1899 / 53 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 02 Mar 1899 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 45. Sigung vom 1. März 1899, 1 Uhr.

Die zweite Berathung des Reichshaushalts-Etats ür 1899 wird bei dem Etat der Zölle und Verbrauchs- euern; und zwar bei dem Ansaß „Brausteuer“ fort-

geseßt. : ; _ Die Abgg. Dr. Paasche (nl.) und Roesicke - Dessau (b. k. V Bean tragen folgende Resolution:

„Die verbündeten Negierungen zu ersuchen, dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen die Verwendung von Surrogaten und der Zusaß von Süßstoffen und sogenannten Kon- servierungsmitteln bei der Bierbereitung in der Brausteuergemein- schaft verboten wird.“ :

Hierzu beantragen die Abgg. Gamp (Np.) und Dr. Hermes (fr. Volksp.) statt der Worte „bei der Bierbereitung“ zu Ip: „bei der. Bereitung untergähriger Biere“.

bg. Dr. Paasche (nl.) weist darauf hin, daß die Bestrebungen

wegen des Surrogatverbots {hon sehr alten Datums seien. Man habe aber einen Abschluß niht erreiht, weil sich damit immer die Bestrebungen verbunden hätten, eine erheblihe Erhöhung der Brau- steuer herbeizuführen. Jeßt sei aber sowohl dem Reichstage wie der Regierung die Hand gebunden bezüglih der Echöhung der Brau- steuer. Deshalb folle man auf das Surrogatverbot zurückommen, zumal dasfelbe aus den Kreisen der Brauereien jeßt lebhaft ge- wünscht werde, wie die verschiedenen Eingaben bewiesen. Wenn man auch gegen die Verwenduna von Reis und Zucker zur Bierbereitung nichts Crhebliches einwenden könne, so sei do die Praxis bedenklich, die verschiedene kleine Brauereien eingeführt bätten, daß fie Saccharin den Bierabnehmern in Tabletten unentgeltlih lieferten, damit die Konsumenten sih das Bier nah ihrem Belieben süßen könnten. Es gäbe auch Bierertrakte, die zu jedem Bier zugemisht werden könnten, fo daß daraus Pilsener, Kulmbacher, Bockbier 2x. entstände. Es sei dringend nothwendig, daß endlih ein Verbot nah dieser Richtung erlassen werde, wie es in Bayern zum Shute der dortigen Bier- brauereien bestebe. a (

Abg. Gamp (Rp.): Es kommen bierbei doch die Interessen der Landwirthschaft mit in Betracht. Der Hinweis auf Bayern is durch- aus unzutreffend; man müßte au die bayerische Biersteuer in Nord- deutshland einführen. Daß Bayern so viel Bier nah Norddeuts{- land exportiert, ift eine Folge davon, daß Bayern offenbar eine Ausfuhrprämie gewährt. Die Lage der norddeutshen Brauereien ift feine ungünstige; das beweisen hon die hohen Dividenden. Gesund- heits\chädlihe Surrogate sollte man verbieten; anders [iegt es aber beim Stärkezucker. Wenn keine Stärke mehr zur Bierbereitung ver- pi tg werden darf, dann wird darunter die Spiritusfabrikation eiden. è Abg. Wurm (Soz.) führt aus: die geringe Menge von Stärke und Stärkesyrup,“ die zur Biebereitung verwendet werde, komme aar- niht in Betracht. An der Verwendung der aroßen Menge von Reis fönne die deutshe Landwirthschaft kein Interesse haben. Seine Partei wolle zur Bierbereitung nur Hopfen und Malz verwendet wissen. Der Reichstag habe früber das Surrogatverbot einstimmig angenommen. Weshalb jeßt diefer Meinungëäwechfel ?

Bavecil@ée stellvertretender Bevollmähtigter zum Bundesrath, Ministerial-Nath Ritter von Geiger: Der Herr Abg. Gamp hat die Behauptung aufgestellt, daß Bayern bei der Ausfuhr von Bier eine Erportprämie gewähre. Ich bin veranlaßt, diese Behauptung des Herrn Abgeordneten rihtig zu stellen. In Bayern beträgt der Steuersaß zwishen 5 und 6 20 S vom Hektoliter Malz, im Durchschnitt 6 4; die Rückoergütung aber beträgt zwishen 2 10 - und 2 Æ 85 S § vom Hektoliter Bier, im Durchschnitt 2 6 60 3. Nach den Erfahrungen, wie fie in Bayern gemaht worden sind, werden aus cinem Hektoliter Malz ungefähr 200 bis 210 1 Export- bier erzeugt. Aus diesen Ziffern geht hervor, daß in Bayern eine

Bee bei der Ausfuhr von Bier durhaus ni@t gewährt wird. Die

ayerishe Rükvergütung ist im Gegentheil geringer, als der Betrag

der inneren Steuer. C8 wäre auch ganz unzulässig, in Bayern etne Ausfuhrprämie zu gewähren, weil dies nah dem Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 den deutshen Staaten überhaupt untersagt ist.

Abg. Broemel (fr. Vgg.) erklärt, er halte das Surrogatverbot für dringend nothwendig gerade im Interesse der reellen kleinen Brauereien, welhe unter dem unlauteren Wettbewerb der Surrogate verwendenden Brauereien liiten. Wenn eine Industrie mit so über- wiegender Mebrhbeit cine solche Maßregel verlange, dann sei es seltsam, daß die Geseßgebung ein Einschreiten verweigere. Herr Gamp sei ja doch fonft gegen die Verwendung von Surrogaten, z. B. bei der Margarine. s F :

Abg. Gamp: 31000 dz Stärkezucker sind zur Bierbereitung verwendet worden; fie sind iz: Inlande produziert, während die Brau- gerste zum theil aus dem Auslande bezogen wird. 40/9 aller nord- deutshen Brauereien verwenden Surrogate; man kann sie doch nit sämmtlich als unsolide bezeibnen. A

Abg. Dr. Hermes erklärt, er halte das Surrogaiverbot für nicht zutreffend für die Brauereien obergähriger Biere, die ein billiges Bier gerade für die ärmere Bevölkerung berftellten. Nah dem Ursprung des Bieres frage er nit; wenn dasselbe nur bekömmlich sei.

Abg. Wurm: Mit dieser Ansiht wird der Vorredner wohl allein stehen. Die Surrogatbiere sind durchaus nicht nahrhaft; mit ihnen täusht man nur das Puktlikum. i S i

Die Einnahme aus der Brausteuer wird bewilligt; die Resolution kommt erst in dritter Lesung zum Abstimmung.

Bei der Einnahme aus den Stempelabgaben befür- wortet der

Abg. Be ckh- Coburg (fr. Volksp.) die Aufhebung der Staats» lotterien; bereits in früheren Jahren habe man si gegen diese Steuer auf die Dummheit ausgesprohen und die Aufhebung der Staats- lotterien verlangt. Dies sei aber vom Reichstag abgelehnt worden, worden, weil darin ein Eingriff in die Finanzen der Einzelstaaten liege. Bayern und die anderen süddeutshen Staaten bätten folche Staatslotterien nit. Das Reih sanktioniere gleichsam durch eine Stempelabgabe das Lotteriespiel, und in Bayern werde Jeder, der in der Lotterie spiele oder Loose verkaufe, empfindlih bes straft. Redner verzihtet darauf, einen Antrag zu stellen, spricht aber die Hoffnung aus, daß demnächst die Abshaffung der Staatslotterien * beschlossen werde. 2 i |

Der Etat der Stempelabgaben wird genehmigt.

Es folgen einige vom Etat des Rerhsamts des Jnnern

zurückgestellten Titel. i i /

Bei den Ausgaben für das Kaiserliche Gesundheits- amt erklärt auf eine Anfrage des Abg. Dr. Lingens (Zentr.) der

Direktor des Kaiserlihen Gesundheitsamts Dr. Köhler: Dem geehrten Herrn Vorredner erlaube ih mir kurz zu erwidern, daß feit dem Abschluß der eigenen Arbeiten des Gesundheitsamts, die viele Fahre hindurch fortgeführt worden find, nihts Wifsenschaftliches uns bekannt geworden ist, was die seiner Zeit gezogenen Séhlüsse ershüttern fönnte, und diese Schlüffe kann ih kurz dahin resümierem, daß bei ordnungsmäßiger Wahl des Friedhofsplaßzes und ordnungsmäßiger Bestattung diejenigen FInfektionserreger, welche bei menschlichen Leichen in Betracht kommen, in der Zeit, während welcher die Leichen der Erde anvertraut zu sein pflegen, vor einer Wiederinbetriebnahme des Friedhofes zu Grunde gehen. Neu ist ja die Anfrage hinsichtlich des Ercregers der Pest. Es ist aus naheliegenden Gründen niht angängig, nah dieser Richtung in Deutschland felbst Versuche anzustellen; indessen habe ih geglaubt, den Wünschen des Herrn Vorredners am besten zu entsprehen dadur, daß ih mich mit den Herren in Verbindung gesezt habe, die im Auftrage des Deutschen Reichs die wissenschaftlihe Expedition nach Indien zur Erforshung der Pest ausgeführt haben. Und da barf ich nacher dem Herrn Vorredner die Abschrift eines Briefes des Führers der Expedition zustellen, aus welhem hervorgeht, daß

nishen Bevölkerung, unsere Forscher abhielten, so unmittelbar der Frage nahezutreten. Indessen zieht der Herr aus seinen Beobachtungen, wie sch der Erreger der Pest in Leichen, die nicht mehr ganz fris sind, verändert, den Schluß, daß verhältnißmäßig in sehr kurzer Zeit dieser Erreger den Fäulnißtakterien erliegt, und englishe Be- obattier haben sich auch dahin ausgesprochen, insbesontere der Gesund- beitsbeamte Dr. Wein in Bombay, daß seiner Beobachtung nah die Personen, welche mit Pestleichzen und auch mit ihrer Beerdigung zu thun hatten, fast gar niht oder nur äußerst selten überhaupt erkrankt find, daß also, wenn ordnungsmäßig gut und natürli vorsichtig damit umgegangen wird, sie keine Gefahr bieten. Damit glaube ih den ŒWüänschen des Herrn Vorredners, so weit es in meinen Kräften \teht, entsprohen zu haben und ftelle die Abschrift des Briefes ihm zur Verfügung.

Abg. Dr. N weist darauf hin, daß troßdem Aerzte die Scchädlichkeit der Kirhhöfe behauptet hätten, und daß die Anhänger der Leichenverbrennung die Fabel ebenfalls weiter verbreiteten. Die Friedhöôfe genöffen namentlih in der katholischen Kirche eine besondere Verehrung; es dürften Verbreher und Selbstmörder in geweihtem Boden nicht beerdigt werden. Man sollte fie {chüßeén und nicht, wie es die Fanatiker der Leihenverbrennung wollten, aufheben. Da die Friedhöfe als gesundheitsgefährlich nit bezeihnet werden Yönnten, sollte man den gegentheiligen Aus\treuungen der Aerzte im Interesse des christlichen Volkes energish entgegentreten.

Abg. Dr. Müller - Sagan (fr. Volksp.) warnt davor, aus den Erklärungen des Direktors des Kaiserlichen Gesundheitësamts so weit- gehende Forderungen zu ziehen, wie der Vorredner gethan habe; der Vertreter des Kaiserlichen Gesundheitsamts habe nur von ordnungs- mäßiger Bestattung gesprohen. Es seien aber Ansteckungs8gefahren nicht ganz ausgeschlossen.

Die Ausgaben für das Kaiserliche Gesundheitsamt werden genehmigt.

Es folgen die einmaligen Ausgaben des Reichs- amts des Jn nern.

Zu den Kosten der Herausgabe eines Werkes über die Sixtinische Kapelle in Rom sind 25000 f aus- geseßt, deren Bewilligung die Kommission beantragt.

Abg. Dr. Freiherr von Hertling (Zentr.) behauptet, daß bei diesem Etat seit einiger Zeit mehr und mehr Auëgaben für Kunst und Wissenschaft gefordert würden. Die Förderung von Kunst und Wissenschaft sei auch Pflicht des Reis; um seine Weltstellung zu befestigen und zu stärken, würden große Aufwendungen vom Reiche gemacht; es sei deshalb niht ausges{chlofsen, daß auch für Kunst und Wissenschaft Aufwendungen gemacht würden. Aber in erster Linie gehöre diese Aufgabe den Einzelstaaten, und wenn das Reich vorgebé, fo sollten dafür gewisse Grundsäße ausgestellt werden. Das werde \chwer sein, aber der Versuch dazu müsse gemaht werden. Aufwendungen des Reichs seien angebracht, wenn deutsche Kunst und Wissenschaft gegenüber dem Auslande vertreten werden follten, und wenn es sich um besonders wichtige Zwecke handele, deren Durch- führung über die Grenzen und Mittel des einzelnen Bundesstaats hinausg-he. Das-Reichsamt des Innern werde selbs froh sein, wenn es durch die Aufftellung folcher Grundsäße gegen unberechtigte Anforderungen ges{chüßt werde. Seine Freunde hätten in der Kom- mission zuerst gegen die Forderungen gestimmt, würden aber jeßt dafür stimmen. f / Abg. Dr. Graf zu Stolberg-Wernigerode (d. konf.) spricht seine Befriedigung über die Sinnesänderung des Vorredners aus. Es gebe keine einzelstaatlihe Kunst und keine einzelstaatlihe Wissenschaft, sondern nur eine deutsche Kunst und eine deutshe Wissenschaft. Wie die Förderung von Kunst und Wissenschaft geschehen könne, dafür müßten sich im Neich erst gewisse Grundsätze einbürgern. Dem Aus- lande gegenüber müsse das Neich auftreten; überhaupt müsse als Prüfftein stets die Allgemeinheit des Interesses gelten.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Ich bin ‘dem Herrn Vorredner dankbar dafür, daß er diese grund- sätlihe Frage heute hier angeregt hat. Es ift richtig, meine Herren, Kunst und Wissenschaft gehört nicht zu den Aufgaben, die durch die Reichsverfassung dem Reiche überwiesen find, und ih glaube, wir haben feine Veranlassung, an diesem Zustande etwas zu ändern; denn der Zustand der Wissenschaft und die Entwickelung der Kunst, deren wir uns in Deutschland rühmen, verdanken wir, glaube ih, den vielen einzelnen Brennpunkten (fehr richtig! in der Mitte), den deutschen Residenzen, in denen seit Jahrhunderten Kunst und Wissenschaft gepflegt find. (Sehr richtig!)

Wenn wir die Entwickelung von Kunst und Wissenschaft bei uns mit anderen Ländern vergleihen, können wir fagen: bei

deshalb so weit vorgeshritten, weil wir an fo vielen Stellen Deutschlands eine sachverständige Pflege von Kunst und Wifssen- schaft gehabt Haben. Aber andererseits kann ich mich mit dem Herrn Vorredner vollständig darin einverstanden erklären, daß unter gewissen Vorausseßungen das Dêèutshe Reich solche Aufgaben von Kunst und Wissenschaft wird Üübernehmeg müssen. Das Deutsche Neih wird meines Erachtens da einzutreten haben, wo es sfi entweder um die Frage der internationalen Repräsentation von Kunst und Wissenschaft handelt, oder wo die Vorausseßungen für das Unternehmen in allen deutschen Staaten vorhanden sind, und wo der Zweck, der zu erfüllen ift, allen deutschen Staaten eventuell zu gute kommt. Nähet wird man eine Grenz- linie nicht ziehen können, fondern wird \sich von Fall zu Fall {lüffig mahen müssen. Aber gegen eines möchte ih mich allerdings wehren, daß derartige Unternehmungen in Privatkreisen begonnen werden mit einem großen Aufwand von Begeisterung, und daß man dann, wenn man sieht, daß die privaten Kräfte nicht ausreihen, an das Reich herantritt, und uns in eine Art Zwangsélage verseßt; man macht dann leicht demjenigen, der nit sofort auf solche Offerten eiùgeht, den indirekten Vorwurf, daß er ein Thebaner sei (sehr richtig! Heiterkeit), kein Verständniß für solhe Aufgaten besitze, sodaß \chließlih der Schwerpunkt nicht mebr bei der NReichéregierung und dem Reichstage liegt, sondern in Privatkreisen, die uns vor ein fait accompli gestellt haben. (Bravo !)

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Die deutshe Kunst und Wissenschaft verdankt ihre Höhe der Förderung durch den Partikularismus, speziell durh das wetteifernde Streben der verschiedenen Fürstenhäuser.

Während der Zeit der Zersplitterung haben Kunst und Wissenschaft fast allein den deutshen Gedanken gepflegt.

Die Ausgabe wird genchmigt. Bei den Ausgaben zur Ausschmückung des Neichsta gsgebäudes führt

Abg. Graf von Kanitz (d. kons.) aus, daß bereits 900 000 bis auf einen fleinen Rest von 12000 # ausgegeben seien. Seien die 300900 , die zur Ausmalung der Decke im Fete Aa bestimmt wären, s{chcn ausgegeben? Für die onftige Ausschmücktung des Reichstagsgebäudes seien noch 600 000 allein für Deckengemälde bestimmt. Der Architekt sollte bis zum 1. April 1899 ein jährliches Honorar von 10 0009 4 beziehen; im übrigen solle es aber bei den alten Bedingungen bleiben. Seien noch Zahlungen über den 1. April 1899 hinaus zu leisten? Die jeßt geforderten 100 000 A wolle er (Redner) nicht beanstanden, aber er wolle sie auch niht als Abschlagszablung auf die für die nächsten

auch ‘in Indien direkte Versuche zwar nicht haben angestellt werden können, weil die religiösen Bedenken, namentlich bei der muhameda-

10 Jahre in Aussicht genommene 1 Million Mark betrachtet wissen.

uns is das Kulturleben auf diesem ästhetishen Gebiete nur _

Abg, Dr. Lieber: So, wie es bisher mit der Auss{müdckun

des Reichstag8gebäudes gegangen ist, kann es niht weiter aa Ueber die neueste, nur probéweise erfolzte Anbringung einer Malerei kann man nicht hart genug urtheilen. Malerei verdient dieschs Bildwerk kaum genannt zu werden; ein Kunstwerk is es nur, wenn jede Schmiererei ein solches sein sollte. Es ist das s{chlecht:ste Werk des vielgenannten Künstlers. Auf die Umgebung wirkt dieses Bildwerk wie ein Tintenklex, wie ein Hohn auf jeden geläuterten Geshmack. Wenn

statt solche „Spottgeburt von Dreck und Feuer“ als dekorative Malerei zu verwenden. Mir thun die Besuchzr des Neichstagsgebäudes leid, die, bis die Kommission ihr Vernichtungsurtheil gefällt haben wird, si an dieser Kunft, an diefer Ausschmückung des Reichtagsgebäudes erfreuen follen. Lieber weißgetünchte Flächen lassen, als in dieser Weise das Reichstags- gebäude verunzieren. Es giebt genug erhebende Momente aus der deut- schen Geschichte, deren Darstellung gottbegnadeten, niht von der modernen Richtung angekränkelten Malern gelingen wird; dafür können wir au 600 009 „6 und vielleiht nochþ mehr autgeben. An kunstgewerblihen Gegenständen ist auch die Beschaffung von zwei Urnen in Ausficht genommen. Dieselben haben die Gestalt eines Eies an das drei nackte Männer angeklebt sind. Diese drei Männer sind auf einen Würfel gestellt, der an Zierlihkeit dem Würfel gleicht, der als Schlußstein -des Neichstagsgebäudes figuriert. Gegenüber folhen Erscheinungen fragt man sih : Ist ed ein Grundfehler vor- handen in der Organisation, die für die Ausshmückung des Reichstags- gebäudes zu sorgen hat? Ich glaube, wir müssen einen hier am Ort anwesenden Künstler als Leiter annehmen und müssen mit der Uebung brechen, den Baumeister des Gebäudes auch als Leiter dieser Aus- s{müdckung mit einem jährlichen Gehalt von 10 000 4 beizubehalten.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Was zunächst das berühmte Deckengemälde be- trifft, io muß ih allerdings zugestehen, daß ih nicht babe ganz ent- decken können, wie die Symbolik dieses Gemäldes im Zusammen- hange mit der Thätigkeit einer geseßzgeberishen Versammlung steht. (Große Heiterkeit.) Aber, meine Herren, ih glaube, es liegt hier ein formaler Fehler zu Grunde. Wenn ih in der Lage wäre, Kunstwerke für Aus\{hmückung des Reichstages zu bestellen, fo würde ih wahrscheinlich verlangen und vertragsmäßig festseßen, daß mir vorher die Skizzen vorgelegt werden. (Sehr richtig! rechts.) Unzweifelhaft hat aber der leitende Architekt, wenn er dieses Kunstwerk bestellt und endgültig hat anfertigen lassen, innerhalb seiner ihm bisher gelassenen Kompetenz gehandelt. Nur insoweit liegt ein Irrthum vor, als im Foyer des Reiches niht Landeswappen, sondern Städtewappen angebracht werden sollten, während jenes Deckengemälde Landeswappen darstellt. Ich glaube, an der künstlerishen Bedeutung der Sache wird das nihts Wesentlihes ändern. (Sehr richtig !) Ih weiß nicht, ob der Bundesrath geneigt wäre, diese Dekoration bei sich aufzunehmen. (Große Heiterkeit! Hört, hört!) Ich habe darüber den Beschluß des Bundesraths noch nicht eingeholt. Wenn man aus dem Schagzamt hervorgegangen ift und eine Arbeit 30000 6 kostet, so werden

Sie bei mir vielleiht das kleinlihe Gefühl verstehen, daß ih doch den

weg, wenn wir die Titelbilder der ind feuer samineln und ankleben,

- Wuns hatte, diese Deckendekoration irgendwie zu verwenden. Wie

ih sie zum ersten Mal sah, das kann ih nicht*leugnen, war ih einigermaßen betreten. (Heiterkeit.) Ih wandte mih aber an ganz unparteiishe kunstverständige Personen und suchte sie in wohlwollender Weise auf den Eindruck dieser Gemälde vorzubereiten (große Heiter- keit), in der Hoffnung, daß ich damit eine Stärkung meines Wunsches erreihen würde, daß die Dekoration doch noch angenommen würde und die so erheblihe Summe hierfür niht ganz verloren wäre. Ih muß aber sagen, ih habe bei meinen Bemühungen wenig Gegenliebe ge- funden (Heiterkeit), sondern mir haben auch die Personen, die ih fragte, erklärt, die Malerei eigne sich allerdings niht dazu, im Reichs- tage dauernd zu bleiben. ;

Was nun die Ausschmückung des Reichstages überhaupt betrifft, meine Herren, fo denke ich mir die Frage allerdings anders. Ich meine, man follte an der Ausshmückung eines so wichtigen nationalen Gebäudes, wie der Reichstag des deutschen Bolkes ist, eine ganze Kunstschule allmählich heranbilden. (Sehr rihtig !) Man sollte nicht von der Ansiht ausgehen, daß in kurzer Zeit ich möchte sagen, fast fabrikmäßig Kunstwerke hergestellt werden, nur um den Fonds auszugeben (sehr gut!), die Postamente zu beseßen, die Flähen auszumalen, fondern man

die geeignet sind, einzeln diese Aufgaben zu lösen (sehr wahr!), und ihnen follte man dann auch mit freigebiger Hand solche Aufgaben übertragen, damit \ich ihr Genie an diesem großen nationalen Bau- werk bethätigen fann. (Lebhafte Zustimmung.)

Ih möchte weiter auf die Frage der Urnen übergehen. Meine Herren, bekanntlich find die Urnen und noch einige andere Sachen bestimmt, auf der Pariser Ausstellung das deutsche Kunstgewerbe in hervorragender Weise zu vertrete (Heiter- keit.) Sie sollen hergestelt werden aus einer Ersparniß am Baufonds des Reichstages. Wir haben im vorigen Jahre in der Budgetkommission darüber eingehende Verhandlungen gehabt. Fh habè damals auf Grund dieser Verhandlungen die Ausführung der bereits in Bestellung gegebenen Sachen fofort suspendiert, bis die neue Kommission gebildet war; die neue Kommission hat indeß jenen Austrag von neuem genehmigt. Aber, meine Herren, diesmal ist so verfahren worden, daß in dem Vertrag ausdrücklih steht: zunächst sind die Zeichnungen und Modelle vorzulegen, und wenn die Zeich- nungen und Modelle die Billigung der Kommission nicht finden, wird die Bestellung einfach widerrufen. Hier ift also noch vollkommen res integra. :

Fch würde mich an und für sich an dem Preis nicht stoßen ; denn wenn man hervorragende Bronzen haben will und die hervor- ragendsten Bronzen werden doch noch immer an der alten historischen Stelle der Bronzegießerei, in Paris, geschaffen —, so ifl der Preis an und für ih kein bedeutender; aber ih meine, für die Summe muß auch wirklich ein Kunstwerk geschaffen werden. Ob diese Aufgabe hier gelöft ift, das zu entscheiden, wird Sache der Kommisfion sein.

Was ferner die Stellung des Herrn Geheimen Bauraths Wallot betrifft, so bemerke ich rein formal, daß er stets von Jahr zu Jahr von neuem angenommen ist, und daß seine leßte Annahmefrist am 31. März d. J. abläuft. Für die Remunerationen, die Herr Wallot erhält, hat er die Verpflihtung, die Bauten des Reichstages, soweit folhe noch vorkommen, zu leiten, und außerdem die künstlerishe Aus- \{chmüdckung zu überwachen. .

Bezüglich der Frage des Herrn Abg. Grafen Kanihz kann ich ex- widern, daß über den Fonds, von dein er spra, vollkommen verfügt ist, aber noch nicht alle Zahlungen darauf geleistet sind.

Ich hoffe dringend, daß es der jeßigen Kommission mögli sein

werde, die wichtige Frage der allmählihen Auss{chmückung des Reichs-

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wir so unser Gebäude aus\{müdcken wollen, dann kommen wir besser -

follte mit aller Ruhe warten, bis \sih hervorragende Künstler zeigen,

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tages in einer Weise zu lösen, die der Würde des Gebäubes entspricht

und der deutshen Kunst zu gute kommt. (Bravo!)

; Abg. Broemel (fr. Vgg.): Die betreffende Malerei hat au mir widerftrebt, aber manhe Worte des Herrn Lieber thun doch denjenigen wehe, die den Bestrebungen des Künstlers mehr Anerkennung zollen als wir Wappen und Wavpenthiere haben allerdings zur Ausshmückung des- Hauses bis zum Ueberdruß Verwendung gefunden. Aber man muß nit bloß an das denken, was angebracht ist, sondern auch an das, was unterblieben ist Das Werk des Ministeriums der öôffertlihen Arbeiten hat deutli darauf hingewiesen, daß ein Parlament mit seinen wechselnden Mehrheiten keinen Gegen- stand für künstlerishe Aufgaben darstellt. Im englischen Parlamente find die Statuen der berühmten Parlamentsredner. Selbst im preußischen Abgeordnetenhause hat die Figur der Beredsamkeit eine Stelle gefunden. Im Reichstagsfaale finden Sie nur die Frauengestalt der Geretigfeit an dem Stuhle des Präsidenten und die springenden Bes an den Thüren. Das ‘ist Absicht gewesen. Was die deutsche Volksvertretung fordern kann, ist, daß zum Ausdruck kommt, daß dieses Haus das Haus des Reichstages ist.

Die Ausgabe wird bewilligt.

Jur Errichtung eines Präsidialgebäudes für den Reichstag wird eine dritte Nate von 250 000 4 ver- langt und zur ette einer eigenen Anlage zur Er- zeugung des elektrishen Stromes für das Neichs- tagsgebäude und das Neichstags-Präsidialgebäude eine erste Rate: von 137 700 #; was für die leßtere Anlage Über den genannten Betrag hinaus mehr erforderli ist, soll durch einen Nachtrags-Etat gefordert werden.

_ Abg. Graf von Kaniß: Es foll si bei diesem Bau um eine Summe von 35 Millionen Mark handeln; das würde eine Miethe für den Reichstags-Präsidenten von 150 000 bis 200 000 (A bedeuten. Wer foll ein folches Quartier bewohnen können? Wir könnten \{ließlich nur mehrfahe Millionäre zu Präsidenten wählen. Es ist davon gesprochen worden, daß man dem Präsidenten Repräsentations- kosten gewähren müsse. Ih will mich dagegen autsprehen, sonst würde vielleiht bei den einzelnen Mitgliedern das Bestreben eintreten, diese Repräsentationskosten zu genießen. Wir als die Vertretung des Deottes gollten in Bezug auf Sparsamkeit mit einem guten Beispiel rangehen.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Ich muß fagen: dem hohen Hause sind diese Zahlen nichts Neues, sondern tem größten Theil bekannt. Der Grunderwerb hat 2100000 A Aufwand erfordert. (Hört! hört!) Wie Sie aus den Erläuterungen zu diesem Etat sehen, soll das Präsidialhaus 750 000 4 kosten und die Nebenanlagen, Garten u. \. w. 125 000 A, indeß nur nah den Uebershlägen. Nun wurde in der Budgetkommission der Wunsch geäußert, den häßlich ragenden Giebel des Nebenhauses zu verkleiden und zu diesem Zweck ein Treppenhaus und eine Halle an- zulegen; eins{hließlich des Stallgebäudes würde dieser Anbau, d. h. die Verkleidung des Giebels des Nebenhauses, überschläglich 200 000 erfordern. Es bleibt noch übrig die innere Einrichtung des Gektäudes. Ich habe selbstverständlih zur Zeit noch kein Bild davon, wie viel die innere Einrichtung dieses großen, do palaisartizen Ge- bäudes erfordern kann. Jh meine aber, wenn man fie bis zu cinem gewissen Grade künstlerisch ausgestalten will, wenn man wirklich mustergültige Möbel hinstellen will, so würden 100 000 (4 dafür mit allem, was dazu gehört, Silber-Service u. \. w. nicht zu viel fein. (Bewegung.) Aus Ihren Aeußerungen ersehe ih, daß Sie die Summe für zu niedrig halten. Wollen wir aber vorläufig daran festhalten, dann würde die Herstellung des ganzen Präsidialgebäudes einshließlih Grunderwerb, soweit sich bis jeßt übersehen läßt, 3 275 000 erfordern. (Hört, hört !)

Abg. Dr. Deinhard (nl.) giebt anheim, in dem neuen Präsidial- gebäude einige Arbeitsräume für die Neichstags- Abgeordneten einzu- rihten, wie sie im bayerischen Abgeordnetenhause vorhanden seien.

Abg. Singer (Soz.) behauptet, die Sparsamkeit der Herren von der Rechten richte \sich immer auf Dinge, die mit dem Reichstag und dem Reichstagtgebäude zusammenhingen. Die Kosten für den Bauplaßz in Höhe von 2 Millionen Mark seien aber wit Zustimmung der Konservativen bewilligt worden. Das Haus selb werde etwa 1 Million kosten. Für das Reichstags- räsidium müsse do ebenso Sorge getragen werden wie für das Präsidium des preußischen Abgeordnetenhauses und des preußischen Herrenhauses, deren jedes einschließlich der Kosten des Platzes 37 Millionen Mark erfordern werde. Das Palais des Reichskanzlers habe 6 Milltonen ges kostet, der Ausbau eine weitere Million. Wenn die Wohnung des Bureau-Direktors in das Präsidialgebäude verlegt würde, dann würden die von ihm bewohnten Räume zu Arbeitszimmern für die Ab- Ie Grei:

g. Graf von Kani: Es bleiben immer noch 14 Millionen

Mark Baukosten für das Präsidialgebäude. Böse Veispiele verderben gute Sitten; Preußen wollte niht zurückbleiben mit seinem Präsidial- gebäude. Der Hinweis auf das Reichskanzlerpalais ist unzutreffend. Was thut ein unvermögender Reichstags- Präsident mit einem so ktost- Pr Es Gui

i g. Singer: Gewiß sind wir für Repräsentatio wir für Diäten für die Abgeordneten sind. Stdaiinratialailame A ba

Die Ausgaben werden entsprehend dem Antrage der Kommission bewilligt. :

Bei den Kosten der Betheiligung des Reichs an der Weltausstellung zu Paris erklärt

Geheimer Obet-Regierungs-Rath Dr. Richter : Die Ausftellungs- gebäude, soweit sie die Ausftellung überdauern sollen, sind fertig- gestellt. Auch die übrigen Gebäude sind so weit gefördert, daß ihre Fertigstellung zur reten Zeit sicher ist. Die Verhandlungen mit den französishen Ausstellungsbehörden haben sich stets in den Tonziltantesten Formen bewegt. Die Vertreter der fremden Staaten haben sich zu einer Vereinigung zusammengeschlossen, und es sind dadurch nähere Beziehungen unter ihnen entstanden. Was die Kosten der Ausstellung betrifft, so bringt es die geographische Lage mit fich, daß die Transporte der Waaren nah Paris leit sind, und auch die Aussteller selbs sich mit den französishen Behörden direkt in Ver- bindung setzen kônnen. Dadurch sind sie besser gestellt als z. B. die Vertreter der Vereinigten Staaten von Amerika. Deutschland wird an 26 verschiedenen Stellen der Auéstellung placiert sein. Die Wissenschaft soll der Industrie nur sehr wenig Naum wegnehmen ; B handelt sih dabei hauptsählich um die Ausstellung des Reichs- : erf erung8amis und des Kaiserlichen Gesundheitsamts, um die Für- orge, ür die Arbeiter und um die Hygiene. Aufgabe der deutshen In- ur rie wird es sein, rehtzeitig vor dem Eröffnungstag ihre Aus- E e gegegenstände fertigzustellen. Redner spriht allen denen seinen

anf aus, die ihre Erfahrung uxd Sachkunde und ihre Arbeitskraft in den Dienst der Sache gestellt haben.

E ur Ausrüstung ciner _Tiefsee-Expedition sind 100 Á gefordert worden. Die Kommission beantragt außerdem, Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, bald- thunlichst eine Summe für die geplante deutshe Süd- polar-Expedition deen zu wollen.

Abg. Gröber (Zentr.) weist auf die wichtigen Ergebnisse hin, die man von der Erforschung des Südpols erwarte; sein Frafktions- genone Prinz Arenberg habe in der Kommission die Annahme der

tesolution durchgeseßzt. Die Eisverbältnisse seien augenblicklich so günstig; außerdem folle cine englishe Erpedition demnächst ausgesendet werden, und es sei daher etne Ehrenpfliht des deutschen Volkes, auch

wenig über 1 Million Mark. Die Kompetenz des Reiches sei ¿weifellos. -

Abg. Dr. Haffe (nl.) empfiehlt die mögli{st einstimmige An- nahme des Kommissionsantraaes. Der Antrag wird einstimmig angenommen. ,_ Weiter werden bewilligt 50 000 als erste Nate zur Er- na eines Standbildes für Kaiser Friedrich in erlin. Darauf wird um 53, Uhr die weitere Berathung bis Donnerstag 1 Uhr vertagt. hung

Preußischer Landrag. Haus der Abgeordneten. 32. Sißung vom 1. März 1899.

Das Haus seßt die zweite Berathung des Staatshaus- halts-Etats- für 1899 bei dem Etat der E aR verwaltung in Verbindung mit der Berathung der Berichte über die Verhandlungen des Landes-Eisenbahnraths im Jahre 1898, über die Ergebnisse des Betriebes der vereinigten preußischen und hessischen taats: Eisenbahnen im Rechnungs- jahre 1. April 1897/98 und über die Bauausführungen und Beschaffungen der Eisenbahnverwaltung während des Zeit- raumes vom 1. Oktober 1897 bis dahin 1898 fort. s

Bei dem Titel „Einnahmen aus dem Personen- und Gepäckverkehr“ (345310 000 f, d. h. 24522000 L mehr als im Vorjahre) findet eine Generaldebatte über den ganzen Etat der Eisenbahnverwaltung statt unter Aus\{luß Ne der ter, E Beschwerden über einzelne

enbahnen und der speziellen Wünsche bezügli i O A Danyose, y id A Ene

: g. Möller (nl.) beri@tet über die V dl ) - mission. Der Minister erwarte noch eine La Sailer Les Q nahmen, und es sei ihm -ans Herz gelegt worden, sih in seiner Ver- waltung nit zu sehr vom fisfalishen, sondern vom allgemeinen Ver- kehrsinterefse leiten zu [afsen. Es fei eine Verbesserung und Vermeh- rung des rollenden Materials. empfohlen worden, um dem zunehmenden ga R M A O dem wirthschaftlihen Auf-

n Handel und Industrie fei eine Fortentwickel d - bahnnetzes dur die Provinzen und Sine ntl p andes

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Wenn ih auch bereits bci der ersten Lesung des Staatshaushalts die allgemeine Lage der Eisenbahnverwaltung dar- gelegt habe, so möchte ih do die Bitte aussprechen, der alten Ge- pflogenheit auh in diesem Jahre folgen und den einleitenden Be- merkungen des Herrn Referenten einige Zusäße meinerseits folgen lafsen zu dürfen. Jch kann mich ja kurz fassen, da der Herr Referent alle einzelnen Gebiete der Staatseisenbahn-Verwaltung ausführlich beleuhtet hat. Zunächst möchte ich mir gestatten, dem Hercn Referenten meinen Dank für die freundliche Beurtheilung der Eisen- bahnverwaltung auszusprechen.

Meine Herren, unsere Verwaltung f\teht unter dem Einfluß des gewaltigen Verkehrsaufs{chwungs, der sich seit einigen Jahren in unferem Vaterlande vollzieht, einem Einflusse, der \ich in allen Verhältnissen der Verwaltung geltend gemacht, der die Einnahmen, aber auch die Ausgaben erhöht hat, der die Anforderungen, welche an die sämmt- lihen Beamten der Verwaltung, vom niedrigsten bis zum höchsten, haben gestellt werden müssen, in ganz außerordentlicher Weise an- gespannt hat. Es ist nit vorauszusetzen,“ daß in demselben Maße das noch in infinitum fortgehen werde, aber auf der andern Seite fehlen doch bis jeßt alle Momente, aus denen man {ließen könnte, daß für die Verkehrsfluth der Moment des Tidewecsels ein- trete und ftatt der Fluth sih die Ebbe bemerkbar machen sollte; im Gegentheil, es ist anzunehmen, daß wenigstens für die nächste Zukunft der Verkehrszuwahs wahrscheinlich noch stärker sein wird als in der Vergangenheit ; der Herr Referent bat die Gründe dafür bereits aus- führlih dargelegt.

Ich möchte nur einen kleinen Faktor hier erwähnen, der nah meiner Beobachtung niht ganz ohne Einfluß auf diese Erscheinung ist. Man mag über die Syndikate in den großen Industriezweigen denken, wie man will, die Bemerkung aber kann man, wenn man die Verhältnisse des Verkehrs, die Verhältnisse unserer Volkswirthschaft verfolgt, doch nicht unterdrücken, daß der regulierende Ein- fluß dex Syndikate, namentli in der großen Kohlen- und Eisenindustrie, niht unwesentlich dazu beigetragen hat, die Ent- wickelung unserer wirthschaftlihen Verhältnisse, die Entwicke lung unseres Verkehrs zu einer stetigen machen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) D

Meine Herren, mit ganz besonderem Dank hat die Eisenbahn- Verwaltung es anerkannt, daß der Landtag der Monarchie ihr außer- ordentlihe Mittel in die Hand gegeben hat, um außerordentlihe Mafß- regeln zur Bewältigung. des Verkehrs in der Gegenwart und auch in dex nächsten Zukunft ausführen zu können. Meine Herren, wir haben die feste Zuversicht, daß wir dieser Erwartung, die der Landtag an die Bewilligung der Mittel geknüpft hat, au entsprehen werden. Wir werden ihr entsprehen, wenn die sämmtlichen Organe der Verwaltung, die Arbeiter und die Beamten, wie bisher, treu ihre Pflicht erfüllen, wenn es uns gelingt, die unheilvollen Einflüsse, die von außen si geltend machen, um diese Pflichttreue abzushwächen und die Beamten und Arbeiter aufzuheßen gegen ihre Vorgeseßten wenn wir deren, wie bisher, Herr werden. (Bravo! rets.) Und dazu werde ih meinerseits thun, was in meinen Kräften steht. (Bravo! rets.) Meine Herren, ih kann auch hinzufügen, daß die Erfahrung gerade in den leßten Jahren uns in der Ueberzeugung. gestärkt hat, daß wir im allgemeinen einen treuen, zuverlässigen und pflihteifrigen Beamten- und Arbeiterstand haben, daß wir uns in der Beziehung glücklich s{hägen können, ich möhte sagen: vor jeder anderen Betriebs- unternehmung.

Meine Herren, ehe ich nun auf die Einzelheiten des Jhnen vor- gelegten Etatsentwurfs für 1899 übergehe, möchte ih in derselben Weise wie in den vorigen Jahren kurz noh die Verhältnisse der beiden

* vorhergehenden Jahre Ihnen vorführen.

Bor uns liegt das abgeschlossene Jahr 1897/98; es war in feinen Einnahmen ein Betrag von 1110 Millionen veranstlagt, in Wirklichkeit hat es gebraht 1188 Millionen; es is mithin ein Plus eingetreten vou 78 Millionen. Davon entfallen auf den Perfonenverkehr 20 Millionen, auf den Güterverkehr 50 Millionen und 8 Millionen auf die sonstigen Einnahmen. Demgegenüber steht in der Ausgabe ein Plus gegen den Etat von 34 Millionen. Diese 34 Millionen seßten \sich zusammen allein an Plus für Löhne an Arbeiter und Gehilfen mit 14 Millionen, an Mehrbedarf beim Kohlentitel mit 10 Millionen und an Mehrabgaben für die Kom-

seinerseits eine Expedition auszurüsten. Die Kosten betrügen nur

f

Der Betriebskoeffizient, von dem in jedem Jahre ja au hier geredet worden ift, erfreut sich nicht mehr einer so günstigen Ziffer, wie das im vorigen Jahr der Fall gewesen ist. Jch werde mir ge- statten, nahher auf die Gründe hierfür noch näher einzugehen; ih will hier nur die Zahlen angeben. Für 1895/96 betrug der Betriebs- koeffizient, d. h. das Verhältniß der Ausgaben zu den Einnahmen, 94,77 9/0; das Verhältniß wurde noch günstiger 1896/97, der Betriebs- koffizient ging herunter auf 54,17 0/4. Damit ist der tiefe Stand voraus\ihtlich für eine absehbare Zukunft erreiht. Das Jahr 1897/98 hat bereits wieder einen Betriebskoeffizienten von DAC,

Meine Herren, wir stehen nit einzeln und allein da mit dieser Erscheinung; bei den übrigen deutshen Staatsbahnen und au bei den Privatbahnen zeigt sich das Nämlige. Ich erlaube mir, auch hierfür noch einige Zahlen anzuführen. Die bayerishen Staatébahnen hatten 1896 60,04, 1897 60,43, die württembergishen 61,23, 1897 62,22, die sächsischen 63,23, 1897/98 66,28, die Ostpreußische Südbahn 93,94 gegen 60,02, Lübeck-Büchen 59,67 gegen 62,60.

Man könnte zu der Auffassung kommen, daß das Plus an Verkehrseinnahmen mit verhältnißmäßig geringeren Ausgaben bätte erzielt werden können, als die ursprünglihen Einnahmen. Das würde nur dann richtig fein, wenn dieses Plus der Einnahme mit demselben Apparat und unter denselben Begingungen erzielt würde. Das ist aber durhaus nicht der Fall gewesen. Erstens ist der Apparat ein sehr viel größerer geworden, zweitens haben die Beamtengehälter, die Arbeiterlöshne und die Materialienpreise erheb- lih erhöht werden müssen, drittens {find auf der anderen Seite die Tarife wesentli ermäßigt worden, und viertens ift in den großen Topf viel Wasser hineingeshüttet worden. Die Nebenbahnen, die jeßt mit ziemlich erbheblihen Summen jedes Jahr in den großen Topf hineinfallen, bringen zunächst natürliherweise eine Verwäfserung der Suppe hervor: fetter wird sie dadurch nicht. Alle diese Umstände wirken natürlich mit, daß das Plus mit verhältnißmäßig höheren Kosten erzielt wird, als die vorhergehenden Einnahmen.

Auch das Extraordinarium ist in den leßten Jaht§ ganz außer- ordentli hoh beziffert worden. In den drei Jahren 1897 bis zum gegenwärtig vorliegenden Etat sind niht weniger als 207 Millionen in das Extraordinarium eingestellt worden gemäß einem richtigen und durchaus berechtigten Grundsaß, daß der Betrieb des Unter- nehmers auch dasjenige tragen muß, was zur Aufrecht- erbaltung dieses Betriebes nothwendig ist. (Sehr rihtig!) Wer anders handelt, i unsolide. Es können wohl Zeiten der Noth kommen, wo ein privater odex staatliher Unternehmer aus zwingenden Verbältnissen zu einer Anleihe greift, selbst für solche Ausgaben, die er eigentlich aus dem Betrieb zu erstatten hätte; aber fo lange es möglich ist, kann ein solider Unternehmer derartige Aus- gaben nur aus dem Betrieb entnehmen. Das haben wir au in den leßten ih möchte sagen ungefähr 10 Jahren mit Gewissen- haftigkeit ausgeführt, und der Herr Finanz-Minister hat darüber gewacht, daß nit in die Anleihe irgend etwas aufgenommen worden ift, was nit dahin gehört.

Meine Herren, ich gehe jegt auf das laufende Jahr 1898/99 über. Es zeigt dieselbe Ersheinung, vielleiht noch etwas schärfer: erheblihe Erhöhung der Einnahnze, verhältnißmäßig noch größere Vermehrung der Ausgaben. Die Einnahmen werden nah dem jeßt vorliegenden, definitiv abgerehneten Verkehr und nah den Schäßungen, die wir mit voller Berechtigung anstellen zu können glauben, ungefähr ein-Plus von 62 Millionen gegen den Etat, von 77 Millionen gegen die Wirklichkeit von 1897/98 bringen. Die Ausgaben werden dagegen voraussihtlich 51 Millionen mehr betragen, als im Etat vorgesehen worden ist. Darunter sind an Löhnen für Arbeiter und Gehilfen des Dienstes im Beamtenverhältniß 18 Millionen und beim Koblentitel 13 Millionen; auch bei der Unterhaltung der bau- lihen Anlagen und der Betriebsmittel sind erhebliche Mehrausgaben eingetreten. Der BetriebsübersGuß wird indessen doch noch höher sein als in irgend cinem der vorhergehenden Jahre; wir s{äßzen ihn auf, nah Abzug des hessishen Antheils, 528 Millionen, d. h. gegen den Etat mehr 11 Millionen, gegen die Wirklichkeit von 1897/98 mehr 6 Millionen.

Meine Herren, ih habe hon erwähnt, daß die Grundlagen für diese Ziffern zum theil Schäßungen sind; aber daß wir namentlich bei den Einnahmen nicht zu hoch gegriffen haben, beweist uns, ih mödhte sagen, die Ziffer eines jeden Tages. Während wir in den Kohlenrevieren im Monat Februar des vorigen Jahres zum theil ein Minus hatten gegen das Vorjahr, haben wir jegt ein sehr erheblihes Plus. Wir

haben in den leßten Tagen im Kohlenreviec der Ruhr und in dem rheinisch-westfälishen Kohlenrevier über 15 000 Wagen jeden Tag ver- laden; wir können alfo mit ziemliher Bestimmtheit \chon jeßt voraus- sagen, daß der Februar, wenn nit alle Stränge reißen, ein verhältnifß- mäßig günstiges Bild zeigen wird.

Meine Herren, ich komme zum vorliegenden Etat für 1899, der zum ersten Mal nur eine Ziffer trägt. Glüdcklicherweise; es wird uns damit viel Schreiberei erspart. Denn wir {reiben und drudcken

die Ziffern des Etats im Jahr, weiß Gott, wie viel Millionen Mal.

Ich werde Zahlen nur soweit bringen, als sie zur Herstellung des An-

{lufses an die Vorjahre und zur Klarstellung der Sathlage unbedingt

nothwendig find.

Ich möchte diese Zahlenangaben damit beginnen, daß ih mit-

theile: das Jahr 1899 wird dem Netze 830 km neue Bahnlinien zu-

fügen. Wir werden damit über die Ziffer von 30000 km an

Betriebslänge hinüberkommen. Diese Zahl von 830 km neu eröfneter

Streck@en ist die größte, die jemals, so lange die Preußishe Staats-

bahn-Verwaltung besteht, in einem Jahre dem Netze hinzugefügt

worden sind. (Bravo!) Sie sehen daraus, daß die Bauthätigkeit in

jeder Richtung eine sehr angestrengte gewesen if und wir nach

Möglichkeit dafür gesorgt haben, die Reste, die wir noch in den

Krediten haben, aufzunehmen.

Die Einnahmen um diese Ziffern ganz kurz im Anschlusse

zu erwähnen sind veranschlagt auf 1280 Millionen, gegen

den Etat des Vorjahres 77 Millionen mehr, gegen die Wirklihkeit - des Jahres 1897/98 mebr 92 Millionen.

Hier möchte ih gleih bemerken als Beweis dafür, daß wir uns

bezüglich der Veranschlagung der Einnahmen keinen utopistishen Auf-

faffungen hinzugeben haben, daß die für 1899 veranschlagten Ein-

nabmen mit 1280 Millionen nur 15 Millionen gegen die Ziffer zurüdck-

bleiben, die ih Jhuen als die wahrs&einlihe Jsteinnahme des Jahres

1898 bezeihnet habe. Man kann alfo gewiß nîiht behaupten, daß wir

die Einnahmen übershägt hätten.

munen von 2,3 Millionen.

Die Ausgaben find verans(@lagt auf 737 Millionen; das sind