1898 / 179 p. 1 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Aug 1898 18:00:01 GMT) scan diff

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glich Preußischer

Neichs-Anzeiger

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M 179.

SeineDurchlaucht der Fürst Otto von Bismarck, Herzog von Lauenburg, ist am 30. Juli, Abends 11 Uhr, in Friedrihsruh verschieden.

Das Vaterland hat seinen größten Sohn verloren. Zehn Jahre nach dem Ableben des großen Kaisers e großer Kanzler ihm in den Tod gefolgt. Ein gnädiges Geschick hatte uns mit dem Anblick vertraut gemacht, die Begründer des neuen Reiches in ungebrochener Kraft bis an die lezten Grenzen des Lebens unter uns wandeln zu sehen. Kaiser Wilhelm und Molike sind als Neunziger von uns geschieden; es sollte dem deutschen Volke nicht vergönnt sein, den Leßten aus großer Zeit gleich lange zu besißen; das Heldenzeitalter uhserer neuesten Geschichte it zur Rüste gegangen noch vor dem Ablauf des alten

Jahrhuúnderts.

Ueber fünfzig Jahre hat Fürst Bismarck dem öffentlichen Leben der Nation angehört, fast dreißig Jahre hindurh hat er an der Spitze der preußischen an dann der deuishen Reichsregierung gestanden. Preußen, Deutschland, Europa weisen die unvergänglihhe Spur von seinen Erden- tagen auf; ein auszerlesenes Werkzeug der Vorsehung, hat er die Welt verwandelt, die er jeßt verlicß. - i :

Als Otto von Bismarck-Schönhausen, zweiunddreißigjährig, ciner der jüngsten unter den Landtags-Abgeordneten, den politischen Schauplaß betrat, schickte das deutshe Volk soeben sich an, die shmerzlih entbehrte Einheit sich selbst zu schaffen. Der Versuch der Frankfurter Nationalversammlurg mißlang: nicht durch Neden und Majoritätsbes{hlüsse, wie Bismarck vierzehn Jahre später rückschauernd gesaat hat, konnten die großen Fragen der Zeit gelöst werden. Auch die monarchische Unions- politik scheiterte, deren Träger im Rath König Friedrich Wilhelm’s TV. Josef von Nadowiß war. Jm Erfurter Parlament hat Bismarck den Radowigschen Ver- fassungsentwurf lebhaft bekämpft; der künftige Einiger Deutschlands zählte zu den Gegnern der damaligen Einheits- bestrebungen nicht als Verächter der nationalen Jdee, aber in der Besorgniß, daß in dem e Neubau, wie er geplant wurde, das preußische Königthum feine festcn Grundlagen ver- lieren werde. Der Deutshe Bund von 1815 ward wieder- hergestellt, und Bismarck wurde Preußens Vertreter auf dem Bundestage. Er ging nah Frankfurt als Gegner der unitarishen Entwürfe von 1848 und 1849, als abgesagter Feind der konstitutionellen Dokirin, als warmer Freund Oefterreihs; er schied aus Frankfurt mit der Losung, daß Preußens Palladium in Deutschland liege, mit der Erkenntniß, daß für den zu schaffenden deutschen Einheitsstaat tonstitutionelle Einrichtungen nicht zu entbehren seien, mit der Voraussagung, daß au in diesem Jahrhundert „der deutshe Dualismus seine Beziehungen durch einen gründlichen inneren Krieg werde regulieren müssen“. /

Nach der Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen von Preußen hat Bismarck gemeint, man müsse die auswärtige Politik mit der im Jnnern eingeschlagenen liberalen Richtung in Einklang bringen; er gedachte für seine nationalen Pläne die Unterstüßung der konstitutionellen Partei zu gewinnen. Da geschah es, daß vielmehr die innere Politik aus der liberalen in die konservative Bahn zurückgedrängt wurde, weil das Ministerium der neuen Aera in der Frage der Armee-Reorganisation von den liberalen Parteien niht unterstüßt wurde. Bismarck hat den Verfassungs- konflikt niht geschaffen, er fand ibn bei seinem Eintritt in das Ministerium im September 1862 fertig vor. Er durfte sein nationales Programm nicht offen enthüllen, er durfte seine deutsche Gesinnung nicht auf die Ln nehmen, sondern mußte sie tief in seines Herzens Schrein verschließen. Jch fam“, so hat er 24 Jahre später in einer berühmten Rede gesagt, „mit einer bewußten Absicht, die ih noh nicht Sudpedlen durfte; die Saat, die ih sorgfältig hütete, wäre erstickt worden durch einen kombinierten Druck des S r Europas, das unsern Ehrgeiz zur Ruhe verwiesen

ätte“.

Was Bismarck seinem Königlichen Herrn in jenen |chweren Jahren inneren Zwistes und auswärtiger Spannungen gewesen ist, hat der dankbare Monarh dem Minister niemals vergessen. Bismarck's unver leichlihe Diplomatie er- öffnete einen Ausweg aus dem La yrinth. Ungeahnt bald schlug die Stunde der rata Einheit. Nach der Au

rihtung des Königreichs Jtalien hatte Graf Cavour gemeint, au Deutschland werde seine Einheit finden, aber die reußen

Berlin, Montag, den 1. August, Abends.

zu dem Werke brauchen, das die Piemontesen in dreien ausgeführt hätten. n der That, König Wilhelm hatte die Einigung Deutschlands seinem Sohn oder seinem Enkel vorbehalten geglaubt; Schritt für Schritt aber überzeugte er sich von der Unmöglichkeit; dem Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland länger aus dem Wege zu gehen. Der preußische Staat kehrte nach den langen Zeiten des Zuschauens und der Unentschiedenheit zu den ruhm- hot E E einer Politik des Entschlusses und der at zurü.

Binnen einem Lustrum, wie es in den Jahrbüchern der deutschen Geschichte cue Gleichen dasteht und dastehen wird {ritt diese neue preußische Politik von Erfolg zu Erfolg, auf den Schlachtfeldern, in der Diplomatie, in den Parlamenten. Das 1866 mit sicherer Hand Gewonnene wurde behauptet und erweitert in einem neuen Kriege, dessen leßte und tiefste Ursache doch immer in jener von dem hervorragendsten Staatsmann und Geschichts- shreiber Frankreihs damals {arf formulierten Anschauung zu suchen sein wird, daß Frankreichs historische Vachtstellung in Europa dur die Fortdauer der politischen Zerrissenheit des deutshen Nachbarvolkes bedingt werde.

Deutschland hatte sein Recht, seine Einheit gefunden. Thaten waren vollbracht, so groß und überwältigend, daß sie füglih nicht überboten werden ftonnten. Unscheinbarer, aber darum niht minder s{chwer und verdienstvoll war die öffentlihe Wirksamkeit Bismarck's während der nun rolgenden zwanzig - Friedensjahre. _Sie galt einmal unausgeseßt der Wahrung des in harten Kämpfen erstrittenen Friedens. „Millionen Bajonette“, so hat der große Staatsmann 1882 im Reichstage ausgeführt, ae ihre polare Richtung gegen das Zentrum Europas, und Deut chland im Zentrum Europas ist dieser geographischen Lage nach und außer- dem infolge der ganzen europäischen Geschichte den Koalitionen anderer Mächte vorzugsweise ausgeseßt. Unsere Schwäche hat früher diese Koalitionen gefühlt; wir haben die Objekte, die Gegenstand der Begehrlichkeit für jeden unserer Nachbarn sein können, und wenn ich mir in der auswärtigen Politik irgend ein Verdienst beimessen kann, so ist es die Verhinderung Sthe E E Koalition gegen Deutschlond seit dem

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Indem Biêmarck’s Staatskunst so den Völkerfrieden, den Weltfrieden zu erhalten wußte, ward die Vorbedingung ge- schaffen für den Ausbau der Zustände im Innern, für eine gesezgeberishe Thätigkeit auf breitester Grundlage und auf allen Gebieten. Welch gewaltigen Theil dieser Arbeit des Ausgestaltens hat der erite Kanzler des neuen Reiches den Kindern und Enkeln doh abgenommen! Eine höchste, die entscheidende, die große nationale Auf abe, an der die Kunst der Vorfahren immer gescheitert war, sie war gelöst; welche

ülle neuer Aufgaben hat Bismarck, ebenso unershöpflich an

edanken wie erfindungsreich an Hilfsmitteln, erkannt, be- zeihnet, gestellt, um sie theils selber noch zu lösen, theils allerdings den Nachfolgern zu überlassen. Auf der parlamen- tarishen Bühne ist der Mann, der die Beredsamkeit cine geistige Funktion zweiten Nanges nannte, dreiundvierzig Jahre hindurch der Meister des Worts gewesen, der Beet der Redeschlacht, ein Rufer im Streit. Denn eine Kampfes- und Trugnatur war ihm geworden, eine Herrscherseele. „Ein Mann is noth, ein Nibelungen-Enkel,

Daß er die Zeit, den toll gewordenen Nenner, Mit eherner Faust regier’ und ehernem Schenkel“

so hatte in den vierziger Jahren des Jahrhunderts einer unserer Dichter geklagt. Als dann dieser Eiserne kam, wie hätte es ihm an Feinden Bu sollen! Jhrer viele hat er zu sih herübergezogen, seine Popularität und die Zahl seiner Ge- treuen wuchs stetig, und als Bismarck vor jeßt acht Jahren von den Staatsgeshäften schied, ward mehr noch als uvor offenbar, welch unermeßlihen Schaß an iebe und T er in allen deutschen Gauen si erworben hatte. er bisher streng Abgeschlossene, fast Unnahbare, den Augen der Welt oft auf lange Monate Entrückte öffnete jeßt die Pforten seines auses g den Besuchern von fern und nah, und unerme lih war die Zahl derer, die in den Sachsenwald zogen, um einmal im Leben dieses ehrwürdige Greisenantliß geshaut zu haben. Alljährlih und von Jahr zu Jahr in steigendem Maße war der 1. April ein nationaler Festtag, an dem in der Heimath und in der Frernde ungezählte Tausende von deutschen Männern und deutschen

würden fünfzig Jahre

1898,

Frauen ihrer Treue und Dankbarkeit gegen den Alt-Neichs- kanzler begeisterten Ausdruck gaben, und an dem achtzigsten Geburtstage hat ihm das deutide Volk unter Führung seines Kaisers Huldigungen dargebracht, Staatsmann zu theil geworden waren. N

Nicht die Verehrung und Bewunderung der eigenen Volks- e E lad icbtlihe Grote Les Pana Mas ür die ung weitgeshihtliher Größe den fiheren Maß- stab abgeben. Aber Fein Fremder hat uns noch zum Vorwurf

emacht, daß wir Verdienst und Bedeutung Bismarck's über- {hät hätten; ja vielleicht is die rückhaltsloseste Anerkennun seinem staatsmännischen Genius gerade im Auslande gezollt worden. Bismarck habe, so urtheilte ein Franzose, „die Deutschen aus dem Dunkel hervorgezogen und auf den Scheitelpunkt des Ruhms erhoben; er habe mehr für Deutsch- land gethan, als Richelieu für Frankreich, Cromwell für Eng- land, Peter für Rußland“. leitung fern stand, lauschte die Welt noch immer einem jeden seiner Worte.

Nicht nur der Einiger, au der Erzieher seines Volkes ist dieser große Deutsche geworden. Wie er der in politische Starrheit versunkenen Nation die Glieder gelöst, wie er das Volk der Dichter und Denker und der Träumer handeln gelehrt und unserer Politik, seinem eigenen Ausdruck nach, „eine respektablere Farbe“ verliehen hat, so hat er jedem Einzelnen das Beispiel gegeben, in Arbeitsamkeit, Hingebung und Pflicht- treue ganz sih in den Dienst des Staatsgedankens zu stellen und auf Erden keine höhere Pflicht zu kennen, als die Pflicht gegen das Vaterland.

Wenn der Saß wahr ist, daß die Staaten erhalten werden durch den Geist und die Kraft, darin sie gegründet wurden, so wird der Name Bismarck uns ein Wa rzeichen und eine Verkündung bleiben für alle Zeiten. Und wie einst Bismarck zu Frankfurt frei heraus erklärte, ein Preußen, welches der Erbschaft des Großen Friedrich E könne, bestehe in Europa nicht, so wird ein Deutsches eih in keiner Zukunft bestehen können ohne das Festhalten an dem Vermächtniß sciner Bearünder , des ersten hohenzollerishen Kaisers und seines großen Kanzlers.

wie sie noch nie cinem

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Seine Majestät der Kaiser und König erhielten gern Morgen von dem Professor Schwenin ger die telegraphische ahricht von dem Abends zuvor erfolgten Tode des Fürsten von Bismark. Seine Majeität sandten darauf folgendes Tele- gramm nah Friedrichsruh: „Fürst Herbert Bismarck Friedrihsruh.

In tiefer Trauer theilnehmend an dem Schmerz, der Sie Alle um den theuren großen Todten erfaßt, beklage Jch den Verlust von Deutschlands !großem Sohne, dessen treue Mitarbeit an dem Werke der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ihm die Freundshaft Meines in Gott ruhenden Großvaters, des Großen Kaisers Majestät, für's Leben erwarb, und den unauslöshlichen Dank des ganzen deutschen Volkes für alle Zeiten. Jh werde seiner Hülle in Berlin im Dom an der Seite Meiner Vorfahren die leßte

Stätte bereiten. Wilhelm, I. R.“

Seine Majestät der Kaiser und König haben Cutani des Ablebens des Fürsten von Bismarck eine zehn- ge aggen sämmtlicher Neichs- und Staats - Dienstgebäude albmast bis nah dem Tage der Beiseßung angeordnet.

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Als Bismarck längst der Staats-

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of- und eine achttägige Armee - Trauer, sowie or