1899 / 60 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Mar 1899 18:00:01 GMT) scan diff

maßen befriedigenden, zwar niht alle Parteien gleihbefriedigenden, aber do den Interessen des Landes nlißlihen Lösung gelangen kann:

Run, die verbündeten Regierungen unternehmen ‘es, aus den Erwägungen heraus, die ih mir erlaubte, Ihnen vorzutragen, nochmal an das hohe Haus zu appellieren. Jn den Verhandlungen der Kom- misfion des vorizen Jahres ift übereinstimmend, und sogar von den- jenigen Herren, die sehr ertreme Forderungen vertraten, anerkannt worden, daß auf diesem Gebiet durch Mittel der Geseßgebung nicht allerwege Einrichtungen geschaffen werden können, die den ftrengen Anforderungen der Sittlichkeit entsprehen. Wir haben es bier mit Verhältnissen zu thun, die zum theil sich ganz dem Zwange des Gesetzes entziehen. Während dies aber für einzelne Fragen praktish anerkannt wurde, indem man in den damaligen Be- schlüfsen der Kommission die Strafvorschriften entsprehend einengte und den Verhältnissen des Lebens Rehnung trug, ift das in anderen Punkten leider niht geschehen: man hat dort in einer rigorosen Auf- faffung der Verhältnisse Beschlüsse gefaßt, die, wenn man unbefangen die Dinge im Leben ansieht, thatsählich undur{hführbar er- s{heinen müssen. Hierdurch if ein unverkennbarer Zwiespalt in die Beschlüsse der Kommission hineingekommen. Die verbündeten Regierungen wünschen mit Ihnen zusammen den Versuch ¡zu machen, ob sih dieser Zwiespalt nit beseitigen läßt; sie haben Ihnen deshalb in ihrer Vorlage einen Entwurf gebracht, der \ih, nicht in allem, aber doch in vielem demjenigen anschließt, was die Kommission der vorigen Session beschlossen hat. Sie haben aller- dings in wihtigen Punkten die damaligen Beschlüsse nur als unan- nchmbar bezeihnen können, und ih darf hier von vornberein erklären, daß die verbündeten Regierungen auf Bestimmungen wie die in dem bekannten Arbeitgeberparagraphen ih unter keinen Umständen ein- laffen werden. _ So ernsthaft und mit dem besten Willen des Ent- gegenkommens die Regierungen die Kommissionsbeshlüsse au geprüft baben, so sind sie doch der Ueberzeugung geworden, daß sie nit alle den unerbittlihen Verhältnissen des Lebens genügend, so wie es eine praktishe Gesetzgebung thun muß, Rechnung tragen. Die Regierungen hoffen, daß Sie, weine Herren, auch Ihrerseits bei wiederholter Prüfung der Dinge dieser Auffassung sich an- schließen werden. Sollten die Regierungen in dieser Hoffaung fih täuschen, so werden sie auf einen weiteren geseßgeberischen Versuch, eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen, zu ihrem lebhaften Bedauern verzichten, sie werden sich mit dem Bewußtsein trösten müssen, daß fie, wenn auch vergeblih, das Jhrige gethan haben, um {weren UVebelftänden entgegenzuwirken.

Nun, meine Herren, liegt neben der Vorlage der Regierungen Ihnen au ein Antrag vor, dessen Berathung mit unserer Vorlage verknüpft werden soll: das is der Antrag der Herren Abg. Prinz von Arenberg und Genossen. Die verbündeten Regierungen haben, wie das den Gepflogenheiten entspriht, formell zu diesem Antrag eine Stellung niht genommen; aber ihre Vorlage und meine Aus- führungen ergeben zur Genüge, daß die Vors{läge, die in diesem Antrag gemacht sind, den verbündeten Regierungen unannebmbar erscheinen. Nach ibrer Ansicht liegt diesen Vorschlägen eine Vebershäßungder Wirkungen der Gesetzgebung auf dem Gebiete des sittlihen Lebens zu Grunde, und auf der anderen Seite eine Untershäßung der Interessen auf gesell- shaftlihem, gewerblichem, künstlerishem, literarishem Gebiete, welche das ganze Leben unseres Volkes durhziehen, welhe von diesen Be- ftimmungen zum theil tief berührt werden, ja in einer Weise verleßt werden würden, daß ein größerer Schaden daraus ih ergeben müßte, als mit dem vielfach doch nur s{heinbaren Erfolg, der von den Be- ftimmungen des Antrags zu erwarten sein würde, \ih rechtfertigen lasen könnte.

Im Namen der verbündeten Regierungen kann ich Ihnen daher nur empfehlen: Machen Sie niht diesen Antrag zum Ausgangépuokt Ihrer Verhandlungen, stellen Sie \ih im Prinzip auf den Standpunkt, den die Vorlage der Regierungen enthält; und was die Einzel- heiten dieser Vorlage enthält, so möhte ih Sie zum Schluß im Interesse der Sache bitten, prüfen Sie die Einzelheiten mit der weisen Mäßigung, die der Reichstag doch so oft bewiesen hat, wenn es sh darum handelte, în Fragen, in denen die Anschauungen und Tendenzen auseinandergingen, gleihwohl zu einem Ausgleih zu ge- langen, zu einem Ausgleich, der wenigstens in gewissen Grenzen ein praïtisch brauhbares und segentreihes Ergebniß für das Leben unseres Volkes bedeutet.

Namens der Antragsteller aus dem Zentrum begründet den Antrag der __ Abg. Roeren: Die erste Vorlage wurde von der Regierung infolge der Aufregung gemacht, „welche ein Shwurgerichtsprozeß in Berlin hervorgerufen hatte. Die Sache hat eine Weile geruht, nahdem die erfte Vorlage unerledigt geblieben war. Das Zentrum bat -aber die Frage nit fallen lassea und \{chließlich seinerseits einen Entwurf eingebracht, der j-ßt wiederholt wird in der Fafsung, wie ihn die Kommission angenommen hat. Man bätte erwarten können, daß ‘die jeßzige Regierungêvorlage ih an diese Beschlüffe der Kom- mission, die sh auf das Nothdürftigfte beschränkten, anges{chlofsen hâtte. Der Entwurf weicht aber fogar von der ersten Regterungs- vorlage ab, z. B. bezüalih des § 184 a, sodaß man wünschen möchte, def die bestehende assung aufrechterhalten würde. Der Barrifon- Skandal, lediglih Nacktheiten mit wenig Tricot und obne jede Kunst, und ähnlihe Vorkommnisse von schamlosen Schaustellungen müssen \{ließli4 das cham- und Sittlichkeitsgefühl des Volkes \{chwächen; wir können deshalb auf unseren Antrag nit ver- zihten. Wir können uns nicht damit begnügen, die Unsittlichkeit in Druckschriften zu bekämpfen, wir müssen sie auch bei theatralischen Vorstellungen bekämpfen. Ebenso liegt es bezüglich der Bestimmungen gegen die Kuppelei und gegen tas Zubälterwesen. Besonders aber muß für _den Schuß der heranwahhsenden Jugend vor sitt- licher Gefährdung gesorgt werden; die bestehenden Vor- schriften bezuüglih der unzüchtigen Schriften und Bilder reihen, namentlich bei der jetziaen Auslegung durch die Ge- rihte,. die die \hamloseften Nutitäten ungestraft auétftellen lassen, nit aus. Dadurch wird die Phantasie der Jugend aufgeregt; es folgt bie geheime Sürde und nachher das grobe Lafter. Bon einer Einschränkung der Kunst und Wissenschaft ift keine Rede; die Verfasser der Zeitungsartitel, die darüber sprechen, haben unseren Antrag nit gelesen. Derselbe is durchaus niht dehnbar, er giebt canz bestimmte Merkmale an; das allgemeine Schamgefühl muß gröblich verleßt sein, wenn das Gese in Anwendung kommen soll. Redner weift auf die früheren Kommissionsverhandlungen hin und fährt dann fort: Unbegründete Anzeigen können {ließlich auf Grund jeder Strafvorshrift erfolgen; darnach könnte man \chließlich alle Strafvorschristen abschaffen. Derartige Bedenken könnten auch gegen die Fassung des § 182a niht mehr geltend gemaht werden. Die Gntwürfe werden F wobl einer Kommission überwiesen. Jch hoffe, dáß dieselben ebenso fahlich und ruhig in der Kommission berathen werden, wie in der vorjährigen Kommission, daß die Beschlüsse mit großer Majorität gefaßt werden.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ih \chließe mich der

Ó M g daß endlich eine Verständigung herbeigeführt wird. lit gehört. daß jeder der beiden Theile von seinen Ansichten etwas opfert. Wenn sowohl“ die verbündeten Regierungen wie das Zentrum auf ihrem Schein bestehen, dann wird man pro nihilo gearbeitet haben. Es laffen sich Fälle denken, wo die besten Kunst- werke unter das Geseß fallen. Das Königlihe Museum könnte be- straft werden, weil es die „Leda" des Correggio ausftellt. Die Museen in Rom würden noch viel mehr“ den Strafen ausge- seßt sein. Jch will damit niht der Tendenz entgegentreten, sondern nur zeigen, daß man zwischen Kunst und Ünsittlichkeit niht leiht eine Grenze finden kann. Die Kommission wird sih den Grundsaß zur Richtschnur nehmen müssen, daß das Bessere des Guten Feind ist. Es handelt sih um Unsitlihkeiten, die mehr oder weniger freiwillig begangen sind. Jch möchte deshalb gerade die eigentlichen Ver- brehen treffen, deren Konsequenzen viel \{limmer find als die Konsequenzen der Unzuchtsvergehen. Da, wo es si{ darum handelt, die Vergiftung der jugendlichen Seelen zu verhindern, ift unser Strafgeseßbbuh und unsere Rechtsprehung viel zu lax, weil man diese Vergehen und Verbrechen als Antragsvergehen oder -Verbrechen behandelt. Es handelt sih dabei weniger um das Verbrechen gegen die einzelne Person, als um das allgemeine Interesse. Die Antrags- vergehen führen dabin, daß die armen Leute bestraft werden, während die wohlhabenden sich mit einer Geldbuße freikaufen. Von den Eltern der verleßten Personen werden diese Vergehen oft als Mittel zu Erpressungsversuchen benußt. Die Zahl dieser Verbrehen und Ver- gehen hat zugenommen, aber die Strafen dafür hzben erheblih ab- enommen, sodaß der s{chwere Diebstahl im Durchschnitt strenger estraft wird als ein Sittlichkeitsverbrehen. Redner weist auf eine ganze Reihe von Fällen hin, deren Einzelheiten er in der Kommission vortragen wolle, in denen verhältnifmäßig niedrige Strafen verbängt worden feien, und fährt dann fort: No!hzucht wird milder bestraft als Mord, Raub und Erprefsung, selbst wenn infolge der Nothzucht der Tod eintritt. Im Falle des Rückfalls müßte auf lebenslänglihes Zuchthaus erkannt werden und bei Lustmorden vielleiht auf Todeestrafe. Für Nothzucht an Kindern fehlt es an jeder besonderen Strafe, ebenso find die Strafen für die jungen Leute unter 18 Jahren oft niht ausreihend. Es müßten die Strafminima überall erhöht werden, mindestens da, wo keine mildernden Umstände vorhanden sind. Die Trunkenheit sollte nicht als Milderungsgrund angesehen werden. Die Strafvollstrekung müßte strenger sein. Die Prügel- trafe will ich nicht überall anwenden; denn dur die D gelstrafe wird der Mensch entwürdigt. Aber, wenn ein ens eine No:hzucht an einem Kinde von 12 Jahren verübt, so ist er ein Thier und muß dementsprehend behandelt werden. In England war das Garrottieren garnicht auszurotten. Als die fei tis ein- geführt wurde, war es binnen drei Monaten vers{wunden. Die Einzelheiten müssen der Kommission überlaffen werden. Für die Beftien in Menschengestalt müssen entsprehende Strafen gefunden werden, das ift eine Pfliht gegen Gott.

Abg. Himburg (d. kons.) schließt sih dem Antrage an, die Vo-- [age einer Kommission zu überweisen. Ec weist zur L egründu-g der Nothwendigkeit eines geseßgeberischen Vorgehens auf die statisti]chen Zahlen hin, die der Staa!ssekretär gegeben, und auf die bei der früheren Berathung gehaltenen eingehenden Reden der Abg Schall, Spabn, Pieschel 2c. und erklärt, seine Freunde würden dem Regie- rungsentwurf zustimmen; si: befürhteten von dem Zentrumaantrage eine Gefährdung des Zustandekommens der Vorlage Reoner befürwortet ferner namens seiner Freunde einige Aenderungen der SS 181, 181 a und 184. Von verschiedenen Seiten sei die Aufbebun4 des 8 175 beantragt worden; die Eingaben trügen sogar die Unterschriften hcch- angesehener Persönlichkeiten. Die Eingab-n sprächen von einer Ver- anlagung. Das werde in jedem einzelnen Falle geprüft werden können; aber die Aufhebung der Strafbvestimmung würde das Volk im allgemeinen nit verstehen. Der Antrag es Freiherrn von Stumm werde die Zustimmung der Konservativen finden. Hoffentlih komme die „lex Heinze" entlich zu stande und trage dazu, bei, die Sittlichkeit des Volkes zu heben.

Abg. Dr.- Endemann (nl): Ueber die Aufhebung der in § 175 angedrohten Strafe läßt sich streiten. Die Forderungen des Herrn von Stumm, die Strafminima zu erhöhen, und seine freimüthige Kritik richterlicher Urtheile, bei der ibm der Reichstag nicht folgen kann, haben mich in großes Erstaunen verseßt. Die Vorlage und die Anträge steben niht in allen Punkten in f st-m Zafammenhang. Die „lex Heinze“ sollte doh endli einmal aus der Welt geschaffr werden. Die Bor'age besigt eine sanitäre, eine juristische und eine ethishe S ‘ite. Werden die §§ 180 und 181 angenommen, fo fann sich daran eine Regle- men.i.rung der Proftitution anschließen. Die geihlechtlichen Krank- heiten werden als geheime Krankheiten bezeihnet; w2znn wir ein Reichs - Seuchengeseß für Menschen bekämen, würden tiese Krank- heiten niht darunter fallen. Diese Fragen werden in Berlin und in den Seestädten sehr vershieden behandelt, und namentli mit RNRücksiht auf die leßt-ren wird man fagen müssen: die Proftitutron ist ein unaxusrottbares und au sozusagen ein noth- wendiges Uebel. Die Vorlaze \priht imm:.r von „unsittlih“ Und „unzüchtig“. Was ift Zacht, was ijt Sitte? Man braucht nur die Sittengescbichte zu studieren. Derken Sie an die Arschauungen der böbften Stände im Anfange des Jahrhunde:ts, an die Verschieden- artigkeit der Auffassung von Scham bei den deutschen und den romanischen Völkern. Auf Grund des § 184 ift es nicht leicht, die Grenzen festzustellen. Wir sollten nit eine übermäßige Prüderie zur Schau tragen. Es giebt überhaupt keinen Maßstab für die Sittlichk-it. Auch die beseligende Kraft der Kirche kann ich als eine solche nit anerkennen. Der Protest ntismus ift die Religion des Individualismus, fein Wesen ist der Indivi- dualismus. Ee meine politishen Freunde muß ih in Anspruch nehmen, daß wir auch moralishe Christzen inß, und die chriftlibe Moral is das Höchste, was wic befolgen können, daß wir nämlich unsere Müm-nihen lieven. Dieser Grundsfa wird niht aus unserem Herzen verschwixden. Man kann aber au ret gut moralisch sein, ohne daß man christl ch-religiós ist. Wollen Sie denn alle Menschen d-s Alterthums als unmoralish verdammen ? Man kann in der ersten Berathung nicht auf alle Einzelhe:ten ein- gehen. Ich beantrage taher, die Vorlage einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen.

. Abg. Bargmann (fr. Volkêp.): Wir verbalten uns nicht grund- fäßlih ablehnend zu dieser geseßgeberishen Anregung, sondern sind zur Mêitarbeit bereit auf einem begrenzten Gebiete, wo Erscheinungen unerfreulichster Natur, die si gezeizt haben, ein Eingreifen der Gesetz- gebung erforderli machen. Es ist das ja au unpolttisches Gebiet, wo alle Parteiea zur Besserung der Verhältnisse mitwirken können. Die Vorlage, die wir bekommen haben, hat da- von abgesehen, dicjenigen Beschlüsse der vorjährigen Kom- mission aufzunehmen, die im Hause Anfehtung erfahren haben. Redner wendet si gegen die Vorschläge, die in dem Antrage des Zentrums über die Vorlage hinaus enthalten seien, namentli be- züglich des § 182 2c., und fährt fort: die Bedenken d-s\elben sind in den früheren Verhandlungen fklargelegt worden, namentli besteht ein Zweifel darüber, ob man das Vergehen als Antragsvergehen bebandeln foll oder als ODffizialvergeben.p Bei dem leßteren Verfahren könnten sih dritte, eigentli unbetheiligte Persoren in die Sache einmischen. Wenn also der Gedanke an sh auch Sympathie verdient, so kann man doch nicht alles, was Symrathie verdient, in die Form eines Geseges kleiden. Auch bezüglich der theatralishen Vorst-llungen sollte man niht zu tigmos sein. Die Polizei schreitet do in diesen Fällen oft genug ein. t den §S§ 181, 181 a und 181 b föônnen wir im dagegen gehen die Vorschläge

und Ganzen einverstanden sein, des Notktwendigen hinaus.

Ls der 184 und 184a über das Ma Wenn eine Verschlehterung der Sittlichkeit eingetreten sein sollte, so muß die Reaktion dagegen von innen heraus erfolgen. Redner \chließt mit dem Antrage, die Vorlage einer Kommission zu überweisen, der es gelingen möge, diese Angelegenheit endlih aus der Welt zu schaffen. Abg. Bebel (Soz.): Die Proftitution entspringe meist aus der materiellen Noth der Frauen; das beweise die Statistik des französischen Mediziners Parent-Duchatelet und die des Berliner

Deus. Die Hebung der unteren Volkéklassen werde die rostitution beseitigen; dazu gehöre eine umfafsende Sozialreform.

Die niedrigen Löhne der Arbeiterinnen gen sie faft zum unsitil Lebenswandel. Zur Verbesserung T der Arbeiterin sei eine Ausdehnung des Koalitionsrechts und der \pektion nothwendig, die Schaffung von Unterkunftsräumen für dieselben, damit ih in eter Wise in der arb-itsfreien Z-it unterhalten önnten. Die Vorlage würde die Einführung von Bordellen, von Toleranzhäufern geftatten. Die Sozialdenokraten würden aber unter allen Uaoständen dagegen lebhaften Widerspruch erheben wüssenz denn darunter würde die Sittlichkeit leiden, weil man den Besuch ftaatlich am ats pad Toleranzhäuser niht als unsittlih betraten würde, Die Regierung habe erklärt, daß sie von dem Arbeitgeber-Paragraphen nihts wissen wolle; Freiherr von Stumm habe auch gegen denselben Jebhaft polemisiert. Die Ends, die dadur beseitigt werden sollten, beständen aber thatsählich in großem Umfange, und die Be, ftrafungen der ‘Arbeitgeber hielten sih ia sehr beschränkten Grenzen. So werde es auch in Zukunft bleiben. Dem § 184 könnten vie Sozialdemokraten nicht zustimmen; es würde davon niht nur der Verkäufer und der Käufer von unzühtigen Bildern and Schriften betroffen, sondern auch das Dienstpersonal, das z. B, folhe Bücher aus Leihbibliotheken abhole, das Personal der Kunsft- bändler x. Bei Theaterauffürungen, Tingeltangeln sei die Polizei sehr weitherzig. Die Aufhebung des § 175 ha Wider'pruch ge- funden. Die Thatsachen, die er (Redner) in der Kommission an- geführt habe, habe man aber nicht bestreiten können. Be- zuglih der Geschle&tskranken müsse die Gesetzgebung endlich einschreiten, um die Gesundheit des Volkes zu verbessern. reiberr von S'umm sei für die Prügelstrafe und für die Ver- chärfung der anderen Strafen e:ngetreten Je bärter und gräusamer aber die Strafen jeien, desto weniger wirkten sie. Jn den Schulen mache man deshalb auch von der Prügelftrafe keinen Gebrauch mehr. Ob die Rihter bei Sittlichkeitsverbr hen gegen Kinder besonders leite Strafen verhängten, wisse er niht. Hier in Berlin würden aber notorish Kinder unter 14 Jahren zur Unzucht verwendet; die Polizei kenne die Kinder und \chreite niht ein. Aud die Sittlichkeitsver- breher würden oft begnadigt, wenn sie den höheren Ständen ange- börten. Redner führt einen Fall aus Bayern an. (Präsident Graf von Ballestrem: Jch bitte, die Begnadigungérehte der deutschen Fürsten nicht in die Debatte zu ziehen.) Redner führt zum Schluß weitere Begnadigungsfälle an.

Abg. Gaulke (fr. Vag.) erklärt sich mit einem Tbeil der Vor- lage einverstanden, hat aber Bedenken gegen die Erhöhung des Mindeststrafma2ßes im § 189 und macht überhaupt spezielle jur!ftisch{- tehnische Bedenken gegen die §§ 134 und 184a geltend; die endgültige Eritfcheidung würden ieine Freuade davon abhängig machen, ob thnen durch die Statistik das Bedürfniß für eine Aenderung der Gesetz- bena nachgewiesen werde. Redner wendet si dann gegen die Vor- riften, die der Antrag des Zentrums noch über die Re-gierungs- vorlage hinaus enthalte. Bezüglich des Antcags des Abg. Freiherrn von Stumm lebnt Redner die Rückfehr zur Prügelstrafe ab.

S ¿Sieht A erge T Persönlih bemerkt

g. Freiherr von umm, daß er gegen den § 182 a durchaus niht lebhaft polemisiert habe. fn Î V

Abg. Lenzmann will bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung gegen den Ag. Freiherrn von Stumm mahhen in Bezug auf einen früheren Fall. Da der Präsident dies niht zuläßt, beruft er sih auf eine ihm gemachte Zusage, infolge deren er auf das Wort zur Sace verzichtet habe.

Präsident Graf von Ballestrem: Eine solche Zusage babe E E gemacht, weil sie der Geschäftsordnung widersprechen

rde.

, Die Vorlage wird darauf ciner Kommission von 21 Mit- gliedern überwiesen.

. Das Haus erledigt darauf noch einige Wahl- prüfungen. Die Wahlen der Abgg. Rickert (fr. Vgg.), Zeidler (d. koas.), Depken (nl.), von Winterfeldt (o. fons.) und Dr. Sattler (nl.) werden für gültig erklärt, die des Abg. Stoedcker (b. k. F.) beanstandet.

Schluß 51/7 Uhr.

(Etats der Kolonien und des Auswärtigen Amts.)

Preußfzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 39. Sißung vom 9. März 1899. zweite Berathung des Staatshaushalts-

Die Etats für 1899 wird bei dem Etat des Ministeriums der geistlihen, Unterrihts- und Medizinal-An- gelegenheiten fortgeseßt in Verbindung mit der Berathung des zweiten Nachtrags zum Normal-Etat vom 4. Mai 1892, betreffend die Besoldungen der Leiter und Lehrer der höheren Unterrichtsanfstalten, und der Berathung der Uebersicht über die Durchführuna der neuen Besoldungsordnung für die Unive: sitäts-Professoren.

Zu dem Titel „Einnahmen aus dem Kultus und Unter- riht gemeinsam“ bemerkt

Abg. Dauzenberg (Zentr.): Der Kultus-Minist-r hat mir ¡war soeben großes Gntzegenkommen gezeigt (der Minister hatte dem Redner unter großer Heiterkeit des Hauses die and gereiht), aber eine volle Berücksichtigung unserer Beschtverden hat er immer wteder abgelehnt. Es ift natürlid nicht angenehm, unsere Beschwerden zu wiederbolen und uns den Vorwurf zuzuziehen, daß wir den konfeisio- nellen Frieden ören. Auch wir {äßen den konfessionellen Frieden als fottbares Gut, aber die Grundlage eines wiriklihen Frie- dens ift, daß wir Katholiken niht mit zweierlei Maß gemessen werden. Der Minister hat selbs anerkannt, daß von den Kirchen- geseßz-zn noch manches stehen geblieben fei, w2s für die katholische Kirche hart, unbequem und läftig sei, und er wollte mit der Zeit die Härten beseitigen. Seit seiner Zusage sind fünf Jahre verflofsen, und es ist bis j t nichts geschehen, troßckem im Reichstage die wih- tigsten Geseye, wie das Bürgerlihe G-jeybuh, mit Hilfe des Zen- trums zu stande gekommen sind. Die katholische Kirche sowohl wie die evangelishe Kirhe muß sfelbstäadig gestellt werden. Wozu die Staatshoheit über die katholishe Kirhe? Der Staat kennt die fkatho- lische Kirche: sie leitet die Gläubigen zu Treue und Geborsam gegen die Obrigkeit an. Ein dauernder Friede ist nur mögli, wenn die Kirche ihre Einrichtungen selbständig ordnet. Wir wollen die Wieder- herstellung der fatholischen Abtheilung im Kultus - Minifterium nicht beantragen. * Daraus i “aber nicht zu \{ließen, daß diese Ab- theilung nit nothwendig wäre. Gegenüber der evangelischen Ab- theilung in Desterreih ift die katholishe Abtheilung in Fre der reine Schatten. Ih habe bereits im vorigen Jahre die Gesetze be- zeinet, die wir beseitigt schen möhten. Das Gesetz über die Ver- mögensverwaltung der fkatholishen Kirche . ist revisionsbedürftig. In Bezug auf die Ordensgeseßg-bung müssen wir eine größere Parität verlangen. Kein Gesetz verlegt so sehr das Gefühl der katholishen Bevölkerung als das Ordensgeseß, weil es unsere Ordensniederlafsungen von der ftaatlihen Genehmigung abhängig macht, die den entsprehenden evangelishen Niederlassungen nit auferlegt is. Nicht minder empfindlich if es für uns, daß die Altkatholiken unser Kircheneigenthum antasten dürfen. Auch hin- sichtlich der Schulaufsicht sind unsere: Beshwerden niht berücksihtigt. Die Schule ift niht bloß eine Bildungs-, sondern auch eine Er S Panlalt und der Lehrer muß den Kindern in der Pflege des religiösen Sinnes mit gutem Se vorangehen. Die Schule muß eine chriftlihe sein. Wohin die liberale Doktrin in der Schule führt, is das Beispiel anderer Staaten, wie Frankreich, wo in der Squle ni t einmal der Name Gottes genannt werden darf. Die olge ift natürlich die Verrohung der Jugend. Der Staat kann die Hilfe der hriftlihzn Kirche nit entbehren.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Nächste Sißzung Freitag 1 Uhr. &

H

- zum Deutschen Reichs-A

„K 60. |

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Minister der geistlichen, Unterrihis- und Medizinal- Angelegenheiten D. Dr. Bosse:

Meine Herren! Als ih dem geehrten Herrn Vorredner vorhin die Hand reichte, war das der Auësdruck meiner aufrichtigen und auf jahrelangem Verkehr hier im Hause beruhenden Hochachtung vor ihm und zugleich auch der Ausdruck dafür, daß ih beim Wiederdurchlesen der vorjährigen Etatéverhandlungen allerdings den Eindruck empfangen hatte, daß unsere gegenseitige Aussprahe wenigstens in der Form milder, fahliher, ruhiger geworden war. Der Herr Abg. Dauzenberg scheint niht ganz dieser Meinung zu sein,* denn er sagte, ih hätte die Ablehnung der von ihm aufgestellten Forderungen im vorigen Jahre entschiedener als je betont. Jch weiß nicht, ob das rihtig ist; meinte er aber: ebenso entschieden wie je, so ist das rihtig. Das fann ih auch nit anders, und ih mag alles in der Welt sein, aber ein muthbiger Kultus-Minister wäre ih nit, wenn ih meine Ueberzeugung hier niht mit derjenigen Ent- \ciedenheit betonen und geltend machen wollte, wie ih sie in meinem Amte zu vertreten und zur Geltung zu bringen suhe. (Bravo !)

Meine Herren, ich erkenne völlig an, daß der Herr Abg. Dauzenberg auch heute gegen mich persönlich in freund- liher Form gesprochen und sich bemübt hat, unröthige Schärfen der Form aus seiner Nede fernzuhalten. Jh heiße das durchaus willkommer, und ih werde mih bemühen, das Gleiche zu thun. Aber, meine Herren , darüber gebe ih mi keiner JlUusion hin, daß unter dieser milden Form die Angriffe wieder dieselbe Schärfe und vielleiht noch eine größere gehabt haben (fehr richtig ! links), wie früher. Und deshalb wollen mir die geehrten Herren es au niht übel nehmen, wenn ich zwar mit Vermeidung unnötbiger Schärfen, aber doch mit der vollsten sahlihen Deutlichkeit meinen Stantpunkt den Forderungen des Herrn Abgeordneten gegenüber dar- lege. Ich hatte es auf der Zunge, die Anwendung auf den „christ- Tihen Kultus-Minister“ zu machen; ih will es aber unterlassen, viel-

- Teiht fommt dadurch ein Mement der Perfönlichkeit in die Diskussion, das besser vermieden wird.

Herr Abg. Dauzenberg hat seine Ausführungen begonnen mit eirer alten Forderung. Er hat gesagt, er und seine Freunde müßten von der Regierung verlangen, daß fie ihrerseits die Jnitiative zur Beseitigung der Reste in der Kulturkampfgeseßgebung ergriffe. Fh habe zu dieser Forterung {hon früher ganz bestimmte Stellung genommen; ich habe, wie der Abg. Dauzenberg richtig her- vorgehoben bat, anerkannt: es ift wohl möglich und ih will es nicht beftreites —, daß in diesen Resten der Kulturkampfgeseßgebung noch einzelne Punkte sind, welche für die katholishe Kire unbequem find und au gewisse Härten enthalten (hört, hört! im Zentrum), welche wenigstens so empfunden werden. Aber, meine Herren, daran muß ih doch auch jeßt festhalten, was ih hier so oft ausgeführt habe: Als in den 80er Jahren die Regierung erkannt hatte, daß es auch für den Staat wünschenswerth sei, dem Kulturkampf ein Ende

® ¡zu machen, hat fie ohne jeden Zweifel das damals Konzedierte als die äußerste Grenze desjenigen betrahtet, was der Staat ohne Aufgabe seiner Rechte konzedieren könnte, und deshalb ist damals der Abschluß als ein Friede angesehen und niht bloß als ein Zugang zum Frieden. (Bravo!) Lesen Sie die Verhandlungen des Herrenhauses, in dem diese Dinge sehr ausführli® behandelt find, unbefangen durch, und dann werden Sie mir zugeten, daß damals diese Auffassung bestanden hat. Jst das aker richtig, so frage ih Sie: kann man billigerweise von der Negierung verlangen, daß sie nun ihrerseits Abänderungsvorshläge matt in diesen feinen, zarten Dingen, die eigentlich nur von katholisher Seite in ihrer Tiefe. recht definiert und dargestellt werden können? Das i} doch Sache der Herren, die cine Aenderung verlangen. Jh würde mi dazu nur veranlaßt sehen, wenn ih auf sehr friante Ungerechtigkeiten s\tieße.

! Darauf bin ih aber bis jeßt nicht gestoßen. Ich habe bis jeßt den Ein- druck gehabt: bei gutem Willen von beiden Seiten ift in Frieden zu leben. (Sehr gut! rechts.) Das ist der Grund, weshalb ih es niht auf mih nehmen fann, die Initiative zu einer Aenderung dieser Gesetze zu ergreifen.

Der Abg. Dauzenberg hat gemeint, die Herren hätten niht einmal das Material; das bâätten wir viel reihliher. Wenn es ihm darauf ankommt, so sind wir noch niemals ängstlich damit gewesen, Herren aus diesem Hause das Material, das wir besißen, zur Disposition zu stellen; das wollen wir Ihnen gern gewähren.

Der Herr Abg. Dauzenberg hat weiter behauptet, die Regierung stände so, daß sie ncch immer glaube, den Katholiken gegenüber thun zu dürfen, was ihr beliebt. Nein, Herr Abg. Dauzenberg, das ift niht gereht geurtheilt. Parität, die Sie hier immer betonen, beruht auf Ge- rehtigkeit. Sie thun uns ein schreiendes Unrecht, wenn Sie sagen, wir glaubten der katholishen Bevölkerung gegenüber thun zu können, was uns beliebt. Das wollen wir nicht. - Wir wollen die katholishe Be- völkerung behandeln, wie es ihr auf Grund der Geseße zukommt, mit voller Gerechtigkeit, und zwar gleihmäßig mit jeder anderen Kon- feffion. (Bravo! rechts.) Das ist unser Begriff der Parität. Nach dem habe ih gebandelt, und nah dem handle ich und werde ich handeln, fo lange ih Minister bin.

Herr Dauzenberg hat anerkannt und ih will wenigstens dieses kleine Anerkenntniß hier konstatiren —, daß die Ordnung der äußeren Ver- hältnisse der Katholiken in Preußen im allgemeinen ein ganz befriedigendes Bild gäbe. Dieses Zugeständniß nehme ih gern an. Mir ist auf Grund fehr sorgfältiger Informationen unzweifelhaft, daß die katholische Kirche in Preußen so gut steht, wie in irgend einem andern Staate, die sogenannten fkatholischen Staaten niht ausgenommen; und wenn Sie uns die Hand bieten, so können wir ganz gut in Frieden leben. Aber Sie dürfen freilich niht vergefsen, daß in dem Staate auch zwei Drittel der Bevölkerung protestantish sind, und daß man nicht die Protestanten so behandeln kann, als wenn sie über- h aupt nicht existierten (sehr richtig! rechts. Zuruf im Zentrum: Ver-

Zweite Beilage

nzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Freitag, den 10, März

langen wir nit !); das geht niht an; Gerechtigkeit müssen wir üben, und das wollen wir au.

Nun sagt der Herr Abg. Dauzenberg, nah dem französischen Kriege sei die Stellung der preußischen Regierung gegenüber der kfatholishen Kirche eine geradezu feindselige geworden. Jh habe das nicht zu vertreten. Jch bin kein Freund des Kulturkampfes gewesen, vom ersten Anfang an niht. Ich bin der Meinung gewesen, daß da auch pelitishe Fehler vorliegen. Hervorheben aber möchte ih: die preußische Regierung ist doch niht im Anshluß an den Krieg und an den Sieg in diese s{chweren Kämpfe hineingegangen, fondern diese Käwpfe hatten ihren Anlaß in dem vatikanischen Konzil. (Sehr richtig! rechts, lebhafte Unruhe, Oho! im Zentrum.) Das ist do eine Thatsache. Ob es berehtigt war, aus dem Konzil den Anlaß zu entnehmen, will ich dabingestellt sein lassen. Aber Sie können do nicht sagen: der Krieg ist der Anlaß gewesen. Viel- mehr war die Auffassung, welche die preußische Regierung von der Tragweite jener Beschlüsse hatte, der Grund, weshalb sie in diesen Kampf eintrat, in cinen Kampf, den ih, wie gesagt, so wie er geführt worden ift, nit billige.

Nun fagt Herr Abg. Dauzenberg, die preußishe Regierung müsse doch die Hand dazu bieten, reinen Tisch zu maten, die Selbst- ständigkeit der Konfessionskirhen in der Ordnung ihrer Angelegen- beiten herbeizuführen. Jch behaupte ganz abgesehen von dem Ver- fassungssaß —: die Konfessionskirchen sind in der Ordnung ihrer An- gelegenheiten selbständig, und namentlich die fkatholishe Kirhe. Die evangelische Kirche steht nach ihrer ganzen historishen Entwickelung, nach ihrer Organifation, nah der bekannten Uebertragung landes- tirhenregimentliher Befugrisse, ja des ganzen wesentlichen Kirchen- regiments auf den Landesherrn völlig anders zum Staate, wie die katholishe. Aber das kommt Ihnen ja zu statten; Sie {ind ja absoiut frei nah dieser Seite bin, und da, wo der Staat noch einen Einfluß hat, find es staatliche Interessen, die mit den kirhlihen konkurrieren. Daß es ein folhes Grenzgebiet giebt, auf welhem Staat und Kirche gemeinsam betheiligt sind, wo möglicherweise ein Ueber- griff der Kirche für den Staat außerordentlich \chwer oder garnicht ertragen werden fann, und umgekehrt, wo ein falsher Eingriff des Staats in das kirhlihe Gebiet die Kinhe an ihrem Lebensnerv treffen kann, das erkenne ich durhaus an. Zur Regelung dieses Grenzgebiets dienen aber gerade die fkirhenpolitishen Gesetze, wie wir sie noch haben, und die, wie ih glaube, mit Milde und Gerettigkeit gehandhabt werden. Nein, meine Herren, bei uns beanspruht die Staatsregierung niht die absolute Staats- omnipotenz. ;

Der Herr Abg. Dauzenberg hat gemeint, es wäre hier mal die Aeußerung gefallen, der Staat dürfe nicht stille stehen vor dem Dogma der Kirche. Jch unterschreibe diese Aeußerung niht. Vor dem Dogma der Kirche muß der Staat stille stehen, sobald es sih um die Gewissensfreiheit handelt. Sobald -. es fich um einen Eingriff in die Gewissen handelt, kann der Staat niht über das Dogma der Kirche hinweggehen. Wenn er darüber hinweggeht, thut er etwas Falshes. (Sehr rihtig! im Zentrum.) Die Gewifsensfreiheit is das höchste Kleinod. Darüber kann der Staat, auch wenn es gegen sein Interesse geht, niht hinweg- schreiten; hier muß er stille ftehen. Das Gewissen muß er frei lassen und thm Raum s{affen, daß es seine Befriedigung bekommt. In diesem Punkte bin ih mit Herrn Dauzenberg ganz einverstanden. Wir haben uns darüber, glaube i, früher wiederholt ausgesprochen.

Was nun die Einzelbeshwerden anlangt, so kommt in erster Linie wieder der alte Bekannte, die katholishe Abtheilung im Kultus- Ministerium. Ich kann nur wiederholen, ih bedauere den völligen Irrthum, in dem sich die Herren über die Bedeutung und die Wirkung dieser Abtheilung befinden. Wenn Sie jeßt die katholishe Abtheilung bei mir wiederherstellen wollten, so wäre das für die katholishe Kirche zweifellos ein Schaden. Es hieße das geradezu, den Streit der Kon- feisionen, den Gegensaß der Konfessionen in das Ministerium als Organi- sation hineintragen (sehr rihtig! rechts und bei den Nationalliberalen), und das will ih nicht. In dem Moment, wo ih das thue, \tôre ih das jeßige gute, auf gegenseitiger Achtung [und Toleranz beruhende Verhältniß der Abtheilungen des Ministeriums untereinander, in dem Moment wird ein Eegensay zwishen den ver- schiedenen Abtheilungen des Ministeriums geschaffen, wie es auch früher der Fall gewesen ist, Und meine Herren, das ist au ein Sah der Heiligen Schrift : „Wie kann ein Reich bestehen,

wenn es mit sich selbs uneins ist 2“ (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Das kann kein Reih und auch kein Ministerium. Im Interesse der katholishen Kirche selbst kann ih eine organifierte fkatholishe Abtheilung niht zulassen. Das wäre ein ganz falsher und verkehrter Schritt. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Was nun das Geseh über die Vermögensverwaltung der katholischen Kirchengemeinden anbetrifft, so haben wir uns hiecüber oft unterhalten. Ganz gerecht, Herr Abg. Dauzenberg, haben Sie uns auch in diesem Stück nicht bekandelt. Jh habe im vorigen Jahre dargelegt, wie früher {on wiederholt, daß tas Gesey selbst die Möglichkeit vorsieht, es da, wo es unnöthig ist, und eine unnöthige Ershwerung hervorruft, zu beseitigen. Das haben wir im großen Umfange in der Rheinpro- vinz gethan. Ich habe die Herren Ober-Präsidenten angewiesen, ih mit den Herren Bischöfen ins Benehmen zu seten. Die Bishöfe haben das mit Freuden acceptiert, und wir haben in einer Anzahl von [kleinen Gemeinden den bier unnöthigen Apparat vereinfacht. Es besteht hier voller Friede und volle Einigkeit. Also, meine Herren, ih begreife garnicht, weshalb Sie mir aus diesem Geseß Vorwürfe machen.

Ich stehe zur Zeit auf der ganzen Linie mit den Herren Bischöfen in durchaus friedlihem Ginvernehmen, ein Zeichen, daß es doch möglich ist, die katholishen Angelegenheiten so zu verwalten, daß ein modus vivendi, ein friedlihes Verhältniß zwishen den beiden großen Kon- fessionen hergestellt werden kann.

Auf die Schule will ih jeßt niht näher eingehen. Aber das ist nit richtig, daß ih die Schule abfolut verstaatlihen wollte; das ist

1899.

niht meine Tendenz. So hat \sich wohl auch der Herr Abg. Dauzen- berg niht ausgedrüdckt. Aber er hat doch gemeint, die Tendenz der Regierung ginge wenigstens dahin, die Schule ganz zur Staats\{hule zu machen. Meine Herren, das is ein Mißverständniß. Da frage ih zuerst: was is Staats\{hule? Wenn Sie darunter verstehen, daß die Schule weder die Rehte der Eltern, noch der Gemeinden, noch der Kinder an der Schule respektiert, dann haben wir keine Staatss{ule und wollen sie auch nicht haben. Aber das muß ich allerdings sagen: in erster Linie muß der Staat dominus negotii in der Schule fein das it eire alte preußishe S{ulpolitik —, und es if unmögli, daß der Staat sich in die Herrschaft über die Schule mit der Kirhe oder mit der Gemeindêëê theilt. Er foll die Rechte der Ge- meinde, die Rechte der Kirhe, die Rehte der Eltern an der Schule anerkennen,. und dies geschieht auGß ob in vollstem Umfange, will ih jeßt dahingestellt sein lassen; es mag Ihnen ja die thatsächlihe Anerkennung dieser Rehte niht genügen; nah meiner Ansicht werden sie in den allererheblichsten Beziehungen anerkannt. Aber dominus negotii in der Schule is und bleibt der Staat, und folange das Squlaufsihtëgeseß besteht, meine Herren, werden Sie nichts „daran ändern. Das bestreite ih jedo auf das entschiedenste, daß die fkatholishe Kirhe bei der Wahrnehmung der Volkss{hulangelegenheiten unwürdig behandelt wird. Nein, meine Herren, ih bemühe mih auf das \org- fältigste, der katholishen Kirhe wie der evangelishen Kirche hier ihr Recht zu theil werden zu lassen, und ich mae gar kein Hebl daraus : ih bedarf ihrer und nehme den selbstlosen Dienst, den die kirchlichen Organe auf beiten Seiten der Schule leisten, da, wo keine Bedenken gegen die Person bestehen, mit Dank und mit großem Respekt an. Wir können diese Dienste garniht entbehren, weder aus finanziellen noch aus tehnischen Gründen.

In dem, was der Herr Abg. Dauzenberg über die Schultehnik gesagt hat, war sehr viel Wahres, und ih \timme ibm darin ganz bei: mit der bloßen Schultechnik ohne rihtige Erziehung, ohne den tiefen Grund aller Erziehung, die Religion, ist uns garniht ge- holfen; das ift ein leeres Geklingel. (Bravo! im Zentrum.) Darin sind wir ganz einverstanden. Die rechte Schultehnik muß vor allen Dingen auf der religiôósen Erziehung der Jugend be- ruhen. In diesem Sinne, meine Herren, ich hoffe, daß darin der Herr Abg. Dauzenberg mit mir einverstanden if it der sozialdemokratishe Sah: Religion ist Privatsahe eiae große Lüge und Unwahrheit. Religion is Volkssahe, im eminentesten Sinne Volksfahe! (Bravo! im Zentrum und rechts.) Das ift die wahre Stellung der Religion. Diess Stellung muß se au in der Schule haben (Bravo! rechts und im Zentrum), und ih werde mich bemühen, soweit es an mir ift, dahin zu wirken, daß ihr diese Stellung erhalten bleibt. Das soll niht eine Einschränkung unserer Schulziele sein und am allerwenigsten eine Nück@kehr zu einem Verdummungss\ystem. (Bravo! rechts und im Zentrum.) Im Gegentheil, ih erkenne die Leistungen der Schule an und freue mi, daß auch Herr Abg. Dauzenberg sie anerkennt. Man braucht nur ein offenes Auge zu haben, rings herum zu sehen, daß die preußishe Schule, mag sie au} Mängel haben, doch noch etwas bedeutet; denn sie ist das Vorbild für die Volksshule aller Kultur- staaten. Meine Herren, wir haben allen Grund, darauf stolz zu sein, aber au allen Grund, die Augen aufzumachen und Hand anzulegen, um die Dinge nicht versumpfen zu lassen, sondern sie auf die rechte Basis zu stellen und zu befsern, wo es zu bessern giebt; und wo es irgend zu bessern giebt, wo Sie mir Mängel zeigen, denen abzuhelfen ist, da werden Sie jederzeit meine hilfsbereite Hand finden. (Bravo !)

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Es widerstrebt mir, längst wider- legte Dinge immer wieder von neuem zu widerlegen. Die Worte des Herrn Dauzenberg würden für mih eine größere Autorität haben, wenn nicht der Fürstbischof Kopp im Herrenhause gesagt hätte, daß er und Dasbach unverantwortlihe Vertreter des katholischen Klerus seien. Allerdings gebe ich zu, daß die Anschauungen des Herrn Dauzenberg im Kreise der Katholiken weit verbreitet sind. Die rôömishe Kurie soll, wie gesagt worden, ihren Frieden mit dem preußishen Staate mit dem Hintergedanken gemaht haben, daß se Nachforderungen ftellen werde. Der Staat hat aber allein die Grenze zu bestimmen in der Staatsgeseß- gebung und im Staatskirhenrehte. Der Minister bätte nicht staats- männish klug gehandelt, wenn er in der Beseitigung der Härten die Brücke des Zentrums betreten hätte, Die Haltung des Zentrums im Reichstage erklärt sich doch wohl aus seiner Pfliht. Für das, was man pflihtmäßig thut, brauht man aber keine Entshädigung, und darum ist es nit rihtig, wenn man hier, wenn au versteckt, eine do ut des-Politif treibr. Wir Nationalliberalen lassen uns von der pflihtmäßigen Unterstüßung der Gesehgebung auch dadurch nicht ab-. halten, daß wir von hohen Staatsbeamten bei den Wahlen u. st. w. {chlecht behandelt worden sind. Ih muß dagegen protestieren, daß wir während der Zeit des Kulturkampfes jemals die po lifbes gezeigt hätten, uns in die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche zu mishen. Die evangelishe Kirhe hat den Kampf mit der katholishen Kirche nicht zu fürhten, sie hat aber ihrer ganzen Ent- wickelung nah nicht dieselbe Bewegungsfreiheit wie die katholische, und darum dürfen die Waffen nicht ungleich sein. Es wäre unhaltbar, wenn jede Kirche sih auf ihre göttlihe Institution heriefe und jede staatlihe Einwirkung lahmlegte. In Oesterrei, Bayern und in den romanischen Ländern hat die katholishe Kirche viel weniger Freiheit als in Preußen. Das Zentrum wünscht ein Konkordat mit Preußen. Das ift aber niemals mögli, ohne die Protestanten aufs tiefste zu shädigen. Die katholishe Abtheilung hat eine unheilvolle Wirksam- keit ausgeübt. Der Minister kann ih ja dur seine katholischen Räthe informieren. Wir würden an dem Ordensgeseß gern Aende- rungen machen, wenn nicht die katholishe Bevölkerung selbs im Großen und Ganzen mit diesem Gesetz zufrieden wäre. Auch Windt- horst hat sich mit demselben einverstanden erklärt. Mit Herrn Dauzen- berg ist ein Frieden überhaupt nicht zu {hließen. In zehn Jahren haben sd die Ordensniederlassungen verdoppelt. (Zuruf im Zentrum:

as geht Sie das an?) Erkennt die katholishe Kirche die Alt- katholiken nicht an, so muß sie wenigstens sich mit ibnen ver- mögensrehtlich auseinanderseßzen. Wie intolerant das Zentrum ift, genen die: Ab ise 1

le betrifft, so können Sie doch nit verlangen, daß der Staat s{hultechnisch unzureihende Geistliche mit der Schulaufsicht beauftragt. Man beweise uns erst, daß unsere jeßigen Schuldirektoren und die Lehrer nicht religiöse Leute

von 6000 bei den Zushüssen sür alt- katholishe Geistlihe und Kirchen. Was die