§
„man” hat an oer polnish-deutshen Grenze Scherereien gemadht. Ja, mit diesem „man“ ist nihts anzufangen. Was Herr Abgeordneter Lüdicke aber substantiiert vorgetragen hat, das war zum allergrößten Teù aufgebauscht, zu einem Teil sogar direkt erfunden. (Hört, hört! bei der Sozialdemokratishen Partei.)
An der Spitze seiner Ausführungen hat der Herr Abgeordnete Lüdicke die Behauptung aufgestellt, daß der Minister des Innern nicht gleihmäßig nah rechts und links regiere (fehr richtig! bei der Deutsch- nationalen Volkspartei), und diese Behauptung hat er auch am Schlusse seiner Ausführungen wiederholt. Weiter hat er gemeint, als Vorausseßung für die gemeinsame Plattform, von der ih im Aus\chuß gesprochen hätte, müsse er die Erfüllung von gegebenen Ver- sprehungen bezeihnen. Da aber beide Mängel, nämlich das ungleihmäßige Negieren nach rechts und links und die Nichterfüllung von gegebenen Versprechungen, heute dem Ministerium des Innern anhaften, könne auch nicht davon die Rede sein, daß man sich in allen Parteien mit der Regierung auf einer gemeinsamen Plattform zusammenfinden würde. Ich muß diese Beschuldigung mit aller Schärfe zurülweisen. JIch bin mir bewußt, daß ih dann, wenn es notwendig war, scharfe Maßregeln zu treffen, diese gleihermaßen nah rechts und links getroffen habe. Jch glaube, daß die Herren in der Tat davon überzeugt sind, daß die ersten und schärfsten Maßnahmen in meiner Amtsführung gegen die linksradikalen Gruppen unseres Volkes getroffen worden sind, und daß erst dann gegen rechts vorgegangen ist, als Anzeichen vorhanden waren, daß die Rezepte der Linksradikalen auch von den Rechts- radikalen aufgenommen werden würden. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratishen Partei.) Ist es Ihnen denn niht bekannt, meine Herren, daß ich mein Amt mit der Entwaffnungsaktion im NRußhrrevier angetreten (hört, hört! bei den Unabhängigen Sozial- demokraten), däß ich als Reichskommissar mit bestimmt habe, die Entwaffnungsaktion auch südlih der Ruhr ausdehnen? (Hört, Hôrt! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) - Ist Ihnen nicht bekannt, daß mir von der linken Seite des Hauses deshalb leb- hafte Vorwürfe gemacht worden sind? (Rufe bei den Unab- bängigen Sozialdemokraten: Mit Necht!) Jst Jhnen nicht bekannt, däß ih im vorigen Jahre die allershärfsten Maßnahmen treffen mußte gegen die Syndikalisten und sogenannten Kommunisten, die als gemeinsame Störer des Wirtschaftsfriedens in Rheinland-West- falen aufgetreten sind? Das haben Sie alles aus Jhrem Gedächtnis gestrihen; es fommt Jhnen eben darauf an — gestatten Sie mir, daß ih das ganz offen ausspreche, denn Offenheit ist immer die beste Politik — eine zugkräftige Wahlparole zu bekommen. (Zustimmung béi den Sozialdemokraten — Lachen, Widerspruch und Zurufe rechts — Gegenrufe links.)
Ich habe in der Tat hier gefchlt, als die Herren von der Deuts\{- nationalen Volkspartei die Anfrage gestellt haben — ih zitiere nah dem Gedächtnis —, ob die Staatsregierung gewillt sei, den Stadt- \chulratDr. Löwenstein zu bestätigen. Wenn ich hier fehlte, so sollte das durhaus kein Mangel an Ehrerbietung und Werkt- s{äßung der Landesversammlung gegenüber ausdrücken. Aber, meine
Damen und Herren, ih bin der Meinung, daß alle Männer, die heute etwas leisten können und leisten wollen, auf dem Posten sein sollen, auf dem sie am produktivsten sein können (fehr rihtig!), und wenn
hier leeres Stroh gedroschen werden soll, ziehe ich es vor, in meinem Amt zu bleiben. (Stürmisches Lachen rechts — lebhafte Züstimmüng bei den Sozialdemokraten.) Oder glauben Sie, daß die Erörterung Shrer Anfrage etwas anderes gewesen wäre als Dreschen leeren Sktrohs? Es fkorinte Jhnen bekannt fein, daß der Minister des Innern in dem Stadium der Prüfung auf Eignmng gar keine Einwirkung ausüben konnte, jg, gar keine Einwirkung versuchen durfte, denn in erster Linie hatte der Oberpräsident der Provinz Brandenburg das Wort, und ehe déssen Entscheidung nicht vorlag, konnte der Minister des Janern, Fonnten die Vertreter der Staatsregierung keine Erklärung abgeben. (Zuruf rechts: Hätten Sie geshimpft, wenn das früher der Fall ge- wesen wäre!) Früher haben, glaube i, die politischen Parteien die Zeit der Parlamente nicht so mißbraucht, wie es durch diese kleine An- frage geschehen ist. (Zustimmung bei den Sozialdemokraten. — Miderspruch rechts.)
SIch bin damit durhaus niht einer Entfheidung ausgewichen. Menn in den nächsten Tagen die Berliner Stadtverordnetenversamm- lung beschließen sollte, gegen den Entscheid des Oberpräsidenten von Brandenburg den Minister des Innern anzurufen, dann werde ih mi nit verkriecben, sondern meine Entscheidung nah pflihtgemäßem Er- messen treffen. (Zuruf bei den U. Soz.: Ablehnen!) Das weiß ih nicht, zu welchem Ergebnis ih kommen werde. Nach dem, was mir bis jeßt über die Dinge bekannt geworden ist, würde ih der Ent- scheidung des Oberpräsidenten beitreten. (Zuruf bei den U. Soz.: Na, da haben wir es ja!)
Der Herr Abgeordnete Lüdicke hat den Selbstshuß als Nots wendigkeit bezeihnet. Darüber werde ih am Schluß meiner Aus- führungen ausführlih sprehen. Jch fürchte, so ausführlih, daß ih Sie damit ermüden werde, und daß Sie es selbst vorziehen, nit mehr nach Material zu rufen, nichi mehr zum Vorbringen von Ma- terial zu provozieren.
Aber ein paar Bemerkungen möchte ih dem voraus\hicken. Der Herr Abgeordnete Lüdicke hat zum Beweise für diese Behauptungen auf die steigende Kriminalität aufmerksam gemacht und gesagt, daß vadurch doch wohl auch dem -friedsamsten Bürger die Augen geöffnet würden, daß der Staat nicht mehr in der Lage sei, ihn und sein Eigentum genügend zu {üßen. Meine Damen und Herren, ih weiß, wie die Nachrichten über Kriminalverbrehen und Eigentumsvergehen, Körperverleßzungen usw. zustande kommen. Jch bin überzeugt davon, daß sehr vieles von dem, was die Zeitungen bérihten, wahr ist; aber ebenso bin ich davon überzeugt, daß ein gteßer Teil dieser kriminellen. Vergehen auch durch die stärkste Polizei- macht, auch durch die stärkste Militärmachht und auh durch den aus- gêdehntesten Selbst s\chGuß nicht verhindert werden kann. (Schr ri{htig! links.) Ich las z. B. kürzlich in der Zeitung eine Notiz aus meiner engeren Heimat Altenhagen bei Bielefeld. Dort ward ein pierfaher Mord verübt. Er wurde in allen. Einzelheiten, nur nicht mit dem Motiv, in der betreffenden deutschnationalen Zeitung wieder- gégeben, und zum Schluß rourde gefragt: Was sagt Herr Severing dazu? (Heiterkeit links.) Ich bin der Sache nahgegangen und habe gefunden, daß es ein Cifersuhtsdrama war. Ein russisher Kriegs- géfangener hatie niht nur die Schöne, die ihn verschmäht, ermordet, sondern au deren Angehörige. Jch weiß nicht, was der Selbstshuß in diesem Fall hätte tun können. Ich glaube nicht, daß ein Escherich- Muánn das hätte verhindern können.
Auch der Grüneberger Landfriedensbruch ist ebensowenig für die Beweisführung des Herrn Abgeordneten Lüdicke heranzuziehen.
Gewiß ist es rihtig, in Grüneberg sind am 1. November Aus- \hreitungen vorgekommen, die jeder Ruhe und Ordnung liebende Bürger verurteilen muß. Aber wir hatten im Vorjahr im_ ganzen preuzishen Staat Einwohnerwehren. - Wir hatten noch eine stärkere Wehrmacht und auch in vielen Orten und Städten eine s{hlagfertige Pelizeitruppe — und troßdem haben wir es nit verhindern können. daß im Vorjahr die Landfriedensbrühe sozusagen an der Tages- ordnung waren, daß niht ein Monat, fast niht eine Woche ius Land ging, in der nicht über irgendeine solhe bedauerlide Aus\chreitung zu berichten gewesen wäre. Die Ausschreitungen. in Witten, in Dort- mund, die Lebensmittelplünderungen in Essen, in Oberhausen, în einigen mittel- und süddeutshen Städten sind wohl der beste Beweis dafür gewesen, daß mit den Einwohnerwehren und mit dem Selbst- {uß diese Ausschreitungen niht zu verhindern sind. (Zuruf rechts: Wie sieht es denn in Bayern aus? — Zurufe links: S{hlelhter als in Preußen! — Widerspruch rehts.) — Ich habe schon darauf geant- wortet. Zunächst, Herr von der Osten, wollen Sie gefälligst berück- sictigen, daß Preußen ungefähr fünfmal so groß is wie Bayern. (Abg. von der Osten : Das wußte ih auch!) — Das wissen Sie, das ignorieren Sie aber geflissentlih! Weiter wollen Sie berüd- sichtigen, daß die Gefahrzonen in Preußen sehr viel größer sind als in Bayern. Dann wollen Sie nit verkennen, daß Ausschreitungen au in Bayern vorgekommen sind, vorkommen und vorkommen werden. Ich glaube, daß wir, abgesehen von dem Grüneberger Fall und den vielen Kriminalfällen, die wir in Preußen zu beklagen haben, doc nit so ganz unvorteilhaft vor den süddeutshen Staaten absHneiden. (Widerspruch rechts.) Dann besteht noch ein kleiner Unterschied: In Preußen wird die Verwaltung unter dem normalen Recht geführt — das sage ih, troßdem Sie mir Geseßesübertretüngen vorwerfen —, in Bayern herrscht aber immer noch der Ausnahmezustand auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung. (Hört! Hört! links.)
Dann ein geschihtlicher Jrrtum des Herrn Abg. Lüdicke! Der -
mangelnden Einigung des Volkes dem Feindbund gegenüber follen wir die Au flösungder Einwohnerwehren in Preußen zu danken haben! Wenn diese mangelnde Einigung — i akzeptiere diesen Ausdruck — im Frühjahr nicht zustande gekommen wäre, dann, fürhte id, hätte Deutschland heute noch unter ganz anderen Ne- pressalien zu leiden gehabt, wie wir sie {on ohnehin erdulden müssen. (Widerspruch vechts.) JYH weiß nit, ob man die Probe aufs Erempel machen darf. Jch weiß nicht, ob sich Preußen solhe Extratouren wie Bayern gestatten darf. Jch habe das Empfinden, daß es das nicht tun darf. (Sehr richtig! links.) J. möhte nit das Odium auf mi laden, daß dur das Verslulden der Staat8regierung oder des Ministeriums des Innern das Ruhrgebiet beseßt und das deutsche Wirtschaftsleben vollständig zersblagen wird. (Lebhafte Zustimmung links. — Unruhe rets.) Mangelnde Einigung dem Feindbund gezen- über! —, Es arbeitet niemand dem Feindbund mehr in die Hände als jene Leute, die auf ihren Parteizusammenkünften {hon die Rache gegen Frankreih predigen. (Sehr rihtig! links.) Es gibt heute Leute, die der Meinung sind, daß sie ähnlich wie die Freishärler im Jahre 1813 verpflicktet seien, das Vaterland aus den Banden des Feindes zu befreien. Es mögen gute Patrioten, gute Männer sein, aber es sind doch herzlich \s{lechte MMikanten. Denn die Parallele mit 1813 ist nit so ohne weiteres zu ziehen. Damals= stand oder verband sih die ganze Welt gegen den einen Korsen, und heute steht die ganze Welt gegen unser Vaterland, gegen unser Land, das den Krieg verloren hat. Jch glaube, diese Kleinigkeit sollten dic Leute, die si Nationalbolshewisten oder deutshnationale Vaterlandsretter nennen, niht außer aht lassen. (Sehr gut! links. — Heiterkeit.)
Der Herr Abg. Lüdicke hat dann von einem Bochumer Ab- tommen gesprochen. Mir is} ein \olches Abkommen nit bekannt. Wenn er aber das Bielefelder Abkommen meint, so möhte ih thm sagen, daß dieses Bielefelder Abkommen zu zwei Dritteln aus dem Berliner Abkommen besteht (sehr richtig! links), daß die acht Punkte des Berliner Märzabkommens Aufnahme in dieses Biele- felder Abkommen gefunden haben. Aber mit der Auflösung der Ein- wohnerwehren haben diese Vereinbarungen gar nis zu tun, denn
. die Vereinbarungen verlangten nicht Abrüstung, sondern Aufrüstung,
allerdings Aufrüstung in so einseitiger Weise, daß ich selbst die leb- haftesten Bedenken dagegen geäußert habe. Aber ih hatte in den ersten Apriltagen dieses Jahres nicht das Mandat, von der Regierung
gegebene Zusagen zu annullieren. Jch konnte mich erst gegen die Auf- -
stellung der Ortswehren und Arbeiterwehren wenden, als die Note der Entente auf Auflösung der Einwohnerwehren vorlag. Da glaubte ih, den Herren um Däumig, von denen Sie gesprochen haben, sagen zu müssen daß von dieser Aufstellung keine Rede mehr sein fönnte, und ih habe turch meine hartnädige Weigerung der An- erkennung verhindert, daß die industrielle Arbeiterschaft unter Däumig und Rusch sich bewaffnete.
Wenn hier vom Elektrikerstreik, auf den ich noch kommen werde, gesprochen wird, so made ih darauf aufmerksam, daß cs eiwas anderes ist, ob die Besißer auf dem Lande, Besißer von zerstreut liegenden Gehöften, oder ob die Arbeitermassen in den Industric- städten sich zu hunderttausenden bewaffnen. (Zuruf bei den U. Soz.) — Jch sage nicht in einer Stadt, ih sage in Jn- dustrie städten. Jh sprehe nicht von der Praxis, sondern von der Möglichkeit einer derartigen Bewaffnung. Jch unterstreiche: es ist ein anderes, ob ein Befißer, der einzeln auf dem Lande, im Dorf wohnt, sich im Besiße einer Flinte befindet oder ob zusammen- geballie Arbeivermassen im Besiße von Flinten sind. (Zuruf bei den U. Soz.) — Nein, wir wollen sie nit anschaffen, sondern lieber da ausräumen, wo sie vorhanden sind. (Zuruf bei den U Soz.: Da müssen Sie mithelfen!) — Helfe ih denn nicht mit? Kann man mir den Verwurf maten, daß ih es nicht tue? (Abg. Ludwig: Wir kommen noch dran!) — Gut, ih bin begierig darauf. Wenn bei solhen Streikbewegungen, wie jeßt beim Elektrikerstreik, die arbeitslosen Masscn Waffen gehabt hätten, dann hätte sich die wirt- ckaftlide Bewegung nicht so friedlih abgewickelt, wie es“ tatsächliG und erfreuliherweise der Fall gewesen ist. Deswegen muß das Gé- widt darauf gelegt werben, die Waffen aus der Bevölkerung heraus- ¿uholen. Das können Sie mir aber nicht zumuten, daß ih den Arbeitern sage: Gebt eure Waffen heraus, es geschieht euch von rechts nihts, und den Rechtóparteien, den Leuten auf *dem Lande sagte: Jhr dürft eure Waffen behalten, denn ihr habt ja doch Aufruhr und Plünderungen zu befürchten. (Abg. Stendel: Das ist ja eine schône Wirtschaft, da hört doch alles auf! — Große Heiter- feit Links.)
Herr Abgeordneter Reineke hat gestern ebenfalls auf cinen ge- wissen Unterschied zwishen der Bewaffnung in der Stadt und auf dem Lande hingewiesen. Insoweit folge ich ihm. Jh gehe aber nicht soweit, zu sagen: Man muß die Motive der einen von denen
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der anderen untersheiden. Die Arbeiter haben auH recht, besonders recht nach dem Kapp-Putsch, wenn sie sagen, wir legen die Waffen niht eher nieder, bis wir die Gewißheit haben, daß die Republik vor jeder Anfehtung, vor jedem räuberischen “Ueberfall bewahrt: ist, (Sehr richtig! links. — Zurufe bei den U. Soz.) — Herr Abge- ordneter Ludroig, nah meiner Auffassung ist die Republik gesichert, wenn alle chrlihen Republikaner, statt sich gegenseitig zu zerfleischen, zum Schuße der Republik zusammenstehen würden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Meine Damen und Herren, die Ord- nung in Preußen, von der Herr Abgeordneter Dr. Lüdide gesprochen hat, wird nicht hergestellt durh Herrn Dr. Escherih und- nit dur die - Escherihmannen. Die Ordnung in Preußen wird hergestellt dur den festen und einheitlihen Willen des Volkes, selbst bei sich Einkehr zu halten. Es i} eine Beshmußung des eigenen Nestes, wenn man von der Selbstshuborganisation in Bayern, die auf dem Aussterbeetat steht, eine Reform in Preußen erwartet. (Zurufe rechts.) — Ach, meine Damen und Herren, erwarten Sie doch nicht zu viel von der Kahrwoche in Berlin, glauben Sie, das dide Ende kommt nach. Glauben Sie denn, daß der General Nollet sid von ernem dreiviertelstündigen Vortrag des bayerischen - Ministerz präsidenten überzeugen läßt? Entweder folgt Bayern den Franzosen, dann Toleranz, dann Duldung aller der bayerishen Einrichtungen, oder Bayern besinnt sih darauf, daß es ein Glied des Deutschen Reiches ist, und dann werden auch der General. Nollet und die Herren des Feindbundes keinen Unterschied zwishen Preußen und Bayern machen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) v: Nach diesen Bemerkungen gestatten Sie mir, daß ih den Dis- positoinen folge, die mir dur die gestrigen Herren Redner gegeben sind. Jch danke den Vertretern der Koalitionsyarteien für die wohl- wollende Kritik, die meine Amtsführung bei ihnen gefunden. hat. (Hört! hört! rechts.) — Soll ih eiwa das NRauhbein sein und gegen die Herren polemisieren, die mir doch wenigstens bedingt ihre An- crkennung ausgesprochen haben? (Zuruf rechts: Sehr bedingt!) Das können Sie von mir nicht erwarten. j Der Abg. Hauschildt hat gewünscht, daß die Verfassungs- geseße recht bald vorgelegt werden. Jch glaube, diesem Wunsch noch entsprehen zu können. Die Landgemeindeordnung und die Städteordnung sind soweit vorbereitet, daß sie das Staatsministerium passieren können. Ob die Provinzialordnung noch vorgelegt werden kann, das möchte ih nicht mit einem unbedingten Ja beanhiworten. Die Provinzialordnung ift niht ganz unabhängig von der Gestaltung des Autonomiegeseßes. Beide Dinge gehören, wenigstens in diesem Stadium, zusammen, und da möchte ih mir doch für mich und meine Mitarbeiter eine gewisse -Freiheit der Entschließung vorbehalten. Aber Sie dürfen überzeugt sein,“ daß alles geschieht, um gerade diesc wichtigen Dinge noch zur Kenntnis des Hauses zu bringen. . Jch. habe das Versprehen abgegeben das Autonomiegeseß unter allen Um- ständen noch zur Kenntnis der Landesversammlung zu bringen. (Zu- rufe rechts.) — Ja, wollen® Sie es noch verabschieden? Sie wollen doch den nahen Wahltermin haben! (Zurufe rets.) j Herr Abgeordneter Hauschildt hat darauf aufmerksam gemacht, daß deutshnationale Kreise die Verzögerung der Vorlegung der Ver- fassungsgeseße beklagten. Meine Herren, ich möchte erklären, daß die Herren von der Deutshnationalen Volkspartei dazu niht das mindeste Recht haben. Eine Partei, die sih achi Jahre Zeit ließ, bis die *„organishe Entiiklung“ oder die „organische Fortbildung“ des Wahle gesetzes zu cinem gewissen Abschluß kam (sehr richtig! bei den Sozidl- demokraten), bis dann die Staatsumwälzung auch diese Phase : der
Vorbereitung zerstörte, eine folhe Partei hat das Net verwirkt, der
Staatsregierung Verzögerung in der Vorbereitung solcher Arbeiten vorzuwerfen. (Sehr richtig! links. — Zurufe und Unruhe rets.)
Von der Selbstverwaltung ist von allen Rednern ge- sprochen worden. Dabei habe ih eigentlih den Abgeordnete Lüdide niht verstanden, der die Selbstverwaltung will, aber zugleih ein \harfes Eingreifen des Ministers. Meine Herren, ih möchte an dieser Stelle erklären: wenn ih beute etwas von dem Ausbau der Selbstverwaltung höre und mih dabei der Finanznöte® des Reiches und der unitarischen- Steuergeseßgebung erinnere, dann werde ih den Cindruck nicht los, als ob diese Erörterungen über Selbstverwaltung manchmal {öne Deklamationen, aber nihts weiter als {öne Dekla- mationen sind. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Formelle Selbstverwaltung — jawohl, aber die tatsählihe Selbstverwaltung ist. niht denkbar ohne finanzielle Quellen, die auch den Gemeinden er-. {lossen bleiben und ershlossen werden müssen. Dem \teht heute eine A entgegen, die Tendenz im Reiche zur unitarischen. Steuer- geseßgebung. Wenn Sie eine Aenderung wollen, wenn Sie wirkliche Selbstverwaltung wollen, dann helfen Sie doch im Reiche, dem Herrn Reichsfinanzminister Steuerquellen zu ershließen, daß auch die Be« dürfnisse der Gemeinden befriedigt werden. Sonst steht von der Selbstverwaltung alles nur auf dem Papier. (Sehr rihtig! bei den Sozialdemokraten.)
Was das Gese über die Selbstverwaltung der Pro-: vinzen den Inhalt des Autonomiegeseßes anlangi — Herr Abgeordneter Dr. Reineke hat mich gestern ermahnt, die Erwartungen des Volkes nicht zu enttäushen —, so möchte ih doch nit verfehlen, darauf hinzuweisen, daß wichtigere Zugeständnisse, als sie bereits in der Verfassung enthalten und damit geseßlih fundamentiert sind, wohl kaum im Autonomiegeseß gemaht werden können. Jch glaube, wic man auc die Auftragsangelegenheiten und die Geseßgebungsangeleget- heiten im Autonomiegesez formulieren mag, daß wichtigere Dinge dabei niht herauskommen als die Beteiligung der Provinzen im
Staatsrat, die Provinzialstimmen im Reichsrat und die Mitwirkung. der Provinzen bei der Ernennung der politishen Beamten. Das sind %
fo wichtige Rechte, daß sie, glaube ich, alles in den Schatten stellen werden, was man sonst noch an einzelnen Befugnissen den Provinzen in der nätsten Zeit übertragen wird. Jh möchte an dieser Stelle
cusdrüdsich darauf hinweisen, damit diese Dinge, die die Verfassung
gewährleistet hat, niht gering geshäßt werden.
Herr Abgeordneter Dr. Ruer hat vor der allzu großen Heimlih- tuerei und vor der Ueberspannung der Grenzlächerlihkeiten, die an- :
gedeutet worden seien durch einen Artikel der Rendsburger Zeitung.. gewarnt —. so war es ja wohl. Jch kann erklärèn, daß über die künftige Gestaltung Hamburgs und der benathbarten
preußischen Gebietsteile Verhandlungen überhaupt noch nicht statt-
gefunden haben. Vielleiht werden in diesem Augenbli, wo wir urs in der Landesversammlung mit meinem Etat beshäftigeri, ‘an anderer Stelle solche Unterhaltungen gepflogen. Vor einiger Zeit sind Kon«. ferenzen zwischen Vertretern meines Ministeriums und Vertretèrn der Hamburger Behörde zur Sicherung des Wirtschaftsgebietes Ham- burgs, zum Zwecke der Abschließung eines Staatsvertrages über das Einsegen der Polizei abgehalten. Das sind die einzigen
Verhandlungen gewesen, die zwischen Preußen unb Hamburg gepflogen
worden sind, die aber au kein abshlicßendes Grgebnis gezeitigt haben. ‘Von Heimlichtuerei kann keine Rede sein; in der Hamburger Bürger-
‘saft ist auf diese Verhandlungen verwiesen worden, und ih würde ‘gern über Einzelheiten Mitteilung machen, wenn das Jnteresse der
Landesversammlung ‘es erheishen würde. Aber ih glaube, Sie werden sich mit diesem kurzen Hinweis begnügen. O s ___Zch freue mih über die Anerkennung des Herrn Abg. Ruer, baß das Staatsministerium, insbesondere mein Ressort, be- müht sind, nah Möglichkeit Differenzen mit dem Reiche au3zu- räumen. Wenn aber. der Herr Abg. Ruer mir dann noch die Empfehlung mit auf den Weg gab, an den Verhandlungen im Reichsrat selbst teilzunehmen, so muß ih ihm er- wideun, daß man selbst von cinem Minister niht alles verlangen kann. (Heiterkeit.) J glaubte aus den Worten des Herrn Abg. Ruer hon so etwas wic Bedauern über den Minister von heute herausgehört zu haben. Dieses Bedauern wäre sehr berehtigt ge- wesen. “Denn ein Minister von heute ist — verzeihen Sie den hmalen Ausdru — manchmal Mädchen für alles. (Sehr wahr! und Heiterkeit.) Er muß vom frühen Morgen bis zum späten Abend Deputationen. empfangen. Er soll über jede Kleinigkeit in seinem Ressort auf dem laufenden sein, auch ‘dann, wenn der Herr Abg. Lüdicte es für gut befindet, in der Landesversammlung mit Dingen aufzuwarten, die doch eigentlih besser in den einzelnen Dezernaten des Ministeriums bearbeitet werden. (Zustimmung links. — Zuvuf rets: Das war immer so, Herr Minister!) — Herr Abg. v. d. Osten, so var es nie! (Widerspruch rechts.) Die Minister des alten Regime3 snd nie so häufig von Deputationen besuht worden, wie es heute der Fall is (Zustimmung links) Die Minister des alten _Regimes haben es \tets verstanden, eine Mauer um si aufzuricten, die sih in fehr seltenen Fällen auftat oder überklettert werden konnte. (Sehr gut! links. — Abg. v. d. Osten: Jch meine die Anzapfungen hier in der Versammlung!) Daß der Minister der Landesversamm- lung dem Parlament gegenüber Nede und Antwort zu stehen hatte, das war früher auch so, und ih entziehe mih dieser Verpflichtung nicht. Jch wollte nur sagen, Herr Abg. v. d. Osten, daß der Minister von heute über so wenig Zeit verfügt, daß er die Vertretung im Reichsrat nicht auch noch wahrnehmen kann. Von mehreren Rednern ist die Ernährungspolitik ge- streift worden; besonders der Herr Abg. Hauschildt hat gewünscht, daß der- preußische Jnnenminister scinen Einfluß ausüben möge, um bei der Reichsregierung im Sinne einer besseren Ernährung der Be- wWsferung vorstellig zu werden. Meine Damen und Herren, was auf diesem Gebiete geshehen kann, geschieht. Jch habe in den leßten Tagen .mit dem Herrn Neichsernährungsminister, der bekanntlih zu- gleich Staatskommissar für die Ernährung in Preußen ist, längere Erörterungen gepflogen; wir siusd einig darüber, daß an die preußi- hen Verwaltungsbeamten ein Erlaß zu rihten ist, der es diesen Beamten zur Pflicht macht, mit aller Entschiedenheit dafür zu sorgen, daß besonders das Brotgetreideeingetrieben wird. (Zu- wf bei den U. Soz.: Geschieht ja nicht!) — Jh weiß nicht, ob & nach dem Vorgehen, das jeßt beabsihtigt wird, niht doch ge- \hieht. — Ich bin darüber klar, meine Herren, daß man nicht jedem einzlnen. Landmann mit Polizei beikommen kann. Ebenso wenig, wie man den industriellen Arbeitern. durch Polizei Arboits- freudigkeit. einbläuen Tann, ebensowenig gelingt es auf dem Lande, dur Polizeiaufgebote die Arbeitsfreudigkeit zu erhöhen. Aber wenn gegen Streiks der industriellen Arbeiter Polizei aufgeboten wird und. im vorigen Jahre Militär aufgeboten werden mußte, dann, alaube i, ist es nr ein Gebot der Billigkeit, wenn man auch gezen vénñitente Landleute Polizei in Bewegung seßt. (Lebhafte Zustimmung links.) Das soll in der nächsten Zeit geshehen. (Abg. Adolf Hoff- mann: Hoffentlih!)) Wo Böswilligkeit angenommen wird, sollen die einzelnen Gehöfte von Stoßbrupps, d. h. von Leuten, die vom Ausdrusch, von der pfleglichen Behandlung der Æbensmittel eiwas verstehen, heimgesucht werden, und diese Stoßtrupps sollen begleitet werden von Angehörigen der Sicherheitöpolize! (Abg. Adolf Hoff- mann: Die Botschaft hören wir wohl!) — Herr Abg. Hoffmann, ih muß Ihnen folgendes sagen: (Abg. Adolf Hoffmann: Das hätte längst gemaht werden müssen!) —. Jawohl, das mußte vor einem Jahre gemaht ‘werden. (Sehr wahr! links.) Und soweit ich zu meinem bescheidenen Teil dazu beitragen konnte, ist das im vorigen Jahre hon gemaht worden. Als im Nheinland und Westfalen, besonders in den nordöstlichen Kreisen Westfalens, im vergangenen Jahre die Liebensmittelablieferung stodte, habe ih mich an den Fommandieren- den: General mit dem Ersuchen gewandt, Patrouillen für die Arbeit der Feststellungskommissionen zur Verfügung zu stellen. Diese sind den einzelnen Landräien überwiesen worden, und es hat scheinbar uur der Ankündigung bedurft, um die nordwestfälishen Kreise zu einer besseren Lieferung zu bewegen.
In dem Zusammenhange mit den Wünschen auf eine bessere Srnährung ist daun gestern auch die Aktion gegen die Berliner Hotels besprochen worden, und der Herr Abgeordnete Ruer hat gemeint, daß der Minister des Innern seinen Einfluß auf den Polizeipräsidenten geltend machen möge, um auch da zu einem vernünftigen Einschreiten, das unnötige Härten vermeidet, zu ge- langen. J muß, um die Rechtslage festzustellen, folgendes bemerken: Die Beamten der Wucerabteilung ‘beim. Polizeipräsidium sind Hilfs- beamte der Staatsanwaltschaft, und sie der Meinung sind, daß in Hotels verbotswidrig Anordnungen getroffen werden, verbots- widrig Lebensmittel. verwandt werden, dann ist ein Verwaltungg- beamter, und sei es auch der Minister, niht in der Lage, den Beamten der Staatsanwaltschaft in den Arm zu fallen. (Abg. Stendel: Jst falsch) Soweit aber von der Wucherabteilung Maß- nahmen getroffen sind, die auf Fahrlässigkeit, auf Unactsamkeit \{ließen lassen — das möchte ih dem Herrn Abgeordneten Ruer gegenüber bemerkèn — wird Nemedur eintreten. Der Beamte, der für das föstlihe „Mißverständnis" verantwortlih ist, von dem Sie ja schon in der Presse gelesen haben, wird seines Amtes enthoben werden. Im übrigen muß ih es dem Staatskommissar für die Volksernährung und -dem Herrn Justizminister überlassen, in welher Weise er dié Hülfsbeamten der Staatsanwaltschaft rektifizieren will. (Abg. Stendel: Das sind doch Polizeibeamte, Herr Minister!) — Aber, Herr Stendel: Sie-sind doch sozusagen Richter! — (Große Heiterkeit und Zurufe links. — Zurufe des Abg. Stendel.)
Bei dieser Gelegenheit möchte ih ein Wort zu der publizistischen Auswertung solher Fälle sagen. Jch habe in der leßten Zeit recht oft in den Zeitungen der verschiedensten Parteirihtungen die Er- mähnüng ar den Minister des Innern oder an die Staatsregierung shchlechthin gelesen, gegen die Schieber- und Shlemmerlokale mit aller Entschiedenheit vorzugehen. (Abg. Gronowski: Sehr richtig!) Ich
glaube, es ist Pflicht der Staatsregierung, bas zu kun. Es ist- Pflicht der Staatsregierung, dafür- zu sorgen, dgß der Groll der Massen gegen die Schlemmerei und die Schieberei niht den Höhepunkt erreicht, der uns die s{limmsten Ausschreitungen einmal befürchten läßt. Denn wàs nüßen alle Ermahnungen an die hungernde Bevölkerung, wenn auf der anderen Seite die Luxusläden geöffnet sind und auf der anderen Seite Tag und Nacht geshwelgt wird! (Lebhafte Zu- stimmung auf allen Seiten des Hauses.) Wenn dann aber die Polizei oder die Staatsanwaltschaft einmal zugreift, dann ift- es manchmal dieselbe Presse, die dann etwa in dem Sinn schreibt: Wasch mir den Pelz, aber mach' ihn mir nit naß. (Lebhafte Zustimmung.) Ich glaube, daß auch von der Presse manchmal eine geradere Linie eingehalten werden müßte, und daß man den Aktionen der Behörden nicht den besten Dienst leistet, wenn man heute die Parole ausgibt: Nin in die Kartoffeln, — und morgen zu dem entgegengeseßten Er- gebnis kommt. j
Der Elektrikerstreik. Der Herr Abgeordnete Reinke hat gefragt, ob der Minister des Jnnern beim Elektrikerstreik auch ret - zeitig eingegriffen hat. Jch muß sagen: früher als ih eingegriffen habe, konnte ih beim besten Willen niht handeln. Ich habe die ersten Bemühungen zur Beilegung des Streiks oder zur Abwendung seiner Schäden in den frühesten Morgenstunden des 6. November unternommen, so- früh, daß ich selbst nicht einmal die Behörden erreichte, mit denen ich in Verhandlung treten mußte.
Man macht mir den Vorwúrf, daß von mir die Technische Nothilfe zu: spät eingeseßt sei. Meine Herren, ih mache auf folgendes aufmerksam: Die Technische Nothilfe erfreut sich in den Kreisen der Bevölkerung noch nicht der allgemeinen Beliebtheit. Es gilt meines Erachtens, diese Einrichtung erst populär zu mahen. Das tut man nicht dadur, daß man sie in einem Moment einseßt, wo dieser Einsaß dem Streikbruch nahekommt. Es is notwendig, daß der richtige psycologishe Moment für das Einseßen gewählt wird. (Zurufe rechts. — Gegenrufe links.) Herr Abgeordneter Stendel, wenn bei solhen Katastrophen Menschen - sterben müssen, dann ist es die Verpflihtung der Behörden, dafür zu sorgen, daß so wenig wie möglich sterben. Es gilt nit allein, diesen richtigen psychologishen Moment zu ergreifen, sondern es galt au, zu ver- hindern, daß der Streik sich auf die Gas- und Wasserwerksarbeiter ausdehnte.
Einige übereifrige Verteidiger der Technischen Nothilfe haben mich besonders in der Presse angegriffen, daß ih nicht zugestimmt hâtte, daß sie mittags {on um 2 Uhr eingeseßt würde. Jch muß mir in der Zurückweisung dieser Angriffe gewisse Neserven auferlegen. Ich möchte nit, daß die Waffe der Nothilfe stumpf würde. So viel darf ih aber sagen: wäre es zu einem allgemeinen Streik der städtishen Arbeiter gekommen, der Gas-, Elektrizitäts- und Wasser- werksarbeiter, dann hätte meines Grachhtens die Tehnishe Nothilfe ohne Unterstüßung der städtishen Beamten niht ausgereiht, um auch nur die notdürftigen Verrichtungen zu leisten. (Hört! Hört! bei den U. Soz. — Zuruf rechts: Das nennen Sie wohl die Waffe stumpf halten!) Die Waffe ist inzwishen geschärft. Glauben Sie, Herr Abgeordneter Stendel, daß man verbesserungsbedürftigen Dingen den besten Dienst erweist, wenn man wie ein Vogel Strauß den Kopf in den Sand s\teckt?! Es gilt, auch einmal die Schäden auf- zudecken. Die Technische Nothilfe- selbst und die vorgeseßte Behörde, das Reichsamt des Innern, weiß, wo der Hebel der Besserung an- zulegen ist, und dieser Hebel ist angelegt worden, und heute ift die Waffe Gon schärfer. Es kommt aber niht darauf an, wie scharf, wie schneidig sie heute ist, sondern es kommt darauf an, ob sie {hon am 6. oder 7. November angewandt werden konnte. Jch sagte Ihnen eben \{on: es tfommt darauf an, in solhen Bewegungen die Dinge zu lokalisieren, um diesen militärisch fahtechnischen Ausdruk zu ge- brauchen. (Zuruf links: Von Watter!) Wenn man das tun wollte, dann durfte man auch niht am 7. November und durfte auch nicht am 9. November mit Kürassierstiefeln einhershreiten. Glauben Sie nicht, Herr Kollege Stendel, und es sollten auß Ihre anderen Herren nicht der Meinung sein, daß Nervosität und Lärm ein Beweis von Festigkeit ist? (Sehr richtig! links. — Zurufe rechts: Vor- gestern!) Man kann in der Zeitung einen fürhterlihen Lärm er- heben, man kann in den Parlamentserörterungen den Mund ret weit aufreißen und kann dabei doch ein sehr furchtsamer und sehr nervöser Herr sein. Es kommt auch darauf an, zur rechten Zeit zu \chweigen und energisch vorzugehen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. (Sehr richtig! links.) Jch glaube, daß die Stellen, die über den Streik und seine Beilegung sowie die Abwendung seiner Schäden zu befinden hatten, immer den rihtigen Augenblick erfaßt haben. Der beste Beweis ist durch den Erfolg gegeben: der Streik blieb auf
seinen Herd beschränkt, hat keine Ausdehnung erfahren, und die
Bevölkerung Berlins bis weit in die Reihen der unabhängigen sozialistishen Arbeiterschaft hinein ist von der Ueberzeugung durch- drungen worden, daß so wie dieser Streik andere Lohnbewegungen nit angezettelt werden dürfen. Das ist auch ein moralischer Erfolg, den wir für die weitere Entwiklung Berlins und Preußens nit unterschäßen dürfen.
Ih könnte die Rolle, die ich persönlih beim Streik gespielt habe, hier noch eingehender erörtern, aber das sähe so aus, als ob ih mir Lorbeeren ums Haupt winden wollte, und darauf verzichte ich. Wenn aber Ihre Presse, die deutshnationale Presse, sagt, daß die preußische Regierung erst hätte angetrieben werden müssen, so stelle ih von der Tribüne des Abgeordnetenhauses aus fest, daß die preußishe Staatsregierung am ehesten auf dem Posten war und daß sie am frühen Morgen des 6. November alles getan hat, was zur Eindämmung der Bewegung erforderlich war.
Ein paar Bemerkungen zu den Beamtenfragen und zu den Märchen des Abgeordneten Lüdike. (Zuruf rechts: Märchen?) Ja- wohl. Oder glauben Sie wirklich daran, daß der NRegierungs- präsident Bartels gesagt hat: über die Abseßung oder Ernennung von Landräten befindet die sozialdemokratishe Fraktion? Wahrlich, «nen fo!cen Glauben habe ih in Israel noch nit ge- funden. (Heiterkeit.) Oder glauben Sie wirklich daran, daß der Landrat Pfaff wegen Pferdeshiebung verabschiedet worden ist oder daß der Assessor Schröter aus Nimptsh, ein sogenannter Kapp- Landrat, überhaupt noch für die Staatsregierung bei der Beseßung des Landratspostens in Nimptsch in Frage kommen könnte? Daß Sie den Fall zum Gegenstand Jhrer Béshwerdé gemaht haben, spricht do dafür, daß Sie noch daran glauben. Jawohl, cs sind zum großen Teil Märchen, und auf diese brauche ih nit einzugehen. (Zuruf rets: von Versen!) — Das war in der Tat kein Märchen, sondern eine Prophezeiung. Herr Abgeordneter Lüdike wußte {hon zu berichten, daß der Landrat von Versen aus Rosenberg verseßt sei.
. (WiberspruG bes Abgeorbneken Lüdie.) — Zunä&st Hak er bas
gesagt. Als ih ihn unterbrach, berihtigte er sich und sprah davon, daß die Absicht bestände. Jch bin erstaunt, wie die Herren über Einzelheiten in der preußishen Verwaltung unterrichtet sind. Einst» weilen \sißt Herr von Versen noh in Rosenberg, ih weiß aber nit, wie lange noch. Jedenfalls hat ihm Herr Lüdicke mit seinen Aus- führungen nit gerade den allérbesten Dienst erwiesen. Ich erlaube mir, ganz offen zu Ihnen zu sein, wie auch zu den anderen Parteien des Hauses. Wenn ih den begründeten Verdacht habe, daß dje Mitteilungen, die der Abgeordnete Lüdicke heute niht ganz korrekt rerwertet hat, wahrheitswidrige Behauptungen des Herrn von Versen sind. (Zuruf rechts.) JIch werde den Dingen nachgehen —, dann bleibt Herr von Versen niht in Rosenberg. : i
_ Jch stimme grundsäßlih mit den Anschauungen überein, die gestern der Herr Abgeordnete Ruer hier zum Ausdruck gebracht hat. Wir können weder Anhänger Moskaus noch Kappisten als Beamte gebrauchen. (Zuruf rechts: Ist Versen Kappist?) — Aber verwandter Berufsgenosse! (Zuruf rechts: Unerhört!) Herr Graf Kaniß, wollen wir auf diese Einzeldinge nicht eingehen im Interesse des Herrn von Versen. — Herr von Versen hat in den leßten Monaten seiner Landratstätigkeit ein folhes Maß von Nervosität an den Tag gelegt,
“ daß in der Tat seine Abberufung ernstlich erwogen worden ist. Es
liegt nicht im Interesse der Bewohner dieses durhaus- niht an« genehmen Kreises, wenn sie Nachts alarmiert werden nur um der Laune eines Landrats willen. (Hört, hört! links. — Zuruf rechts: Die Westpreußen sißen auf der Tribüne und hören das!) — Es sind Wesl- preußen gewesen, Herr Graf Kaniß, die im Ministerium den Wunsch zum Ausdruck gebracht haben, daß Herr von Versen abberufen werden möge. (Zuruf rechts: Darauf wird glei gehört!)
Ich bin weiter mit den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Neinicke einverstanden, wenn er sagte, daß Geeignetheit, sahlihe Vor- bildung, Unbestechlichkeit die Vorausseßungen für die Auswahl der Beamten sein müßten. Der Herr Abgeordnete Reinicke hat ih aber nit darauf beschränkt, diefe Grundsäße aufzustellen, sondern er hat auch Kritik geübt, wenn er meinte, baß bei Beseßung wichtiger Posten in der leßten Zeit nicht mit der Sorgfalt verfahren sei, die im Interesse des Amtes erforderlich gewesen wäre. Jch habe {on im Aus\cch{uß zugestanden, daß, wenn tin einer verhältmäßig kurzen Zeit verhältnismäßig viele wichtige Posten beseßt werden müssen, die Mög- libkeit von Mißariffen niht ausgeschlossen ist, und ich habe au zugegeben, daß Mißgriffe vorgekommen find. Aber ih glaube, es ist ungerecht, wenn der Abgeordnete Reinicke sagte, daß Mißgriffe bei der Beschung von Beamtenstellen nur in der leßten Zeit vorgekommen seien.
Ib möchte hier alte verdiente Beamte nit angreifen und nit in den Kreis der: Erörterungen ziehen. (Zuruf rechts: Lieber glei raus\{mecißen!) Jh will Herrn Abgeordneten NReinicke nur eins fragen: Glaubt er, daß bei der Bestellung eines früheren Oberpräsi- denten von Westfalen — er weiß vielleiht, wen ih meine — mit der nötigen Sorgfalt verfahren sei? (Zuruf im Zentrum: Da haben Sie recht!) Die Herren, die die Oberpräfidenten unter dem alten Regi- ment oder die Regierungspräsidenten oder die Landräte bestellten, hatten ja die reiste Auswahl unter einer ganzen Reihe von tüchtigen Bewerbern. Wenn wir jeßt aber — das ist von Ihnen ja aub als Notwendigkeit anerkannt worden — Sozialdemokraten, Arbeiter, in die Verwaltung bringen, dann steht dem Minister nicht ein so großes vorgebildetes Beamtenheer zur Verfügung, und dann muß er die Nächsttüchtigen nehmen. Daß diese dann in ihrer fach- lihen Vorbildung an die Beamten von der Zunft niht immer heran- reichen, gebe ih ohne weiteres zu. Aber es ist früher gesündigt worden, und es wird heute gelegentlih vorbeigegriffen. Die Frage ist nur, ob der Minister des Jnnern oder die anderen zuständigen Stellen bei der Beseßung die nötige Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit ausüben, und da weise ih die Unterstellung mit aller Entschiedenheit zurück, als ob bei mir die Gesinnungstüchtigkeit des Bewerbers aus\{laggebend wäre. Jch kenne in der Verwaltung eine ganze Reihe von deutsch- nationalen NRegierungsprästdenten und Landräten, die ich nicht missen mêchte, und ich kenne andererseits einige unabhängig-f\ozialistische Vürgermeister und Landräte, die ih ebenfalls in der Verwaltung in Preußen sehr gern sehe.
Jch gebe Herrn Reineke recht: Das find nicht die besten Charaktere, oder nicht die besten Beamten, die am 8. November 1918 ihr Zentrumsherz ‘oder ihr s\ozialdemokratishes oder demokratisches Herz entdeckt haben. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Und: die Leute, die in mein Ministerium kommen und unter Berufung auf einen Gesinnungswechsel ihre Bewerbung vormerken lassen wollen, haben beim Minister des Innern keine Aussicht auf Ernennung, keine Aussicht auf Berücksichtigung, und wo ih merke, daß Beamte aus Opportunismus eine Gesinnung vortäuschen, die mit etner: Maske nur ihre Unfähigkeit verdeken wollen, werden unnacsihtlich aus ihren Stellungen entfernt, ob es fich um Sozialdemokraten, Demo- kraten oder SZentrumsleute handelt.
Dann ein Wort zu den „moralisch Defekten“. Jch wundere mi darüber, daß der Fall Passehl oder der Fall Reichardt heute hier niht angeshnitten worden sind. (Zurufe rechts: Doch!) Der Ab- geordnete Schmidt (Stettin) hatte bereits eine kleine Anfrage dieser- halb gestellt. Er soll auf die shriftlihe Beantwortung nicht warten, ih will ihm heute {on die Antwort erteilen
Meine Damen und Herven, auf bloße Anschuldigungen der «Deutschen Tageszeitung“, der „Post“, der „Deutschen Zeitung“ oder der „Täglichen Rundschau“ kann ih Beamte nicht aus ihren Stel- lungen entfernen. Jch weiß, was es mit diesen Anschuldigungen- mancchmal auf sich hat. Jn der Reichstagswahlbewegung dieses Jahres erschien in der rechtsgerihteten Presse die Notiz, daß au ih an Zuckerwaren- und Schokoladenschieberoien beteiligt sei und dafür 32 000 6 verdient hätte. (Heiterkeit.) Jh weiß darum, welcher. Wert diesen Behauptungen innewohnt. Wenn z. B. der Landrat Christians in Blumenthal, ein Sozialdemokrat beschuldigt wurde, daß er sh an Schuhlieferungen für seinen Kreis bereichert habe, und dann prompt festgestellt worden ist, daß dieser Christians. dex. eben erst zum Landrat ernannt wovden war, mit diesen Schuh- bestellungen nihts zu tun hat und ihnen meilenweit fernsteht, so weiß man, was diese Behauptungen, die nicht widerrufen werden, sondern durch dic ganze Wahlbewegung hindurhges{chleppt werden, bezwecken. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) ;
Der Abgeordnete Schmidt, um auf seine Anfrage in Sacen: Passchl ein Wort zu sagen, hatte sich zunächst an mich persönli ge- wandt mit der Anfrage, ob es richtig sei, daß der Landrat Passehl in Neustettin Fahrten mit galanten Damen unternehme. Wenn er. bis zum 30. Oktober auf diese Frage keine Antwort bekomme, werde die Sache in die Oeffentlichkeit gehen, Jch möchte an dieser Stelle