1874 / 227 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 28 Sep 1874 18:00:01 GMT) scan diff

Hannover, 27. September. Der achte Hannoversche Provinzial-Landtag ist heute Mittag 2 Uhr durch den Königlichen Kommissarius, Ober-Präsidenten Grafen zu Eulen- burg, mit folgender Rede eröffnet worden:

Hochgeehrte Herren! Namens der Königlichen Staatsregierung begrüße ih Sie bei Ihrem erneuerten Zusammentritte in der Zuver- siht, da E Arbeiten unter der bewährlen Leitung des Herrn Landtags-Marschalls und seines Herrn Stellvertreters auch diesmal von so günstigem Erfolge begleitet sein werden, wie bisher.

Die im vorigen Jahre von dem Provinzial-Landtage berathenen Geseßentwürfe, betreffend die Abänderung des §. 125 der bürgerlichen Prozeßordnung und die den geistlichen und Schul - Instituten, sowie den frommen und milden Stiftungen zustehenden Realberehtigungen, haben Geseßeskraft erlangt, ebenso das aus der Jnitiative des Provimial-Landtages hervorgegangene Geseß über das Höferecht in der Provinz Hannover.

Zwei neue Gesehentwürfe werden Jhnen zur Begutachtung vorge- legt werden; der eine betrifft das einer anderweitigen Regelung drin- gend bedürftige ehelihe Güterreht im Landdrosteibezirke Osnabrück, der andere bezweckt die Einführung der in der Stadt Goslar geltenden Geseße und Verordnungen in den nah dem Staatsvertrage über die Theilung des Kommuniongebie!s am Unterharze mit Preußen vereinig- ten Gebieten. ;

Die Abänderungen der Verfassungen der Hoya-Diepholzschen und der Bremen-Verd enschen Landschaft, mit welchen der leßte Provinzial- Landtag sich einverstanden erklärt hat, haben die Königliche Genehmi- gung erhalten.

Die damals angeregte Reorganisation der Osnabrückschen Land- schaft ist soweit gefördert, daß Ihnen ein Verfassungsstatut für die- selbe, sowie ein Statut, betreffend Abänderungen der Verfassung der Osnabrückschen Ritterschaft, wie solhe von den betheiligten Korpora- tionen beschlossen find, werden vorgelegt werden. Die Reform der Osnabrückshen Brandkasse ift gleichfalls in Angriff genommen, aber noch nicht soweit vorbereitet, daß Ihnen eine Sivauf bezügliche Vor- lage gemaht werden könnte.

Auch diesmal werden Sie zwei Abgeordnete und deren Stellver- treter behufs Mitwirkung und Kontrole bei den Geschäften der Direk- tion der Rentenbank für die Provinzen Sachsen und Hannover zu wählen haben. i ;

Im Uebrigen wird die Erledigung der laufenden Geschäfte Ihre Thätigkeit in Anspruch nehmen, namentli a dem Gebiete der prc- vinzialständischen Verwaltuug, deren Ergebnisse auch im verflossenen Jahre Ihnen zur Befriedigung gereichen werden. e

Im Allerhöchsten Auftrage Sr. Majestät des Kaisers und ATa0s erkläre ih den achten Hannoverschen Provinzial-Landtag für eröffnet.

Nach dem Schlusse dieser Ansprache brachte der Landtags- Marschall, Graf zu Münster-Derneburg, ein dreimaliges Hoch auf Se. Majestät den Kaiser und König aus, in welches die zahlreih versammelten Mitglieder lebhaft einstimmten.

Bayern. München, 25. September. Im Vouzuge des

. 40 der Schulordnung vom 20, August l. Is. hat das König- liche Staats-Ministerium für Kirhen- und Schulangelegenheiten die allgemeine Disziplinarordnung für die Studien- anstalten des Königreichs erlassen. Diese Disziplinar-

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sazungen sind sofort mit dem Beginne des neuen Schuljahres

von den Studienrektoraten den Schülern in feierliher Weise be- kannt zu geben. Sollten außer dieser allgemeinen Disziplinar- ordnung mit Rücksiht auf die örtlihen Verhältnisse für einzelne Studienanfstalten noch besondere Schulsaßzungen als nothwendig sich erweisen, so find fie möglihst bald im Entwurfe herzu- stellen und dem genannten Staats-Ministerium zur Genehmi- gung vorzulegen. Die Disziplinarsaßungen enthalten 57 Para- graphen und umfassen in vier Abtheilungen die allgemeinen Pflichten der Schüler, das Verhalten derselben in der Schule und beim Unterricht, sowie außerhalb der Schule und die Dis- giplinarstrafen. Nah den Schlußbemerkungen soll jeder Schüler ein gedrucktes Exemplar derselben erhalten und eine Bescheini- gung darüber beibringen, daß er dasselbe seinen Eltern oder deren Stellvertretern zur Einsicht vorgelegt hat. ‘Eltern und deren Stellvertreter sind verpflihtet, das Rektorat in der Hand- habung der Disziplin zu unterstüßen und demselben auf Ver- Tangen Aufshluß über den häuslichen Fleiß und die Lebens- ordnung ihrer Söhne und Pfleglinge zu geben.

Der Kaiser von Desterreih kommt, wie der „Korr. v. u. f. D. meldet, zwishen dem 3. und 4. Oktober nah Possenhofen, um mit der zu dieser Zeit bei ihrer Mutter dort weilenden Kaiserin zusammenzutreffen. (S. jedoch Wien).

Sachsen. Dresden, 26. September. Morgen Nach- mittag findet bei den Königlihen Majestäten in Pillnig größere Tafel ftatt, zu welcher die sämmtlichen Mitglieder der gegenwärtig hier tagenden Konferenz der europäishen Grad- messung, sowie die Staats-Minister, der Minister des Königlichen Hauses und der Abtheilungs-Direktor im Königlihen Finanz- Ministerium, Geheimer Rath Freiersleben, Einladungen erhalten haben. Die Geladenen werden Nzchmittags durch ein vom Ober-Hofmarschall bereit gestelltes Extradampf\hiff} von Dresden nach Pillniß befördert werden. Am Montag werden der Kö- nig und die Königin sih von Pillniß zu einem mehrtägigen Auf- enthalte nach Rehefeld begeben und sóödann in der Königlichen Villa zu Strehlen Aufenthalt nehmen. Die Königin Mut- ter gedenkt bis gegen Ende des Monats Oktober in Pillnig zu verbleiben.

Das „Dr. J.“ \chreibt:

Die Bemühungen der Staatéregierung,“ über die Einführung der neuen organischen Verwaltungsgeseße in den Schön- burgschen Rezeßherrschaften zu einer Vereinbarung mit dem Hause Schönburg zu gelangen, sind in Folge von prinzipiellen Mei- nungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern des Hauses Schönburg über ihre Stellung zu dieser Angelegenheit erfolglos geblieben. Da- mit nun die erwähnten Geseße niht auf unbestimmte Zeit hinaus in den Rezeßherrschaften unausgeführt bleiben, ist an die Regierung die Nothwendigkeit herangetreten, ihrerseits provisorish die erforder- lihen Einrichtungen zu treffen, damit die neue Verwaltungsorgani)a- tion nnd Gemeindegeseßgebung mit dem 15. Oktober dieses Jahres auch im Gebiete der Rezeßherrshaften ins Leben treten kann. Das Nähere hierüber bestimmt eine im Geseß- und Verordnungsblatt eben erschienene, auf Grund §8. 88 der Verfafsungsurkunde erlassene aller- höchste Verordnung. Danach tritt zu dem erwähnten Zeitpunkte in den Schönburgschen Rezeßherrsaften bis auf Weiteres eine kommis- sarishe Staatsbehörde in Wirksamkeit, welhe zur Besorgung der zur geseßlichen Kompetenz der Amtshauptmannschaften gehörigen Geschäfte berufen ist. Ausgenommen von dieser Kompetenz bleiben nur die Kirchen- und kirchlichen Stiftungssachen, welhe zunächst noch ferner den Schönburgschen Gerichtsämtecn verbleiben eine Einrichtung, die mit Rüesicht auf die rezeßmäßige Stellung des auch künftig fortbe- stehenden Schönburgschen Unter-Konsistoriums in Glauchau geboten erscheint, und die übrigens in ähnliher Weise auch anderwärts, wo die Trennung der Justiz und dér Verwaltung in der Unterinstanz längst durhgeführt ist, z. B. im Großherzogthum Weimar, sich vor- findet. Die Vorbereitungen für die tommissarishen Behörde, die thren Siß in Glauchau erhält, sind bereits im Gange.

Württemberg. Stuttgart , 27. September. (W. T. B.)

Die Landesversammlung der deutshen Partei ist S hier zusammengetreten und hat eine Revision ihres rogrammes vorgenommen. VBezüglih der Reichsangelegen-

heiten \prach \sich die Versammlung einstimmig für um- fassende Durchführung der Reihsgesezgebung über das Civil- recht und das Gerichtsverfahren, über das Bank- und Eisenbahnwesen und über den Schuß des geistigen Eigen- thums aus, ferner für eine freifinnige Regelung des Ver- sammlungs- und Vereinsrechts, für Aufrechterhaltung der Reihs- und Staatshoheit über Kirhe und Sule, für die obligatorishe Civilehe, für bürgerlihe Standes- buhführung, für Geshworenengerihte, für ungeshmälerte Erhaltung und Ausbildung der Reichswehrkraft, für Wah- rung des Budgetrehts des Reichstags bezüglich des Militär- aufwandes, für Einsezung eines obersten Reichsgerichtshofs und für die Kreirung verantwortliher Reihs-Ministerien. In Betreff der Landesangelegenheiten soll die Erweiterung des Selbstver- waltungsrechts der Gemeinden und Bezirke angestrebt werden, ferner die Einsezung unabhängiger selbständiger Gerichte für Streitigkeiten des öffentlihen Rechts und zu deren Schuz die geseßlihe Regelung der Verantwortlichkeit der Minister, die Ver- einfahung des ganzen Staatsorganismus, die Aufhebung des Geheimen Rathes und der Gesandtshaften und die Einführung des Einkammersystems.

Baven. arl1sruhe, 25. Septenbcc. Der Prinz von Wasa hat am 22. d. früh Schloß Mainau verlassen und ift nach Lausanne abgereist. Der Großherzog begab \sich am gleihen Tage mit dem um 7 Uhr von Constanz abgehenden Zug nah Donaueschingen und fuhr von dort über Hüfingen und Löffingen nah Neustadt. Die Gemeinde Neustadt hatte Se. Königliche Hoheit eingeladen, dem dort stattfindenden landwirth- \haftlihen Gaufeste anzuwohnen. Der Großherzog, welcher von dem Erbgroßherzog begleitet war, unterzog die Aus- stellungen von Produkten und Geräthen, besonders aber die zahlreih vorhandenen Thiere einer eingehenden Besichtigung. Die Großherzogin erhielt Nachmittags auf Schloß Mainau den Besuch des Fürsten undder FürstinvonRumÄä- nien, welhe auf der Reise von England nah Schloß Wein- burg zu den Fürstlih Hohenzollernshen Herrschaften begriffen waren. Die rumänishen Herrschaften verweilten bis zum Abend bei Ihrer Königlichen Hoheit und begaben ih mit. einem Extra-Dampfboot, welches Ihren Hoheiten zur Verfügung gestellt ward, nah Rorschach.

Zum Kriegerfeste sind bis zum 25. Abends 162 Ver- eine mit 5508 Mitgliedern angemeldet.

Baden, 25. September. (Bad. Bl.) Ihre Majestät die Königin Marie von Sachsen hat heute Vormittag 9 Uhr 50 Minuten Baden wieder verlassen. Ihrè Majestät die Kai- serin Augusta, Ihre Großherzogliche Hoheit die Herzogin von Hamilton und Ihre Durchlauchten die Erbprinzessin von Mo- [naco und die Prinzessin von Fürstenberg waren am Bahnhofe Allerhöchst zugegen, um fih von Ihrer Majestät zu verabschieden.

28. September. (W. T. B.) Das erste badische Kriegerfest, welches gestern hier stattgefunden hat, nahm den glänzendsten Verlauf. Es waren etwa 6000 Theilnehmer zugegen. Nah Begrüßung der Anwesenden durch den Ober-Bürgermeister Lauter traten die Delegirten des badischen Militärvereinsverbandes zu einer Sißung zusammen, in welcher eine Resolution angenommen wurde, wonach die übergroße Cen- tralifirung des deutschen Kriegervereinswesens vermieden werden soll. Ein Festzug bewegte sich durch die mit Fahnen und Kränzen reih ges{chmüdckten Straßen der Stadt. Bei dem Fest- banket brachte der Staats-Minister Jolly einen Toast auf das deutsche Heer aus.

Hessen. Darmstadt, 25. Septewber. Der besondere Aus\{huß der Zweiten Kammer für die Kirhengeseßze hat in einer gestern stattgehabten Sißung, welcher au die Bertreter der Großherzoglihen Regierung beiwohnten, die Berichte über die kirhengeseglihen Vorlagen festgestellt. Wie die „Darmst. Ztg.“ hört, weichen die von dem Ausschusse gestellten Anträge nur in wenigen Punkten von der Regierungsvorlage ab und sind diese Abweichungen von der Art, daß die Regie- rung sich damit im Wesentlichen einverstanden erklären konnte, so daß der Hauptsache nah vollständiges Einverständniß zwischen Regierung und Aus\chuß besteht.

(Fr. I.) Die Zweite Kammer is nunmehr, wie ver- muthet, auf den 1. Oktober einberufen. Auf der Tagesordnung stehen die Wahlprüfungen bezüglih der Abgeordneten Küchler, E kfammer-Präsident Weber von Darmstadt, Advokat Weber von Offenbach, die Wahl eines Sekretärs an Stelle des aus der Kammer ausgeschiedenen Abgeordneten Greim und das Pensions- gesey. Die Berichte des Kirchengesez-Aus\hu}ses dürften morgen im Druck vollendet sein.

Sachsen - Weimar - Eisenah. Weimar, 27. Sep- tember. (W. T. B.) Die erste Landessynode des Groß- herzogthums ist heute von dem Geheimen Staatsrath Stichling, im Auftrage des Großherzogs, in der hiesigen Stadtkirche eröffnet worden, nahdem vorher in derselben ein feierliher Gottesdienst stattgefunden hatte. Die Er- öffnungs\schrift führt als Gegenstände der Berathung u. A. die Reform des Konfirmanden-Unterrichts, die Aufbesserung der Pfarrerbesoldungen und die Ablösung der grundherrlihen Be- rechtigungen auf,

Braunschweig. Braunschweig,” 27. September. Die Gesez- und Verordnungs - Sammlung veröffentlicht ein Geseg, die Beiträge der Beamten vom Wohnungsgeldzushus}se zur Beamten-Wittwen- und Waisen-Versorgungsanstalt betreffend, d. d. Braunschweig, den 18. September1874.:

Sachsen-Meiningen-Hildburghausen. Meiningen, 26. September. Der in Obermaßfeld unweit Meiningen am 24. d., Vormittags 11 Uhr, ausgebrohene Brand, von welchem in Nr. 225 des „Deutshen Reichs-Anzeigers und Kö- niglih Preußishen Staats-Anzeigers“ berichtet worden ist, hat, nah amtiliher Mittheilung, 4 Wohnhäuser, 6 Scheunen und 8 Nebengebäude vernichtet. Gegen 4 Uhr Nachmittags war die Gefahr beseitigt. Se. Hoheit der Herzog war alsbald auf dem Brandplat eingetroffen.

Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Albrecht von Preußen hat, der „N. Hann. Ztg.“ zufolge, dem Comité für die Abgebrannten in Meiningen die Summe von 1000 Mark zustellen lassen.

Sachsen - Altenburg. Altenburg, 26. September. Der Herzog hat den Staats- und Haus - Minister Wirklichen Geheimen Rath von Gerstenberg-Zech bis auf Weiteres zum Vorstand der nah 8. 23 des Geseßes vom 29. April 1874, die definitive Regulirung der Rechtsverhältnisse am Domänenvermögen betreffend, zu bestellenden „Verwaltung des Domänen- Fideikommisses des Herzoglichen Hauses Sachsen-

zu verwalten hat, mittelst Höchsten Erlasses vom 17. Iuni 1 ernannt.

Neuß. Greiz, 25. September. Der Fürst und - die Fürstin find gestern Abend nah Bückeburg zum Besuche deg dortigen Fürstlihen Hofes abgereist.

__ Elsaß-Lothringen. Mez, 22. September. für Lothringen“ \chreibt :

Schon vor einigen Wochen konnten wir berichten, daß der Gez danke, au in unserer Stadt einen Kriegerverein zu gründen, viel fah lebhaften Anklang gefunden bat und daß die Bildung dieses Vereines als gesichert betrachtet werden könne. Gestern hat nun be- reits die erste Generalversammlung stattgefunden, zu welcher etwa hundert frühere Soldaten, meist schon eingezeihnete Mitglieder, er» schienen waren. Es war ein erfreulicher und zugleich erhebender An- blick, Männer aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft so echt fameradschaftlih vereint zu sehen, Alle durchdrungen von der Ey. innerung an die frühere Waffengenossenschaft, an die gemeinsam durh- lebten Kämpfe und Strapazen und von dem \{önen Zwecke, welchen der neu gegründete Verein anstrebt. Der Vorfißende der in der ersten Versammlung gewählten Kommission eröffnete die Generalversammlung mit einer erhebenden Ansprache.

__Nach Verlesung und Genehmigung einer parlamentarischen Ge- \häftsordnung wurde zur Berathung der von der Kommission ent- worfenen Statuten geschritten und dieselben mit einigen Aenderungen angenommen. Die wesentliche Aenderung, welche vorgenommen wurde, betrifft den §. 2, worin nah dem Entwurfe gesagt war, al jeder Deutsche, welcher in einem Theile der deutschen Armee seiner Militär- pflicht genügt hat, dem Vereine beitreten könne, vorausgesctt, daß nicht erlittene entehrende Strafen oder sonstige gewichtige Gründe dem entgegenstehen. Es machte nun dem jungen Vereine alle Ehre, daß es nur des Hinweises bedurfte, daß auch Elsaß-Lothringer, welche früher in der franzöfischen Armee gedient, jeßt aber Deutsche sind und deuts fühlen, dem Vereine beitreten wollen, um die Versammlung zu be- stimmen, da3 Recht des Beitritts auf alle Deutsche auszudehnen, - welche ihrer Militärpfliht genügt haben, so daß auch unseren neucn Landsleuten, wenn sie dem Kriegervereine beitreten wollen, dies unbenommen ist. Wir wünschen, daß recht Viele der- selben von diesem Rechte Gebrau} machen möchten. Ein festeres Band der innigen Vereinigung zwischen der älteren und neueren Be- völkerung des Reichslandes könnte in der That nicht gefunden werden. Der Zweck des Vereins kann und wird nit verfehlen, demselben viele Sreunde und Gönner zu erwerben. Fern von allen politischen und religiösen Bestrebungen und Erörterungen, will der Kriegerverein durch das Band waffenbrüderli er Vereinigung patriotischen Geist fördern, Liebe zu Kaiser und Reich pflanzen und bethätigen, cinen famerad- schaftlichen Verkehr unter den Mitgliedern herstellen, Mitglieder, welche ohne ihr Verschulden in drückende Lage gekommen sind, so weit die Mittel des Vereins reichen, unterstüßen und den verstorbenen Ver- einsmitgliedern das leßte Ehrengeleit geben. Wir wünschen dem Ver- eine, welcher diese so s{chönen und humanen Zwecke verfolgt, das kräf- tigste Gedeihen.

Desterreich - Ungarn. Wien, 26. September. Der Kaiser hat vor der Abreise von Arad noch mehrfahe Beweise seiner Zufriedenheit über den ihm bereiteten, ebenso herzlichen als glänzenden Empfang ertheilt. Se. Mojestät wird bis zum 5, oder 6. Oktober in Pest verweilen und sich dann nah Wien zum Empfang der Kaiserin begeben, welhe wenige Tage nach ihrer Ankunft von Schönbrunn nach Gödöllö abreisen wird.

Der Minister-Präsident Fürst Adolf Auersperg und die in Wien anwesenden Minister haben heute die Führer der zurückgekehrten Nordpol-Gxpedition, den Linienschiffs- Lieutenänt Weypreht und - den Ober-Lieutenant Payer, besucht und denselben ihre Anerkennung für die der Wissenschaft ge- [leisteten Dienste ausgesprochen. Die feierlihe Sizung der Geogra- phischen Gesellschaft, in welher Payer und Weypreht Bericht über die Nordpol: Expedition erstatten werden, - ist auf nächsten Dienstag vertagt.

Fürst Milan von Serbien is hier angekommen.

Prag, 25. September. Der Geseßentwurf, womit der Prager Stadtgemeinde die Aufnahme eines Anlehens- von 5 Millionen Gulden bewilligt wird, wurde heut vom böhmi- schen Landtag in dritter Lesung angenommen. Der Geseh- entwurf, betreffend die Rechtsverhältnisse der Volks\chullehrer, wurde der Schulkommission zugewiesen.

Lemberg, 25.. September. Polanowski beantragte heut im galizischen Landtage, de: Landtag möge die Regierung um Subventionirung des Baues der Vicinalbahn Przemysl- Rawa angehen. Der Regierungsvertreter beantwortete die Inter- pellation Kaminskis, weshalb die Bezirkshauptmannschaft den Beschluß des Stanislauer Gemeinderathes betreffs Absendung einer Petition an den Landtag um Vermehrung der Stadtwahl- bezirke fistirt habe, dahin, daß den Gemeindevertretungen nah A “o des Gemeindegeseßes das Petitionsreht nicht zustehe.

Zara, 26. September. In der heutigen Sizung des Land- tages wurde der Landesaus\huß beauftragt, den Mitgliedern der Nordpol - Expedition Namens der dalmatinischen Lan des- vertretung die herzlichsten Glückwünsche auszudrücken. Ah- geordneter Monti interpellirte den Regierungsvertreter über die Regulirungsarbeiten an der Kerka und dem Cicola-Flusse. Die Regierungsvorlage zum Schutze der für die Bodenkultur nüg- lihen Vögel , der Gesehentwurf des Landesaus\husses, betreffend die Disziplinargewalt desselben über gewesene Gemeinde-Vor- standsmitglieder mit Hinblick auf deren Verpflihtung zur Amts- übergabe und Rechnungslegung, \o wie der Geseßentwurf über die Aufhebung des Alinea d. des §. 11 der Gemeindewahl- ordnung wurden angenommen, Der Geseßentwurf zur Vervoll- st -ndigung des Gesezes über die Shulaufficht bezüglih der Orts\hulräthe wurde einem Comité überwiesen.

Agram, 26. September. Der kroatisch-\lavonische Landtag nahm gestern fast einstimmig ohne erheblihe Debatte die Geseßentwürfe über das Dienstverhältniß der Staatsanwalt- \haftsbeamten, die Regulirung der Gehalte der Lehrer an den Mittelshulen und die Aufhebung der Kettenstrafe an.

In der heutigen Landtagsfizung wurden die gestern verhandelten Geseßentwürfe.

Niederlande. Haag, 26. September. (W. T. B.) In der heutigen Sigzung der Zweiten Kammer legte der Finanz-Minister van der Heim das Budget pro 1875 vor. Nach denselben beziffert sich der Gesammtbetrag der Ausgaben auf 110 Millionen, also 10 Millionen mehr, als im Jahre 1874, und wird diese Ausgabenerhöhung hauptsächlich durch die Titel für Unterhaltung der auswärtigen Gesandtschaften, für Aus- führung größerêr Arbeiten in den Sechäfen, für Erweiterung des Staats-Eisenbahnnezes, für das Lootsenwesen und für Zwecke der Landesvertheidigung herbeigeführt. Der Voran- \{chlag für die Einnahmen beträgt circa 103 Millionen, es stellt fich mithin ein Defizit von circa 7 Millionen heraus. Die Deckung des letzteren wird nach den in den leßten Jahren ge- machten Erfahrungen ohne Steuererhöhung theils aus den

Die vStg,

Altenburg,“ welche dieses Fideikommiß gerihtlich und außer-

Uebershüssen ermögliht werden können, die die Finanzverwal-.

gerihtlih zu vertreten und das zu demselben gehörige eri on 4

tung Niederländish-Indiens ergiebt, theils aus dem den Vor- anschlag regelmäßig übersteigenden Mehrertrage der ordentlichen Steuern. Der Finanz-Minister erklärte in seiner Rede noh be- sonders, daß er mit den gegenwärtigen Steuern glaube aus- fommen zu können, und wies auf die günstigen Resultate bei der indishen Finanzverwaltung und bei dem heimischen Steuer- erträgniß hin, in welhem zugleih ein Zeihen des wachsenden Wohlstandes gefunden werden müsse. Alle Bedürfnisse und selbst die Eventualität der Fortsezung des Krieges mit Atchin würden außerordentlihe Mittel nicht erfordern,

Großbritannien und Jrland. London, 25. Sep- tember. Die Kaiserin von Oesterrei hat gestern in Be- gleitung ihres Gefolges London verlassen und fih nach Ventnor zurückbegeben. Der Herzog von Cambridge ist von Deutschland nah London zurückgekehrt, nachdem er einige Tage in Paris geweilt hatte.

Von der Staatswerft in Davenport lief gestern eine neue Shraubenkorvette für die englishe Marine von Stapel. Das Schiff wird eine Armatur von vierzehn 68 pfün- digen Kanonen und eine Besaßung von 220 Mann erhalten und wurde auf den Namen „The Sapphire“- getauft.

Frankreich, Paris, 28. September. (W. T. B.) Bei der gestrigen Ersaßwahl zur Nationalversamm- lung im Departement Maine-et-Loire haben, sfoweit bis jeßt bekannt, der republifanische Kandidat Maillé 32,521, der septennatistishe Kandidat Bruas 33,366 Stimmen erhalten. Das Endergebniß der Wahl ift noch nicht festgestellt.

Das Journal „Republique française“ veröffentlicht einen Brief Gambetta's, in welhem darauf hinge- wiesen wird, daß die auf den 4. Oktober d. I. anbe- raumte Wahl neuer Generalräthe nothwendiger Weise ein Akt von großer politischer Bedeutung sein werde ein abermaliger Protest gegen das Verhalten der Nationalver- sammlung und gegen die Versuche zur Herbeiführung einer monarchistishen und bonapartistishen Restauration. Frankreich werde bei dieser Gelegenheit seinen Willen kund thun und die Republik konstituiren. Die neuen Generalräthe hätten die Auf- gabe, die Geburt einer neuen sozialen Drdnung vorzubereiten. die Demokratie in die Fügrung der Geschäfte einzuweihen und mit wahrhaft freien, öffentlihen Institutionen vertraut zu machen. Die Wahl der Generalräthe werde der vorbereitende Schritt zu den nahe bevorstehenden allgemeinen Wahlen sein, die die Ohn- macht der Nationalversammlung nothwendig mache. Die dadur herbeigeführte Agitation sei eine Sache der Nothwendigkeit, es sei die höchste Zeït für Frankreich, sich eine definitive Regierung u geben. / x L : Graf d'Arjuson, ehemaliger Abgeordneter und Kam- merherr Napoleon Ill, i am 24. zu Paris im Alter von 74 Jahren gestorben. /

Angers, 28. September. (W. T. B.) Der republika- nishe Kandidat Maillé hat 49,444 Stimmen, der septenna- tistishe Kandidat Bruas nur 45,595 erhalten. Der Erstere ist somit als gewählt zu betrah‘en, da durch die aus 15 Gemein- den noch fehlenden Wahlergebnisse das Endresultat niht ver- ändert werden kann. i

Spanien. Madrid, 26. September. (W. T. B.) Mar- \chall Serrano wird wahrscheinlih den Oberbefehl über die fog. Armee des Centrums übernehmen, General Pavia soll durch Jovellar erseßt werden. Es steht zunächst ein Angriff dex Truppen gegen la Guardia bevor. :

Bagzaine will während des bevorstehenden Winters hier seinen Aufenthalt nehmen, die Gemahlin desselben ist bereits hier angekommen.

Italien. Rom, 21. September. (It. N.) Die Stadt Rom feierte gestern dén Jahrestag ihrer Befreiung dur die italienishen Truppen am 20. September 1870. Vor der Porta Pia, an der Stelle, wo Bresche geschossen worden war, wurde Nachmittags eine Inschrift enthüllt, welhe die römische National- garde den im Kampf mit den päpstlichen Truppen gefallenen Offizieren und Soldaten der italienishen Armee hat segen lassen. Die in Rom gegenwärtigen Minister und die Spißen der Civil- und Militärverwaltung und eine unabsehbare Menge aus allen Ständen wohnte der Feierlichkeit bei, Die Stadt hatte Festshmuck angelegt und war Abends brillant beleuchtet, namentlich Trastevere, dessen Hauptstraßen in einem Lichtmeer von über die Straßen gezogenen Guirlanden von dreifarbigen Lampions funkelten. Ein Transparent, welches den Einzug der italienishen Truppen in Rom darstellte, die Brustbilder des Königs Victor Emanuel, Cavours und Garibaldi's und der feenhaft beleuhtete Brunnen vor der Marienkirhe waren der Gegenftand allgemeiner Bewunderung. ! :

Der Bischof von Mantua, Monsignore Rota, ist vergangenen Sonnabend ins Gefängniß abgeführt worden, un die sechs Tage abzusizen, die ihm das Assisengericht für seine Predigt am Tage der heiligen drei Könige nah §. 268 des Strafgesezbuchs wegen Aufreizung gegen die Geseze und Staats- einrihtungen zuerkannt hat. E E

Mailand, 27. September. (W. T. B.) Der König Victor Emanuel ist heute Vormittag hier eingetroffen und empfing nah einem Besuche der historishen Ausstellung den \panischen Gesandten. Bei dem Empfange waren der Kronprinz Hum- bert, ‘die Minister Minghetti, Visconti Venosta, Finali sowie mehrere Hofchargen anwesend. Später wurden die Mitglieder der Munizipalvertretung vom Könige empfangen.

Nußland und Polen. St. Petersburg, 24. Sep- tember, Das Uebunasa-\Hwader ift am 22. d. M. von Transund nach Kronstadt zurückgekehrt. F

Der Moskauische Metropolit Jnnokentij hät, wie der „Petersb. Listok“ meldet, in der vergangenen Woche beim Synod seine Versezung in den Ruhestand nachgesucht und dies Gesuch dur Hinfälligkeit des Alters und zerrüttete Gesundheit motivirt.

Die russ. „St. P. 3." wird ersuht, dem Gerücht, als seien die Hafenbauten in Poti eingestellt worden, entgegen- zutreten.! i

Wie die russishe „St. P. 3.“ hört, sind Privatpersonen zuständigen Orts um die Erlaubniß eingekommen, am Ufer des Baltischen Meeres in Kurland Bernsteingräbereien ein- richten zu dürfen. Das Berg-Departement hat diese Frage ge- prüft und die für solhe Industrie nöthigen Bestimmungen ent- worfen, die gegenwärtig höheren Orts zur Genehmigung unter- breitet sind.

Schweden und Norwegen. Stockholm, 23. Sep- R s Eine kombinir'e \chwedisch-norwegische Kom- mission is hier zusammengetreten, um einen vom technischen Seevertheidigungs-Departement ausgearbeiteten Vorschlag zur Seetaktik und zum Signalbuch zu prüfen. Unter den \{chwe- dischen Mitgliedern der Kommission befinden fih die Commandeur-

Kapitäne Virgin, Amèen und v. Otter, unter den norwegischen : die Commandeur-Kapitäne Frits und Wedel-JIarlsberg.

Das in Ióönköping erscheinende „Dagbladet“ \chreibt : „Bekanntlich \oll die östliche Stammbahn in den ersten Tagen des Monats November in feierliher Weise eingeweiht und vom Könige eröffnet werden. In dieser Veranlassung gedenkt die Stadtgemeinde in Iönköping an dem näher zu bestimmenden Tage ein Fest zu veranstalten, zu welhem der König und die Königin eingeladen werden sollen,“

Däueittark. Kopenhagen, 24. September. Der Hof mit den fremden Hohen Herrschaften wird heute bei dem Prinzen und der Prinzessin von Wales auf deren Dampfyacht „Osborne“ diniren und dann, wie es heißt, mit diesem Schiffe nah Helsingör zum Besuche der Prinzessin Auguste von Hessen, verwittwete Baronin Blixen-Finecke, segeln.

Amerika. New-York, 27. September. (W. T. B.) Schaz-Sekretär Bristow hat für den Oktober den Verkauf von 21/7 Millionen Gold angeordnet. i : Die Stadt Antigua in G uatemala if durch ein Erdbeben zerstört worden. : Aus Cuba trafen per Kabel im Laufe der Woche folgende Nachrichten ein: Havana, 8. September. Der Ge- neral-Kapitän hat die Todesurtheile der Rebellenführer Be- tancourt, Iminez und Rojas umgewandelt. Lieutenant Ariza telegraphirt das Folgende aus Vequita: „So eben angekommen. Der 800 Mann zählende Feind i bei Yarugabo vollständig geschlagen worden mit einem Verluft von 36 Getödteten. Unter ihren Todten befinden \sich zwei Offiziere. Der Angriff er- folgte plöglih und energisch. Unser Rückzug vollzog si in der größten Ordnung. Kein Mann is verwundet worden. Unsere Tête, aus blos zehn Mann bestehend, drang bis in die Mitte des feindlihen Lagers.“ Lieute- nant Ariza is zum Kapitän avancirt. Unter den Ge- fangenen befindet sfich Calixto Garcia, einer der Hauptanführer der Insurgeatenarmee. Gemäß eines Erlasses des General- Kapitäns haben 5 Prozent der Militärpflichtigen der Insel \o- fort in den aftiven Dienst, der bis zum 1. April 1875 währt, einzutreten. Das Ergebniß dieser Maßregel wird 3500 Mann betragen. Freikauf is nicht gestattet; die Gezogenen haben Ersaß- männer zu stellen oder selbsstt zu dienen. Die Regierung der Insel hat die Banken um ein Darlehn von 500,000 Dollars Gold und eine Million Dollars Papier angegangen, welches in Kürze zurückgezahlt werden soll.

Asien. Aus Calcutta wird der „Times“ unterm 24. d. gemeldet: Heftiger Regen fährt fort zu fallen. In den zweifelhaftesten bengalischen Bezirken wird nicht länger weder eine zweite Hungersnoth, noch ein ernstliher Nothstand besorgt. Der Regenfall in den ersten 14 Tagen des September stellte sich dem gewöhnlicher Jahre gleih. Die Regierung fieht der Zukunft

aus Burdwan, daß das Fieber weiter nachgelassen hat, daß aber eine Möglichkeit seines Wiederauftauhens während des Herbstes vorhanden is und, daß seine Folgen traurig offen- kundig find. Sadun Khan, einer der Führer des Angriffs auf die Refidency in Indore während des Sepoy-Aufstandes, der den Tod von 39 Europäern, darunter Frauen und Kinder, zur Folge hatte, ist verurtheilt worden und wird in Kurzem ge- henkt werden. Seine thätige Theilnahme an dem Gemeyel wurde klar erwiesen, Dies ist etwa der sechste leitende Insur- gent, der während Lord Northbrooks Regierung eingefangen wurde. Zwei derselben verübten Selbstmord.

Zur Begründung des Entwurfs der Civilprozeß- Ordnung.

Dem Entwurf einer Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, welhe dem Reichstag vorgelegt, i eine 490 Druckseiten umfassende Begründung beigegeben. Wir entnehmen derselben die folgenden Abschnitte, in welhen die Nothwendigkeit der Re- form des Civilprozesses nachgewiesen is und die Prinzipien, auf denen der Geseßentwurf idt dargelegt find.

8. 1. Mit den Bestrebungen nah einer politischen Eini- gung Deutschlands hat sich auch das Bedürfniß, eine Einheit

des Rechts zu erreichen, verbunden. - Auf dem Gebiete des ma- teriellen Rechts sind bereits bedeutendere Erfolge errungen worden. Im Rehtsverfahren dagegen besteht eine sehr erhebliche Vielgestaltigkeit fort; diese hat sogar dur ‘ie Prozeßordnungen, welche in neuester Zeit in mehreren deutschen Staaten erlassen worden sind, an Umfang gewonnen. Mit Recht hat man dem Streben nah einer Einheit im Rechtsverfahren tiefere Bedeutung beigelegt. Dasselbe i ein Zweig des öóffentlihen Lebens; die Eigenartigkeit eines Volkes findet darin ebenso ihre Ausprägung, wie in der Ge- staltung der Formen für seine polit {he Existenz. Das Be- dürfniß des Verkehrs drängt zur Einheitlichkeit des Rechts- verfahrens, Der Verkehr bequemt sich nur mit Widerstreben einer vielgestaltigen Rechtsordnung an; diese wird für ihn ein Hemmniß, welches er durch Einshlagen anderer Bahnen mög- lihst meidet. :

Mit richtiger Erkenntniß der Sachlage hat die Verfassung des Deutschen Reichs im Artikel 4 das gerichtlihe Verfahren zum Gegenstande gemeinsamer Geseügebung gemacht. :

Auch in dem deutschen Iuristenstande is die Nothwendig-

keit, zu einer Einheit des Rechtsverfahrens zu gelangen, vielfach anerkannt worden, Man darf sich indessen darüber nicht täuschen, daß gerade unter den Juristen auch zahlreiche und entschiedene Gegner vorhanden sind. Das zähe Festhalten an dem Bestehen- den scheint eine Eigenheit des juristischen Sinns zu sein, welcher gewohnt is, ein Verhältniß, weil es längere Zeit bestanden hat, als wohlbewährt anzusehen und seine Mängel, welche die täg- liche’ Anwendung oft ausgleiht, weniger zu bemerken. Dazu fommt, daß Dasjenige, was durch lange Uebung bekannt und bequem geworden, leiht eine gewisse Eingenommenheit erzeugt, welche durch die Besorgniß, fich mit Neuem und Ungewohntem ein- richten zu müssen, befestigt wird. Auch is es natürlich, daß man Einrichtungen nicht leiht und gern aufgiebt, mit welchen viel- ache geistige Bestrebungen, Mühe und Arbeit fich verbunden aben. Die deutshe Rechtsgeschichte liefert den Beweis, daß die in der Eigenthümlichkeit des deutschen Volks hervortretende Rich- tung, alle Verhältnisse des sozialen und politischen Lebens zu partikularisiren, fih au in der Rehtsentwickelung geltend gemacht hat und in Folge dessen zu einer Eigenkeit des Juristenstandes geworden ift. A E

Nicht blos von Juristen, sondern auch von anderer Seite wird dem Streben nach Einheit des Rehtsverfahrens in Deutschland das Beispiel Preußens entgegengehalten, in welchem der gemeine, der rhei-

nish-franzöfishe undder Gerichtsordnungs-Prozeß beinahe ohne Ver-

mit gänzlicher Zuversicht entgegen. Sir Richard Temple berichtet |

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mittelung eine Reihe von Jahren neben einander bestanden haben, ohne die Staatseinheit zu gefährden. Allein daß der preußische Staat diese von einander so abweichenden Systeme bisher ohne erheblich wahrnehmbaren Schaden ertragen hat, ist noch kein Beweis da- für, daß die Nachtheile niht vielfah im Volke selbst empfunden worden find, daß sie niht oft Unzuträglichkeiten in der Rechts- verfolgung verursaht haben, und kein Grund dagegen, nah besseren Zuständen zu streben. Die Besonderheit der Prozeß- Ordnungen hat das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Staats- einheit nicht zur vollen Entwickelung kommen lassen. Auch der Verkehr hat darunter gelitien. Es dar? nur an die Schwierig- keiten erinnert werden, welche die. Verschiedenheit des Konkurs- Verfahrens, die Vollstreckung E in dem Gebiete einer anderen Prozeßordnung hervorriefen. :

dler aus beni bestehenden Prozeßrechte selbst is das Reformbedürfniß nachzuweisen. Daß der gemeine deutshe Pro- zeß in seiner durch die Schriftlichkeit und die Ausartung der Verhandlungs-Maxime bedingten Langsamkeit und Schwerfällig- keit, in seiner Unsicherheit in Folge der zahlreichen Streitfragen und des Mangels der Kodifikation, in seiner Fremdartigkeit und Unverständlichkeit zu dem Volks- und Verkehrsleben seit länger als einem Jahrhundert im Mißverhältniß steht, beweisen die seit den leßten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts innerhalb Deutschlands hervorgetretenen Prozeßordnungen, welche den Zweck hatten, diesem Mißstande abzuhelfen, unwiderleglih. Die preußische Gerichtsordnung, welche sih in den wichlig- sten Prinzipien von dem gemeinen deutshen Prozesse entfernte; ja si in einem direkten Gegensaß gegen denselben ftellte, indem - fie an die Stelle der Verhandlungs- und Eventualmaxime ein Instruktionsverfahren einführte, welhes dem Prozeßrihter die amtlihe Fürsorge dafür auferlegte, durch jedes zulässige Mittel das materielle zwishen den Parteien bestehende Recht zu erfor- hen, is ein großartiger Versuch, sich aus den engen Grenzen des gemeinrechtlichen Formalismus zu befreien. Aber das Ziel \sollte durch Mittel erreiht werden, welche sch in der Praxis als verfehlt und unausführbar erwiesen. Es trat daher sehr bald das Bedürfniß nah Aenderungen hervor. Die Reformen, welche die Allgemeine Gerihtsordnung in Preußen dur die Geseßgebung der Iahre 1833 und 1846 erfahren hat, suhten von vielen einzelnen durch andere Geseße eingeführten Aenderungen abgesehen eine prinzipielle Besserung einerseits durch eine Annäherung an die Grundsäße der Mündlichkeit des Verfahrens, andererseits durch eine Rückkehr zu den beiden Grundsäßen der Verhandlungs- und Eventual-Maxime zu er- reichen. Aber der novellenartige Charakter dieser Gesehe gestattete niht den gänzlihen Bruch mit dem System der GerihtSord- nung. Das Leßtere blieb daneben gültig.

Die Vereinigung \o verschiedener, ja einander entgegen- gesezter Prozeßgrundsäge, ihre Verarbeitung ‘zu dem Ganzen des Rechtsganges blieb der Praxis überlassen. Diese hat auch hier Bedeutendes geleistet, war jedoch außer Stande, die \hroffen Unebenheiten auszugleichen, die zu einander entgegengeseßten Resultaten führen müssen, je nachdem das eine oder das andere Prinzip vorwaltet. : i Z 7

Auch die Gesezgebung würde die Aufgabe unerfüllt lassen müssen, aus diesen heterogenen Elementen des preußischen Pro- zesses, unter Festhaltung an seinen bewährten Grundlagen, ein nur einigermaßen in sih übereinstimmendes Ganzes zu gestalten. Eine solhe Aufgabe wird von Seiten preußisher Juristen viel- fa der Gesezgebung gestellt, ohne daß man erwägt, daß das Mißlingen derselben \chon in der Natur der Sache lie;t, daß man nicht aus so verschiedenartigen Bestandtheilen eine Einheit herstellen, fie niht auf einer Grundlage mit einander verbinden fann. Aber auch hiervon abgesehen, find die Prozeßnovellen vom 1. Iuni 1833 und 21. Iuli 1846 weder nach Form noch Inhalt geeignet, als Ziel, und Resultat des Ringens: nah Einheit des Rechtsverfahrens in Deutschland angesehen zu werden. Gegen den Gerihtsordnungs-Prozeß gehalien, ver- förpern fie allerdings den oben dargestellten bedeutenden Fortschritt im preußischen Reh1sverfahren, namentlih dur die den Schrift- säßen angehängte mündliche Verhandlung. Eine eingehendere Kritik kann aber unmöglich das Halbfertige, die Uebergangs- und Novellennatur in diesen Verordnungen verkennen.

Sieht man von dem in neuerer Zeit erheblih verbesserten Konkurs- und Vollstreckungsverfahren ab, so is der preußische Prozeß scit den Reformen von 1833 und 1846 im Ganzeu unverändert geblieben, troy der gänzlihen Umgestaltung des Staats- und öffentlihen Lebens und der Bearbeitung und Ver- handlung fast aller anderen Angelegenheiten, troß des gewal- tigen Umschwungs der Verkehrs- und Kommunikationsverhält- nisse, von denen man meinen sollte, daß fie eine entsprehende Umgestaltung des Rechtsverfahrens längst hätten nach sih ziehen müssen.

Daß eine solhe auch im preußishen Volke dringend ge- wünscht wird, hat sich sowohl in den Verhandlungen des Land- tags, als in den Zeitschriften vielfach kundgegeben. Wenn solche Aeußerungen vielleiht mehr in der Nation , besonders in den vom Leben und Verkehr berührten Kr-isen derselben, als in dem in den geltenden Normen eingewohnten Juristenstande hervor- getreten sind, \#o Lea 1 N den Mangel cines Reform- bedürfnisses niht geschlossen werden. |

E cbeinis Französische Prozeß beruht auf der Vertheilung von Recht und Faktum unter Richter und Parteien. Das Fak- tum gehört den Parteien an. Dem entsprechend, erörtern diese das Faftum, vorläufig unabhängig von der Einwirkung des Richters, untereinander in Schriftsäßen. Der Richter empfängt das Faktum von den Parteien, um, nah Feststellung des streitig Gebliebenen, durch Beweis Recht zu finden. Seine Thätigkeit ist die richterliche Funklion in ihrer Reinheit, eine urtheilende. Die Fortbewegung des Prozesses geht von den Parteien aus. Diese füllen mit ihrer Thätigkeit den Raum zwischen den Ver- handlungen vor dem Gerichte. Es findet Freiheit der Bewegung ftatt, ohne welche, wie der gemeine deutsche Prozeß in seiner über das Maß getriebenen Verhandlungsmaxime gezeigt hat, das materielle Recht im D nue zu leiht einem formalistishen Scheingebilde aufgeopfert wird. : :

N Eine éufcenlid ‘Erfheinung im Geltungsgebiete dieses Pro- zesses ist nicht allein die Uebereinstimmung der Juristen über die Vorzüge ihres Verfahrens, sondern auch, daß die Bevölkerung sih dur dasselbe im Ganzen und Großen befriedigt fühlt und Reformwünsche in Betreff der Grundlagen nicht hervorgetreten find. Es kommt ferner die bestehende Logik in Betracht, welche aus der Vertheilung des Faktums und Rechts zwischen Parteien und Richter hervorzutreten scheint, und die Zurückführung des Richteramts auf das Urtheilen. Endlich darf die glüliche Lage nicht übersehen werden, in welcher sih der rheinische Richter, von dem lästigen Beiwerke richterliher Thätigkeit nicht behelligt, seinen altpreußishen Berufsgenossen gegenüber befindet, während der Advokat, bei bestehendem Anwaltszwange und der

ihm überlassenen Sorge für die Erörterung des Faktums, als

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