1874 / 277 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Nov 1874 18:00:01 GMT) scan diff

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verfolgen und aus der Annahme des Antrages gern Gelegenheit neh- men werde, mit dem Auswärtigen Amte resp. dem Reichékanzler-Amte in weitere Verhandlungen zu treten, wurde der Antrag mit großer Majorität angenommen. Das PoUEnE, trat nunmehr in die Be- ratt.ung der Anträge bezüglich der ontrafktbrüchigkei t der ländlihen Arbeiter, der Heimaths- und Freizügigkeits- gescigebung in Verbindung mit dem Gesetzentwurf, be- treffend die ländlichen Arbeitsverhältnisse, und dem Antrage des Grafen Ibtenpliß, bezüglih der Straffestsezungen der Amts- vorsteher gegenüber der ländlichen Arbeiter- und Gesindebevölkerung. Bei der Diskussion sprachen zunächst die Antragsteller und die Re- ferenten, worauf si eine längere kombinirte General- und Spezial- Diskussion entwickelte, die um 4 Uhr abgebrochen wurde, um in der Schlußfißung des Kollegii als einziger Gegenstand der Tagesordnung zu Ende geführt zu werden. A

In der Schlußsißung am Sonnabend, welcher der Minister Dr. Friedenthal ebenfalls wieder beiwohnte, wurde die Tags zuvor vertagte Debatte über die_ ländliche Arbeiterfrage fortgeseßt. Der Seitens des Ministeriums bei Gelegen- heit dieser Diskussion vorgelegte Geseßentwurf über die ländlichen Arbeiterverhältnisse fand fast allseitige Zustimmung und wurden von verschiedenen Seiten einige noch weiter gehende Bestimmungen gewünsht. So weit solche Wünsche die Einführung von Arbeitsbüchern betrafen, betonte der Kommissar des Minifteriums, Geheimer Regierungs-Rath Marcard, die Schwierigkeit der Einführung derselben gegenüber der Paß- und Gewerbefreiheit. Für schriftlihe Form der Arbeitskontrakte trat we- gen der speziellen Natur der ländlichen Kontraktsverhältnisse keiner der Redner ein. Nachdem die Debatte bis 14 Uhr gedauert hatte, wurde zunächst über den Autrag des Baron Malßtahn - Roidin: „in Erwägung, daß das im Ministerium ausgearbeitete neue Geseßz über die Arbeiterverhältnisse dankenswcrthe Fortschritte enthalte, und daß man überzeugt sein könne, daß das Ministerium das in dieser Beziehung Erreichbare auch durhseßen werde, üter die einzelnen vorliegenden Anträge nicht speziell abzustimmen, sondern das gesammte in der Diskussion und den Anträgen enthaltene Material der Kommission für das Arbeitergeseß, welche in der nächsten Woche zusammentritt, zu überweisen® abgestimmt. Durch die Annahme dieses Antrages, welche mit zwei Drittel Majorität erfolgte, fam es nit zur prinzipiellen Entscheidung über alle auf das länd- liche Arbeiterverhältniß bezüglichen Spezialfragen und die anderen in verschiedenen Anträgen vorliegenden Punkte. Schließlich wurde noch ein Antrag des Hrn. Richter angenommen, der dahin ging: die in den Anirägen der Herren v. Hagen und Lehmann enthaltenen Punkte be- züglih der Heimaths- und Sreizügigkeitsgeseßgebung auf die Tages- ordnung der nächsten Plenarsißung des Kollegii zu stellen. Hiermit wurden die Sißungaen dieser Session geschlossen.

Potsdam. Der Kaiserli russische Oberst von Koralkow, vom Generalstab des General - Gouverneurs Kaufmann aus Tur- fiftan, hat die hiefigen Königlichen Anstalten zur Förderung des Garten- und Obstbaues seit längerer Zeit zu eingehenden Studien benußt. Der Aufenthalt dieses Offiziers in Deutschland steht mit der beabsichtigten Gründung einer Lehranstalt für Garten- und Obst- bau in Taschkent insofern in Nerbindung, als man die praktische und wissenschaftliche Methode, sowie die Einrichtung der diesseitigen Anstalten, modifizirt nah den wirthschaftlichen und flimatifchen Ver- * hältnissen Turkistans, für geeignet erklärt, der zu gründenden neuen Anstalt in Taschkent als Norm zu dienen.

Die ersten Erfolge der seit einer Reihe von Jahren fortgeseß- ten Aussezung junger Lachse in die Nebenflüsse der Oder fangen an, sih in sehr erfreulicher- Weise bemerkbar zu machen. Während noch vor wenigen Jahren der Fang eines Lachses in der Oder zu den äußersten Seltenheiten gehörte, mehren sich jeßt die Anzeigen über gute Lachsfänge. So wurden nah einer Anzeige der Fischerinnung zu Schwedt a, O. dort im Monat August 7 Lacse im Gesammt- gewicht von 140 Pfund gefangey, welche aller Wahrscheinlichkeit nach der \chlesischen Lachszucht entftamzien. Der Deut \che Fischer- verein, welcher dieser Angelegenheit ganz befonderes Interesse wid- met, wünscht deshalb über alle derartigen Lachsfänge in der Oder auf das Genaueste unterrichtet zu werden, und hat an die Mitglieder des Vereins das Ersuchen gerichtet, alle darüber zu ihrer Kenntniß gelan- genden zuverlässigen Nachrichten demselben mitzutheilen.

Das 6. Heft des 1I1. Bandes (1874) der „Landwirth-

schaftlichen Fahrbücher “, Zeitschrift für wissenschaftliche Land-

Wissenschaftlicher Kunstverein.

In der Sißung am 18. November sprah Hr. Prof. Dobbert über die malerische Ausstattung der christlichen Kirchen vom 4. bis zum 6. Jahrhundert. Zuerst wurde ein Bild von der symbolischen altchristlichen Kunst, wie sie in den Wandma- [ereien der Katakomben, den Reliefs der Sarkophage 2c. ih darstellt, entworfen. Innerhalb der altchristlichen Symbolik läßt fich eine historisirende Tendenz wahrnehmen, in Folge deren allmählich an die Stelle der s\ymbolischen Andeutungen historische Bilder treten; doch nicht bei allen Gegenständen dringt die Kunst der ersten christlichen Jahrhunderte in der historischen Richtung so weit vor; einige, wie die Kreuzigung und das _ Abendmahl, werden bis zum SÖluß der Epoche nur symbolish angedeutet. Nachdem die muthmaß- lien Gründe für die Vermeidung der histerishen Darstellungsweise der beiden zuleßt genannten Gegenstände (vielleicht bis in das 6, Jahr- hundert hinein) angeführt und die althristlihe Kunst in Bezug auf ihren Stil gewürdigt worden, ging der Vort:ag ¿ur Betrachtung der Meosaiken in den ältesten christlihen Kirchen in Rom und Ravenna über. Es wurde gezeigt, wie sih hier zwar auch noch die s\pezifis{h altchristlihe Symbolik geltend mache, wie dieselbe aber bald durch die historische Darstellungsweise in den Hintergrund gedrävgt werde; es wurds ferner an der Hand photographischer Nachbildungen Ravenna- tisher Mosaiken dargethan, wie an die Stelle des heiteren, milden Geistes der _altchristlichen_ Kunst allmählich ein . stren- gerer, ja sehr bald düsterer, ascetischer trat. Für den bedeutenden Ums{hwurg, der nun im Charakter der. christlihen Kunst: statt- gefunden, wurden auch Beweise aus der gleichzeitigen Literatur bei- gebracht Sowohl aus diesen Schilderungen von Zeitgenossen als aus den erhaltenen Denkmälern ergiebt si, daß, während das Schiff der Kirche mit historischen Bildern ausgestattet zu werden pflegte, in der Apsis die symbolische Darstellungsweise A8 lange erhielt, nur daß diese Symbolik, abgesehen von einigen Nachklängen der spezisi} alt- @hristlichen Kunst, auch einen in der Richtung auf das streng Kirchliche und Ceremoniöse modifizirten Charafter erhielt. Eine von dem Kuratorium des „Deutschen Reihs- und Königlich Preußischen Staats- Anzeigers“ in einigen Exemplaren eingesandte roshüre „Nord- deutsche Landschaftsdichter“ gelangte zur Vertheilung unter die Mitglieder, konnte aber der vorgerückten Zeit wegen niht mehr besprochen werden.

Die Generalinspekticn des Ingenieur-Corps und der Festungen beabsichtigt nach und nach eine Geschichte aller der Belage- rungen französischer Pläße während des Krieges 1870/71 herauêzugeben. Von der Geschichte der Belagerung von Straßburg im Jahre 1870 von Reinh old Wagner, Hauptmann im JIngenieur- Corps. Berlin 1874 bei F. Schneider u. Comp. (Goldshmidt-Wilhelmi) liegt bereits der zweite Theil vor. Das Werk is im dienstlichen Auftrage und nach amtlichen Quellen bearbeitet. Der in der Militärliteratur befannte Name des Verfassers iff zwar an und für sich {hon Bürge für die Gediegenheit der Arbeit, aber das Werk zeichnet sich noch dadurch besonders I aus, daß es bei aller Gründlichkeit des Inhalts doch in so frischer, lebensvoller Darstellungësform geschrieben ift, daß au der nicht militärisch gebil- dete Leser das Buch mit Interesse lesen dürfte.

Der hier vorliegende zweite Theil behandelt speziell die Beren- nung, Einschlicßung und das Bombardement der Festung. Die Zu- stände innerhalb derselben werden auf das Genaueste dargestellt und bicten eine Fülle interessanter Details, die bisher noch mehr

wirth\chaft und Archiv des Königlich preußiscen Landes-Oekonomie- Kollegiums, herausgegeben von Dr. H. von Nathusius, Geh. Ober- Reg. Rath und Voersißender des Königlich PEeUN Ten Landes-Oeko- nomie-Kollegiums, und Dr. H. Thiel, Landes-L efonomie-Rath und General-Sefretär des Königlich preußischen Landes-Oekonomie-Kol- legiums (Berlin, Verlag von Wiegandt, Hempel u. Parey, Verlags- bu{handlung für Landwirthschaft, Gartenbau und Forstwesen 1874) enthält: Ueber den Bau der Schale landwirthshaftlich wichtiger Samen. Non Dr. Sempotowsf in Zabikowo bei Posen. (Mit 2 lithographirten Tafeln.) Beginn und Entwickelung des Gebrauchs von Straßen- lokomotiven. (Schluß.) Vermischte Mittheilungen. Anhang. Repertorium der periodischen landwirtbschaftlichen Literatur. I. Se- mester 1874. Von Dr. C. Filly.

-— Die Borkenkäfer-Kalamität zeigt sich auc in einigen an Böhmen grenzenden Bezirken Bayerns, und es fam diese Angele- genheit auch dort im Budgetausshusse des d rg it ia zur Sprache. Wie das „Prag. Abendbl.* erfährt, hat in derselben An- gelegenheit im vorigen Monate eine aus böhmischen und baeyrischen Fachmännern bestehende Kommission in den Stubenbacher und in den angrenzenden bayerishen Waldungen mehrtägige Untersuchungen vorgenommen, und über die zu ergreifenden Maßregeln zur {nellen und fräftigen Bekämpfung der Kalamität Berathungen gepflogen. Die Kommission erkannte, daß die umfangreichse Anwendung und Fort- seßung aller bisher durgeführten Maßregeln, die fich als vollkommen entsprechend erwiesen haben, insbesondere auch für das nächste Jahr dringend geboten sei, und zu diesem Behufe ein direktes Einver- nehmen der böhmischen und bayerischen Forftorgane zum Zwecke eines einheitlichen und gemeinsamen Vorgehens “namentlich in Bezug auf die Vertheilnng von Arbeitskräften, die Disposition und Reihen- folge der Arbeiten, die Festseßung von Arbeitslöhnen und Afkorden u. #. w. unerläßlih nothwendig ist. Es sind auch die diesen An- trägen entsprehenden Verfügungen bereits getroffen worden. Mit der bayerischen Regierung find die Unterhandlungen über die wirksame Bekämpfung der auch die bayerishen Grenzwalduagen verheerenden Borkenkäferkalamität im Zuge.

Gewerbe und Handel.

Das Aeltesten - Kollegium der berliner Kaufmannschaft hat in seiner am 23. November abgehaltenen Sißung beschlosseu, die Bsrsenräume in der Folge um 21 Mittags zu schließen. Während

, die offizielle Börse, wie bekannt, um 2 Uhr Mittags geschlofsen wird,

war bisher gestattet, L die Börsen-Lokalitäten bis um 3 Uhr ge- ¿ffnet blieben, welche Erlaubniß dazu benußt wurde, eine Art Nachbörse zu eröffnen, die sich weniger dur die Bedeutsamkeit der geschlossenen Käufe, als durch Ungebundenheit -des Verkehrs aus- zeichnete.

Der Verwaltungsrath der Diskonto-Gesellschast hat in seiner am 24. November abgehaltenen Versammlung die Auszah- lung einer Abschlagsdividende von 4% für das Jahr 1874 genehmigt. Nach den von der Direktion gegebenen Nachweisungen steht der Ge- sellschaft auf Gewinn- und Verlust-Konto per 30. Juni 1874 ein ebenso hoher Betrag, wie im ersten Semester des Jahres 1873, zur NBerfügung.

Dr. Otto Süßenguth zu Magdeburg ist als Fabrik-Inspektor für die Provinz Sachsen amtseidlich verpflichtet worden.

_— Die britishe Handelöbehörde hat vom Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten eine Depesche des britischen Gesandten in Madrid erhalten, welche meldet, day saut eines in der Madrider „Gazette“ veröffentlichten Erlasses der {panischen Regierung eine Kriegsfteuer von 5 Centimes eines Peseta yer Tonne von 1000 Kilogrammen auf alle Erze, seien sie für Verarbeitung in Spanien oder für den Export nach den 4uslande testimmt, aufgelegt worden ist; ferner die Kopie ciner von der spanischen Regierung am 14. ult. erlassenen Verordnung, daß Schiffe, die Salzladungen in den spanischen Häfen einüehmen, von den in Artikel 11 des Erlasses vom 26. Juni spezifizirten Ladungszoll befreit.

Die Handelskammer von Rheims veröffentlicht folgende Daten über den Handel mit Champagnerweinen: Das Departement Marne enthält 16,500 Hektaren Meingärten, worunter 2465 auf das Arrondissement Vitry-le-Français, 999 auf das von Chalons und 700 auf das von Saint-Menehould entfallen. Die Arrondissements von Rheims und Epernay umfassen den meisten mit Wein bepflanzten

oder weniger der Oeffentlichkeit entzogen waren. Es wird hervor- gehoben, daß noch vor Ausbruh des Bombardements, obwohl der Ge- danke an dasselbe hon nahe getreten war, dennoch nichts zur Her- stellung von Schußräumen für die Besatzung und Einwohnerschaft, sowie für die Sicherung der in den sffentlihen Gebäuden vorhan- denen Werthobjekte geshah. Der erhobene Vorwurf, daß deutscher- seits auf Lazarethe geschofsen worden, wird widerlegt und zwar dadurch, daß die eingeschlagenen Geschosse nicht von den gegenüberliegenden Batterien nah Flugrihtung und Treffpunkten gekommen sein können, sondern Zufallstreffer von Batterien waren, welche von der entgegen- geseßten Seite der Belagerung aus das Hospital überhaupt nicht zu jehen vermochten. E

In gleicher Weise, wie die Verhältnisse in der belagerten Stadt besprochen werden, geht der Verfasser an die Darstellung der Lage unserer Truppen. Es wird fonstatirt, daß die Kriegsgeschichte kein zweites Beispiel so \{neller Bereitstellung, so bedeutende Mittel für eine Belagerung biete. Die glückÆliche Vereinigung von Linie und Landwehr in dem Belagerungscorps wird betont, wodurch es nicht an Kräften fehlte, welche zur Führung wud, tiger Schläge besonders ge- eignet waren, .und niht an Männern, deren im Leben erhärtete Ar- beitsfraft unshäßbar war, wo der Erfolg ebenso von der Handhabung des Spatens wie von der Führung der Waffen abhing. Jn wie weit man sich die technischen Fortschriite unserer ‘Zeit nußbar zu machen wußte, erhellt aus der Formation eines Feldphotograph- und eines Lufthallon-Detachements.

Dabei werden die Schwierigkeiten und auch das Vorkommen manches minder Vollkommenen nicht verhehlt, um so allen Anforde- cungen zu genügen, welche an eine unparteiische Geschichtsschreibung gestellt werden können. Die Zustände innerhalb der belagerten Stadt nach der ersten Bombardementénacht bezeichnete der amtliche Bericht der franzöfishen Gensd’armerie als „Konsternation“.

Die 20 dem Werke angefügten Beilagen geben ordre de bataille, Stärkerapporte u. s. w. Ein besonderes nteresse gewährt aber darin die Korrespondenz zwijchen dem General v. Werder und dem General Uhrih, Kommandanten _von Straßburg. Die Briefe zeigen den ritterlihen Geist zweier Offiziere, welche bei strengster Pflichterfüllung doch gegenseitige persönliche Achtung und Humanität nicht außer Augen lassen. 5

Die in Buntdruck ausgeführten beiden Pläne geben den Angriff auf die Citadelle und auf die Stadt“efestigung.

Der Club der Landwirthe

hielt am Dienftag Abend in seinem Vereinslokale die diesjährige Generalversammlung ab. Als Vorfißender fungirte Professor Orth, als Schriftführer Dr. Hartmann. Der Oekonomierath Noodt verlas sodann den Jahresbericht, dem wir entnehmen, daß der Verein sein achtes E ohne besondere Vorfälle durchlebt hat. Das Lese- zimmer ift eifriá benußt worden, die wissenschaftlichen Vorträge und Diskussionen boten reihen Stoff zur Belehrung. Die Verbindung des Clublokals mit einem Chambre garni wird au fernerhin ange- strebt, um auswärtigen Kollegen einen bequemen Aufenthaltsort \chaf- fen zu können, Die Mastvieh - Ausstellung wird in den Tagen des 5 und 6. Mai nächsten Jahres stattfinden und hat, den zahlreien Anmeldungen zufolge, die Aufmerksamkeit aller Landwirthe in hohem Grade erregt. Den Anfang der Porlesungen im vergangenen Win- ter bildete eine Gedächtnißrede auf J. von Liebig, den Schluß der- selben eine solche quf den Geh. Kriegsrath Menßel, der Mitglied

Flächenraum und zwar das erstere 7624, das leßtere 5587 Hektaren; von diesen beiden leßteren kommen auch die am meisten geshäßten Sorten. Die folgende Zusammenstellung zeigte den stets wachsenden

tritt dieser Industrie: Fortschritt dies M b Zahl der in Frank-

ahl der Jahr ausgeführten rei consumirten

Bouteillen Bouteillen 1845 4,380,214 2,255,438 1850 5,001,044

1,705,735 1854 7,878,320 2,528,719 1864 9,851,138 2,934,996 1866 10,413,455 2,782,777 1867 10,283,886 3,218,343 1868 10,876,585 2,924,268 1869 13,810,194 3,104,496 1870 13,858,839 3,628,461 1872 17,001,124 3,367,537 90,368,661 1873 18,917,779 3,464,059 22,381,838

Man fann den Erlös aus dem Verkauf auf mindestens 60 Millionen Francs schäßen. Die Winzer verkaufen: ihre Trauben oder schon gepreßten Wein zu sehr guten Preisen, welche ihnen méistens baar bezahlt werden, und sehen daher ihr Eigenthum von Jahr zu Fahr im Werthe steigen. Die Hektare Weingarten. hat sich au S Jahren um das Vierfache ihres damaligen Preises erhöht.

Zusammen

6,635,652

6,706,776 10,407,039 12,786,134 13,196,122 13,502,229 13,800,853 15,914,690 17,487,300

Verkehrs-Anstalten.

Nx. 93 der «Zeitung des Vereins Deutscher Eisen- bahn-Verwaltungen“ at folgenden Inhalt : Verein Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen: Oesterreichishe Nordwestbahn, Station Dris. Indische Staatseisenbahnen 2c.

Der Rhein ift bis 22. November zu einer Höhe von 4 Fuß 4 Zoll gestiegen. Viele Schiffe haben bereits ihre Fahrten wieder angetreirn, au die Dampfboote der Cölner nund Düsseldorfer Gesellschaften ihre Touren zwischen Mannheim und Có6ln, resp. Cöln und Rotterdam wieder aufgenommen.

Bern, 24. November, (W. T B.) Mit Ausnahme des Al- bulayasses ift auf !fämmtlichen Poststraßen über die Alpenpässe der Verkehr wieder hergestellt. i

Königliche Schauspiele.

Donnerstag, den 26. November. Opernhaus. (232. Vor- stellung.) Aida. Oper in 4 Akten von G. Verdi. Text von Antonio Ghistanzoni, - für die deutshe Bühne bearbeitet von Julius Schanz. Ballet von Paul Taglioni. Amneris : Frl. Brandt. Aida: Fr. Mallinger. König: E Krolop. Rademès : Hr. Niemann. Ramphis: Hr. Frie. monasro: Hr. Bet. Anfang 7 Uhr. Hohe Preise.

Schauspielhaus. (243. Vorstellung.) Spielt niht mit dem Feuer. Lustspiel in 3 Akten von G. zu Putlig. Hierauf : Die Unglüelichen. Lustspiel in 1 Af von A. von Koyzebue, bear- beitet von L. Schneider. Anfang halb 7 Uhr. Mittel-Preise.

Freitag, den 27. November. Opernhaus. (233. Vor- stellung.) Belmonte und Constanze, oder: Die Entführung aus dem Serail. Oper in 3 Vbtheilungen. Musik von Mozart. Anfang 7 Uhr. Mittel-Preise.

Schauspielhaus. (244. Vorstellung.) Ein Erfolg, Lust- spiel in 4 Aften von Paul Lindau. Anfang halb 7 Uhr. Mittel-Preise.

Es wird ersuht, die Meldekarten (sowohl zu den Opern=- haus-, wie zu den Sqchauspielhaus-Vorstellungen) in den Brief - kasten des Opernhauses, welcher fh am Anbau desselben, gegen- über der Katholischen Kirche, befindet, zu legen.

Dieser Briefkasten ist täglih für die Vorstellungen des fol- genden Tages nur von 10 bis 12 Uhr Vormittags geöffnet.

Meldungen um Theater-Billets im Bureau der General» Intendantur oder an anderen Orten werden als nicht eingegan=- gen angesehen und finden keine Beantwortung. :

des Vereins gewesen. Die Bibliothek ift in erfreulichem Maße ge- wachsen, besonders zahlrei sind die Zeitungen vertreten. Der Ver- ein zählt zur Zeit 369 Mitglieder gegen 335 des Vorjahres. Die finanzielle Lage wurde als eine befriedigende bezeihnet. Der Vor- stand, dem Professoc Orth beigetreten ist, bittet um zahlreiche Zu- führung neuer Freunde und um rege Betheiligung am Vereinsleben. Es gelangte jodann zur Verhandlung ein Antrag des am Erscheinen ver- hinderten Herrn von Esse, dahin gehend, es möge der Club seiner- seits dahin wirken, daß den Bewohnern Berlins ein gesundes und woblfeiles Fleis geboten werde. Der Makler Emil Meyer machte darauf aufmerksam, daß bereits auf dem Viehhofe eine derartige Ver- faufsstelle errichtet sei, auch werde von dort bei Entnahme von fünf Pfund das Fleisch frei ins Haus geliefert. Ihm scheine der Zeit- punkt, der Frage nah tilligem Fleis näher zu treten, nicht recht ecignet, da man die Einwirkung der Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer abwarten müsse. Auf Antrag des Geheimen Ober- Regierungsraths Dannemann wird diese Materie auf die Tagesord- nung der nächsten Generalversammlung gefeßt. Der Oekonomierath Noodt theilt dann noch mit, daß das Bureau des landwirthschaflichen Beamten-Vereins mit dem des Clubs vereinigt werden u Der Verein wird auch in diesem Winter eine Reihe wissenschaftlicher Vor- träge, sowie zwei Bälle arrangiren. Leßtere werden am 9, Zanuar und 27. Februar stattsinden.

Die unter dem Protektorate Ihrer Kaiserlichen und Königlichen orer der Kronprinzessin stehende B aruch Au erba ]che Waisen- Frziehungs-Anstalt für jüdische Mädchen in Berlin hat, wie alljährlich, zum 21. November, als dem Geburtstage der Hohen Pro- tektorin, ihren Jahresbericht, den einunddreißigsten, erstattet. Darnach war auch das verflossene Fahr ein für die äußere und innere Ent- wickelung der Stiftung segensreihes.. Das aisenhaus, das am 13. November 1843 mit 2 Zöglingen eröffnet wurde, zählt deren

ta 20, während 5 im Laufe des Jahres nah vollendeter

suébildung die Anstalt verließen. Von diesen 20 Zöglingen besucht 1 die Königliche Augusta-Schule, 16 die höhere Töchterschule des Dr. Möbus, 3 haben die Schule verlassen und werden für das praktische Leben herangebildet. Von den bereits entlafsenen Waisenmädchen, denen die Anstalt bis zur erlangten Selbständigkeit ihre vollste Auf- merksamkeit widmet, sind bis jeßt 93 verheirathet. Im Qn sind bis jeßt für Erziehung, Ausbildung und Erhaltung der Wai enmäd- en 76,858 Thlr. 13 Sgr. 11 f. verausgabt, ein unanta\tbares Vermögen von 86,364 Thlr. 20 Sgr. 6 Pf. erspart, und außer den an ausgeschiedene Waisen bereits ausge ahlten Summen, wie dem jedem Zöglinge gehörigen Sake ienbk noch 28,022 Thlr. 5 Sgr. als Eigenthum der Waisen niedergelegt worden. Ehrenmütter find W Zeit: Fr. Emma Auerba, geb. Heller (seit 1838), Fr. Ida [uerbach, geb. Dahlheim (seit 1870), Fr. Alexandrine Beer, geb. Rosen (feit 1862), Fr. Geh. Kommerzien-Rath Emma von Bleich- rôder, geb. Guttentag (seit 1863), Fr. Philippine Liebermann, geb. is (seit 1861), Lr. Recha Marckwald, geb. Kohn-Speyer (seit

Beélin Redacteur: F. Prehm. Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsnex. Drei Beilagen (einschließlich Börsen- und Handel 3-register-Beilage)

zum Deulschen Reichs-Anzeiger

Berlin, Mittwoch, den

Me 277.

Dersonal-Veráudernugen

Königlich Preußische Armee. Offiziere. DVortepee-Fähnriche 2c. Ernennungen, Beförderungen und Verseßungen. Im fießendeu Heere.

Berlin, 17. November. _v. Arnim, Rittm. und Escadr. Chef im Kür. Regt. Nr. 5, unter Stellung à la suite dieses Reagts., zum Präses einer Remonte-Ankaufs-Kommission ernannt. v. Bredow, Major à la suite des Kür. Regts. Nr. 6 und Präses einer Remonte- Ankaqufs-Kommission, ein Patent seiner Charge verliehen. Reimer s, Sec. Lt. vom Inf. Regt. Nr. 78, in das Gren. Negt. Nr. 9, ver- seßt. v. Hattorf, Sec. Lt. von der Inf. des Res. Landw. Bats. Nr. 73, früher Sec. Lt. 1m Inf. Regt. Nr. 15, im stehenden Heere und zwar im Inf. Regt. Nr. 73, ais Sec. Lt. mit einem Patent vom 9. Mai 1871 wiederangestellt. v. Sausin, Pr. Lt. vem Garde- Füs. Negt., von seinem Kommdo. als Adjut. der 1. Garde-Infant. Brigade enttunden. v. Schwerin, Pr. Lt. vom 2. Garde-Regt. . F., als Adjut. zur Garde-Inf. Brig. kommandirt. Gürcke, Port. L bur. vom Iuf. Regt. Nr. 58, zum 8. Ostyr. Inf. Regt. Nr. 45 verseßt.

Berlin, 21. November. Höhne, Pr. Lt. vom Fuß-Art. Bat. Nr. 9 und Vorstand des Art. Depots in Rendsburg, zum Hauptm. , Strecker, Sec. Lt. vom Fuß-Art. Regt. Nr. 2, zum Pr. Lt., be- fördert. Voitus, Pr. Lt. vom Drag. Regt. Nr. 11, Stock, Pr. Lt. vom Fuß-Art. Regt. Nr. 7, zur Dienstleistung beim Bureau Der Landes-Triangu!lation, Leßterer vorläufig auf ein Jahr, fommandirt. v. Tornow, Sec. Lt. a. D., früher im Fuß-Art. Regt. Nr. 8, beim Train des 1. Bats. Landw. Regts. Nr. 57 einrangirt und gleichzeitig zur Dienstleistung in einer vakanten Sec. Lts. Stelle des Train-Bats. Nr. 7 kommandirt.

Abschiedsbewilligungen.

Jm stehenden Heere.

Berlin, 17. November. v. Massenba@h, Oberst à la zuite des Ulan. Regts. Nr. 4 und Prâses einer Remonte-A»kaufs-Kommis- fion, in Genehmigung seines Abschkedsgesuches, mit Pension u::d der Erlaubniß zum Tragen der Regts. Uniform zur Disposition gestellt. v. Eshstrutb, Major à la suite des Hus. Regts. Nr. 12 und Präses einer Remonte-Ankaufs-Kommission, mit Pension zur Disp. gestellt. Frhr. v. Sch orlemer, Sec. Lt. à la snite des Jâger-Bats. Nr. 11, unter dem geseßlichen Vorbehalt ausgeschi-den, v. Scholten, Major a. D., zuleßt Hauptmann und Cemp. Chef im Inf. Regt. Nr. 42, die Erlaubu. 3. Tragen der Unif. des gedachten Regts. ertheilt,

Beamte der Bislitär-Berwaltung. Dur Allerhö{ste Ordre.

Den 20. Oktober. v. Nibbentrovp, Rendant der General- Milit. Kasse, Gen. Kriegs-Zahlm. und Geh. Rechn. Rath, auf sein Ansuchen mit Pension ia den Ruhestand verseßt.

Durch Verfügung des Kriegs-Ministeriums.

Den 8. November. Duckstein, interimist. Kasern. Jnspektor in Thorn, zum Kasern. Inspektor ernannt.

Den 12. November. Pr. L. a. D. Seidelmeyer, Garn. Verwalt. Inspekt. in Darmstadt, nach Spandau, Keller, Garn. Verwalt. Fnjpektor in Ludwigslust, nach Darmstadt, Kraft, Kasern. Inspeft. in Dessau, nah Ludwigslust verseßt.

Den 15. November. Geißler, Laz. JIvspekt. zu Küstrin, der Charafter als Obexr-Lazareth-Injspektor verliehen.

Den 16. November. Gumpricht, Laz. Inspekt. in Wunstorf, nach Guesen, Jacobi, Laz. Inspekt. in Gnesen, nach Torgau, und Sandt, Laz. Inspekt. in Torgau, nach Breslau verseßt.

In der Kaiserlichen Marine. Offizi te 2c,

Ernennungen, Beförderungen und Verseßungen.

Berlin, 21. November. Schumann, Pr. Lt. von dex Sec-Art. Abtheilung, zum Hauptm. und Comp. Chef befördert.

Neichstags- Angelegenheiten.

Berlin, 25. November. In der gestrigen Sizung des Deutschen Reichstags leitete der Königlich preußische Bundes- Bevollmächtigte, Staats- und Justiz-Minister Dr. Leonhardt die erste Berathung der drei Iustizgeseße wie folgt ein:

Meine Herren! Die verbündeten Regierungen haben Ihnen Gesetzentwürfe über die Gerichtsverfassung, das Civil- und Straf- verfabren vorgelegt. Es werden Jhnen weiter vorgelegt werdgn Gefeß- entwürfe über das Konkursverfahren, über die Rechtsverhältnisse der bei dem obersten Gerichtshofe fungirenden Rechtsanwälte und über das Gebührenwesen in den zur Kognition des obersten Gerichtshofs gelangenden Sachen. Diese Gesetzentwürfe bilden ein Ganzes und itchen demgemäß in einem näheren Zusammenhange; allein dieser Zu- fammenhang ist nit ein solher, daß Sie behindert fein könnten, vorab die Berathung der ersten Gruppe der Geseßentwürfe vorzuneh- mcn und zu erledigen. y

Sämmtliche Geseßentwürfe find mit eingelygnden Motiven be- gleitet. J hebe das hervor, um daran die Bemerkung zu knüpfen, daß die verbündeten Regierungen die Vertretung dieser Mctive niht übernehmen. Die Vertretung wird nicht übernommen, weil eine Prüfung dieser Motive nit einmal im Justizansschuß des Bundesraths, geschweige denn im Bundesrath stattgefunden hat, au der Natur der Sache nah nicht wohl ftattfinden konnte. Dieser Umstand dürfte jedoch für Ihre Berathung von besonderer Bedeutung kaum sein. Die Motive sind von Männern, welche den Arbeiten fehr nahe standen, mit ebensoviel Sorgfalt als Einsicht in die Verhältnisse geordnet worden; sie legen Ihnen die Mannigfaltigkeit der Rechtézu- stände dar, in welche die geseßlichen Vorschriften reformirend ein- greifen sollen; fie entwickeln vom legislativen Standpunke das Für und Wider in Betreff der einzelnen Vorsthriften und Grundsätze; fie erôrtern den Zusammenhang zwischen den Grundsäßen, fo wie zwischen Grundsäßen einerseits und einzelnen Folgesätzen anderers its. Jch glaube, meine Herren, daß diese Motive für Sie ein fast unentbehr- liches Hülfsmittel sein werden, wenn Sie nämlich eine eingehende Prüfung der Gesetzentwürfe in einer verhältnißmäßig uicht zu langen Zeit vornehmen wollen.

1D Aufgabe, welhe Ihnen gestellt wird, ist eine schr umfang- reiche, und dennoch glaube ich nicht in der Annahme zu irren, daß unter Ihnen niht wenige lein werden, denen es erwünscht sein môcte, wenn diese Aufgabe eine noch umfangreichere wäre, als fie es zur Zeit ist. Sch berühre hier einen wihtigen Punkt und gestatte mir, etwas bei demselben zu verweilen.

Die Prozedurordnungen find vollständige, in sich abgeslossene Geseße; den Charakter eines solchen abgeschlossenen vo!iständigen Geseßes trägt dagegen der Eatwurf der Gerichtsverfassung “nicht. Der der Kürze wegen gewählte, sehr allgemein gehaltene Titel kann bier nit täushen. Der Gerichtôsverfassungs-Geseßentwurf ist Stü- werk und enthält nur jolhe Vorschriften, welche nothwendig sind, um die Prozedurordnungen ins Leben zu rufen, Vorschriften, welche als gegeben angenommen werden müssen, wenn man überhaupt daran denken will, Prozedurordnungen zu bearbeiten. Vom formalen Standpunkt betrachtet, erscheint das Gerichtsverfassungsgese als Ne- bengeseß, als Anfangsgeseß zu den rozedurordnungen, wenngleid es diese an fahliher Bedeutung weit übertrifft und eine eingehende Prüfung der Prozedurordnungen gar nicht mögli" is, wenn man nit die wesentliheu Grundlagen des Gerichtsverfassungsgeseßes als

Beilage

gegeven anerkennt. Man bätte nun aber von einer ganz anderen uffafsung auêgehen können. Man könnte die gesammte Geschäfts- thätigkeit der Gerichte, und nit bles denjenigen Theil derselben, welcher die streitige Rechtspflege bezielt, organisiren. That man einmal diesen Schritt, so lag ein zweiter sehr wichtiger ganz nahe: man konnte die Justizämter organisiren in Betreff ihres Erwerkes und der Vor- aus seßung desselben, der Rechte und Pflichten, welche sie gewähren; und in Betreff des Verlustes. Auf diese Weise kam man zu dem Begriff eines Deutschen Richteramtes, einer Deutschen Rechts- anwaltschaft und eines D eutschen Notariats. Diese Auffassung, meine Herren, bietet neben sachlichen nit unerhebliche politishe Vor- theile. Es würde eine Erweiterung der Rechtseinheit auf einem wichtigen Gebiete eintreten, bedeutsam insonderheit auch wegen ihrer praktischen Folgen. Sodann würde aber au die Reichêgeseßzgebung selbständig und unabhängig hingestellt worden sein, während sie jeßt erst durch Vermittelung der Landesgesezgebung ins Leben treten kann. Letzteres is im Grundsaß mindestens sehr bedenklich und möchte thunlic;st zu vermeiden sein. Aber wie groß die Vortheile si auch gestalten mögen, fo fann ich Ihnen dennoch nicht dringend genug anbeimgeben, die Grenzen inne zu halter, welche dem Gericht8yver- faffungêgeset gezogen sind; denn indem Sie diese Grenzen über- schreiten, übertreten Sie zugleich die Grenze der. geseßlichen Zustän- digkeit der Reichsgeseßgebung und Justiz.

Die Nr. 13 des Art. 4 der Reichsverfassung hat auch in ihrer neuen Gestalt die Gerichtéverfassung niht zu ihrem Gegenstande, sondern nur die Prozeduren; demgemäß können au in den Grenzen dec Zuständigkeit der Reichsgeseßgebung nur diejenigen Vorschriften liegen, welhe die eine nothwendige Grundlage für die Prozedur bilden und gegeben sein müssen, um eine Prozedurordnung zu \{affen. Ich hoffe auch, daß es Ihnen um so leichter werden mag, die Grenze inne zu halten, welche dem Gerichtsverfassungsgeseb gezogen ift, als jenseits dieser Grenze ganz außerordentliche Schwierigkeiten liegen, und es in der That nicht angezeigt sein wird, neue Schwierigkeiten mit alten zu häufen. Denn, meine Herren, \{wierig ift in der That die Aufgabe, die Ihnen gestellt wird; wenigstens “in Justizsachen ist der Reichs- geseßgebung eine gleich \chwierige Aufgabe bislang nicht gestellt worden. und wird ihr aller menschlichen Voraussetzungen nach auch nit wieder gestelli werden. Allerdings mag die Aufstellung des Entwurfs eines bürgerlichen Geseßbucses größere Schwierigkeiten haben, als die Auf- stellung der vorliegenden Geseßesentwürfe. Allein die weitere legis- lative Aktion in Betreff jenes Geseßentwnrfs ist eine mit bei Weitem geringeren Schwierigkeiten umgebene. Der Entwurf eines bürgerlichen Geseßbuchs liegt ganz im Gebiete des Privatrechts, während die vor- liegenden Geseßentwürfe ganz wesentlich im Gebiete des ¿ffentlichen Rechts liegen und außerdem die Interessen der Bundesftaaten, der Gemeinden und insbesondere die Juteressen des Juristenstandes ebenso unmittelbar als empfindlich berühren. Ihre Aufgabe wird um fo schwieriger, als die verschiedenen Gesetzentwürfe nicht allein als ein Ganzes gedacht sind, sondern auch in dec Form und in der Sache in thunlihste Harmonie gebracht sind. Jede legislative Aktion, welcher ein Geseßentwurf unterliegt, gefährdet diesen das ist selbstverständ- lic aber die Gefahr ist um so größer, als der Umfang der Geseß- entwürfe weit ist und ein innerer Zusammenhang dieselben ums\chließt.

Wer die Gesetzentwürfe unbefangenen Sinnes prüft, wird nicht wohl verkennen können, Day sie einen nicht unbedeutenden Fortschritt in der Geseßgebung und in der Kunst der Geseßgebung enthalten. Es ist ein großes Maß geistiger Kraft auf dieselben gewendet worden. Es handelt sich- hier: nicht um leichte Arbeit, fèndern um die gereiften Früchte der ernstesten, strengsten Thätigkeit. Vollendet sind die Gesebz- entwürfe niht; denn Vollendetes zu \chaffen, ist den Menschen über- hauyt nicht gewährt. Auch soll niht behauptet werden, daß die

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Gesetzentwürfe das erreichbar Beste enthalten, wenn man diesen Aus- druck nicht in einem sehr reiativen Sinn nimmt. Aber, meine Herren, die Reichsgeseßzjustizgebung ist in einer ganz anderen Lage, wie die Gesetzgebung des Einzelftaates. Die Mannichfaltigkeit der Verhältnisse der Rechtspflege im Reich ist eine lo große, daß es faum möglich ist, die- selben in ihrer vollen Bedeutung zu erkennen, zu würdigen, insbesondere auch in der Richtung, ob sie einen beretigten Anspruch auf Fortexistenz haben. Bei der Bearbeitung von größeren Reichsjustizwerken muß man deshalb von vorn herein die Revision als einen maßgebenden Faktor für die Geseßgebung in Betracht ziehen. Wcr das verkenut, wer einzelne Fehler, welche ‘größere Neichsgeseße mit \sih führen, be- mängelt und darin den; Beweis eines nicht besonnenen legislativen BVorichreitens erblickt und demgemäß die Revisionsbedürftigkeit als ein Nebel, welches hätte vermieden werden können, bezeichnet, der be- weiset damit doch nur, daß das legisiative Schaffen eine eben fo schwere, als die Kritik eine sehr leichte Aufgabe ist.

Meine Herren! Ich bin überzeugt, daß unter Ihnen au nicht

ein Einziger ist, welcher den Juhalt der Gesetzentwürfe selbst von Einzelheiten abgesehes durGweg billigte. Sie befinden sich in der gleichen Lage mit den verbündeten Regierungen; denn ih glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, daß keine einzige der verbündeten Re- gierungen sein möchte, welche nicht wünschte, daß das Eine oder das Andere vielleicht sehr Nichtiges abweichend geregelt wäre. Nllein die verbündeten Regierungen haben, um zum Ziele zu ge- langen, eingedenk des alten Saßes, daß das Bessere der Feind des Guten sei, geglaubt, Resignation üben zu müssen, und haben in der That große Resignation geübt. Und 19 möchte ih auch Jhnen, meine Herren, zurufen: Ver- s{mähen Sie niht das Gute wegen des Besseren, üben Sie Resignation und zwar große Resignation. Nur, wenn Sie dies thun, kann auf die Krönung eines Werkes gerechnet werden, dessen sach- liche und politishe Bedeutung gleich groß ift.

Hierauf nahm der Königlich württembergishe Bundesbevoll- mächtigte, Minister der Justiz und der auswärtigen Angelegen- heiten, v. Mittnacht, in Betreff der Strafprozeßordnung das Wort:

Meine Hexren! Der hoverehrte Herr Präsident des Hauses hat die Gerichtsverfassungen bezeihnet als Voraussetzung und Konse- quenz der Prozeßordnung und die Diskussion über die Gerichtsver- fassung als grundlegend für die Diskussion über die Prozeßordnungen. Ich glaube daher im Sinne der Bemerkung des Herrn Präsidenten nd im Sinne dieses Hohen Hauses zu handeln, wenn ih einige Be- merkungen, die ih zur Einleitung der Strafprozeßordnung vorge- tragen habe, jeßt zu machen mir erlaube. Es wäre wohl auch, da der Diékussion des Hauses über die Gerichtsverfassung sehr weite Grenzen gesteckt sein werden, kaum mehr eine spätere Stelle gegeben, um die Strafprozeßordnung noch einleiten zu können.

_Wezn, meine Herren, die Deutsche Reicsverfassung eine ge- meinsame Gesetzgebung des Reiches über das Strafyerfahren in Aussicht gestellt hat, so genügt, um den Werth und die Nothwendig- keit ciner folcen Gemeinfamkeit in einer Materie zu ermessen, die von so hoher Bedeutung ist für den Schuß der S Rechts-* ordnung wie für die Sicherung der individuellen Rechte, ein Bli auf die Mannigfaltigkeit des in den Deutschen E bestehenden Rechtszustandes auf demGebiete des E S ticht blos der gemeine Deutsche Strafprozeß hat, wo er noch zuRecht besteht, eine ganz verschiedene Gestaltung erfahren durch Praxis und artifulargeseße, auch der auf den gemeinsamen Prinzipien der Anklageshaft Mündlichkeit und Oeffentlichkeit beruhende soge:annte reformirte Strafprozeß hat diese Prinzipien und die Detailbestimmungen in einer so_a weichenden und Ulti Weise aufgefaßt und dur{geführt, daß die gemeinsame Abstammung in den verschiedenen Kindern Einer Familie zu erkennen oft recht {wer wird.

und Königlich Preußischen Staats-Auzeiger.

25. November

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Mie die Motive es aussprechen, will der vorliegende Geseß- entwurf, obwohl er fein bestehendes einzelnes Strafprozeÿge1€ß zu seiner unmittelbaren Grundlage genommen hat, doch das in den vorhandenen Geseßen enthaltene Gute sih aueignen und so das neue Werk als eine Fortentwickelung und einen Ausbau des Be- stehenden erscheinen lassen. Das Gute also, welches die Partikular- Geseßgebungen auf dem Gebiete des Strafprozeßrechtes unzweifelhaft geleistet haben, will der Entwurf des deutschen Geseßes in si -auf- nehmen und zu einem möglichst vollendeten Ganzen fortentwickeln und verarbeiten. Insoweit find wir aus allen Theilen Deutschlants die Mitarbeiter und Mitverfasser dieses Werkes, und sind unsere bis- herigen Arbeiten, Bemühungen und auch Versuche auf dem Ge- viete des Sirafprozesses vergebliche und nußleje nicht gewesen. Natürlich nur das Beste will und soll der Entwurf bieten: er will einen Fortschritt, er will nirgends einen Rück- ritt darbieten. Das Gute, welches er vorfindet, will er weiter ent» wickeln und ausbauen, und wenn hierbei gewiß Vorsicht am Plaße ist, so darf doch andererseits in einer gewissen Scheu über das, was gilt und gewohnt ift, da und dort hinauszugehen, auch nit zu weit gegangen werden. Die ganze Geschichte dez Entwicklung des deutschen Strafprozeßrechts bietet hierfür einen schlagenden Beweis. Wie lange ai ist es, daß Mündlichkeit und Oeffentlichkeit als Neuerungen der

edenklichsten Art auf dem Gebiete des Strafprozesses bezeihnet und

bekämpft worden, und wie entschieden und unwiderruflich haben sie nachher gesiegt! Es werden daher auch solche Vorschläge des Entwurfs und er hat deren die von den gewohnten Anschauungen si mehr oder weniger entfernen, Anstoß nicht erregen dürfen. Der auf dem Gebiete des Strafprozesses sih vollziehende Fortschritt ist ohne- dem noch in Fluß begriffen, und es ist nicht anzunehmen, daß er seinen leßten Abschluß mit dem jeßt zu shaffeuden Werke finden werde.

Nun steht freilih zu befürchten, daß die Vorschläge des Ent- wurfes weniger als zu weitgehend, als daß sie als uicht weit genug gehend theilweise werden erahtet werden. Der Entwurf hat durch feinen Snhalt fo viel guten Willen bewiesen und an den Tag gelegt, daß nah dem regelmäßigen Laufe der Dinge von ihm wird noch mehr verlangt werden. Hier, meine Herren, giebt es eine Schranke: eine kräftige und sichere Repression des friminellenUnrechts muß garantirt bleiben, und davon darf man sih nicht abziehen lassen, weder durch Berufung auf dieses oder jenes Schulprinzip, auf dieje oder jene Konsequenz. aus einem folchen, noch auch dur ge- steigerte Rücksichten der Humanität für den Verdächtigen. Die Noth- wendigkeit eines ausreihenden Schußes der bürgerlichen Gesellschast und der öffentlihen Rechtsordnung würde fich au, falls ja die ge- richtliche Prezedur zweckentsprehend nicht gestattet würde, unausblcib- lich auch anderen, dann aber um so gefährliheren und bedenklicherea Wegen zum Durchbruch und zur Geltung verhelfen.

Ras den eigentlichen Inhalt der vorgelegten Ordnung des Straf- verfahrens betri, so werden die Motive des Entwurfs und die An- lagen zu denselben ein ausreichendes Material zu seiner Beurtheilung an die Hand geben, es würde nur zu Wiederholungen führen, und wäre äußerst zeitraubend, eine folche Prozeßordnung au in münd- licher Rede noch umfassend zu begründen. Sie werden es daher zu gute halten, wenn ih auf einige, freilich mehr oder minder will- fürlih Hherausgegriffene und fragmentarishe Darlegungen und Bes- merkungen allgemeiner Art mich beschränke.

Zunächst möchte ih eineu Punkt von allgemeiner Bedeutung furz erwähnen. Der Saß des deutschen Strafgeießbuches, daß Ausland im Sinne des Strafgesezes jedes niht zum Deutschen Reiche gehörige Gebiet sei, dieser Saß hat sich nur bezogen auf das Straf- ret und hat nihts geändert in den nach den Landesgeseßen sich bestimmenden Grundsäßen über die Unterwerfung unter die Straf- gewalt der einzelnen Staaten. Mit dem Inkrafttreten der deutschen Strafprozeßordnung aber werden die innerhalb des Deutschen Reiches bestehenden territorialen Grenzen in strafprozessualer Beziehung, im Be- sonderen in Beziehung auf die Zuständigkeitsfrage, nicht mehr in Beo tracht fommen. Es wird in Zukunft für die Anwendung der Bestim- mungen über die örtliche Zuständigkeit gleichgültig fein, welchem ein- zelnen Staate das in Frage stehende Gericht angehört, und daß ein Beschuldigter Angehöriger eines Bundesstaates is, oder daß die straf- bare Handlung speziell gerichtet ist gegen einen Bundesftaat oder sein Oberhaupt oder seine Regierung : dieser Umstand wird eine besondere Jurisdiktion der Gerichte diefer einzelnen Staaten nicht mehr begrüns- den. Es wird wohl überflüssig sein, die große politishe Bedeutung des hierauf sich beziehenden Schrittes noch bejonders hervorzuheben.

Ich gehe über zu einer kurzen Besprechung desjenigen unter den den Entwurf der Strafprozeßordnung beherrschenden größeren Prin- zipien, welches vorausfihtlih am meisten Anlaß zu Erörterungen in diesem Hause geben wird, des Anklageprinzips oder der Anklage- form. Die Idee des Anklageprozesses in Verbindung mit dem Prin- zip der Verfolgung von Amtswegen muß führen zur Errichtung eines von dem Richteramte getrennten, besonderen Amtes für die Straf- verfolgung, der Staatsanwaltschaft, und es foll in dieser Beziehung künftig au für die Strafgerichte niederster Ord- nung eine Ausnahme in Deutschland nicht mehr bestehen. Die Konsequenz des Anklageprozesses tritt am schärfsten hervor in den Bestimmungen über die Eröffnung des Strafprozesses und über die Begrenzung des Umfangs der richterlichen Thätigkeit. Die Eröff- nung einer richterlichen Untersuchung wird bedingt durch Erhebung einer Klagee regelmäßig der öffentlichen Klage Seitens der Staats- anwaltschaft, ausnahmsweise der Privatklage Seitens des Verletzten. Nur auf die in der Klage bezeichnete That und nur auf die in der Klage beschuldigte Person darf die gerichtliche Untersuchung und Ent- scheidung sich erstrecken. : ;

Dies der Inhalt des Entwurfes. Bekannt sind die Bedenken gegen die Uebertragung der Fnitiative der Strafverfolgung, wenigstens der vorzugsweisen oder aus- \chließlihen FJuitiative an die Staatsanwaltschaft, Bedenken, die hergeleitet werden aus dem doppelten Gesichtspunkte -einer Ge- fährdung der öffentlichen Rechtsordnung und einer Beeinträchtigung der Recite der Privaten; Bedenken, die insbesondere auch begründet zu werden pflegen mit dem regelmäßig bestehenden Verhältnisse der Unterordnung der Staatsanwaltschaft unter die vorgesetzte Justiz- verwaltung. Diese Bedenken werden wohl einigermaßen gemindert werden, wenn neben der Offizialmaxime aufgestellt wird das fsoge- nannte Legalitätsprinzip als bestimmend für die Berufsthätigkeit dex Staatsanwaltschaft, d. h.,, wenn die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, wofern das Geseß nicht etwas Besonderes Varidceibt, wegen aller ‘gerihtlich -ftrafbaren und verfolgbaren Hand- lungen einzuschreiten, wosern nur genügende thatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Denn dann begründet die Unterlafsung oder Unterdrückung geseßlich gebotener Strafverfolgungen Seitens der Staatsanwaltschaft wenigstens eine greifbare Pflichtwidrigkeit der Staatsanwaltschaft wie der ihr vorgeseßten ehörde. Immerhin bleibt es das Ermessen und zwar, wie niht bestritten werden kann, ein mehr oder minder subjektives Ermessen der Beamten der Staats- anwaltschaft, wovon die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung abhängt. Die Schußmittel gegen unbegründete Anklageverweige- rungen, welche der Entwurf bietet, sind nun folgende: inmal ein Recht der Beschwerde des Verleßten beim vorgeseßten Beamten der Staatsanwaltschaft, sodann die subsidiäre Privatklage des Verletten, diese aber beschränkt auf diejenigen strafbaren handlungen, bei welchen die Verfolgung nur auf Antrag eintritt, sowie auf diejenigen, bei welchen der Strafrichter neben einer Strafe auch arf; ferner in derselben Beschränkung das

auf eine Buße erkennen