1899 / 145 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 22 Jun 1899 18:00:01 GMT) scan diff

Großhandels - Durchschnittspreise vou Getreide an außerdeutschen Börsen-Pläßzen für die Woche vom 14S. bis 17. Juni 1899 nebft entsprehenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlichen Statifstishen Amt. 1006 kg in Mark.

[Preise für brompte [Loko-] Waare, soweit nit etwas Anderes bemerkt.) ————————_—— —— ————

Woche

12./17. E Juni Fe 1899 | woe 135,56| 133,95 178,77| 173,80 107,60| 105,98 140,64| 140,73

121,50| 122,08 161,32| 158,54

98,62} 98,77 114,38| 115,30

113,51} 112,66 144,99| 145,21 105,45] 100,12

105,23] 106,05 124,13} 122,12

108,31| 108,69 119,95| 120,36

108,51| 112,08 162,44| 164,47

137,65| 136,27 134,65| 134,89 137,65| 137,07 137,65| 137,72 135,46 134,08 135,62| 134,24 134,01} 132,87

116,12| 119,00 120,52| 123,81 128,58| 127,96

Wien.

R er Boden ¿ —— nt aar E E RO Hafer, ungarischer, prima . e, slovatische L N Budapest. BR2g0en, Mittelqualität . .. L erfie, Malz- a » 2A gen . :

St. Petersburg

gen, 71 bis 72 kg per bl . .. , Ulka, 75 bis E per hl a

ga.

gen, 71 bis 72 kg per bl , 75 bis 76 kg per hl Pariìs.

ojoen | lieferbare Waare des laufenden Monats |

Antwerpen. Donau... mittel. 1 Caen its Azima 74 bis 76 kg per bl , Red Winter Nr. 2 Californier, mittel Rai T Walla Walla . La Plata Amsterdam.

Weizen, Odefsa- G T@ILD

London. a. Produktenbörse (Mark Lane). Ra E «as O on R

b. Gazette averages,

| | englishes Getreide, i

125,11 122,88

123,62 121,76

Weizen Weizen 119,64 Gerfte

izen

131,13 122,92

136,06 136,06 143/57| 143,57 141/69| 143,57 137,00| 136,53 138,88| 138,41 132,78! 132,78 128'56| 129,49 127,19] 127,19 120,94| 120,94

117,93] 115,87 119,27| 117,25

128,72 129,96

141,22 137,00

Ï 120,03 Mittelpreis aus 196 Marktorten

Liverpool.

s Western Winter Oregon Northern Duluth Ghicago Spring ..

rd Kansas . ., Ä

Plata . T Kurrachee, weiß, ordinär .. engl. weißer E be 2 G ad Ebst s Selle

Chicago.

per Juli Weizen, Lieferungs-Waare \ L Soria New Vork. Ned Winter Nr. 2 . . -

Weizen | Lieferungs-Waare | Ea eil ;

We Hafer 1 129,37| 127,12

126,48| 123,98 126,22| 123,91

Bemerkungen.

1 Tschetwert Weizen ift == 163,80, Roggen == 147,42, Hafer = 98,28 kg angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die W Âeizennctiz an der Londoner Produktenbörse = 504 Pfd. engl. gerechnet; für die Gazette averages, d. §. die aus den Vmsfägen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Dur@schnittépreise für einheimishes Ge- treide, ift 1 Imperial Quarter Weizen == 480, Hafer == 812, Gerste = 400 Pfd. engl. angeseßt. 1 Busbel Weizen = 60 Pfd. engl.; 1 Pfd. engl. = 453,6 g; 1 Last Roggen = 2100, Weizen = 2400 kg,

Bei der UmreSnung der Preise in Neicswährung sind die aus den einzelnen Tages-Notierungen im „Deutshen Reichs- und Staats- Anzeiger" ermittelten wöentlihen DurHsniits-Wechselkurie an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Ghicago und New York die Kurse auf New York, für St.

ersburg, Odessa vnd Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, a und Amsterdam die Kurse auf diese Pläye,

Dentscher NeichStag. 97. Sigung vom 20. Juni 1899. Nach trag.

Von der Rede, welche der Staatssekretär des Reichs- JZustizamts Dr. Nieberding bei Fortseßung der ersten Be- rathung des Gesegentwurfs zum Schuß des gewerb- (iden Arbeitsverhältnisses in Erwiderung auf die Ausführungen der Abgg. Dr. Lieber (Zentr.) und Basser- mann (nl.) gebalten hat, ist in der gestrigen Nr. d. Bl. persehentlich nur der Schluß wiedergegeben worden. Der vollständige Wortlaut der Rede ift folgender:

Meine Herren! Ih werde auf die allgemeinen sozialpolitishen Betrachtungen, die cinen großen Theil der Ausführungen der beiden letzten Herren Redner ausgefüllt haben, nicht eingehen es ift nicht meines Amtes —, und ih bin auch von meinem positiven juristischen Standpunkte aus ter Meinung, daß derartigz allgemeine Betrachtungen, die zum theil ich brauÏe darauf nicht weiter zurückzukommen zu ungerehten und fpißen Auetführungen geführt haben, nicht geeignet sind, die Berathung einer fo eng begrenzten, konkreten Vorlage, wie die gegen- wärtige, zu erleihtern. Ih werte auch niht eingehen auf die all- gemeinen juriftishen Auzführungen, die der Herr Abg. Bassermann in feiner Rede gemacht hat. Ec ift in seinen Darlegungen von dem 2öbtauer Fall über den groben Unfugéparagraphen bis zu einer all- gemeinen Würdigung der Stellung der Geschworezengerihte in unserer Redhtiprechung gekommen, und ih muß sagen: ich kann einen engeten Zusammenhang zwishen diesen Ausführungen und der Re- giernngévorlage nicht entdecken; höchstens in einem Punkte, insofern als der Herr Abe. Bassermann es bedauert hat, daß unsere Gerihhte in vielen Fällen und insbesondere auß in solen, die im Gebiet der gegenwärtigen Vorlage liegen, den groben Unfugs- Paragraphen ¡ur Anwendung gebracht haben, cbwohl nah seiner

Meinung die Stelle nit dafür gewesen sei. Jch weiß allerdines nicht, wie weit das der Fall gewesen ift, muß aber nebenbei bemerken, um doch einigermaßen das Odium von der Justiz abzulasten, daß folche Urtheile meistens, wenn sie vorgekommen find, von Shöffengerihten, d. h. von Volksgerihten gesprochen find und niht von jenen Gerichten, die auss{ließlich mit gelehrten Richtern beseßt sind. (Widerspru und lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ja, meine Herren, das ist doch richtig: die Schöffen sind aus dem Volke ausgewählt und sind keine gelehrten Richter. (Erneute Zurufe bei den Sozial- demokraten) Aber, meine Herren, wenn folhe Urtheile vorgekommen sind, muß ich doch sagen, ift das beste Mittel, um in Zukunft derartigen Ueberschreitungen der Kom- petenz einzelner Strafbestimmungen entgegenzutreten, zu denen si die Gerichte veranlaßt sehen, weil das allgemeine Recht8gefühl eine Lücke in dem geltenden Strafrecht empfindet ich billige der- artige Uebershreitungen nicht, aber i kann mir erklären, wie sie eintreten, ih sage, wenn man ihnen entgegentreten will, dann ift das beste Mittel, niht von vornherein alle Strafbestimmungen, die nun allgemein gefühlte Lücken ausfüllen wollen, abzulehnen, fondern zu erwägen, ob man nicht durch geeignete neue Strafvorschriften hier helfen und dadurch gegen Dinge, die der Herr Abg. Bassermann eben beklagt hat, für die Zukunft Abhilfe s{affen kann.

Meine Herren, ih gehe auch nicht ein auf die Würdigung, die der Herr Abg. Bassermann unserer Rechtsprehung hat zu theil werden lassen bezüglih der Paragraphen unseres Strafgeseßbuchs über die Nöthigung und die Erprefsung. Es ist leiht, einer großen politisen Versammlung in einem Augenblick®E der Er- regung einzelne Fälle vorzuführen und damit den Eindruck hervorzurufen, daß die Judikatur der Gerichte in diesen Fällen auf Irrwegen ih befinde; es ift aker nit der Weg, um zu einer objektiven, unbefangenen Beurtbeilung der Recht- sprechung zu kommen. Wollen Sie în der That ein Urtheil ih darüber bilden, ob die Rechtsprehung der Gerichte bezüglih dieser beiden Strafbestimmungen eine zutreffende ift oder niht, dann, meine Herren, müßten Sie diese Rehtsprehung in ihrem ganzen Umfange vor Augen haben und beurtheilen; aber niemals können Sie fo, wie der Herr Abg. Bassermann das versuht bat, auf Grund einzelner Urtheile zu dem Schlusse kommen, zu dem er gekommen ift, daß die Judikatur unserer Gerichte hier abwegig fei. (Sehr wahr! rets.)

Meine Herren, ih werde auch nit eingehen auf die Kritik, die der leßte Herr Redner und ebenso gestern ein Redner der Denkschrift, die Ihnen vorliegt, haben zu theil werden lassen. (Zurufe links.) Fch erlaube wir nur Folgendes zu bemerken. Die Denkschrift ift Ihnen niht mitgetheilt worden zur Begründung der einzelnen Be- stimmungen der Vorlage (lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten), die Denkschrift is Ihnen vorgelegt worden, um Ihnen ein allgemeines Bild der Arbeiterbewegung (Laien und lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten. Glccke des Präsidenten.) (Vize-Präsident Dr. von Frege-Weltzien: Meine Herren, ih bitte, den Herrn Hiedner nicht zu unterbrechen !)

Meine Herren, ih werde Ihnen niht den Vorwurf machen, daß Sie mir unwahre Behauptungen entgegenhalten; ih bitte, daß Sie au Ihrerseits die Güte haben, sich solher Vorwürfe zu enthalten. Ich sage, die Denkschrift ift Ihnen vorgelegt worden, um Ihnen ein allgemeines Bild der Agitation, der gewaltsamen Bewegungen, der einseitigen Strebungen auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zu geben, nicht aber, ich wiederhole es, um die Vorschläge des Entwurfs zu begründen. Daraus if} es auh zu erklären, daß die Denkschrift viele Fälle mittheilt, in denen eine Bestrafung überhaupt nicht eingetreten ift, weil sie nit erfolgen konnte, oder eine Bestrafung in der That s\tattzefunden hat. Es mußte das gesehen, um das Bild eben zu einem vollständigen zu gestalten. Nur ein gewisser Theil der Denk- {rift und ihrer thatsählihen Mittheilungen bezieht fih auf den Gegenstand dieser Geseßesvorlage, nicht aber alles; und keineâwegs baben die verbündeten Regierungen die Absicht gehabt, diese Denk- rift lediglih als eine Begründung der Vorlage in ihren einz lnen Bestimmungen zu benußen. Das fköônnen Sie {on daraus entnebmen, daß die Denkschrift niht eine Vorlage der ver- bündeten Regierungen ift und niht als Begründung mit der Vorlage äöFhnen übergeben worden ift, sondern selbständig neben der Vorlage in Ihre Hände gelangte. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Es ift eine Ausarbeitung, die Ihnen im Namen des Herrn Reichskanzlers vorgelegt ist, niht im Namen der verbündeten Regierungen.

Nun hätte ih es lieber geseben, wenn der Herr Abg. Bassermann sowohl, wie der geftrige Herr Redner, ftatt die Denkschrift zu kriti- ßeren, ledigli in eine Kritik der Vorlage felbst sich eingelassen hätten. Das haben fie aber niht gethan, sondern si- haben es vorgezogen, auch die Denks#rift in vielen, zum theil untergeordneten Einzel- beiten zu besprehen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Es ift mir dies auffällig gewesen; denn fie haben nit die Fragen in den BVorder- grund gestellt, die hier Gegenstand des Kampfes sind, sondern sie haben sich auf ein Nebengebiect begeben, auf dem ih leiter einzelne Ein- wendungen maten laffen, die hier und j:ßt niht ers{chöpfend zu erörtern stehen. Aus diesem Grunde, meine Herren, werde ih mi in die Erörterung über die Denkschrift meinerseits nicht einlassen. (Zuruf und Unruhe links.) Aber, meine Herren, wenn der Herr Abg. Bassermann und der Herr Abg. Dr. Lieber, indem sie si der Vor- lage zuwandten, hervorgehoben baben, daß fe unzulänglih sei, daß sie Nebendinge treffe, daß durch sie die Hauptsache nicht getroffen werde, daß sie, wie der Herr Abg. Bossermann sih ausdrückte, geeignet sei, den Borwurf der Parteilichkeit auf fih zu laden oder, wie der Herr Ab- geordnete Dr. Lieber sagte, nur Stückwerk bilde, so werden Sie mir gestatten, auf einige Grundzüge des Entwurfs einzugehen, um solchen Vorwürfen ertgegenzutreten. Ich glaube, nur in dieser Weise, nicht dur die allgemeinen Betrachtungen der leßten Herren Nedner auf sozialpolitishem und allgemein juristishem Gebiet, nur auf dem Wege der Prüfung der einzelnen Paragraphen können wir wirkli zu einer richtigen Beurtheilung der Vorlage gelangen.

Auch werde ih bei meinen Ausführungen nur auf das Verhältniß der Arbeiterwelt zur Vorlage eingehen. Ih erkenne ohne weiteres an, daß die Vorlage ganz überwiegend die Arbeiterwelt trifft; sie ift formal gerichtet sowohl gegen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer (Wider- \pruch bei den Sozialdemokraten) in gleiher Weise gerihtet gegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie wird in einigen Punkten und ¡war in einigen recht empfindlihen Punkten, die von den Herren bei ihren Ausführungen, namentlich von dem Herrn Abg. Bebel, nicht er-

kannt worden sind, aber wohl bei Gelegenheit der Spezialdebatte hier zur|

Erörterung kommen werden, auch die Arbeitgeber treffen. Aber ih gebe obne weiteres zu, daß fie die Arbeitnehmer vorwiegend berührt, und daß es richtig ist, wenn das hohe Haus au gerade von dem Standpunkt“ aus, ob die Vorlage der Arbeiterwelt gegenüber gere&t ift, zur Prüfung des Inhalts fich anschickt. Aus diesem Grunde will i mich auf eine Klarlegung des Standpunki3 der Vorlage den Arbeitern gegenüber befchGränken. Wenn ih dabet anerkenne, daß die Vorlage über- wiegend in den agitatorischen Bewegungen der Arbeiterwelt ihre Ursache hat, so will ich doch nit bestreiten, daß diese Bewegungen bis zuy einem gewissen Grade eine berechtigte wirth\schaftlite Unterlage baben. Die Arbeiterwelt kämpft in unserer Zeit thatsählich noch um die Stellung, die ihr in dem wirthschaftlihen Leben zuftehen soll. Die Entwickelung, die auf diesem Gebiet seit einigen Jahrzehnten ein- geseßt hat, ist noch nicht zum Abschluß gekommen, und ih kann es verstehen, wenn die Arbeitèér der Meinung sind, daß ihnen noch nicht die Stellung im wirthshastlißen Leben angewiesen sei, die sie glauben in Anspruch nehmen zu dürfen. Aber, wie man auch in dieser Beziehung stehen mag, so kann man unmögli lexgnen, daß diese Bewegungen allmählich in Maß- nahmen und Versuche sich verirrt haben, die dem öffentlichen Rehts- bewußtsein zuwiderlaufen und die gleichzeitig geeignet sind, das Ge- meinwohl des Landes zu gefährden. Und deshalb ift das Strafzeset berechtigt, ihnen entgegenzutreten, ohne daß man behaupten kann, es läge darin eine Verkennung der berechtigten Interessen der Arbeiterwelt.

Worin gipfeln denn die Ausschreitungen, die Anlaß zu dieser Vorlage gegeben haben ?

Wir hören in den Arbeiterversammlungen und in einem Theil der fozialdemokratishen Presse wird es ganz ofen ausgesprehen —, daß die Organisation der Arbeiter, wie sie im wesentlichen getragen wird von der fozialdemokratischen Partei im Lande, allein berufen fei, die Arbeiterwelt in ihren Interefsen zu beherrschen. Wenn ein Theil der Arbeiter unter Führung von Agitatoren oder aus eigener wirth- schaftlicher Taktik einen Strike begonnen hat, und wenn, sobald der Aus- stand ins Werk geseßt ist, nicht alle Arbeiter an dem Ausstand theil- nehmen wollen, weil ein Theil von ihnen der Meinung ist, daß ihr persönlihes Interesse dem Strik2 entgegenstehe oder aus sonstigen Sympathien mit dem bestehenden Arbeitsverhältniß in der Stellung zu bleiben wüns@t ganz glei, sein Jateresse kommt nicht in Betracht; die Arbeiter, die nicht wollen, müssen folgen, fie werden von den Führern der ausständigen Arbeiter genöthigt durch Zwang und Drohung, sich anzuschließen. Das, meine Herren, ift doch eine Vergewaltigung des freien Willens der Arbeiter, die niemand billigen kann!

Weiter, meine Herren, das ofen anerkannte Besireben das be- streiten die Anhänger der Sozialdemokratie im Lande auch selbst nicht dieser von der sfozialdemokratishen Richtung getragenen Be- wegung geht dahin, die ganze Organisation der Arbeiter, wie das auch Herr Dr. Lieber bervorgehboben hat, zu bringen unter die von der Sozialdemokratie begründeten Einrichtungen : alle Ar- beiter sollen der sozialdemokratishea Organisation folgen, keine Organisation anderer Art soll ihr gegenüber bestehen. Versuchen es Arbeiter troßdem, nach ihrer abweihenden politischen, religiösen oder wirth\{chaftlihen Auffassung oder gedrängt von ihren persönlichen wirths{chaftli@en Interessen, sich anderen Organisationen anzuschließen, dann geschieht alles, um diese Organisationen durch die Be- drückung der Arbeiter bei Seite zu schaffen: die Arbeiter fliegen von der Arbeitëstätte Herunter, “wird ihnen - ge- droht, und alle Bemühungen rihten sh dabin, daß sie keine Arbeit mehr bekommen, bevor fie ton ibrer eigenen Organisation \sich zurück- gezogen baben. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Es ist das eine so notorische Thatsache, in der fozialdemokiratishen Presse so häufig und ofen au2gesproWen, daß es ganz vergeblich ist, daß Sie das hier vor dem Lande bestreiten wollen.

Dann drittens: die Sozialdemokratie will, daß alle Arbeiter zu ihren Kassen zahlen; wer seine Karte niht hat, niht nachweisen kann, daß er die Interessen, welhe die sozialdemokratishe Organisation in der Arbeiterwelt vertritt, durch seine Beiträge unterstüßt, der wird hinauëgedrängt aus seinen Arbeitéverhältnifsen und niht in Ruhe ge- lassen, bis er formell naHweist, daß er seine Steuer zu der sozial- demokratischen Kasse zablt. Yurh diese Bedrängung, mit der gegen die politishe Ueberzeugung der einzelnen Arbeiter, gegen ihre reli- giósen Auffassungen, gegen ihre persönlichen wirthschaftlihen Be- dürfnisse Leute gezwungen werden, sch der s\ozialdemokratischen Arbeiterpartei anzuschließen, auch wenn sie garniht wollen, diese Tendenzen haben \ich in einer Weise entwidelt, daß man sagen darf: sie {lagen nicht bloß dem êéffentlihen Nechtsbewußsein ins Gesicht, sie sind auch in wirthsha}ftliher Beziehung gemeingefährlih geworden, (Sehr rihtig! rechts.) Ih bin der Ueberzeugung, daß, wenn diese Entwickelung weiter so fortshreitet, wie das bis jeßt ge- heben ift, die bürgerlige Gesellshaft nicht umhin können wird, eine Antwort darauf zu geben; und wenn diesem hohen Hause es jeßt niht gefällt, auf dem von der Regierung " vorges{lagenen Wege eine gewisse Eindämmung der Bewegung herbeizuführen die Reaktion dagegen wird später in viel shärferer Weise kommen. Da- gegen werden au die sanguinischen Betrachtungen und Hoffnungen, die der Herr Abg. Bassermann hier ausgesprochen hat, nichts nüten; auth er wird fpäter gezwungen sein, sh dieser Bewegung entgegen- zustellen. (Zurufe.)

Ich babe mir erlaubt, die Ziele zu bezeihnen, worauf unsere Vorlage gerihtet i. Ihre grundlegenden Bestimmungen sind in den S 1 und 2 enthalten, und ich werde mih weiterhin auf diese beiden Paragraphen beschränk:n, obwohl manche Ausführungen des Herrn Abg. Bafsermann zu den folgenden Paragraphen mich wohl bestimmen könnten, au darauf einzugehen. Diese Auéführuncen waren nah meiner Meinung mehrfah abwegiger Art; aber wir kommen in der Generaldebatte zu weit damit; es ift besser, dies bis zur Diskusfion der zweiten Lesung zu vertagen.

Da môthte ih vor allem Herrn Abg. Dr. Lieber, der vorhin aut- geführt hat, wie sehr diese Vorlage auch als Strafgeseß Stückwerk sei, bitten, meinen Bemerkungen zu folgen, um si zu fragen, ob er diesen Vorwurf auÿh aufreht erhalten kann. § 1 enthält zum theil bestehendes Recht. Ih gehe dabei auf die untergeordneten Punkte, die von dem Herrn Abg. Bassermann bezüglih dieses Paragraphen erwähnt, worden sind, nicht näher ein. Der Herr Abg. Bassermann hob hervor, es sei eine Verschärfung in dieser Bestimmung enthalten, weil man darin niht mehr von dem Versuche rede, sondern die Fassung gewählt habe: „wer es unter-

nimini“. (Zuruf.) Diese Auffassung des Herrn Abg. Bafsermann und des Herrn, der mich da unterbricht, ist niht richtig, Die Re- gierung hat niht die Absit, eine. Vershärfur@ des bestehenden Rechts in diesem Punkt eintreten zu lassen. Was die Regierung hier vorshlägt, ist nichts mehr als eine andere Faffung, die den Sinn des bestehenden Rechts und feine Tragweite nicht ändern

soll. Ih flüße mich dabei auf die Judikatur des Reichsgerihts,

welche festgestellt hat, daß die Ausdrücke „unternebmen“"- und „ver- suchen“ im wesentlichen die gleihe Grenze des Strafbaren bezeihnen- Wir haben die Fassung gewählt, um die Redakiion zu vereinfachen. (Heiterkeit links.) Aber, meine Herren, Sie können mir das in der That glauben und brauen nit darübec zu lahen. Sie (Glocke des Präsidenten. Vize-Präsident Dr. von Frege-Welßgzien: F bitte um Ruhe, meine Herren !)

Sie schen aus dem gegenwärtigen Wortlaut des Paragraphen, wie shwierig die Fassung derartiger Bestimmungen ist. Um die Formulierung zu erleitern, ist die Fassung gewählt worden. Ziehen Sie vor, an*Stelle dieser eine andere zu seßen, ziehen Sie vor, den Bersuch wieder hineinzubringen, fo kann ich Ihnen erklären: die ver- bündeten Regierungen werden dagegen nihts einzuwenden haben.

Zweitens hat der Herr Abg. Bassermann hervorgehoben, daß wir neben den Verabredungen auch die Vereinigungen in die Norschrift hineingezogen haben. Ob nah dem bestehenden Geseß die Vereinigungen, die jeßt auésdrückiich erwähnt find, unter den Paragraphen fallen oder nicht, das ift streitig in der Recht- sprechung; einige Gerihte sagten Ja, andere verneinten es, Wir haben hier keinen polemishen Zweck verfolgt, sondern nur den Wuns gehabt, diese Streitfrage aus der Nechtsprehung herauszubringen. Keine andere Absicht hat dabei obgewaltet, und wenn Herr Abg. Bassermann darin auch irgend einen s{warzen Ge- danken vermuthet, fo ift er eben anf dem Irrwege.

Der § 1 hat zwei Hauptgesihtspunkte, die eigentlich allcin Ge- genstand der Diskussion in der Generaldebatte sein könnten. Erstens verbietet er, gerade wie das bisherige Geseß, daß jemand gezwungen wird, einer Koalition beizutreten; hierin ändert er das Geseß nit. Er ergänzt es aber, indem neben dem Zwange zur Koalition jeßt auch das Umgekehrte berücksihtigt wird: es soll niemand gezwungen werden, einer Koalition fern zu bléiben. Das ift neu; das soll aber garnicht vornehmlich die Arbeiter und ihre Agitatoren treffen, nein, nach dieser Seite ist die Ercänzung ebenfo* sehr gerihtet gegen die Arbeitgeber, die keinen solhen Zwang gegen ihre Arbeiter versuchen sollen. Wenn die Herren die praktischen Verhältnisse sih einmal an der Hand dieses Paragraphen zurechtlegen, so werden sie das auch erkennen.

Fch möhte dabei bemerken, wenn der Herr Abgeordnete Bebel uns gestern den Vorwurf machte, daß die Syndikate der Arbeitgeber ganz unberührt bleiben und, weil fie eben Organifationen von Arbeitgebern seien, von dieser Bestimmung niht getroffen würden, während Arbeiterkoalitionen dadurch {wer bedrängt werden follten, so hat er den Paragraphen auch niht in seiner Tragweite erkannt. Es ist allerdings die Absicht der Regierung, daß der Paragraph auch auf die Syndikate anwendbar sein soll, daß in folhen Fällen, in denen einzelne Arbeitgeber von einem Syndikat unter Drohungen ge- nôthigt werden, beizutreten, auch das Syndikat unter diesen Para- graphen falle. So einseitig sind wir also nicht gewesen, wie Herr Bebel es geftern ausgeführt hat.

Wir haben also den Paragraphen ergänzt dur Bestimmungen, wonah auch derjenige bestraft werden soll, der mit unberehtigten Zwangsmitteln von der Theilnahme an Koalitionen jemanden ats» bringen will. Soll ein solher Zwang nach der Ansicht des Herrn Abg. Dr, Lieber gestattet sein? Ist er nicht ebenso unberehtigt wie der Zwang zum Beitritt ? Ist es nicht einfach konsequent, die Bestimmung so zu ergänzen ? Und, meine Herren, was haben wir denn damit anders gethan, als das au3geführt, was bereits im Jahre 1891 von der liberalen Seite des Reichétages aus verlangt wurde? Damals wurde von den Abgeordneten Hirsh und auch, wie ih glaube, Gutfleisch aus- drücklih eine Ergänzung des bestehenden Rechts in dem Sinnz bver- langt, daß au derjenige strafbar sein foll, „der durch Zwang oder Drohungen u. \. w. Arbeitgeber oder Arbeiter hindert, an Verab- redungen theilzunehmen, oder sie bestimmt, davon zurückzutreten“. Wenn wir also den § 1 in dieser Weise ergänzen, so befinden wir uns auf Wegen, die 1891 der Regierung gegenüber von angesehenen Parteien tes Hauses vertreten wurden. Heute natürlich, wo die Regierung dasselbe bringt, ist das ganz was Anderes! Auch der Herr Abg. Auer kat damals einen Antrag gestellt, der den Zweck verfolgte, nah dieser Richtung hin, natürlichß nur im Interesse der Arbeiter, nicht der Arbeitgeber, Schuß zu gewähren. Au er erkannte, daß das beftehende Reht nah dieser Ri{tung bin eine Lücke enthalte, und wenn wir gegenwärtig nun das Gesetz ergänzen, so thun wir nihts, als in der Richtung arbeiten, die damals bei den Berathungen des Geseßentwurfs, den der Heer Staats-Minister von Berlepsch im Namen der Regierung vertrat, uns als die rihtige vorgehalten wurde. Mir führen nur gerecht und unparteiisch nach beiden Seiten dasjenige aus, was damals hier im Hause gewünsht wurde. Jh glaube, wenn der Herr Abgeordnete Dr. Liever die Güte hat, die Vorlage in diesem Punkte noch einmal zu prüfen, wird er nicht behaupten fönnen, daß wir Stückwerk schaffen, sondern daß wir im “Gegentheil das Stückwerk des geltenden Geseßzes ergänzen und so den Schuß gegen Zwang, der be- züglich der Koalitionen ausgeübt werden fann, vollständig und er- [chôpfend regeln. Es wird in Zukunft wie bishec niemand gezwungen werden können, Koalitionen beizutreten, aber auch, wie bisher nit, niemand gezwungen werden können, von Koalitionen fern zu bleiben. Diese Ergänzung liegt im Sinn des geltenden Rechts und im Be- dürfniß unserer Zeit.

Nun komme ih zu § 2. Er ist vollständig neu: er enthält eine Bestimmung, die nur den Arbeitgeber trifft, eine zweite Bestimmung, die nur den Arbeitnehmer trifft; aber beide werden in gleicher Weise getroffen, und eine dritte Bestimmung, die Arbeitgeber und Arbeit- nehmer gleichzeitig angeht. Diese Bestimmungen liegen ganz in dem Gedanken des geltenden Rechts. Vergewaltigungen, die hei bestehenden Streiks vorkommen können, ohne mit Koalitionen in Verbindung zu ftehen, wollen sie ver- hindern. Wenn im Jahre 1869 die Gewerbeordnung Be- stimmungen dieser Art noch nicht aufgenommen hatte, so hat das tinfah darin gelegen, daß die Entwicklung damals noch nit vorher- gesehen wurde, wie sie thatsählih eingetreten is. Jch bin überzeugt, wenn man damals so wie jeßt die thatsähliGen Verhältnisse, wie sie

in Deutschland jeßt liegen, vorhergeseben hätte, würde man damals s{chon diese Bestimmungen in das Geseß eingeführt haben. Oder wollen die Herren, die eben gesprochen haben, wirkliß für statthaft ansehen, daß Arbeiter andere Arbeiter gewalisam nöthigen, an einem Strike theilzunehmen, oder einen Strike dadurch untecstüßen, daß sie auf die eine Seite der strikenden Theile mit Gewalt oder Drohung einwirken? Das will die Vorlage verhindern, es liegt im Geiste des bestehenden Gesetzes, aber dieses enthält eine dahin gehende Bestimmung nicht. Auch darin liegt kein Stückwerk, sondern eine wohlerwogene Ergänzung unseres Rechis. Die grundsäßlihen Schußzbestimmungen, die zum Ausdruck der vollen Freiheit des Arbeiters gegenüber Koalitionen und Strikes erforderlich sind, sind in diesen 88 1 uad 2 ershöpfend enthalten; alles Weitere ist nur Ausführung im einzelnen. j

Der Herr Abg. Bassermann hat nun zwar eingewendet, daß die Vorlage ja nit alles treffe; daß ein großer Theil derjenigen Fälle, in denen gegen einen Arbeiter doch noch eine Einwirkung ausgeübt werden könne, außerhalb der Koalitionen und Strikes sich ereigne und garnicht unter die Bestimmungen des Entwurfs falle. Das ist rihtig; das zeigt aber doh nur, daß die verbündeten Regierungen weit entfernt davon sind, die Bestrebungen der Arbeiter in dem wirth- schaftlichen Kampfe zu unterdrücken oder einzuschränken, daß sie viel- mehr hier so weit freie Hand lassen wollen, als mit dem Gemein- wobl irgend verträglih ist. Es kann gewiß in manhen Fällen hart ersheinen, daß der Arbeiter niht auch dagegen geschÜüßgt wird, daß er außerhalb der Koalitionen oder Ausftände von seinec Arbeit weg- gedrängt werde nur deshalb, weil sein Behaben und Denken anderen Arbeitern nicht gefällt; aber die Regierungen wollen soweit nit gehen ; sie wollen nach der Richtung das freie Spiel der Kräfte walten lassen, in der Meinung, daß die Zustände sich nicht so weit entwickeln werden, um bier die Hililosigkeit und Abhängigkeit der Arbeiter bis zu einer Gemeingefahr zu steigern.

Meine Herren, 1869 baben die verbündeten Regierungen, als sie die Koalitionsbeshränkungen beseitigten und die Koalitionsfreiheit statuierten, in ihren Motiven ausdrückli erklärt :

Die bestehenden Koalitionsbes{chränkungen werden beseitigt ; der im Interesse der Freiheit nöthige Shuß gegen den Mißbrauch, die freie Entschließung der Arbeiter durch Drohung oder Gewalt zu beeinträchtigen, wird in einer Strafbestimmung gesucht. Hierauf beruht die Strafbestimmung des § 153 der Gewerbeordnung, und der Abg. Lasker hat, wie ih glaube, sagen zu dürfen, im Sinne des ganzen Hauses, jedenfalls aber im Sinne der damaligen großen liberalen Parteien sih dahin ausgesprochen : Wenn wir die Freiheit der Vereinigung proklamieren, wie das Gesetz das gethan hat, fo wollen wir fie proklamieren au für die, welche sich der Vereinigung nicht fügen wollen. Es muß die Frei- beit besteben, daß fein Arbeiter zu eincr Vereinigung mit wider- rehtlihen Mitteln gezwungen werde. Wir würden sonst die Freiheit der Vereinigung in einen Vereinigungszwang umwandeln. (Sehr richtig! rets.)

Fc kann nur sagen: in der Tendenz, die damals dem Entwurfe der Gewerbeordnung unter Billigung des Reichstages zu Grunde lag, bewegt {ih diese Vorlage; sie will nihts Anderes als dasjenige aus- führen, was damals bereits im Interesse der Koalitionsfreiheit ver- langt wurde. Wenn es nöthig geworden ist, die damalige Be- stimmung zu ergänzen, so ist das auf die wirthschaftlihe Ent- wickelung zurüczuführen, die neue Uebelstände auf diesem Gebiet erzeugt hat und auf weiter nichts! Wenn sih die Ar- beiter im Jahre 1869 den damaligen Strafbestimmungen haben unterwerfen können, ohne daß die Koalitionsfreißeit Gefahr lief, den Grundzügen, die ich hier entwickelt habe, können sih sich auch unterstellzn; die Koalitionsfreiheit wind dadur nit gefährdet, sie wird eber dadurch gesihert. Dem Interesse der Koalitionsfreiheit und zum Sc{uß gegen den Zwang, der von großen Theilen der Arbeiterwelt in Deutshland gegen ihre Mitarbeiter geübt wird, dient es, daß den Grundzügen dieser Vorlage zugestimmt wird.

Deshalb, meine Herren, bitte ich Sie: lehnen Sie die Vorlage nicht auf Grund so allgemeiner Betrachtungen ab, wie sie von seiten der legten Herren Redner hier angestellt sind. Prüfen Sie die einzelnen Bestimmungen forgfältig auf ihre Tragweite und ihren Zweck; ih bin überzeugt: das Urtheil über die Vorlage wird dann günstiger ausfallen, als es heute ausgefallen ist. (Bravo! rets.)

98. Sizung vom 21. Juni 1899, 11 Uhr.

Ueber den Anfang der Sißung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.

Es folgt die erste Berathungdes G eseßentwurfs, betreffend die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Reichs- haushalts-ÉEtat für 1899. Derselbe ist in Ausgabe auf 17 680 000 Æ, nämli auf 465 000 M an einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats als Zuschuß zur Bestreitung der Ausgaben für die Verwaltung der Karolinen-, Palau-Jnseln und Marianen und auf 17 215 000 / an einmaligen Ausgaben des außer- ordentlichen Etats 16750000 M als Entschädigung an Spanien für die Abtretung der Karolinen, Palau-Jnfeln und Marianen, 465 000 4 als Zuschuß zu den Ausgaben des ordentlichen Etats gemäß § 3 des Geseßes wegen Verwendung überschüssiger Reichs - Einnahmen zur Schuldentilgung vom 24. März 1897 —, und in Einnahme auf 17 680 000 # festgestellt.

Verbunden wird mit dieser Vorlage die erste Berathung der Vereinbarung über die Handelsbeziehungen zwischen dem Reiche und Spanien, . wodurh Spanien die Meistbegünstigung gewährt wird.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats-Minister von Bülow:

Ich habe die Ehre, meine Herren, der Beschlußfassung dieses boben Hauses das Abkommen zu unterbreiten, das wir mit Spanien über die Abtretung der Karolinen-, Marianen- und Palau-Inseln abges{lossen haben. Durch diese Erwerbung wird zunächst unser Besitz in der Südsee vervollständigt, Wie ein Blick auf die Karte zeigt, bildeten unsere Schußgebiete im Großen Ozean bisher einen flachen Halbkreis, eine langgestreckte. und unzusammenhängende Linie. Durch die Karolinzn und Marianen wird der Kreis geshlossen. Die Marianen im Norden, die Palau-, die Karolinen- und die Marschall- Inseln in der Mitte, Kaiser Wilhelms - Land und der Bigs- marck-Archipel im Süden bilden nunmehr ein zusammenhängendes Ganzes. | Wenn diese Inseln aus spanishem Besiß in den Besiß einer |

anderen Macht als Deutschland übergegangen wären, so würde da- durh unser Schußgebiet in der Südsee zerrissen und außseinander- gesprengt, in seiner Entwickelung gehemmt und minderwerthig ge- worden fein. Gerade îm Hinblick auf die Nachbarschaft der Karolinen einerseits zu den Marschall-Inseln, andererseits zu Neu-Guinea, war deren Erwerbung, wie Sie wissen, scit lange in Aussicht genommen. Vom Standpunkt unserer allgemeinen politischen Interessen in der Südsee if die jeßt erreichte Erweiterung unserer dortigen Macht- \sphäre nüßlich und nothwendig, die Lage der neu erworbenen Inseln eine besonders günstige. Wir können uns der Hoffnung hingeben, daß durch unseren neuen Besiß auch unser alter Besiß gefördert , entwickelungsfähiger und ergiebiger werden wird. Dazu kommt, daß sh auf den Karolinen seit lange deutshe Handels- niederlaffungen befinden. Deuts{e Handelsleute hatten seit Jahren Handelsbeziehungen angeknüpft zu den Eingeborenen der Inseln und dort Faktoreien gegründet. Es waren die deutshen Häuser auf den Karolinen, die unter Hinweis auf die dortigen deutschen Handelsinteressen im Iahre 1885 die érste Besitergreifung herbei- führten. Handel und Verkehr auf diesen Inseln liegt noch heute in den Händen der deutshen Jaluitgesellshaft, die Stationen auf allen Inseln besigt. Der deuts: Kaufmann steht dort nah wie vor in allererster Reihe. Wenn diese Inseln bei ihrer Loslösung vom spanischen Reihe an cine andere Macht als Deutschland gefallen wären, so würde dadurch nicht nur die politische Zukunft unseres Südsee-Besitzes gefährdet worden sein, sondern es wären auch in wirthscaftliher Beziehung Keime vernichtet worden, die der Entwickelung fähig sind. Ich sage: Keime, die der Entwickelung fähig sind.

Es ift nicht meine Art, meine Herren, in politisGen und wirth- schaftlichen Fragen zu appellieren an die Phantasie, die kühne Seglerin Phantasie. Ih werde es niht machen wie das Millmädchen in der Fabel von La Fontaine. (Heiterkeit.) Jch werde keine Luft- \{löfser vor Ihnen aufführcn und gar keine Schönfärberei treiben. Ich werde das heute so wenig thun, wie vor anderihalb Jahren, als ih diesem hohen Hause die Annahme des mit China über Kiautschou und Schantung abgeschlossenen Vertrages empfahl. Beide Verträge, der Vertrag mit China wie der Verirag mit Spanien, sind Marksteine auf dem- selben Wege und Glieder einer Kette. In beiden Fällen sind wir ruhig, nüchtern und besonnen vorgegangen. Auf Grund ruhiger und sahliher Prüfung der Verhältnisse sind wir zu der Annahme bere(tigt, daß unser neuer Besiß auh in wirtbschaftliher Beziehung ein werthvoller ist. (Na! na! links.) Meine Herren, daß die Spanier aus diesen Inseln nichts gemaht haben, is noch kein Beweis füc ihre wirtbshaftlihe Werthlosigkeit. (Sehr richtig! rechts.) Ih möte der spanischen Verwaltung ex post nit zu nahe treten. Jh glaube aber do sagen zu können, daß die Schuld für die jeßige Werthlosigkeit der, Inseln wohl weniger an den Inseln liegt als an der bisherigen Administration. Insbesondere konnte die Jaluitgesellshaft unter spanischer Verwaltung nicht zum Plantagenbau übergehen aus Gründen, die mit der Eigenart der \panishen Administration zusammenhängen. Sie konnte ihre Geschäfte kaum behaupten, geschweige denn erweitern. Unter deutscher Herrschaft wird die Jaluitgesellshaft fofort mit dem Plantagenbau beginnen. Durch eine verständige, sahgemäße Entwickelung der beträhtlihen Hilfskräfte dieser Inseln wird fich ihre wirthschaftlihe Bedeutung heben lassen und dieselben werden zu einem wirthschaftlih ergiebigeren Besiy werden können. Deutscher Fleiß und deutscher Unternehmungsgeist werden von jeßt ab dort unter ganz anderen und weit günstigeren Bedingungen vorgehen können als bisher und die zweifellos vorhandenen faufmännischen und kommerziellen Chancen besser ausnüßen können als heute. Man kann fo vorsichtig sein, wie ich es zu scin glaube, und doch der Ansicht zuneigen, daß ein Besiß nicht immer nah seinem momentanen Werth, sondern auch nah den Konjunkturen zu taxieren ist, die er in der Zukunft bringen kann. (Sehr richtig!) Es hat {on Mancher ein ganz gutes Ge- {äft gemacht, der ein Terrain gekauft bat, das im Augen- blick nicht besonders ergiebig war und viéelleiht auch eine Zeit lang unergiebig blieb, das aber, sobald sich der Verkehr ihm zuwandte, seinen Ertrag vervielfahte. Unser neuer Besiß liegt an einer Straße, welher Handel und Verkehr sich mehr und mehr zuwenden werden.

Indem ih mi im übrigen beziehen darf auf meine Denkschrift, die ih dem hohen Hause unterbreitet habe, möchte ih nur darauf hin- weisen, daß alle Inseln sih in vorzüglihem Maße für den Plantagen- bau eignen, hon wegen ihres großen Wasserreihthums. Die größeren JInseln sind wit vortrefflichen Holzbeständen bedeckt. Auf allen Inseln gedeißt die Kokospalme, die das Kopra liefert, den hauptsählihften Handels8artifel dieser Zonen. Das Klima der Inseln is verhältniß- mäßig gesund. Auf den Palau- und Marianen-Jnseln liegen die Verhältnisse ähnlih wie auf den Karolinen; au sie versprehen eine ergiebig wirtbschaftlihe Ausbeute.

Von besonderer Wi&tigkcit ist, daß unsere neuerworbenen Inseln vorzüglihe Häfen und Aakerpläße enthalten. Es ift das für uns von um fo größerer Bedeutung, als es an solchen Häfen auf den Marfchall- Jafeln vollständig fehlt. Die Marschall-Inseln besißen keinen einzigen Hafen, der si für eine sihere Marinestation eignen würde. Zwischen Neu- Guinea und dem Bismarck - Archipel einerseits, China und Japan andererseits besißen wir jeßt keinen einzigen guten Hafen, Dagegen finden sich auf den größeren Karolinen, auf Ponaps und Kusaie, mehrere vortreffliche Häfen. Auch auf den Marianen- und Palau-Inseln fehlt es nit an folchen. Die Marianen können ih mit der Zeit zu Stühpunkten für den Schiffsverkehr zwishen Süd - Ostasien und Zentral-Amerika entwickeln, wie wir überhaupt dur unsere neuen Erwerbungen wihtige maritime und wirthschaftlihe Stationen ge- winnen auf dem Wege von Kaiser Wilhelm8-Land nah Kiautschou.

Die Bevölkerung unserer neuen Inseln wtrd uns als gutartig, anstellig und geshickt beshrieben. Jedenfalls sind unsere Handelsleute immer gut mit diesen Eingeborenen ausgekommen. Wir werden in humaner Weise mit diesem bildsamen Menschenmaterial umgehen. Wir werden bei voller Aufrechterhaltung unserer Autorität doch nicht vergefien , daß wir es mit Menschen zu thun haben, und eingedenk bleiben der Pflichten, die uns unsere höhere Kultur und der christ- lihe Glaube auferlegen. Wir werden verfuchen, die Fehler zu ver- meiden, die dort früher zu Aufständen geführt haben.

Hinsichilih der künftigen Organisation der Inseln darf ih mich auf meine zweite Denkschrift beziehen. Dieselben waren unter \pani- {er Herrfchaft in drei von einander unabhängige Verwaltungsbezirke eingetheilt, die dem Generalkapitanat der Philippinen in Manila unterstellt waren. Nach dem Uebergange der Infelgruppen in deutschen