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Deutscher Reichstag. 48. Sigung vom 3. März 1899, 1 Uhr.
Die zweite Berathung des Reihshaushalts-Etats
ür 1899 wird bei dem Etat für die Pa ns des
eihsheeres, und zwar bei dem Titel „Gehalt dés Kriegs-Ministers“, fortgeseßt. .
Abg. Dr. Paasche (nl): Die preußishen Ober-Realschulen,
- welche die neueren Sprachen, die Mathematik und Naturwissenschaften
besonders berüdcksihtigen, geben die Berehtigung zum Studium der Mathematik und Naturwissenschaften, des Ingenieurwesens 2c, aber nit zur Offizierscarrière im Heere und in der Marine. Nach dieser
“ Richtung hin sollte die Berehtigung ausgedehnt werden. Redner wendet
dann gegen den Abg. Bebel, der die Ursache der Verrohung in
n wirth/chaftlichen Verhältnifsen, namentlich in der Fabrikarbeit der verheiratheten Frauen erblicke, und fährt dann fort: Daran liegt aber die Zunahme der Vorbestrafungen der Rekruten nicht ; denn in dieser Weise haben sich seit 1882 die Verhältnisse in Bezug auf Frauen- arbeit 2c. nit verschlechtert; auch die Schulen leisten mehr als früher, der Fortbildngsunterricht ist ausgedehnter geworden. Es ist die wachsende Jrreligiosität, die huld ist. (Vize-Präsident Shmid t: Ich kann den usammenhang zwischen der Irreligiosität und dem Gehalt des Kriegs- Ministers nicht entdecken.) Das bedauere ih. Herr Bebel hat behauptet, daß die Irreligiosität nit daran {huld sei. Ich will das Gegentheil beweisen, und Herr Lingens hat das bereits auch gethan. Die jungen Leute wagen nicht mehr, einen Glauben zu bekennen. Ih habe als Student die s{händlichen Lieder gehört, die gegen den Glauben ge- sungen wurden. Die Leute, die diese Lieder damals Ges haben, iden heute ihre Kinder in die Armee. Glauben Sie, daß diese inder noch Religion besißen? Sie (zu den Sozialdemokraten) wissen garniht, was Sie dem Volke rauben, wenn Sie ibm den Glauben rauben. (Zuruf: Das sagen Sie, ein Nationalliberaler?) Ja, das fage ih, der nátionalliberale Abg. Dr. Paashe. Mißhandlungen der Soldaten wurden diesmal nit vorgebraht, es wurde über Klassenjustiz Klage geführt. Das paßt besser zum Löbtauer Fall. Die Anklagen des Herrn Bebel p in den fozialdemokratishen Zeitungen, aber die Erklärungen des Kriegs-Ministers werden todtgeshwiegen. Es heißt da, keine der wuhtigen Thatsachen hätte der Kriegs-Minister entkräften können. Der Fall des Rittmeisters Grafen Stolberg hat sich aber ganz anders berausgestellt, als Herr Bebel ihn vorgetragen. Daß der Vorgeseßte manchmal bis aufs Blut gereizt wird, dafür haben Sie (die Sozialdemokraten) keine Empfindung. Wenn aber einmal ein junger Mensh von_ den älteren Soldaten ein paar übergezogen bekommt, dann erheben Sie ein großes Geschrei. Bezüglich des Hazardspiels sollten die Kommandobehörden ihre Pflicht gegenüber ihren jüngeren Untergebenen thun und fie vor Versuchung bewahren. Der Kriegs-Minister spra von der Strafbarkeit der Bethätigung der \fozialistishen Gesinnung Da wurde von den Sozialdemokraten zwi|hen- gerufen: Verleitung zum Meineid. Der Reserve-Unteroffizier wurde nit unter seinem Eide gefragt, ob er Sezialdemoïrat set; das war eine private Frage. Wir wollen jeder sozialistischen Agitation, jedem \ozialistishen Einfluß in der Armee entgegentreten. Wir find der festen Ueberzeugung, daß die Armee in wahsendem Maße eine Schule der Zucht und Ordnung sein wird und nicht, wie hier gesagt wurde, eine Squle der Unzuht. s wird noch manches zu thun sein, aber wir erkennen an, daß die Kriegëöverwaltungen das ihnen gefteckte Ziel ge- fördert haben.
Abg. Gröber (Zentr.): Wir danken dem Vorredner für seine Ausführung und hoffen, daß er seine ganze Fraktion dabei hinter \ich hat. (Gun bei den Nationalliberalen: Immer!) Das war nicht immer. Wo waren die Nationalliberalen, als der Kulturkampf begann, als gegen die „Pfaffen“ geheßtwurde ? Als ehrwürdige Priester und Bischöfe in das Gefängniß geworfen wurden? Wenn die Autorität der Kirche gelitten hat, dann suhen Sie die Schuld niht bei den Sozialdemokraten allein, dann {lagen Sie sh an Ihre Brust: Mea culpa, mea maxima culpa! Wenn von den vielen Tausenden von Offizieren und Unteroffizieren sich Einige Verfehlunigen zu f{chulden kommen lassen und man darüber hier so spriht wie Herr Bebel, so trägt das nit zur Stärkung des Ansehens des Reichstages und des Ansehens des Heeres bei Der Fall des Reserve - Unteroffiziers Kriese in Elbing, der vor Gericht zur Antwort gab, daß er in Zivil Sozialdemokrat sei, verdient doch einige Beachtung. Die Frage erfolgte, nahdem die Sahe aufgerufen war, wenn au vor der Vereidigung. Da giebt es keine private Anfrage mehr. Der Zeuge steht unter der Polizeigewalt des Richters, der eventuell Zwang ausüben fann. Ein Grund zur Verweigerung der Ausfage lag nicht
vor. Bei der be grundfäßlichen Bedeutung dieser Frage möchte 5
ih den Kriegs-Minister do bitten, dieselbe noch einmal zu prüfen.
Abg. Bebel (Soz.) führt aus, daß in Einzelheiten jedem Menschen Irrthümer unterlaufen könnten, sei selbstverständlih. Herr Paasche sei aber päpstliher als der Papst gewesen; er habe die Vor- kommnifse mehr in Schuß genommen, als der Kriegs-Minister nah sciner Kenniniß der Dinge gethan habe. Daß die wirthschaftlichen Verhältnisse an der Verrohung {huld seten, sei klar. Seit 1882 sei die Zabl dec in Gewerbe und Landwirthschaft beschäftigten weib- lihen Personen von 44 auf 6 Millionen gestiegen. In einzelnen Bezirken sei die Steigerung noch viel größer gewesen, und zwar namentlih in den leßten Jahren. Die Sozialdemokratie wokle den ausgedehntesten Arbeiterinnenshuy; wenn derselbe niht vorbanden sei, so seien daran die anderen Parteien {chuld. Der Kulturkampf habe die Macht der fkatholishen Kirde nur gefestigt. Die Spott- und Hohnlieder, auf die fich der Abg. Paasche berufen habe, fönnten ja kaum gedruckt bestehen vor der Geseßgebung im Reiche. (Zuruf des Abg. Dr. Paashe: Ih werde fie Ihnen \{hwarz auf weiß zeigen. — Präfident Graf von Balleftrem bittet, die Zwishenrufe zu unterlassen.) Nicht die ganze Armee solle dur solhe Vorkommnisse belastet werden, sondern die Sozialdemokraten wollten dur die Kritik eine Besserung herbei- führen. Die Statistik weise nah, daß die shweren Körperverlezungen in den Bezirken am wenigsten vorkämen, wo die Sozialdemokraten die Mehrheit hätten. Berlin, Hamburg und das Königreih Sachsen hâtten sehr viel weniger schwere Körperverleßungen als die ländlichen Bezirke. Die Sozialdemokratie habe noch keinen Schritt ge- than, um in der Armee die Oberhand zu gewinnen. Daß aber mit ihrem Anhang im Volke auch ihre Anhängerschast in der Armee zu- nehme, sei felbstverständlih; . man müßte denn die Sozialdemokraten von dem Dienste in der Armee auts{ließen, Redner wendet \ih \chließlich gegen einzelne Ausführungen des Kriegs-Ministers und er- octert nochmals den Fall Kriese-Elbing.
Abg. von Tiedemann (Rp.): Herr Bebel meinte, Irrthümer könnten Jedem passieren, im allgemeinen wären aber alle seine Aus- führungen richtig,. Ein Jrrthum des rn Bebel i} es, daß Graf Stolberg den Sergeanten erstochen habe. (Zuruf: erschlagen!) Das is doch ein sehr greifbarer Irrthum. Die Behauptung geht im „Vorwärts“ in die Welt. Warum bringt Herr Bebel den Fall zur Sprache, daß eine Stadt- verwaltung Soldaten beschäftigen wollte? Es if ja sofort Nemedur eingetreten. Was hat der „Klub der Harmlofen“ mit dem Kriegs-Minister und der Armeevyerwaltung zu thun? (Zuruf: Budgetkommission!) Ich halte es auch für überflüssig, daß diese Dirge in der Kommission zur Sprache gekommen find. Offiziere find daran sehr wenig betheiligt. Gegen das Spiel der Offiziere wird fehr streng eingeschritten. Daß Herr Bebel den
all Brüsewiy wieder ausgegraben hat, zeigt, wie dürftig fn Material war. Das beweist, daß die Haltung des Offizier-Korps im allgemeinen tadellos is. Solche Debatten sind anz gut, weil sie einen Effekt haben, den Herr Bebel nicht beah-
tigte. Die Diskreditierung des Offizier-Korps ist niht gelungen. _ Die ütrigen Parteien werden sih immer mebr zusammenschließen zur Erhaltung des Staats und der Gesellschaftsordnung gegenüber der Sczialdemokratie.
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___ Kriegs-Minister, Generalleutnant von Goßler: “ # Der Herr Abg. Bebel hat wir heute ein relativ gutes Zeugniß auêëgeftellt. (Heiterkeit.) Jh lege auch Werth darauf, daß anerkannt wird, daß die Verhandlungen meinerseits mit größter Objektivität geführt werden. Jch bin verpflihtet, den Angehörigen jeder Parte; objektiv Auskunft zu geben über das, was mein Ressort angeht. Wenn Herr Bebel aber daraus \&;ließt, daß ih mit seiner Art der Anfrage und seiner Behandlung der Angelegenheiten der Armee einverstanden bin, dann befindet er sih in einem großen Jrrthum.
Bei seinen gestrigen Ausführungen bat \sich von "neuem gezeigt, daß er seine Anfragen an mi nicht rihtet, auh wenn er mir dieses
— wie jeßt geshehen — vorher mittheilt —, um Aufklärung zu er- |
Falten, sondern um an seine Darstellungen alsbald Ausführungen und Folgerungen zu knüpfen, welhe für das Ansehen der Armee {ädlich find. (Lebhafte Zustimmung rets.) Ja, er begnügt sh au hiermit noch nit einmal, sondern er giebt auch gleich das Uitheil und zwar in der {roten Form, ohne abzuwarten, was von mir etwackin ob- jekitver Form vorzubringen sein wird. (Sehr richtig! rechts.) Mit dieser Art ter Taltik werde ih mich niemals einverstanden erklären. & | Wenn der Abg. Bebel angenommen hat — er betonte hierbei ncch besonders, daß die Vorgänge ja auch im „Vorwärts* gestanden hätten —, seine Angaben wären eigentlich vollkommen tihtig gewesen, so kann ih diese Auffassung nicht theilen. Jm Gegentheil, ih stelle hiermit fest, daß bei einer objektiven Auffassung der Verhältnifse in allen Fällen eine wesentlihe Abweichung vom Sachverhalt stattgefunden hat. Bezüglih des Leutnants a. D. von Brüsewiy i} eine falsche Strafdauer angegeben und daraus ebenso fälschlich ges{lossen worden, die Begnadigung sei vor Verbüßung der Hälfte der Strafe ein- getreten. Diese Angabe ift unrihtig. Von dem Rittmeister Grafen zu Stolberg if erneut behauptet worden, er habe seinen Burschen erstochen. Diese Angabe ist falsch. Auch daß der Sergeant Scheinhardt niht erstohen worden, sondern an Gehirnershütterung infolge eines Schlages mit einem slumpfen Gegenstand gestorben ift, ging aus meiner gestrigen Darstellung klar hervor. Er is einem unglücklichen Zufall zum Opfer gefallen, der allerdings mit einer s{chweren Mißhandlung in Zusammenhang steht. Ebenso unhaltbar ift die Angabe, Scheinhardt fei angetrunken oder betrunken gewesen. Das kriegsgerichtlihe Verfahren hat ausdrücklich ergeben, daß wohl von einer starken Erregung des S(einhardt, aber nicht von einer Angetrunkenheit deéselben die Rede sein könne. Die Art, wie der Fall des Hauptmanns Licht hier vorgebracht worden ift, läßt die Annahme zu, es sei geschehen, um fn diesem Hause Zweifel an der “Be- strafung des Genannten hervorzurufen. Hauptmann Licht if be- straft worden. Auf eine bezüglihe an mich gerihtete Anfrage wäre jeder Zweifel ohne weiteres ausgeschlossen gewesen. — Im Fall Rupp wurde angedeutet, die Veranlassung zum S{hlagen sei nicht auf die Vorgeseßten zurückzuführen. Auch diese An- gabe ift niht haltkar. Wenn der Herr Bebel aber sagt, Rupp hätte so — wie es geshehen — verfahren und, um sih zu wehren, sih mit einem Messer versehen müssen, so verkennt er doch die Verhältnisse in der Armee sehr. Solche Angaben können nur verderblich und {ädlich auf die Ordnung in der Armee einwirken. Rupp if} zu feige ge- wesen, si rechtzeitig zu beschweren; hätte er dieses gethan, wäre der ganze Vorgang vermieden worden, Sie follten Jhrerseits dahin wirken — wie ih das früher {hon einmal erbeten habe —, daß die Leute den Muth haben, zur rehten Zeit den geseßlihen Weg einzuschlagen, d. h. sh zu beshweren.
Auch die Angaben über Halberstadt waren unrichtig. Ih habe keineswegs eingegriffen; es hat dieses vielmehr der Garnisonsältefte von Halber stadt aus eigener Jnitiative gethan, nahdem der Hergang in der Stadtvero1dneten-Versammlung zu seiner Kenntniß gekommen war. Die Arbeiter sollten einen neuen Weg zum Exerzierplaß, der im Interesse der Garnison und zur Erleihterung des Dienstes nöthig war, ausführen, das Ansuchen wurde jedoch aus prinzipiellen Gründen abgelehnt.
Schließlih hat der Herr Abg. Bebel noch das Anwachsen der Selbstmorde hervorgehoben. Die Zabl der Selbstmorde hat ih aber 1838 wesentlich verringert, sodaß auch diese Angabe der Be- gründung entbehrt.
Ueber den Fall des Reservisten Kriese mögen die Ansichten vom juristishen Standpunkt aus getheilt sein. Die Annahme des Herrn Abg. Bebel aber, daß es sich hier um eine Barbarei handle, ift zurückzuweisen. Jch habe den Fall genau fo vorgetragen, wie e lag, bin aber gern bereit, die Sache nohmals zu prüfen und mit dem be- treffenden General-Kommando in Verbindung zu treten. Die An- gelegenheit selbst is nur ¿zur Sprache gekommen dur die fozial- demokratishe Presse, die mit dem Mann aus diesem Anlaß Reklame trieb. (Oh! links.) Ich habe die „Volkstribüne" aus Königsberg vor mir, die die Sachlage in gewissem Sinne als Verherrlihung des Mannes darstellt. Der Wortlaut i} folgender :
„Bemerkenswerth aus der Verhandlung war auch noch folgen» der Zwischenfall. Einer der als Zeugen geladenen Genoffen ift gegenwärtig als Reserve-Unteroffizier zu einer Uebung eingezogen und war, zum Termin beurlaubt, in Uniform erschienen. Der Vorsitente fragte ihn, bevor er ihn vernahm, ob er Sozialdemokrat sei, worauf er die prompte Antwort erhielt: „In Zivil, ja." Das soll ihn, wie uns berihtet wird, zu der sonderbaren Bemerkung: „Machen Sie \ih doch niht zum Narren“, veranlaßt haben.“
Aus der Antwort „In Zivil, ja“ ergiebt sich ohne weiteres, daß der Mann wohl wußte, er dürfe sih-als Soldat niht als Sozial- demokrat bekennen. Hierin liegt eine Art Spißfindigkeit, die jedem, der die Sache liest, sofort auffallen muß. Der Mann war sich also seines Unrechts klar bewußt.
In Beireff der juristishen Beurtheilung der Angelegenheit, wie sie der Herr Abg. Gröber entwickelt hat, bin ih zur Zeit außer stande, Auskunft zu geben. Doch will ih diese Seite der Frage vom militär-juristishen Standpunkt gern nochmals erwägen. Nach unseren militäris%en Anschauungen halte ih die Strafe für völlig gerechtfertigt.
Der Herr Abg. Bebel hat sich dann noch dahia ausgesprochen, er gebe fcinen Anfragen an den Kriegs-Minister deshalb die gewählte Form, weil er beabsihtige, bessernd auf die Armee einzuwirken. (Heiterkeit rechts.) Ich glaukte nit, daß die Art und Weise, wie er die einzelnen Fälle geschildert hat, zur Besserung der Armee dienen würde. Diese Methode kann meines Erachtens nur zur Verbitterung und Verschlechterung der Disziplin in der Armee führen. (Sehr rihtig! rechts.) Ich kann ihn daher nur ersuchen, sein Wohlwollen der Armee gegenüber in anderer Form zum Ausdruck zu bringen.
Den Anspru auf Dankbarkeit, den er fordert, wird ibm die Armee jedoch niemals zuerkennen.“ (Heiterkeit rechts. Zuruf von den Sozialdemokraten.) :
Wie ein rother Faden - geht es heute wieder durch seine Aus- führungen, Untergebene und Vorgeseßte „würden mit verschiedenem Maß gemessen. Für diese Behauptung is er den Beweis s{huldig geblieben. Ih kann dieselbe nur auf das ernft- lihste bedauern und muß fie auf das allerentschiedenfte hier- mit zurückweisen. Das if ein Versu, in die Unparteilichkeit unserer Militärgerihte Breshe zu legen, und auf diese Weise das Vertrauen zu untergraben, der niht {harf genug gekennzeichnet werden kann. Wenn Herr Bebel übrigens die Bestimmungen des Militär-Strafgesezbuches kennte, so würde er eine Reihe von Para- graphen in demselben finden, wie z. B. den § 98, in denen für Unter- gebene ausdrüdcklich besondere Milderungsgründe, Ermäßigung der Strafe bis zur Hälfte und weniger 2. vorgesehen sind, wenn eine Reizung oder dergleihen durch Vorgeseßte stattgefunden hat. Es liegt also keine Veranlassung vor, anzunehmen, daß in der Militärjustiz mit verschiedenem Maße gemessen werde. Schließ- lih hat er noch darauf hingewiesen, daß. bei dem Anwachsen der Sozialdemokratie sich auch die Armee derselben nicht mehr würde entziehen können. In dieser Beziehung kann - ih ihn nur auf das verweisen, was er auf dem Parteitag in Stuttgart selbst ausgeführt hat. Hiernah if er mit dem Resultat der leßten Jahre betreffs Zunahme seiner Partei durchaus unzufrieden. Er sagt wörtlich:
das Nesultat der leßten Jahre war durchaus nit ein sehr er- freuliches. Ich bin, wie ih das hier {hon oft ausgeführt habe, der Ueber- zeugung, daß die Sozicldemokratie auf Jllusionen beruht und daß sie von selbst zu Grunde gehen wird. (Bravo rets, Heiterkeit links.) i; oz.) beshwert über die angeblihe, Belastun
der Bo ea s Ener und die e Anlaß der Manöver, speziell der Kaisermanöver in der Nähe von rankfurt. Wenn der Kriegs-Minister meine, daß ein Soldat Kia sei, wenn er den Beshwerdeweg nicht betrete, so kenne der Kriegs-Minister die Verhältnisse niht. Jeder, der den Be- \chwerdeweg betrete, werde auf alle Weise belästigt. Redner kommt dann auf den Prozeß eines Garnisonverwaltungsbeamten in Hanau zu sprechen, der eine Menge Dinge gestohlen habe, obne daß die vor- geseßte Behörde etwas davon bemerkt habe, weil keine genügende Kontrole vorhanden gewesen sei.
Kriegs-Minister, Generalleutnant von Goßler:
Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner auf Vorgänge in Hanau während der Herbstmanöver eingegangen ift, so ist die Militär- verwaltung daran sehr ‘wenig betheiligt. Wir haben das größte Interesse daran, Flurentshädigungs8gelder möglih\t bald auszuzahlen. Das Geld wird auf die Regierungs-Hauptkassen und von diesen dur die Steuer- oder Kreiskassen den Kommunen angewiesen. Dort hebt der Ortsvorsteher die Beträge ab und bringt sie zur Auszahlung. Mit Ausnahme von 6400 A, über die eine Nachriht noch nit vor- liegt, find übrigens sämmtliche Beträge längst ausgezahlt.
Dem Wuns{h, daß es den Zivilbehörden gelingen möge, das ganze Abfertigungsverfahren rascher zu gestalten, kann ich nur bei- treten. Dieserhalb bin ich mit dem Herrn Minifter des Innern in Verbindung getreten. Für den Kreis Hanau allein waren sieben Kommissionen für die Abshäßung der Flurschäden thätig. Die Orts- behörden haben allerdings mangelhaft gearbeitet, und das Verfahren wurde dadur besonders s{chwierig, weil die Einwohner die in Frage kommenden Felder vor dem Eintreffen der Kommission zum theil ab- geerntet hatten, sodaß weitläufige Zeugenvernehmungen nothwendig wurzen. Im übrigen is alles ges{hehen, um die Entschädigungs- ansprüche möglichs rasch zu erledigen.
Was den Lazareth-Inspektor Krüger anlangt, so finde ih in meinen Akten eine Meldung vom 30. August 1888, nach welcher derselbe infolge von im Amte begangenen Unregelmäßigkeiten vom Amte suspendiert und sofort verhaftet worden ist. Die Verhand- lungen haben öffentli stattgefunden und ih habe aus den Zeitungen ersehen, daß dieselben inzwischen zu Ende geführt worden find. Ich erwarte das Urtheil, um danah die entsprehenden Maßregeln zu treffen. Auch ih glaube, daß sih eine shärfere Kontrole der Lazareth-
verwaltungen empfchlen werde. Wenn der Herr Vorredner von dem Lazareth-Inspektor Krüger
dann auf den Absolutismus gekommen ist, so darf ih mir wohl ver- sagen, darauf einzugehen. (Bravo ! rets.)
bg. Graf von Klinckowstroem (d. kons.): Herr Hoch hat sich im R Sil seiner Rede als erster sozialdemokratisher Agrarier gezeigt. Geradezu berzerfrishend war die Rede des Herrn Poaie, Herr Gröber hätte si ebenfalls darüber freuen und nicht einen ge- wissen Mißton in die Debatte bringen sollen, den ja ert Bebel sofort benußt -hat. Herr Bebel leugnet, Angriffe auf die Armee gemacht zu baben. Er spra von himmelschreienden Widersprüchen in der Militär- Rechtépflege; er sprah auch heute von zweierlei Maß bei der Rechts- pflege. Giebt es einen \chärferen Angriff ? Die Statistik der Körper- verlezungen beweist garnichts; fie . wird vielmehr durch Unter- shiede des Teperaments und sonstiger Charaktereigensbaften be- gründet. Troy der allergrößten Mühe hat Herr Bebel nur 7 bis 8 Fälle vorbringen fönnen. Giebt es ein glänzenderes Zeugniß für die große deutshe Armee? Herr Bebel greift die Armee, die Schule, die Landwirthschaft an, ja sogar das von den Sozial- demokraten so viel geliebte Ostpreußen. Ih möchte nur Gelegenheit haben, die Märchen von dem ostpreußishen Arbeitgeber einmal fo recht ad absurdum zu führen. Die Arbeit der Frauen in der Land- wirthschaft wird immer geringer. Das Verhalten des Grafen Stol- berg verurtheilen wir alle, aber wir haben auch Mitleid mit ihm. Die sozialdemokratishe Presse wollte mit dem forshen Genossen Kriese-Clbing Reklame machen; dabei ift dieselbe hineingefallen. Wenn die Sozialdemokraten einmal ihren Zukunftéstaat mit Gewalt durhzuführen versuchen wollen, so werden ihre Genossen in Uniform niederschießen. M M Stadthagen (Soz.) wendet sich gegen den Abg. Paasche, der früher in sozialdemokratishen Versammlungen, dann Freihändler gewesen und jeßt Schußzöllner sei. (Präsident Graf von Balle- t rem: Das gehört doch wohl nit zum Gehalt des Kriegs-Ministers.) Redner geht dann auf den Han des Reserve - Unteroffiziers Kriese-Elbing ein. Es sei Arsichtssahe, ob bei der Rechts- flege mit zweierlei Maß gemessen werde, Die Sozialdemokraten hätten jedenfalls dasselbe Reht im Staat wie alle anderen Parteien. Selle niemand in der Armee sozialdemokratische Gesinnung dokumentieren, dann solle man die Sozialdemokraten aus der Armee überhaupt auéëshliefñen. Die anderen Parteien sollten ihrerseits auh e in der Armee aufzudecken und nicht diefelben zu vertuschen versuchen.
Generalleutnant von Viebahn: Der Herr Vorredner bat das Verlangen ausgesprohen nach dem Wortlaut desjenigen Befehls, welcher gegen die Bethätigung sczialdemokratisher Gesinnungen in der Armeèe ergangen ist. Es handelt \sich um einen kriegsminitteriellen Erlaß vom 24. Januar 1894, welcher vón Zeit zu Zéit öffentlich zur allgemeinen Kenntniß gebraht wird; unter anderem findet #ich . eine
- phemishe Stelle geaen Gott und das
erat D alión im amtlichen Theile des „Reichs-Anzeigers“ vom . Augu : g, Freiherr von Stumm (Rp.): Ob Herr Bebel die Armee angegriffen hat, lasse ich dahingestellt; daß der „Vorwärts“ das ban hat, ift bekannt; er hat von den „mordépatriotischen Erinne- rungen“ an die Zeit von 1870/71 gesprochen. Redner wendet fich gegen eine frühere Behauptung des Abg. Stadthagen über den Londoner Dodckerstrike, der neun Jahre zurückliege, während man nach dem Zusammenhange seiner Rede hätte annehmen müssen, daß er von dem Hamburger Auéstande gesprohen habe. Es- handele um eine Londoner Korrespondenz, die ein Stimmungsbild enthalten habe. Herr Bebel, fährt Redner dann fort, hat mir Unrichtigkeiten vorgeworfen in Bezug auf Herrn Fink, dessen Be- hauprungen ih hier voraebraht habe. Herr Bebel behandelt alle Dinge, die er vorbringt, als Thatsachen, obwohl er dabei große Irrthümer begeht, wie ihm der Kriegs-Minister gestern schon in vershiedenen Fällen nachgewiesen hat, und wie in früheren Jahren ihm ebenfalls nahgewiesen worden ist. (Redner erinnert an verschiedene derartige Fälle.) Herr Bebel bat seine unrihtigen Behauptungen nicht widecrufen, sondern den stenographischen Bericht so korrigiert, daß etnes Anderes darin stand,
- als gesagt worden war. Jch habe hier keine Lüge vorgebracht, sondern
etwas, was ih vorgebracht habe, hat sih nachher als eine Lüge heraus- gestellt. So steht es au in den gestoblenen, vom „Vorwärts" ver- offentlihten Briefen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten : Frechheit !)
Vize-Präsident Schm idt ertheilt wegen - dieses Ausdrucks den Ordnungscuf.
Abg. Singer (Soz.) zur Geschäftsordnung: Bisher haben die Pn diejenigen außerhalb des Hauses stehenden Personen, welche
§ hier niht vertheidigen können, gegen den Vorwurf, daß sie ge- ftohlen hätten, in Schuß genommen.
Vize-Präsident Schmidt: Das geschah nur, wenn es sich um be- stimmt bezeichnete Personen handelte. Solche Personen sind aber nicht bezeihnet worden.
Abg. Graf von Oriola (nl.) spricht ebenfalls sein Bedauern darüber aus, daß die Flurentshädigungen so lange gedauert hätten. Aber die Betheiligten hätten die Opfer im Interesse der Armee gern gebraht. Herr G1öber, fährt der Redner fort, bätte seine Rede gegen Herrn Paasche nicht halten follen; - darüber haben \sch nur die Sozialdemokraten gefreut. Daß wir an der Religion festhalten wollen, darin wird Herr Paasche niemals von den National- liberalen de8avouiert werden, Troß aller Meinungsverschieden- heiten sollten die Parteien die Schärfen gegen \einander unterlassen und auf einander mehr Rücsiht nehmen. Die die Religon ver- spottenden Lieder wird Herr Paasche nachher dem Hause vorführen. Sollte ein Nationalliberaler unpassende Lieder gedichtet haben, so würde er ebenso zu verurtheilen sein, wie die sozial- demokratishen Dichter. Die s{chlechten Wohnungen “ in den großen Städten sind eine Ursahe der Entsittlihung; ein Reichs- Wohnungsgeseß is durchaus gegen solche Schädigungen am Plate. Die Sozialdemokraten leugnen jeden Versuch, auf die Armee Einfluß zu gewinnen. Diejenigen, die damit zu thun haben, sehen das anders an. Dak die Sozialdemokratie aber niht die Oberhand in der Armee
ewinnt, dafür wollen wir staatserhaltenden Parteien sorgen durh die Bekaliana der Religion.
Abg. Dr. Paasce erklärt, er habe hier schwarz auf weiß ge- druckt das frivole Lied über die Religion. Ferner zitiert derselbe aus einem Buche des Abg. Frohme vom Jahre 1873 eine blas- Papstthum. Er habe von der zunehmenden Mißachtung der Autorität gesprohen und das gan Togisch ausgeführt. (Zuruf : Und die Lieder 2? — Redner weist at ein kfeines® Buch, das er in der Hand hält, hin.)
Vize-Präsident Shmidt: Freiherr von Stumm hat nah dem Stenographischen Bericht von den vom „Vorwärts“ gestohlenen Briefen gesprochen. Ec hat keine Person bezeichnet.
_Abg. Singer: Sowohl Freiherr von Stumm wie der Herr Präsident weiß, daß drei Nedakteure des „Vorwärts“ Mitglieder dieses
- «Haufes sind.
_ Vize-Präsident Shmidt: Wenn in dieser Bemerkung eine Kritik meines Verhaltens liegen soll, so muß ih fie mir verbitten. Außerdem muß ih bemerken, daß ih keine Kenntniß von den Re- dakfteuren des „Vorwärts“ besize. Wenn vom „Vorwärts“ die Rede ist, so ist niht von Redakteuren die Rede. Jch werde zu dieser Sache niht mehr das Wort ertheilen.
Abg. Stoecker (b. k. F.) spriht den Sozialdemokraten jede Kenntniß der Verhältnisse der Armee ab. In der Armee heiße die christlihe Nächstenliebe Kameradschaft, und diese Kameradschaft sei in der deutschen Armee vorhanden. Wenn wir uns, fährt Redner fort, über die Stellung des Kriegs-Ministers in der Armee unterhalten, dann wird hier in kleinliher Weije ein Fall von Untershlagung vorgetragen, und das Verzeichniß der unterschlagenen Sachen wird uns verlesen wie das Ver- zeichniß eines jüdischen Trödlerladens. Das ist eine thöôrihte Art, die Sachen zu behandeln, zumal dabei die Thatsachen nicht richtig ge- würdigt werden. Von folchen Verhandlungen muß die Armee das Gefühl haben: Was sind wir eigentliG? Sind wir wirklich die große deutsche Armee, die von allen Staaten bewundert wird ? Wenn die jungen Leute: nah fünf bis sechs Jahren un- beaufsihtigten Lebens in die Armee eintreten, dann leistet die Armee etwas Vorzügliches in der Erziehung dieser Leute für den großen Zweck der vaterländischen Vertheidigung. Der Furcht vor unserer Armee verdanken wir die Erhaltung des Friedens. Es ist besser, die anderen Völker fürchten sich vor uns, als wir vor ihnen. Die Mißstände in der Armee sind Mißstände des ganzen öffentlichen Lebens. Die Selb\tmorde in der Armee haben meist mit den militärishen Dingen garnihts zu thun. Es hat auch eine starke Abnahme der Selbst- morde stattgefunden. Unsere Armee is das Volk in Waffen, das a erren unserer deutschen Einigkeit, Das follten wir nicht ver- gessen. °
Abg. Bebel erklärt, seine Partei erkenne an, daß junge Leute zwischen 14 und 20 Jahren noch der Auafsiht und Erziehung be- dürften, deshalb wolle sié die obligatorischen Fortbildungsshulen mindestens bis zum 18. Lebensjahre. Warum schafffe der Staat niht Orte, an denen die jungen Leute, Knaben wie Mädchen, Abends zusammenkommen fköanten, um an ihrer Bildung zu arbeiten oder fih zu erholen. Seine Partei wolle ferner die Zunahme der Frauenarbeit verhindern; die Gewerbestatistik ergebe aber eine ftetige Zunahme der Frauenarbeit. Die Abnahme der Selbst- morde in der ‘Armee sei eine wohlthätige Folge der zweijährigen Dienstzeit. Ein gottloses Lied habe Herr Paasce nicht vor- getragen Er folle ein Lied von Heine gemeint haben, das aber nicht in Musik geseßt fei, also auch nicht gesungen werde. Freiherr von Stumm werfe ihm (Nedner) vor, daß er den stenographischen Bericht korrigiert habe; das habe er gethan, weil ihm vor der Korrektur eine Richtigstellung des Verkbältnisses mitgetheilt 4vorden sei. Er (Redner) habe die Korrektur im Interesse des Herrn Fine vorgenommen. Zum Schluß wendet ih Redner gegen andere
usführungen des Abg. Freihercn von Stumm.
Abg. Gröber: Mit seiner Ansiht wird Herr Bebel wohl nur bei seinen Parteigenossen Anklang finden. Wenn man mit allen Ständen fo ins Gericht gehen wollte wie mit der Armee, dann würden sih überall, die Arbeiter niht ausgeschlossen, mindestens ebenso viel tadelnswerthe Fälle finden lassen. Wenn die Nationalliberalen die Religiosität wahren wollen, dann müssen sie entgegenkommender sein in der Ordensfrage und in anderen Fragen, die zum innersten Wesen der katholishen Kirche gehören. Geben Sie uns die volle Freiheit des firhlihen Lebens. Ae
Nach einigen persönlichen Bemerkungen wird die Debatte geschlossen und das Gehalt des Ministers bewilligt.
Schluß nach 6 Uhr. Nächste Sißung Sonnabend, 1 Uhr. (Erste und eventuell zweite Berathung des Gesey- entwurfs, betreffend die Bildung eines besonderen bayerischen. Senats beim obersten Militärgeriht in Berlin, und Fort-
FJezung der Berathung des Militär-Etats.)
bracht werden müssen.
Preufzischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
34. Sißung vom 3. März 1899.
Das Haus seßt die zweite Berathung des Staats- haushalts-Etats bei dem Etat der Eisenbahnver- waltung fort.
E den ersten Theil der Debatte ist {on berichtet en, Die Einnahmen aus dem Güterverkehr find au r Tags M, 47 880 000-6 mehr als im Vorjahre, a anschlagt. aù Abg. Möller (nl.) berichtet über die i empfohlenen Gütertariferaähiguzgen. E Pion Abg. Dr. Lotichius (nl., auf der Jeurnalistenbühne sehr {wer
Lothringen nach dem Niederrhein und eine Ermäßigung des inlän- dischen Obsttarifs. Das Ausland transportiere sein Obit immer noch billiger als wir.
__ Ministerial-Direktor Möllhausen: Wir haben im Jvlandstarif für Obst bereits eine Ermäßigung eintreten lassen. Die Frage der Frenaitung des Tarifs für Obst in Wagenladungen if sehr schwer zu Iöôsen.
Atkg. Dr. Crüger (fr. Volksy:) beschwert \ich darüber, daß der Bürgschaftsshein einer Kreditgenofsenshaft für hu f C a id im Eisenbahnbezirk Frankfurt voa der Eisenbahn-Direktion abgelebnt worden sei, während der Bürgschaftss{hein von Mitgliedern der Ge- nossenschaft m. b. H., die einer Verbandskasse angehören und mit. der Zeutralgenossenshaftskasse in Verbindung stehen, angenommen werde. Damit würden die Bürgschaftsscheine der Kreditgenossenshaften als unsolide bezeihnet. Die Solidität einer Kreditgenossenschaft müsse von Fall zu Fall geprüft werden.
Ministerial-Direktor Möllhausen erklärt, daß eine \solhe Prü- fung von Fall zu Fall vorgenommen werde.
Abg. Freiherr von Willisen (kons.) bedauert, daß die Regierung in der Ermäßigung der einheimischen Obsttarife nicht entaegenkommender sei, namentli nicht in der Verbilligung des Tarifes für Obst in Wagen- ladungen. Er sei nit für eine einseitige künstliche Tarifpolitik, durch welche Tausende von Existenzen gefährdet würden. Durch die billigen Ausnahmetarife für das ausländishe Obst hätten die Obstproduzenten in der Nähe Berlins s{hwer zu leiden.
Die Einnahmen werden bewilligt.
l u den dauernden Ausgaben für Besoldungen liegt folgender Antrag der Abgg. Dr. Goebel (Zentr.) und Ge- nossen vor: : die Regierung aufzufordern, die sogenannten Haltestellen-Auf- seher aus der Zahl der Weichensteller 1. Klasse herauszuheben und als „Stations-Assistenten 11. Klasse“ oder als „Haltestellen-Vor- steher“ zu bezeihnen und diefe Beamtenkategorie bei den Stellen- ma in größerem Maße zu berücksichtigen.
Abg. Wallbrecht (nl.) erörtert, wie in früheren Jahren, den angebli unheilvollen Einfluß des Affsefsoriêémus auf die Eisenbahn- verwaltung. Es müsse eine mittlere Karrière für die Bautechniker geschaffen werden.
Abg. Dr. Böttinger (nl.) empfiehlt eine größere Berüd- sichtigung der Wünsche der Betriebssekretäre, der Abfertigungösbeamten und der Diâtare.
Abg. Dr. Kelch (fr. kons.) bedauert, daß die Betriebssekretäre immer noch nicht zum Examen der Eisenbahn-Sekretäre zugelassen würden. /
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Auf die Aeußerung selbst möchte ih nicht ein- gehen, ih mödhte nur dem Herrn Abg. Kelch erklären, daß das, was ih gesagt habe und was er nach dem \tenographishen Bericht mit- getheilt hat, von mir im Reichstage gesagt worden ist bezüglich der Betriebs-Sekretäre der Reichs-Eisenbahnverwaltung.
Abga. Freiherr von der Goltz (kons.) beshwert si darüber, daß die Konzessionierung der Kleinbahnen tin der Provinz Pommern ent- gegen den Anweisungen des Ministers außerordentlich lange binausgeschoben und daß den Kleinbahnen vom Fiskus große Opfer auferlegt würden bei Anschlüssen, bei der Mitbenußzung der Bahnhöfe u. st w. Es würden an den Bau von Klein- bahnen die wunderbarsten Anforderungen in Rücksicht auf die Sicherheit. des Verkehrs gestellt. Die Staatsbahnverwaltung habe doch das größte Interesse daran, daß ihr dur die Kleinbahnen ein stärkerer Verkehr zugeführt werde. Die Provinz habe seit 1892 für Eisenbahnunternehmungen 30 Millionen ausgegeben und habe einen ge- rechten Anspruch darauf, daß ihre Bestrebungen binsihtlih der Klein- YuO, Bepenuanes von untergeordneten Behörden nicht unterbunbven würden.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Dieser eben au8gesprohenen Bitte des Herrn Abg. Freiherrn von der Golß werde ih meinerseits sehr gern ent- sprechen, ih glaube es aber auh bisher {hon gethan zu haben, wie ja der Herr Vorredner auch in seinen Ausführungen bereits mehrfach ausgeführt hat.
Meine Herren, keine Provinz des ganzen Staats is in Bezug auf die Kleinbahnen so vom Staate begünftigt worden als die Provinz Pommern. Die Provinz Pommern hat heute ein Kleinbahnnet von 1200 km. Die nächstfolgende Provinz ist die Rheinprovinz mit einem Ney von 740 km. Von diesen 1200 km sind 499 km mii Staats- unterstüßung gebaut worden. Diese Staatsunterstüßzung hat bis auf heute betragen 3 191 000 A Die Provinz Pommern kann also im allgemeinen keine Klage darüber führen, daß der Staat ße bei An- lage ihres Kleinbahnnetzes nicht genügend unterstüßt habe. Jch habe meinerseits wiederholentlich in den leßten Jahren schon darauf hin- gewiesen, daß die Provinz Pommern in der Beziehung auch ihrer- seits mehr gethan hat als irgend eine andere Provinz. Jch habe mir erlaubt, die Provinz Pommern verschiedenen anderen Provinzen, auch Nachbarprovinzen, als Musterbeispiel vorzuführen. WerEisenbahnen baut, muß sichauch aafSchwierigkeiten gefaßt machen. Leider Gottes ist noch vielfa die Meinung im Lande verbreitet, man brauche nur zu beschließen, eine Eisenbahn zu bauen, sie zu finanzieren, dann wird die Sache schon am nächsten Tage mit dem Spatenstich be- ginnen. Die Erfahrungen bei den Staatseisenbahnen und duch bei den Privatbahnen weisen mit aller Deutlichkeit darauf hin, .daß die Sache so einfach sih nicht abwickelt. Das Geseß schreibt gewisse Normen vor, die bei der Prüfung des Konzessionsantrages erfüllt werden müssen, Bekanntlich ertheilt der Regierungs-Präsident die Konzession, und der Regierungs - Präsident in Verbindung mit der betreffenden Königlihen Eisenbahn - Direktion hat die Konzessions- bedingungen seinerseits zu prüfen und etwaige Bedenken dem Minister der öffentlihen Arbeiten vorzutragen.
Nun wissen die Herren ganz genau, daß zunächst {hon bei der Tracterung die verschiedenen Kirhthurmsinteressen sih geltend machen, die natürlich alle erst beim Regierungs-Präsidenten zum Austrag ge- Aber selten begnügen sih die Interessenten mit dieser Entscheidung, fondera sie suhen dann noch die Ent- scheidung des Ministers nah. Wenn der Herr Vorredner hier ein
Beispiel angeführt hat, daß der Unternehmer Lenz einen Bahnunterbau
verständlich) wünscht eine e Beförderung der Minette-Erze von
\{chon vollständig hergestellt habe, ehe er überhaupt die Konzession be- kommen hat, so ift das ein etwas riskantes Unternehmen gewesen. Wir haben möglichs immer auch die Privatunternehmer über die S({hwierigkeiten hinweggebracht, aber mane \ind eben nicht so einfa zu beseitigen. Es kommen bei der landespolizeilihen Prüfung eine ganze Menge agrarisher und anderer Interessen "in Frage; die Wirthschaftsershwerung der betroffenen Grundstücke, die Wegeverhält- nisse, Ent- und Bewässerungsverhältnifse erfordern meistentheils eine ziemli langwierige und s{chwierige Voruntersuchung und Prüfung. Ich habe wiederholentlich sowohl die Regierungs-Präsidenten wie die Königlichen Eisenbahn-Direktionen angewiesen, in Bezug auf diese Vorprüfung mit der thunliwsten Beschleunigung die Hindernisse aus dem Wege zu räumen, die dem Kleinbahnunternehmenn entgegenstehen.
Der Herr Vorredner hat dann ferner gerügt, daß eine ganze Reihe von Belastungen und Ausgaben den Kleinbahnunternehmern aus den Forderungen der Eisenbahnbehörden erwahsen. Meine Herren, Einzelheiten sind nur beispielsweise vorgebraht worden und au nicht näher bezeichnet; ich bin also in dieser Beziehung nicht in der Lage, dasjenige zu prüfen, was dem Herrn Vorredner aus den Kreisen der Interessenten an Material beigebracht worden ift. Der Herr Abg. Freiherr von der Goltz hat bei dieser Gelezenheit erwähnt, daß sogar der Kriegs-Minister einem Kleinbahnunternehmer eine fortifikatorishe Anlage bei einem Einschnitt vorgeschrieben hätte. Meine Herrêèn, in der Zentralinstanz des Arbeits-Ministeriums ift dabon nichts bekannt; jedenfalls ift das in Pommern nit passiert. Wenn es überhaupt vorgekommen ift, so betrifft das jedenfalls irgend eine Grenzbahn, die sich dem Bereiche einer Festung nähert. Die Militärverwaltung is — abgesehen von dem Reichsrayongeseß — auf Grund des § 8 des Kleinbahngeseßes völlig in der Lage, berechtigt und verpflichtet, folche Anforderungen zu erheben, wenn fie die- selben für nothwendig erachtet.
Auch bezüglih der Wegeübergänge is meistentheils die Eisen- bahnverwaltung überhaupt nicht betheiligt, sondern die Wegeüber- gänge werden seitens des Regierungs - Präsidenten vorgeschrieben überall da, wo er es im Landeskulturinteresse für nothwendig hält. Die Eisenbahnverwaltung is im großen Ganzen überhaupt keine Freundin von vielen Wegeübergängen über die Schienen.
Der Herr Borredner hat dann ferner beklagt, daß eine Reihe von Kosten den Kleinbahnen zur Last gestellt würden, die eigentli die Staatsbahnverwaltung ihrerseits übernehmen müßte. Es find da Beispiele angeführt worden von Kosten, die gefordert worden find für Vermehrung der Bedienung in den Stellwerken, für Vermehrung der Beamten bei Abfertigung der Züge bezw. bei der Güter - Expedition u. \. w. Ja, meine Herren, auf diese Beshwerden kann ih unmöglih hier eine Antwort geben. Ich bitte, in dem einzelnen Fall, wo das Kleinbahnunternehmen sich durch die Entscheidungen des Regierungs - Präsidenten oder der Eisenbahn-Direktion beschwert fühlt, diese Beshwerde mir substantiiert vorzutragen ; ich werde sie dann hier mit allem Wohlwollen gegen die Kleinbahnunternehmungen prüfen. Es is durchaus nicht meine Ab- sicht, daß jeder Groschen, jeder Pfennig minutiss nachgerehnet und den Kleinbahnunternehmern zur Last gestellt wird. Wo aber eine wirklich nennenswerthe Vermehrung der Kosten eintritt, bin ih ver- pflichtet, da denjenigen heranzuziehen, der die Vermehrung der Kosten verursacht; denn ich habe im Etat dafür kein Mittel. Nun kann man das ja im individuellen Fall häufig fo und so machen, das gebe ih von vornherein zu; aber im allgemeinen besteht die Auffassung bei nir, mit Wohlwollen derartige Dinge und Differenzen zu prüfen, und wo es niht geschieht, möge man sih mit Vertrauen an mich wenden.
Endlich hat der Herr Vorredner noch hervorgehoben, daß eine sehr unangenehme Ershwerung für den Betrieb der Kleinbahnen daraus erwahse, daß wir die Herstellung direkter Tarife und direkter Fahrkarten verweigert hätten.
Was den ersten Punkt anbetrifft, so habe ih wieder- holt Veranlassung gehabt, hier im Hause und in der Budgetkommission mich hierüber auszusprehen und meinen Grundsaß dahin zu präzisieren, daß im allgemeinen die Kleinbahnen niht als Eisenbahnen nach dem Gesetz anzusehen sind, sondern als Fuhrunternehmen, welche nah bestimmten Voraussetzungen, und zwar denjenigen des Gesetzes von 1892, beurtheilt werden müssen, daß aber die Staatseisenbahnverwaltung da, wo ein Verkehrsbedürfniß befteht, direkte Tarife zu machen, sich dem niht entziehen wird und auch bisher nit entzogen hat. Wir haben mit den Kleinbahn- unternehmen eine Reibe von direkten Tarifen hergestellt und, was noch mehr besagen will, und worauf auch \{ließlich der Herr Vor- redner noch großes Gewicht legen wird, direkte Tarife mit Darangabe der halben Erpeditions8gebühr. (Sehr rihtig!) Das is nämli datjenige Moment, worauf es den Herren ankommt. Sie wollen aus den Staatseisenbahn-Einnahmen für sich eine kleine Abgabe haben, bestehend in der balben Expeditions8gebühr. Das i auh in solhen Fällen nahgelafsen worden, wo ein wirklihes Verkehrsbedürfniß anzuerkennen ist. Im allgemeinen wird aber do daran festzuhalten sein: nah dem Geseg von 1892, seinem Wortlaut und Sinne nach, sind die Kleinbahnen Lokalbahn-Unternehmungen, die niht bestimmt sind, Glieder des großen Eisenbahnnetzes zu sein und zu werden.
Was die Herstellung direkter Fahrkarten betrifft, so bestehen in der Beziehung gar keine Vorschriften, sondern es ist da den Direktionen überlassen worden, je nah Bedürfniß die Sahe zu regeln. Nun kenne ih den Fall von Finkenwalde nicht — ich kenne Finkenwalde, das mich durch seine Schönheit seiner Zeit erfreut hat —; aber ih würde meinerseits, wenn jenes Verkehrsbedürfniß da besteht, kein Bedenken haben, direkte Fahrkarten auszugeben, voraus- geseßt, daß die Kleinbahn nun sich auch einigermaßen unseren Ein- rihtungen anpaßt. Wir können aber unmöglih für jede Kleinbahn — zu denen gehören ja auch die elektrishen Bahnen und die Pferde- bahnen — überall direkte Tarife herstellen und direkte Fahrkarten ausgeben. Es kann das immer nur beschränkt werden auf wirklich vorhandenes Bedürfniß, und das mag ja in diesem Falle — ich kenne ihn niht genau, bin aber bereit, ihn näher zu prüfen — vielleicht zutreffen.
Also ih darf mi wiederholen: es besteht hier in der Zentral- Inftanz die bestimmte Absicht, die Kleinbahnunternebmungen nicht mit unnöthigen Kosten zu belasten, sondern sie thunlihst günstig zu be- handeln. (Bravo!)
Abg. Dr. Crüger befürwortet die Berücksichtigung der Wanjge der Eisenbahn-Telegrapkhiften und Betriebs-Sekretäre und die Gle
stellung der tehnishea Eisenbahnbeamten mit den juristischen 4