1830 / 320 p. 2 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Thu, 18 Nov 1830 18:00:01 GMT) scan diff

2474

Vereidigung mehrerer Deputirten, die wegen Unzulänglichkeit der von ihnen beigebrachten Certifikate vorläufig noch zurückgeroie- en worden waren. Sodann wurden die Berathungen über den Sa des Hrn. Bävoux wieder aufgenommen. Herr Le- vêque de Pouilly verlangte, daß man das Porto für die Zeitungen ganz eingehen lasse, wogegen Herr Odier eine bloße Ermäßigung desselben für um so unzulässiger hielt, als sich in den Einkünften der Post für das laufende Jahr ohnehin ein Ausfall von 2,200,000 Fr. ergebe, der durch die neue Organisirung des Postwesens herbeigeführt worden sey. Der Graf v. L aborde gab jeine Verwunderung zu erkennen, daß feiner der Minister im Laufe der Diskussion das Wort ergreife. Auf die Frage des Grafen von Noailles, wie stark der Ausfall seyn würde, wenn man das Postportfo auf 2 Cent. verminderte, erwle- derte der Berichterstatter, Herr André, daß die Summe sich etwa auf 660,000 Fr. belaufen möchte. Herr Viennet bemerkte, daß, so wie die Sachen jeßt ständen, ein Zeitungs- schreiber immer von einem heiligen Schrecken befallen würde, wenn sich ein neuer Abonnent bei ihm meldete. Die Ver- sammlung schien dieser Versicherung keinen besonderen Glau- ben zu schenken, obgleih Herr Viennet sie darauf stúßte, daß das bisherige Haupt - Einkommen der Journale, nämlich die Jynsertions-Gebühren für Prioat-Annoncen , durch die Oeffentlichkeit der Debatten der Pairs - Kammer bedeutend ge- s{chmälert würde. Der obige, Antrag des Herrn Bavoux wurde daher auch, als jeßt darüber abgestimmt wurde, mit großer Stimmen-Mehrheit verworfen. Nicht besser erging es einer Proposition des Herrn Viennet , das Porto von 5 auf Z Centimen zu reduziren. Derselbe Deputi:te tra hier- auf mit dem Antrage auf eine Ermäßigung von 5 auf 4 Cent. hervor. Dieser wurde endlich angenommen. Herr Madier de Montjau entwickelte hierauf einen Zusaë- (rtifel fol- genden Inhalts: „Die Stempel- und Post-Gebühren für die ín den Departements, mit Ausnahme decer der Seine und der Seine und Oise, erscheinenden Zeitungen und pe- riodishen Schriften sollen in Städten von mehr als 50,000 Einwohnern um die Hälfte, und in Städten von weniger als 50,000 Etnwohnern uin dret Viertel ermäá-

ßigt werden.“ Der Finanz-Minister fand sich dadurch „Die Kammer ivird

zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: , a wi leiht einsehen, wie schwer es hält, ein "jolches Finanz-Geseß

leichsam zu improvisiren. Jch habe mich bereits geftern eiges Ansichten der Regierung ausgesproheu. Gewiß wird Niemand uns in dem Verdacht haben, daß wir feine Freunde der Preßfreiheit wären. Es handeit sich hicr aber von einer finanziellen Frage. Ohne Zweifel wird man bei Gelegenheit des Budgets zwei Dinge von uns verlangen, die größtmöglichste Ersparniß in den Ausgaben, uud die Angabe der Mittel, um diese Ausgaben zu bestreiten. Jn dieser Be- ziehung wiederhole ich aber, dap die Lage des Schaßes mir, in dem Interesse der Preßfreiheit selbst, keine sofortige Ber- minderung der Einnahmen zu gefiatten scheint. Das Bud- get wird Jhnen unverzüglich vorgelegt werden; alsdann fôn- nen Sie mit voller Sachkenntniß entscheiden.‘ Hr. Madier de Montjau nahm hierauf sein Amendement zurück. Herr v. Tracy verlangte, daß die überseeiichen Zeitungen nicht wie Briefe, sondern nach dem für die inländijchen Zeitungen bestehenden höchsten Saße taxirt würden, indem bei der jebl- gen Einrichtung das Porto oftmais |o hoh scy, daß die Em- pfänger as vorzögen, ihre ‘Pafete gar nicht von der Post ab- holen zu lassen. Herr von Salvandy. {loß sih die- sem Antrage än und schlug zugleich vor, eine solche Ver- únstigung auch den in fremden Sprachen erscheinenden Vournlen zu Theil werden zu lassen. Beide Vorschläge wurden angenommen. Jett kam die Reihe an das (bereits gestern erwähnte) Amendement des Herrn Jsambert. Dasselbe lau- tet also: „Jedem Geschäftsführer einer Zeitung oder politi- schen Schrist, so wie allen Andern, ist, unter Androhung der im Artikel 290 des Strafgeseßbuchs enthaltenen Strafen, so wie überdies ba einer g N h E A r ede Strafen gleichzeitig oder einzeln auferlegt werden können Ds n die Erlaubniß der polizeilihen Behörde An- fündigungen auf dffentliher Straße anzuschlagen oder an- s{lagen zu lassen, ane Een oder ausrufen zu lassen.‘/ Nach- dem Herr Jsambert diesen Antrag näher entwickelt hatte, äußerte der Minister des Jnnern sih darüber in folgender Weise: „„Da ich unter meiner Verantwortlichkeit mit der Polizei des Landes beauftragt bin, so ist meine erste Sorge gewesen, mih mit der Frage zu beschäftigen, die so eben- hier zur Sprache gebracht wird. Jch habe mehrere Generai-Pro-

furatoren zu Rathe: gezogen, um mich von den zur Aufrecht- .

haltung der Geseße mir zu Gebote stehenden Mitteln: gegdrig zu unterrichten, und diese Mittel gedachte ih demnächst zum

Besien der Preßfreiheit anzuwenden, um sie von Allem zu

säubern, wodurch sie in den Augen des Publikums besudelt werden fönnte. Aus den desfallsigen Konferenzen hat sich indeß ergeben, daß hinsichtlich unsrer Gesesgebung über die Anschlag- zeîtel und die öffentlichen Ausrufer in der That große Mei- nungs-Verschiedenheiten herrschen. Die Regierung fühlt daher auch vollkommen die Nothwendigkeit, eine geseßliche Maaßregel in dieser Beziehung zu ergreifen; doch glaubt sie, daß eine solche mit dem vorliegenden Gegenstande durchaus nichts ge- mein habe. Sie ersucht also den vorigen Redner, eine be- sondere Proposition dieserhalb zu machen; wo nicht, so wird sie selbst damit hervortreten.‘ Nachdem hierauf Herr Jsam- bert seinen obizen Antrag zurückgenommen hatte, trat Herr Benjamin Constant mit dem Vorschlage hervor, den ueuen Zeitungen zur Cautions-Leistung eine zweimonatliche Frist zu gestatten. „„Jch trete‘/, äußerte er: umter Anderm, „zur Vertheidigung einer Sache auf, die sich, wie mir scheint, eben feiner besonderen Gunst zu erfreuen hat. Ein gewandter Redner (Hr. Guizot) hat gestern einen Unterschied zwischen den alten und neuen Zeitungen gemacht und von den einen wenig Gutes, von den andern aber viel Schlechtes gesagt. Daß die leßteren zuweilen übertreiben, mag ih nit in Abrede ellen, doch bin ih der Meinung, daß sich unter gewissen Umständen auch wohl eine Entschuldigung dafür auffinden läßt. Die neuen Journale sind aus dem Schooße der Re- volution des Monats Juli hervorgegangen ; sie sprachen sofort unverholen ihre Freude und Hossnung aus, und wenn auch jene auf unanwendbaren Theorieen beruhte, diese aber die Gränzen der Möglichkeit úberschritt, so waren beide doch unschuldig. Nichts- destoweniger zeigte sich sofort ein unerfklärliches Mißtrauen ge- gen jene Blätter, nicht bloß gegen die Grundsábe derselben, son- dern auch gegen die Männer, deren Organe sie waren. Ue- berall hôrte man die seltsamen Worte: Die Zeiten der Sch0- nung sind vorúber. Gleichsam als ob es sich darum handelte, unfolgsame Kinder zum Gehorsam zurückzubringen. Andrer- seits sahen jene Zeitungen eine Menge von geinden unsrer Revolution im Amte bleiben; mit einem Worte, sie befanden sich gleichsam in der Lage eincs Armee - Corps, das, in einer Festung eingeschlossen , einea muthigen Ausfall wagt, nach errunagecnem Siege aber die Thore derselben Stadt, die es gerettet, hinter sich verschließen sieht. Man hat es den mehrerwähnteu Blättern auch zum Vorwurfe gemacht daß sie die Volks - Klubs vertheidigt - haben. Ich meinerseits halte dergleichen Klubs für überflújsig und nachtheilig, sobald die Presse frei ist; die neuen Zeitungen haben indeß leiht durch die Betrachtung irre geführt werden können, daß einer der vorigen Minister (Herr Guizot) bei den vorleßten Wahlen selbs Prôsident der Gesellschaft: „„Hilf dir, jo wird der Himmel dix helfen! // war. JFhr Jrrthum is daher wohl verzeihlich; daß sie aber auf den Umsturz der bestehenden Ordnung nicht hinarbeiten, geht {hon daraus hervor , daß sie seit dem Antritt der neuen Minister auch neues Ver- trauen fassen und neue Hoffnung schöpfen. Jch verlange, daß man ihnen zur Cautions- Leistung eine angemessene Frit bewillige, damit sie wo möglich ihre Existenz noch ferner fri- sten fônnen. Zwar glaube ih im Voraus versichern zu fônnen, daß

wenige von ihnen mit dem Leben davon fommen werden; indeß wer-

den wir doch wenigstens dem Lande beweisen, daß es nicht \ôrmlih auf ihren Tod abgesehen D Nach Herrn Benuj. Coustant bestieg Herr Guizot unter Zeichen des lebhaftesten Interesses von Seiten der Versammlung die Rednerbühne und äußerte sich folgendermaßen :

„Fch bedaure, m. H., daß ich die Kammer auf die gesirige DiétlFtau zurück führen muß; ‘ih habe keinesweges die Absicht auf unnüße Strenge gegen die Journale zu dringen / oder mt dem von dem vorigen Redner in Antrag gebrachten Amendement zu widerseßen. Wenn. die Kammer es für angemessen erachtet, den neuen Blättern cine Frist von zwei bis drei Monaten zu ge-

| währen, um ihre Caution zu leisten, so widerseße ich mich dem

in- keinerlei Weise. Nicht gegen die neuen Journale insbesondere habe ich das Wort ergriffen, sondern um auf eine wichtige That- sache, auf cine grofe Gefahr aufmerksam zu machen, die ich in dem jeßigen Zustande der Presse zu entdecken glaube, und um auf diese Thatsache, auf diese Gefahr die Nothwendigfkcit dexr Beihbe=- haltung der Caution im Allgemeinen zu begründen. Auch komme ich, um einige allgemeine Behguptungen zu widerlegen ,- die sich nicht aut die Frage, die uns A sondern auf unsere ganze Lage und auf das Benehmen U en, welches zu beobachten ich berufen war, so lange ih die Ehre hatte, im Rathe des Königs zu sihen. (Die gespannteste Neugierde gab sich bei diesen Wor- ten in der Versammlung kund.) Nicht der Uchertreibung hahe ih gestern die neuen Journale beschuldigt, und was ich sagte/ galt auch nicht allen, sondern nur einigen utter ihnen. Eines Hauptirrthums, einer schlechten Leitung und eines schlechten Eiit- flusses klage ich sie an. Uebertceiben kann man auch das Gute, und auch auf dek Bahn der Wahrheit kann man zu weit gehen. Eine solche Uebertreibung aber werfe ich keinesweges den neuen Four

A

f E : f s j h A E F O E p E E S E E E E S I I E S E E E

2475

nalen vor, sondern ich finde sie, ih wiederhole es, threm Wesen nach und von Grund gus s{lecht. - Wenn auch ihr Ton gemä- Figter wäre, ihr Jrrthum würde mir darum nicht minder groß und gefährlich, ihre Lehren würden mir nicht minder schlecht, und die Ren alter, die sie nähren, nicht minder verderblich schei nen. Es dreht sih hier um eine Grundfrage, die noch nicht in ihrem ganzen Umfange betrachtet worden is. Die leßte Revolu- tion wird nämlich unter zwei ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet Mehr als einmal hat man uns vorgeworfen, wir be- griffen die Revolution des Juli nicht, (Hôrt, hórt!) wir gingen nicht auf die von ihr angegebene Richtung ein und verfolg- ten dieselbe nicht bis ans Ende in dem Sinne, wie sie be-

onnen worden sey. Darauf, meine Herren, beruht die

rage. Wer aber begreift wahrhaft die Revolution des Juli, wer geht auf ihre Richtung ein und seßt sle so fort, wie ste be-

onnen worden is? Fch selbst stelle diese Frage in threr une Ausdehnung zwischen mir und meinen Gegnern guf und behaupte nun, daß sie es sind, die die Revolution von 15330 nicht begret- fen, daß sie es sind, die, statt dieselbe fortzuschen , sie nur ent- stellen und ihre eine verkehrte Richtung geben .…. . Verzeihen Sie, m. H, aber ich halte es für Pflicht, mit der größten Fret- müthigkeit zu sprechen. . (Beifall). Jch behaupte, daß wir es sind, die uns innerhalb der Richtung der neucsten Revolution be- finden und die dahin gestreht haben, thr ihren wahren Chavrafter zu geben, während unsere Gegner ste zu entstellen und, um met- nen Gedanken ganz herauszusagen, sie zu verkehren trachten. Weit entfernt bin ih, hierbei die Absichten irgend ciner Person ankla- gen zy wollen. Eine große Thatsache bei der Revolution von 1830 war die einmúüthige Zustimmung, die ihr in ganz Frankreich zu Theil wurde. Glauben Sie aber, daß dieser einstimmige Bei- fall alle Verschiedenheit der Meinungen und Fnteressen ausschließt; glauben Sic, daß die Revolution, so wie ste volldracht worden, alle Hoffnungen und Wünsche erfüllt hat? Niemand hat verz gessen, was sich zugetragen. Welches war der Charakter unserer Revolution? Sie hat die Dynastie gewechselt; siatt ihrer hat ste die nächstfolgende Linie auf den Thron geseßt (Bewegung guf der äußersten Linken). Das is nicht ohne Absicht geschehen; es war éin Werk des dffenrlichen Fustinkts, des National-Fnteresses. Dieser Fnstinkt, dieses Fnteresse, haben dem Lande die Nothwen-

digkeit einer gründlichen Veränderung fühlbar gemacht; aher | dasselbe Gefühl hat das Land bewogen, dicse P E d | j i theilt, ein hartes Urtheil. / Wir bedürfen gegenseitig großer Nach=

möglichst enge Gränzen cinzuschließen, sowohl fn Bezug auf die Dynastie alz auf die Fustitutionen. vergessen haben, was în jenen wichtigen Tagen und in dem Augen- blicke vorging, wo das gewaltige Ereigniß vollbracht wurde. Ge- wisse Männer verlangten eine ganz neue Verfassung und wollten gar nichts mehr von der Charte wissen, für welche man gefoch- ten hatte; sie betrachteten dieselbe als gar nicht vorhanden. Fhre Ansicht hat nicht die Oberhand behalten, die Eretgnisse haben

egen sie entschieden, und daß es so gekommen ist, kann nicht der Weisheit irgend einer Person zugeschrieben weren; Ereignisse dieser Art sichen über allen persönlichen Berechnungen. Was ge- schehen is, war das Resultat jener allgemeinen Vernunft, welche nicht einem einzelnen Fndividuum angehört, sondern die Atmo- sphâäre gleichsam anfüllt und die Schritte derer, die von der all- gemeinen Bewegung fortge?issen werden, ohne ihr Wissen leitet. Dieser universellen Vernunft und dem allgemeinen Funteresse Frankreichs war es angemessen, daß die Revolution so geschah, wie sie geschehen ist, das heißt , daß sie die der Charte de liegenden Jnstitutionen annahm, daß sie sich nicht blind ae in eine unbekannte Laufbahn warf, daß fie alle vollbrachten That- sachen achtete, daß sie mit allen Fnteressen unterhaudelte, daß sie der Welt bercits vollendete Unternchmungen aufzeigte und in dem Augenblicke, wo sie geschah, sich selb mäßigte und inne hielt. “Dies war ihr Charakter und ihr Ursprung: das war sie an und für sich, das hat sie thun wollen, und fic hat es auf den Fingerzeig der Nothwendigkeit und der allgemeinen Vernunft gethan. ach Verlauf einiger Zeit machte sich diese Nothwen-

igkeit, welche anfangs Jedermann eingeleuchtet hatte, nicht mchr mit derselben Macht fühlbar. Die natürlichen Gegensäße traten wieder hervor; Jeder kehrte zu seiner Meinung zurú F, und die früheren Meinungs-Verschiedenheiten haben sich noch entschiede- ner als sons wieder eingefunden. Die Schwierigkeiten wuchsen mit dem Drange der Ereignisse, und nun handelte es sich um die Frage, wer die Revolution wirklich verstehe, und wer s\{ch in der von ihr angegèbenen Richtung befinde. Die Einen, ich stehe nicht an, es zu sagen, wollten sie von ihrem wahren ursprüngli- «hen Charakter ablenken und sie anders fortseßen, als sie begon- nen hatte. Als Folgen der Revolution stellten sie dieselben Grund- Ac of denen zufolge man anfangs etwas ganz Anderes beab- sichtigte, als was wirklich gelmeden Im Namen derselben Grund- äße und Gesinnungen, die, erlauben Sie mir den Ausdruck, im Schooße der lehten Revolution gewiegt worden sind, verlangte man von uns, die Revolution fortzuseßen. Nun wohl, m. H-- meine Freunde und ih wir haben uns geweigert, es in diesem Sinne zu thun. (Lebhafte Bewegung.) Wir haben die Revolu- tion ihrem ursprünglichen Geiste nach fortseßen, haben diesem Geiste der Mäßigung und Versdhnung, der Schonung aller Fn- teressen, der Ausgleichung aller Meinungen treu bleiben wollen. Wir glauben darin nicht blos dem ursprünglichen Charakter und der wahren Natur der Revolution, sondern auch der wi-klichen und aufrichtigen Meinung, so wie den Futeressen Frankre ichs, treu ge- blieben zu seyn. Es sey mir vergönnt, bei diesem Punkte noch ánen Augeublick zu verweilen. Fch bitte die Kammer und na-

E

Niemand unter uns kana |

mentlich die Mitglieder, welche anders denken als i i

Bezug auf meine Ausdrücke ihre ganze Nachsicht Lin Es könnte seyn, daß meine Worte Über meine Gedanken hingus gingen, und daß ich Meinungen, Lehren und Handlungen, die von den meinigen abweichen, und die ih getadelt habe und nh tadele, strenger anklagte, als es meine Absicht is. Hinter der von der unsrigen verschiedenen Meinung befinden sich drei Ansichten, die

ich folgendermaßen unterscheide: 1) Die republikanischen Fdeen ;

2) die heißen Leidenschaften und Z) die ausschließenden Forde= rungen. Frankreich hat weder republikanische Fdcen, noch heiße Leidenschaften, noch macht es ausschließende Forderungen, und wer dergleichen hegt, is nicht national (Lebhafter Beifall). Fch achte die Anhänger der Republik; ihre Grundsäße sind chrenrozerth, ihre Gefühle edel, ihre Gesinnungen großmüthig, und wenn es Überhaupt thunlich wäre, so würde ich die Worte des alten Galba zu ihnen sagen: /, „Wenn die Republik wiederhergestellt werden könnte, so wäret Jhr würdig, sie zu beginanen.//// Die Bürger unter sich mögen mit mchr oder weniger Fnteresse von der Republik sprechen, aber Frankreich is nicht republikanisch, und wenn man es diesem Ziele entgegentreibt, so thut man dies gegen den Willen des Landes. Eben so wenig ist Frankreich leiden= schaftlich; nicht leidenschaftlicher Hang nah Veränderungen, sondern Mäßigung und richtiger Sinn sind der herrschende Geiß und der allgemeine Charakter der Franzosen. Man hat an unser Verfahren gegen die Volks-Vereine erinnert. Was wir" gethan haben, das hatte das Land bereits vorx uns gethan. Eine freiwil= lige nationale Bewegung hat jene Vereine aufgehoben, und ich konnte einen von liberalen Wählern ernannten Deputirten nen= nen „- der sich moralisch verpflichtete, aus allen Kräften dem beklagenswerthen Einflusse der Volks =- Vereine zu ficuern. Der uns leitende Geist ij die Mäßigung, und wer heut- zutage durch die Leidenschaften wirken will, wird auf eine Menge von Hindernissen sloßen, weil diese Leidenschaften dem Geiste Frankrcichs zuwider sind. Nach einer Revo= lution, wîe die unsrige, is ein Volk leicht zum Jrrthum gencigt; wenn es aber die Erfahrung der Vernunfr und des Un= glücks besißt, so läßt es sich von diesem Frrthum nicht weit fortreißen. Es is daher nichk zu verwundern, daß Frankreich jeßt gemäßigt is. “Eben so wenig aber entsprechen die gusschlie= ßenden Forderungen dem Geiste Frankreichs. - Keiner von uns fällt Über scinen Nachbar, Über den, dex unsere Ansichten nicht

sicht und müssen cinander Gerechtigkeit widerfahren lasse. Man kann nicht sagen, daß dicienigen, deren Ansichten ganz entgegen- geseßt stnd, sich darum wirklich feindselig wären. Gerechtigkeit und Unparteilichkeit herrschen in Frankreich; man urtheilt Über das Verdienst cines Veamten nicht nah seiner politischen An- sicht, im Gegentheil betrachtet Jeder mit Besorgniß Reactionen und Avbscbungen; mit einem Worte , die aus schließenden Forde- rungen legen nicht im Geisie Frankreichs. Was die Theoricen betrifft, so ehre ich ste: ih weiß, daß sie der Triumph der mensch=- líchen Vernunft und das Resultat der edelfien Anstrengungen stnd, um zux Erkenntniß der Wahrheit zu gelangen. Aber die menschliche Vernunft irrt oft, und wenn es sich um die prakti= sche Anwendung handelt, #9 erkennt man bald die Mängel der Theorieen. Wenn sie wahr wären, so würden sie auch gut scyn; aver nur hôchst selten sind sic wahr, sie sind fast immer unvoll- sländig und darum unwahr. So lange es bei dev Theorie bleibt, isi dio Gefahr nicht groß; man irrt, und damit ist es abgemacht; wendet man fie aber praïtisch an, so wird die Falschheit und die Gefahr, sich ihr zu überlassen, offenbar. Nicht mit Theorieen, sonder mit dem Verstande/ der die Wirilichfkeit zu Rathe zieht, der sich mit dem, was is, begnügt, begründet man Staaten. Dasselde gilt von den Leidenschaften; ih ehre sie, wenn sie edler Natur sind, aber es ist nicht in ihrer Art, sich den Be= durfnissen der Völker "zu fügen, die verschiedenen Jn- teressen auszugleichen, alle Rechte und alles Befchende zu ehren. Dadurch begründct man Staaten, gder nicht durch unbestimmte Theoriecn und stürmische Leidenschaften. Eben so is es mit dem Parteigeiste, der eine große Rolle in der Welt spielt; er paßt nicht in die Sphäre, in der wir uns befîn- den und wo es sich darum handelt, das Beispiel der Stabilität zu geben und alle Fnteressen, auf denen die Gesellschaft beruht, zu ehren. Schon im Privatleben kann man die Erfahrung ma= chen, daß der, welcher sich seinen großherzigen Ansichten, seinen Leidenschaften blind hingiebt, in eine Menge von Frrthümer verfällt; im dentlichen Leben i es nicht anders ; in der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten wie in Privat-Verhältnissen mu

man klug und gemessen seyn. Hierin beruht der ganze Unter= schied zwischen uns und unsern Gegnern. Aus dem Gesagten erhellt, wie meine ehrenwerthen Freunde und ich die Revolution verstanden haben, warum wir -von dieser Bahn uns auch nicht einen Schritt weit entfernen wollten, und warum wir aus dem Ministerium agustreten mußten, als wir unsere Anfichten uud Wünsche nicht geltend machen konnten. Keinesweges glaube ich, daß unsere Nachfolger cinen andern Weg einschlagen werden

als wir; sie kônnen es nicht, denn die Gewalt der Dinge leitct sie, wie uns. Sie sind cinsichtsvolle, rehtschaffene Männer und gute Bürger. Die Verschiedenheit, die zwischen uns vorhanden war, als wir zusammen im Kabinette des s saßen, if iebt, ich sage es frei, weit geringer. Die Minister schen sich gendthigt, die Revolution zu begreifen, wie wir sie begriffen haben, sie fort= zuseßen, wie wir se fortzuseßen gedachten. Sie sind denselben Geseßen dex Nothwendigkeit unterworfen, wie wir, und das