1898 / 104 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 May 1898 18:00:01 GMT) scan diff

Der Kaiserlihe Gesandte im Haag, Wirklihe Geheime Rath Freiherr von den Brincken hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetretcn. Während der Abwesenheit deê- selben fungiert der etatsmäßige Legations8-Sekretär der Kaiser- lihen Gesandtschaft, Legations-Rath Freiherr von Scefried auf Buttenheim als Geschäftsträger.

Laut telegraphisher Meldungen an das Ober-Kommando der Marine ist die zweite Division des Kreuzer-Geschwaders, bestehend aus S. M. Schiffen „Deutschland“, „Kaiserin Augusta“ und „Gefion“, Divisions-Chef Seine König- lihe Hoheit der Prinz Heinrih von Preußen, am 2. Mai in Shanghai angekommen und beabsichtigt, am 4. Mai nach Kiautschou in See zu gehen ; S. M. S. „Cormoran“, Kommandant Korvetten-Kapitän Brussatis, ist am 1. Mai von Kiautschou nah Manila in See gegangen.

Cronberg, 3. Mai. Jhre Majestät die Kaiserin Friedri ch ist gestern Nachmittag 5 Uhr zum Sommeraufent- halt auf Schloß Friedrichshof eingetroffen. Heute Vor- mittag gedachten, wie „W. T. B.“ meldet, Jhre Vajestät die Kaiserin Auguste Victoria und Jhre Königlichen Hoheiten der Kronprinz und die Kronprinzessin von Griechen- land Allerhöchstderselben einen Besuch abzustatten.

Sachsen. __ Seine Majestät der König ist gestern von Karlsbad wieder in Dresden eingetroffen.

Oesterreich-Ungarn.

Der kommandierende General des XI. Armee-Korps, Feldmarschall-Lieutenant Graf von der Schulenburg ist, nah einer Meldung des „W. T. B.“, gestern Abend in Lem- berg gestorben.

Aus Groß-Beeskerek wird gemeldet, daß in der Ge- meinde Boka Unruhen ausgebrochen seien. Einige hundert Feldarbeiter hätten unter Vorauftragen einer rothen Fahne Kundgebungen veranstalten wollen. Der Ober-Stuhlrichter habe die Menge aufgefordert, sich zu zerstreuen, sei aber mit Steinen beworfen worden. Als die Gendarmerie angerükt sei, habe sih die Menge auch dicser widerseßt, sodaß sie von der Waffe habe Gebrauh machen müssen. Hierbei seien drei Arbeiter getödtet, vierzehn verwundet worden, Eine Kompagnie Sol- daten habe Befehl erhalten, nah Boka abzugehen. Heute herrsche daselbst vollständige Ruhe.

Frankreich.

Der Minister des Aeußern Hanotaux hat, dem „W.T.B.“ zufolge, gestern die Berathungen der Kommission für die griehische Anleihe geschlossen. Die Veröffent- lihung der Garantie-Anleihe sollte gestern erfolgen, als Tag der Emission ist der 10. Mai bestimmt worden.

Rußland.

Wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg berichtet, ist die Neutralitätserklärung Nußlands gestern in der Geseßsammlung veröffentliht worden. Jn derselben heißt es:

Die seit einiger Zeit zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten entstandenen Mißhelligkeiten haben die Kaiserliche R-gierung veranlaßt, gemeinsam mit anderen Mächten alle Mühe aufzubieten, um einen bewaffneten Konflikt zwishen beiden Ländern abzu- wenden. Leider waren diese freundshaftlizen Bemüßungen vergebli. Spanien und die Vereinigten Staaten stehen gegen- wärtig im Krieg. Indem sie es aufrihtig bedauert, daß zwei mit Rußland durch hundertjährige Freundschaft und lebhafteste Sympa- thien verbundene Staaten zum Kriege geschritten sind, hat die Kaiser- liche Regierung beschlossen, gegenüber den kriegführenden Parteien die strengste, unpartetiishe Neutralität zu bewahren. i

Der Erlaß befiehlt dann allen Unterthanen des Kaisers von Nußland die Erfüllung der aus der Neutralitätsstellung Rußlands sih ergebenden Pflichten an und s{ließt:

Die Kaiserliche Regierung erklärt außerdem: Kriegsschiffen beider kriegführenden Mächte ist gestattet, russische Häfen auf höchstens 24Stunden anzulaufen ; bei Unwetter, Mangel an Proviant und an Gegenständen, welche für die Ernährung der Bemannung des Schiffes oder für noth- wendige Reparaturen erforderlich find, kann cin längerer Aufenthalt, jedes- mal aber nur mit besonderer GCrlaubniß der Kaiseclihen Regierung, ge- stattet werden. Laufen Schiffe beider kriegführenden Parteien einen russishen Hafen an, so darf nach Auslaufen eines Handels- wie Kriegs\chifffes der einen Partei ein Schiff der anderen Partei erst 24 Stunden später abgehen. Der Verkauf von Prijen ift in russischen Häfen unbedingt verboten. h l :

Der „Polit. Korresp.“ zufolge hat die russishe Regierung eine bedeutende Verstärkung der gegenwärtig 5000 Mann betragenden Besaßung von Port Arthur beschlossen; die- elbe soll bis Ende dieses Jahres auf 15 000 Mann gebracht werden.

Jtalien.

n Bagnacavallo bei Ravenna fanden gestern, wie ,W. T. B.“ meldet, U nruhen statt. Während eine Abordnung der Ruhestörer mit dem Bürgermeister eine Besprehung hatte, versuchten diese einen Angriff auf das Bürgermeistergebäude, wobei sie zwei Polizisten mit Steinwürfen verwundeten. Das Militär gab einige blinde Schüsse ab; als hierauf die Unruhen fortdauerten, gab die Truppe Feuer, wodurch drei Personen etódtet und mehrere verwundet wurden. Auch von dem Militär wurde ein Mann verwundet. Außerdem kamen noch in verschiedenen anderen Provinzen Ruhestörungen vor, denen jedoch keine ernste Bedeutung beigemessen wird. Der Ministerrath hat die Ermächtigung zur eventuellen Einberufung einer Jahresklasse der Reserve ertheilt und die nöthigen Maß- nahmen im Interesse der öffentlihen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der Ordnung getroffen. Spanien, Der Minister - Präsident Sagasta begab sih, wie, „W. T. B.“ meldet, gestern Nachmittag zu der Königin- Regentin. Um 7 Uhr fand ein Ministerrath statt, welcher bis 10 Uhr währte. Es wurde beschlossen, infolge der vorgekommenen Manifestationen unverzüglih den Belage- rungszustand her Madrid ju verhängen. Von den Philippinen liegen keine neuen amtlihen Nachrichten vor, da das Kabel bei Manila abgeschnitten worden ist. i Die Madrider Blätter bezeihnen den vorgestrigen Tag als einen traurigen, aber ruhmvollen; sie rathen an, die Ruhe und das Vertrauen zu bewahren, und hoffen, daß den spanischen Waffen demnächst Triumphe beschieden sein würden.

Die gestrige Gedenkfeier des 2. Mai 1808 wurde unter a Betheiligung der Bevölkerung festlich begangen. ie Truppen defilierten; irgend ein Zwischenfall kam nicht vor.

Belgien.

Wie die Brüsseler Blätter melden, sollen die Verhand- [lungen über den Handels- und Schifffahrtsvertrag R Großbritannien und Belgien, beendet sein.

elgien werde in Großbritannien, den britischen Kolonien und Besißungen als meistbegünstigte Nation behandelt werden. Der neue Vertrag werde in einigen Wochen, sofort nach der Brüsseler Konferenz, unterzeichnet werden ; die Genehmigung durch die Parlamente beider Länder werde jedoch mehrere Monate beanspruchen. Ein prooisorisher Vertrag solle der Kammer demnächst unterbreitet werden.

Schweden und Norwegen.

Der König hat, wie „W. T. B.“ erfährt, das vom norwegishen Storthing am 21. April angenommene Geseh sanktioniert, durch welches das allgemeine Stimmrecht zu den Storthingwahlen allen Männern vom vollendeten 25. Lebensjahre ab gewährt wird.

Amerika.

Das Staats3-Departement in Washington ist, wie „W. T. B.“ meldet, benachrichtigt worden, daß die britische Regierung Telegramme von dem Gouverneur von Singapore erhalten habe, welche die bish:rigen Meldungen über die vorgestrige Seeschlacht vor Manila bestätigten und noh das Folgende besaglen: Nach dem ersten zw: istündigen Gefecht, das mit der Vernichtung des spanischen Geschwaders geendet habe, hätten sich die amerikanishen Schiffe nah dem in der Mitte der Bai von Manila vor Anker liegenden Transportschif zurückgezogen, um Kohlen einzunchmen. Ein amerikanisches Kriegsschiff, dessen Namen nicht angegeben wird, sei außer Gefecht gesetzt worden. Der amerikanishe Admiral Dewey habe alsdann den britishen Konsul ersuht, dem spanishen Gouverneur die Aufforderung überbringen zu lassen, alle Kanonen, Torpedos und den Besiß der Kabelburcaux auszuliefern, mit der Erklärung, daß, wenn diesen Forderungen nicht entsprohen würde, er die Stadt beschießen werde. Die spanischen Offiziere hätten hier- auf eine Besprehung mit dem britishen Konsul und dem Agenten der Kabel-Gesellschaft gehabt; bis zur Beschlußfassung sei die Absendung jegliher Depeschen verboten gewesen. Schließlich habe der Gouverneur die geforderte Uebergabe abgelehnt, ebenso habe er dem Kabel-Agenten die Erlaubniß zu einer Unterredung mit dem Admiral Dewey verweigert. Demnach sei der Beginn der Beschießung Manilas für gestern, Montag, früh zu erwarten gewesen.

Dem „Reuter’shen Bureau“ zufolge wird der Präsident Mc Kinley demnächst eine Proklamation erlassen, laut welcher in Amerika wohnhafte Spanier Namen, Beschäftigung und andere ihre Jdentifizierung bezweckende Angaben zu Protokoll geben müssen, widrigenfalls sie das Land zu ver- lassen haben.

Dasselbe Bureau berichtet, es scheine, als ob sich Japan durch seine Neutralität niht hindern lassen werde, Yoko- hama und andere Häfen Japans den Kriegsschiffen beider kriegführenden Nationèn offen zu halten. Dies würde für Amerika sehr* vortheilhaft sein, da seine Schiffe dort Kohlen einnehmen könnten.

Der Senat hat gestern die Kriegskosten-Bill sowie die Bill, betreffend die Rekrutierung einer Genie-Brigade und von 10 000 Mann, welche gegen das gelbe Fieber immun gemacht werden sollen, angenommen... Das Nepräsentantenhaus genchmigte ohne Abstimmung die Bill, betreffend die Be- schaffung der Mittel für die außerordentlihen Kricgskosten.

Der Dampfer „Yale“, der frühere Schnelldampfer der American Line „Par1s“/, ist, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern Abend mit versiegelten Ordres von New-York in See gegangen. Der Dampfer ist für eine längere Fahrt ausgerüstet.

In Tampa befinden sih zur Zeit 7000 Mann. Zwei Regimenter Kavallerie und Artillerie werden demnächst erwartet.

Eine in Madrid eingetroffene amtlihe Depesche aus Havanna meldet, daß ein amerikanisches Panzerschiff und drei kleine Schiffe an der Küste bei Herradura einen Landungsversuh gemacht hätten. Die Spanier hätten die Schiffe beschossen, die Amerikaner das Feuer erwidert. So- dann hätten sih die Schiffe außer Sechweite zurückgezogen. Nach einer weiteren Depesche hätte die Kolonne Molina die Aufständischen bei Bayamo geschlagen; 30 Ausfständische und ein Spanier seien gefallen.

Das New Yorker Blatt „The Journal“ Yat aus dem Lager des Jnsurgentenführers Gomez in der Provinz Santa Clara cine Depeshe vom 29. April erhalten, in welcher es heißt: der amerikanische Lieutenant Whitney sei in der Nacht zum 28. im Lager angekommen. Derselbe habe von dem Höchsikommandierenden der amerikanischen Armee, General Miles, an Gomez die Anweisung überbracht, die cubanische JInsurgenten-Armee nach einein Punkte zu dirigieren, an welhem sie sih mit den von den Vereinigten Staaten ausgerüsteten Truppen unter General Nunez vereinigen könne. Man glaube, daß es sih um einen Punkt an der Nordküste Cubas andle.

9 Die Regierung von Venezuela hat ihre Neutralität in dem spani\{ch-amerikanishen Konflikt proklamiert.

Aus Rio de Janeiro erfährt das „Reuter'she Bureau“, daß die daselbst vor Anker liegenden amerikanischen Kriegs- chiffe „Oregon“ und „Marietta“ heute in See gehen würden. Das spanishe Torpedokanonenboot „Temerario befinde sih noch in Ensefiada.

Asien.

Der Präsident des Tsung-li-Yamen Prinz Kung is, wie das „Neuter’she Bureau“ aus Peking erfährt, gestern ge- torben. | Nach einer in New York eingetroffenen Privatdepesche aus Hongkong vom gestrigen Tage hätte die Beschießung von Manila bereits begonnen,„ Die Bewohner seien auf das Land geflohen; auch die Telegraphisten vom Bureau der Kabel-Gesellschaft, welches inmitten der Forts liege, hätten sih

geflüchtet. Afrika.

Der Volksraad der Südafrikanischen Nepublik ist, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern in Pretoria dur den Präsidenten Krüger eröffnet worden. Der Präsident führte in seiner Rede aus, daß die Bezichungen zu den auswärtigen Mächten andauernd freundliche seicn. Er hege die Hoffnung, daß der Schriftwechsel mit der britishen Regierung zu einer be- friedigenden Beilegung der A ene zwischen Transvaal und Großbritannien führen werde ; seine ernstesten

Wünsche und fortgeseßten Bemühungen seien auf ein gegenseitige gutes Einvernehmen gerichtet. “Die Diner Den [i E Aufschwung begriffen, ebenso die Landwirthschaft, ungeachtet der dur die Rinderpest und Heushreckenshwärme verursachten Schäden. Die großen öffentlihen Arbeiten ruhten, solange die Entscheidung über die Staatsanleihe noch ausstehe. Der Präsident theilte ferner mit, daß der Staatssekretär Dr. Leyds sich auf seinen neuen Posten nah Europa begeben werde, sobald ein Nachfolger für ihn ernannt sei.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sißzungen des Nei ch8- tages und des Hauses der Abgeordneten befinden si in der Ersten Beilage.

In der heutigen (82.) Sißung des. Rei chs- tages, welher der Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding beiwohnte, wurde die zweite Berathung des Geseßentwurfs, betreffend Abänderung der Zivil- prozeßordnung, bei den die Zustellung von Amtswegen be- treffenden neu eingeschalteten §SS 190 a—190f fortgeseßt.

Hierzu hat der Abg. Dr. Rintelen (Zentr.) mehrere Anträge gestellt, welhe bezwecken, für die Zustellung vereinfahte Formen zuzulassen, auch für die auf Betreiben der Parteien zu bewirkenden Zustellungen. Die Parteien sollen die Wahl haben, die Gerichtsvollzieher mit der Zustellung zu betrauen oder die Vermittelung des Gerichts\chreibers in Anspruch zu nehmen.

Abg. Dr. Rintelen (Zentr.) weist darauf hin, daß der Reichs- tag bereits 1890 die verbündeten Regierungen um eine Vereinfachung des ZustcUlungswesens ersucht habe, weil namentlih bei Prozessen über geringfügige Objekte die Kosten durch das neue Ver- fahren erhebliÞh größer geworden seien. In der Kommissien sei allerdings cine Revision der ganzen Kostengeseßgebung in Aussicht gestellt; allein er hoffe nicht, dieselbe noch zu erleben, da die fig- kalishen Interessen derselben entgegenständen. Wenn feine Anträge abgelehnt würden, so habe er seine Schuldigkeit gethan.

Präsident Freiherr von Buol mahnt die Redner zur Ein- schränkung in thren Ausführungen, da die Tagezordnung heute durchaus erledigt werden müsse, wenn auch mit einer vielleiht längeren Abendsitung.

Abg. Günther (nl.) hält die Anträg? für nit durchführbar; ver Antragsteller habe offenbar sich nicht alle Konsequenzen derselben Targemact.

Staatssekretär des Reihs-Justizamts Dr. Nieberd ing spricht ebenfalls die Anficht aus, daß die Anträge praktish nit durhführbar seten; um sie annehmbar 2! gestalten, würde man fie an die Kommission zurückverweisen müssen, und damit würde die ganze Vorlage scheitern.

Die Anträge des Abg. Dr. Rintelen werden abgelehnt.

Ein Antrag des Abg. Dr. von Dziembowsfki- Pomian (Pole), niht nur für Meß- und Marktsachen, sondern auh für Lohnsachen eine Ladungsfrist von 24 Stunden zu- zulassen, wird nah dem Widerspruch seitens des Geheimen Regierungs-Raths im Reichs-Justizamt Grzywacz abgelehnt.

Jn §8 508 schlägt die Vorlage vor, die Revisionssumme von 1500 / auf 3000 M zu erhöhen. Die Kommission beantragt dagegen, für Ansprüche aus dem Jmmobiliarrechte die Nevisionssumme auf 1500 A zu belassen, im übrigen aber dieselbe auf 3000 M6 zu erhöhen.

Die Abgg. Träger und Genossen (fr. Volksp.) be- antragen, es bei dem bestchenden Geseß zu belassen und jede Erhöhung der Revistionsfumme abzulehnen.

Ahg. Träger: Die Redner aller Parteien haben {ich in der ersten Lesung gegen jede Erhöhung der Revisionsfumme ausgesprochen. Wenn dur die Beibehaltung der Nevisionssumme von 1500 das Neichsgeriht belastet würde, müßte man das Reichs- gericht vergrößern; um die MReichseinheit aufrecht zu erhalten, müßte man eigentli die Revision von keiner Grenze ab- hängig machen. Jett werden \chon die Prozesse über cinen Werth unter 1500 M durch die Ober-Landesgerihte fehr verschieden beurtheilt. Würde die NRevisionssumme auf 3000 4. erhöht, dann würden dret Viertel aller jeßt zur Revision gelangenden Prozesse nicht mehr vor das Reichsgeriht kommen. Das Publikum, insbesondere der Nehtsanwaltsstand, ecblickt in der Erhöhung der Nevisionssumme eine Gefährdung der Nechtésicherheit; man sieht darin die Ent- widckelung einer plutokratishen, fkapitalistishen Rechtsprehung zum Schaden des Mittelstandes.

An der weiteren Debatte betheiligen sih bis zum Schluß des Blattes der Staatssekretär des Reichs - Justizamts Dr. Nieberd ing, der Großherzoglih mecklenburg-\{werinsche stellvertretende Bevollmächtigte zum Bundesrath Dr. Lang- feld, die Abgg. Schmi dt-Warburg (Zentr.), von Salisch (d. fons.), Himburg (d. kons.) und Dr. Rintelen (Zentr.).

Das Haus der Abgeordneten überwies in dcr heutigen (71.) Sigung, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Brefeld beiwohnte, zunächst die Rehnungen der Kasse der Ober-Rehnungskammer für das Jahr vom 1. April 1896/97 der Necinungskömtmifsion und ging dann zur Berathung des Antrages der Abgg. Gamp (fr. kons.) und Genossen über:

„Die Regierung zu ersuchen, die zur Ausführung der reihs- geseßlihen Bestimmungen über die Sonntagsruhe erlassenen Verordnungen nah der Richtung hin einer Revision zu unterziehen, daß dabei die wirthshaftlihen Interessen der Bevölkerung, ins- besondere der Gewerbetreibenden, mehr als biéher Berücksichtigung inden.“

f Abg. Gamp erörtert zunächst die Entstehung der reichsgesehz- lihen Bestimmungen über: die Sonntagsruhe und weist darauf hin, daß {hon damals die Bedenken gegen eine zu weit gehende Schädigung der Gewerbebetriebe erhoben worden seien. Für eine Normierung der Frist, wann ein Geschäft am Sonntage gesclossen sein sol, sei kein Staat ungecigneter als Preußen. Nach der Ausführungsverfügung des Handels - Ministers sollten die Stunden von 7 bis 2 festgeseßt werden, Der Wiinister habe von den in der Reichsgesezgebung gestatteten Ausnahmen keinen Gebrauh gemacht, namentlich nicht bei Genehmigung von Orts- statuten. Es fei mit der Reich8geseggebung nicht vereinbar, daß man den Gemeinden eine Verlegung der Zeit nur dann gestatte, wenn sie ih dazu ents{hlössen, von der reihêgeseßlihen Frist von 5 Stunden eine fallen zu lassen. Gegen die einheitliche Festsegung der Zeit hätten Mit- glieder aller Parteien Widerspruch echoben, z. B. Herr Hiße, der troy seiner sonntagsfreundlihen Stellung bezügli des platten Landes und der kleinen Städte eine Differenzierung empfohlen habe. Die kieinen Kaufleute würden zufrieden sein, wenn sie nur Nachmittags von 2 bis 4 Uhr ihr Geschäft offen halten dürften. Auch Herr Stödter habe sich zu Konzessionen verstanden. Im Abgeordnetenhause habe denselben Standpunkt der Abg. Cahensly vertreten. Die bayerishe Regierung sei viel konniventer gewesen als die preußische. Die Beschwerden der Gewerbetreibenden dauerten fort, obwohl der erste inisterialerlaß vom Juli 1892 durch den Dezembererlaß modifiziert worden sei. Auf diese Beshwerden felbst gehe er niht näher ein; er wolle nur an Weniges erinnern. Die Väder fühlten E geshädigt. Es scien 572 Bäder in dieser Beziehung

efragt worden, und 402 hätten die Frage bejaht. Ein

Bädcker beziffere den Schaden auf wöcentliÞ} 600 A Sie

seien {chlechter gestellt als die Konditoren. Man habe den Unterschied

emadt, daß diejenigen Waaren, denen Zudcker zugeseßzt sei, als Vonditorwaaren zu betrachten feien. Das sei eine ganz willkürliche Unter- scheidung. Gegen die Auffassung des Ministers, daß der Verkauf der Backwaare als Handelsgeschäft anzusehen sei, ließen fh do Bedenken erheben. Es entfprehe dem Gesehe, daß auch der Verkauf zum Handwerk gehöre. Das habe das Kammergeriht anerkannt. Das Fleischer-, das Gärtner- und das Molkereigewerbe beshwerten fich ebenfalls über eine zu weit gehende Belastung. Das leßtere werde wunderbarer Weise als Fabrikbetrieb behandelt. Die Bestimmungen über bie äußere Heilighaltung des Sountitages hbedürften einer Revision. Sogar das Eintreiben des Kleinviehs während des Gottes- dienstes sei verboten, obwohl doch vie Regierung wissen müfse, daß das Vieh auch während des Gottesdienstes der Pflege bedürfe. Die Polizeiverordnungen, fährt Redner fort, sind für die Landwirth- schaft {chädlich und eigentlih überflüssig. Es werden auf dem Lande nur durdzaus nothwendige Arbeiten am Sonntage verrichtet. Die úIndustrie hat in dieser Beziehung einen viel größeren Spielraum als die Landwirthschaft ; hier soll die Arbeit nur zulässig sein mit Genehmigung der Ortspolizeibehörde. Wie kann man aber den kleinen Bauern zumuthen, daß er ers 17 Meilen zum Amtsvorsteher laufen muß! In solchen Fällen sollte der Ortisvorsteher befugt sein, die Ge- nehmigung zu ertheilen. Die Gärtner sind infofern {limm daran, als fie am Sonntag nit Spargel stehen und Obst pflücken dürfen. in Lehcer in Westfalen is bestraft worden, weil er om Sonntag Nachmittag seine Rosen im Garten be- schnitten hatte. In Westfalen i die Jagd völlig unter- sagt, bei Berlin nur während des Hauptgottesdienstes. Ueber die Ausübung der Jagd existieren in Preußen vier verschiedene Bestim- mungen. Durch das Jagdverbot werden die Gemeinden aufs shwerste geschädigt und mit ihnen Tausende und Abertausende. Auch ih bin nicht dafür, daß die Jagd garz freigegeben wird. Während des Hauptgottesdienstes sollten Het- und Treibjagden unterbleiben. Ich will also vie religiösen Gefühle nicht verleßt wissen. Nicht jede Jagd ist mit Geräusch verbunden. Æchch erinnere nur an den Krammetsvögelfang. Ganz uner findlich i, warum der gänzlich geräushlose Fischfang und das Angeln beshräxkt wird. Die Bestimmungen über das Verhängen der Schaufenster \si-d in Berlin gemildert worden. Die Schaufenster solltea nur während des Gottesdienstes und kurze Zeit vor und nach) dems- selben verhängt werden. In Bezug auf die vorbereitenden Arbeiten für den Montag sind die Handwerker ebenfalls \schlechter ge- stellt als die Industrie, und die Landwirthe können am Sonntag niht einmal das Glatteis beseitigen. Wenn alle Polizeibestimmungen ausgeführt würden, so hätten wir in der That den englischen Sonn- tag. Eigentlich dürfte der Reichskanzler am Sonntag nicht spazieren fahrcn, denn das is eine „öffentli bemerkbare Arbeit“. Das Kammergericht hat einen wesentlihen Theil einer Verfügung des Ober - Präsidenten von Posen für rechtsunverbindlich er- klärt, indem es feststellte, daß während des -Sonntags nur solche Lustbarkeiten verboten werden dürfen, welhe die innece Samm- lung, nicht nur des Einzelnen, sondern auch der Allgemeinheit, zu ören geeignet sind. Die Polizei hat wiederholt Straf- mandate eriafsen, obwohl thr bekannt gewesen ist, daß das Geriht nicht nur auf Freisprehung erkannt, fondern fogar die Prozeßkosten auf die Staatskasse übernommeu hat. Die Polizeiorgane müssen besser instruiert werden. Die Zahl der Ueber- tretungen in Preußen hat sich im Gegersaß zu den übrigen Staaten verméhrt; däs beweist, wie rigoros die Polizei vorgeht. Man follte fich den Forberungen der gewerblihen Interessen nit verschließen. Nehmen Sit unsere Resolution an.

Abg. Pleß (Zentr.) beïämpft den Antrag und führt aus: Die Zeit ist noh viel zu kurz, um beurtheilen zu können, ob die Aus- führung¿verordnungen sich bewährt haben oder nicht. Hier heißt es: . principiis obsta. Das Gebot Gottes muß respektiert werden: Du folls decn Sonntag heiligen. Die eigentlichen Arbeiter haben das Gescß über die Sonntagsruhe von Anfang an mit großer Freude aria aker auch der Handel hat si mit der Zeit darein ges{ickt. Verläßt man den religiösen Stand- punkt, so geräth man auf eine shiefe Ebene. Das Gesetz hat ja für den Anfang manWhe Unbequemlichkeiten gchabt ; kein vernünftiger Mensh wird \sch Abänderungen wider- seßen, nur hat man bisher feine hinreichenden Erfahrungen gemaht. Auch ich bin kein Freund des engliswen Sonntags, die Erfahrung hat aber gezeigt, daß Handel und Wandel dort nit Schaden leiden. Redner wendet sich darauf gegen die einzelnen Aus- führungen des Abg. Gamp und wiederholt, daß heute noch nit die Zeit gekommen sei, an dem Gese zu rüttela.

(Schluß des Blattes.)

Der Geheime Bergrath Leuschner, Mitglied des Reichstages, ist, wie „W. T. B.“ meldet, heute in Eisleben

gestorben.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Die Armenpflege in Bayern in den Jahren 1894 und 1895.

Im neuesten Heft der „Zeitschrift des Königlich bayerischen Statistischen Bureaus“ if eine eingehende statistische Nachweisung veröffentliht, welhe die Entwickelung des Armenwesens im Königreih Bayern in den Jahren 1894 und 1895 zu übersichtlicher Darstellung bringt. Wir entnehmen derselben folgende Angaben über die darin unterschiedenen drei Arten der Armensfürsorge, die gemeinde liche, die Distrikts- und Kreitarmenpflege und die organisierte Privat- wohblthätigkeit.

Die Zahl der Personen, an welche in den Jahren 1894 und 1895 Unterstüßungen seitens der öffentlihen gemeindlihen Armen- pflege verabreicht wurden, beträgt 187 002 bezw. 185 058, Gegen das Jahr 1893 bedeuten diese Zahlen eine vershiedene Zunahme, da in diesem Jahre die gleihe Zabl auf 180198 ih belief, sodaß die Steigerung im Jahre 1894 sich auf 6804 = 83,89%/% beziffert; im Jahre 1895 ift die Zahl der Unterftüßten zwar wieder um 1944 zurückgegangen, aber doch um 4869 (2,7 9/0) höher als im Jahre 1893. Auf je 100 der Bevölkerung8zahl berehnet, ergiebt fich eine Unter- stüßtenziffer von 3,3 im Jahre 1894 und 3,2 im Jahre 1895, also keine wesentlihe Aenderung gegen 1893, in welhem Jahre 3,2 Unter- stüßte auf 100 Einwohner trafen.

Für die richtige Beurtheilung der mitgeiheilten Gesammtzahlen ift es vor allem von Bedeutung, wie viele von den unterstützten

ersonen als dauernd und wie viele als vorübergehend unterstützt anzusehen sind. Die amtliche Statistik betrahtet als dauernd unterstüßt diejenigen ganz oder theilweise arbeitsunfähigen Personen, welche zur Fristung des Lebens oder zur Erziehung eine längere Zeit dauernde oder regelmäßig wiederkehrende Unterstüßung in Geld oder Naturalien seitens der Armenpflége erhalten, also beispielsweise au solche Personen, welche ledigli eine Wohnung im Armenhause oder zu Lasten der Armenpflege den Unterhalt in einer Pfründeanstalt genießen. Zu den vorübergehend unterstüßten Personen sind alle Personen ge- ¿ählt, welche, ohne regelmäßige ntersignng zu empfangen, wegen augenblicklicher Bedrängniß oder Krankheit vorübergehende Unter- stüßung oder Krankenhilfe erhalten, also insbesondere Personen, welchen Miethzins-, Kleidungs-, Holzgeldbeiträge oder auf die Dauer einer Krankheit ärztliche Hilfe, Pflege und Heilmittel gewährt werden. Auh verstorbene mittellose Personen, für welche die Beerdigungskosten von der Armenpflege getragen oder vorgeshossen werden müssen, sind hier gezählt. Nach dieser Unters jung ergiebt sch für die Kategorie der dauernd Unterstüßten in den Berichtsjahren 1894 und 1895 eine Gesammtzahl von 112 751 bezw. 110734 = 60,3 bezw. 59,8% und für die Kategorie der vorübergehend Unterstüßten eine Gesammtzahl von

74251 Fezw, 74 324 = 39,7 Lezw. 402%, Die {on erwähnte Zunahme der Zahl der unterstützten Personen seit dem Jahre 1893 entfällt zum größeren Theil auf die vorübergehend Unterstüßten.

Bringt man von der Gesammtzahl der dauernd unterstützten Pecrsoven die Summe der im jugendlichen Alter stehenden, d. i. der- jenigen, welde vor Eintritt in das erwerbsfähige Alter auf Kosten der öffentlihen Armcnpflege erhalten und erzogen werden mußten oder welhe doch wenigstens zu Laften derselben Sculgeld- oder Lehr- mittelbefreiung genossen (51 669 bezw. 50211 = 27,6 bezw. 27,19/0 aller untezrstüßten Personen, und zwar 19 516 bezw. 19 441 auf Rechnung der Armenpflege erhaltene und erzogene und 32 153 bezw. 30 770 ledigli mit Schulgeld- oder Lehrmitte!befretung bedahte jugendliche Personen), in Abzug, so verbleibt diejenige Gruppe, auf welche bei der Würdigung des Gesammtergehnisses der Erhebung wohl das meiste Gewicht zu legen ist. Es ift dies im eigentliwen Sinne die Gruppe der Ver- armten, d. h. jener Personen, welhe mangels eigener zureihender Kräfte dauernd außer stande find, das zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit Unentbehrliche in gernügendem Maße fich zu beschaffen. Für die Verichtsjahre berechnet fch die Gesammtzahl der hierher gebörigen Personen auf 61 082 bezw. 60523 = 3279/9 aller unter- stüßten Personen, während fie im Jahre 1893 59 663 = 33,1% betrug, sodaß für die Berichtéjaßre hier eine Zunahme um 1419 bezw. 860 Personen zu verzeichnen ist. Das Prozent der Gesammtbevölkerung berechnet sich auf 1,07 bezw. 1,04%, sodaß im allgemeinen auf je bundert Einwohner eine verarmte, dauernd auf die Beihilfe der öffentliGen Armenpflege angewiesene erwahsene Person kommt. Eine dritte Act dauernder Unterstüßung bildet die Unter- bringung in Heil-, Pflege-, Erziehungs- und ähnlichen Anstalten. În dem Berichtsjahre zählte diese Gruppe 17 108 bezw. 17 852 = 15,2 bezw. 16,1% aller dauernd Unterstüßten. Im Jahre 1893 wurden hier 16 793 oder 14,9 9/9 Personen gezählt.

Bei der Hauptaruppe der vorübergehend unterstüßten Personen unterscheidet die Statistik zwishen ganz oder theilweise arbeitsunfähigen und arbeitsfähigen Personen. Erstere wurden mit 48 953 bezw. 50574 = 65,9 bezw. 68,0 9/9 dieser Haupt- grupye und leßtere mit 25 298 bezw. 23750 = 34,1 bezw. 32,0 9/0 ermittelt, gegen 44526 = 65,3 9/6 und 23668 = 34,7 9% im Sahre 1893, Gegenüber der Gesammtzahl der unrstütten Personen bilden die vorübergehend unterstüßten Arbeitsunfähigen 262 bezw. 27,3 9% und. die vorübergehend unterstützten Arbeitsfähigen 13,5 bezw. 12,9 9/6 (gegen 24,7 bezw. 13,1% im Fahre 1893).

Die Bethätigung der gemeindlihen öffentlichen Armenfürsorge in dem angegebenen Umfange hat in den Jahren 1894 und 1895 einen gesammten Aufwand von 8035005 bezw. 8171 050 4 erfor- derlih gemacht, fodaß fi gegen das Jahr 1893 eine Steigerung, und zwar um 199146 bezro. 335191 4 = 2,4 bezw. 4,10% ergtebt. Der Hauptantheil des Auswandes trifft, wie sfi nach den obigen Zahlen erwarten läßt, mit 6 451 708 bezw. 6 596 080 A = 80,3 bezw. 80,7% auf tie dauernden Unterstüßungen. Will man den Armenaufwand mit der Gesammtbevölkerung in Vergleich bringen, so findet man, daß auf den Kopf derselben entfallen vom Gesammtaufwand in beiden Jahren 1,40 Æ, dann vom Auswand für dauernde Unterstüßungen 1,12 bezw. 1,13 A, für vorübergehende Unterstüßungen 0,28 bezw. 0,27 Æ, vom Aufwand für Unterstüßung der Verarmten 0,89 bezw. 0,91 , für Unterstüßung von jugendlichen Personen 0,23 bezw. 0,22 M, endli für Ünterstüßung von Arbeitsfäbigen 0,07 bezw. 0,06 Dieser Aufwand wird nicht seinem ganzen Betrage nach unmittelbar von der Bevölkerung aufgebraht; vielmehr findet ein uamhasfter Theil desselben durch die eigenen Einnahmen der Armen- pflegen, insbesondere aus ven MRenten der Armenfonds, seine Deckung. Die Zusammenstellung der Zahl der unterstützten Personen und des für die Unterstüßungen erwachsenen Aufwandes läßt ersehen, wie viel die unterstützten Personen im allgemeinen und inner- halb der beso 3 ausgeschiedenen Gruppen im Laufe der Berichts jahre durchschnittlich einzeln an Unterstüßungen bezogen haben. Diese durhshnittlichen Unterstützungen betrugen

im Jahre für je eine 1894 1895 M. A unterstüßte Person im allgemeinen i 480 44,2 dauernd unterstüßte Person . . Ca 6. 07S 59,6 vorübergehend unterstüßte Person 213 21,2 dauernd mit Geld unterstüßte Person 41,9 43,6 dauernd mit Naturalien unterstüßte Person . . . „.. 30,1 28,9 in einer Anstalt untergebrahte Person .... .. ,1320 1326 unterstüßte jugendliche Person . ao A NDD 26,0 von der Armenpflege erhaltene und erzogene jugendliche

Person L O8 60,4 auf Kosten der Armenpflege Shulgeld- oder Lehrmittel-

besreiung genießende jugendliche Person. . ..,. 42 4,2 vorübergehend unterstüßte, ganz oder theilweise arbeits-

unfäbige Person S2 ERE 23,9 vorübergehend unterstüßte arbeitsfähige Person. . . . 15,3 15,3 verarmte Person 87,4

Die Distrikts- und die Kreisarmenpflege unterscheiden sich ven der gemeindliden Armenpflege in zwei wesentlihen Punkten. Einmal haben sie nur subsidiär, nämlich nur zur Unterstützung der mit Armerlasten überbürdeten Gemeinden einzutreten, und des weiteren ist ihre Thätigkeit, insbesondere soweit sie die . Unterhaltung und den Betrieb eigener Anstalten und Einrichtungen um- faßt, niht ausschließliÞh auf die Fürsorge für Unterstützungs- bedürftige im Sinne des Armengeseßes beschränkt, sondern hat ganz allgemein Wohlthärigkeitszroecke zum Gegenstand. In den Be- rihtéejahren beirugen die gesammten distriktiven Leistungen für Armenzwccke 1105 939 bezw. 1194221 #, wovon insbesondere 253 100 bezw. 260 777 M glei 22,9 bezw. 21,8 9/0 auf Unterstüßung überbürdeter Gemeinden, ferner 401 869 bezw. 472601 M gleich 36,3 bezw. 39,6 9/9 auf Unterhaltung und 167 609 bezw. 178 065 M4 glei 15,2 bezw. 14,9 9/9 auf Neuerrihtung von diftriktiven Wohl- thätigkeitsanstalten, endli 39 029 bezro. 43 674 Æ gleih 3,5 bezw. 3,7 °%/o auf Vermehrung der Distriktsarmenfonds und 244332 bezw. 289 104 M glei 22,1 bezw. 20,0 9/9 auf fonstige Leistungen entfallen. Der auf Unterstüßung überbürdeter Gemeinden aufgewendete Betrag repräfsentiert gegenüber dem oben angeführten Unterstüßungsaufwand der sämmtlihen gemeindlihen Armenpflegen 5,0 bezw. 5,1 9/0; daran haben 1388 bezw. 1434 Gemeinden gleich 17,3 bezw. 17,9 9% fämmtliher und 21,0 bezw. 21,7 % der zu den Armenkassen Zuschuß leistenden Gemeinden theilgenommen. Als Aufwandssummen der Kreisarmenpflege, welhe nah ihren etatsmäßigen Zwecken der Armenfürsorge und Wohlthätigkeit am meisten sich nähern, ergeben fich für die Berichtsjahre 1840313 bezw. 1 639 699 4, gegen das Jahr 1893 mit 1 786 036 M4 mehr um 54277 bezw. weniger um 146 427 M

Ällenthalben bildet die private Wohlthätigkeit eine wesent- lihe Ergänzung der auf geseßlihen Bestimmungen und öffentlichen Einrichtungen beruhenden Armenfürsorge. Die Formen, in denen diese Wohlthätigkeit geübt wird, find indessen zu mannigfaltig, als daß sie sämmtlich in den Rahmen einer slatistishen Nachweisung ge- faßt werden könnten. Die amtlihe Statistik berücksichtigt daher nur die Thätigkeit: jener privaten Anstalten und Vereine, welhe ihre Wirk- samkeit in ziffermäßigen Aufstellungen zusammenzufassen und diese den Erhebungsorganen zur Verfügung zu stellen in der Lage sind, in der

auptsache demna die organisterte Privatwohlthätigkeit.

ie Gesammtzahl der in den privaten Wohlthätigkeits- anstalten unterstüßten Personen betrug 59970 bezw. 66198 in den Berichtéjahren gegen 57 771 im Jahre 1893, und der gesammte Aufwand für diesen Zweck bezifferte sich auf 3059081 bezw. 3040738 # gegen 25894609 A im Jahre 1893. Für je eine unterstüßte » vibis berednet sch danach der Dur(hh- \chnittsbetrag der Unterstüßung bezw. thr Werth auf 51,01 bezw. 45,9346 Die Zahl der von den privaten Wohlthätigkeitsvereinen unterstüßten Personen betrug 61267 bezw. 61 030, wovon die meisten, nämlich 32 774, bezw, 33 568, auf die Vereine für freiwillige

Armenpflege zu rechnen sind. Aebnlich ist das Verhältniß bei den Ausgaben für diesen Zweck, welche bei sämmtlihen Vereinen zusammen 1 236 060 bezw. 1 177 272 M, bei den Vereinen für freiwillige Armen- pflege allein 692 646 bezw. 661 538 M betrugen. Berechnet man auh hier wieder die durchschnittliche Höhe der auf eine Person treffenden Unterstützung, fo ergiebt sich für sämmtlihe Vereine ein Betrag von 20,08 bezw. 19,29 M

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Mühlhausen i. Thür, wird der „Magdb. Ztg.“ ge- schrieben: Der Ausstand der Maurer ist nach zehnwöchiger Dauer beendet. In einer Maurerversammlung wurde am Freitag beschlossen, die Arbeit am gestrigen Montag zu den vor dem Einigungs- amt {on von den Meistern zugestandenen Bedingungen wieder auf- zunehmen.

In Eilenburg haben nach demselben Blatt die Ziegelet- arbeiter, wohl 70 und mehr an der Zahl, die Arbeit eingestellt, da ihnen eine Lohnerhöhung von 75 „S auf das Tausend Steine nicht bewilligt wurde. Die Preise für Mauersteine sind hier in letzter Zeit bedeutend gestiegen, und damit begründen die Arbeiter ihre Forderung, obglei manche Arbeiter jeßt {on wöchentlich bis 30 Mark und mehr ver- dienen. Die Besißer der vier großen Ziegeleien woUen keinen Arbeiter wieder annehmen, der sch am Ausstande betheiligt hat.

Hier in Berlin fand am Sonntag die Eröffnungsfeier des kfatholishen Arbeiterheims „Leo-Hospiz“ ftatt.

In Glasgow befinden si, der Londoner „A. K." zufolge, die Buchbinder im Ausstande, weil ihnen für das Einbinden von Bibeln zu niedrige Löhne bezahlt würden.

Kunst und Wissenschaft.

In der leßten Sizung der Berliner Gesellschaft für Anthropologie legte Herr Dr. Milchner zwei auf seiner Reise in Japan erworbene japanishe „Zauberspiegel“ vor, welche großes Interesse erregten. Obgleich das Geheimniß dieser Spiegel bereits vor längerer Zeit durch Muru Oku (Verhandlungen der ost- N O zu Tokio, 1884) enthüllt worden ist, bereitet ihre Vorführung wie die Mittheilung der Erklärung noch immer große U-berrashung. Man sieht einen kreisrunden Metallspiegel von der Größe eines gewöhnlihen Tellers, hergestellt aus einer Legierung von viel Zinn und wenig Kupfer und de8halb beinahe wie Silber glänzend. Beim Hineinblicken in den Spiegel, der ein 4,8 bis 5 mm starkes Blech darstellt, erkennt man ihn als einen gut ges{lifffenen und fein polierten Planspiegel ; reflektiert man aber darauffallendes Sonnen- oder Lampenlicht auf eine weiße Wand, so ist das entstehende kreis- runde Bild nicht cine weiße Lichtscheibe, wie man annehmen follte, sondern es erscheint bei dem einen Spie als Schattenbild ein Drache, den man als Hochrelief auf der Abseite des Sptegels findet, bei dem zweiten das scharf gezeihnete Schattenbild eines Buddha mit Strahlenkrone vor einem fein gerippten, großen Lotosblatte. Bon leßterer Zeichnung ist auf der Rückseite des Spiegels nichts zu sehen. Der Spiegel in der Gestalt diescs zweiten, aus einem Buddha-Temvel stammenden Wundersfpiegels if die gebräuhlihe Form; dem ersten fehlt nur die Delkplatte, welhe bei dem zweiten forgfältig in den umgebogenen Rand hineingeschoben und mit dem Rande verlöthet ift. Zuch das Buddha-Bild befindet \sich als Hoch- relief auf dem Rücken des Spiegels und is gleichzeitig mit demselben durch kunstvollen Guß aus einem Stück hergestellt. Die Erklärung der Wunderersheinung, womit die Buddha-Priester vor den Gläubigen so geschickt operieren, daß der Zauberspiegel in manchen Tempeln als das größere Heiligthum im Vergleich zu der nie fehlenden Gestalt des thronenden Buddha gilt, ist diese: Der Spiegel ift nur für das unbewaffnete Auge plan, in Wahrheit sind es die Stellen nur, welche dem hinten angelegten Hochrelief entsprehen , während die Stellen dazwischen sfih leiht konvex gekrümmt zeigen. Diese Eigen- thümlichkeit ergiebt sich nach Herstellung und Erkaltung des Spiegels infolge molekularer Spannungéänderungen von selbst und ohne alles Zuthun; erleihtert wird die Aenderung wohl durch die geringe, auf kaum 1 mm zu verans{chlagende Die des Bleches an den sich konvex gestaltenden Theilen des Spiegels. Trifft auf den so be- schaffenen Spiegel Licht, so wird nur das auf die planen Theile fallende regelmäßig reflektiert, das auf die konvexen Stellen fallende dagegen fonzentriert. Es folgt hieraus, daß an der Wand ein Schattenbild entstehen muß von der Form der auf der Rück- seite des an sich undurchsichtigen Spiegels angelegten Hochreliefs. Vom Vorstandstisch wurde noch mitgetheilt, daß günstige Nachrichten eingetroffen sind von den Forshungsreisenden Professor Bastian, der seine Rückehr noch verschoben hat, von Professor Carl von den Steinen, der in Auckland eingetroffen is, und von Professor Shwein- furth, der in Egypten wiederum wichtige Funde aus der Steinzeit gemacht hat. Recht interessante Gräberfunde sind von Herrn Premier- Lieutenant Mathes vom 141. Regiment bei Grubno, Kreis Kulm, und bei Grutshno, Kreis Bel gemaht und durch farbige Dar- stellungen dem Museum für Völkerkunde bekannt gegeben worden. A. F.

Unter der Ueberschrift „Aus\ichtsveränderungen in Thü- ringen“ enthält das foeben ershtenene 4. Heft (44. Bandes 1898) von „Petermann's Mittheilungen aus Justus Perthes? Geographischer Anstalt* (Gotha) folgende Mittheilung und Bitte:

In dem ersten Heft der „Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Thüringerwaldes“, herausgegeben 1884 von Prof. Dr. Regel im Auftrag der wifssenshaftlihen Kommission des Thüringerwald- Vereins, ferner in den „Mittheilungen der Geogr. Gesellshaft für Thüringen zu Jena“ 1886/87 sind eine Reihe Beobachtungen aus Thüringen veröffentliht worden, wona jeßt von manchen Punkten aus benach- barte Orte oder Theile einzelner Bauwerke daselbs gesehen werden fönnen, welhe früher von jenen aus nicht gar roaren, oder um- gekehrt früher siGtbare Punkte jeßt niht mehr gesehen werden können, sodaß die Vermuthung nahe liegt, daß in den Beobachtungsgebieten stellenweise langsame Bodenbewegungen stattgefunden haben oder noch vor sich gehen.

Da durch die jeßt bevorstehenden Höhenbestimmungen für die neue Landesaufnahme von Thüringen die derzeitige Höhenlage einer großen Anzahl von Punkten forgfältigst festgestellt wird, so würde es von hohem Interesse sein, zu erfahren, ob seither weitere Bes obahtungen über Erscheinungen genannter Art gemacht worden sind. Die unterzeihnete Kommission spriht daher die Bitte aus, von etwaigen Wahrnehmungen dieser Ari (gleihoiel ob aus jeziger oder aus früherer Zeit) im Interesse der Landeskunde freundlih|t Mit- theilung machen zu wollen, und zwar an Wr P. Kaÿle, Braun- \{chwetg, Technishe Hochschule, welcher diese Ersheinung weiterhin an der Hand von Mefsungen, Bermarkungen und photographtischen Aufs- nahmen zu untersuhen beabsichtigt.

Bon hohem Interesse würden auch Mittheilungen sein, welche sich auf bereits früher mitgetheilte Fälle von Ausfichtsänderungen beziehen (ob weiterhin beobachtet oder nit). Es wird gebeten, soweit hierauf bezüglihe Ermittelungen dem Herrn Einsender möglih sind, beifügen zu wollen, ob im Zwischenland Abholzungen, größere Ab- tragungen oder dergl. vorgenommen worden find oder sonst ein Grand für die Erscheinung angeführt wird.

E Die Zentralkommission

für wissenschaftlihe Landeskunde von Deuischland.

I. A.: Professor A. Kirchhoff (Halle).

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Griechenland. Die griechis{che Regierung hat für die aus Djeddah kommenden Siffe in Delos eine zehntägige Quarantäne, vom Tage der Ankunft an gerechnet, verfügt.