerei würde dadurch von aller Verantwortung frei, Jn anderen öffentlihen Drudereien babe niemals die Gewohnheit bestanden, mehr zu drucken, als bestellt gewesen sei.

Staatssekretär des Reichs-Postamts von Podbielski:

worten : thatsählich werden vollgültige Noten nur in dem Umfange hergestellt, wie sie bestellt werden. Es find ja au nit vollwertbig hergestellte Noten entwendet, sondern nur in Papier und Stich ete, die Zahl und der sonstige Aufdruck fehlt ja. Infolge der Vorgänge während der Fabrikation muß natürlih in jedem Moment immer etwas mehr Vorrath da sein, denn es gehen einige entzwei, der Druck kommt manchmal schief u. \. w., solhe Sachen kommen zweifellos vor. Wirkliße Noten werden auch nicht mehr hergestellt, als thatsählich bestellt sind.

Ich kann nur immer wiederholen, meine Herren: als Ergebniß der jeßigen Untersuchung hat si herausgestellt, daß das, was ih die Ehre hatte, dem hoben Hause zu unterbreiten , auch zutrifft d. h. daß eine Menge von Zufälligkeiten an dem bewußten 14. Januar 1897 zusammengetroffen sind, die dieses ermöôg- lihten und zuließen. Ih gebe zu, meine Hexren, der be- treffende Beamte hat wahrscheinli jahrelang auf den Moment gelauert, daß die drei Momente zufammenfallen, das ift wahrscheinli 10-, 20 mal nit geglückt, und an diesem Tage glückte es, und da ist er in der Lage gewesen, den Diebstahl vorzunehmen. Aber wollen die Herren nur erwägen: es sind seit tem Jahre 1880 seit diesem Jahre liegt mir das Verzeichniß vor in der Neichs- druckerei nahezu 38 Milliarden Geldwerthzeihen hergestellt worden! Demgegenüber hat si, also in 18 Jahren einmal, dieses eine Ver- sehen herausgestellt. Jch will wahrlich die Sache nicht ents{chuldigen und beshöônigen, aber Sie werden mir zugeben, Excellenz von Stephan war ein äußerst tüchtiger Verwaltungsbeamter, und wenn Sie heute die Instruktionen durhlesen, so werden Sie nach jeder Richtung hin finden: werden sie pünktlih, sorgfältigst befolgt, so kann nidhts eintreten, aber, meine Herren, wie immer: im Laufe der Zeit wird man hier und da lässig, und so sind diefe Zustände eingetreten. Jch habe {on voriges Mal Veranlassung gehabt, darauf hinzuweisen, um wie wenig es sih voraussihtlich handelt, daß es sich nach unseren Er- hebungen um höhstens 4 Million Mark handeln könnte; das hat sich auch bestätigt, und wenn die Herren sich die Zahlen vorbalten, daß wir heute über eine Milliarde Mark Werthzeihen im Umlauf haben, daß wir ca. 500000 Stück Tausendmarkscheine haben und 5 Millionen Stück Hundertmarkseine, nun rechnen Sie: demgegenüber stehen diefe 160 Scheine zu 1000 « und 160 Scheine zu 100 4, die vorauétsihtli} nah den ganzen Zu- fammenstellungen uns fehlen. Wenn das in einer ganzen Reihe von Jahren stattfindet, bätte es wirklih nit Veranlafsung geben sollen zu der großen Beunruhigung, wie dies leider geschehen ift, vielleicht dur unsere Presse veranlaßt, die sie täglih dur Reporter-Nachrichten in allen möglichen Farben dem Publikum vorgeführt hat. (Unruhe links.) Ja, meine Herren, wenn irgend jemand vernommen wurde, haben sih sofort fünf, sech83, acht Reporter eingefunden und ihn ausgeforscht. Wir sind felbst erstaunt gewesen, wie ein ganzes Heer sfol{her Reporter unausgefeßt alles beobahtet und versucht hat, irgend etwas von uns zu ersnappen.

Nun, meine Herren, kann ih noch einmal, nachdem ich mich mit dem Herrn Neichebank-Präsidenten verständigt habe, die Erklärung abgeben :

Zu einer Beunruhigung des Publikums wegen der von dem Grünenthal in den Verkebr gebrahten Noten liegt keine Ver- anlassung vor. Die Reichsbank hat ihre Einlösungsstellen nit angewiesen, dergleihen Noten zu beanstanden. Die aus dem Grünenthal’shen Diebstahl herrührenden Noten werden vielmehr, im Einverständniß zwischen der Reichsbank- und der Neichs-Postver- waltung, eingelöst werden.

Ih glaube, damit if die Sache für unser ganzes Verkehrsleben

flargestellt. Weiter hat die Untersuhung festgestellt, daß das Grünenthal’s{he Vermögen weit hößer is als die vorgekommenen Veruntreuungen (Lachen links), sodaß felbst die Reihsverwaltung voraus\ihtlich nicht einmal ein materieller Schaden treffen wird.

Im übrigen, meine Herren, kann i nur wiederholen (Unruhe links): Es ift meine Pflicht gewesen, die Sache eingehend zu prüfen. Seit dem 1. Januar d. J. ift bereits ein neuer Kurator für die Reichs- druckerei von mir ernannt worden, der sih mit den Verhältnissen eine gehend beschäftigt hat, und ih glaube, bei einer klaren Trennung von Verwaltung und Betrieb wird hoffentlich dergleichen Vorkommnissen für die Zukunft vorgebeugt sein.

Abg Dr. Müller- Sagan: Was hat die Presse anderes gethan, als dem Publikum das mitzutheilen, was porgefallen ist? Man kann den Schaden niht mit dem Werth der Noten, fondern nur mit dem Werth

der Arbeitsleistung der Neichsdruckerei vergleichen. Das System der Kontrole hat sih als ungenügend erwiesen.

Abg. Dr. Hammacher: Die Presse hat s ein großes Verdienst erworben, indem fie so shnell wie möglich die Bedeutung des Falles darlegte. In der bevorstehenden Sizung der Reichsschuldenkommission wird die Angelegenheit hoffentliß zu einer eingehenden Erörterung und Erledigung gelangen.

Der Etat der Reichsdrukerei wird genehmigt; ebenso ohne Debatte der Rest des Etats.

Die noch vorliegenden Anträge und Petitionen werden bis nach den Ferien zurückgestellt.

_ Schließlich gelangen auch das Etats- und das A n- E N sowie das Geseg über die Verwendung überschüssiger Reichseinnahmen zur Schulden- tilgung endgültig zur Annahme.

__ Schluß 3, Uhr. Nächste Sißung Dienstag, den 26. April, Nachmittags 1 Uhr. (Erste erathung des Gesehz- entwurfs, betreffend die elektrischen Makßeinheiten ; zweite Be-

rathung des Gesegesantrags, betreffend Aenderungen und Er- gänzungen des Strafgesepbuches).

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 60. Sißung vom 31. März 1898.

__Die erste Berathung der Geseßentwürfe, betreffend das Diensteinkommen der evangelishen und der kath o- lishen Pfarrer, wird fortgeseßt.

Ueber den Beginn der Debatte ist in der gestrigen Nummer

Reichsbank möge dann die Noten benußen oder vernichten ; die Reichs-

d, Bl. berichtet worden.

Ih möchte zunächst dem Herrn Abg. Dr. Hammaher ant

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