1874 / 279 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 27 Nov 1874 18:00:01 GMT) scan diff

November cr. die wesentlihe Entscheidung: Es ift nicht erforder- lih, daß der Hehler Kenntniß von dér Strafthat, mittelst deren die Sache erlangt if, ihrem \peziellen Charakter nach gehabt habe, vielmehr genügt, daß er wúßte oder den Um- fiänden nach annehmen mußte, daß die Sache mittelst einer firafbaren Handlung erlangt fei.

Der Invalide T., der im lebten Kriege durch einen Gewehrshuß an der linken Hand verwundet worden, dem die Hand aber erhalten blieb, bezieht vom Staate die Invalidenpension zweiter Klasse mit 7 Thlr. monatlih und die Pensionszulage mit 2 Thlr. monatlich. Erstere wird den Soldaten gewährt, wenn fie zu. feinexlei Militärdienst mehr tauglich (ganzinvalide) und dabei durch Dienstunfähigkeit gänzlih erwerbsunfähig ; leßtere, die Zulage, wird ihnen alsdann gewährt, wenn fie durch den Krieg ganzinvalide geworden sind. T. bean- \spruhte jedoch noch eine fernere Verstümmlungszulage von 6 Thlr. monatlich, welche auf Grund des §. 72 Lit. C. des Geseßzes vom 27. Juni 1871 denen zusteht, welhe an einer der Hände, der Arwe oder Füße „so verstümmelt worden, daß „die Störung der aktiven Bewegungsfähigkeit des betreffenden Gliedes dem Verluste des Gliedes gleich zu achten sei.* Die Militär-Verwaltungsbehörde er- far.nte jedo nach einer Unters uhung des Invaliden T. und nah abgegebenem Gutahten von Militärärzten diesen Anspruch niht an, und T. klagte nun gegen den Fiskus auf Zahlung der Verstümmelungszulage mit 6 Thlr., indem er behauptete, daß er seine Hand zum Betriebe der Shuhmacher-Profes- sion nicht mehr gebrauchen könne. Sowohl vom Kammer- geriht, als auch auf die Nichtigkeitsbeshwerde des Klägers vom Ober-Tribunal wurde dieser Anspruch auf die gedahie Verstümmelungszulage zurückgewiesen, indem das letztere ausführte: „daß Kläger durch die Hand- beshädigung zur Ausübung des Schuhmachergewerbes unfähig . geworden sein will, ist für die Anwendbarkeit des §. 72 Lit. c. nicht erheblih. Vorausseßung dieser Be- stimmung if die dahin bezeichnete, einem gänzlichen Verluste gleih zu ahtende Beschädigung der Hand. Sie wird durch eine eingetretene Erwerbsunfähigkeit niht erseßt und is nicht in der Lit. c. als ein zur Verstümmlungszulage berehtigender \{chwerer Grad der Verlezung, wohl aber vorher bei Abmessung der Höhe der Invalidenpension berücsihtigt. Diese is in den I. 66 folg. für ganzinvalide verschieden abgestuft, je nahdem e bei gänzliher Erwerbsunfähigkeit ohne fremde Pflege und Wartung nicht bestehen können, oder gänzlich, oder größtentheils, oder theilweise dienstunfähig, oder nur zu jedem Militärdienste untauglich geworden sind. Ihnen zufolge erhält auch Kläger die Invalidenpension der durch Dienstbeshädigung gänzlih erwerbsunfähig gewordenen ganzinvaliden Soldaten.“

Der General-Major und Direktor der Ober-Militär- Examinations-Kommisfion des Barres hat fich Behufs Ab- nahme der Offizierprüfungen an den Kriegs\{hulen zu Potsdam, Hannover und Cafsel dorthin, der Kapitän zur See und Chef des Stabes der Kaiserlihen Admiralität Bath in dienstlihen Angelegenheiten nach Kiel und Wilhelmshaven begeben.

Der Kaiserlich deutshe Gesandte in Brüssel, Graf Perponcher, hat einen mehrwöchentlihen Urlaub angetreten, während dessen der Legations-Seïretär Stumm die Geschäfte der Gesandtschaft führen wird.

Stralsund, 25. November. Dritte Sizung des Kom- munal-Landtages. Nah Eröffnung derselben um 10 Uhr und nah Verlesung der Protoïolle der beiden ersten Sißungen, wurde in die Tagesordnung eingetreten. Auf derselben standen die Angelegenheiten der ständishen Irrenheilanstalt zu Greifs- wald. Der ernannte Referent trug die Rehnung und den Jahresbericht pro 1873 vor. Die Rehnung wurde dechargirt, der neue Etat pro 1875/77 durchberathen und festgestellt und endlih die nöthig gewordene Neuwahl eines Direktors der Anstalt vorgenommen. Hierauf wurde die Sizung gegen 12 Uhr ge- \{chlofsen, die morgende auf 10 Uhr Vormittags bestimmt. Nach Schluß der heutigen Sißung begaben sh die hierzu ernannten Kommissionen zur Inspizirung der hiefigen Irren- und Siechen- bewahr- und der Taubstummen-Anstalt.

Bayern. München, 25. November. Es liegen be- reits aus allen Kreisen Berichte über die Eröffnung der Land- rathsversammlungen vor. Der beim leßten Landtage der Abgeordnetenkammer gegebenen Zusage des Kultus-Liinifters Hrn. v. Luß entsprechend, ist die Frage der Verleihung pragmatischer Rechte an die Gewerbeshullehrer (gemäß dem Antrage des Abg. Iörg) allen Landrathsversammlungen vorgelegt worden, und es ist kaum zu bezweifeln, daß fich die große Mehrheit derselben, wo nit sämmtliche, im bejahenden Sinne darüber aus\prechen werden. Der Landrathsaus\{huß von Mittelfranken hat \{chon gestern einstimmig beschlossen, den Lehrern der Gerwerbshulen pragmatishe Rechte und die Theuerungszulagen pro 1874 und 1875 zu gewähren. i

Der Kämmerei-Etat der Stadt Nürnberg pro 1875 beziffert eine Ausgabe-Pofition von 1,390,437 Fl. (Mehrung gegen das Vorjahr 193,885 Fl. und um rund 400,000 F[. gegen das Jahr 1873). Zur Bilanzirung des städtischen Haus- halts wurden die Gemeinde-Umlagen (wie bereits seit einigen Jahren) auf 90 pCt. festgeseßt.

Sachsen. Dresden, 26. November. Der König und die Königin find gestern Abend 311 Uhr von Altenburg hier wieder eingetroffen.

Gestern Nachmittag fand auf dem innern Neustädter Friedhofe die Beerdigung des am 22. d. Mts. verstorbenen Königlichen Obersten und Genie-Direktors Hrn. Otto Clemens Erdmann Andrée statt. Der König war hierbei durch den Flügeladjutanten Oberfien v. Dziembowski, Prinz Georg durch den Adjutanten Rittmeister v. d. Planiß vertreten.

Das Königl. Landes-Medizinalkollegium hat am 23. d. M. unter dem Vorfiße seines Präsidenten Dr. Rein- hard seine neunte ordentlihe Plenarversammlung abgehalten.

Braunschweig. Braunschweig, 26. November. Das Herzogliche Staats-Minifterium veröffentliht d. d. Braun- \chweig, 23. November, folgendes Höchste Reskript: Von Gottes Gnaden, Wir, Wilhelm, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg 2c. 2c. Da die Wiederbesezung der Stelle eines Raths im Herzoglichen Obergerichte erforderlich geworden ift, zu welcher der Landesversammlung das Prâäsentationsreht zusteht, so haben Wir beshlossen, die Landesversammlung zu einem außer- ordentlichen Landtage behuf der vorzunehmenden Wahl einzuberufen und verordnen hierdurch, daß fich die Abgeordneten des Landes Dienstag, den 15. Dezember d. I., in unserer Refi- denzstadt Braunschweig versammeln 2c.

__ Anhalt. Dessau, 25. November. Nach der „Coeth. Z.“ wird demnächst die Herzogliche , Abtheilung für

die Finanzen, als Oberbehörde zu bestehen aufhören, um als „Herzoglihe Finanz-Direktion“ eine Unterabtheilung des Staats- inisteriums zu bilden.

Sachsen-Altenburg. Altenburg, 26. Novemlber. Nah- dem der König von Sachsen gestern noch einer Jagd im Kammerforste beigewohnt, haben beide Königlich sächsischen Maje- en Abends 6# Uhr mittels Extrazuges Altenburg wieder ver- afen.

Heute tritt die Land\chaft des Herzogthums zusammen.

Bremen, 24. November. Wie die „H. N.“ mittheilen, hat fich der Senat veranlaßt gefunden, die hiefigen Prediger mit Insiruktion zu versehen für die Fälle, in welchen Brautpaare aus dem Hannovershen fich hier fkirchlich trauen lafffsen wollen. Die Instruktion des Senats lautet dahin, daß der Trauung hannoverscher Brautpaare in hiefigen Kirchen nihts im Wege steht, wenn dieselben zuvor dem hiefigen Civilstandsamt nachgewiesen haben, daß ihre Ehe rechts- gültig ges{chlofsen is, und dessen Bezeugung vorweisen können.

Desterreich - Ungarn. Wien, 26. November. Die Kaiserin und Königin if gestern Nahmittags nah Gödöllö abgereist.

In der Hofburgpfarrkirhe wurde gestern Vormittags das erste Seelenamt für den Erzherzog Karl Ferdinand abgehalten. Demselben wohnten die Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften sowie viele Mitglieder des diplomatishen Corps bei.

Im Abgeordnetenhause theilte der Präsident gestern mit, daß er den seit Eröffnung des Hauses abwesenden Ab- geordneten Thurnherr aufgefordert habe, im Hause zu erscheinen. Gleich darauf wurde ein Gesuch Thurnherr's um einen drei- wöchentlihen Urlaub verlesen, welhes jedoch mit großer Ma- jorität abgelehnt wurde. Es wurden hierauf Petitionen böhmi- scher Gemeinden ‘aus Mähren um Herstellung der Eisenbahn Troppau-Wlarapaß verlesen. Das Aktiengeseß wurde bis zum Artikel 242 angenommen, die Artikel 239 und 240 an den Aus\ch{uß zurückgewiesen. Auspiß und Genoffen interpellirten die Regierung übér die Regulirung der Marh, Mises und Ge- nofsen: warum in Drohobycz binnen der gesebhlihen Frist keine Neuwahlen für den aufgelösten Gemeinderath ausgeschrieben wurden, während der bestellte Regierungs-Kommissar unterdessen vollkommen die Funktionen des Gemeinderathes ausübt. Von Seite böhmischer, mährisher und \chlefisher Kaufleute if eine Petition eingelaufen, um definitive Errihtung der Ochsenmärkte in Oswiecim und niht in Krakau.

In der heutigen Sißung des Herrenhauses wurde das Börsengeseß angenommen. Der Finanz-Minister plaidirte ent- geaen dem von dem Ausschusse gestellten Antrage, für die Re- gierungsvorlage, in wel{her bestimmt wird, daß der- Leitung der Börse die Autonomie hinfichtlih der Bestimmung der Liquida- tionstermine gewahrt bleibe. Das Herrenhaus nahm den dies- bezüglichen Paragraphen der ‘Regierungsvorlage an und geneh- migte alsdann nah kurzer Debatte den Gesezentwurf, betreffend die Handelsmafïler und Sensale.

In der heutigen Sizung des Finanz-Aus\chusses wurde das Finanzgeseß berathen und der Gesammtbetrag der Staatsausgaben pro 1875 auf 380,873,882 Fl. festgeseßt. Der vom Kultus-Minister nachträglich geforderte Kredit von 523,100 Fl. ift in dieser Summe nicht mit inbegriffen. Die Staatseinnahmen pro 1875 wurden auf 372,531,409 Fl. vor- veranschlagt, das unbedeckte Æfizit von 8,342,473 Fl. foll durh Veräußerung der im Besiße des Finanz-Ministers befindlichen Rente, im Betrage von 12 Millionen Fl. nominell, gedeckt werden.

Graz, 25. November. Im „Auftrage der Statthalterei wurde der Gemeinderath von Marburg aufgelöst.

Pest, 25. November. Der kirchenpolitische Aus- \chuß beschloß, sich vor Allem mit der Religionsfreiheit und der Civilehe zu befassen. Der Referent Molnar empfahl die An- nahme -des Eôtvös'\hen Entwurfes über die Religionsfreiheit. Die Einbringung der Civilehevorlage wird bei der Regierung urgirt werden.

Schweiz. Bern, 24. November. Das offizielle Organ des Bundesrathes, das „Bundesblatt“, hat das von den eid- genösfishen Räthen zum Bundesbeshluß erhobene neue Mi- litärorganisationsgeseß unter dem 20. d: M. zur Oeffent- lichkeit gebracht. Dasselbe wird demna der revidirten Bundes- verfafung zufolge am 20. Februar n. I. in Kraft treten, wenn bis zu diesem Termin nicht von 30,000 aktiven \{hweizer Bürgern oder 8 Kantonen das Verlangen gestellt worden if, das neue Geseg dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen. Das eidgenös\sishe Militärbudget wird für das nächste Jahr mehr als eine Million weniger in- Ausficht nehmen, als dies in dem Kostenvoranshlag der Fall war, welchen der Bundesrath den eidgenösfis{hen Räthen bei der Berathung der neuen Militärorganisation vorgelegt hatte und der auf 10,500,000 bis 10,700,000 Fres. angeseßt worden war.

Großbritannien und Jrlaud. London, 25. November. (A. A. C.) Der Herzog und die Herzogin von Edin- burgh überfiedelten in Begleitung ihres Sohnes heute vom Buckingham-Palaft nach Eaftwell-Park, ihrer neuen Befizung bei Ashford in Kent.

Die amtliche „London Gazette“ meldet die Ernennung des Hrn. Robert Stuart, bisherigen britischen General-Kon- suls in Odefsa, zum Minister-Refidenten und General-Konsul bei der Republik Hayti, und des Hrn. George Edward Stanley, bisherigen englischen Konsuls in Panama, zum General-Konsul für die russischen Häfen im Schwarzen Meer und im Azowschen Meer, mit dem Wohnorte in Odessa.

Der deutsche Botschafter hat sich mit seiner Toh- ter, der Comtesse Marie Münster, nah Chatsworth zu einem Besuche des Herzogs von Devonshire begeben.

Von dem Kriegs-Ministerium und der Admi- ralität ift beshlossen worden, den ae in Paris zu- sammentretenden geographischen Kongreß Seitens Groß- britanniens nicht zu beshicken, da er niht unter der Autorität der französishen Regierung stehe. Indeß wird die Geographische Gesellschaft in London bei dem Kongresse repräsentirt fein.

_— Di& „Morning Poft‘ \{reibt an hervorragender Stelle: yDie Regierungen von England, Kanada und British Kolumbia haben eine Uebereinkunft betreffs der zwishen dem Dominion und der Provinz \{chwebenden Fragen ge- troffen. Wenn die Punkte der Uebereinkunft bekannt sein werden, wird wahrscheinli ps werden, daß die gerechten Ansprüche von British Kolumbia alle die unter den Umständen mögliche Anerkennung gefunden haben.“

Großbritanniens Staatseinnahmen vom 1. April bis zum 21. November en amtlichen Ausweisen zu- folge 53,494,136 Lfirl. gegen 57,738,101 Lstrl. in der Parallel-

‘war hier wie anderwärts rein die Sache des Zufalls.

Periode des Vorjahres. Die Ausgabén in demselben Zeitraum beliefen fich auf 50,571,020 Lftrl. gegen 54,525,114 Lftrl. im Vorjahre, und die Bilanzen des Schazamtes in den Banken von England und Jrland bezifferten f{ch am 21. ds. auf 2,923,116 Lftrl. gegen 3,212,987 Lftrl. am nämlihen Tage im Vorjahre.

26. November. (W. T. B.) Der Scaßkanzler empfing heute eine Deputation von Parlamentsmitgliedern, welche den Wunsch aussprach, daß eine Kommisfion zur Prüfung der ge - seglihen Bestimmungen über den Banknotenumlauf und üver die Ausgabe von Banknoten eingeseßt werden möge, damit dem periodischen Eintreten von Geldfrisen vorge- beugt werde. Die Deputation wies namentlich auf die Noth- wendigkeit hin, in Bezug auf die gewissen Banken betreffs Aus- gabe von Noten gewährten Privilegien eine größere Gleihmäßig- keit eintreten zu lassen. Der Schatkanzler \prach \ich gegen die Niederseßung der gewünshten Kommission aus, wenn derselben für ihre Arbeiten fein \pezielles Programm vorgelegt werden könne und empfahl der Deputation die Aufstellung eines solhen Programms, in welchem alle von der Kommisfion zu erörtern- den Fragen aufgeführt würden. i

27. November. (W. T. B.) Der Staatssekretär des Auswärtigen, Lord Derby, empfing gestern eine Seitens der Textil-Jnduftrie der Grafschaft Yorkshire abgesendete Deputation, welche darauf hinwies, daß der zwishen der nord- amerikanishen Union und der Konföderation von Kanada ver- einbarte Reziprozitätsvêrtrag die eiglishen Waaren denen der Vereinigten Staaten nahstelle und den Wunsch ausfprach, daß bei Ratifikation des Vertrages Nordamerika keinerlei Vortheile betreffs der Eingangszölle eingeräumt werden möchten, die nit auch England als Mutterland befize. Lord Derby erklärte, daß er mit dieser Anschauung der Deputation einverfianden fei.

__ Frankreich. Paris, 25. November. (Köln. Ztg.) Heute hielt der Ober-Kriegsrath eine Sizung unter dem Vorsize des Marschalls Mac Mahon. Morgen findet ein militä- rishes Diner bei dem Präsidenten der Republik ftatt, zu dem die Mitglieder des Ober-Kriegsrathes so wie eine größere An- zah! von Generalen geladen worden find.

In dem Gesegzentwurfe über die Cadres der französischen Armee wird bekanntlih nihts über di: Orga- nisation des Generalstabes gesagt. Wie man vernimmt, soll nach Eröffnung der parlamentarishen Session ein besonderer Geseßentwurf über die Sache auf den Tisch des Hauses nieder- gelegt werden. Die Armee-Kommission hat denselben ausgear- beitet und der General Billot is mit der Berichterstattung be- traut. Wie verlautet, beantragt derselbe, den Generalstab in der- selben Weise zu ergänzen, wie dieses ‘in Dentshland gesczieht. Nur wird man den Rechten der jezigen Generalstabs-Offiziere alle Berücksichtigung zu Theil werden lassen.

26. November. (W. T. B.) Der Großfürst-Thron - folger und Großfürst Alexis von Rußland haben, wie die „Agence Havas“ meldet, für nähsten Sonnabend die Ein- ladung zu einem Diner im „Palais Elysée“ angenommen.

Der hiesige Munizipalrath hat die Vorlage, betreffend die Aufnahme einer Prämienanleihe von 220 Millionen an- genommen. Die mit 500 Frcs. rückzahlbaren und mit 20 Fres. per Jahr verzinslihen Obligationen gelangen binnen 75 Jah - ren zur Rückzahlung. An Prämien kommen jährlich 900,000 Srcs. zur Ausloosung.

Eni

Spanien. Madrid, 26. November. (W. T. B.) Na Mel- dungen, welche der Regierung zugegangen find, herrs{cht unter den Führern der carlistishen Truppen im Norden voll- ständige Uneinigkeit. Dorregaray | soll die Uebernahme eines Kommandos abgelehnt haben und Santacruz wieder mit der Führung von zwei Bataillonen betraut worden fein. Don Carlos befindet sich in Tolosa (Provinz Guipuzcoa).

Nach über Paris eingegangenen, aus carliftisher Quelle kommenden Depeschen schreiben sich die Carlisten den Sieg in dem Gefechte bei San Marcial zu; fie behaupten, 100 Gefangene gemacht zu haben.

Ftalien. Rom, 26. November. (W. T. B.) Die Deputirtenkammer erledigte heute die gestern ni@t vollständig beendete Wahl ihrer Sekretäre. Dieselbe fiel auf Farini und Gravina, welche der Linken angehören; von beiden wurde die Wahl indeß abgelehnt, weil alle in der gefirigen Sißung ge- wählten Sekreiäre der Rechten angehören. Die Linke hatte bei der heutigen Wahl unbeschriebene Stimmzettel abgegeben.

_ Nußland und Polen. Ueber die Amur-Dampf- \hiff-Compagnie und die Goldwäschereien schreibt die „St. Pet. Ztg“: ,

eDie Angelegenheiten der Amur-Dampfschiff-Compagnie sind nach Nachrichten der „Mosk. Ztg.* in äußerster Zerrüttung, so daß es nit einzusehen ist, wie fie sich ohne Liquidation herauswickeln foll. Alle Dampfböte, die alten, wie die neuen, sind in einen fo untauglicen Zu- ftand gerathen, daß sie ihren Frachtverbindlihkeiten nicht nachkommen konntèn, welchen Umstand fih die Befißer von privaten Dampfern, besonders der Chinese J-Chu-San, vortrefflich zu Nußte gemacht haben. Dieser thätige Chinese, der sg vor eimgen Jahren ein Dampfboot kaufte, gilt als der pünftlihste Fratführer und als der zuverlässigste Lieferant. Die Unpünktlichkeit der Amur-Compagnie hat es den Be- fißern der Privatschiffe ermsgliht, den Frahtsay zu erhöhen und ihren Gewinn zu vermehren.

Neben der Compagnie bildet die Entdeckung reiher Goldminen am Flußsystem der Burea durch die Leute des Herrn Anofsow den Hauptgesprächsgegenstand am Amur. Die Burea fällt vom Norden her in den Amur und ist {hon seit langer Zeit von unsern Jägern aus der Jakußker Gegend besucht worden. An der Burea ftand so- gar seit lange {on eine russische Kapelle, bei welcher die russischen Händler mit den eingebornen Jägern zum Eintaush von Fellen zusammenzutreffen pflegten. Die Entdeckung von S

eim Bade an einem heißen Tage soll ein Arbeiter, der früher Goldfucher gewesen war und durch die Aehnlichkeit der Gegend mit ihm bekar.nten Goldgegenden frappirt wurde, mit der

and Sand aus dem Grunde des Flusses heraufgeholt, ihn mit ge- Übter Hand ausgewaschen, und Gold entdeckt haben. Das hat den Anführer der Partie zu Schürfungen veranlaßt, wobei nicht nur Gold gefunden wurde, sondern {ch die Torfschicht, die über dem gold- baltigen Sand liegt, als so dünn erwies, daß die goldhaltige Sicht an einigen Stellen fast offen zu Tage tritt. Der Eindruck dieser Entdeckung am Amur war kein freudiger. Allerdings können die Goldwäschereien einzelnen Menschen Reichthum bringen, den Jnu- habern derselben nämlich und den Branntweinhändlern, aber auf die wirth- schaftliche, kommerzielle und gewerbliche Entwickelung des Amurgebiets werden die Goldminen hier wie anderorts sicher einen chädigenden Einfluß ausüben. Dec Mangel an Arbeitern ift ohnehin groß am Amur und jeßt werden sicherlich viele bereits angesiedelte Einwohner vom Gold- fieter ergriffen werden. Die Goldwäscher werden, natürlich aus Mangel an Arbeitern, ohne Wahl alles Gesindel engagiren und Sicherheit und Ruhe in der Gegend werden s{winden. Die ohnehin e weg dret: Dampfschiffahrt wird fich auss{ließzlich darauf werfen, Lasten und Arbeiter zu den Minen und zurück zu transportiren. Jeßt {hon sind die Preise für Tagelohn und die gewöhnlichsten Handels-

Objekte und Gewerbeprodukte fast uners{chwinglich. Der Zucker z. B. der in Nikolajewsk mit Transport 6 Rbl. per Pud- kostet, wird in Blagoweschtshensk mit 11 Rbl. bezahlt. Wie soll das «rft später werden ? :

Schweden und Norwegen. Stockho1m, 22. November. Für den verstorbenen Erzherzog Karl Ferdinand von Desterreih ist eine mit dem gestrigen Tage beginnende sechstägige Hof - trauer angeordnet worden.

Der König iff gestern Morgen in Christiania ein- getroffen und wurde auf dem Bahnhofe daselbst vom Stiftsamtmann, dem Bürgermeister, Polizeimeister, Stadt- Kommandanten und den übrigen Höheren städtishen Be- hörden empfangen. Nachdem er einige Worte mit den Versammelten gewechselt hatte, fuhr der König aufs Schloß, escortirt von der reitenden Bürgergarde. Hier standen die Mit- glieder der Regierung und die Hofhargen zum Empfange bereit und die Wache war vou einer Compagnie Bürgerwehr bezogen. Das Diner nahm Se. Majestät beim Staats-Minister Stang ein. Der Aufenthalt if vorläufig auf aht Tage festgeseßt. Haupt- zweck der Reise wäre, norwegischen Blättern zufolge, die Ein- sezung eines neuen Kultus-Ministers.

Dänemark. Kopenhagen, 24. November. Der Kron- prinz, welher am Sonnabend von seiner Reise im Auslande nah Kopenhagen zurückehrte, ist gestern nah Ravnholt in Fühnen abgereist, wo er einer Einladung des Kammerherrn Sehestedt-Juul Folge leistend, an den Jagden Theil nehmen wird, welche daselbst in diesen Tagen abgehalten werden sollen.

Nath einem Telegramm des „Rißzauschen Bureaus“ ift der Polizeimeister in Stockholm, Lund strôm, heute Mittag um 2 Uhr mit Tode abgegangen.

Während das Folkething noch immer mit Aus\{huß- fiungen beschäftigt ist und feine öffentlihen Sizungen hält, wurde heute im Landsthing eine Interpellation, betreffend bessere Ordnung des Fahrplanes auf den jütishen Eisenbahnen eingebracht, die bei der wahsenden Ausdehnung des Eisenbahn- neßes geboten erscheint. Die Penfions\ahe für die Wittwe des Oberst Tscherning hat heute im Landsthing die drei üblichen Behandlungen passirt und wird sodann die Königlihe Bestä- tigung finden können.

Amerika. Aus Mexiko sind der „A. A. C.° via Havanna folgende Nachrichten zugegangen: Mexiko, 30. Df- tober. Die deutshe Brigg „Ana IJIoro*“ if auf der Bank von Minakiklan zu Grunde gegangen. Der Staats- rath von St. Luis Potosi ermuthigt die Kolonisation; jeder Kolonist erhält gratis ein Grundstück zum An- bau und zur Errichtung eines Wohnhauses neb| den dazu benöthigten Materialien. Im Staate Guerrero sind große Silber-, Quecksilber- und Zinnober-Lager entdeck worden. „Am 1. Oktober ift nahe Mazatlan eine Goldader entdeckt worde.

Eine dem „Reutershen Bureau“ zugegangene Depesche aus Buenos-Ayres vom 26. d. M. meldet, daß der Jnsur- gentenfüßhrer Arredondo die Regierungstruppen unter dem Ge- neral Rocca geschlagen hat.

Asien. Kalkutta, 24. November. Sir Richard Temple hat zwei Proklamationen erlassen, worin er den in Veranlassung der Hüngersnoth in Bengalen angestellten Beamten sowie einer großen Menge Europäern und niht amtlihen Eingeborenen den Dank der Regierung abstattet. Er konstatirt, daß viele Landbe- fizer die Eznziehung- der Pachten suspendirten und keine Ent- \chädigung für die für die Nothbauten überlassenen Ländereien verlangten. Vierzig Lakhs wurden Zemindars, Landvefißern und Kaufleuten für Bodenverbesserung, Unterstüßung von Päch- tern und Getreideeinfuhr vorgeschossen. Die bengalishen Sub- \friptionen lieferten einen Ertrag von nahezu 100,000 Lstr.

Im Auswärtigen Amt zu London if die Meldung ein- gegangen, daß die Ruhestörungen in Masnaah am per- fischen Meerbusen durch den Eindruck, den die Anwesenheit dreier a Kriegsschiffe hervorrief, in befriedigender Weise ein Ende anden.

In Cabulk, Afghaniftan, stürzten am 18. Dfktober in Folge eines Erdbebens ungefähr 1000 Häuser ein und be- gruben eine Menge Personen unter ihren Trümmern.

Japan. (A. A. C.) In Anbetracht einer künftig einzu- führenden HeereSorganisation ift eine Registration aller japanischen Unterthanen vorgeschrieben worden.- Der amerikanische Gesandte widerseßt sich der Eintragung feiner japanishen Dome- stifken, da das Verfahren dem Herkommen nicht entsprehe. Die Gesellschaft franzöfischer Astronomen wurde in dem Kaiser- lihen Gasthause in Yeddo aufgenommen, woselbst die amerika- nische Gesellschaft sich früher aufgehalten hat. Der frühere Geschäftsträger in Washington, Mori, hat ein neues Heiraths- \ystem eingeführt, welhes der Eheschließung einen durchaus civil- tontraktlihen Charakter giebt. Der zum Konsul in New-York ernannte Hr. Tomwita is der erste Japaner, der fih nah diesem System trauen ließ.

Afrika. Marokko. Nachrihten aus Tangier vom 7. d. melden die Rückkehr der Wadnoon-Gefangenen nach diesem Orte nah längerer Gefangenschaft. Nah Berichten aus Oran beabfichtigt der Sultan von Marokko, mit seiner Armee fich nach dem E zu begeben und später den Norden seines Reiches zu

esuchen.

Ueber Oberst Gordons Expedition liegt in den Londoner Blättern eine weitere Depesche aus Khartum vom 9. November vor. Dieselbe lautet;

Oberst-Lieutenant Long wurde von Gondokoro an den Hof von Mteza, des Königs von Uganda, einem Distrikt an den Ufern des Victoriasees, gesandt. Er war von nur zwei ägyptis{ecn Soldaten begleitet, und obwohl die Reise viele Schwierigkeiten darbot, crreih- ten die Reisenden wohlbehalten die Refidenz des Königs Mteza, von dem sie sehr gut aufgenommen wurden. Oberst Long berichtet, daß der Victoriasee nicht sehr ausgedehnt ist, indem seine durhschnittliche Breite nur 12—15 Meilen betrage. Sein Wasser ift süß und sein Niveau verändert sich nur in der großen tropischen Regensaison. Auf der Rückehr von dem Hofe des Königs Mteza verfolgte er den Lauf des Nils von Mondogani nach Farangoni, unweit der Karuma- Falle. Der Fluß war die ganze Entfernung von den Izamba- und Karuma-Fällen durhweg schiffbar. Er entdeckte einen neuen See, der im 30" nördlicher Breite gelegen ift (nicht einen Stroin, wie in der leßten Depesche irrthümlich gemeldet wurde). Jn der Nähe eines Ortes, Namens Mavolli, wurde die kleine Reisegesellschaft von einem Trupp von eiwa 400 Eirfgeborenen aus Kamrasis Lande angegriffen, aber na einem kräftigen Widerstande, der von Mittag bis Sonnenuatergang dauerte, shlug fie ihre Angreifer mit einem Verluft von 82 Todten zurück. Oberst Long erhielt eine unbedeutende Wunde im Gesicht ; die Soldaten, deren Namen Saad und Abdul Rahman sind, entkamen ohne jede Verleßung. Die Soldaten waren mit Remington-Gewehren be- waffnet, Oberst Long hatte eine Reillybüchse Nr. 8. Oberst Gordon äußert fi sehr lobend über die Weise, in welcher Long sid der ihm übertragenen schwierigen und wichtigen Mission entledigte. Die Route zwischen Uganda und Zanzibar ist peiaetis unterbrochen und die einzige prafticable Route für die Elfenbeinhändler von dem Uganda-

Lande ift durch Gondokoro und so na Aecaypten. Diese Route bietct gegenwärtig keine Hindernisse dar. König Mteza benachrichtigte Oberst Long am 19. Juli, daß Lieutenant Cameron zur Zeit in Udschidschi war. Vier Mitglieder von Gordons Expedition find bereits / dem Klima erlegen, nämlich Young Anson, Major Campbell, De Witt und Auguste Linant.

Nr. 82 des „Amts-Blatts der Deutschen Reichs-Poft- Verwaltung“ hat folgenden Inhalt: Generalverfügung vom 24. November 1874. Verkehr der Postanstalten mit den Anmelde- stellen. Vom 23. November 1874, Führung der Reisejournale der Eisenbahn-Postschaffner. Vom 22. November 1874. Zurückweisung unförmlicher, reglement8widrig verpackter Drucksachen. —- Bescheidung: Vom 14. November 1874. Verpflichtung der Ausgabebeamten zur Prüfung des Bestellvermerks auf den Post-Packetadressen vor Aus- händigung der Packete.

Nr. 45 des Justiz-Ministérial-Blatts für die preu- ßische Geseßgebung und Recbtspflege, herausgegeben im ureau des Justiz - Ministeriums, enthält: Allgemeine Verfügung vom 23. November 1874, betreffend die Ernennung von Vorsißenden der Schwurgerichte. Allgemeine Verfügung vom 24. November 1874, betreffend das Grundbuhwesen in der Provinz Hannover.

Reichstags - Angelegenheiten,

Berlin, 27. November. Jn der gestrigen Sizung des Deutschen Reichstages nahm in der ersten Berathung des Entwurfs einer Strafprozeßordnung der Großherzoglich badische Bundesbevollmächtigte, Ministerial-Präfident, Wirkliche Geheime Rath v. Freydorf nah dem Abg. Miquel das Wort: Hothgeehrte Herren! Jh enthalte mich einec theoretishen Recht- fertigung der vorgelegten drei Geseßentwürfe oder auch nur derjenigen Bestimmungen, welche bei den gegenwärtigen Verhandlungen ange- griffen wurden. Dazu fehlt die Zeit; eine folhe Rechtfertigung wäre heute auch wenig wirksam und muß einem jpäteren Stadium der Verhandlungen vorbehalten bleiben. Jch erhe“e mich nur, um aus einiger Erfahrung Zeugniß abzulegen für wejentlihe Vorschläge der Geseßentwürfe, welche iu diejen Verhandlungen Anfechtungen und Zweifeln begegnet sind. Sie legen vielleiht diesem Zeugniß einiges Gewicht bei, wenn ich Ihnen sage, daß die Reichsgeseßentwürfe ganz auf selbständigem Wege zu denselben Einrichtungen der Ge- richte, zu derselben Gerichtsverfassung, namentlich im Strafverfahren, gelangt find, welche im Großherzogthum Baden seit zehn Jahren be- steht. Die Erfahrungen, welche der Hr. Abgeordnete Schwarze ins Feld zu führen in der Lage war, waren dem Hrn. Abg. Reichen- sperger (Crefeld) zu kurz. Unsere Erfahrung ist länger, und der Hr. Abg. Schwarze ist nicht Vater der badishen Geseße (wie der \ächsi- schen nach der Bemerkung des Abg. Reichensperger), obgleich wir, wie diejenigen anderer Juristen, auch seine Kenntniß und Erfahrungen seiner Zeit mit zu Rathe gezogen haben. : Der Hr. Abg. Reichensperger hat mit Recht hervorgehoben, daß

das System, welches der Entwurf vorschlägt, nicht an großer Folge- rihtigkeit leidet. Es sollen die {chwersten Verbrechen von Geschworenen abgeurtheilt werden; hier urtheilt also über“ die Thatfrage das, was ich mir erlauben will zu uennen bürgerliher Verstand. Die mittleren Vergehen follen abgeurtheilt werden durch Kollegial- gerichte, äus\cließlich von Juristen beseßt; hier wird also das Ur- theil gefällt auss{ließlich von dem juristisch gebildeten Verstande, und bei den leihteren Uebertretungen wird ein Kollegialgeriht zu- sammengeseßt aus juristishem Verskande und aus bürgerlihem Ver- stande, es urtheilt hier ein Richter mit Beiziehung zweier Schöffen. Ich habe gesagt, daß ganz diejelbe Einrichtung seit dem Jahre 1864 im Großherzogthum Baden besteht. Es ist nun richtig, daß man si in Regierungskreisen hon mit dem Gedanken der Einführung und Durchführung eines fonsequenteren Systems beschäftigt hat, cllein ih kann sagen, und die Herren Abgeordneten aus Baden werden mir bezeugen, daß ein irgend dringendes Verlangen nach einer Aenderung unserer Gerichtsverfassung weder in juristishen Kreisen, uoch im Volke, noch in der Presse hervorgetreten ist. Es ist s{wer, zu einem änderen System zu gelangen. Zu einer Beseßung aller Strafgerichte, einer Aburtheilung aller Vergehen auss{ließlich durch juristisch gebildete Elemente will Niemand zurückehren. Will man Laien zuziehen, so hat man die Wahl zwischen Schwurgericht und zwischen Schöffen. Das Schöffen- system läßt sich konsequent durch alle Instanzen durchführen, und der erste im preußishen Justiz-Ministerium ausgearbeitete Entwurf einer Gerichtsverfassung hatte dieses System, wie der E Justiz-Minister von Preußen Ihnen gestern erläutert hat, durchgeführt. Allein dieses System s\chéiterte an dem Verlangen nach Shwurgerichten. ordert man einmal für die Verbrechen oberster Ordnung Scchwurgerichte, so is das Syftem dur{chbrochen. Es if un- möglich, aus den Gründen, welche der preußische Herr Justiz- Minister bereits erörtert hat, das Schwurgerichtsystem dur alle Instanzen bis herab zu den Vergehen unterster Ordnung durchzuführen Angesichts der Umständlichkeit der Verhandlungen, des großen Apparats und Zeitverlusts, welcher mit Schwurgerichtsver- handlungen verbunden ist; man muß also: für Vergehen und Ueber- tretungen nah anderen Gerichten suchen. Hier findet man nun in den befichenden Land- und Kreisgerihten Gerichte für die mittleren Ordnungen. Man ist durch die Mündlichkeit und Oeffentlichkeit des Verfahrens genöthigt, auch in der unteren Instanz Kollegialgerichte zu bilden, und hier greift man zu Schöffen und bildet ein Kollegial- gericht aus einem Richter uud zwei Schöffen. Ohne Nachahmung, ganz selbständig und ganz auf demselben Wege und aus denselben Erwägungen ist die Reichsgeseßgebung zu derselben Konstruktion der Strafgerichte gelangt, wie feiner Zeit das Großherzogthum Baden. Ich habe gesagt, daß dieses System ein nicht sebr folgerichtiges

sei, ih fann aber hinzufügen, und man wird es mir von Seiten der Abgeordneten aus Baden bestätigen, daß dieses System in unserem Lande sich erprobt hat, day kein irgend erhebliches Verlangen nah einer Aenderung sich kundgegeben hat. Einige Abgeordnete nun, meine Herren, haben Anstoß genommen an dem Institut der Scöffengerihte. Es ist von dem Hrn. Abg. Reichensperger (Cre feld), welcher gestern gesprohen hat, u. A. enitgegengehalten worden, daß ein sehr starker Gebrauch von Schöffen von bürgerlichen Beifitzern mit dem Institut der Schöffen verbunden sei. Er hat be- hauptet, daß in Deutschland nah seiner Berechnung ungefähr 94,000 Schöffen jährlich mobil gemaht werden müßten. Jch halte diese Zahl nit für übertrieben, allein ich weise darauf hin, daß jeder dieser Schöffen nur für eine Sißung, nur für einen Tag mobil gemacht, und daß er nur aus der nächsten Nähe herangezogen wird. Das System der s{wurgerichtlihen Verhandlungen erfor- dert, wie sih leiht nachweisen läßt, einen verhältnißmäßig viel größeren Verbrauch von Personal und Zeit. Ich kann, meine Herren, aus unsern Erfahrungen in Baden bezeugen, daß, obgleich die badische Gesetzgebung für die Justiz und Verwaltung ebenso große Ansprüche an die bürgerlichen Elemente macht, als die zebu1 anderen deutschen Staates, doch das System der Schs bewährt hat, daß weder von Seiten der Juristen noch von

eseßgebung irgend eines

Feaarri@te sih Seiten des Volkes und der Prie Einwendungen dagegen gemacht werden,

daß die Schöffen ihren Dienst gerne leisten, und daß das System der Schöffengerichte die Strafrechtspflege in der unteren Instanz, ins- besondere au die Polizeistrafrehtspflege, in den Augen der Bevölke- rung wesentlich gehoben hat. Die Erfahrungen in Baden stimmen also mít den Erfahrungen, welche von Hannover und Sachsen aus vegeng werden, durchaus überein. E

ehrere der Herren Abgeordneten haben Bedenken geäußert gegen die Aufhebung des Rekurses in Strafsachen. Auch hierin ist mit wenigen anderen, mit der Geseßgebung, glaube ich, von Oldenburg und Braunschweig, die badishe Gesetzgebung vor etwa 10 Fahren vorangegangen, obgleich diese Einrihtung damals noch nirgend er- probt war, und obglei ihr damals noch wesentlihere Bedenken ent- gegengestellt wurden, als in den gegenwärtigen, heutigen Verhand-

lungen. Die Aufhebung des Rekurses hat sih seither in Baden voll- ständig erprobt. Jch kann sagen, daß bis beute weder tn der Bes völkerung, noch in juristischen Kreisen irgend eine Stimme laut geworden if, welhe zur Wiedereinführung des Rekurses in Strafsachen drängte. Allerdings der Rekurs in Baden (außer gegen s{wurgerichtlihe Urtheile) wurde nur gegen Urtheiie der mittleren Strafgerihte aufgehoben; der Rekurs beftcht noch gegen die Urtheile der Amtsgerichte und Schöffengerichte in den un- teren Strafsachen. Es lassen sich die Gründe für und gegen hier nicht ershöôpfen; ein Grund aber leuchtet ein. Man ift in den Ver- handlungen von Strafsachen hauptsächlich auf den Zeugenbeweis an- gewiesen, also auf das Gedächtniß des Menschen, und das Gedächtniß ist zuverlässiger für Thatsahen, welche näher liegen, als für That- sachen, welhe ferner liegen, und so ergiebt sich, daß in Strafsachen, wollte man den Rekurs beibehalten oder wieder einführen, der zweite Richter \{lechter informirt würde, als der erfte, vor welhem die Ver- handlungen näher an der That vor sih gehen. Jch kann auc hierin auf das Zeugniß meiner Landsleute aus Baden hinweisen und bestätigen, daß auch diese Seite der neuen Gesetzgebung, daß auch die Aufhebung des Rekurses in höheren und mittleren Strafsachen und die Beschrän- fung der Verhandlung dieser Strafsachen auf eine Instanz fich in Baden während des zehnjährigen Bestchens der neuen Gesetzgebung bewährt hat.

Dem Abg. Dr. Lasker entgegnete der Bundesbevollmächtigte Justiz-Minister Dr. Leonhardt:

Der Hr. Abgeordnete Lasker hat nach den Eingangsworten seiner Rede mich doch sehr stark mißverstanden. Jch habe gestern am Shlufse meiner Bemerkungen ganz ausdrücklih gesagt: ih gäbe dem Hohen Hause anheim, es bei derjenigen Organisation der Strafrehts- pflege, welhe der Entwurf jeßt enthält, zu belafsen, und ih habe für den eventuellen Fall, daß das Hohe Haus dafür halten jollte, es sei nicht angänglich, niht harmonisch, daß in den Gerichten ober- fter Ordnung Laien, bei den Gerichten unterster Ordnung Laien und bei den Gerichten mittlerer Ordnung rechtsgelehrte Richter urtheilen, anheimgegeben, lieber die Laien in der untersten Ordnung fallen zu lassen, als sie heranzuziehen in die mittlere Ordnung.

Dann habe ih des Ges{hworneninfstituts nur gedaht im Ge- gensaß zum Schöffeninstitut. Jh habe bemerklih gemacht : eine cigentlich forréfte Justizpflege heine mir nur verbürgt zu wer- den durch rechtsgelehrte Richter. Allein neben der Korrektheit der Rechtspflege kämen auch rechtspolitische Momente in Betracht; dieses sprächen für Zuziehung der Laien zur Strafrechtspflege. Es fei nun aber nach den realen Verhältnifsen unthunlih, die Laien in der Ge- stalt von Geschworenen bei den Gerichten aller Ordnungen zu bethei- ligen. Es bleibe demgewäß nur übrig: die Schöffengerichtêverfafs- sung; die Schöffengerichtéverfassung habe abex den Wegfall der Ge- ichwornen für die oberfte Ordnung zur Folge, wenn man nicht etwx das Geschworeneniustitut zu einem politishen Institut machen wolle. Ich habe bemerkt: ih scheue diese Konsequenz nicht, weil ih das Geschworeneninstitut nicht für ein so vorzüglihes Justitut erachte, daß ih es nit preisgeben sollte gegen die Schöffengerichtsverfassung. Ich habe ausdrücklih hinzugeseßt: ih sei kein Feind des Geschworenen- instituts.

Ich habe dem Herrn Abgeordneten Reichensperger gegenüber, der bemerfte, es seien ihm noch feine Fälle vorgekommen, in welchen die Geschworenen Unschuldige s{uldig gesprochen hätten, bemerkt: in der Lage sei ich nicht; mir seien derartige Fälle vorgekommen. Aber ich habe ausdrü@Flich hinzugeseßt: daraus könne den Geschworenen fein Vorwurf gemacht werden, denn dergleihen Vorwürfe würden auch rechtsgelehrte Richter treffen.

Demgemäß habe ih mi in keiner Weise feindselig dem Jnsti- tute der Geschworenen “geäußert. So lange das Junstitut der Ge- \chworenen Rechtens ist und so lange man nicht etwas Besseres an seine Stelle seßen kann, so lange wird das Geschworeneninstitut von mir gepflegt werden und ih werde volles Vertrauen zu ihm haben !

Mit dem Geshworeneninstitut sind Liht- und Schatten- seiten verbunden, ebenso mit dem Schöüffengericht und ebenso mit der Rechtspflege durch rechtsgelehrte Richter!

Der dem Reichstage vorliegende Entwurf eines Ge- seßes, betreffend die Feststellung des Landeshaus- halts-Etats von Elsaß-Lothringen für das Jahr 1875, hat folgenden Wortlaut:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c., verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach er- folgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, für Elfaß- Lothringen, was folgt:

8. 1, Der diesem Geseß als Anlage A. beigefügte Landeshaus- halts-Etat von Elsaß-Lothringen für das Jahr 1875 wird hierdurch in Ausgabe auf 49,872,317 Franken 50 Centimen (39,897,854 Mark), nämlich: auf 36,281,857 Franken 50 Centimen (29,025,486 Mark) an fortdauernden und auf 13,590,460 Franken (10,872,368 Mark) an einmaligen und außero:dentlichen Ausgaben, in Einnahme auf 49,872,317 Franken 50 Centimen (39,897,854 Mark) festgestellt.

8. 2. 1) Die direkten Staatêsteuern werden im Jayre 1875 in Prinzipale und Zuschlägen nach Maßgabe der als Anlage B. beige- fügten Uebersicht den Bestimmungen der Geseße gemäß erhoben. 2) Die Kontingente dec Bezirke zu dem Prinzipale der Grundsteuer, der Personal- und Mobiliarsteuer und der Thür- und Fenstersteuer sind in der Anlage ©C. festgeseßt. d

S Kür Rechnung der Bezirke, Gemeinden, öffentlichen An- stalten und sonst berechtigten Korporationen können im Jahre 1875 1) die nah der bestehenden Geseßgebung gestatteten Zuschläge zu den direkten Staalssteuern inrerhalb der danach zulässigen Grenzen, 2) die in 8. 3 Nr. 2 des Gesebes, betreffend die Fe!tstellung des Landes- haushalts-Etats von Elsaß-Lothringen für das Jahr 1872, vom 10. Suni 1872 (Geseßblatt S. 177) bezeichneten besonderen Abgaben und Gefälle erhoben werden. . |

8. 4. Der nah Maßgabe des Reichsgeseßzes, betreffend die Aus- gabe von Reichs-Kafsen scheinen, vou 30. April 1874 (Reich8-Geseßbl. S. 40) auf Elsaß-Lothringen entfallende Betrag an Reichs-Kassen- scheinen ift für die Universität Straßburg und bis zum Betrage von 150,000 Mark für die Universitäts- und Landes-Bibliothek zu Straß- burg, na der durch den Landeéhaushalts-Etat zu treffenden näheren Bestimmung zu verwenden.

Er wird bis zur Verwendung als besonderer Fonds verwaltet. Die demselben überwiesenen Geldbeträge find zinsbar anzulegen. Die Zinsen wachsen dem Fouds zu. E S

Die Anlegung darf nur erfolgen in verzinslihen Schuldverschrei- bungen, welche a. auf den Inhaber lauten, oder auf den Jnhaber jederzeit umgeschrieben werden können und Seitens des Gläubigers unkündbar sind, und b. einer der nachstehend verzeichneten Gattungen angehören: 1) mit geseßliher Ermächtigung ausgestellte Schuldver- schreibungen des Reichs oder eines deutschen Bundesstaats; 2) Schuld- verschreibungen, deren Verzinsung vom Reih oder von einem Bun- desstaate gejeßlich garantirt ift ; 3) Rentenbriefe der zur Vermittelung der Ablösung von Renten in Deutschland bestehenden Rentenbanken; 4) Schuldverschreibungen deutscher kommunaler Korporationen (Pro- vinzen, Bezirke, Kreife, Gemeinden u. \, w.), welche einer regel- mäßigen Amortisation unterliegen; 5) Prioritäts-Obligationen deut- ser Eisenbahngesellschaften. O L : j

.Bis zum Betrage von einer Million Mark können die Bestände des Fonds bei einem Bankinstitute, unter Vorbehalt einer drei Mo- nate nit übersteigenden Kündigungsfrist für die Rückzahlung, zinsbar angelegt werden. : j j j

Die näheren Bestimmungen über die Verwaltung trcifft der Reichskanzler.

Urkundlich 2c. Gegeben 2c. z

Der Etat Jae das Jahr 1874 {loß mit 42,786,240,76 Fr. ; derjenige für 1875 ist also um 7,086,076,74 Fr. in Einnahme und

* Ausgabe höher.