1920 / 248 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Nov 1920 18:00:01 GMT) scan diff

ritt bekommt; denn nach dem Wortlaut der Vzlkerbund3akte kann “der Antrag auf Aufnahme eines Staates in den Völkerbund aud ‘von anderen a!s von dem beteiligten Staat selbst gesteilt werden. Sollte dieser Antrag gestellt werden, follte die dazu nôtige Majorität gefunden werden, sollte der Miderspruch Frankreihs von der Nölkerbundsversammlung zur Ruhe gebracht werden, dann würde ih es nicht für rihtig halten, nein zu fagen. Aber wohl würde ih es für rihtig halten, den Vorbehalt zu machen, den ih {on erwähnt Firbe, einen Vorbehalt, wie ibn die Schweiz ähnli für ihre Neutrirlität unter gewissen Umständen gemacht hat : nit: dur den Eintritt in den NVzlkerbund in eine Nölkerbunderekutive gegen einen Oststaat an.

eingezogen zu werden. i Meine Damen und Herren, was hat aber der Frieden2vertrag

von Versailles statt des Bundes der Völker in Wirklichkeit gebracht ?

Mit geradezu raffinierten Methoden hat er den Unfrieden unter diese

Vzlker gebracht. (Sehr zihtig! rechts und bei den Regierultgs-

parteien.) Er hat einen Zankapfel nah dem anderen zwischen die

Nzlker bineingeworfen, und was der Friedensvertrag nit fertig

gebracht hat, das hat zum Teil der Waffenstillstand vollendet. Selbst unter den alliierten Mächten sind ja solche Zankäpfel, wenn fie sich um die Beute aus den deutschen Hergaben streiten. Jeßt sind Fe dabei, sih die deutschen Kabel zu teilen. Es ist ja kein Ge- heimnis, daß es dabei keineswegs sehr friedlich zugeht. Aber, meine Damen und Herren, au die Gesamtheit der Alliierten einerseits umd Deutschlands andererseits ist durch die Gestaltung des Friedens- vertrags eigentlih zum Unfrieden geradezu verdammt. Ich spreche da vor allen Dingen darüber, wie die Kolonialfrage geregelt ist. (Sehr richtig! rechts.) Es wird Deutschlands Aufgabe fein und vie deute Regierung wird sich diefer Aufgabe nicht entziehen können —, immer wieder darauf zu verweisen, daß Deutschland seinen Ansyruch erhebt auf Mitbeteiligung bei dem Mandatssystem. (Seh? riGtig! bei den Negierungsparteien.) Wir haben den Beweis er- bracht troß aller Verleumdungen, die über uns verbreitet worden sind, und tros aller Mißgriffe, die wir wie alle anderen gemacht. Saben, wir haben den Beweis erbracht, daß das deutsche Volk Folonisatorish ebenso fähig ist wie die anderen kolonisierenden Völker (sehr richtig! rechts), und daß wir infolgedessen das- selbe Ret haben wie die anderen uuter der Vorausfeßung der Einhaltung derjenigen Kautelen, die die Völkerbundsakte zugunsten der eingeborenen Bevölkerungen aufstellt, in das Mandats- verhältnis zu diesen Bevölkerungen einzutreten.

Fch möchte die Gelegenheit benußen, um einen Vorwurf zurück- . zuweisen, der mir wegen einer Bemerkung über Kamerun und Togo gemacht worden ist.

Ih habe seinerzeit gesagt, ih könnte ni®ßt annehmen, daß die französishe Regierung einer Annexion Kameruns und Togos zu- stimmen werde, da fie gegen den Friedensvertrag verstoßen würde, und da die deutshe Regierung cine folche Annexion nie würde aner- kennen können. Es is erwidert worden, die französishe Regierung habe die Annexion schon ausgesprochen. Mir ist sehr wohl bekannt- daß in den Jahren 1919 und 1920 zwei französische Kolonialminister die These verfolgt haben, Frankreich habe ein Reit auf die Annexion. Diese These wird mit Ausführungen verteidigt, die ih hier nickt in der Länge wiedergeben will. Es ist aber nicht ribtig, daß die fran- zösische Regierung eine Annexion {on vollzogen habe. Auch die Nach- rit, die jeßt durch die Zeitungen gegangen ist, daß französische Truppen von den Gebieten Kameruns und Togos, die noch in Frage standen, nunmehr Besitz ergriffen hätten, bedeutet keine Annexion, sondern bedeutet nur, was der Franzose „Mise en possession“ nennt, die Besitzergreifung, die an si mit dem Mandatssystem noch verträglich ist.

Am 6. Mai 1919 wurde in Paris die Frage von Kamerun und Togo einer besonderen Vereinbarung zwischen England und Frankreich vorbehalten, aber, soweit ih es beurteilen kann, immer nur unter der allgemeinen Herrschaft des Mandatssystems, wie es der damalige Friedensentwurf von Versailles vorsah. Wie sich England und Frankrei über Kamerun und Logo verständigt haben oder ver- ständigen werden, weiß ich nicht. Von einer Annerion im eigent- lien Sinne habe ih bisher nichts gehört.

Meine Damen und Herren, ich komme jeßt an die einzelnen Länder. Da sind wir naturgemäß besonders bart getroffen durch die Bestimmungen, die der Friedensvertrag über Frankfreich ent- bält. Frankreih gegenüber hat Deutschland die stärkste Ein- buße erlitten. Ih will die Namen der Gebiete nicht in den Mund nehmen, da es jeden Deutschen chmerzen muß, dies zu tun-

&Fch will aber davon \prehen, baß auch die vorläufigen Belastungen gerade Frankrei gegenüber besonders {wer und s{merzlih sind. Ich erinnere an das Saargebiet, dessen Zustände uns jeßt völkerre{tlich einstweilen nichts mehr angehen, aber. moralifsch und gefühlsmäßig nicht aufhören werden, uns auf das innigste und lebbasteste zu be- rühren. (Lebhafte Zustimmung.)

FH erinnere an die außerordentlichen Belastungen, die unsere rheinishe Bevölkerung durch die Ofkkupation zu erdulden hat, Belastungen, die ja gar nicht anders können, als - immer wicder von neuem in den deutshen Herzen Kummer und Erregung entstehen zu lassen. (Lebhafte Zustimmung.) Sh erinnere daran, daß die französisdhe Behörde es ist, die in Ober- \{lesien das Heft in der Hand bält, daß es ein französisher General ‘ist, der in Oberschlesien die Maßnahmen treffen muß, über deren Dur(führung wir uns so oft zu beschweren haben, und ih erinnere \{ließlich daran, daß unter den Kommissionen, die in unserem Lande hin und ber reisen, und die wir so vielfah auf unseren Straßen sehen, die Franzosen besonders zahlreich find. Troßdem bemüht #ch die Negierung und muß \ich die. Regierung bemühen, mit Frankrei aud unter diesen erschwerten Bedingungen normale Beziehungen her- zustellen und zu pflegen, weil uns ganz ungewöhnlich starke friedliche Interessen an Frankceich ketten, friedliche Interessen au, foweit es Snteressen sind, dic der Friedensvertrag geschaffen hat.

Wir sind dur den Friedensvertrag in einer Weise auf eine Ver- ständigung mit Frankrei angewiesen wie mit keinem andern Lande der Welt, und wenn Frankreich das ebenso einsieht, wie es bei uns doch schon die leitenden Geister aller Bevölkerungskreise einsehen, dann müßte der Weg gefunden werden, der über die jehigen fort- währenden gegenseitigen Reizungen hinwegführt.

Herr Graf Westarp hat der deutschen Regierung und. hat ins- besondere mir vorgemorfen, wir hätten uns gegenüber der französischen Behörde würdelos benommen. (Sehr wahr! bei den Deutshnatio-

malen.) Jch kann das „Sehr wahr“, das jeßt. gesagt worden ift,

pur mit dem Wort erwidern: sehr unwahr! (Lebhafte Zustimmung

f Grund eines jest bestehenden Konflikts her-

und im Zentrum.) Jh bîn mir nik bewußt, auuH mur in E u A einer ‘aifdk in meiner Unterhaltung mit Ver- tretern der französischen Regierung es an der für den Vertreter der - deutschen Regierung erfo üde haben fehlen zu lassen. Bravo! links.) J glaube, das N as bestätigen lassen können, wenn es ibnen die Deutschen nit bestätigen wollen, die dabei gewesen sind. (Sehr gut! und lebhafte Zustimmung links.) / /

Jch muß au den Botschafter in Paris, Herrn Mayer, in Stub nehmen. Die Worte, die er bei Uebergabe seines Beglaubi- gungsscreibens gesprochen haf, sind in Kenntnis der deutschen Re- gierung, in Kenntnis des Auswärtigen Amtes gesprochen worden, und wir haben diese Worte gebilligt. Wenn der Botschafter dabei gesagt hat, es werde sein Bestreben sein, auf der dur den Frieden8vertrag von Versailles geschaffenen Grundlage die Pflege normaler Be- ziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu versuchen, fo be- deutet das nicht eine Anerkennung der Durchführbarkeit des Friedens- vertrags, sondern es bedeutet eine Anerkennung der Tatsache, daß es in Deutschland so steht, wie es steht. Ja, meine Damen und Herren, das ist ein wichtiger Punkt! Jch halte es nit für richtig, daß wir in Deutschland immer noch tun, als wenn die Verhältnisse gar nicht so wären, wie sie sind. (Lebhafte Zustimmung links.) Wir müssen sie so anerkennen, wie sie sind. Das is} das einzige Sprungbrett, von dem aus wir wieder zu größerer Höhe gelangen kennen.

Meine Damen und Herren! Glauben Sie, daß unser Verfabren \&lehter ist, als das Verfahren, das man auf dem Hannoverschen Parteitag der Deutschnationalen Volkspartei einges{lagen hat (sehr gut! und lebhafte Zustimmung lieks), wo man ganz offen vom Rache- fricg gesprochen hat? (Hört! bört! links. Lebhafter Widerspruch bei den Deutschnationalen.) Jch glaube, die Deuts nationalen werden dem Franzosen Gambeita nit nadsagen wollen, daß er ein unnationaler oder würdeloser Vertreter Frankreichs gewesen ist, und Gambetta hat bekanntlich gesagt: immer daran denken, niemals davon \precen! Selbst wenn die deutshe Regierung an einen Racbekrieg dächte und sie denkt niht daran —, dann würde es doch ein ganz außer- ordentlih falshes Verfahren sein, diesen Teufel an die Wand zu malen. (Große Unrube und Zurufe bei den Deutschnationalen.) Jch habe den stenographischen Bericht über den Parteitag von Hannover nicht; ich habe es nur aus den Zeitungen entnommen. (Leb- hafte Zurufe bei den Deutschnationalen, Erregte Gegenrufe links. Glode des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete von Graefe (Goldebee) hat mir eben in ziemli heftiger Weise gesagt, ih möchte mi besser informieren, bevor ih spreche. Ich glaube, mir das Zeug- nis geben zu können, daß ich mi in allen Punkten, über die ih hier vor dem hohen Hause spreche, so gut informiere, wie es mir mögli ist. (Sehr wahr!) Aber meines Wissens ist von der Deutschnationalen Partei das Stenogramm ihres Parteitages den Behörden noch nicht mitgeteilt worden, Jh habe mih nit anders informieren können, als aus den Tageszeitungen. (Abg. von Graefe [Mecklenburg]: Sie hätten mi jeden Tag fragen können, ob ich das gesagt habe! Zuruf von den Sozialdemokraten: Die deutshnationale Presse hat es so gebracht! Abg. von Graefe [Mecklenburg]: Vom Rahekrieg steht kein Wort darin! Das sollen Sie mir erst mal zeigen!)

Meine Damen und Herren! Einer derartigen Verheßung, wie sie, wenn au nit auf dem Hannoverschen Parteitag, doch Tag für Tag in der deutshnationalen Presse getrieben wird (sehr ritig! bei den Sozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten), ift es zu- zuschreiben, daß wir immer noch von Zeit zu Zeit in die Lage verseßt werden, uns Frankreih gegenüber entshuldigen zu müssen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten.) Dann kommen allerdings solhe Fälle vor wie Breslau (sehr wahr! bei den Sozialdemokraten), wo ih leider genötigt war, einen Gang zu tun, der mir bitter schwer geworden ist, den ih aber im Interesse des deutschen Volkes iun zu müssen geglaubt habe. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten und bei den Deutshen Demokraten.)

Es ist jetzt wieder ein Fall in Hamburg vorgekommen, über den von der französishen Regierung Aufklärung und Genugtuung ge- fordert wird. Der Hamburger Vorfall s{heint zurückzuführen zu sein nicht etwa bloß auf das Radaubedürfnis ungebildeter Kreise einer Hafenbevölkerung, sondern auf die Verhebung einer Bevölkerungs- hit, die eigentlih wissen sollte, was sie tut. (Hört! Hört! bei den Cozialdemokraten und bei den Deutschen Demokraten.)

Man mag die französishe Prestigepolitik beklagen, meine Damen und Herren; wir wissen alle, wie die französishe Mentalität ist: der Franzose legt nun cinmal auf alles, was mit seiner Fahne und feinem Ruhm zusammenhängt, ein fast übertriebenes Gewicht. Wir müssen aber dieser Prestigepolitik Rehnung tragen. Sie ist nicht zu ändern, und wir-müssen jeßt daran denken, daß wir nach dieser Richtung bin mit Frankreich zu einer Verständigung kommen müssen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Freilich, meine Damen und Herren, zu einer Verständigung auf einer anderen Basis, als sie gewisse Pressestimmen in unserm Vater- lande uns nahelegen wollen, denen gegenüber wir ja Frankreih gar niGt genug cntgegenlaufen können. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) Das ist wiederum das andere Extrem. Jch glaube, sagen zu können, daß derartige Presseerzeugnisse selbst der französischen Regierung nit angenehm sind (sehr gut! bei der Deutschen Volk3- partei; hört! hört! bei den Deutschen Demokraten), Presseerzeugs; nisse, die auf französischer Seite immer alles weiß und rosenrot und bei uns immer allcs ganz schwarz finden. (Sehr gui! bei der Deutschen Velkspartei.)

Die jebige französische Regierung ic darf das hoffen und aus- sprechen ist entschieden geneigt, die Wege zu beschreiten, die die deutsche Regierung als für das gegenseitige Verhältnis zwischen Frank- rei und Deutschland ersprießlich betrachtet. Ih weiß das aus dem Munde des gegemvärtigen französischen Botschafters Herrn Laurent, der sicherlich ein feuriger französischer Patriot und sehr cnergischer Ver- fehter französisder Interessen is, den aber vor allen Dingen auch ein kluger Geschäftsmann und ein verständiger Politiker ist, mit dem wir nach dieser Richtung hin, wie wir hoffen, gui werden arbeiten können.

Meine Damen und Herren! Ich gehe zu Belgien über. Auch hier ist der Zankapfel sichtbar: der Zankapfel heißt hier Eupen und Malmedy. (Sehr richtig! im Zentrum.) Wir werden über diesen Zankapfel in einer besonderen Verhandlung sprehen müssen. Jh versage es mir daher, jeßt darauf einzugehen. Ih möchte aber darauf himveisen, daß es doc troß alledem, was Belgien während des Krieges angetan wurde, nicht wohlgetan ist, wenn in einem Lande, das mit Deutschland so eng wirtshaftlih verbunden sein sollte wie Belgien mit Deutschland, jeßt noch eine feindselige Haltung eingenonunen wird,

t

Es ist kaum ein Lank, in Loni ein Deuts Ger fo ser cin menschema würdiges Dasein führen kann wie Belgien. (Hört, hört! im Zentrum.) Mir baben das ja in Spa gemerkt und unsere Deutschen haben es in Antwerpen gemerkt; und das kann ih sagen: wenn sih das nicht ändert, ist e3 ein widersinniges Verlangen, wenn Belgien vielleicht in Ausführung des Friedensvertrages den Rhein-Maas-Kanal bauen lassen wollte und vorher eine Stimmung geschaffen hâtte, daß dieses Hinterland gar niht mehr den Rhein-Maas-Kanal würde benußen wollen. (Sehr gut! im Zentrum und bei der Deutschen Volkspartei.) Ich hoffe, daß diese Stimmung vergehen wird. Man wird Belgien Zeit lassen müssen; man weiß ja, was Belgien für sich ins Feld zu führen hat. Aber die Annäherung muß doch einmal kommen; sonst werden die naürliden Verbindungen, die ehemals zwischen Belgien und Deuschland hin- und hergelaufen sind und wieder hin- und her- laufen sollten, für alle Zeit zerrissen werden.

Anders ist die Sache mit Jtalien. Mit Jtalien sind die Ver- bindungen sehr viel leichter aufzunehmen. E3 ist das teils dem Charakter des Volkes, teils den parallelen wirtschaftlichen Jnieressen zuzuschreiben, die uns mit Jtalien son jeßt verbinden und vermutlih in Zukunft noch stärker verbinden werden. Ganz zweifellos sind wir auch Italien gegenüber durch einen solden Zankapfel in unseren Be- ziehungen belastet. Hier heißt der Zankapfel Südtivol. Wenn i den Namen Südtirol hier nenne, so nenne ich den Namen eines Ge- biets, das dem deutsben Herzen immer ganz besonders teuer war. (Beifall und Zustimmung.) Aber ih nenne ihn mit der auSdrüds liden Erflärung, daß für das Lend Südtirol mahtpolitishe Gre wägungen für die deutshe Regierung niemals eine Rolle spielen Eönnen. E3 ist eine Politik der moralischen Unterstühung und eine Politik der verständigen Erwägungen. Wir wissen, daß Italien seine große Geschichie im 19. Jahrhundert verdankt den heldenhaften Vor- fämpfern für den Gedanken nationaler Selbstbestimmung. Kein anderes Land hat derartige Kämpfer für diesen Gedanken gestellt wie Jtalien. Deswegen wird Italien verstehen, daß wir großen Wert darauf legen, daß auch dieser deutschen Bevölkerung, die \tra- tegishen Erwägungen zufolge von dem deutsden Gebiet hal abge- \chnürt werden müssen, eine solche Selbstbestimmung gewährt wird, die es ihr ermögliht, gern innerhalb der Grenzen Italiens ¿hrer eigenen Kultur weiter zu leben.

Meine Damen und Herren, die italienishen Fnteressen in Deutschland sind jeßt vertreten durch den Botschafter de Martino. AUe, die mit ihm verhandelt baben, bedauern es lebhaft, daß er eine andere, ehrenvolle Aufgabe gestellt erhalten hat. Er wird im Laufe der nächsten Monate uns vermutlih verlassen und nah London übersiedeln. Unsere Wünsche werden ihn begleiten, daß er in dem neuen Wirkungskreis eine ähnliche Gelegenheit haben möge, mit Er- folg für scin Heimatland einzutreten, wie er ihm hier beschieden war. Er war sicherlich nit ein Deutschenfreund in dem Sinne, wie man das hierzulande manchmal meint, als wenn es sich darum handelte, daß die Vertreter fremder Regierungen hier Gefühlspolitik trieben. Nein, gerade die ruhige, objefktive Art dieses Botschafters hat die Verhandlungen mit ihm so erfolgreih gestaltet. Wenn sein Nach- folger, dem wir gern die Genehmigung erteilt haben, wenn der Senator Frassati nach Berlin gekommen sein wird, so werden wir hoffen, mit ihm auf gleicher Basis und mit gleihem Erfolge weiten

verhandeln zu können, gehört er doch zu denjenigen Männern, die am nächsten vertraut sind mit den Gedanken des gegenwärtigen leitenden “-

Staatsmannes Italiens, Giolittis, der es mit jugendliher Kraft unternommen hat, die ungeheuren Schwierigkeiten der gegenwärtigen finanziellen und wirtschaftlichen Lage Staliens anzupacken; übrigens Probleme, in denen sich auch wiederum zwischen Jtalien und Deutsch- land mande Parallelen finden lassen.

Ich gehe über zu dem Nachbar, mit dem Jtalien bisher zu einer reinlihen Lösung noch nit gekommen ist, Jugoslawien. Auh Jugo- slawien gegenüber haben wir einen wunden Punkt, und das is Kärnten. Kärnten hat #ich jeßt treu zu seinem deutshen Gesamtvolke bekannt (bravo!), und wir sind dem Kärntner Volke dafür von Her!en dankbar. (Widerholtcs lebhaftes Bravo.) Wir hoffen, daß dieses Bekenntnis der Kätntner nit dazu führen wird, freundschaftliche und normale Beziehungen zwischen Deutschland und Jugoslawien mil irgend einem Schatten von Widerspru und von Hinterhältigkeit zu versehen, denn wir sind darauf angewiesen, mit Jugoslawien gute Beziehungen zu pflegen. Schon der Donauweg, der von Deutsch- land nah Jugoslawien führt, weist uns auf gemeinsames wirtscaft- lies Arbeiten hin, und es wird die Aufgabe unseres neuen Ge- sandten in Belgrad sein, nach dieser Richtung hin auf dem Posten zu stehen und die Beziehungen zu pflegen.

Wenn Kärnten uns mit Jugoslawien zu entzreien drohte, und wenn die Donau uns mit Jugoslawien vereint, so ist es ähnlih mit der Tschechoslowakei. Hindernisse des Verständnisses mit der Tschecho- slowakei liegen in dem Hultschiner Lndchen, das man uns im Friedensvertrag zugunsten der Tschehoslowakei weggenommen hat. Hindernisse liegen auch darin, daß der Friedenévertrag dem großen Volksteil der Deutshböhmen nit die nötigen Garantien für seine Selbstbestimmung gegeben hat. (Zustimmung.) Aber auf der anderen Seite führen uns zusammen die Wasserwege und die Landgrenzen. Die Elbe ist für Deutschland und die Tschechoslowakei das, was die Donau für Deutschland und Jugoslawien ist, und man braucht \ih die Grenzen der Tschehoslowakei nur anzusehen, um zu wissen, daß es gar nit leben kann ohne enge Beziehungen zu seinem deutschen Natbbar. Es is mir eine Genugtuung festzustellen, daß der Außeno minister der sheoslowakischen Republik, Herr Benesch, vor wenigen Tagen noch diese Tatsache ausdrücklich und feierlich anerkannt hat.

Meine Damen und Herren, ih komme jeßt zu einem der s{chwie« rigsten Kapitel unserer auswärtigen Politik, zu unserem Ver- Lältnis zu Polen. Vor wenigen Tagen noch habe ih hier eine Abge» ordnete gesprochen, die mih darauf hinwies, wie die Folgen des Friedensvertrages in der Richtung auf Polen hin uns in schwerste Verwirrung brächten gegenüber den deutschen Bevölkerungen, die nunmebr nit mehr mit uns verbunden, sondern um materieller Inter- essen Polens willen unter Fremdherrschaft gekommen sind. Es bezog si das auf Danzig. - Und wirklich: Danzig liegt der deutshen Re- gierung und dem deutshen Volke sehr am Herzen. Jn den öffent

lichen Blättern lesen Sie jebt, wie in Paris über Danzig die Würfel

geworfen werden, wie zunächst ein Statut über die Beziehungen Polens zu Danzig von englischer und französisher Seite entworfen und von der Botschafterkonferenz angenommen ist, wie aber Polen sih diesem Statut widerseßt hat, weil die polnishen Interessen nicht genug gewahrt worden seien. Wir wissen noh nicht, wie dieses Hin und Her zu Ende gehen wird. Wir wissen nur, daß Danzig nicht mchr deuts ist, mag es nun mehr polnisch oder mehr english werden,

(Fortsebung in der Zweiten Beilage)

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“Bestimmungen des Friedensvertrages über die Option.

Á

Ir. 248. f.

Zweite Beilage

Berlin, Montag, den 1. November

zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger

1920

E E E E T E A R E Zer E Ee T E T Ä A

(Fortsehung aus der Ersten Beilage.)

Meine Damen und Herren, Danzig nit mehr deuts, das ist nit die Wahrheit. Danzig ist deutsch (lebhaftes Bravo!), und Danzig wird deuts bleiben. (Beifall.) Man hat es der Danziger Bevölkerung versagt, sh „Freie Hansestadt Danzig“ zu nennen. Das Wort „Hanse“ wurde nit geduldet. Aber wenn man Danzig sicht, dann wird man an das alte Wort erinnert: Wenn die Menschen \weigen, werden die Steine schreien! (Lebhaftes Bravo!) Und

diese Steine Danzigs werden schreien: Die Hansestadt Danzig! (Bei- | fall.) Auch dieses, meine Damen und Herren, sage ih nicht etwa | i ! worden wäre. Eine Regelung ist uns jebt von polnischer Seite in Gemeinschaft von Staaten, die über Danzig zu entscheiden haben |

mil der Absicht, nunmehr Polen oder denjenigen Staat oder diejenige

werden, irgendwie entgegen dem Frigdensvertrag mit Gewalt, mit unrehimäßigen Mitteln in ihrem Blsistand zu stören; ih sage es deéwegen, weil es die Pflicht Deutschlands ist, das Ret der Selbst- bestimmung aller deutshen Volksstämme immer wieder hoczuhalten und als Fahne vorzutragen. (Bravo!)

I komme nunmehr auf den Korridor, der uns von Ostpreußen trennt, und auf Ostpreußen selbs. Darüber ist ja in leßter - Zeit viel gesprochen worden, und ih könnte dem, was gesagt worden ist, wenig zufügen. Ich will mi deswegen darauf beschränken, dasjenige zu erwähnen, was jeßt im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses ficht, Das \ind einmal die Verkehrsverhältnisse zwischen Deutsch» land und Ostpreußen und zweitens die Verhältnisse zwischen Ost- pveußen und Litauen,

Was die Verkehrsverhältnisse zwishen Deutshland uud Oft- preußen anlangt, so sind sie abhängig von den Verhandluigen, die wir mit Polen darüber führen. Jh möthte bei der Gelegenheit über diese Verhandlungen mit Polen etwas allgemeiner sprechen, weil ih denke, es wird nüßlih sein, diese sehr komplizierte Materie vor einer größerzn Versammlung zu behandeln, damit sie au der öffent- lichen Meinung Deutschlands etwas klarer und faßlicher roird. Meine Damen und Herren, wir hatten {on im Frühjahr Verhand» lungen in Paris, die sih auf folgende Gebiete erstreckten: erstens

tätigkeit in der früheren Provinz Posen geschaffen worden sind;

gweitens die Nückgabe von Archiven, Urkunden usw., die in deutschem | Besiß waren und sich auf einige der neuen polnischen Bezirke be- | i ; zogen, ferner die Auseinandersezung über die Pensionslasten der- | lich dée Note vom 17. August getadelt, die unmittelbar vor dem Aus-

jenigen Beamten, die in das neue Gebiet übernommen wurden, endlich |

der Eintritt Polens in die vom preußischen und deutschen Fis!us eingegangenen Privatverträge. Damals wurden die Verhandlungen abgebrochen und mußten abgebrochen werden, da Polen h niht dazu berciifinden Ließ, cinige vorzugsweise wihtige Materien mit zu be- handeln, nämlih den Durchgangsverkehr nah Ostpreußen und die Nunmehr wurden Verhandlungen über den Durhgangsverkehr zwischen Ost- preußen und dem übrigen Deutschland in Paris angeknüpft. Die Verhandlungen erstrefen \sih auf die Feststelung der Grundlage für das Abkommen, das wir nach dem Artikel 68 des Friedens» vertrages über die Verkehrsverhältnisse {ließen müssen. Die Ver- bandlungen sind nit eiwa, wie das einmal von polnisher Seite gesagt wurde, von Polen gefordert worden, sondern immer wieder von Deutschland; sie sind jeßt endlih von der Botschafterkonferenz angeordnet worden. Den Vorsiß bei den Verhandlungen führt als Beauftragter der Botschafterkonferenz der Franzose Herr Leverve, der von Beruf EiseÄahningenieur ist. Deutscherseits ist als Führer der Delegation der Konsul Graf von der Schulenburg beauftragt, der sih mit den notwendigen sacverständigen Beratern, darunter auch Nertretern. Ostpreußens, umgeben hat, während auf polnischer Seite Herr Olschowski als bevollmächtigter Vertreter verhandelt. Die Verhandlungen haben am 8. Oktober begvnnen, sie find noch nick abgeshlossen. In einigen Punkten ist bereits eine erfreulihe Ginigung erzielt, in anderen aber sind weitere Beratungen nötig, und die Sinigung steht noch aus.

Der Haupigegensaß besteht bisher darin, daß wir den Stand- punkt vertreten, daß die Vorschriften des Vertrages sich richten müssen nah den Lebensbedürfnissen Ostpreußens, während Polen sih hauptsächlich stüßen will auf die Leistungsfähigkeit der polnischen Bahnen. Hier muß eben noch eine Verständigung erzielt werden, Am 1. November werden die Verhandlungen auf Wunsch des fran- zosishen Vorsißenden für etwa zwei Wochen unterbrohen werden, weil der Vorsißende durh anderweitige Dienstgeschäfte gehindert ist. Diese zwei Wochen werden aber nit ungenüßt verstreichen, sondern es soll im Gegenteil die Zeit benußt werden, um zwischen polnischen und deutschen Cisenbahnsachverständigen in unmittelbaren Verhands lungen eine möglihst weitgehende Einigung über betriebstehnishe Sragen, herzustelien. Ob diese Verhandlungen in Warschau oder in Danzig stattfinden, steht noch nit fest. Während dieser Zeit sellen unsere Unterhändler Gelegenheit nehmen, sich mit den zu- ständigen Ressorts über das bereits Erreichte noch einmal auszu» \prehen und über die nächsten Schritte zu verständigen. - :

Die Pariser Verhandlungen erstrecken sih auf die Gesamtheit des Verkehrs zroischen Deuts{land und Ostpreußen und den Dur» gangsverkehr durch Polen zu Wasser, zu Lande und auch in der Luft. Zu diesem leßteren Punkt kann ih bemerken, daß die Botschafter- konferenz neuerdings einen Untershied mat zwischen dem Land- und Wasserverkehr einerseits und dem Luftverkehr andererseits. Für den §and- und Wasserverkehr, behauptet sie, hat der Friedensvertrag Deutsland bestimmte Zusagen gemacht, für den Luftverkehr aber sind diese Zusagen nit gültig, sondern der ist auf allgemeine internationale Basis zu stellen. Das ist meiner Ansicht nah nit haltbar. Verkehr ist Verkehr, ob er nah der alten oder na der neuen Methode, ob er zu Wasser und zu Lande oder in der Luft vollzogen wird. Es muß vas beurteilt werden nach den normalen Verkehrsverhältnissen und venjenigen Errungenschafien, die die Verkehrstehnik erworben bat; man kann da nit einen künstlichen Unterschied in die Be- stimmungen des 'Friedensvertrags hineinbringen.

Voraus\ichtlich werden im Anschluß an die Wiederaufnahme der Verkehrsfragen in Paris au die vorher genannten Frübjahrsver- bandlungea in Paris wieder aufgenommen werden. Danebenher laufen

Verhandlungen über die Option, über die Liquidation in Polen und Deutshland und über den Artikel 256 des Friedensvertrags, nämlich die Regelung des Ansiedlerwesens und des ehemaligen Staatsbesißes und Besißes der regierenden Fürsten im abgetretenen Gebiete, Ich will auf die Einzelheiten dieser Verhandlungen nicht eingehen.

Eine besondere Verhandlungsmaterie bildet die Rückgabe der in Polen zurüdgehaltenen deutschen Flußschiffe. Hier handelt es sich um einen besonders übeln Eingriff in unsere Rechte, da wir durch die Maßnahmen der polnishen Regierung fast unserer gesamten Oder- und Neßeschiffe beraubt worden sind, ohne daß über die Verteilung dieser Schiffahrtsmittel das nôtige Uebereinkommen {on getroffen

Aussicht gestellt worden.

Endli komme ich auf den größten Gegenstand deuts&-polnisher Verhandlungen, das ist das allgemeine Wirtschaftéabkommen, das wir mit Polen werden \{ließen müssen. Meine Damen und Herren! Sie wissen, daß wir, um überhaupt zu Verhandlungen mit Polen zu fommen, unsererseits eine Art von Wirtschaftssperre haben verhängen müsen. Glauben Sie, daß diese Sperre von uns nicht leihten Herzens unternommen, nicht leichten Herzens fortgeführt worden ist. Die Regierung hat hier sehr schwere innere Gegensäße zu überwinden gehabt, bevor sie zu ihrem Standpunkt kam. Aber das muß ich sagen: ibren Standpunkt zu verlassen, ehe das Ereignis erzielt wäre, das wir mit so vielen wirtschaftlichen Opfern verfolgt haben, das würde ih für keine richtige Politik baltenè (Sebr richtig!) Ich kann Sie ver- sicern, daß ih schon während meiner Stellung in der deutschen Industrie wohl gemerkt habe, wie sehr die Industrie auch diesseits der deutsh-polnishen Grenze getroffen ift. Aber es wird uns sogar von industrieller Seite gesagt, daß der einmal beschrittene Weg bis zum Erfolg eingehalten werden muß, weil er sonst überhaupt nicht gere{chtfertigt wäre.

Von Oberschlesien möchte ih nit lange reden; denn über ObFc- {lesien werden wir uns ausführlih unterhalten müssen, wenn das Autonomiegeseß dem Hohen Hause vorgelegt werden wird. Jch kann deswegen auf vieles von dem nicht eingehen, was namentlich der Herr

Klärung der Rechtsverhältnisse, die durh die deutshe Ansiedlungs- | Abg. Graf Westarp über diesen „Gegenstand gestern gesagt hat.

| Er hat der Regierung gerade in bezug auf die Behandlung der ober-

\{lesishen Frage eine Reihe von Vorwürfen gemacht, die zum großen Teil von der Autonomiefrage unabhängig sind. So hat er nament-

bru des polnischen Aufstandes in Oberschlesien die Erklärung abge- geben habe, daß die deutsche Regierung annehme, die Truppen der

alliijerten Mächte seien in Oberschlosien ausreichend. Meine Damen

und Herren! Das heißt doch den Tatbestand unter einem falscen

| Gesichtspunkt betrachten. Diese Note bezieht sih gar nicht auf die Aufrechterhaltung der öffentlihen Ruhe und Ordnung in Ober-

lesien, die dann durh den Aufstand gestört wurde, sie bezeht sich auf die Frage, ob die Neutraktät Deutschlands in dem russish- polnisden Krieg an der oberschlesischen Grenze durch deutsche Truppen eder dur interalliierte Truppen gewahrt werden sollte. Nur das stand zur Debaite, und da sih damals der Krieg von der oberschlesi- sea Grenze noch sehr weit entfernt befand, haben wir es nit für ridtig gehalten, eine Forderung zu stellen, wie wir sie für die oft- preußischen Abstimmungsgebiete allerdings batten stellen müssen, näms- lich den Durhmarsh deutscher Reichswehr bis an die Grenzlinie selbst. Wir hätten auch diese Forderung gar niht durhseßen können; ebenso wie sie uns in Ostpreußen abgeschlagen worden ist, ebenso und noch viel mehr wäre sie uns natürlih für Oberschlesien abgeschlagen worden.

Meine Damen und Herren! In bezug auf Oberschlesien verweise ih im wesentlichen auf das Ihnen zugegangene Weißbuch. Jch darf dazu bloß noch eins hinzufügen. Die oberslesishe Frage ist des8- wegen so kompliziert, weil sie niht nur eine wirtschaftliche, niht nur eine preußis{-politishe, niht nur eine deutsch-politische, sondern gevadegu eine auropäish-politishe Frage ist. Ganz Europa ist s{ließ- li daran interessiert, was aus der obershlesisben Kohle, aus den oberslesishen Gruben, aus der oberschlesishen Industrie wird. (Sehr richtig!)

Es ist unrihtig, wenn Her Graf Westarp behauptet, voir hätten dieses \cavierige oberslesische Problem in Spa außer acht gelassen. Ganz das Gegenteil ist der Fall gewesen. Jh habe gerade bei den Verhandlungen über das Kohlenabkommen scließlich in ‘einer Weise Oberschlesien in die Debatte geworfen, die die große Aufmerksamkeit der ganzen Spa-Konferenz hervorgerufen hat. Jh habe damals unier lautloser Aufmerksamkeit sämtlicher alliierten Vertreter ausgeführt, daß es für die gesamteuropäisce Wirtschaftspolitik unrichtig sei, über Oberschlesien überbaupt eine Abstimmung, ob polnisch, ob deuts, abhalten zu lassen, daß man Oberschlesien diese verwirrende, diese für

die Wirtschaft niederdrükende Abstimmung ersparen und Oberschlesien da lassen sollte, wo eine wirklih gute Ausbeutung der Naturschäßte |

Oberschlesiens gewährleistet ist, nämlih bei der alten preußischen, deutschen Administration. (Bravo!)

Meine Damen und Herren! Jch bin auc jeßt noch der Moinung, daß dies das Beste wäre; ' jedenfalls bin ih der Meinung, daß es

das Schlechteste wäre, Oberschlesien etwa ohne weiteres an Polen zu | geben oder aus Oberschlesien vielleicht einen selbständigen Staat zu | maden, der in dem Moment, wo er entstünde, der Spielball aller '

Mächte um ihn herum wäre (sehx rihtig!), die an ihm interessiert

wären, und der dann aus den Bedrängnissen, Aengsten und Zerwürf- | nissen überhaupt nicht mehr herauskäme. Eins ift allerdings nötig: ! daß Oberschlesien nicht shon jeßt im voraus auf diesen falshen Weg |

gedrängt wird, und daß es uns späterhin überlassen wird, über die oberslesishe Ausbeute die internationalen Bindungen einzugeben, die unserem Interesse mit den Interessen aller anderen Völker gemein-

schaftilih wären,

Deswegen würde ih es beklagen, wenn es wahr sein sollte, was |

mir von verschiedenen Seiten gesagt worden ist, daß die Interalliierte Kommission in Obershlesien an die oberschlesishe Jndustrie heran- getreten ist mit der Forderung eingehender Informationen darüber, wie si die oberschlesishe Industrie bei einem Uebergang Schlesiens an Polen verhalten würde (lebhafte Rufe: Hört, hört!), wie ihre

| Snieressen geshügt werden föunten, welhe Maßnahmen in einem

sclhen Falle zu treffen sein würden und was dergleichen mehr ist. (Erneute Rufe: Hört, hört!) Meine Damen und Herren! - Die Interalliierte Kommission hat heute feinen anderen Auftrag, als da- für zu sorgen, daß bis zur Abstimmung Oberschlesien ordentli vers waltet wird (sehr richtig!), und daß die Abstimmung absolut un- parteiisch vorgenommen werden kann. (Erneute Zustimmung.) Erst dann kann unter Umständen der Interalliierten Kommission eine andere Aufgabe erwachsen. Aber jeßt son die deutshe Industrie und die deutshe Bevölkerung dur solhe Informationen darauf vor- bereiten zu wollen, daß man vielleiht über Deutschlands Rechte zur Tagesordnung übergehen möchte, würde ih nicht als in der Aufgabe der Interalliierten Kommission liegend erahten, Deswegen glaube ih nidt, daß die hier fehr ausführlih gemahten-Miiteilungen den Taisachen entsprecken.

Meine Damen und Herren, kein Tag vergeht, ohne daß nit über polnishe Vergewaltigungen geklagt wird. Gestern hat Herr

| Graf Westarp wieder ein Lied davon gesungen. Ich fürchte, daß

nur allzu vieles davon wahr ist, Das ist aber nicht das einzige, ras darüber zu sagen ist. Die Spannung, die zwishen Deutschland und Polen durh den Friedensvertrag entstanden ist und entstehen mußte, ist au auf deutsher Seite geeignet, Vergewaltigungen her- vorzurufen. Daher möchte ih Jhnen doch ein Schreiben mitteilen, das mir von sehr zuverlässiger oberschlesischer Seite gerade in diesen - Tagen zugegangen ist. Da wird gesagt: Das \hroffe Vorgehen gegen die im Reich ansässigen Polen wirkt auf die Stimmung der uns nit unbedingt ungünstig gesonnenen Bevölkerung Oberschlesiens nachteilig. Die Störungen und Spren- gungen der polnischen Versammlungen im Reich liefern diesen Leuten den Beweis dafür, was ihnen bevorstehen würde, wenn Oberschlesien bei Deutschland bleibt. (Hört, hört! bei den Deutschen Demokraten.) gefährlihes Agitationsmaterial, und ih kann nur dringend immer wieder warnen: verlassen wir uns nicht auf eine Repressalienpolitik, vergelten wir nicht Böses mit Bösem, suchen vir bei den anderen den Verstand dadurh zu wecken, daß wir selbst Verstand behalten. (Sehr gut! bei den Deutschen Demokraten und im Zentrum.)

Meine Damen und Herren, ih möchte jeßt übergehen auf unsere Beziehungen zu Litauen, die ja eng mit unseren Verhältnissen in Ostpreußen zusammenhängen. Auch mit Litauen hat man uns für alle Zeit veruneinigen wollen, indem man das Memelland zu litauishem Hafenland erklärte und dadur Litauen mit einer deutschen Hafenstadt versah. Es ist dies um so beklagenswerter, als im oll- gemeinen zwischen Litauen und Deutschland keinerlei gegensäßgliche Interessen vorliegen. Im Gegenteil, wir haben außerordentlih nahe parallellaufende wirtschaftliche Beziehungen. Das hat sih au ge- zeigt, als vor kurzem der litauische Ministerpräsident Puritekis hier in Berlin war. Wenn noch so manches im einzelnen geregelt sein wird, was aus der Kriegszeit zwishen uns hängen geblieben ist, so würde ih keinen Zweifel hegen, daß wir mit Litauen in gute Bee ziehungen kommen könnten, sofern Litauen am Leben bleibt. Ob aber Litauen am Leben bleibt, das ist jeßt außerordentlich fraglih geworden (allseitige Rufe: Hört, hört!); denn wir wissen ja, wie ungewöhnlih große Truppenmassen eine Zahl von Divisionen, über die ih hier etwas Positives lieber niht sagen will Polen an der Südgrenze von Litauen zusammenzicht. Es wird bis jeßt nur gesprochen von kriegerischen Handlungen zwischen dem selbstän- digen General Zeligowski in Wilna einerseits und Litauen ander“ seits. Die Selbständigkeit des Herrn Zeligowski in allen Chren! Es is wunderbar, daß gerade litauisch-weißrussishe Truppen es waren, die damals noch unter polnishem Oberkommando fo nahe an Wilna heran in Marsch geseßt worden sind. Jedenfalls sißt er jeßt in Wilna, und in der Nähe \tehen andere polnishe Truppen. - Mir müssen jeden Moment damit rechnen, daß der Kriegs@itand, der {on unter der Asche glimmt, zu hellem Feuer aufslägt.

Wenn unter diesen Umständen von polnischer Seite versucht wird, die Ursache dafür und die Schuld daran Litauen oder gar Deulschland zuzuschieben, so kommt mir das doch vor wie die alte Fabel vom Wolf und vom Lamm; es ist ähnlich, als wenn die „Rote Fahne“ sih darüber beklagt, daß die Regierung des Reich3- fanzlers Fehrenbah den weißen Terror enifesseln wolle. (Heiterkeit.) i Meine Damen und Herren, in diesem bevorstehenden oder viel- läiht hon ausgebrochenen Konflikt gibt es für Deutschland nur eine Stellung, die der unparteiishen Neutralität. Ebenso, wie wie in dem Kampf zwishen Polen und Rußland die Neutralität ge- wahrt haben, werden wir bei einem Kampf zwischen Polen und Litauen die Neutralität bewahren. Ebensowenig, wie wir uns ein moralishes Urteil als Regierung angemaßt haben über die Kriegs- erklärung Polens oder über die Regierungsform Rußlands, ebenso wenig maßen wir uns! ein moralisches Urteil an über die Art und Weise, wie Polen litauishes Gebiet zur Umgehung der russischen Armee benußt, oder wie es jeßt gegen Litauen, gegen Wilna und

Kcwno vorgeaangen ist.

Wir bleiben neutral! Das heißt, die deutshe Regierung billigt nidt die Uebertritte von deutshen Truppen über die preußisch-litauische Grenze; sie billigt niht das Verschieben von Material über die preußisch-litauishe Grenze, und was in dieser Richtung geschehen ist, ist ohne das Wissen und gegen den Willen der deutshen Regierung geshehen. Wenn man aus diesen Uebertritten, die allerdings nicht ganz unbeträchtlih gewesen zu sein scheinen, der deutshen Regierung einen Strick zu drehen sucht, so verkennt man, daß wir die ungeheuer

weite ostpreußishe Grenze niht mit einem solchen Kordon von

Das ist ein sehr

| Truppen oder Sicherheitspolizei umgeben können, daß ein Uebertritt

von eine paar tausend Mann unmöglich gemacht werden könnte. Das ist einfah unmöglich. Wir würden ja unsere ganze Reichswehr aufs lêôsen müssen, wenn wir das tun wollten, und das ginge aus anderen inner- und außenpolitishen Gründen nicht.

Metrne Damen und Herren, ih wäre damit zu der Frage ge- kommen, die auch gestern angeshnitten worden ist, der Frage des Verhältnisses Deutschlands zu Rußland. Aber darüber habe ih das wesentlihe {hon gesagt aus Anlaß des Antrages wegen der Aus- weisung von Sinowjew und Losowsky. Dem, was ich damals ge«

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