1898 / 93 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 20 Apr 1898 18:00:01 GMT) scan diff

E N Pa h A I BA I E LSE

Grofhaudels - Durchschuittspreise von Getreide an auferdeutschen Börsen-Plätzen für die Woche vom 12. bis 16, April 1898 nebft entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für prompte [Loko-] Waare, soweit nit etwas Anderes bemerkt.)

Woche 12/16. E prî 1898 | wodje

166,36| 165,71

Me T n E 237,65| 235,39 er, ungarischer, prima 130,71| 130,87 erfte, slovakische 179,94] 180,16 2 E 153,45] 150,41

Besen, Aqu a 24 zu afer, 121,88| 121,52 erfte, Malz- 135,80| 135,97

Rogg 105,26) 99,68

156,75| 151,72 j 107,74

Roggen, 71 bis 72 kg per bl 103,71| 100,80 Wetzen, Ula, 75 bis 76 kg per H 159,91| 154,62

Riga. Roggen, 71 bis 72 kg per 11 107,14| 104,49 Wei

zen, 75 bis 76 kg per hl 161,76| 156,73 Paris. 150,38| 146,56

en geogger lieferbare Waare des laufenden Monats \ 241/48| 233 84

| Antwerpen. D Of 163,58| 154,17 | Red Winter Nr. 2 180,83 L 179,49| 172,35 As S 123,93] 121,53 E a p os j 21,5 Noggen | Sf. Petersburger 126/36| 122/34

Weizen, poln. Odessa- 167,78| 158,98 a. Produktenbörse (Mark Lane). Weizen | engl. L

Weizen

176,63| 171,50 173,26] 168,51

166,03| 165,55 131,64| 129,77 158,25| 152,53

Ghirka 162,50] 159,13 Oregon 188,41

182,53| 178,90 Western, Winter 178,99| 176,07 Chicago Spring 187,47| 178,43 Northern Duluth 184 64| 181,72 Manitoba Spring 193,12

La Plata 173/33| 170,43

131,88] 131,82 Hafer | engl. gelber 195/60| 125/54 Californ. Brau- 152,65) 152,58

Mise Gas. - l : Schwarze Meer- 101,26} 101,21 169,53| 163,88

163,61| 157,27

Weizen englishes Getreide, fer f Mittelpreis aus 196 Marktorten

erfte is Liverpool.

Weizen, Mai-Lieferung New-York. Weizen, Mai-Lieferung

Bemerkungen.

1 Tschetwert Weizen iff = 163,80, Roggen = 147,42, Hafer = 98,28 kg angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die Weizennottz an der Londoner Produktenbörse = 504 Pfd. engl. gerehnet; für die Gazette averages, d. h. die aus den Umsäßen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimishes Ges» treide, ift 1 Imperial Quarter Weizen = 480, Hafer = 312, Gerste = 400 Pfd. engl. angeseßt. 1 Bushel Weizen = 60 Pfd. engl. ; 1 Pfd. engl. == 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400 kg,

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tages-Notierungen im „Deutschen Reihs- und Staats- Anzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnitts-Wechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London,

ir Chicago und New-York die Kurse auf New-York, für St. etersburg, Odessa und Riga die Kurse auf C Dura, für Paris, ntwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Pläge.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

62. Sigung vom 19. April 1898.

Auf der Tagesordnung steht die Jnterpellation der Abgg. von Brockhausen und Genossen:

Die Unterzeichneten rihten unter Bezugnahme auf den Beschluß des Hauses der Abgeordneten vom 9. Juni 1896, betreffend die Be- steuerung der Waarenbäuser, Bazare und Versandgeschäfte, an die Königliche Staatsregierung die Anfrage: „Welche Maßnahmen hat die Königliche Staatsregierung in Aussicht genommen, um die Schäden und Gefahren, welche dem gewerblihen Mittelstand durch die den Detailhandel mit Waaren vershiedener Gattungen betreibenden großkapitalistishen Unternehmungen ent- stehen, thunlich einzuschränken ?* :

Nach der Begründung der Interpellation durch den Abg. von Brockthausen (kons.) und der Beantwortung derselben seitens des General-Direktors der direkten Steuern Burghart, Über die bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, tritt das Haus auf Antrag des Abg. Dr. von Heyde- brand und de: Lasa in die Besprehung der Junter- pellation ein.

Abg. Hausmann (nl.): Meine politischen Freunde sind bereit, S Emex zu pg 4 welche geeignet sind, den mittleren Ge- werbestand in seiner Selbständigkeit zu erhalten. Es ist hier bereits die französische Gesetzgebung angeführt worden. Aber i stehe auf dem Standpunkt des Regierungsvertreters, daß sie überhaupt noch keinen Erfolg erzielt hat. Zieht man die Grenze für die Besteuerung der großen Geschäfte zu weit, so wird man nichts erreichen; zieht man die Grenze zu eng, so wird dem kleinen Mann die Hoffnung

enommen, fich zu vergrößern. Zu großen Unternehmungen find haupt- sädblid solhe Geschäfte auêsgewahsen, welche ein Prinzip dur- ühren konnten, nämlich das Prinzip der Baarzahlung. Die Ge- äfte werden oft mit ungenügenden Kapitalien begonnen und haben dann mit Zahlungsshwierigkeiten ständig zu kämpfen. Die Umsay- fteuer wird vielfah als Universalmittel gepriesen. Jch bin heute noch wie vor zwei Jahren ein Gegner dieser Steuer. Jch halte sie für lästig und verderblih, für ungerecht und unpraktish. SAvier von Stapelartikeln, welche sich mit einem geringen Gewinn egnügen müssen, müssen einen größeren Umsaß machen als Händler mit Luxusartikeln. Muß ein Kaufmann seinen Umsay deklarieren, so ist ihm das unangenechmer, als wenn er sein Einkommen deklarieren soll. Wie ungeklärt die Anschauungen find, beweist der Umstand, daß in einer großen Versammlung ein Redner meinte: es wäre nicht

übel, wenn die Geschäfte nur drei Angestellte steuerfrei beschäftigen dürften, für den vierten müßten 1000 Æ, für den fünften 2000 u. st. w. gezahlt werden. Und folhe Dinge werden jeßt in allen Versammlungen kolportiert! Der bayerishe Geseßentwurf will die Steuereinshäßung der großen Waarenhäuser dem Belieben der Einshäzungskommissionen überlassen. Ob man dieses Geseg an- nehmen wird, erscheint mir doch etwas zweifelbaft. Auf den Weg der Umsaßsteuer hat sich aber die bayerische Staatsregierung nicht drängen lassen. Auch der sähsishe Minister von Meßsch hat erklärt, daß die Umsaßsteuer das niht bewirken werde, was man davon er- wartet, da die Regierung die Steuer niht in der Höhe einführen d} pa werde, daß sie die großkapitalistischen Unternehmungen ver- nihtet. Eine Erdrosselung der großen Geschäfte wollen die Herren Antragsteller auch niht; aber da ich die Nothlage der kleinen Ge- werbetréibenden anerkenne, will ih dem Versu nicht widersprechen, den man in mäßigem Umfange machen will.

Abg. Dasbach (Zentr.): Ich halte es für bedenklich, die Sache den Gemeinden zu überlassen. Nah dem Dreiklassenwahlsystem haben die finanzkräftigen Elemente die Oberhand in den Gemeinden und können eine lokale Besteuerung der Waarenhäuser verhindern. Daher die geringe Zahl der Gemeinden, welche eine solche Besteuerung eingeführt haben. Es bleibt nur die allgemeine Geseßgebung übrig, und zwar die PNeichsgeseßgebung; denn eine Gesetzgebung für Preußen allein würde die Waarenhäuser in den anderen Bundesstaaten begünstigen. Der Weg der Reichsgeseßgebung würde Bedenken haben wegen der Finanzhoheit. Sachsen und Bayern gehen ihrer- seits vor. Falls Preußen folgen würde, so würden wohl au die anderen Bundesstaaten bald folgen, wenn thnen das nahe- gelegt würde. Daß die französishen Maßregeln nicht wirkungslos geblieben find, ift siher, denn ohne die hohen Steuern würden die großen Geschäftshäuser noh mehr Geschäfte gemacht haben, weil sie noch billigere Preise hätten stellen können. Die in leßter Zeit von der Deputirtenkammer in Frankreich angenommene Aenderung des Ge- seßes würde die Steuer der Waarenhäuser von 34 auf 33 Millionen erhöhen. Wenn die Kommunen eine solche große Steuer bekommen, so ist das eine Erleichterung derselben, denn die zahlreichen Angestellten dieser Geschäftshäuser fallen doch \chließlich der Armen- pflege zur Last, wenn sie alt und erwerbsunfähig werden. Der Umstand, daß auch auf anderen Gebieten Uebelstände bestehen, kann doc nicht verhindern, daß wir auf diesem einen Gebiete, wo Erfolge zu erzielen sind, vorgehen. Wenn die Waarenbäuser den Mittelstand vernichten, dann werden die Hausbesiger ihre Läden nicht vermiethen; die Gebäudesteuer wird sinken und \{chließlich auch die Cinkommensteuer, und dadurch wird die Gemeinde in Mitleidenschaft gezogen werden. Lästig ist die Umsaßsteuer; aber die Einkommensteuer ist au lästig, und wir müssen sie doch zahlen. Ich möchte bitten, daß der Minister uns den Text des französishen Gesetzes mittheilt, ebenso die Vorschläge, die in Sachsen und Bayern gemacht worden sind. Dann wird \{ließlich etwas Ersprießliches geleistet werden.

Abg. Gothein (fr. Vgg.): Bisher war man der Meinung, daß die Steuern dazu da sind, das Geld für öffentliche Zwecke aufzubringen. Heute sicht man den Zweck der Steuern auch darin, daß man wirth- schaftliche und soziale Ziele damit verfolgt. Bisher wollte man gerechte, nah der Leistungsfähigkeit abgestufte Steuern, die hier vor- geshlagene Steuer will gewisse Geschäfte über eine gewisse Grenze hinaus unmöglich machen. Die Klagen des Kleinhandels gegenüber dem Großhandel sind vor 50 und vor 25 Jahren ebenfalls laut geworden, wenn einmal sich einige große Unternehmungen aufthaten. Aber die weitaus größte Mehrzahl der kleineren Geschäfte hat sihdoch gehalten. Viele kleine Geschäfte befinden sih allerdings gegenwärtig in einer Noths- lage. Wenn ein brauchbares, niht {ädlihes Mittel vorhanden wäre, so würde ih dafür sein. Aber ein solhes Mittel fehlt. Die Bres- lauer Handelskammer hat unter Zuziehung der kleinen Gewerbe- treibenden über diese Frage verhandelt; aber alle Anträge wurden nach eingehender Besprehung immer mit großer Mehrheit abgelehnt. Eine Ungerechtigkeit liegt allerdings in der bisherigen Besteuerung. Was der Eeschäftsinhaber und seine Familienmitglieder in Geschäften durch persönliche Leistungen verdienen, wird als Einkommen besteuert, während die Gehälter der Angestellten des Großbetriebes als Ausgabe abgerechnet und abgezogen werden. Diese steuerliche Ungerechtigkeitkönnte wohl beseitigt werden. In Breslau haben wir große Konsumvereine, die nicht besteuert werden können. Man müßte na ihrem Umsaß ein Einkommen fingieren und dana die Einkommensteuer für Staat und Gemeinde erheben, denn bisher kann man nur die Gewerbesteuer von ihnen erheben. Wenn jeder, wie ih, die großen Waarenhäuser meiden würde, so wäre bald ge- holfen. Wenden Sie (rechts) doch Ihren Einfluß an, dauz!t die Beamten- und Offiziersvereine niht mehr den kleinen Gewerbetreibenden Kon- kurrenz machen, welche die Gelder zur Besoldung der Beamten und Offiziere aufbringen müssen. Dur(führbar wäre eine Umsat- steuer wohl, aber nicht zweckmäßig und nit gerecht, denn man könnte die Steuer nicht auf die Großbetriebe beshränken. Wenn alle Gewerbebetriebe ihren Umsaß deklarieren müßten, dann würde die Umsaßsteuer bald ihre Freunde verlteren. Zweckmäßiger wäre hon die Einführung einer Personalsteuer für jeden Angestellten oder eine Ladensteuer. Solche Steuern können die Gemeinden selbständig einführen. Die Breslauer Hantelskammer ist dafür, daß die Waarenhäuser höher belastet werden zur Erleichterung der kleineren Gewerbetreibenden. Wenn die Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin dieser Meinung nicht sind, so liegt das darin, daß sie glauben, daß damit nichts erreiht wird auf dem Gebiet des wirthshaftlihen Lebens. Wenn man durch die Steuern die Ents- widckelung der großen Unternehmungen hindern will, wer will es hinder1, wenn mit der Zunahme der sozialistischen Tendenzen eine progressive Einkommensteuer bis zur Konfiskation der großen Ein- kommen eingeführt würdc? Man muß sich darüber klar werden, zu welchen Konsequenzen die guten Absichten führen. Jede Maß- a die gewisse große Geschäfte todt machen will, würde sozialistisch wirken.

N Dra dent des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Jch habe den verschiedenen Rednern genau zugehört, weil ih den dringenden Wunsch hatte, aus dem hohen Hause Belehrung zu empfangen, um dieses shwierige Problem zu lösen. Jch muß aber zu meinem Bedauern sagen es ist dies ja kein Vorwurf, denn wir bekennen selbs ja au, einen durhaus gangbaren praktischen Weg nicht gefunden zu haben daß ih in dieser Beziehung bis jeßt noch nit belehrt bin. Jh hoffe aber, daß das noch kommen wird. (Heiterkeit.) Meine Herren, das, was hier von den Versuchen in Deutschland erzählt worden ist, in Sachsen und in Bayern dort ist es aber nur noch ein kleiner Embryo und in Frankrei, beweist, daß aller- dings ein weitgehendes Gefühl in der Bevölkerung vorhanden ist, daß hier cine Lücke in der Steuergeseßgebung noch auszufüllen bleibt, daß das allgemeine Gefühl, dahin geht, man müsse dieses Loh in irgend einer Weise zudecken, daß man aber in allen Ländern noch auf dem Gebiete des Experimentierens {ih befindet, und daß ein richtiger, wirksamer und offenbar praktischer Weg bisher nirgends gefunden worden ift.

Wir haben gehört, daß die französishe Kammer in Bezug auf die Belastung der Großgeschäfte keineswegs bl öde gewesen ist ; wir haben gleihzeitig aber aus den Debatten in derselben französischen Kammer entnommen , daß diese gewaltigen Steuern, die den großen Bazaren auferlegt worden sind, die soziale Wirkung, aus welcher Tendenz allein diese Steuern hervorgegangen sind nit aus finanziellen Gründen sind diese Steuern auferlegt worden, fondern um einen Schuß für die kleineren Kaufleute zu hafen diese Wirkung nicht erreiht haben. Es ist auch in Frankrei in den Debatten noch kein anderer Weg angezeigt, der neue Erleuchtung brähte. Wird dieses

sozialpolitishe Ziel, welches Hier verfolgt wird, auf diesem Gebiete der Steuern überhaupt zu erreichen sein ?

Meine Herren, wir in Preußen sind in Beziehung auf unsere Gewerbesteuer do jedenfalls viel besser daran als die übrigen Länder, namentli aber als Frankrei, welches cin ganz außerordentlih mecani, {hes Klassifikationsfystem hat. Wenn ih mich nit irre, fo haben die Franzosen niht weniger als 370 Arten von Patenten. Wir haben ja unsere Gewerbesteuer auch nit zu einer JIdealsteuer machen Eönnen das liegt in der Natur der Steuer selbs aber wir haben doch wenigstens unsere Gewerbesteuer bei der leßten Reform vollständig umgedreht. Sie war früher progrefsiv nah unten, sie drüdte den kleinen Kaufmann und den kleinen Handwerker im Verhältniß zu den in der Zwischenzeit erwachsenen großen kaufmännischen und industriellen Betrieben direkt progressiv. Wir haben eine Progression nah oben hineingebraht, wenn au, wie gesagt, nah der Natur der Steuer dabei etwas Vollkommenes nicht erreiht werden konnte. Wir haben etwa die Hälfte aller Handwerker in der Gewerbesteuer ganz frei- gelafsen und ebenso eine große Anzahl kleiner Kaufleute, haben dann die vier Klassen progressiv nah oben gestaltet und die lebte Klasse in der Höhe nicht begrenzt; sie wächst mit dem Anlagekapital und dem Betriebe.

Nun hat Herr Gothein, wohl mit Recht, die Frage aufgeworfen, ob wir in dieser Beziehung weit genug gegangen find. Nirgendwo, meine Herren, is eine progressive Steuer gerechtfertigter als bei der Besteuerung der Gewerbebetriebe, weil die Steuer progressiv sein kann und doch vollständig adäquat der Last, die getragen werden muß. Je größer die Betriebe sind, je geringer sind die Selbst- kosten, je Höher ist in dubio und je sicherer der Ertrag, während, je kleiner die Betriebe werden, die Generalunkosten um so höher sih stellen, und daher würde eine gleihmäßige Besteuerung Tleiner und großer Betriebe geradezu eine Ungerechtigkeit sein.

Von diesem Gesichtspunkte ist auch das hohe Haus damals aus- gegangen, als wir die Gewerbesteuer hier beriethen, und es war alle Welt damit einverstanden, daß die Gewerbesteuer einen progressiven Charakter nah oben tragen solle. Meine Herren, diese Gewerbesteuer ist nun aber bei uns keine staatlihe Steuer mehr, und das bringt chon in die Lösung dieser Frage bei uns ganz besondere Schwierig- keiten. Jn dieser Beziehung stehen wir ungünstiger als Frankreich.

Zweitens, meine Herren, kann die Steuer einen Charakter be- kommen, daß sie in die Reichsgeseßgebung eingreift, in die Gewerbe- ordnung.

Drittens hat Herr Dasbah vollkommen Recht, daß, wenn wir in Preußen auch über alle diese Schwierigkeiten hinwegkämen, wir dann auch mit der Konkurrenz derartiger großer Bazare aus den übrigen deutschen Ländern zu rechnen hätten. Er hat selbst für be- denklih gehalten, die Frage im Reich zu lôfen, weil die Einführung direkter Gewerbesteuern nah feiner Meinung wenigstens die Finanzhoheit der Einzelstaaten berühre. Er sagt selbst: in Preußen allein, das wird uns nicht viel helfen, im Reich geht es nit, und er weist uns dann auf den nah meiner Meinung ganz ungangbaren Weg der Vereinbarung der verschiedenen Bundesstaaten unter einander. Ja, meine Herren, wie werden denn die verschiedenen Bundesftaaten ihre Finanzhoheit dur Verträge unter einander binden? Wir sehen ja, wie gerade auf diesem Gebiete fortwährend neu experimentiert wird, unaufhörlich neue Erfahrungen gemacht werden, wie man beim besten Willen noch nit zu einem vollkommenen Ganzen gekommen ist. In einer solchen Zeit eine folche Vereinbarung über eine bestimmte Art der Besteuerung unter den Bundesstaaten treffen zu wollen, halte ih für ganz ausfihtslos.

Hieraus ergiebt \sih- schon, daß die an und für ih \{chwierig zu lôösende Steuerfrage gerade bei uns in Preußen besondere Schwierig- keiten ergiebt.

Deshalb haben wir vorerst den Versuch gemacht, an die Autonomie der Gemeinden zu appellieren. Wir haben ibnen ein Steuermuster hier gegeben, wie sie. dur Einführung solcher pro- gressiven Steuern diese Frage, wenn auch nicht ganz, so doch theil- weise lôsen Fköônnen. Einige Kommunen darunter eine große Stadt, wie mein Herr Kommissar {on gesagt hat, haben auch solde Steuern {hon eingeführt. AU- gemeine Erfahrungen aber über die Wirkung haben wir noch nicht genügend. Jch persönlich bin der Meinung, daß die Verhältnisse so verschieden liegen in den einzelnen Orten und in Beziehung auf die Beschaffenheit dieser großen Kaufgeschäfte, daß es an si viel richtiger ist, die kommunale Autonomie hier herbeizuziehen, die diese vershiedenen Verhältnisse besser berüdsihtigen kann als eine allgemeine staatliche Regel, die sehr {wer passen wird für große und kleine Städte, für die Art und Weise, wie ih hier das faufmännishe Leben ganz verschieden entwickelt hat. Ich verzweifle doch noch nit nah der heutigen Debatte, daß dieser Weg resultatlos bleiben wird, und ih freue mich in dieser Beziehung namentlich über die Aeußerungen des Herrn Abg. Gothein; wenn auch diejentgen, welche auf dem manchesterlißen Standpunkt (hört! hört! links) wenn ih diesen Ausdruck gebrauchen darf stehen, bereit sind, hier mitzuwirken in den Kommunen, so kann man vielleiht die Hoffnung haben, daß doh dieser Weg in einer gegebenen Zeit so schnell geht es bei den Kommunen ja niht weiter führt.

Meine Herren, der Herr Abg. Gothein hat ja allerdings in dieser Beziehung besondere Erfahrungen, und das ist au eine andere Frage, die einmal gelegentlich gelöst werden muß. Jn Breslau besteht ein ganz eminent entwickelter großer Konsumverein. Dieser Konsumverein hat aber nit die Rechte ciner eingetragenen Genossenschaft. Dieser Verein kann weder vom Staat noch von der Kommune Breslau in der Einkommensteuer getroffen werden. Darin erblide ih, da materiell das Wesen eines großen Konsumvereins hier in allen Richtungen vorhanden ist, und da nur eine künstliche, juristishe Gestaltung in Verbindung mit einem anderen Verein dahin geführt hat, daß diese Vereinigung nicht die Qualität einer eingetragenen Genossenschaft braucht, die allergrößte Ungerechtigkeit. Wir haben versucht, sogar die Frage bis zu einer gerichtlichen Entscheidung zu bringen; wir sind aber unterlegen.

Nur auf einem Gebiete könnte in dieser Beziehung die Stadt- verwaltung in Breslau mehr leisten, um der Gerechtigkeit Genüge zu [eisten, als sie bisher gethan hat. Nichts hindert fie, diesen Verein in der Gewerbebesteuerung progressiv bis zu einer Höhe heranzuziehen, daß in dieser Beziehung auch einige Deckung gegeben wird für die mangelnde Heranziehung in der Einkommen- steuer. Denu da is die Qualität der eingetragenen Genossenschaft niht nöthig; da wird das Unternehmen selbst besteuert, und wenn die

Gewerbesteuer in dem Sinne in Breslau entwickelt wird, wie der Herr Abg. Gothein hier selbst es gebilligt hat, so wird dieser shreiende Mißstand, der gegenwärtig in Breslau vorhanden ift, in cinem wesentlichßen Grade vermindert werden können. Jch habe den Deputationen auf ihre Klagen, die gerade aus dem Kleingewerbe in Breslau an mi gelangt sind, immer erwidert: ihr müßt nur tüchtig agitieren in der Stadt Breslau, daß der Magistrat und die Stadt- verordneten sih entschließen, wenigstens eine rihtige Gewerbesteuer hier einzuführen. (Abg. Gothein: Hat sie ja!) Das if aber meines Wissens noch niht der Fall. (Abg. Gothein : Sa Wenigstens niht in dem Maße und Grade, wie es der Fall fein könnte! (Heiterkeit.) Aber, meine Herren, ih bin ganz der Meinung, daß wir hier wirklich in unserer Gesetzgebung eine Lücke haben. Wir müssen uns nit mehr so sehr um die ju- riftishe Form, ob das eine eingetragene Genossenschaft ift oder nicht, bekümmern, wir müssen fragen: is die Vereinigung thatsächlih eine gewerbliche Genossenschaft, wenn sie auch eine andere juristische Form hat.

Meine Herren, nun hat man auf die Umfahßsteuer bingewiesen. In dem Musterstatut für die Gewerbesteuer für die Kommunen ist das unsererseits noch niht geschehen. Aber der Herr Ministerial- Direktor hat {hon gesagt, daß seitens der Staatsregierung kein grund- säßlihes Bedenken bei uns bestehen würde, wenn eine Kommune eine folie besondere Gewerbesteuer beschließt auf der Grundlage der Umsaßsteuer. Es if allerdings in dieser Beziehung mit Vor- siht zu verfahren; denn das ist ja zweifellos, daß die an sh rohe Form der Umsaßsteuer, welhe noch keineswegs das richtige Indicium für die Leistungsfähigkeit eines Gewerbes dar- stellt, zu den allergrößten Ungerechtigkeiten führen fann. Zu ver- anlagen ist die Umsaßsteuer wohl. Man braußt sich nach meiner Meinung nit zu scheuen, au hier den Weg der Deklaration zu be- treten, wie wir ja Anfänge einer Deklaration für die Gewerbesteuer schon haben. Gegenwärtig aber, meine Herren, ein Zwangsgesetz gegen die Kommunen einzubringen, welches sie zwingt, von ihrer Autonomie in der bezeihneten Richtung Gebrauh zu maten das, muß ih sagen is doch recht bedenklich.

Wir haben ja gerade die Autonomie der Kommunen auf dem Gebiet derjenigen Steuern, welche wir ibnen überwiesen haben, stärken und kräftigen wollen; wir haben gefagt, diese Steuern eignen si niht für eine allgemeine staatliche Regelung, nicht bloß nicht für eine allgemeine staatliche Einziehung, für den staatlichen Fiskus, sondern sie eignen sih überhaupt nicht für cine staatliche gleichmäßige Regelung, und das ift vor allem bei der Gewerbesteuer der Fall. Die eine Gewerbesteuer kann gerecht sein in der einen Kommune, ungerecht in der anderen; sie kann in der einen Kommune sehr nüßlich fein, geradezu perniziós aber für die andere Kommune. Daher ist es bedenklich, feste staatlihe Zwangsregeln aufzustellen ; jedenfalls, glaube ih, wird man es niht verantworten können, jeßt {on damit vorzugehen, ehe nit der Beweis erbracht is, daß der Weg der kommunalen Autonomie überhaupt nit gangbar ist. Jch glaube, man wird in dieser Nichtung auch vielfach zu einer Kombination von Besteuerungsgrundlagen lommen müssen, wie das ja auh în dem Kommunal- abgabengesey zugelassen und hier und da auch schon durchgeführt ist, namentlich im Rheinland und in Westfalen, wo man ins- besondere zu den verschiedenen Mafßstäben auß die Zahl der beschäftigten Arbeiter genommen hat, und das, wenn es sh um die kommunale Besteuerung handelt, hat sogar eine bestimmte Raison, weil die Zahl der beschäftigten Arbeiter sehr erheblih ein- wirkt auf die Kosten, die ein solches Unternehmen einer einzelnen Gemeinde verursaht. (Sehr richtig!) Wir haben daher diese Form, wenn sie mit Maß angewendet ist, s\taatlicherseits auch überall genehmigt.

Meine Herren, soviel i aber doch richtig, fozialpolitishe Ge- retigkeit kann man allerdings in der Steuer wohl erreichen, aber immer nur mehr oder weniger, eine Steuer kann niht alle fozial- politishen Gesichtspunkte treffen.

Uebertreibt man diese Richtung in der Steuerbemefsung, will man wirthschaftliG gegebene Formen ledigli dur die Besteue- rung abändern, dann kommt man allerdings leiht auf böhst gefähr- lihe Gebiete (sehr wahr!), und man wird dabei mit der größten Vorsicht vorgehen müssen. Wenn manden kleinen Kaufmann allein durh eine Steuer, welhe niht nach Maßgabe der Gere{- tigkeit, sondern nach den obenbezeihneten Gesichtspunkten allein angelegt ifl, {ügen und dadur den Großkaufmann todtshlagen will, so wird der Handwerker gegenüber der großen induftriellen Entwidcke- lung vielfa denselben Anspru erheben. So wird der Shmied sagen können: ich will ein großes Werk, welches alles fabrikmäßig macht, so boch besteuern, daß es niht mehr bestehen kann ¿[9 wird der Schuhmacher, der \sich über die Schußhfabriken bellagt, eine er- drückende progressive Steuer auf die leßteren werfen wollen ; so haben wir überhaupt keine Grenze mehr. Ich bin durchaus dafür, diz Steuer, soweit irgend mögli, nah der Leistungsfähigkeit zu bemessen. Das ist hon ein großer Fortschritt, den wir namentli in unserm Steuer- system gemacht haben. Von diefem Prinzip nun aber radikal abzu- weihen, die Frage der Leistungsfähigkeit und Gleichmäßigkeit der Steuer gänzlih preiszvgeben, lediglich um einen bestimmten sozialen Zweck zu erreiden, einen solhen Weg kann man nur mit der größten Selbstbeherrschung beschreiten.

Ich glaube, meine Herren, aus der ganzen Haltung der Regierung werden Sie nicht die Ueberzeugung herleiten können, daß wir hier nur uns auf die formale Schwierigkeit der Veranlagung dieser Steuer ¡urückziehen, sondern es sind wirklich \{chwerwiegende Bedenken und große Schwierigkeiten in der Sache selbs, wenn wir heute vor- läufig dabei stehen geblieben find, den Weg der Kommunalbesteuerung iu fördern und die Kommunen anzuregen. Wenn dazu auch die heutige Debatte noch niht Anlaß geben sollte, so ist damit do keineswegs die Frage für uns abgeshlossen. Sehen wir, daß wir so nicht zum Ziele kommen, denn ih halte eine

âtkere Besteuerung dieser großen kaufmännischen Betriebe, namentlih also in der Kommune, für durhaus berehtigt dann fann ih den Herren versichern, daß wir die Frage nit aus den Augen verlieren werden, und \{chließlich vielleiht auch das weniger feignete werden thun müssen, auf das Gebiet der allgemeinen \taat- ien Besteuerung nach dieser Richtung hin zurückzukommen. Aber meine Herren, nihts wäre do unzulässiger, als daß wir durch diese

ebatte und daß namentlih dur die Regierung Hoffnungen bei den einen Kaufleuten und Gewerbtreibenden ern eckt werden, die nachher velleiht nicht erfüllt werden können. Gerade den gedrückten Klassen

ist man vor allen Dingen Wahrheit \{uldig. Man muß ihnen die ganze Situation ofen darlegen, man muß sagen: soweit wir euch helfen können, werden wir es gern thun; haben wir den richtigen Weg gefunden, so werden wir ihn entshlossen beschreiten. (Bravo !

rechts.)

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Die leßten Ausführungen des Ministers nehmen wir mit Freuden det: aber die Mißstände treten doch in so ausdrucksvoller Weise hervor, daß die Regierung nit mehr bei ihrer abwartenden Stellung verharren sollte; denn die Verweisung der Sache an die Gemeinden ist doch ein sehr langwieriges Experiment. Es handelt sich dabei nicht um fehr verschiedenartige Erscheinungen, sondern um einheitliche Erscheinungen, die nicht bloß in den Großstädten, sondern auch in den Mittelstädten vorhanden sind. Es handelt \sich um eine staatlihe Nothwendigkeit, um den Schuß des Mittelstandes gegenüber dem Großkapital und seiner Ueberlegen- heit. Wird von den großen Waarenhäusern eine Steuer erhoben, fo wird dadur der Druck, den sie gegenüber den kleinen Händlern aus- üben, geringer. Die Schaffung eines Reichsgeseßes is niht aus- geshlossen. Die Steuern brauchen ja nicht in die Reichskasse zu fließen, sondern können den Einzelstaaten oder Gemeinden überlassen bleiben. Daß der Finanz-Minister die Lüde bezüglich der Konsum- vereine ausfüllen will, ist erfreulih. Die Rede des Herrn Gothein war ein Zeichen der Zeit; auch er konnte sich nicht verhehlen, daß bier Mißstände bestehen auf dem Gebiet der freien Konkurrenz, die beseitigt werden müssen. Aber er hat so viel Wenn und Aber geltend gemacht, daß seine Rede ledigli ein negatives Ergebniß hatte. Die von ihm vorgeschlagene Ladensteuer ist nit durchführbar, weil davon auch der kleinere Gewerbetreibende betroffen würde. Die Umsaßsteuer brauchte die kleineren Gewerbetreibenden nicht zu belästigen, man könnte, wie bet der Einkommensteuer, die Leute unter 3000 4 Ein- kommen von der Deklaration ausschließen. Wenn die Leute ih darüber klar würden, daß die Geschäftsleute, deren ständige Kunden sie sind, sie reeller bedienen als ein Bazar, der billige Shundwaaren führt, so würde Manches besser sein. Wir sollten eine Umsaßsteuer einführen, weil sie letstungsfähige Schultern trifft, und weil wir in- folge solher Einnahmen die Minderleistungsfähigen entlasten können. Herr Gothein verglih den Großgrundbesiß mit diesen Bazaren. Aber der Großgrundbesiß führt doh nicht zu ciner direkten Schädigung des kleinen Grundbesitßzes. Die Schwierigkeiten, welche der Lösung der Frage entgegenstehen, verkennen wir nit, aber wir dürfen uns da- durch nicht abshrecken lassen, da Gefahr im Verzuge ist.

Abg. Pleß (Zentr.): Das Uebel hat einen solhen Umfang ange- nommen, daß wir nicht anders es beseitigen können als dadurch, daß wir zu den Grundsäßen unserer Altyordern zurückehren und alle Ec- werbszweige wieder zu wirthschaftlihen Körperschaften zusammenfassen. Die großen Bazare haben den leßten Funken von Moral aus dem Geschäftsleben vertrieben; denn sie huldigen nur dem Grundsaß: So viel als mögli verdienen, alles andere ift Nebensahe. Wenn das so weiter geht, wird das ganze Erwerbsleben bald in den Händen einiger Hundert Aktiengesellschaften sein, und die große Masse des Volkes wird von diesen abhängig sein. Darin liegt auch eine politishe Ge- fahr. Ju anderen Ländern ist der Kapitalimus so entwickelt, daß er niht nur die Wahlen beeinflußt, sondern au auf Spekulation Kriege anzettelt. Jch könnte mich darüber etwas ungenierter aus\prechen, wenn ih niht der Verantwortlichkeit als Abgeordneter mir bewußt wäre.

Abg. Win ckler (kons.): Das Ergebniß der heutigen Erörte- rungen ift, daß allseitig anerkannt wird, daß zum Schuß des gewerb- lien Mittelstandes im Wege der Geseßgebung etwas geschehen muß; der Mittelstand ist am wenigsten in der Lage, in der Volksvertre- tung sich geltend zu machen; deshalb muß er fih auf diejenigen ver- lassen, die hier die allgemeinen Interessen vertreten. Das mobile Kapital hat neue Wege gefunden, um in das Gebiet ein- ¿zudringen, das bisher das ureigenste Gebiet des Handwerks und des kleinen Gewerbetreibenden war. Die Wanderlager werden benußt, um die Gründung von Filialen der großen Waaren- häuser vorzubereiten zum Schaden des seßhaften Kaufmannsstandes. Wenn die Zahl der Wanderlager ih vermindert hat, so ift das nur ein Beweis dafür, daß man sofort zur Errichtung von Bazaren über- geht, die viel s{ädliher sind als die Wanderlager. Hier muß dem Metittelstande geholfen werden; ob in der Form der Umsaßsteuer oder in anderer Form, darauf lege ih kein Gewiht. Wenn der General-Steuer-Direktor vorhin sagte, daß die Regierung vor der Höhe der Steuer nicht zurückschrecke, so kann das hoffentlih dahin ausgelegt werden, daß die Regierung vor keiner Maßregel zurück- s{hrecken wird, welche dem Mittelstande helfen kann.

General-Direktor der direkten Steuern Burghart: Die Wander- [agerbetriebe sind in einem außerordentlihen Rückgange. Wir hatten beim Erlaß des Wanderlager-Steuergeseßes über 900 Wanderlager, 1896/97 aber nur noch höchstens die Hälfte. Daß die Wanderlager eine Vorstufe für die Waarenhäuser sind, is ein Irrthum. Sollte sih die Zahl der Wanderlager“ wieder vermehren, so wird die Re- gierung das Erforderliche veranlassen.

Abg. Dr. Hahn (b. k, P.): Wenn das Großkapital si in den Dienst des Handels stellt, so sollte man darauf sehen, daß es sich nicht zu sehr als Selbstzweck betrachtet und Gewinne mat, welche die große Masse des Volkes zahlen muß. Der Staat hat in den leßten Jahrzehnten das Großkapital privilegiert, statt dem Klein- gewerbe zu helfen. Die Reichsbank ist dem Großkapital allein zugäng- lih; auf den Eisenbahnen ist der große durhgehende. Verkehr bevor- zugt worden; die Lasten des Kleinbahnwesens sind anderen Schultern aufgebürdet worden. Die Waarenhäuser, die Speditionsfirmen, die großen Bankhäufer nehmen ein großes Personal in Anspruch, welhes sie auf die Straße seßen, wenn es invalide wird. Dieses Personal i von der Versicherung, der die Arbeiter unter- worfen sind, ausgeschlossen. Der Grundbesißer nimmt \ich seiner Leute an, auch wenn fie erwerbsunfähig sind. Der Minister hat aus der heutigen Debatte ersehen, daß der Nothstand des Mittel- standes groß is. Die Frage is keine lokale, denn die großen Waarenhäuser versenden ihre Kataloge dur das ganze Deutshe Reih und \hädigen die Geschäftsleute allerorten, nicht bloß am Orte des Geschäfts. Es wäre ungereht, die Steuern einer einzelnen Kommune zukommen zu lassen. Die Getreidezölle und Schußzölle sind nicht als Finanzquellen eingeführt, _fon- dern um ihres wirthschaftlichen Effektes willen. Auch bei der Umsaßsteuer oder einer anderen Form der Besteuerung der großen Waarenhäuser handelt es sich um einen wirthschaftlichen Effekt im Interesse des Kleingewerbes. Jn der Landwirthschaft findet eine Konkurrenz des Großgrundbefb2s mit dem kleinen Grundbesiß nit ftatt. Sehen Sie sich die Firmen Wertheim und Loeser u. Wolff an und ihre Wirkung auf die Konkurrenzgeshäfte. Herr Gothein wollte beide Seiten der Sache in das richtige Licht segen, um dann zu sagen: Man kann nichts machen, es muß alles beim Alten bleiben. Gegner der Konsumvereine sind auch in der agrarischen Partei vorhanden ; unter den Herren mit agrarischer Gesinnung sind auch Bedenken vorhanden gegen die Waarenhäuser der Offiziers- und Beamten- vereine. Diese Vereinswaarenhäuser sind niht über einen Kamm zu \heeren mit den großen Waarenhäusern, weil sie keinen unbeschränkten Gewinn machen wollen, und weil sie ihre Handwerker euer bezahlen und behandeln. Sie machen nur mit ihren Mitgliedern eschäfte, sie sollen es wenigstens. Das einzige Mittel, welches den Waarenhäusern Abbruch thun kann, ift das allerdings etwas brutale Mittel der 2E steuer. Aber jede Steuer i} in gewisser Beziehung brutal, denn fie trifft einen kinderreichen Familienvater härter als den kinderlosen Junggefellen. Das Verhältniß der Arbeiter zu den Arbeitgebern in der Großindustrie, z. B. in der Konfektion, ist ein bedauerliches, daß man nur die Beseitigung desselben wünschen kann, damit auch die kleineren Städte und das platte Land mehr Arbeitsgelegenheiten bieten, wo bessere Wohnungsverhältnisse, billigere Ernährung u. f. w. vorhanden find. Bei der Wichtigkeit der vorliegenden Frage sollte die Staatsregierung niht warten, bis die Kommunen die Frage löfen, die sie garniht lösen können. Ich verlange ja nit, daß uns morgen {hon ein Geseßentwurf vorgelegt wird. Die einzelnen Fragen können nit im Plenum besprohen werden; aber es wäre sehr zweck-

mäßig, sie in einer Kommission durhzusprehen und dadur die Vor- bereitung einer Regierungsvorlage zu fördern.

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ich möchte nur von vornherein einer Bemerkung des Herrn Dr. Hahn entgegentreten. Er sagte, die kommunale Be- steuerung dieser Gewerbebetriebe if eine Ungerechtigkeit; denn die In- haber betreiben ihr Gewerbe nit bloß in der Lokalität, in der sie etabliert sind, sondern über das. ganze Land. Nach dieser Auffassung würde man eine kommunale Gewerbesteuer überhaupt nicht haben können. Es ist Herrn Dr. Hahn, weil das im erften Augenblick ja scheinbar einleuchtend ist, zugerufen worden : «höôrt, hört“ und „sehr rihtig“. Nein, das ift nit rihtig ; denn wie viele Gewerbe hier in Berlin und in jeder anderen großen Stadt haben ihr Absazgebiet allein in der betreffenden Stadt? Die Gewerbe müssen. da besteuert werden, wo sie den Grundstock ihrer Hauptthätigkeit entfalten, wo sie Arbeiter beshäftigen, beziehungsweise Etablissements besißen, wo sie die Vortheile der Kommune genießen und den Kommunen Lasten zu- führen. Daher glaube i, daß dieser Einwand gegen die kommunale Besteuerung in keiner Weise richtig ift.

Nun hat Herr Dr. Arendt vorber gemeint, ich hielte die Be- steuerung dieser großen Bazare für eine Ungerechtigkeit. Das ift ein vollständiges Mißverständniß. Ich habe ausdrücklich gesagt : ob unsere jeßige kommunale Besteuerung {on progressiv genug ist nah oben gegen- über den großartigen Konzentrationsetablissements, das ift mir sehr zweifelhaft. Ih glaube, die Kommunalverwaltungen werden gut thun, in vielen Beziehungen die allgemeine staatlihe Gewerbesteuer, wozu sie ja nach dem Kömmunalabgabengeseß das Recht haben, auszugestalten nach Maßgabe der gewerblichen Entwickelung in ihrer Gemeinde. Wir haben auch staatsseitig diese Entwickelung, wie sie z. B. in sehr ausgedehntem Maße, namentlich in Nheinland und Westfalen, in den Industriebezirken \tatt- gefunden hat, wo die Kommunen die Gewerbesteuer vielfah nah Maßgabe der beschäftigten Arbeiter umgelegt haben, beispielsweise bei den großen Hüttenwerken, den Kohlenbergwerken u. \. w., nah diesem Gesichtspunkte begünstigt und unsererseits sie niht bloß genehmigt und gefördert, sondern ursprünglih selber vorgeschlagen.

Diese Entwickelung ist noch lange nicht am Ende, und eigentli ist diese Spezialfrage nur ein Theil dieser gesammten allmählihen Um- gestaltung der Gewerbesteuern (sehr richtig! links) nach Moaßgabe der wirklichen Leistungsfähigkeit. Das kann man hier vollständig sagen, diese großen Etablissements sind an sich leistungsfähiger und müssen daher auch mehr prästieren, sie genießen mehr als kleine Gewerbe die Vortheile von der Kommune ; sie führen der Kommune auch viel mehr Lasten zu. Ich halte es daher für eine Versäumniß der Kommunalbehörden, wenn sie dieser Frage nit energisch näher treten. Wir haben uns, von unserm Standpunkt aus, fortwährend bemüht, die Kommunen auf diesen Weg zu drängen, und Anfänge haben wir in dieser Be- ziehung {on zu verzeihnen. Wenn z. B. eine Stadt wie Köln zu einer sehr erheblihen Entwickelung ihrer Gewerbesteuer nah dieser Richtung übergegangen ift, \o kann man wohl die Hoffnung haben, daß andere Gemeinden ihr nachfolgen.

Nun muß man aber immer festhalten : alle diese Begriffe find so relativ, und die Grenzen generell zu finden mit einer Regel für den ganzen Staat, ist so \{chwer, daß der Weg der kommunalen Besteuerung, abgesehen von den Gründen, die ich {on früber ange- führt habe, an sich der natürlihe is. Es fann ein Geschäft in einer kleineren oder mittleren Stadt den Charakter eines Bazars haben, welches in einer Großstadt noch ein einfaher Laden ist. Dieser Laden in der Großstadt kann als Bazar in der Mittelstadt gegenüber den Konkurrenten hon dieselben üblen Folgen haben, wie ein großer Bazar in einer Großstadt gegen andere kräftige Laden- besißer. Daher ift eine generelle Regelung in dieser Beziehung außer- ordentlich \{chwierig, und die Franzosen haben sich bei der Konzentration, die in Frankrei auch im gewerblihen Leben herrsht, au wesentlich immer nur an die großen Pariser Geschäfte gehalten. Ja, wenn ich hier ein paar Berliner Geschäfte vor mir habe, die kann ih vielleiht rihtig und zutreffend veranlagen ; soll man aber ein Geseß machen, welches feste, allgemeine, überall gleih durhzuführende Regeln aufstellt, so wird man überall auf große Schwierigkeiten stoßen. Nichtsdestoweniger habe ich erklärt das möhte i namentlich Herrn Dr. Arendt, der mi darin vollständig mißverstanden hat, gegenüber betonen —, daß, wenn der jeßt eingeshlagene Weg niht geht, wenn er keine wesent- lihen Erfolge hat, man allerdings sfih dann wird genöthigt sehen, wie Herr Dr. Hahn sagte, eine weniger vollkommene Besteuerung zu versuchen; es werden aber, wie das auch in allen Ländern bis jeyt gewesen ift, vorerst nur Experimente bleiben.

Nun bin ih allerdings der Ansicht nicht, daß man dur die Steuer auf die Gestaltung der sozialen Verhältnisse garnicht ein- wirken könne und nit einwirken dürfe. Der Ansicht bin ih nit; aber id habe große Bedenken dagegen, den Weg der Gerechtigkeit und der Gleihmäßigkeit hierbei zu verlassen, willkürlich nah den zeitweilig herrshenden fozialen Anschauungen Steuern zu erfinden, die ledigli diesen Zweck haben. Diese Erfahrung hat man au in allen Ländern gemacht: diejenigen, die derartige Dinge in einer unvorsihtigen Weise vor- schlagen, drehen si leiht selbst den Strick, an dem sie au erhängt werden. (Sehr richtig! Heiterkeit.) Deswegen mahne ih zur Vor- fiht und zur gründlihen Erwägung über die Konsequenzen eines folhen Vorgehens. Jh glaube daher, das hohe Haus wird si über- zeugen, daß wir, was das Ziel betrifft ih halte diese großen Bazare allerdings heute für nicht genügend von der Gewerbesteuer ge- troffen —, im wesentlichen einig sind, daß aber die Frage, namentlich au nach den mißlungenen Experimenten in anderen Ländern, \o s{wierig ist, daß wir in dieser Beziehung besonders vorsichtig ver- fahren müssen und die Dinge nit übereilen dürfen.

Herr Dr. Hahn hat ja auch anerkannt, daß wir in der gegen- wärtigen Session niht mehr in der Lage sind, ein derartiges Gesetz vorzulegen. Wir wollen sehen, wie wir in der Frage vor dem nächsten Landtage stehen. Eine Konimission von sahverständigen Männern über diefe Frage zu hören, würde mir vollständig unbedenklich sein, und es soll mi freuen, wenn eine solhe Kommission berufen würde, welhe uns mehr Weisheit giebt, als wir selbs nah den bisherigen Studien in dieser Frage uns haben erwerben können.

Meine Herren, die Hauptinteressenten in der Frage, namentlich die Vertreter des kleinen Kaufmanns, sehen die Frage auh selbst als eine außerordentli s{chwierige an. Sie sind mehrfach bei mir ge- wesen, ih habe mit ihnen über die Frage verhandelt und habe immer die Empfindung gehabt, daß die betreffenden Herren die Sache doch