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¿eugen, daß die Gesichtspunkte, die von dem Herrn Abg. Stadthagen hier hervorgehoben worden sind, in diesem Falle nicht durchgreifen. (Sehr richtig !) Deshalb, meine Herren, lasse ich mi auf die nähere Diskussion nicht ein. Jh kann es um so weniger thun, als mir die Anträge gedruckt noch garnicht einmal vorliegen. Jch stelle mi auf den prinzipiellen Standpunkt — und ih möchte das hohe Haus im Interesse der Sache bitten, diescn Standpunkt ebenfalls einzu- nehmen: Fragen, die in der Kommission niht diskutiert worden find auf diesem Gebiete, eignen ih zur Annahme im Plenum nicht, und deshalb bitte ih das hohe Haus, die Wünsche des Herrn Abg. Stadthagen na beiden Richtungen hin abzulehnen. (Bravo!)
Abg. Dr. Rintelen (Zentr.) erklärt sih gegen alle über die Vorlage und die Kommissionsbeshlüsse hinausgehenden AURSEe,
Abg. Stadthagen führt aus: wenn die Tendenzen fo ofen zu Tage träten, ausländische Arbeiter zuzulassen und die Zuchthäuser und Korrigendenanstalten zu öffnen, um den freien Arbeitern die Er- ringung befserer Lohnbedingungen zu erschweren, wenn man von der Einschränkung des Koalitionsre{ts und der Freizügigkeit spreche, dann liege die Gefahr nahe, daß die Neichsgeseße dur Landesgesetze Tahm gelegt würden. Dagegen müsse etne Garantie geschaffen werden.
Die Anträge werden abgelehnt.
Abg. Stadthagen beantragt im S§ 71 des Gerichts- verfafsungsgeseßes, bei den Landgerihten als Berufungsinstanz für die Gewerbegerichte zwei Beisißer des Gewerbegerichts, einen Arbeiter und einen Arbeitgeber, hinzuzuziehen ; denn die Aaudaeciibte hätten die fehr sfachgemäßen Urtheile der Gewerbegerihte meist aus ledigli formalen Gründen aufgehoben. Der in der Kommission gemachte Versuch, die Sache durch die Landesgeseßgebung regeln zu lassen, sei niht annehmbar.
Au dieser Antrag wird gegen die Stimmen der Sozial- demokraten abgelehnt.
Abg. Stadthagen beantragt ferner, in den §8 179 und 180 des Gerichtsverfafsungsgeseßes die Ordnungsstrafe nicht nur gegen Parteien, Beschuldigte, Sachverständige, Zeugen iu echtsanwalte, sondern auch gegen Staatsanwalte zu- zulassen. : :
Der Antrag wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten ebenfalls abgelehnt. : i
Nach dem neu eingeshalteten § 49a der Zivilprozeß- Ens kann auch ein nicht rechtsfähiger Verein verklagt werden.
Abg. Beh (fr. Volksp.) beantragt, einen nit rechtsfähigen Berein als parteisähig anzuerkennen, und ¿war nicht nur als Be- Tlagter, sondern auch als Kläger.
Staatssekretär des Reichs-ZJustizamts Dr. Nieberding:
Es ift richtig, daß es ih bei dem vorliegenden Antrage nur um einen Theil der gesammten Rechtsfähigkeit handelt, um die Partei- fähigkeit. Es ist auch rihtig, daß, solange dieser Antrag niht in das Geseg übergegangen is, in der Praxis mannig- fahe Schwierigkeiten den Vereinen in der Rechtsverfolgung er- wachsen. Das erkennen die verbündeten Regierungen an. Jn diesen Schwierigkeiten soll aber für die Vereine gerade auch die Ver- anlafsung liegen, den Weg zu beshreiten, den das Bürgerliche Gesetz- buch gegeben hat, um die Rechtsfähigkeit zu erlangen. Sobald die Vereine anf dem Wege, den das Bürgerliche Geseßbuh gewährt, die Rechtsfähigkeit erhalten haben, fallen die von dem Herrn Antrag- steller dargelegten Schwierigkeiten vollständig weg.
Nun hat dieser bestritten, daß in dem Sinne, wie Ihre Kom- mission beschlossen habe, ein Kompromiß zu stande gekommen sei bei der sehr s{wierigen und verwickelten Diskussion, die in der Kom- mission für das Bürgerliche Geseßbuch, betreffs der Rechtstellung der Vereine, stattgefunden hat. Ih muß da das, was der Kommissionsberiht zutreffend sagt, auch meinerseits bestimmt ver- treten. Was wir dem Hause in der Vorlage bringen, entspricht völlig dem, was Kompromiß zwischen Kommission und Regierung war und als soles vom Reichstage anerkannt wurde, dahin gehend, daß, weil man nit alle Vereine zur Rehtsfähigkeit auf dem Wege, den das Bürgerliche Geseßbuch vorgesehen hat, zulassen könne, man gleihwohl den davon ausgeschlossenen Vereinen eine gewisse Vertretungsfähigkeit innerhalb des Prozesses gewähren wolle. Weiter aber als bis zu dem Maß von Parteifähigkeit, welches die Vorlage vorsieht, wollten die Regierungen nicht gehen, und wollte auch die Kommission die Regierungen nicht zwingen zu gehen. Wenn die Regierungen nun völlig loyal das in den Entwurf eingeführt haben, was zwishen Kommission und Regicrungsvertretern früher vereinbart worden ift, so war es ebenso loyal, wenn die Kommission ih einfa
dem Regierungsvorschlage anschloß. Ich kann Sie daher nur bitten, dem Vorschlage der Kommission
beizutreten und niht neue und große Schwierigkeiten zu {hafen dur ein Eingehen auf diesen Antrag.
Der Antrag wird abgelehnt. j /
Zu § 99 hat die Kommission einen Zusay beschlossen, wonach sih das Gericht bei der S egung der Kosten der Hilfe des Gerichtsschreibers bedienen dürfe.
Abg. Beckh hatte beantragt, diesen Zusaß zu streichen, zieht seinen Antrag aber zurü. i : |
Geheimer Regierungs-Rath im Reichs-Justizamt Grzywacz er- klärt das Einverständniß der Regierung mit dem Beschlufse der Kom- mission in der Einschränkung, wie dies in der Kommission geschehen sei.
Abg. Schm idt- Warburg (Zentr.) spriht seine Befriedigung über diejen Zusaß aus. /
Abg. Dr. von Dziembowski-Pomian beantragt zum § 102, von Ausländern keine Ren lung für die Prozeßkosten u ‘fordern, wenn es \sich um Klagen auf Arbeitslohn handele; ebenso olle den Ausländern das Armenrecht nah § 106 gegeben werden, wenn es S um Lohnforderungen handle, soweit die Geyenseitigkeit verbürgt sei.
Wekeimer Ober-Regierungs-Rath im Reichs-Justizamt Freiherr von Seckendorff weist darauf hin, daß die Ausdrücke „Arbeits- lohn, Lohnforderungen*“ keine genügend Pre terten seien. Es fehle au an jedem praktishen Grunde für solhe Anträge, da über diese Dinge bereits ein internationaler Vertrag abgeschlossen sei.
Der Aas wird abgelehnt. h
Nach § 143 der Regierungsvorlage können Rechtsagenten, Rechtskonsulenten seitens der Iusidioetwältung zugelassen werden.
Abg. Dr. von Dziembowski-Pomian beantragt, diese Aenderung zu streichen.
Abg. Bèckh beantragt, vorzushreiben, daß das Gericht Be- vollmätigte und Beistände, welhe das mündlihe Verfahren vor Gericht geshäftsmäßig betreiben, zurückweisen könne. Gegen die Zurückweisung solle Beschwerde zulässig sein.
Abg. Schmidt - Warburg beantragt, die Zulassung folcher Rechtsbeistände nur dann zu gestatten, wenn wegen Mangels einer
enügeaden Anzahl von Rechtsanwalten anu dem Orte des Gerichts ein Bedi iß vorliege. :
" Abg. TILR (Rp.) beantragt, in diesem leßten Antrage das Wort „nur“ zu streichen.
Tf Beckh hält es für unrichtig, einzelne Personen zuzulassen. Dakei könnten allerlei persönlihe oder politishe Rücksichten maß- gebend fein. Man s\olle die Ausschließung von Fall zu Fall ftatt-
es lassen und den einzelnen Konsulenten das Recht der Be- chwerde geben.
Abg. Träger (fr. Volksp.) erklärt, der Vorredner habe nur seine eigene Meinung ausgesprochen; er stehe mit seinen Freunden vollständig auf dem Standpunkte der Kommissiorsbes{chlüsse. Er habe die Agitation seiner Kollegen vom Nechtsanwaltsstande nicht recht ver- standen; die Anwalte sollten zu vornehm sein, um in dieser Beziehung von einer Konkurrenz zu sprechen.
Abg. Dr. Stephan (Zentr.) hält die Bestimmung der Vorlage doch für bedenklich. Car die Nechtskonsulenten werde dadurch keine größere Sicherheit geschaffen ; denn ihre Zulafsung sei jeden Augenblick wider- ruflih, und die Rehtsanwalte hätten do mehrfach Bederken gegen die Zulafsung der Konsulenten geäußert. Ein verständiger Amtsrichter würde geeignete Persönlichkeiten tmmer als Nechtsbeistände zulassen. Redner ewpfiehlt die Streichung der Bestimmung.
Abg. Dr. von Dziembowski- Pomian chließt sich diesen Aus- führungen an.
Abg. Schmidt- Warburg empfiehlt feinen Antrag, der das Bedenken beseitige, daß die Rechtsbeistände auch dort zugelassen werden könnten, wo genügend Anwalte vorhanden seten.
Abg. Gamp: Wenn die Rechtsanwalte sih an den fkletnen Amitsgerichten nit niederlassen, dann kann man es den Ein- wohnern, namentlih auf dem platten Lande, niht verdenken, wenn fie sih an die Rechtskonsulenten wenden, welche jedenfalls geschäfts- gewandter sind als die Landleute. Die Regierungsvorlage is das Mindeste, was im Interesse des Publikums angenommen werden muß.
Staatssekretär des Reichs -ZJustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Ich möchte am liebsten den Weg des Herrn Abg. Träger gehen: statt aller weiteren Nepliken auf die Ausführungen, die soeben hier gemaht worden sind, mich berufen auf den Bericht des Herrn Berichterstatters der Kommission. Denn auch ich muß an- erkennen, daß, wie dieser Bericht sich im allgemeinen durch Gründlih- keit, Unparteilihkeit und Klarheit in seltener Weise auszeichnet (sehr rihtig!), er au in dieser Frage die Verhandlungen der Kommission in fo klarer und nach meiner Meinung überzeugender Weise darlegt, daß kein Vortrag hier im Hause im stande sein möchte von dem Für und Wider der verschiedenen Vorschläge etn besseres Bild zu verschaffen. Meine Herren, der Bericht des Herrn Bericht- erstatters hat auch darin sein besonderes Verdienst, daß er klar legt, mit welher Gründlichkeit die Kommission in zwei Lesungen all die vershiedenen Vorschläge, die in Abänderung der Regierungsvorlage versuht wurden, geprüft hat, au diejentgen Vorschläge, die heute wiederholt werden, und wie man \sich nach zweimaliger Berathung doch hat überzeucen müssen, daß dasjenige, was die Regierungsvor- lage bringt, — ich will nit sagen die meisten Gründe für, aber
die wenigsten Grüde gegen sih hat (sebr richtig !).
Aber, meine Herren, ich muß mir doch einige Bemerkungen er- lauben mit Rücksicht auf die unzweifelbafte Bewegung, die gerade im Anwaltsstand der Vorschlag der Regierung hervorgerufen hat, eine Bewegung, die ja auch hier ihren Widerhall gefunden hat in einzelnen Reden aus dem Hause selbs. Meine Herren, ih habe mir diese Besorgnisse, die aus den Anwaltskreisen laut geworden sind, nie erklären können; denn weder der Wortlaut der Res gierungsvorlage, noch die Begründung, die ihr beigegeben ift, noch alles das, was in der Kommission verhandelt wurde, ift geeignet, diese Besorgnisse zu unterstüßen. Aber, meine Herren, ih bin heute doch dur einzelne Bemerkungen, die hier im Hause gefallen sind, darüber wenigstens aufgeklärt, wie leiht es ift, an die einfahsten Vorschläge der Regierung, wenn man nun einmal der Negierung das Vertrauen niht {enken will, Zweifel und Bedenken weittragender Art anzuknüpfen. Meine Herren, wenn der Herr Abg. von Dziem- bowsfi Anlaß zu haben glaubte, als Grund gegen die Vorlage und geaen. die Beschlüsse Jhrer Kommission unter anderem die Möglichkeit anzuführen, daß doch einmal die Zeit kommen könnte, wo die Justizverwaltung \sih bewogen finden würde, um den einen Anwalt an einem Gerichtsorte zu — wie Herr von Dziembowski sih ausdrückte — ruinteren, mehrere Konsulenten dort zum Geschäfts- betriebe zuzulaffen, — wenn man dazu kommen fann, ein Vorgehen so unwürdiger Art auf seiten der Regierung in Aussicht zu nehmen, dann begreife ih allerdings alle anderen Gründe auh. Ich bin aber der Meinung: derartige Einwände brauche ih nicht zu widerlegen ; die widerlegen \fih dur den gesunden Sinn dieses Hauses ohne weiteres. (Zustimmung.)
Dann, meine Herren, hat einer der Herren Abgeordneten gemeint : weniger sahliche Gründe als Rücksichten auf die Ehre des Standes seien es, die fo viele Anwalte veranlaßt hätten, gegen den Vorschlag des Entwurfs Stellung zu nehmen. Meine Herren, das ist mir absolut unverständlih. (Sehr richtig!)
Ich verstehe niht, wie ein Mann, wenn er auch Anwalt ift, Bedenken tragen kann, mit einem anderen ansftändigen Mann, der aber eine geringere gefellschaftlihe Position hat, vor Gerit oder vor sonstigen öffentlihen Schranken in ge|chäftliche Berührung zu kommen. (Sehr richtig!)
Der Herr Abg. Gamp hat dasselbe bereits ausgeführt und hat dar- gelegt, daß es zahlreihe Gelegenheiten im öffentlihen Leben giebt, wo der Anwalt gar keinen Anstand nimmt, und wo wir alle, die wir im Beamtenleben stehen, gar keine Bedenken tragen, mit Leuten zu verhandeln, die vielleiht in einer geringeren geschäftlihen oder fozialen Position sih befinden. Niemand mit gesundem Sinn wird daraus Veranlassung nehmen zu besorgen, daß der Stand, dem er angehört, dadur beeinträhtigt werde. (Sehr richtig !)
Meine Herren, darin finde ih eine so ungesunde Anschauung, daß ih wünschen möhte, derartige Stimmen sollten aus den Kreisen des Anwaltstandes niemals laut werden. (Sehr richtig !)
Dann hat — ich glaube, es war Herr Dr. Stephan — aus- geführt, die Konsulenten seien ja überhaupt nicht befähigt, die Ver- tretung der Parteien vor den Gerichten zu führen. Darin liegt nah meiner Meinung zunächst eine Uebertreibung, denn thatsählih führen sie — das ift gar nit zu. bestreiten — in großem Umfange die Ver- tretung von Parteien, und au zur Befriedigung der Parteien; und wie man da sagen kann, alle diese Leute seien nit befähigt, vor Gericht die Geshäfte der Parteien zu führen, verstehe ih nit.
Aber, meine Herren, was bewiese däs au gegen die Vorlage der Regierung? Die Regterung will ja durhaus nit allen diesen Leuten eine gewisse Garantie des Auftretens vor Gericht gewähren. Auch der Herr Abg. Dr. Stephan, hoffe ich, wird das Vertrauen zur Regierung haben, daß, wenn sie in die Lage kommt, von dieser Be- stimmung Gebrau zu machen, sie nicht gerade diejenigen Personen heranziehen wird, die das Vertrauen des Publikums nicht genießen und niht die Befähigung besißen, die Vertretung zu übernehmen. Also das, meine Herren, beweist nah meiner Meinung garnichts.
Ebenso, glaube ih, war es der Herr Abgeordnete Dr. Stephan, der mit einem gewissen Nahdruck aussprach, es sei rihtiger, daß die
Konsulenten unter der Willkür des Amtsrihters, wie er dh aus.
drückte, statt unter der Willkür der Justizverwaltung stehen. Ja, meine Herren, indem wir Jhnen unseren Vorschlag unterbreitet haben, haben wir das Ziel verfolgt, diese Leute überhaupt nit unter willkürlihes Ermessen zu stellen, fondern ein gleichartiges, billiges, objektives Ermessen in allen hier einshlagenden Fällen bei der Be, urtheilung der Thätigkeit der Konsulenten walten zu laffen. Das ift das einzige, was wir erzielen wollen, und wenn sh das auf unserm Wege erreichen läßt, so meine ih, ist der Vorshlag doch wohl be- ahtenswerth; denn die Erklärung des verehrten Herrn Abgeordneten, daß der betreffende Konsulent besser unter der Willkür tes Amts- rihters stehe, ist nit gerade geeignet, weder den Gerichten, noch der Justizverwaltung das Zutrauen der Bevölkerung zu sichern, und darauf lege ih do in allererster Stelle Werth.
Dann hat der Herr Abg. von Dziembowski, glaube ih, aus- geführt, daß, wenn man den Vorschlag der verbündeten Regierungen annehme, es dahin kommen würde, daß in den kleinen Orten sih überhaupt Anwalte niht mehr niederlassen. Herr Abg. Gamp hat darauf, nah meiner Meinung aus richtiger Kenntniß der Verhältniffe, {hon erwidert: das thun sie jeßt auch {on niht. Es ist der lebhafte Wunsch der Justizverwaltung, namentlich auch der Justizverwaltung Preußens, die Anwalte zu bestimmen, daß sie sich mehr, wie es bisher ge- schehen ist, auch den kleineren Städten zuwenden möchten. Alles, was nach dieser Nihtung hin in dem Vermögen der preußischen Justizverwaltung steht, ist wiederholt aufgeboten worden. Die Versuche sind regel- mäßig gescheitert oder wenn sie zunächst glüdckten, haben sie sich doch nah einiger Zeit gleihwohl als erfolglos erwiesen. Da, meine Herren, wollen Sie uns mit dem Einwand kommen, die Anwalte würden verhindert, in die kleinen Städte zu ziehen? Dann sollte doch erst einmal dargethan werden, daß der Anwaltstand in der That die Neigung bekunden will, in kleineren Orten sich niederzulassen. (Sehr richtig ! rets.) Dann hat der Herr Abg. Dr. Stephan die Frage aufgeworfen — und damit komme ih auf die Begründung unseres Vorschlages —, was denn in aller Welt passiert sei, um eine Maßregel, wie sie vor- geschlagen ift, zu rechtfertigen. Ja, meine Herren, ih glaube, ih habe bereits in der ersten Lesung dem hohen Hause gegenüber die Ehre gehabt, die Erwägungen, die für uns bestimmend gewesen sind, anzudeuten. Jch kann niht hier über Andeutung-n hinausgehen, weil ich der Meinung bin, daß es nicht dem Ansehen der Iustiz förderlich ift, wenn allerlei Schäden, die unleugbar zu Tage getreten sind, an das Licht der Welt gezogen und fritish beleuhtet werden. Es ist besser, meine Herren, wir beseitigen die Schäden so ras wie möglih. Das muß ih aber dech fagen : wenn es vorkommen konnte, daß die gerihtlihe Thätigkeit eines durchaus einwandsfreien Kon- sulenten von einem Ritter, der an die Stelle cines fcüheren Richters trat, beanstandet wurde, bloß weil der neue Richter prinzipiell andere Anschauungen über die Zulässigkeit des Konsulentengewerbes hatte als sein Vorgänger, wenn die Folge dieser Anschauung des jangen, eben in die Richterpraxis eingetretenen Mannes war, daß der durchaus anständige, scin Gewerbe einwandsfrei ketreibende Konsulent nun sih auf die Straße geseßt sieht, — so, meine Herren, ist das wohl eine Thatsache, die vom Standpunkte der Gerechtigkeit und Billigkeit Beachtung verdient. Gegen derartige Vorgänge Abhilfe zu f{chafen im Wege der Gesetzgebung, scheint mir doch eine wichtige Aufgabe zu sein. (Sehr rihtig!) Denn, meine Herren, wenn derartige Dinge vorkommen, die den einzelnen davon {wer betroffenen Mann er- bittern und die das Volk nicht versteht, so ôóffnen sich Wege, die in gefährlidher Weise dahin führen, das Vertrauen in die Justiz zu er- shüttern. Unsere erste Aufgabe foll es sein, derartige Wege zu verbauen.
Meine Herren, ich muß nun zu meiner Genugthuung, darf ih sagen, konstatieren, daß die eingehenden Berathungen, die in der Kommisfion stattgefunden haben, {ließlih der Kommission die Ueberzeugung beigebraht baben: der Weg, den wir zur Abhilfe einshlagen wollen, ift der räthlihste. Jh muß das hier behaupten gegenüber den beiden Anträgen positiver Art, die in Abänderung des Vorschlags der Kommission gestellt worden find, und ich darf mich zur Kritik dieser Anträge auf wenige Bemerkungen beschränken.
Meine Herren, der Herr Abg. Beckh hat beantragt, dem Uebel- stand, den auch er anerkennt, dadur Abhilfe zu schaffen, daß ein Beschwerdereht eingeführt wird, wie ich annehme — es wurde vorhin die Frage aufgeworfen, wer sih beschweren solle — ein Beschwerde- recht des von der rihterlichen Maßregel betroffenen Konsulenten. Wir würden uns sehr gern mit einem folhen Vorschlag abgefunden haben, wenn er in der That praktikabel wäre und zw einem Ziele führen würde. Aber der Vorschlag ist deshalb nit brauchbar, weil die Beshwerde gegen den Beschluß des Richters an die landgerihtlihe Instanz, an die Kammer des Landgerichts gehen muß und weil das Urtheil darüber, ob ein Konsulent geeignet ift, zur Vertretung an den Gerichten zugelassen zu werden oder niht, eine Frage wesentlich disziplinarer Art ist, die vor das Forum der Justizverwaltung, aber nicht vor dag Richterkollegium gehört, und die verbündeten Regterungen können nicht damit einverstanden sein, daß die berehtigten Grenzen zwischen Justiz- verwaltung und Rehtsprehung in der Weise vershoben werden, wie der Antrag Bech es in sh s{chließen würde.
Der Antrag is aber au deshalb nicht durchführbar, weil, wenn das Gericht zweiter Instanz die Aufgabe erhält, zu erwägen, ob der Amtsrichter rihtig gehandelt hat oder nit, alle Unterlagen für diese Erwägung fehlen. Denn der Amtsrichter ift ja niht verpflichtet, feine Maßnahme zu begründen. Das Gericht hat nihts vor sich als den einfahen Beschluß; was soll es mit dem Beschluß anfangen ?
Außerdem, meine Herren, kommt aber in Betracht, daß die Maßregel für den einzelnen Fall absolut wirkungslos bleibt, denn der Prozeß kann niht darauf warten, daß die Vor- entsheidung über die Zulässigkeit der Vertretung dur den Rechts- konsulenten zunächst getroffen wird; der Prozeß geht seinen Gang und wenn die Entscheidung kommt, daß die amtsrihterliche Verfügung unzulässig gewesen sei, dann ist der Konsulent niht mehr in der Lage, von dieser Entscheidung zu seinen Gunsten Gebrau zu machen. Wenn in einem zweiten Prozeß dann dieselbe Maßnahme des Amts- rihters ergeht — denn die einmalige, ablehnende Entscheidung der zweiten Instanz bindet den Amtsrichter doch niht für immer — dann geht das Procedere in derselben Weise vor ih, ohne jeden Ge- winn für den Konsulenten.
Was den Anträg Schmidt (Warburg) betrifft, so bin ih zu meinem Bedauern troß der dringenden Bitte, die der Antragsteller
F 12 Uhr vertagt.
die Güte hatte, an die verbündeten Regierungen zu rihten, auch hier nicht in der Lage, zuzustimmen. Jch muß auch hier bitten, in Ueber- einstimmung mit Ihrer Kommission den Antrag abzulehnen, Die Justiz- yerwaltungen können niemals wünschen, daß die prekäre Frage des Bedürf- nisses in der Weise an sie herangebracht werde, wie das hier vorgeshlagen wird. Denn sie müssen voraussehen, daß das nur Anlaß geben wird zu immer neuen und niemals ganz abzuweisenden Anschuldigungen wegen des Ergebnisses der Bedürfnißprüfung. Die Justizverwaltung is garnicht in der Lage, wenn sie in einzelnen Fällen das Bedürfniß anerkennen will, auch dem Publikum gegenüber, welches die gleiche Ansicht vielleicht nicht hat, ihre Stellungnahme überzeugend zu recht- fertigen. Und dann möchte ih do auch fragen, ob dieser Vorschlag nicht zu ungerehtfertigten Härten führen kann. Jch lege Ihnen den Fall vor: An einem Ort sind bisher nur drei Rechtsanwalte thätig gewesen, neben diesen Rechtsanwalten hat ein Konsulent eine durchaus unbedenklihe Praxis ausgeübt. Nun läßt sich an dem Ort ein vierter Anwalt nieder. Wenn die thatsächliche Entwikelung der Dinge dazu führt, daß der Konsulent durch den Eintritt dieses Anwalts ohne Ein- griff der Justiz seine bisherige Thätigkeit verloren geben muß, so ist das eine Schicksalsfügung, niemanden kann deshalb ein Vorwurf treffen. Aber wollen Sie namens der Justiz den Konsulenten nun deshalb, weil ein neuer Anwalt an dem Ort sich niedergelassen hat, von dem
| vielleiht noch nicht einmal feststeht, daß er dauernd dort bleibt,
wollen Sie nun jenen Mann, von dem Gericht weggewiesen, auf die Straße geseßt sehen — das ist eine Härte, und dahin würde dieser Vorschlag führen.
Was dann den Abänderungsantrag des Herrn Abg. Gamp betrifft, so würde dieser Antrag die Justizverwoaltung nöthigen, in allen Fällen, wo an einem Orte nicht die genügende Anzahl von Anwalten vor- handen if, dafür zu sorgen, daß ein Konsulent sich dort nieder- läßt, der dann die Zulafsurg seitens der Justizverwaltung be- kommt. Ih bin zweifelhaft, ob der Herr Abg. Gamp das will; aber wie der Antrag jeyt lautet, würde er diese Folge haben. Diese Folge ist, ich brauhe das kaum zu sagen, sür die verbündeten Regierungen unannehmbar.
Meine Herren, ih glaube, Sie erweisen Jhrer Kommission ein berechtigtes Vertrauen, wenn Sie unter Ablehnung aller Anträge das annehmen, was die Kommission in Uebereinstimraung mit den ver- bündeten Regierungen Ihnen vorgeschlagen hat, und ich möchte glauben, Sie werden im Verein mit den verbündeten Regierungen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß dasjenige, was dann beschlossen wird, weder die Ehre ncch die Interessen tes Anwaltstandes in irgend einer Weise zu beeinträchtigen geeignet ist. Den verbündeten Re- gierungen liegt es durchaus fern, dem Anwaltstande zu nahe zu treten;
i im Gegentheil, sie erkennen die große Bedeutung eines wohlsituterten,
dur fein Ansehen getragenen Anwaltstandes nah allen Richtangen hin unbedingt an. (Beifall.)
Die Abgg. Stadthagen (Soz.) und Jskraut (Reformp.) sprechen sih für die Vorlage aus.
Nachdem die Abag. Beckh, Schmidt-Warburg und Gamp nochmals das Wort genommen haben, wird § 143 nah dem Wortlaut der Regierungsvorlage angenommen.
Gegen 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
70. Sißung vom 2. Mai 1898. Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des
| Gesetzentwurfs, betreffend die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten an den Landes-Universitäten,
der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum zu Braunsberg. j
Die Berathung beginnt auf Antrag des Abg. Dr. von Cuny (nl.) mit dem § 1. Alsdann soll über den von der
| Kommission neu vorgeschlagenen 8 5a diskutiert werden.
8 1 nah dem Kommissionsbeschluß lautet:
„Ein Privatdozent an einer Landes-Üniversität, der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum zu Braunsberg, welcher 1) die Pflichten verleßt, die ihm seine Stellung als akademischer Lehrer auferlegt, oder 2) \sich dur sein Verhalten in und außer seinem Beruf der Achtung, des Ansehens oder des Vertrauens, die seine S eaung erfordert, unwürdig zeigt, unterliegt den Vorschriften dieses
elees.“
Den § 1 der Regierungsvorlage, nah welhem das Geseh
L vom 21. Juli 1852, betreffend die Dienstvergehen der nicht- F rihterlihen Beamten, auf die Privatdozenten mit Ausnahme F einiger
Bestimmungen und mit den în der Vorlage ent- haltenen besonderen Bestimmungen sinngemäße Anwendung sinden soll, hat die Kommission als 8 1a angefügt.
Minister der geistlihen, Unterrihts- und Medizinal- Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich möchte nur ganz kurz bemerken, daß die Königliche Staatsregierung in der Abänderung des § 1 der ursprüng- lichen Vorlage dur die §§ 1 und 1a, wie sie die Kommission be- {losen hat, eine erheblihe redaftionelle Verbesserung der Vorlage erblickt, und daß sie diese nur dankbar acceptieren kann.
Abg. Kirsch (Zentr.) beantragt, in §1 Ziffer 2 statt des Wortes „und* das Wort „oder* zu setzen.
Minister der geistlichen, Unterrihts- und Medizinal-
M Angelegenheiten Dr. Bosse:
Ich stimme namens der Königlichen Staatsregierung der vor-
E geschlagenen Abänderung zu.
Abg. Dr, Virchow (fr, Volksp.): Weder die Kommission noch
h die Staatsregierung ist bei dieser Frage mit der Sprache beraus- N gekommen. Welcher Anlaß lag zu diesem Geseße vor? Es ift fonder-
bar, daß man eine Sache, die seit Jahren zu keinen An- ständen Anlaß gegeben hat, mit einem Male zum Gegen- stand der Geseßzgebung maht. Es if kein Zweifel, daß dur dieses Gesey ‘die Stellung der Privatdozenten verschle{tert werden wird. Wir haben es mit einem Cte zu thun. Ein Beweis dafür ist, daß man einen einzelnen Fall zum Aus- gangspunft genommen hat, und die Presse hat denn auch dieses Gesetz tine lex Arons genannt. Auf diesen Fall will ih nit eingehen, er srót jedenfalls keine ausreihende Veranlassung zu diesem Gesetz.
egen seiner politishen Meinung ist bisher kein Universitätslehrer angefaßt worden,
ondern nur wegen verbreherisher, mit dem Gese in Widerspruch stehender Handlungen, und etwas Derartiges hat d
err Arons, soviel ih weiß, nit zu Schulden kommen lassen. Es hat kein rihterliher Angriff gegen ihn \tattgefunden, und deshalb hält man es ur nöthig, gegen einen folchen Mann mit l Gesetz vorzugehen. ie flimmt dies mit der Etgrireigeit 7 Das Belieben und die Willkür # en Lehrer soll hier legalisiert werden. Ein solhes Gese wu ein lehtes Gesey. Herr Arons liest über Physik, aß er dabei über
die Grenzen hinaus sich etnas hat zu Schulden kommen lassen, ift mir nit bekannt geworden. Nur außerhalb se‘nes Berufs hat er etwas srtoan, was der Regierung niht gefallen hat. Wohin foll es aber ühren, wenn die Freiheit des Bürgers în feinem Privat- leben in dieser Weise gefährdet wird? Man wirft Arons vor, daß er ein Sozialdemokrat fei. Liegt darin denn wirkli etwas so Gefähr- lies? Man müßte doch erst definieren, was Sozialdemokratie ist und was Schlimmes in ihr ist. Dieses Geseg ist nur eine Konzession an die fonsfervative Presse und Partei. Der Kultus-Minister hat
von ihnen mit Schrecken und Besorgniß erfüllen lasen. Dem Richter wird keine richtige Definition gegeben, worin denn eigentli die zu bestrafende Ueberschreitung liegt, damit ift nur der Willkür Thür und Thor geöffnet. Bis jeßt hat man übrigens den Professoren nihts anhaben können, und der Fall Arons war somit für die Regierung ein Glüdsfall. Die weiteren Ausführungen des Redners bleiben bei der großen Unruhe des Hauses fast unverständlich. Er scheint auszuführen, daß die Sozialdemokratie seit Jahren ihren gefährlichen Charakter verloren habe. Sozialdemokraten säßen im Neichstage und in den Stadtverordneten - Versammlungen und be- theiligten sich dort an der Arbeit. Selbst die „Kreuzzeitung* bezeichne diese Leute niht mehr als Verbrecher. Dieses Geseß sei überflüssig und \{ädlich.
Ministerial-Direktor Dr. Althoff: Der Vorredner hat eine Art Generaldebatte hervorgerufen, und ich muß deshalb Einiges sagen. Ich lege dagegen Verwahrung ein, daß es ih hter um eine VBerlegen- heitsvorlage handle. Die Verantwortung e lediglich mein hoch- verehrter Chef, allerdings hat er das Staats-Ministerium hinter ih. Ebenso falsch is die Meinung, daß nur der Fall Arons dies Gesetz veranlaßt habe. Es wundert mi, daß der Abg. Virchow nicht weiß, daß diese Frage hon seit 20 Jahren erwogen wird, und zwar angeregt dur die philosophische Fakultät von Berlin aus Anlaß des Falles Dühring. Die Fakultät hatte damals einen Geseßentwurf vorgeschlagen, der im wesentlihen wörtlih mit der Vorlage übereinstimmt; auch ihre Be- gründung hätten wir bloß abzushreiben brauchen. Fh hatte den Dank des Abg. Virhow erwartet, daß endlich nach 20 Jahren der Wunsch der Universität Berlin erfüllt ist. (Redner verliest verschiedene Stellen des Berichts der philosophishen Fakultät, worin für die Ene dieselbe Sicherheit ihrer Stellung verlangt wird wie ür die Staatsbeamten, und zwar gerade im Interesse der Freiheit der Wissenschaft.) Wenn man nun die gegenwärtigen An- griffe hört, so fällt einem unwillkürlih der Saß ein: difficile est satiram non scribere. Es i luce clarius, daß der Privatdozent so gesichert werden soll, wie es noch nie da- ewesen ist. Sie können jeßt viel \{chwerer removiert werden als rüher. Hat ein Extraordinarius oder ein Ocdinarius seine neue Stellung bisher etwa niht angenommen, weil er ih weniger sicher fühlte denn als E pa Kein Mensch ift so unvernünftig, die Pei der Wissenschaft antasten zu wollen. Durch die Allerhöchste Botschaft an die Universität Halle zu ihrem Jubiläum im Jahre 1894 ist die Lehrfreiheit als ein unantastbares Gemeingut der deutschen Universitäten bezeihnet worden. Wenn man fortgeseßt in dieser Weise sein Haus s{lecht macht — ich finde nit ten rihtigen Aus- druck —, so muß das zwar niht im Inland, wohl aber im Ausland einen sehr {lechten Eindruck hervorrufen. E
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Eine einheitlite Regelung der Stellung der Privatdozenten im Interesse ihrer rechtlihen Sicerstellung ist durdaus nöthig. Dieses Gesez is kein Gesetz gegen die Privat- dozenten, sondern ein folhes zu ihrem Schuße. Ueber die Art, wie in Berlin ein Privatdozent removiert werden kann, ist in den Universitäts- statuten nihts bestimmt, darüber herrscht die reine Willkür des Ministers. Die Freiheit der Lehre steht allerdings in der Verfassung, aber praktis durchgeführt ist sie nicht, wenigstens niht für die katholischen Dozenten, die von manchen Fakultäten nit zugelassen worden sind. Soll aber der Privatdozent wegen der Freiheit der Wissenschaft thun und treiben können, was er will ? Das will au Herr Virchow richt. Die venia legendi hat ihre Grenzen. Auch die Rechtsanwalte sind do ret strengen Disziplinargeseßen unterworfen, und doh hat kein Mensch sie davon befreien wollen, obwohl auch sie frei dastehen müssen. Auf den Fall Arons ist dies Geseg, wenigstens soweit es sich um die Thätigkeit des Hauses handelt, nicht zugesnitten. Darum war es au nicht nöthig, bestimmt zu formulieren, in welhen Fällen ein Privatdozent wegen seiner politishen Thätigkeit gepackt werden kann. Wir haben uns auf einen ganz allgemeinen Standpunkt gestellt. Wegen der bloßen Bethätigung einer politishen Meinung will ih einen Privatdozenten niht removiert RN Der Dozent soll nur nit mit seinem Lehramt in politishem Interesse Mißbrauch treiben. Die freisinnige Presse hat meine frühere Aeußerung über diese Frage vollständig verdreht. Ich bedauere, daß man die Fakultäten der Universitäten vor Einbringung des Geseßentwurfs nicht gehört hat. Gs ift aber gegen die Vorlage nur eine Eingabe von der Berliner Universität eingereiht worden, wonach vor 20 Jahren die philofophishe Fakultät eine solhe Vorlage gewünsht hat. Der akademishe Senat in Breslau hat nun eine anderweitige Regelung der zweiten Instanz gewünsht. Man denkt also in akademischen Kreisen viel kühler, als man glaubt. Meine Bedenken gegen die Vorlage sind geschwunden, nachdem die Kommission tie Dozenten niht als Beamte, sondern als akademische Lehrer behandelt bat, wie die Professoren. Die Bestimmungen des Gesetzes sind allerdings etwas allgemein, aber in einem Disziplinargeseßz ift es nicht möglich, jeden einzelnen Fall anzuführen. Für die Rechtsanwalte bestehen au keine genaueren Bestimmungen.
Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! J kann die Ausführungen des Herrn Dr. Porsch nur fehr dankbar acceptieren, und ih möchte ihnen dem Herrn Abg. Dr. Virchow gegenüber nur noch ein Wort hinzufügen.
Ich habe mit gespanntester Aufmerksamkeit seinen Ausführungen zu folgen gesucht, habe aber bei der leisen Stimme, mit dec er sie vortrug, dohch nicht alles verstanden, Das habe ih genau verstanden, daß er sagte, ih hätte mich vor der Einbringung des Gesetzentwurfs in einer Verlegenheit befunden und suchte nun die Hilfe des Landtages, um aus dieser Verlegenheit mih zu befreien.
Meine Herren, diese Legende beruht vollständig auf Irrthum. Ich habe mi in keiner Verlegenheit befunden und befinde mich auch jegt in keiner Verlegenheit. Nicht eine solhe Verlegenheit ist es ge- wesen, die mich bewogen hat, den Geseßentwurf ausarbeiten zu lassen und einzubringen, sondern etwas ganz Anderes : nämlih das Bedürfniß, der Pflicht zu genügen, daß endlih eine Lücke ausgefüllt werde, die hon vor 20 Jahren und noch länger hier zur Sprache gebracht is, und die wir immer als eine folhe empfunden haben, und nit bloß wir, meine Herren, sondern auch die Gesinnungsgenossen des Herrn Abg. Dr. Virchow. Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß, wenn wir den Geseßz- entwurf niht eingebraht hätten, die freisinnige Partei, die Partei des Herrn Dr. Virchow ihn in dieser oder etwas anderer Form eingebracht haben würde, (Widerspruch links.) Dann hätte es natürlich geheißen : Ja, Bauer, das is ganz was Anderes! Nein, so liegt die Sache nicht.
Dann möthte ih noch zu dem § 1 und zu dem, was der Herr Abg. Dr. Porsch zutreffend über unsere Absichten bemerkt hat, hinzufügen, daß ich von vornherein davon ausgegangen bin: bei so wihtigen Ent- scheidungen, wie die ist, ob ein Privatdozent removiert werden soll oder niht, bei Entscheidungen, die für das Wohl und Wehe eines Mannes, für seine ganze Zukunft von entscheidender Wichtigkeit werden können, entspriht es unserem {heutigen Rehtsbewußtsein, und zwar dem Rechtsbewußtsein aller Parteien, nihcht, daß fsolche Ent- s{heidungen von einem einzelnen Manne getroffen werden, von dem Minister allein, auch wenn er noch so verantwortlich ift,
Es entspriht unserem Rehtsbewußtsein, daß da ein geordnetes gêe seßliches Verfahren vorhanden sein muß, welhes dem Angeschuldigten gewisse Rehtsgarantien gewährt. Das is meine Ueberzeugung gewesen, sie ist es heute noch, und das is der Grund gewesen, weshalb ih die Vorlage eingebraht habe.
Abg. Broemel (fr. Vgg.): Von freisinniger Seite würde ein folhes t nicht oder, wenn noch größere Mißstände si gezeigt hätten, wenigstens in anderer Form eingebraht werden. Jn oweit der Geseßentwürf für die Dozenten eine Grundlage schaffen will, ist er in der That als Fortschritt anzuerkennen ; aber er will außerdem den neuen Stiefel über den alten Leisten des A von 1852 s{lagen, das einen reaktionären Beigeshmack hat. enn wir in der Kom- mission vertreten gewesen wären, so hätten wir es vielleicht nicht nöthig gehabt, im Plenum Anträge zu stellen.
Abg. Dr. Jrmer (konsf.): Die Privatdozenten find doch eine Vorstufe zu den Professoren, und es liegt deshalb nahe, fie so zu be- handeln wie die Professoren, die si bisher über das Disziplinargefeßz niht beklagt haben. Man wird nit von Disziplinaruntersuhungen gegen Dozenten in einem Jahre, sondern böchstens in einem Ja E hundert \pre{en können, und darum brauchen wir auch nicht eine Kasuistik für jeden einzelnen Fall zu geben. Wir schaffen hier eine bestimmte RNechtsnorm und stellen die Dozenten sicherer, als es dur das Uni- versitätsftatut gesehen kann. Als Verbrecher wollen wir fie ebenso- wenig behandeln, wie dies bei den Beamten geschieht. Auch hier sißen manche Herren, die irgend einmal einem Disziplinarverfahren unterworfen waren, ohne darum an Achtung verloren zu haben. Dies Geseß ist eine Art Verbeugung vor der philosophischen Fakultät von 1878. Weil wir diese Fakultät hochhalten, darum stimmen wir für dieses Geseg.
S 1 wird angenommen. _
Die Diskussion wendet sich dann dem § 5a zu, der be- stimmt, daß die im Gesey von 1852 vorgesehene mündliche Verhandlung stattfinden muß, sofern der An ejhuldigte darauf anträgt. Jn derselben ist ein von dem akademischen Senat zu_bezeihnendes Mitglied der Universität zu hôóren; dem An- geshuldigten steht es frei, sh bei der mün lihen Verhand- lung des Beistandes eines Rechtsanwalts als Vertheidigers zu bedienen.
Abg. Dr. von Cuny (nl.) beantragt, folgenden § 5a anzu- nehmen: „Gegen die Entscheidung der Fakultät steht sowohl dem Beamten der Staatsanwaltschaft, als dem Angeschuldigten die Be- rufung an das Ober-Verwaltungsgeriht ofen.“ Man hat, führt er aus, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit eine der Lehrfreiheit ungünstige Regierung an das Ruder kommt, und dann ist zu besorgen, daß man auf Grund des Geseßes von 1852 die Privatdozenten wegen ihrer religiösen, philosophishen und anderen Meinung diszipliniert. Das will ih dur die Instanz des Ober- Verwaltungs8aerihts vermeiden. Dieses hat sih als ein Hüter des öffentlihen Nets erwiesen. Das Geseß von 1852 ift so reform- bedürftig, daß ih nicht dazu beitragen möchte, seinen Wirkungskreis zu erweitern.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Der Punkt, um den es sich hier handelt, und den der Herr Abg. Broemel auch \{chon vorhin in seinen Ausführungen berührt hat, ist in der That der Angelpunkt für das Zustandekommen des ganzen Geseßzes ; das muß ih vollkommen anerkennen. Ich glaube deshalb, daß es nüßlih ist, wenn ih mi hier über die Stellung der Königlichen Staatsregierung zu dieser Frage hon jeßt mit voller Deutlichkeit äußere.
Meine Herren, ich bin ganz mit dem Herrn Abg. Broemel einverstanden, daß es darauf ankommt, dies Gese, wenn es überhaupt zu tande kommen soll, möglichs| richtig und zweckmäßig zu gestalten, Aber darin gehen unsere Auf- fassungen auseinander, daß ich im allgemeinen die Kom- missionsbeschlüsse für eine sehr rihtige und sehr zweckmäßige Ge- staltung der Vorlage ansehe, während der Herr Abg. Broemel in den allerwichtigsten Punkten diese Kommissionsbeshlüsse umzugestalten wünscht, und zwar in demselben Sinne, wie es der verehrte Herr Abg. Dr. von Cuny soeben ausgeführt hat. Darin bin ich wit dem Herrn Abg. von Cuny ganz einverstanden, daß auch?ich das Gesey für verhältnißmäßig niht so wichtig ansehe, wie es vielfa, in der Presse namentli, aufgebauscht worden ift.
Aber, meine Herren, in der Kritik des Disziplinargesetzes von 1852 für die nicht richterlichen Beamten bezüglich der Gestaltung der Berufungs- instanz kann ih dem Herrn Abg. von Cuny nit beitreten. Jch will ihm gern zugeben, wenn man jeßt vor der Frage stände, ob man das Verfahren in Disziplinarsahen ganz neu zu ordnen hätte, daß man dann manches an dem Geseß garniht anders mahen würde als im Jahre 1852. Aber ich darf doch auch nicht vers{weigen, meine Herren, daß \ich inzwishen eine ganz konstante und feste Praxis ge- bildet hat, die die Mängel und namentli die Lüden, die im Gesetz von 1852 vorhanden find, im allgemeinen in zweckmäßigster Weise ausgefüllt hat, und vor allen Dingen in dem Beamtenstande durh- aus als autoritativ anerkannt ift, ja, daß das Staats-Ministerium als Berufungsinstanz im Beamtenstande ein ganz besonderes Vertrauen genießt. Jh will damit nit behaupten, daß niht auß da Mißgriffe und Fehler vorkommen könnten; die sind in allen menschlihen In- stitutionen mögli, da mögen Sie einen Gerichtshof einseßen, welchen Sie wollen. Aber, meine Herren, in Bezug auf Unbeftehlihkeit im weitesten Sinne, auf objektive Beurtheilung und Saglichkeit kann es, glaube ih, das Staats - Ministerium als richterliches Kollegium na den Erfahrungen, die wir während einer fünfzigjährigen Praxis als Disziplinarinstanz gemacht haben, mit jedem Kollegiuur des preußishen Staats aufnehmen.
Meine Herren, das Ober-Verwaltungsgericht is für das Staats- Minifterium keine annehmbare Berufungsinftanz {on gegenüber der Thatsache, daß das Staats-Ministerium nah dem bestehenden Gesetz allen andern Beamten gegenüber die Berufungësachen in Disziplinar- fachen erledigt. Durch diese Thatsache würde ja das Staats-Ministerium in die Lage kommen, wenn es anerkennen wollte, daß das Ober- Verwaltungsgeriht eine geeignetere Instanz wäre, sich selbs ein Miß- trauensvotum zu geben, und das kann dem Staats - Ministerium un- möglich zugemuthet werden. Dazu liegt niht der geringste Grund vor. Daß man überhaupt in den Disziplinarsahen der Kommunalbeamten das Ober-Verwaltungsgericht als Berufungsinstanz bestellt hat, ist gesehen, weil das Ober-Verwaltungsgericht in dem sahlichen Aufgabenkreise dieser Beamten und insbesondere als die den Bezirksausshüssen übergeordnete Instanz zu entscheiden hat, daß es daher mit diesen Dingen vertraut ist, daß diese Dinge für seine Zuständigkeit besonders geeignet waren. Bei den Privatdozenten ift das niht der Fall. Mit den Privatdozenten hat das Ober- Verwaltungsgeriht auch niht den Schatten einer Fühlung.
Nun ift ja eingewendet, der Disziplinarhof habe ja au keine Fühlung mit den Privatdozenten. Richtig, der Disziplinarhof, der sein Votum abgiebt, gewiß nicht, aber das Staats-Ministerium hat
eine sehr \tarke Fühlung mit den Privatdozenten, und zwar