1873 / 127 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 30 May 1873 18:00:01 GMT) scan diff

Westshlesien und seine Bewohner. *)

So sehr Westshlesien dur seine hohe Kultur, dur Reichthum an Ortschaften, dur deren oft meilenweite Ausdehnung, durch feine sanfte Gebirgsformation und deshalb vorzugsweise mehr anmuthige als großartige Landschaften, durch mehr Baum- als Waldreichthum u. f. w. in gefälligem Wechsel s\ih vortheilhaft vor dem Nordosten Deutschlands anem so fehlt ihm eine, besonders Nordostdeutsch- sand eigenthümliche, landschaftliche Schönheit, die der größeren ftehen- den, natürlihen Wasserflächcn, der Seen. Wer an diese oft von steilen Hügeln, oder großen Miesenflächen, oder von dichten Wäldern eingeshlossenen, oder theils mit Städten und Dörfern bebauten und belebten Wasserspiegel, an diesen oft wahrhaft hohen Zauber der nord- deutschen Landschaften gewöhnt, oder dafür empfänglich ist, der wird, wenn auch dur die vielerlei Reize Westschlefiens anfänglich mehr als befriedigt, dennoch mit der Zeit dort diesen Mangel empfinden.

Allerdings liegt in dem Fehlen der großen Wasserflächen mit ein Grund des hohen Gesammtwerthes des Areals, der starken Bevölke- rung und ihres im Allgemeinen großen Wohlstandes ; denn jene Wasser- Flächen sind außerordentlih weniger rentabel als der im grd ten Theile We tschlesiens fast durchwcg edle und ichon lange mit Fleiß und In- telligenz fultivirte Grund und Boden. A

Eines Kulturreizes muß hier auch gedacht werden, nämlich der an den vielen Kunststraßen und den Landwegen meist, wenn zwar auch nit durgchends, fleißig angepflanzten Obst- und anderen Baum- alleen. / 8 : l Melchen angenehmen Wechsel bieten diese Baumreihen und Ge- büsstreifen durch die vielen Unterbrechungen der Aus- und Fern- fichten; und welchen hohen Nußen gewähren sie durch Brechung der Winde, durch Verminderung der Ausdörrung des Bodens, dur Kon- servirung der Feuchtigkeit, namentlich des Nachtthaues, den anes in landwirthschaftliher, und den Bewohnern in gesundheitlicher Bezie- hung! Doch der betriebsame Schlesiec weiß aus vielen dieser Bäume, namentlich Pappeln, Linden, Eichen und Ulmen, noch einen Nuben für die Landwirthschaft dadur zu ziehen, daß er sie als atmosphärische Wiesen betrachtet, indem er sie in gewöhnlich vierjährigen Zwischen- räumen zur Zeit des größten Blattreichthums entlaubt, aus diejem Laub: ein vorzügliches Heu, und nach Abfütterung der Blätter in dnü trockenen Zweigen ein shäßbares Brennmaterial géwinnt. 208

Obwohl der Boden Westschlesiens der Obstkultur sehr günstig zu sein scheint (denn sogar in den Einschnitten der Chausseen durch die Basalthügel der Ober-Lausiß gedeihen die Apfelbäume in dem leicht verwitternden Fels sehr kräftig), und dort auch viel Obstbau getrieben wird, so findet dort doch an manchen feineren Sorten Kernobst einiger Mangel statt, und es sind deshalb in den leßteren Jahren von einge- wanderten Thüringern und Märkern nit allein aus dem, objtreichen Thüringen, sondern auch aus der nördlicheren Neumark feinere Obst- sorten eingeführt worden. ö ü :

Außerordentlih belebt wird Westschlesien dur feine viclen Fa- brifen, nit allein in oder bei Städten, sondern auch in vielen Dör- fern, besonders am Eulen- und Riesengebirge, sowie dur die vielen Rübenzuckerfabriken und den großartigen Gemüse- und Handels- gewächsbau in der reichen westschlefishen Ebene. _Gleichfalls bringt der zwar niht wie in dem südöstlichen Oberschlesien vielseitige, aber do bedeutende Bergbau auf Kohlen im Waldenburger Gebiete, ferner bringen die Marmor- und anderen Steinbrüche in einigen Hügel- gebieten, die Glasfabrikatien und Glas\leiferei im Gebirge, zahllose Ziegeleien, Drains- und Thonwaarenfabriken 2c. in der Ebene, die Porzellanmanufakturen in Waldenburg und Altwasser, sowie endlich der bedeutente Handel und der ungeheure Transit vielfältiges Leben und vielen Gewinn. , O

Daher haben die Eisenbahnen und anderen Kunststraßen, abge- sehen von dem Strome der Fremden in der Kur- und Reisezeit, einen jehr lebhaften Personenverkehr, und wegen des troß der starken Bevöl- ferung bedeutenden Ueberflusses an landwirthschaftlichen, bergmännischen und anderen Natucprodukten, sowie an vielerlei Kunstprodukten einen sehr großen Güterverkehr. Vorzugswei]e stark ist der Export, unter welchem in der Menge Kohlen und Getreide, hingegen im Werthe Schlesiens Wolle, die feinste und berühmteste der Érde, nebst deren O sowie Flachs und dessen Fabrikate einen besonders hohen

ntheil haben. E E |

Der Gewerbefleiß, die Betriebsamkeit und der praktische Sinn der Bewohner zeigt sich aber besonders in der sorgfäl- tigen Benußung der Wasserläufe. An den größeren und auch an manchen kleineren Bächen fieht man Schöpfräder das gehobene Wasser ansgedehnten Bleichen zuführen, deren in der Sonne blendende weiße Flächen sich grell auf dem saftig grünen Grunde abheben. Diese vielen gewerblichen Benußungen der oft nur winzigen Bäche überraschen den Fremden um so- leichter, als sie sih hier nicht oder selten, wie fast überall in den nördlicheren Provinzen, schon von Wei- tem dur vershwenderisch aufgestaute, oft große Wasserflächen kenn- zeichnen, die dort durch Rüstau und Verhinderung der Entwässerung E i und Tausende von Morgen Landes durhnäfsen und entwerthen, ondern meist ungeahnt vor Augen treten, da. der für sie nöthige Ka- nal, oft nur eine s{chmale, mit Gras überwucherte, oft theils verdeckte, oft versteckt hinter Gebäuden fortlaufende Rinne, sich dem Auge entzieht. Denn während die Wassermühlen des Nordens oft nur wenige Mo- nate im Jahre, oder im Sommer einige Stunden des Tages kaum ausreichendes Ae La haben diese kleinen Gebirgsmühlen fast immer ausreichendes Wasser, weil ihre Erbauer bei ihrer Anlage nicht das schnell verlaufende Hochwasser, sondern die gewöhnliche Wasser- menge berüdsihtigt haben. L i

Aber nicht allein zu: gewerblichen Zwecken, sondern, wo Boden und Terrain es gestatten, auch zu Kunstwiesen benußt der Schlesier sorgfältig seine vielen Wasserläufe, und niht blos die größeren Bäche, sondern selbst die kleinsten Quellen und sogar die nur periodischen Regenwasser macht er fi dienst- und nußbar. :

Die Natur hat Westschlesien bei - dem allgemeinen Reichthume an Quellen auch eine ganze Le von Heilquellen äm Riesengebirge entlang verlichen. Diese mit ihrer s{chônen und romantischen Umge- bung, wie namentlich Salzbrunn mit Fürstenstein, und Warmbrunn mit dem Hirschberger Thale und dem nahen Hochgebirge, sowie die Mestschlesien eigenthümlich verschönenden isolirten hohen Aussichtspunkte, besonders die Landsfkrone, der Zobten, der Grödibberg, der Greifenstein, ziehen alljährlich einen Strom von Kurgästen und anderen Fremden in diesen herrlichen Landstrih. A &

Auch da, wo die Natur einzelne Bezirke dieses Landstriches we- niger mit Schönheit der Bodenformation oder mit Bodenreichthum bedacht hat, haft sich der Westschlesier Zan Intelligenz und -un- ermüdlicen Fleiß selbst den Segen allseitiger hoher Kultur und be- haglihen Wohlstandes. Deshalb giebt es in esten nur sehr wenige und meist kleine Bezirke, die auf den Reisenden den Eindruck der Oede oder des Mangels an Kultur machen.

Weltausstellung 1873 in Wien.

&nternationaler Kongreß zur Erörterung der Frage des Patentshußes. Questionnaire.

I. Juternationale Gestaltung des Erfinderrèchchts; - Erfindungs- und Einführungspatente im All- gemeinen.

Empfiehlt sich unter der Vorausseßung gleichartiger Normen für den Patentschuß in allen Ländern das Prinzip der eziprozität, wonach das in dem einen Lande ertheilte Erfindungspatent dadur allein {on internationale Geltung, d. h. aufrechten Bestand in allen anderen Ländern erlangen würde ;

*) Nach einer Abhandlung in der JUustr. Zeitschrift für Länder- und Völk nde „Globus“ (Dezember 1872) Nr. 21, Bd. XXI.

Oder genügt. die Beseitigung der territorialen Bes{ränkung des

| Patentschußes, welche derzeit allseitig Reg-l ist ïn der Weise, | daß nur der ausländische Patentinhaber zur (Srlangung eines Ein-

führungspatentes in allen anderen Staaten berechtigt, die Ertheilung von Einführungspatenten an andere Personen, als an den betreffenden ausländischen Patentinhaber aber gleihmäßig aufgehoben wird?

m Falle der bejahenden Beantwortung der zweiten Frage:

I) Unter welchen Bedingungen und Vorausseßungen soll ein jolches D an einen ausländishen Patentinhaber ertheilt werden ?

9) Soll die Erwirkung eines solchen Einführungspätentes durch einen ausländischen Patentinhaber binnen einer gewissen Zeit bei jon- stiger Verwirkung des betreffenden Rechtsschubes in den übrigen Län- dern obligatorisch sein, um auf diese Weije die Benüßung der Er- findung der Gesammiheit in jedem Falle zugänglich zu machen ?

3) Welche Grundsätze {ollen überhaupt für dic Ertheilung von Einführungspatenten fe1tgehalten werden? j

II. Grenzen des Patentschußes.

1) Welche Erfindungen sollen als patentfähig erflärt, welche aus- geshlossen wérden ? 4 \

2) Genügt die Eintheilung der amerikanischen Geseßgebung:

Waaren, Maschinen, technishe Prozesse und Fabrikationsmethoten N cine weitergehende Untersheidung und Klassifikation wünschens- werth ? 3) Sollen im Allgemeinen au neue Verbesserungen an Ma- schinen, Fabrikaten oder Kompositionsmethoden patentfähig sein oder soll die Patentfähigkeit von Verbesserungen während der Patent- dauer nur zu Gunsten, resp. über Zustimmung des Patentinhabers ausgesprochen werden ?

IIL, Verfahren bei Ertheilung von Patenten.

Welches von den beiden Systemen: Vorprüfungs- oder Auf- gebotsverfahren verdient nachdem das bloße Anmeldungsverfahren durch den Gesichtspunkt einer internationalen Vereinbarung aus- geshlossen erscheinen dürfte den Vorzug, oder empfiehlt si eine entsprechende Kombination beider Systeme? _

a. In Bezug auf das Vorprüfungsverfahren: 1) Durch welche Mittel ließe sich den Schwierigkeiten begegnen, welche si der Sicher- heit und Verläßlichkeit der Prüfung -der Neuheit einer Erfindung ent- gegenstellen? E E l

2) Welche Gesichtépunkte und Grundsätze sollen für die materielle Vorprüfung maßgebend sein ? F 4 s

Soll die Vorprüfung sich auf die Neuheit beschränken, oder etwa auch auf die Nügtlichkeit und Wichtigkeit des zu patentirenden Gegenstandes ausdehnen? Mes M

4) Wie ist der Begriff der „Neuheit einer Erfindung“ mit Rück- sicht auf - die überaus mannigfaltige Auffassung dieses Begriffes in den verschiedenen Pätentgeseßgebungen zu definiren ? :

5) Welche Tragweite bezüglih der Alterirung der Neuheit der Erfindung in dem einen Lande soll der Veröffentlichung eines bezüg- lichen Druckwerkes in dem anderen Lande beigelegt werden ? E

b. In Bezng auf das Aufgebotsverfahren : 1) In welcher Weise soll das Aufgebot erfolgen und welche Frist soll für die Erhebung des Einspruches festgeseßt werden ? .

9) Soll die Ertheilung des Patentes dem Aufgebot, oder soll das Aufgebot und der Ablauf der Einspruchsfrist der Ausfertigung des Patentes vorangehen ?

IV. Erlöschung und Aufhebung von Patenten.

1) Soll- die fast in allen Geseßgebungen normirte Erlöschungs- ursache der Nichtausübung eines ertheilten Patentes innerhalb einer gewissen ia beibehalten werden? Welche Grundsäße empfehlen si in dieser eziehung für Erfindungspatente, welche für die Einführungs- patente ?

2) In welchen Fällen und von welchen Gesichtspunkten aus wann von Amtswegen únd wann über Einschreiten von Parteien soll, je nahdem für die Ertheilung das eine oder das andere Verfal- ren normirt ist, die Aufhebung cines bereits ertheilten Patentes aus- gesprochen werden können? : /

3) Soll die Aufhebung oder die Nichtigkeitserklärung eines er- theilten Crfindungspatentes auch die Nichtigkeit des in den anderen Staaten ertheilten Einführungspatentes zur Folge haben ?

V. Dauer dexr Patente.

Soll die Dauer eines ertheilten Patentes der Wahl des Patent- werbers überlassen werden, oder empfiehlt es sih, daß die Geseßgebung oleKhua ein Maximum der Dauer ausspreche ?

1) Soll das dem ausländischen Patentinhaber zu ertheilende Ein- führungspatent für die Dauer des betreffenden Erfindungspatentes eï- theilt werden, das heißt, mit dem Crfindungspatente zuglei er- löschen, oder jollen solche Einführungspatente au für fürzere Dauer ertheilt werden können ?

2) Soll eine Erneuerung ertheilter Patente vor Ablauf ihrer Dauer innerhalb des Maximums zulässig sein?

VI. KostenTd{er Patentertheilung; Taxen.

1) Entspricßt es der Natur des Patentwesens, dasselbe zu einer Steuerquelle für die Staatsverwaltung zu gestalten, oder soll die Ab- gabe für die Ertheilung eines Patents nur ein Aequivalent für den mit der Patentertheilung verbundenen Kostenaufwand Seitens der Staatsverwaltung bilden ? ,

Im Falle der bejahenden Beantwortung des exsten Theiles dieser

Frage :

2) Cmpfiehlt sich eine gleichualiae einmalige Abgabe für die ganze Patentdauer, oder soll diese Abgabe eine je nah der Dauer progressiv steigende sein ? Z __3) Welche Normen -emyfehlen fi-in Bezug auf die Taxen für die einem ausländischen Patentinhaber in den anderen Staaten zu er- theilenden Einführungspatente ?

VII. Patentbehörden.

1) Welche Organisation empfiehlt sich je nach dem bei Be- antwortung der Frage IIT. acceptirten Systeme in Betreff der in allen Ländern gleichmäßig zu organisfirenden Patentbehörden, und zwar:

a. für das Vorverfahren,

b, für die Vorprüfung, /

e, für die Entscheidung über erhobene Einsprüche. d. für die Es in A

9) Innerhalb welcher Grenzen erscheint die taatliche Administra- tion zur Mitwirkung E berufen, und?welhes Ausmaß von Inter- E joll auf diejem Gebiete der staatlichen Justiz vorbehalten

eiben 3) Erscheint die Mitwirkung cines Rathes von Sachverständigen oder einer fahmännischen Jury als ein geèignetes Mittel, um ein exaftes und s{leuniges Verfahren Herbeizuführen? Jn ‘welchen tadien soll diese Mitwirkung eintreten und wie soll eine solche Jury organisirt sein ? Rg E

Mils. -

P VIII. Snfsternationale Vereinbarung.]: i _ Welche Mittel und Wege wären die geeignetsten, um eine inter- nationale Eini m über die gleichmäßige Reform des Erfinderrehles auf der, durth eantwortung der vorstehenden Fragen gewonnenen Basis. herbeizuführen? ; 42, Praterstraße. 20, Mai 1873.

Wien. Der Präsident der Kaiserlichen Kommission : Erzherzog Rainer.

__ Der General-Direktor: Freiherr von Schwarz-Senborn.

Wien, 26. Mai. (W. A. C.) Die General - Dicektion sieht sih veranlaßt, jene gem Aussteller, welhe troß wiederholter, an sie ergangener Einladung die Installation ihrer Objekt? noch immer ‘nicht vollendet und zum Theile ihre „angemeldeten Anus- stellungsgegenstände noch nit eingebracht haben, aufmerksam zuy machen, daß vom Sonnabend, decn 31. d. M,., an, kcia Ausstellungs- objeft mehr zur Aufstellung zugelaffen wird. ;

Von den im Ausstellungêräyon befindliches Telegraphen- stationen wurden in der Zeit vom 5. bis 18. Ma1i-5097 Depeschen befördert, und zwar auf den internen Linien 2322, durch den Staats- telegraphen 1497, durch den Lokaltelegraphen 796 Depeschen.

Die Fabrikanten H. Frank und Vos in Berlin laben auf der Weltausstellung (11. Gruppe 12, Nr. 3417) ausgestellt: 3 größere Kragencartons, 3 größere Manichettencartons , 2 Cigarrencartone, 1 Lagercarton mit Klappe für Waarengcshäfte von läckirter Pappe mit und ohne Blehrand. Dieselben eignen sich besonders zum Export, {mußten nicht und werden mit enem feuchten: Lappen gereinigt. Dabei sind sie fo haltbar, daß der Preis hicrdurch zu den gewöhnlichen Pappcartons ausgeglichen wird. Die runten Cartons werden nur in der ausgestellten Größe, dagegen die anderen in jeder beliebigen Größe mit und ohne Klappe angefertigt.

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Die Bielefelder Kollektiv-Ausstellung- in Mien. -

(Aus der Zeitschrift „Der Leinen-Industrielle.*)

An dem internationalen Wettstreite auf dem Gebicte der In- dustrie, welcher auf die Aufforderung des österreichischen Kaiserstaates in diesem Jahre in Wien ftattfindet, wird sich auch der Bielefelder Gewerbfleiß in reger Weise betheiligen. j:

Hat die Biclefelder Industrie den Fachmann auf dcn Weltauës- stellungen in Londoy 1862 und mehr noch in Paris 1867 einen all- mählich fortschreitenden Ummwandlungsprozeß erkennen lassen, fo wird sie den Besuchern der diesjährigen Avsftellung bewcifen, daß sie ihre Sturm- und Drang-Periode glücklih überwunden und nun cine Stel- lung auf dem Weltmarkte errungen hat.

Sieben und zwanzig Firmen haben fih vereinigt, eine Kollefktiv- Ausstellung herzustellen, welche die Leinen-Industrie Bielefelds_ in allen ihren Pha?en vorführen soll. Z

Voran die Ravensberger Spinnerei mit ihren rohen Flachs-, Werg- und gébleihten Garnen und den Jutegespinnsten ihrer Filiale in Wolfenbüttel ; ferner die Spinnerei „Vorwärts“ mit Flachs-, Werg- und gebleichten Garnen. Diesen {ließt fih dic nechanische Weberei an, welche mit geklärten und ungeklärten Kreas-Leiner, Handtuch- und Militär-Drellen die Avsstellung beschickt. Nach den drei großen Aktien-Etablissements folgen zwei Damastfabrikèn mit gebleichten leinenen Jacquard- und Damast-Geweben , welche leßtere zum Theil extra für die Wiener Ausstellyng angefertigt wörden, um neben der bekannten Güte der hiesigen Damajte auch die fortschreitende Boll- ns in der Komposition und der Eleganz der Muster zur Anschauung zu bringen.

Hierauf folgt fih cine Anzahl Leinen und Wäschefabrikanten. Ein reiches Sortiment von „Bielefelder Leinen“ wird vorgeführt, das zwar niht aus Handgespinnft, sondern - aus den besten Maschinengarnen fabrizirt ist. Da präsentiren fi rohe und gélleichte Leinen in gre- ben, mittleren und feinen Geweben, leßtere bis zu 150 und 180 Gän- en; das is die Werkarbeit, welche den Stolz der Ravensberger cineweber bildet. y

Die Bielefelder Wäischefabrikanten haben es sich befouders ‘ange- legen sein lassen, den wohl begründeten Ruf ihrer Fabrikate aufs Neue zu bethätigen. Hier dominirt die Nähmaschine, welche eine fö-m- lihe Revolution in diesem Geschäftszweige hervorgebracht hat. Zaktl- reiche Artikel der Wäsche-Branche find vertreten: billige, mit _eiliger Nadel auf der Maschine genähte Einsäße, die 15 Thlr. das Dußend kosten, bis zu den feinsten Phantasie-Arbeiten, bei welchem man er- staunt, wie innig sich Hand- und Maschinen-Arbeit vers{hmelzen; elegant gestickte Ginsäße bis zu 150 Thaler das Dußend, für welchen Preis die Göttin Flora ihr ganzes Sue ausgeschüttet ; Kragen und Manschetten in allen möglichen Formen; Hemden, vom billigen Export-Hemd bis zur reichverzie-ten Balll-Garnitur.

Die Kosten, welche die Kollektiv-Ausftellung aufwendet, sind nicht unbedeutend und belaufen fi auf circa 5000 Thaler, während ih der Gesammtwerth der ausgeftellten Fabrikate auf ungefähr: 25,000 Thaler beläuft. Die Aus tellungs-Schränke wurden nah der Zeich- nung des Baumeisters Huwendiek in der Bautischlerei der Herren Vorderbrügge & Stenner gefertigt ; sie lehen sich an die Formen dcs Ausstellungs-Gebäudes an und sind im Renaissance-Styl. gehalten. ____Die Vertretung und das Arrangement der Kollektiv-Ausftellung ist Herrn Dr. Grothe in Berlin anvertraut, welcher die vorigjährige deutsche Au stellung in Moskau leitete, und sind daher alle Vorbe- dingungen vorhanden, daß die Bielefelder Industrie auch auf der Wiener Weltauéstellung sich würdig präsentiren wird.

St. Gotthardbahn.

Ueber den Stand der Arbeiten an der St. Gotthardbahn werden in dem vom 30. April datirten fünften Monatsberiht des Schweizer Bundesraths folgende Angaben gema: Der Richtstollen bei Göschenen ist im Laufe des Monats April um 30,4 Meter gefördert worden, bei Airolo um 12,0 Meter, und betrug am 30. April die Länge desselben bei Göschenen 117,6 Meter, ‘bei Airolo 177,1 Meter. Die Auswei- tung des Richistollens bei Göschenen betrug am 30. April 62,0 M, (gegen 60,0 M. am- 31. März), bei Airolo 164,7 M. (gegen 150,4 M. am 31. März). Die Gewölbemauerung schritt. bei Airolo im Laufe des Monats um 41,8 M. vorwärts und betrug am Ende des Monaté im Ganzen 145,0 M. Die Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeiter stellt sich bei Göschenen auf 302, bei Airolo auf 348.

Bei Göschenen bohrt man fortwährend durch Granit oder granit- | harten Gneiß. Die mechanische S hat im ersten Monat ihrer

Anwendung noch keinen großen Fort ritt ermöglicht, was leiht bc- greiflih ist, wenn man bedenkt, ar Arbeiter mit dem Gebrau der neuen Bohrmaschinen erst vertraut gemacht werden mußten. Je-

doch wuchsen die e in dem Ae als die Geschicklichkeit |

der Arbeiter zunahm und sind jeßt a pro Tag erreicht. / ;

_ Bei Airolo fanden fih die Glimmerschicht-n hin und wieder mit erdigen Materien durh}eßt und mit Wasser erfüllt, was der Festig- keit des Gesteines und damit dem Fortrücken der Arbeit wesentlichen Eintrag that. 172 M. vom Eingange entfernt, stieß man auf Gra- nitkrystalle von ziemlich umfänglichen Dimensionen. Die Temperatur der Luft betrug im Innern 16° C., im Freien dagegen nür go C, Lines E Lu I P tus en ist mittlerweile

n und wird die mechanishe Bohrung demnä ie ser Seite ins Leben treten können. / S 0A E

aximum berecis 1,8 Meter

Redaktion und Rendantur: Schwieger.

Berlin, Verlag der Expedition (Kessel). Druck: H. Heibers

Drei Beilagen (eins{ließlich der Börsen-Beilage).

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

N 127.

Deutsches Nei ch.

Nachweisung 5 der Einnahmen an Wecselstempelsteuer im A Deutschen Reiche : für die Zeit vom 1. Januar bis zum Schlusse des Monats April 1873.

se des

Zeitraume

vom Beginn de 4).

zum Schluf en genannten Monats.

4 Einna

Ober - Post- Direktions-Bezirk.

April. Bormonaten. me des Vorjahres (Spalte n 1873 - mehr weniger.

Sinnah in demselben

Einnahme in den Einnahme res bis J

o

Ja

A D Einnahme im Monat

ck|D 5 |D

L

1. Im Reich s- Postgebiet. 5 Königsberg 5,405 2) Gumbinnen . . 762 3) Danzig 4,785 4) Berlin. 30,950 5) Potsdam . 1,209 6) Frankfurt a./D.. 2,545 7) Stettin ._. 3,767 8) Cöslin. . 695 Ö Posen . 4,070 10) Breslau 7,920 11) Liegniß 3,643 12 Oele. 2,796 13) Magdeburg . 4,716 14) Halle E. 2,545 15) G 3,252 10K s 1,617 17) Hannover . 2,422 18) Münster . 2,621 19) Arnsberg . 6,986 20) Cassel. 1,335

rankfurt a./M. 10,856

B Ad erc S A 23) Coblenz . 1,114 24) Düsseldorf 14,400 E o s 819 26) Dresden . 3,817 27) Leipzig 10,614 28) Karlsruhe 4,088 29) Konstanz . 1,071 30) Darmstadt : 3,376 31) Schwerin i./M. 914 32) Oldenburg 1,420 33) Braunschweig . 1,204 O L 657 35) Bremen : 8,105 36) Hamburg. . 25,927 37) Straßburg i./E. 4,966 19,479 35) M 0%, 925 4,299 Summa I. {198,425} 618,383] 816,808] 6 Baer 9,615] 30,102] 39,717 TIII, Württemberg 5,635] 17,380] 23,015

Ueberhaupt | 213,675] 665,869 549,940]

Berlin im Mai 1873. e Kaiserlihes Statistisches Amt.

1,991 99 3,295 13,152 907 1,776 1,370 49 4,190 6,724 4,709 3/429 4,655 3,027 2,32 572 2,411 867 5,588 1,273 18,220 9,221 868 9,113 653 4,503 6,381 3,487 609 1,556 720 585 1,093 391 10,989 21,755 4,613 861 158,021 4/890 3,877 T66,79T

4,649 11/058 14/011

3,039 15,907 29,186 14,646 10,745 21,899

9,983 14,064

8,715 10,450

9,560 25,997

6,138 53,941 39,333

4,332 53,946

2,982 14/186 44/112 16,348

4,714 13,192

5,052

5,187

6,225

2,734

34,856 98,959

E F E E F FHFETT

Reichstags - Angelegenheiten.

Berlin, 30. Mai. In der gestrigen Sizung des Reichs- tags entgegnete in der Diskussion, betreffend das Reihs- Eisenbahn-Amt, der Königlich bayerische Bundesbevollmäh- tigte Staats-Minister Dr. Fäustle dem Abg. Dr. Mayer in Betreff der bayerischen Reservatrehte:

Ih glaubte, nah dem bisherigen Gange der Verhandlungen keine Veranlassung zu haben, für die bayerische Staatsregierung eine Erfklä- rung abzugeben. Nachdem mich indeß der Herr Abgeordnete für Donauwörth förmlich provozirt hat, so will ih eine solche Aeußerung son deshalb nicht unterlassen, damit niht mögliche Mißdeutungen gegen die bayerische Vertretung aufkommen.

Ich habe bisher nah dem Gange, den die Verhandlungen über das Geseß, betreffend das Reichs-Eisenbahn-Amt, genommen haben, die Ansicht gehabt, daß- volle Uebereinstimmung des Hohen Haujes darüber herrscht, daß das bayerische Reservatreht durch das vorliegende Geseß unberührt bleiben soll, und daß insbesondere der §. 3 Absatz 2 des Gesetzes, insbesondere die Worte: „innerhalb der durch die Ber- fassung bestimmten Zuständigkeit des Reichs“ gerade diesen auf Bayern bezüglichen Sinn haben. Als bayerischer Vertreter glaube ich daher eine weitere Erörterung unterlassen und lediglih die Beschlüsse des Hohen Hauscs abwarten zu sollen, um danach bemessen zu können, ob das bayerische Reservatrecht irgendwie alterirt worden ist oder nicht.

Auf eine nähere Analyse des Wortes „leider“ in der Rede des Herrn Abg. Dr. Elben mich einzulassen, habe ih keinen Beruf. Bayern ist durch ein Pers ma ige Recht ges{chüßt und die bayerische Vertretung hält es für ihre Pflicht, an diesem Rechte nach seinem vollen Umfange festzuhalten.

Rücksichtlich des Verhältnisses des Bundesraths-Aus- schusses für das Eisenbahnwesen zu dem Reichs-Eisenbahn-Amt außerte der Präsident des Bundesraths, Staats-Minister Del - brü ck, nah dem Abg. Lamcy zu §. 3 der Vorlage:

Meine Herren! Ic nehme zunächst das Wort, um eine von dem eren Vorredner wiederholte, wie mir scheint, mißverständliche Auf- assung hinsichtlich der Thätigkeit zu berichtigen, welche die Bundes- raths-Ausschtisseähaben. Ich glaube, es ist son gestern bei Gelegen- gee derselben Diskussion von einem andern Herrn [bgeordneten das- elbe Mißverständniß ausgesprochen. Fch möchte konstatiren, daß die Bundeëraths-Aus\hüsse durchaus niht Behörden sind, daß sie keine NBerwaltungs-Funktionen haben, daß le eben nichts find als ein Stück des Bundesraths selbst, welches er ildet, um seine Dee über ewisse technische Dinge vorzubereiten. Sn diesem Sinne hat der Bundesraths-Aus\huß, dem zugleich das Eisenbahnwesen obliegt, das- jenige, woip er biéher im Stande war, gethan. Der Bundesraths-

N jat vorbereitet, die naher vom Bundesrathe hes alen beiden Reglements über den Betrieb und über die Polizei; der Bun- desraths-Aus\{chuß hat auch in einzelnen Detailfragen Gelegenheit ge- habt, sih gegen den Bundesrath zu äußern, aber eben nur immer in der verfassungsmäßigen Grenze einer für den Bundesrath vorbereitenden und begutachtenden Instanz. Es" ist also ein Jrrthum, wenn be-

auptet wird, durch das Eisenbahnamt, mit dessen Errichtung Sie ih beschäftigen, würde die Thätigkeit des Bundesraths- us\chusses

Freitag, den 30, Maiï

bra gelegt. An der Thätigkeit des Bundesraths-Ausschusses in den Eisenbahn-Angelegenheiten wird dur diese Behörde absolut gar nichts geändert. So weit der Bundesrath allgemeine Reglements zu erlaffen hat, werden die nah wie vor dur den Bundesraths-Aus\{chuß, wenn auch vorbereitet von dieser nenen Behörde, an ihn gelangen. Das, was der neuen Behörde zufällt, ist ein Theil dessen, was jeßt ira Reichskanzler-Amte besorgt wird. Wenn die Herren sagten, es wird ein Stü des Reichskanzler-Amtes dadurch brach gelegt, dann haben sie Recht, aber nicht, wenn sie sagen, es wird ein Theil des Bundes- raths-Aus\husses brach gelegt. ; j

__ VPeber den Antra selbst möchte ich nur eine Bemerkung machen, eigentlich nur formeller Natur. Das, was der Herr Abgeordnete in Beziehung auf die Staatseisenbahnen will, steht, wenn ih die Vor- lage richtig verstehe, sehr viel forrekter auêgedrückt in der Vorlage selbst, und es ist cine, wie ih glaube, im Interesse des Herrn Vor- redners selbst mangelhafte Korreftur der Vorlage, wenn er sie in dem von ihm vorgeschlagenen Sinne machen will.

An den Schluß der Vorlage beantragte Abg. Blum folgenden L 6 zu seten: H

_ Bei Beschwerden gegen Eisenbahnverwaltungen auf Grund der

Reichsverfassung oder sonstiger Geseße und Vorschriften des Rei- hes, dürfen diese Bestimmungen nur in soweit in Anwendung kom- men, als au der Beschwerdeführer oder Verlebte den gleichen Be- stimmungen unterworfen ist.

Nachdem der Antragsteller diesen Antrag motivirt hatte, erklärte der Staats-Minister Delbrück:

Meine Herren! J für meinen Theil bin mit den Grundsäßen, die der Her? Abgeordnete für Heidelberg hier eben entwickelt hat, ganz einverstanden. Weil ih das aber bin, möchte ich-es vort das, was er sagen will, hier nicht zu sagen; denn es folgt in der That, wie ich glaube, und wie er auch im Eingange seiner Rede dargelegt hat, aus allgemeinen Rechtsgrundsäßen von felbst. Will man etwas, was aus solchen Grm von selbst folgt, ausdrüdcklich sagen, so kommt man, wie fih das hier son in den zwei verschiedencn Fassungen zeigt, sofort auf sehr erhebliche Redaktions\chwierigkeiten. Man fommt in die Lage, sich sehr genau vergegenwärtigen zu müssen, ob man nicht zu viel sagt oder zu wenig sagt. Dieses glaube ih, ist ein genügen- der Grund, etwas, was sich eben aus allgemeinen Rechtsgrundsäßen von selbst versteht, nicht zu jagen. Der Herr Vorredner hat Bezug genommen auf das Verhältniß bei dem Unterstüßungswohnfiß. Jch habe das Geseß, durch welches das norddeutshe Geseß über den Un- terstüßungswohnsiß in Baden und Württemberg eingeführt wurde, nit vor mir, wenn mih aber mein Gedächtniß nicht ganz täuscht, hat man damals es durchaus nicht für nothwendig gehalten, in diesem Gesebe zu sagen, es findet nur auf die Angehörigen solcher Bundes- staaten Anwendung, in welchen das Geseß gilt. Es wäre das ebenso nöthig gewesen, diejes bei der Einführung des Unterstüßungswohnsiß- geseßes zu sagen und ebenso überflüssig, als es hier nöthig oder über- flüssig ist. Jch glaube, man thut am besten, die an sich ja s{wierigen und in mander Bezichung delikaten Fragen, die fich aus den bestehenden Reservatrechten herleiten, weder positiv noch negativ hier im Geseße zu behandeln, sondern. sih darauf zu verlassen, daß nach dem Gesfeße, so weit es hier angenommen if würde das ja zutreffen sowohl bei dem Reichs-Ei)enbahn-Amt, als weiter bei dem Bundesrath das rihtige Verständniß dafür obwalten werde.

In der zweiten Berathung des von den Abgg. Windt- horst (Berlin) und Genossen gestellten Antrags auf Erlaß eines Reichsgeseßes über die Presse gab der Bundes-Kommissar, Ge- heimer Regierungs-Rath Starke folgende Erklärung ab:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat bereits auf die Grklä- rungenæhingewiesen, die ih vorIhrer Kommission abzugeben die Ehre hatte, indem ich darlcgte, welche Gründe für mich bestimmend jein mußten, bei den Berathungen Ihrer Kommission eine zurückhaltende Stellung einzunehmen. Meine Herren, diese Gründe Lestehen auch heute noch fort. Ich erlaube mir, mit Bezug auf die gegenwärtige Lage der Verhandlungen, bei den verbündeten Regierungen zu bemerken, daß die Königlich preußische Regierung auf Grund Allerhöchster Ermächtigung nunmehr einen Antrag auf Erlaß eines Preßgeseßes bei dem Bundesrath eingebracht hat. Der Bundesrath wird also gegenwärtig in die Berathung diefer wichtigen Materie eintreten, und es ist zu erwarten, daß diese Berathung bald ihren

Abschluß finden werde, so daß möglicher Weise noch in diefer, _1pä-

testens aber in der nächsten Session eine Vorlage an das Hohe Haus gelangen wird.

Der Abg. Wiggers äußerte hierauf, daß diese Erklärung den Reichstag nicht veranlassen könne, von der Berathung des in der Kommission vorberathenen Gesegentwurfs abzulafsen, vielmehr \ei die Fortsezgung der Berathung der einzig mögliche Weg, noh in dieser Session zu einem Vreßgeseß zu kommen. Wolle man die Vorlage des Bundesraths abwarten, so würde in den höchstens vier Wochen, welche der Reichstag noch tagen würde, keine Zeit übrig sein, um sih über die unzweifelhaft vor- handenen Differenzpunkte mit dem Bundesrath zu verständigen.

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst v. Bismar ck das Wort:

Dur die Erklärung des Herrn Reichskommissars find die Her- ren benachrichtigt, daß gleichzeitig mit ter hier schwebenden Verhand- lung eine über denselben Gegenstand im Bundesrath stattfindet. Jch

gebe ‘es Ihnen anheim, zu erwägen, ob nit die Verständigung, die zum Zustandekommen des Preßge]eßes erforderlich ift, ers{chwert wird, wenn beide zur Mitwirkung berufene Körperschaften in der Art pa- rallel verhandeln, daß die etne ihre Entschließungen festlegt, während die andere noch im Stadium der Berathung ist, was ein autoritatives Mitreden nicht gestattet. L : N \

Der Antrag der preußischen Regierung ist erst heute an den Bundesrath gelangt. bedaure, daß das nicht früher der Fall ge- wesen ist, aber die Verhandlungen im preußischen Staats-Ministerium, die der Stellung des Antrages vorausgehen mußten, find nicht früher zum Absch{lusse gelangt. Wenn nun e t mit der zweiten Berathung vorgegangen wird vielleicht auch mit der dritten EOS der Bundesrath seinerseits, wie ih hoffe, mit möglichster Beschleunigung die Sache berathen wird, so wird immerhin der Bundesrath nicht in der Lage sein, durch seine Mitglieder und Vertreter eine bestimmte Erklärung, die auf Beschlüssen des Bundesraths beruht, abgeben zu können. Wenn Sie ihm aber so weit Zeit lassen, daß wenigstens der Inhalt sei- ner Vorlage die Vorlagen, die an den Bundesrath gelangen, pflegen ja auf Wegen, die nit bekannt sind, sehr ras in die Oeffentlichkeit zu ge- langen bekannt ist, der Reichstag und seine Mitglieder ihrerseits sich ein Urtheil über die Tendenzen des preußischen Antrags, bilden können, wenn Sie dem Bundesrathe Zeit lassen, sich in seinen Beschlüssen, was ja meines Erachtens in kürzerer Zeit als in 14 Tagen ge]e- hen fann, soweit zu entwickeln, daß er Ihre Berathungen zu begleiten und fi an denselben in einer anderen Weise als dur ledigliches Aussprechen der persönlichen Ansicht Einzelner zu betheiligen vermag, dann glaube ih, daß wir doch mehr Chancen haben, zu einer Ver- ständigung zu gelangen, als wenn der Reichstag feine Vota nun Festlegt, Es wird dann viel \{chwerer sein, über etwa divergirende Ansichten, zu denen der Bundesrath sich vereinigt, noch zu einer Verständigung zu gelangen. Jh glaube daher, daß es im Interesse der Sache liegt, wenn der Reichstag auch nicht auf die

Verhandlung dex Preßfrage in dieser Session - verzichtet, daß er dem

1878.

Bundesrathe doch so viel Zeit läßt, wie nach der wahrscheinlichen Dauer der Sißungen noch abgelassen werden fann, ohne daß die Zeit zur definitiven Beschlußnahme, die naher übrig bleibt, zu stark beschränkt wird. Daß der Reichstag in vier Wochen geschlossen sein Fönnte, so sanguinisch find meine Hoffnungen allerdings niht. J

bedauere es mit Ihnen, meine Herren, ih strebe mit Jhnen nach Frei- heit aus dem Stadtleben, aber wir werden {wer fertig werden bis dahin. J bin sehr dankbar na meinen persönlichen Cmpfindungen, wemi wir früher unsere Arbeiten soweit beendigen können, daß wir zu einem Abschlusse gelangen. Aber selbst wenn der Herx Vorredner mir auch nur ein bis zwei Wochen zugiebt und Sie lassen dem Bundes- rath cine Dekade Zeit, um si über diese heutige preuzishe Vorlage zu verständigen, so würden Ste 1mmer doch noch gegen vier Wochen behalten, um die beiden ausstehenden Lesungen des Preßgeseßes, wenn JIhnen die bundesräthlihe Haltung nit konvenirt und Sie vom selbständigen Vorgehen nicht abhält, um die zum Ab- ichlusse- zu. bringen, und den Uebelstand, den der Herr Vorredner fürchtet, daß. die ganze Sihung ohne die Verhandlung Über die Preßfrage vorübergeht, zu verhüten. Es3 ift ja nicht nothwendig, daß Sie den vollen Abschluß-der Bundesrathsverhar.dlungen abwarten. Menn Sie etwa, wie mein Wunsch wenigstens fein würde, die heutige zweite Berathung abseßten und fie auf aht bis zehn Tage hinauschü- ben, Hat dann der Bundesrath sich nicht so beeilt, daß er in Ihrer Berathung mitwirken kann, so bleibt Jhnen jedenfalls noch Zeit, die beiden ausstehenden Lesungen dieses Geseßes selbständig zu abjolviren.

Nach dem Abg. Herz ergriff der Reichskanzler Fürst v. Bi s- marck noch einmal das Wort:

Der Herr Vorredner, wenn i ihn recht verstanden habe, hat ge- sagt, es sei ihm von dem Herrn Kommissarius und mix nit mit der- wünschenswerthen Aufrichtigkeit entgegengetreten. Dieser Vorwurf wäre nicht begründet, wenn er auêgesyrohen wäre. (Präsident Dr. Simson bemerkt: Jch glaube sagen zu dürfen, er ist nicht ausgesprochen worden.) s

Dann habe ih wegen der Entfernung und der Tragweite der Stimme mißverstanden.

Der Herr Kommissarius und ih haben vielleicht von der Schnel- ligkeit, mit der der Bundesrath arbeitet, eine verschiedene Schäßung, ih habe diese Schnelligkeit Höher taxirt, wie mein Herr Nachbar. Das ist, glaube ih, die einzige Nüance zwischen unseren Auffassun- gen. Ich habe fie vielleicht deshalb höher taxirt, weil ich den sehr lebhaf- ten Wunsch habe, daß ein Preßgeseß zu Stande kommt und zwar noch in dieser Session, ein Wunsch, der s{chwerlich allseitig getheilt wird, und dessen Verwirklichung einigermaßen davon abhängt, ob ich in der “abi a dieses Wunsches Beistand im Reichstage finde oder nit.

Dex Herr Vorredner hat seine Ansichten ausgesprochen, daß, wenn die Regierungen überhaupt zu einer Ansicht über ein Preßgeseß hät: en fommen wollen, sie dazu eben so gut vor drei bis vier Wochen hätten fommen föônnen, wie jeßt, und wenn es vor drei bis vier Wochen nicht geschehen wäre, so würde es auch jeßt nicht gesehen. Jch glaube, Sie beurtheilen die Entwickelung der Geschäfte in den mini- steriellen Stadien doch idealistisher, als sie in der That isi. Sie entwidelt sich menschlich in derselben Weise, wie in dem Reichstag e aus den Verständigungen verschiedener Fraktionen, aus der Ausglei- hung, die durch verschiedene Amendements bewirft wird, von denen Eins dem Anderen entgegenkbommt so auch sind unter den Mini- stern und Regierungen Meinungsvershiedenheiten und Ausgleichungen.

Der erste Eindruck des jeßt Jhnen vorliegenden Preßgeseßes war, id glaube bei der Mehrzahl aller Regierungen: dieses Gefeß geht so- weit in seinen Ansprüchen, daß wir darauf in feiner Weise eingehen können und wollen; diese Ansicht habe ih meinerseits bekämpft. Der Antrag ist eben ein Vorschlag, und aus Vorschlag und Gegenvorschlag entsteht zuleßt cin Geseß. Daß dieser Vorschlag soweit außerhalb der gouvernementalen Möglichkeiten, wie fie den Regierungen vorschwebten, gewählt ist, das bedingt nicht, daß er o nothwendig durch den Reichs- tag geht, namentlich, wenn eine “gemeinsame Arbeit des Reichstags und der Regierungen eintritt. Diese Arbeit nun,“ die erforderlich war, um die Verständigung rats zu bringen, daß 1chließlih anstait einer Vorlage eines Reichsgesetzes doch ein zreußisher Antrag gebracht wer- den fonnte, hat allerdings einige Wochen in Anspruch genommen; fie hat mitunter über ähnliche Verhältnisse hon einige áSahre in Anspruch genommen, und ist oft in Ermangelung stärkeren Drucks auf Beschleu- nigung erfolglos geblieben; es hat über Geseßvorlagen, über Preß- vorlagen und ähnliche, eine Verständigung bis zur Reife nicht stattge- funden. Jch ergreife nun sehr gerne in solchen Materien, wo mir eine Gesetzgebung erwünscht ist, den Ball, der mir entgegengeworfen wird, von welcher Seite es sein mag, namentlich aber von der so sehr und so gleichmäßig kompetenten des Reichstags. So ist es bei dem Eifen- bahngeseß der Fall gewesen, da hat der Reichstag von seiner Jnitia- tivezu meiner großen Genuathuung Gebrauch gemacht, und wenn ih bei der Interpellation über die Stellun des Bundesraths dazu gestern gegenwärtig gewesen wäre,so würde ich einfach auf meine früherenAnuslassungen verwiesen und hinzugefügt haben, daß der Bundesrath si über die Sache schlüssig machen werde, obald ihm die Beschlüsse des Reichstages vorliegen, daß aber der Bundesrath ganz nah dem Prinzip handele, was ih Flznen eben empfehle, keine gleichzeitig fonkurrirenden und die Ansich- ten feststellenden Beschlüsse über denselben Gegenstand zu fassen, fon- dern in t Ege Weise die Beschlüsse des Reichstags abzu- warten. - Der Bundesrath würde dies ja auch hier thun, wenn er nicht, wie ich hoffe, durch Betheiligung an Jhren Verhandlungen auf För- derung des Verständnisses- mitwirken kann. Die Sache liegt hier doch elwas anders, wie bei der Eisenbahnfrage, wo es sich um eine einfache Ausführung einer Exigenz der Verfassung handelte, und die Ausfüh- rung der Verfassung liegt im Bund esrathe allen Mitgliedern, den Regierungen und deren Vertretern am Herzen. Aber ih will niht in die vorige Diskussion zurückfallen, sondern nur wiederholen, daß meine Bitte, die Sache zu vertagen, von meinem aufrichtigen persönlichen Wunsche, zu einer Verständigung, zu einem, wirklichen Preßgeseße zu gelangen, eingegeben ist, indem ich mit Bestimmtheit voraussche, daß die Beschlüsse des Reichstags und des Bundesraths nicht so koinzi- diren werden, daß sih von Hause aus ein Geseß daraus machen läßt, wenn Sie jeßt allein vorgehen, ohne daß der Bundesrath zu einer förmlichen Unterhandlung mit Jhnea im Stande is. Ist das aber nicht der Fall, dann wird doch noch immer eine Rückverhandlung und Rückantwort vom Bundesrath nothwendig fein, und diese werden dann meines Erachtens eine sehr viel längere Zeit, wenn Sie überhaupt zu einem Preßgeseß gelangen wollen, in Auspruch nehmen, als die von mir in Aussicht gestellten wenigen Wothen. Die einzige Hoffnung auf ein wirkliches Zustandebringen des von mir ge- wünschten Geseßes in dieser Session berußt nach meiner persönlichen Werthshäßung ih kann mich ja irren, ih kann es ja nicht b e- stimmt voraussehen darauf, daß Sie den Bundesrath den Vor- sprung, den Sie in der Berathung bereits gewonnen haben, ‘erst ein- holen lassen, und daß hier erst eine gemeinschaftliche Berathung inso- weit stattfindet, daß man, vielleicht in vierzehn Tagen, eine Ueberzeu- gung darüber gewinnt, ob eine Einigung zwischen beiden Rörvecs(afs ten möglich sei. Oder: fie ist nicht möglih; dann ist es niht noth- wendig, daß wir uns weiter damit quälen, denn dadurch würden wir die Sorgen einer langen Dauer der Session nur vermehren.

Bei Feststellung der Tagesordnung der nächsten Sißung machte der Präsident Delbrück über das Münzgesetz fol- gende Mittheilung

Meine Herren:

D V I TET Tr r

h Ich habe die Zeitungsnachrichten, auf die der