1920 / 276 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 Dec 1920 18:00:01 GMT) scan diff

erklären, wenn in Eingaben an mi oder an mein Amt ein Ulti- matum gestellt ist, wenn die Antworten befristet“ verlangt werden, dann werden die Herren, ob es sich nun um Abgeordnete oder um Staatsbürger ohne Abgeordnetenmandat handelt, überhaupt keine Antwort bekommen. Das möchte ih dem Abgeordneten Schmidt zur Erklärung dafür sagen, daß er guf seine private Anfrage keine Aniwort erhalten hat. Wer bis zun 30. Ottober Mittags 12 Uhr Antwort haben will, bekommt überhaupt keine. Die Untersuhung über das Verhalten des Landrats Passehl ift im Gange. Sie wird ohne Ansehen der Person geführt werden, und stellt sih heraus, daß dieser Beamte, der über seine dienstlihe Qualifikation übrigens das beste Zeugnis von seinen Vorgeseßten bisher bekommen hat, nit würdig ist, sein Amt weiterzuführen, so wird er unnachsi{tlich von

{einem Posten entfecnt werden. Und so wird es mit allen gehalten .

Der Herr Abgeordnete Dr. Reineke hat sich dann darüber be- Fsagt, daß die, Herren von der Zentrumspartei in der Aemterbesebßung sehr stiefmütterlich behandelt werden, und hat dabei auf das Ministerium verwiesen, dessen Haus- halt jeßt beraten wird. Herr Abgeordneter, ih glaube, Sie häiten, wenn Sie diesen Faden spinnen wollten, ihn doch noch ein wenig länger ziehen können, Sie hätten auf die Objektivität des Ministers verweisen müssen, denn außer dem Minister ist in diesem Ministerium überhaupt kein Sozialdemokrat (Zurufe aus dem Zentrum: Das genügt!); vom Zentrum sißen abex vier Herren im Ministerium des Innern. (Abg. Dr. Reincke: Wer?) Dr. Sonnenschein (Abg. Dr. Reinelke: Ministerialdirektor oder vortragender Nat?) Ja, wenn Sie gleich so hoh hinaus wollen! (Große Heiterkeit. Abg. Dr. Reineke: Die vier Hilfsarbeiter kenne ih, Herr Minister!) Die Ministerialdirektoren sind auch niht vom Himmel gefallen; sie waren früher auch Regiecrungsräte und Ministerialräte. Jch glaube, daß die Herren von der Zentrumspartei sich in den leßten Jahren niht über mangelnde Berücksichtigung zu beklagen hatten. (Sehr rihtig! links.) Vom 1. Juli des vergangenen Jahres ab bis heut: sind 45 katholische Landräte ernannt worden. (Hört! hört! links.) Davon stehen mindestens 28 der Zentrumspartei sehr nahe. Vom 1. Juli bis jeßt sind 45 Assessoren angestellt worden, die au zum großen Teil der Zentrumspartei angehören. (Abg. Dr. Reinecke: Das sind die Landräâte, die gewählt sind!) Herr Abgeordneter Dr. Reineke, cs ist ein anderes, ob man einen evangelishen Landrat zur Wahl in einen katholischen Kreis bringt oder gleih von vorn- berein etnen ftatholischen Bewerber hinshickt. (Zuruf aus den: Zentrum: Das kann man erwarten!) Das sollen Sie auch er- warten, gewiß. (Zuruf aus dem Zentrum.) Herr Kollege Busch, das sollen Sie sich auch nicht gefallen lassen (große Heiterkeit); das mutet Ihnen auch niemand zu. (Unruhe und Zurufe im Zentrum. Abg. Stendel: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Stürmische Heiterkeit.) Meine Herren, es mutet Ihnen niemand zu, daß Sie sich etwas gefallen lassen sollen, etwa cinen Mangel an Berücksichtigung geeigneter Beamten oder direkte Unfreundlickeit, o nein!

Ih wollte aber auf der anderen Seite darauf aufmerksam machen, daß Vorwürfe über niht genügende Berücksichtigung der Herren von der Zentrumspartei auch nit angebracht sind. (Zuruf aus dem Zentrum: Im Ministerium des Innern!) Gewiß, aber Sie wissen selbst, Herr Kollege Reineke, im Ministerium lassen ih Personalfragen niht im Handumdrehen lösen. Sie selbst würden es mir übel anshreiben, wenn ih unter Jgnorierung der Be- stimmungen der Verfassung, die den Beamten doch wohlerworbene Rechte sichert, Beamte des Ministeriums ohne stihhaltige Gründe aussch!ffe und dafür Herren der Zenirumspartei hereinnehme (Zuruf aus dem Zentrum: Wollen wir gar nit!) oder Herren der Demo- kratishen Partei oder der Sozialdemokratischen Partei nehme. (Aba. Busch: In Koblenz sind nur zwei Katholiken! Lachen links.) -— Meine Herren, vas mag alles sein, aber die Sünden des alten Negimes, die sih wie eine chronishe Krankheit eingefressen haben, können nit mit einem Kaisershnitt geheilt werden (sehr richtig! links), das bedarf eines langen Heilungsprozesses. Jh glaube aber, daß in meinem Ministerium die Tendenz unverkennbar ist, die Wünsche aller Parteien, auch der Deutschnationalen Volkspartei und der Deutschen Volkspartei, zu berücksichtigen. (Lachen rets.)

Meine Herren, ih habe während dieser Verhandlungen vieles gelernt. Jch habe erfahren, daß man ein sehr tüchtiger Jurist sein kann, daß man auch sehr sachverständig und fkritisch über die Er- fordernisse der preußishen Verwaltung reden kann, daß man aber selbst schr wenig geeignet ist, ein solhes Amt in der preußishen Ver- waltung einzunehmen. (Sehr richtig! links.) Herr Kollege Stendel, wenn ih die Verpflihtung hätte, heute einen Abgeordneten der Landesversammlung auf einen hervorragenden politishen Poslen zu bringen Sie würde ih nit ernennen! (Stürmische Heiterkeit. Abg. Stendel: Jch danke auch bestens!) Das ist eine ganz ge- wöhnlihe Metourkutshe. Meine Herren, es achört nicht allein fahliche Vorbildung, es gehört nicht allein Unabhängigkeit für einen solchen Posten, besonders in diesen unruhigen Zeiten, sondern es gehört vor allen Dingen Ruhe und Kaltblütigkeit dazu. (Sehr richtig! links.)

Da komme ih auf des Pudels Kern: die fohlihe Vorbildung in allen Ehren, auch die makellose Vergangenheit in allen Ehren, beides sind Erfordernisse, die ih streng berücsihtige. Aber, meine Herren, glauben Sie, daß si das Preußen von heute venvalten und regieren Tieße ohne die Beteiligung der Arbeitershafi? Und wenn heute ein Deutschnationaler an meiner Stelle wäre, er käme um die Notwendigkeit nicht herum, Sozialdemokraten und au unabhängige Sozialisten in die Verwaltung hineinzunchmen, oder aber er würde der Totengräber Preußens. (Sehr richtig! links.) Sie erkennen das an gut! Wenn aber von einem fozialdemokratishen Minister ein Sozialdemokrat als Landrat ernannt wird, dann steht in der Deutschen Tageszeitung“ oder in der „Post“: „Wieder einer!“ oder „Der Drang an die Futterkrippe!“ oder irgendeine andere geschmackvolle Bezeihnung. Wenn Sie da ein wenig besänftigend auf Ihre Presse einwirken würden, würden Sie viel zur Gesundung unserer politishen Sitten beitragen, (Ah! ah! bei den Sozial- demokraten.)

Jch bin ganz einverstanden, wenn Herr Kollege Dr. Reineke meint, daß die geistigen Potenzen wieder zur Geltung kommen müßten, daß der Kopfarbeiter wieder gewürdigt werden müsse, der ja wohl in seinem Kurswert in den leßten zwei Jahren verloren habe. Ich glaube, in der organisierten Arbeitershaft genießen die Kopfarbeiter, wenn sie sh in den Dienst der Allgemeinheit, der Volkssahe ftellen, die allerhöhste Werts{äßung. (Sehr ritig! Links.) Der Kult der shwieligen Faust wird in den Arbeiterparteien pit mehr so vertreten, wie es noh in den neunziger Jahren der Fall

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war. Wer Kunst und Wissenshaft veraHtet, wird au in der Ar-

beitershaft verachtet (sehr richtig! links) und in dem ergreifenden Gedicht von Freiliggrath, in dem die Wertshäßung des Arbeiters, der schwieligen Faust erzählt wird, heißt es in Würdigung des geistigen Proletariats: doch auch dessen,

Der mit Schädel und mit Hirn hungernd pflügt,

Sei nit vergessen. » Also die geistigen Potenzen finden bei der Sozialdemokratie volle Anerkennung. Aber, meine Damen und Herren, Sie dürfen fol- gendes nicht vergessen.

Es gibt eine ganze Anzahl von Verrichtungen, die von Beamten beute ausgeführt werden, die im Volksleben, im volkswirtschaftlichen Leben bei weitem nicht fo wichtig sind wie die, die ein qualifizierter Handarbeiter leistet (sehr rihtig!), und ebenso, wie man dem Ar- beiter empfehlen foll, den Kult der \{chwieligen Faust zur Vergessen- beit zu bringen, cbenso fehr muß man aber auch den Beamten- kategorien sagen, daß sie niht in den Beamtendünkel verfallen sollen (sehr rihtig!), in den Dünkel, der den Mann mit der {wieligen Faust gering abtet. (Sehr rihtig) Wir haben eine ganze Menge von Handarbeitern in den Maschinenfabriken, Werkzeugdreher, Werk- zeugs{losser, die siherlih manchmal in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung höher stehen als „ein Regierungsrat oder ein vortragender Nat, das läßt sch nicht bestreiten, (Hört! Hört! und Sehr richtig! links.) Die Arbeit, wo und an welher Stelle sie geleistet wird, soll ihren Lohn und ihre Anerkennung finden, und der Arbeiter, der an irgendeinem Posten die allgemeine Befähigung für den Ver- waltungsdienst mitbringt, soll auh in der Verwaltung berüdsichtigt werden. Das ist ein Grundsaß, nah dem ih meine Amtsgeschäfte führen werde. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.)

Nun ein paar Worte zur Polizei. Unsere Schußpolizei hat heute den \{wersten Dienst und eine große Verantwortung. Sie muß \ch in ständiger Bereitschaft halten, sie dient zur Aufret- erhaltung der allgemeinen Ruhe und Ordnung, heute weit mehr als das Neichsheer. Denn das Reichsheer wird in der Regel nur ein- geseßt, wenn der Ausnahmezustand proklamiert wird. Jch halte es deswegen für meine Pfliht, auch an dieser Stelle den Beamten unserer Polizei den Dank des Ministeriums für ihre Opferbereitschaft auszusprechen, die sie in den {weren Monaten dem Vaterland be- wiesen haben. (Bravo!)

Aber auch ich stimme Herrn Dr. Neineke zu, wenn er sagt, daß der Geist der Polizei heute niht überall erfreulih ist. (Hört! Hört! rechts.) Die Unzufriedenheit über die Verzögerung der Etatisierung ist in der Tat sehr groß. Ich ribte deshalb an alle Parteien der Landesversammlung die dringende Bitte, so weit es in ihren Kräften steht, die Etats der Polizei in den Ausshüssen so {nell wie möglich zu verabshieden. (Abgeordneter Rhiel [Fulda]: Die Vor- lage fehlt noG!) Nein, Herr Kollege, Sie haben {on über die Vorlage zu beraten. Wir sind allerdings in der Auseinander- seßung mit dem Reih noch nit ganz fertig. Wenn die Beamten sehen, daß sie in der nächsten Zeit etatisiert werden, daß sie Aussicht auf Anstellung haben, wenn sie wissen, daß in Zukunft auch für fie von Staats wegen gesorgt werden soll, dann ist mir um die Aufrechterhaltung der Disziplin in der Beamtenschaft niht bange. (Zuruf im Zentrum: Bringen Sie den Spezialetat!) Ich weiß nicht, ob wir weiter kommen, wenn wir uns gegenseitig solhe Aufgaben zuschieben. Wenn ih diesen Etat, den Sie ver- langen, bringe, den Spezialetat, dann haben wir erst die langwierige Auseinanderseßung mit dem Reich zu führen. Wenn nur erst ver- abschiedet wird, was bei der Landesversammlung liegt, dann ist das der erste Schritt, um gute Zustände in der Sicherheitspolizei herbei- zuführen.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch auf die Zeitungsslimme eingehen, die Sie, Herr Kollege Neineke, gestern verlesen baben. In den Blättern der Ullstein-Presse und in der „Deutschen Zeitung“ stand nah dem 16. November ein Artikel, in dem es unter anderem hicß, daß ich die Absicht hätte, Preußen zu zers{lagen und vor der Polizeibeamtenschaft eine sozialdemokratis6ec Wahlredz auf Kosten der übrigen Koalitionsparteien gehalten hätte. Alle diese Behauptungen sind erfunden. Jch habe vor der Polizeibeamtenshaft eine Erklärung dafür gegeben, daß sch die Etatisierung so lange verzögert hat. Ich habe ihnen gesagt, daß ih mit zwei Finanzministern, die in diesen Zietläuften niht allzu freigebig sind, zu rechnen hätte, daß der Reichs- finanzminister und der preußisbe Finanzminister ihre Entschließung von gewissen ‘Einrichtungen abhängig machten, die wir in der Sicher- heitspolizei zu treffen hätten, daß diese Duplizität der Verwaltung die Arbeiten in dem Ministerium ungemein verzogere, daß weiterhin aber auch die Agitation der radikalen Parteien nit dazu beitrage, eine schnelle Verabschiedung zu fördern. Jch wies dabei auf cinc Nede hin, die kurz vorher Herr Kollege Ludwig an dieser Stelle gehalten hatte, in der er keinen Unterschied zwishen der Schußpolizei und der Neichswehr machte. (Abg. Ludwig: Sehr richtig!) Das ist sehr unrichtig, Herr Kollege Ludwig! Die Sicherheitspolizei ist mit der Reichswehr alten und neuen Schlages nicht zu verwechseln. We sich Schäden zeigen, die den Verdacht aufkommen lassen, als ob die Polizei niht ein Instrument in der Hand der verfassungsmäßigen Negierung ist, werden diese Schäden ausgemerzt, Das ges{ah nicht überall bei der Neih#Ætvehr. Insofern und aus anderen Gründen der Organisation hinkt also der Vergleih zwischen der Polizei und der Neich8wehr. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Herren von den Nechtsradikalen ich will damit keine Partei dieses Hauses bezeichnen, aber eine gewisse Richtung in der Presse be- zeichnen die Sicherheitspolizei als unzuverlässig, weil verschiedene Formationen von ihr so {reibt man mit linksradifkalen Ele- menten durcdseßt sind. Wenn das rechts und links von diesem Instrument der Staatsgewalt behauptet wird, kann man es, so sagte ih weiter, den Koalitionsparteien niht verargen, wenn fie mit dop- pelter Sorgfalt alle die Vorlagen prüfen, die ihnen von der Slaats- regierung in Sachen der Polizei unterbreitet werden. Insofern habe ih darauf aufmerksam gemacht, daß diese Agitation auch auf die Koalitionsparieien abfärbe. Die Koalition umfaßt bis heute auch noch die Sozialdemokratie, und wenn ih die Koalitionsparteien ohne jede Einschränkung nenne, habe ich damit auch die Herren von der Sozialdemokratishen Partei gemeint. Deêwegen können Sie diese Ausführungen nicht als eine sozialdemokratishe Wahlrede charakteri- sieren.

Auf die Beschuldigung der genannten Presse, daß ich Preußen ¿rshlagen wollte, gehe ih niht ein. Mein Standpunkt in der Frage ist bekannt. Jch bin bemüht, die Disziplin in der Truppe unter allen Umständen aufrechtzuerhalten, und {reite mit den s{ärfsten Mitteln, Entlassung und Auflösung ganzer Hundertschafteu, ein, wenn

» mir dîe Disziplin bei eînzelnen Zügen oder gonzen Hundertshaftzn nicht gewahrt zu sein scheint. Jch bin auch ber Meinung wie der Herr Kollege Dr. Reineke, daß einStreikrechtdenBeamten nicht zugestanden werden kann. Wer von einem solhen Streik- recht Gebrauch matt, darf sich nicht wundern, wenn der Minister ven dem Recht der Entlassung Gebrauh macht. Jn allen Fällen mird so verfahren werden. Das wäre noch s{chöner, wenn Beamte, die zum Schuße des Staates berufen sind, der Staatsautorität durch Streiks Schläge beibringen, von denen der Staat sih unmöglich er- holen kann. y

Jch habe das Empfinden, daß ih angesichts der Geschäftslage des Hauses gut tue, alle polizeitehrüishen Einzelheiten, die vielleiht in diesem Zusammenhange ncch zu erörtern wären, aufspare, bis der Nahtragsetat uns vorliegt. Jch möchte daher nur dem Herrn Abs geordneten Hauschildt noh das eine sagen, daß mir von den Spißel- umtrieben, die in Elberfeld-Barmen gemeldet worden sind, nihts be- kannt ist. Sobald die Untersuchung ergibt, daß Beamte der Schuß polizei beteiligt sind, werden diese Beamten unnacbsihtlich aus der Sicherheitspolizei entfernt werden. Auch da möchte ih auf Reinlich- keit balten.

Und nun, meine Herren, der Selb |}\chu b! Ich bin da zunähst dem Hause eine kleine geshichtli®e Reminiszenz huldig. Als im vorigen Jahre die Einwobnerwehren aufgestellt rvurden, habe ih glei die lebhaftesten Bedenken gègen diese Einrichtung geäußert, In Rheinland und Westfälen taugten sie absolut nihts. Sie waren nit imstande, auch nur im entferntesten zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung beizutragen, wenn die Störung der Nuhe und Ordnung einen politishen Unterton, einen politishen Charakter hatte. Jm

besten Falle halbierte sh dann eine solhe Eintvohnerwehr und hob -

damit ihre Wirksamkeit auf. Im andern Falle; d. h. wenn sie einheit- lih zusammengeseßt war, genoß sie in der Bebölkerung nicht das' all- gemeine Vertrauen, das sie befähigt erscheinen ließ, ein Instrument in der Hand der verfassungsmäßigen Regierung zu sein. Entweder seßten sih ihre Mitglieder vorzugsweise aus den rechtsgerichteten Parteien zusammen, dann war man auf der andern Seite sehr {nell mit der Bezeichnung „gegenrevolutionäre Verschwörer“ bei der Hand, oder es waren in der Mehrzahl Arbeiter in den Wehren organisiert, dann hieß es, daß diese Formationen Spartakistennester oder Sparta» kfistenktompagnien seien. Ich habe deshalb bei allen zuständigen Stellen, nit zuleßt bei meinem Herrn Amtsvorgänger, die lebhaftesten Ve- denken gegen die Aufstellung der Einwohnerwehren geäußert und damals {on den Grundsaß vertreten, daß Waffen nur diejeniazen führen follten, die von Amts wegeh dazu berufen sind. Die Nichtig- keit meiner Auffassung hat s|ch im Märzaufstand dieses Jahres in Nheinland-Westfalen und auch in anderen Bezirken Deutschlands zur Evidenz gezeigt. Die Einwohnerwehren versagten in den meisten Fâllen, sie sind an einigen Stellen nur Flurshüten gewesen. Insoreceit kann man ihnen ein gewisses Lob zollen. Aber die allgemeine Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, dazu haben die Wehren au ch1 im vorigen Jahre nicht das geringste beigetragen.

Es fam dann zur Aufstellung der Arbeiter- und Ortswehren rah dem Märzabkommen., Jch streifte das {hon eingangs meiner Ausführungen. Die Arbeiter- und Ortswehren mußten zunächst von ter Regierung geduldet werden, weil die Regierung selbst ihre Auf- stellung zugesichert hatte. Als das Ententeverbot einlief, habe ib tie Einwohnerwehren aufgelöst und habe es auch als meine Pflich: erachtet, die aufgestellten Arbeiter- und Ortswehren aufzulösen. - Jh folgerte, glaube i, nit mit Unrecht, daß es der Entente ja niht auf Auflösung dieser ganz besonders bezeihneten Einwohner- wehren ankam, sondern daß die Entente den größten Wert darauf legte, die Waffen aus den Händen der Zivilbevölkerung herauszu- bekommen. Da war es denn gleichgültig, ob diese Waffen in den Händen von Einwohnerwehrleuten oder von Arbeiter- und Orts- wehrleuten sih befanden. Es ist gelungen ich wies schon darauf bin —, dur die Aktion der Reichsregierung eine Entwaffnung großen Stils vorzunehmen und die Aufstellung von Arbeiter- und Ortswehren bintanzuhalten. Eine allgemeine Entwaffnung in allen Teilen Deutschlands wurde von der Reichsregierung wegen einer unbe- hinderten Wahblbewegung unterlassen, aber {on im Mai bestand bei der Reichsregierung Uebereinstimmung darüber, daß nah der Wahlbewegung eine allgemeine Waffenrazzia au in andcren Landes- teilen Deutschlands einseßen follte. Dann kam im Juli das Diktat von Spaa, das dem Minister nun die erhöhte Pflicht auferlegte, wachsam zu sein gegenüber jedem Versu, Privatpersonen und Privat- vereinigungen entgegen dem Diktat von Spaa mit Woffen zu ver- sehen. Gerade in dieser Zeit wurden Versuche unternommen, Waffen zu verschieben, und besonders in ländlihe Gegenden zu verschieben. In der Provinz Ostpreußen, in der Provinz Pommern, in der Provinz Brandenburg bildeten sich Waffenarsenale, die von früheren Offizieren der Reichswehr verwaltet wurden. Das Mißtrauen der Arbeiter rouchs, an den Minister gelangten Mitteilungen des Inhalts, daß, wenn nicht recht bald gegen diese Selbstshußzorganisationen einge» schritten würde, au die Arbeiterschaft von dem Recht des Selbst- \{chutes Gebrauch machen würde.

Angesichts dieser Situation" habe ih erneut mich entschlossen, die Einwohnerwehren niht nur erneut zu verbieten, sondern au die sogenannten privaten Selbstshubtorganisationen aufzulösen, und das hat dann nun den bekannten Sturm gegen mich entfesselt. Meine Damen und Herren, ih bin kein Rechthaber, und wenn ih bei Nachprüfung meiner Maßnahmen zu dem Ergebnis kommen würde, daß etwas Ucbereiltes beschlossen und angeordnet worden wäre, oder daß sih die Dinge doch in einer neuen Situation anders darstellen, als man ursprünglich angenommen hat, dann wäre ih gern bereit, au eine Revision meiner eigenen Entschließungen eintreten zu lassen. Aber ich muß beute einige Monate nah der Auflösungsverfügung der privaten Selbstshuborganisationen —-ich muß auc heute und gerade heute an dem Standpunkt festhalten, daß Selbstshußorgani- sationen in Preußen unter keinen Umständen zu dulden sind (sehr richtig! links) und daß ich mit all den Mathtmitteln der Verwaltung gegen die Selbst{hußorganisationen vorgehen werde und daß ih lieber meinen Posten verlasse, als diesen Standpunkt aufgeben werde. (Abg. Dr. Lüdicke: Und wie wollen Sie die Bürger {üten?) Ia, Herr Kollege Lüdicke, gerade weil ih die Bürger \{üßen will, darum will ih keinen SelbsisGuß. (Erneuter Zuruf rechts: Wie denn?) Ich will die Bürger dadurch \{übßen, daß ih hoffentlih mit Ihrer Hilfe eine starke Polizeimaht für Preußen schaffe, die allein in der Lage ist, den Schub für jeden Bürger zu“ übernehmen. (Zuruf rechts:

(Fortseßung in der Zweiten Beilage.)

Nr. 276. |

weite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger

Berlin, Sonnabend, den 4. Dezember

1920

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Und Zirkus Busch, Grüneberg?) Ach, wenn Sie nur den Zirkus Busch und Grüneberg immer heranziehen, dann wird auch diese Waffe bald stumpf. Sind denn früher unter dem alten Regime keine Aus- shreitungen vorgekommen (sehr richtig! links), wo ein Heer von 900 000 Mann hinter jedem Polizisten stand? Je mehr Sie dem

Bürger einreden: Er ist nicht geschüßt (Zurufe rechts: Cinreden? '

Zurufe links.) Meine Damen und Herren, ih habe mit Vor- bedacht dieses Wort gewählt. Je mehr Sie sich und dem Bürger einreden, daß er ohne Schuß ist, einen desto {lehteren Dienst leisten Sie der Staatsautorität und der Staatsmacht. Dêr Staat, dem man stets bescheinigt, er sei ohnmächtig, den Bürger zu hüben, der Staat hat bei der Masse keinen Glauben, kein Vertrauen mehr. (Zurufe rechts und Gegenrufe bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ih gehe bei meiner Stellungnahme von der Vor- auésekung aus, daß man den einen nit gestatten darf, was man den anderen verboten hatte und verbicten mußte, und ih freue mi, dag diese Stellungnahme auch von Parteien allmählich anerkannt wird, die sch in dieser Frage bis in die leßten Wochen hinein zu mir niht gerade freundlich gestellt haben. Jch wundere mich darüber, taß Herr Abg. Dr. NReineke eine abwartende Haltung in dieser Frage einnehmen wollte, während ein führendes Zentrumsblatt, die „Kölnische Volkszeitung“, die mir sonst gar niht wohl will, durchaus dem zustimmt, was ih in dieser Frage von jeher vertreten habe. In einem Artikel der „Kölnischen Volkszeitung“ vom 10. November heißt cs:

Daß der Bauer niht zum Opfer marodierender Banden werden will, und daß die Stadtbewohner in der Lage sein sollen, sid vor den verbrecherishen Instinkten dunkler Eristenzen zu schüßen und ihren etwaigen organisierten Angriffen eine organisierte Abwehr entgegenzusetßen, das ift ein ganz verständlihes Empfinden. Daß cin solhes Empfinden Plaß greifen kann, daß die Vorbe- dingungen dafür geschaffen sind, daß man den staatlichen Organen uit die Fähigkeit zumutet, den Bürger zu {üten, darin liegt cine {were Anklage gegen den Staat. Tatsächlich ift unser Siaat nicht in der Lage, dem Bürger vollen Schuß zu gewähren. Aber ist das ein normaler Zusiand? Gewiß nit. Oder soll man sih etwa mit der Feststellung zufrieden geben, daß wir eben nit in normalen Verhältnissen lcben, und daß deshalb Normen, die sonst gültig sein mögen, zurzeit keine Geltung haben? Wer sih damit begnügen, wer nit als Ziel die allgemeine Entwaffnung aufstellen und grundsäßlich den bewaffneten organisierten Selbst- ablehnen wollte, der würde damit den latenten Bürgerkriez vroflamieren. Man kann nit zu gleiher Zeit für allgemeine Entwaffnung eintreten und dann bestimmten, nihtstaatlihen Orga- tisationen das Recht des Waffentragens einräumen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wer den roten Terror bekämpfen will, der stärke die staatlide Gewalt, au und gerade soweit sie in mili- tärishen und polizeilichen Machtmitteln zum Ausdruck kommt.

Das ist der Standpunkt, den id, wie gesagt, von jeher cingenommen bobe. Ih freue mi, daß si die Herren von der Zentrumsporitei allmählich auch zu dieser Auffassung bekehren. Jch lebe sogar der Hoffnung, daß die Herren von der Deutschnationalen Volkspartei nah den Wahlen selbt zu der Auffassung gelangen, daß dieser sogenannte private Solbstschutz kein Selbstscbußz ist, sondern für diejênigen, die sh selbst scküßzn wollen, die größten Gefahren in si birgt. Ver- segen Sie sich in die Lage, vergegenwärticgen Sie stch das Bild, das ich Ihnen gestern ausmalte. Stellen Sie sih vor, daß in Industrie- städten Tausende von Arbeitern bewaffnet wären, daß dann einmal Kartoffelmangs:I in einer folien Industriestadt eintreten würde, daß ingendein aufgeregter Mensch die Parole au3gibt: Aufs Land! stellen Sie sich vor, daß dann bewaffnete Banden mit Flinten aufs Land gchen, glauben Sie, daß Sie mit Jhren wenigen Waffen dann in der Lage sein würden, einer folhen Rotte von zerzweifelten Merscen Widerstand zu leisten? (Schr richtig! bei den Sozialdemo- traten. Zuruf des Abg. Dr. von Richter [Hannover].) Gegen diese bewaffneten Scharen shüßen Sie sich doch nit, Herr Abg. Ir. von Nichter. (Abg. Klausner [Storkow]: Unsinn, die stehlen ja selber, die da aufgestellt sind!) Ich. möchte den Herren von der Deutscmztionalen Volkspartei die dringende Empfchlung auf den Weg geben, nah ihren Kräften dofür zu sorgen, daß ein Abbau der Lebens- mittelprcise eintritt. (Seh- richtig!) Das ist, glaube ic, das beste Nozept zur Beruhigung unseres ganzen Volkes.

Im hungerrden Magen Eingang finden

Suppenlogik mit Knödelgründen

Und Argumente von Ninderbraten

Vevmisht mit Göttinger Wurstzitaten! Was Heinrih Heine da vor ciwa 80 Jahren sang, ist heute canz besonders zub-effend. Wenn alle Kartoffeln, die in den oft- preußishen Mieten licgen, in Rheinland-Westfalen wären, dann hâtle sich mein Ressort in den leßien Tagen nicht zu sorgen brauchen, daß Syndikalisten und Kommunisten die Bergarbeiter in einen aeuen Streik hincinzuziehen sih bemühen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemo- kraten.) l

Und nun, meine Damen und Herren, bin ih zweifelhaft, soll ih

Ihnen noch Material zustellen? Soll ih Ihnen jebt, nachdem ih Sie anderhalb Stunden ermüdet habe (sehr richtig! rechts), das einslägige Material über die Orges h vortragen? Jch bin gerh bereit, es auf den Tisch des Hauses niederzulegen. Wenn ich darauf ein- gehen wollie, so würde daraus hervorgehen, daß nit jeßt erst, wie behauptet worden ist, sondern bereits im Mai, im Juni und im Juli Versudæ unternommen worden sind, verbotene Organisationen auf- ret zu erhalten und mit Waffen zu versehen. (Hört, hört! links.) Die Zweige dieser Organisationen beschränken fich nicht auf eine Provinz. Die Organisationen hatten nit allein in Brandenburg

Filialen, sondern au in Pommern, in Ostpreußen, in Sclesien,

neuerdings auch in Rheinland und Westfalen (Zuruf: Und in Sleswig-Holstein!) und in Schleswig-Holstein. Jch will keine Pro- vinz auélassen, wenn ih sie au nicht nenne. Ih möchte daran er- innern, daß der Oberpräsident Hörsing ein weitveæzweigtes Neß auch

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in der Provinz Sa#sen {hon im August festgestellt hat. Jede Proving ist mit einem solhen Neß überzogen.

Ich bin weit entfernt, die Organisation Escherih eiwa zu über- schäßen. Jch glaube nit an die Großsprechereien des Brandenburger Landbundes, ih lasse mi nickt ins Bokshorn jagen von den Droh- briefen, die ih von verschiedenen Stellen bekomme, die mir einen Tod dur Aufhängen oder Erscießen androhen. (Hört! hört! links.) Abe: das Beispiel darf der Staat nicht dulden. Wenn der Staat zusehen würde, daß si Organisationen der Necbtisparteien verbotswidrig auf- stellen, dann ist er nicht in der Lage, geçen kommunistisdæe Verswö- rungen vorzugehen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wie haben Ihre Preßorgane ver einigen Monaten gebebßi, als die Weißen- secr kfommunistische Versdwörung aufgedecktt wurde. Weldæ Vorwürfe hat mein Ministerium damals zu hören bekommen, daß es nit früh- zeitig in dieses Wespennest gegriffen hätte. Aber was ist es denn ander3, was die geheime Rechtéorganifation - z3. B. die Kompagnie des Hauptmanns Bostelmann unternimmt? (Zuruf bei den unab- hängigen Sozialdemokraten. Ich bin nicht in der Lage, zu prüfen, ob in Weißensee alles Spißel waren. J bin überzeugt, Spitel gibt es links und gibt es rechts. Das Pharisäertum ist ekelhaft in jeder Form: und wenn irgendeine Partei glaubt, von folhen üblen Elementen frei zu sein, dann ist das ein Stükdchen Pharisäertum. Auf der Unken gibt es solde Subjekie wie auf der Rechten, und ih glaube, daß auch bei diesen jüngsten Macenschafien Spißel ihre Hand im Spiele gehabt haben. Aver es läßt si niht leugnen, daß dieses Notwehrregiment Bostelmann, von dem der Herr Abg. Lüdicke gesproben hat, das mit dem 30. Juni aufgelöst sein sollte, noch in den leßten Junitagen Leute gesucht hat, die in der Lage seien, Maschinengewehre zu bedienen. (Hört, hört! links.) Ein Zeitfreiwilligenregiment, das die Auflösungs- order {hon seit Mai in der Hand hat, brauht doch in den leßten Junitagen keine MaschinensGüßen mehr.

Ferner ist akienmäßig festgestellt, daß in vershiedenen feineren Städten dec Provinz Brandenburg durch ehemalige Offiziere der Neichswehr den Arbeitsgemeinschaften, die den Grundstock der Orgesch bilden sollen, Waffen zugeführt worden sind. Es läßt si auch nit leugnen, daß in der Provinz Ostpreußen jeder einzelne Mann dieser Organisationen genaue Anweisungen über die Hand- habung der Geräte und Waffen bekommen hat. Das Bezeichnendste ist, daß dieser Ostpreußishe Selbstshuß seine Mitglieder Schüßen nennt. „Mit dem Pfeil, dem Bogen“ haben diese Schüßen doc niht nur geschossen (Heiterkeit); da waren doch andere Dinge im Spiel, wie die verschiedenen Waffenfunde bewiesen haben. (Abg. von der Osten: Wollen Sie Ostpreußen den Bolschewisten über- liefern? Lachen und Zurufe links) Nein, meine Herren! Herr von der Osten, wenn wir frei wären in unseren Entschließungen, wenn die Entente uns das Diktat von Spaa nicht auferlegt haite, niht das Diktat der Auflösung der Einwohnerwehren, dann würde ih gern bereit sein; vielleiht zivile Landwehren aufzustellen unter Beteiligung aller politischen Parteien und aller Enverbsstände, und diese zivilen Landwehrformationen unter den Befehl und die Kontrolle der ordentlihen Behörden stellen. (Sehr gut!) Dem steht heute noch cine Kleinigkeit, nämlih der Widerstand der Entente, ent- gegen. Ist er überwunden und ih bemühe mi, diesen Wider- stand zu überwinden, ih bin in dieser Bezichung an den PVerrn Reichsminister des Aeußern herangetreten, er moge den Versuch vnternehmen, daß dieses Diktat von Spaa abgeändert wird —, wird dieser Widerstand überwunden, dann bin ih gern bereit, in Preußen solhe Organisationen ins Leben zu rufen, wenn wir nicht die Mittel haben oder nidt die Genehmigung dazu befommen, unsere Polizei über die Ziffer von & 900 Mam zu erhöhen. Aber das wollen 1a die Herren in Ostpreußen nicht, die wollen sih ja nit dem Ober- präsidenten zur Verfügung stellen, Herr Graf Kaniß, Sie wissen ja Bescheid. Wir waren im August in Allenstein. (Abg. von der Osten: Es ist geschehen, sie haben sih dem Oberpräsidenten zur Verfügung gestellt und stechen unter seiner Führung!) Die ostpreußischen Selbstschußorganisationen haben sih in einer Phase der Unter- handlungen allerdings bereit erklärt, sich der Kontrolle des Dber- präsidenten zu unterwerfen. (Abg. von der Osten: Hört, hört!) Sie haben sih recht bald dieser Kontrolle wieder entzogen (fehr richtig! links. Widerspruch rets), und erst in den leßten Tagen sind wieder Annäherungsversuhe unternommen (erneuter Widerspruch rechts), weil die Herren wahrsheinlich dessen inne werden, daß die preußischen Behörden in dem Verbot der Orgesch und ähnlicher anderer Organisationen nicht nachlassen. (Zurufe rechts: Sie sind ganz unorientiert!)) Aber Herr Graf Kaniß, Sie wissen sehr genau, daß cinige Jhrer Gefinnungsfreunde, sih bei den Verhand- lungen in Allenstein ostentativ geweigert haben, die Waffen ‘abzu- geben und sich unter die Kontrolle des Oberpräsidenten zu stellen (hört, hört! Links), und daß es ciner späteren Verhandlung vorbe- balten blieb, eine Ginigung dieser widerstrebenden Interessen und Willensmeinungen herbeizuführen. Jh will der Obijektivität wegen gern angeben, daß Herr Graf Kaniß in Person sich bemüht hat, damals schon ein CEinlenken dieser obstinaten Organisationen zu bewirken; aber ih muß auch hinzufügen: seine Bemühungen sind in der Verhandlung, der ih beigewohnt habe, ohne Erfolg geblieben.

Also meine Herren, dieses Material, mit dessen Einzelheiten ih Sie nicht langweilen will, ist so gravierend für, die Staatsgefähr- lihkeit der Organisation, daß ich den Standpunkt, den ih in dieser Frage eingenommen habe, nicht ändern kann. Indes bin ih Jhnen noch eine Erklärung schuldig über die Kontroverse, die ih einmal {heinbar allerdings nur mit dem Herrn Justizminister gehabt habe. Es ist ja deówegen auch eine große Anfrage der Herren von der deutsdnationalen Volkspartei eingebradt worden. Der Herr Justizminister hat, veranlaßt dur einen Vertreter des Herrn Ministerpräsidenten, ein Rechtsgutachten über das Verbot abgegeben und ist dabei auf Grund des ihm vorliegenden spärlichen Materials zu der Auffassung gelangt, daß si die Organisationen, die ich ver- boten hatte, feine polizeilihen Befugnisse anmaßten, daß sie nicht bewaffnet seien, und daß deswegen ein Einschreiten auf Grund geseß- lier Bestimmungen wohl kaum in Frage komme. Jch sage noh

einmak: auf Grund des ihm vorliegenden \pärlihen Materials. Das Ersuchen des Herrn Justizministers, das Material ihm zu über- senden, ist eingegangen zu einer Zeit, wo ich “nit in Berlin war. Der Herr Justizminister bätte sich zudems bei seinem Gutachten auf ein Gutachten stüßen fönnen, das von cinem meiner Referenten gegen mi erstatte war. (Lebhaftes Hört, hört! links.) Jch bin da ganz offen, meine Herren. Sie wollen daraus ersehen, daß ich ganz tolerant bin au gegen die Beamten meines Ministeriums, die nit in allen Dingen mit mir übereinstimmen. Das ist hier kürzlih von der Tribüne dieses Hauses aus bestritten worden.

Dann wurde das Gutachten des Justizministers veröffentliht, das Gutachten, das zu einer Verneinung der Frage fam, cb nad dem geltenden Recht gegen diese privaten Selbstschuß- organisationen einzuschreiten sei. Jn den Tagen, als es veröffentlicht wurde, wirkte es wie eine Sprengbombe. Jh bekam Nachrichten aus Schlesien, Schleswig-Holstein, aus Hannover und aus der Provinz Sachsen, daß nun die Arbeiterschaft mcht mehr zögern dürfe und selbs Organisationen zu dem gleichen Zweck aufstellen müsse, einen Selbstsbuß gegen reaktionäre Anscläge der Orgesh und der anderen Organisationen herbeizuführen. (Sehr richtig! links.) Da galt es handeln; da konnte ih mi nit erst auf Er- orterungen einlassen. Da mußte der Oeffentlichkeit wieder bekannt werden, daß der Innenminister als Polizeiminister nah wie vor auf dem Standpunkt stand, den ih heute wiederholt dier skizziert habe, und so ist dann der zweite Erlaß an die Oberpräsidenten beraus- gegeben und veröffeniliht worden.

Wenn man mir den Vorwurf gemadi hat, daß ih die Frage nit als Staatsminister, sondern als Ressortminister zur Regelung brachte, so darf ih darauf erwidern, daß ich in dem Augenblick, als 1ch zur Stellungnahme gezwungen war, meines Wissens der einzige Minister in Berlin war, meine Kollegen zur Beratshlagung nicht einladen und demgemäß dem Staatsministerium die ganze Sachlage nil unterbreiten fonnte. Später haben wir urs aber im Staats- ministerium über die Dinge auseinandergeseßt. Es sind nah wie vor vom Herrn Kollegen am Zehnhoff gewichtige Bedenken gegen einzelne Bestimmungen in dem zweiten Erlaß erhoben worden. Es ist in Zweifel gezogen worden, ob die angezogenen Paragraphen von den Gerichten als stihhaltig anerkannt würden. Diese einzelnen Para- graphen gebe ih ohne weiteres preis, darauf kommt es mir gar nit an, Es kcmmt mir darauf an, daß wir über den trüben, gefahr- drohenden Winter hinüberkommen, daß wir nicht Ihr böses Beispiel den linksgerihteten Glementen tin unserem Volke geben. Mir kommt es darauf an, daß wir nicht ein waffenstarrendes Volk schaffen, ber dem irgend ein kleiner Zufall genügt, um die Dinge zur Exploston zu bringen. (Sehr richtig! links.) Denn bei dem Wettcüsten im Jn- land ist es so wie früher beim tnternationalen Wettrüsten; da genügt die eine Flinte, die losgeht, und alles steht in hellen Flammen. Ih verdiente niht an der Stelle zu stehen, die ih beute vertrete, wenn ih anders handeln würde, und ich denke nicht daran, anders zu bandeln. Wenn die Gerichte zu einer anderen Auffassung ge- langen, dann würde ih das schr bedauern. (Zuruf rechts: Aber?!) Aber, wenn auch mal ein Spißbube wegen Mangels an Beweisen freigesprohen wird —, die Polizei faßt die andern Spißbuben do (sehr rihtig! links), und wenn der eine auch freigesproben wird, die Haltung des Innenministers bleibt dieselbe! . (Bravo! links. Zu- rufe rechts.) Höher als die Achtung vor vermeintlichen Rechts- grundsäßen steht mir de Achtung vor dem Wohl des deutschen und des preußishen Volkes (Bravo! links), und solange ih dieses Wohl bedroht sehe, und solange ich nab pflihtmäßigem Ermessen diese Bedrohung durch entsprechende praktische Maßnahmen abwenden kann, werde ih diese Maßnahmen in Anwendung bringen. (Lebhafter Bei- fall links. Zurufe rechts.) Jh freue mich, daß auf Jhrer Seite jeßt so energische und so zielklare Verfehter der verfassungsmäßigen Nechte des preußishen Staatsbürgers stehen, Wäre diese Wach- samkeit nuc früher da gewesen! (Sehr gut! links.) Jch könnte aub als Person cin Liedben davon singen, wie mir gegenüber die ver- fassungsmäßigen Rechte des preußishen Staatsbürgers früher gewahrt worden sind.

Die Frage des Selbstshußzes ist im Augenblick nah meinem Dafürhalten eine der wichtigsten innerpolitishen Fragen. Sie kann nur gelöst werden, wenn alle, die es mit dem preußishen Volke gut meinen, und guten Willens sind, zusammenzustehen, wenn politische Leidenschaften und Parteidoktrinen zurücktreten hinter die gemein- samen Interessen des Staates. Dazu biete ih die Hand. Ich habe Ihnen gesagt, wie ih einen besseren Schuß herbeiführen will. Ich bin gern bereit, ihn heranzuholen dadurch, daß ih auch bei den Neichsstellen vorstellig werde, um die Entente. zu veranlassen, uns einen solchen Schuß zuzubilligen. Aber illegal uns den Schuß zu nehmen, um dadur einerseits Repressalien herbeizuführen, und andererseits andersgerihteten Parteien das Beispiel zu geben, ih auch zu bewaffnen, das würde eine solche Gefahr für Preußen herauf» beshwören, daß kein Minister die Größe dieser Gefahr vor dem Hause und vor dem Volke verantworten fann.

Auf Ausführungen des Abg. Dr. oon Richter (D. Volk3p.) entgegnete der Minijter des Jnnern Severing:

Minister des Innern Severing: Ich danke Herrn von Nichtier für die überaus freundliche Perspektive, die er mir soeben gestellt hat. Jh kann ihm versprechen, in Anerkennung für das, was er mir an Zukunftshoffnungen erwedkte, daß ih seine Erwartungen voll erfüllen werde. Jch werde mein Amt nie als Parteiminister auffassen, sondera als Staatsminister. Aber, Herr von Richter, unsere Anschauungen darüber gehen leider auseinander. Jch habe Ihnen allerdings muß i hinzufügen: vergeblich Flarzumachen verfucht, daß, wenn ih in den lezten Monaten genötigt war, die sogenannte starke Hand nach rets zu zeigen, ich früher mit derselben Entschiedenheit bei ähnliben Erscheinungen gegen links habe vorgehen müssen, wobei ih recht oft den Widerspruch meiner engeren politishen Freunde erfuhr. Auch dieser Widerspru hat mi nicht abgehalten, das zu tun, was ih glaubte dem Lande und einer gedeihlihen Fortentwicktlung unserer Wirtschaft s{uldig zu fein ih kann das gar nicht oft genug wieder-