1921 / 138 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Jun 1921 18:00:01 GMT) scan diff

dringend waren oder in keinem Zusammenhang zu diesem großen Gesetzentwurf selbst standen.

Aus dem letzten Gesichtspunkt heraus hat die preußishe Justiz- verwaltung kein Bedenken getragen, den auch im Hause zur Verab- s{hiedung gekommenen Gesezentwurf wegen Abänderung der Strafen des Forstdiebstahlsgesezes vorzulegen. Das alte Forst- diebstahlsgeseß enthielt sehr drakonishe Bestimmungen, insbesondere auch Strafen, die gänzlich unbeweglich waren, Der Richter war gezwungen, auf das Fünf- oder ZehnfaWße des Wertes zu erkennen. Besonders betroffen wurden von diesen harten Strafen die kleinen Leute, die in der Not der Zeit, weil sie keine Brennmaterialien hatten, ih verleiten ließen, cinen Forstdiebstahl zu begehen. Das Gesetz ist dahin abgeändert, daß die starren Strafen beseitigt und die Strafen im übrigen ganz erhebliß gemildert worden find. Der Richter bat jeßt die Möglichkeit, die er früher nit besaß, und weshalb er früher in den Ruf besonderer Härte gekommen ist, auf die wirt- \{aftlihen Verhältnisse dér Leute gebührend Rücksicht zu nehmen.

Aus dem Grunde, weil ein Aufschub nit angezeigt war, ist von der preußishen Justizverwaltung und in Konsequenz davon von der preußishen Staatsregierung im Reiche zweierlei angeregt worden: eine Abänderung der Bestimmungen über Geldstrafen und ein Ersa der Freiheitsstrafen durch Geldstrafen. Daß die Geld- strafen, die zurzeit bestehen, mit Rücksicht auf den gesunkenen Geldwert nicht mebr zeitgemäß sind, liegt auf der Hand. Es ist deshalb beantragt worden, die Geldstrafen entsprehend zu erhöhen. Sie sollen verhängt werden mit Rücksicht auf die Vermögens- verhältnisse derjenigen, die von den Strafen betroffen werden. Auf der anderen Seite soll aber bei der Verhängung der Geldstrafen, wenn der Betroffene mittellos is, Milde walten können. Es soll dem Richter Gelegenheit gegeben werden, Teilzahlungen zu gewähren oder den ganzen Betrag zu stunden. Freiheits\rafen sollen, wenn sie nicht mehr als einen Monat betragen, durch Geld- strafen ersetzt werden können. Diese Bestimmung ist meines Frachtens sehr segensreich. JIch halte die kleinen Gefängnisstrafen für sehr {ädlich. Wenn ein Mann wegen einer Kleinigkeit ins Ge- fängnis gekommen ist und den Ruf verloren hat, dann ist er leiht geneigt, auf diesem Pfade weiter zu wandeln. Ich begrüße deshalb alles, was dazu führt, die kleinen Gefängnisstrafen möglichst zu besei- tigen. Dazu gehört der Vorschlag, den wir gemacht haben und der voraus\ihtlih vom Reih angenommen wird, daß an Stelle der Frei- heits\trafen, wenn sie im Einzelfall nicht mehr als einen Monat er- reichen, Geldstrafen treten können.

Sodann erleidet kelhen Aufschub der Ausbau der Jugend- gerichte. Hierbei soll erstens die Strafmündigkeit, die zurzeit mit dem 12. Lebensjahr eintritt, auf das 14. Lebensjahr heraufgeseßt werden. Zweitens sollen entsprechend der Jugend der Angeklagten vielfah an Stelle von Strafen Erziehungsmaßregeln treten und end- li foll der Ausbau der Jugendgerihßte wesentlich in Anlehnung an das Vormundschaft8geriht erfolgen. In dem Vormundschaftsgericht ist meines Erachtens der Play zu suchen, auf dem die Frauen, die ih ja auch sonst von der Rechtspflege niht auss{hließen will, ganz besonders segensreich wirken können.

Dem Ansehen der Gerichte und dem Vertrauen der Bevölkerung „zu ihnen. tut nichts mehr Eintrag als der Umstand, daß die Gerichte G zurzeit mit vielen Angelegenheiten zu befassen haben, die eigent- li gar nicht ihres Amtes sind. Jch rechne dahin einmal die Uebertretungen von Polizeiverordnungen und sodann die Vergehen gegen die vielen wirtschaft- lihen Verordnungen. Die Gerichte hatten, was die leßteren anlangt, im verflossenen Jahre 400 000 Sachen zu erledigen, bei denen es sich nur um Uebertretungen wirtschaftlicher Verordnungen handelte, und wenn man genau zusieht, waren darunter unverhältnismäßig wenige Wucher- und Preistreibereisachen, die sich allein zu einer Ériminellen Aburteilung eignen. Der Umstand nun aber, daß sh die Gerichte mit diesen 400 000 Sachen zu befassen hatten, hat unerwünschte Folgen. Einmal werden die Richter dadurch ihrer eigentlichen Aufgabe, der Strafjustiz, doch in ganz erheblichem Maße entzogen. Sodann aber kommen die Gerichte in Mißkredit ; es wird ihnen zur Shuld angerechnet, daß sie verurteilen müssen, ansiatt daß man sagt: das Gese ist daran {chuld. Endlich trägt es aber au dazu bei, daß die Scheu vor der Strafgewalt der Gerichte vermindert wird, wenn auch Leute vor das Gericht kommen wegen Taten, die weder sie selber für sittlich verwerflich halten, noch die von ihrer Umgebung als sittlich verwerfliß angesehen werden. Wenn ein ganz honetter Mann wegen Uebertretung irgend einer wirtschaft» lien Verordnung vor das Gericht kommt, dann sagt ein anderer da kannst du auch wegen einer \olhen Uebertretung angeklagt werden. Die Erfahrung hat man leidex vielfachß gemacht, daß dadur die Scheu vor den Gerichten schr herabgeseßt worden ist. Die Justiz- verwaltung hat deshalb das erheblichste Interesse daran, daß diesem Umstand ein Ende gemacht wird. Sie arbeitet dan, daß den Gerichten diese Sachen abgenommen werden, Außerdem wird ihre Zahl mit dem Abbau der Zwangéwirtschaft an sich s{chon geringer werden.

Was dann die Uebertretungen der Polizeiverordnungen anlangt, so hält die Justizverwaltung dafür, daß es richtig ist, diese Uebers tretungen überhaupt ihres kriminellen Charakiers zu entfleiden. Wenn einer einmal nit gekehrt hat, so sollen dafür nur noch Ordnungs- strafen verhängt werden und die Justiz nit weiter mit der Sache befaßt werden. ¿

Was dann den Strafprozeß anlangk, so hat die preußische Sustizverwaltung an dem Entwurf, der augenblicklich dem Reichsrat vorliegt, wesentliß mitgearbeitet. Wesentlich ihrem Eifer ist es au zu verdanken, daß wir endlich in dem Entwurf eine Errungenschaft baben, die lange herbeigesehnt worden ist, die Berufung gegen alle Urteile und die Mitwirkung dex Laien. Wenn der Erfolg eingetreten is, daß wir nächstens in allen Straf- sahen die Berufung haben und wenn in jedem Gericht neben dem beamteten Richter auch der Latenrihter sißt, wird der Erfolg eintreten, den in der Kammwission der Abgeordnete Kuttner poetisch mit den Worten geschildert hat: wie die verschiedenen Farben des Spektrums zusammen das reine Weiß ergäben, so werde dur das Zusammenwirken der aus den verschiedensten Bevölkerungs- flassen entsandten Beisitzer das rihtige Urteil herauskommen. Das ist au die Hoffnung, die die pre'ußishe Instizverwaltung hat. Sie begrüßt also die Zuziehung der Schöffen bei allen Urteilen der Tat- sacheninstanzen auf das lebhafteste. Sie hofft, daß bei Durchführung dieses Grundsatzes die Beshwerden, die jeßt gegen die Rechtspflege erhoben werden, verschwinden werden.

Schon jet bringt das Geseg über die Entlastung der Gerichte

eine erbeblide Erhöhung der Kompetenzder Shöffen- geridte, was zur Folge hat, daß ein weit größerer Kreis von Angeschuldigten als bisher einmal der Wohltat der Schöffengerichte teilhaftig wird und dann gegen das ergehende Urteil das Nechts- mittel der Berufung hat.

Der Beteiligung aller Kreise der Bevölkerung an der Rechts- pflege dient dann auch das Gese, das im Reih gegenwärtig in Vorbereitung ist, wodur den Frauen der Zugang zu dem Ge- \Gworenen- und Schöffendien st gesichert werden foll.

Vielfa wird noch geklagt darüber, daß die Geschworenen- bank nit rihtig zusammengeseßt sei. Dem gegenüber muß ih bemerken, daß die Auswahl der Schöffen und der Geschworenen Sache des dafür ernannten Aus\Gusses ist und daß die Justizverwaltung kein geseßlidhes Mittel hat, um auf die Wahl der Geschworenen und S@{öffen einzuwirken. Die Sache vollzieht si bekanntlich so, daß in allen Gemeinden, die zum Amtsgeriht gehören, von dem Gemeinde- vorsteher sogenannte Urlisten gebildet werden. Diese Urlisten müssen eine Woche lang ausliegen und werden dann mit den inzwischen ein- gegangenen Einsprühen an den Amtsrichter ges{chickt, der alle Listen zu einer einzigen großen Urliste vereinigt. Dann tritt der Ausshuß zusammen, der nicht nur die Schöffen aus- wählt sondern auch in dreifaher Anzahl die Geschworenen. Aus dieser sogenannten Jahres- bezw. Vorschlagsliste werden dann die Schöffen für die einzelnen Sihungstage ausgelost und die Ges(hworenen in einer Sitzung des Landgerichts unter dem Vorsiß des Präsidenten ausgewählt. Die Grundlage bildet also jedenfalls die Jahres- bezw. die Vorschlagsliste, auf deren Zustandekommen die Fustizverwaltung keinen Einfluß hat. Es ist der Wunsch der Justiz- verwaltung, daß möglichst alle Kreise der Bevölkerung unter den S{(öffen und Geschworenen vertreten sind. Dann muß notwendiger- weise dafür gesorgt werden, daß die Personen, die Shöffen und Geschworene werden, hinreihende Tagegelder bekommen. Fh habe mir sagen lassen, daß manche Personen deshalb in die Geschworenenliste nicht kommen, weil fie es selbst nicht gewollt hätten, und zwar aus dem Grunde, weil sie nit in der Lage waren, auf ihren Verdienst zu verzichten, und weil sie nicht wußten, wie sie in der Stadt bei den teuren Preisen bestehen sollten. Jch bin also der Meinung, daß hier Wandel geschaffen werden muß, daß die Laienrichter höhere Tagegelder bekommen.

Die höheren Tagegelder wären aber meines Erachtens nicht nur den Schöffen und Geshworenen zu geben, sondern auch den Mitgliedern des Aus \chus\ es. Wenn man zum Ausschuß gehört, reist man zur Stadt, um bei der Auswahl der Schöffen und Geschworenen mitzuwirken. Ebenso wie der Schöffe Ersaß für seine verlorene Zeit verlangt, kann das Ausshußmitglied dies auch begehren. An der Justizverwaltung wird es nit liegen, wenn dieser Wunsh nit erfüllt werden sollte; fie wird das Jhrige tun, um dem Vexlangen Exfüllung zu verschaffen.

Es ist dann vielfach darüber geklagt worden, daß bei Be - leidigungen von Abgeordneten nit immer ein öffent- lies Interesse angenommen werde und die Staatsanwaltschaft nit ex officio einshreite. In der Beziehung ist bereits vor einiger Zeit vom Justizminister Wandel geschaffen. Die Staatsanwaltschaften sind angewiesen, in jedem . Einzelfall zu erwägen, ob niht mit NRüksicht auf die veränderte Stellung, die der Abgeordnete im modernen Staate hat, ein öffentlißes Interesse anzunehmen sei, namentli dann, wenn die Beleidigung mit Rücksicht auf seinen Beruf erfolgt. Weiter zu gehen und zu fagen, daß allemal der Staatsanwalt vorgehen muß, halte ich für unrichtig. Ich glaube au, daß mir jeder zustimmen wird; denn es sind doch viele Fälle denkbar, in denen es nit angängig ist, ein amtlihes Verfahren ein- zuleiten.

Was den Strafvollzug anlangt, so hat die Landesversamm- lung vor einigen Monaten beschlossen, eine Kommission von Straf- anstaltsberufsbeamten einzuseßen. Die Kommission ist eingeseßt und ist bei der Arbeit, sie hat {hon weit über zwanzig Sißungen ab- gehalten. Sie fertigt den Entwuxef einer einheitlichen Dienst- und Verwaltungsordnung an. Dabei werden in weitgehendstem Maße alle Gesichtspunkte berücktsihtigt, die geeignet sind, den Strafvollzug den neuzeitliden Verhältnissen anzupassen, und ihn mit s\ozialem Geiste zu erfüllen. /

__ DieGnadensa@chen, die bis zum Fahre 1919 von den Staats3- anwalts{aften bearbeitet wurden, sind im genannten Jahre in die Hand von Gnadenrichtern gelegt worden, denen ein Gnadenantwalt zur Seite stcht. Der Gnadenrißter darf von der Berichterstattung an das Justizministerium nur absehen, wenn der Gnadenanwalt und der Staatsanwalt ihm beistimmen. Wenn nur einer der drei Herren für Begnadigung ist, muß die Saße an den Justizminister gegeben werden. Es ist beantragt worden, daß der Justizminister st|ch der einzelnen Sachen selbs annehmen solle, Das is nicht mögli, wie ih bereits im Aus\{Guß gesagt habe. Wir haben im Fahre 1920 90 000 Gnadensachen gehabt, Wenn ih annehme,

daß ih mich die 10 Stunden, die ich am Tage arbeite, aus\s{chließlich mit Gnadensaden befasse und auf jede Sache nur eine Viertelstunde verwende, dann müßte

das Jahr für mich 2250 Arbeitstage haben. (Heiterkeit.) Das ist vlatterdings unmöglich. Der Gnadenrichter soll auf die wirt- schaftlichen und die Familienverbältnisse des Mannes, der um Be- gnadigung einkommt, Nüctsicht nehmen. Dagegen hat er nit die Aufgabe, wie das im Aus\{huß von einer Seite ausgeführt wurde, in ein kontradiktorisches Verfahren mit der Staatsanwaltschaft eintreten, so daß er sich gewissermaßen als Oberinstanz über dem erkennenden Gericht Tonstituieren könute. Dazu ist er nit berufen, Es wäre ja au ein Nonsens, wenn ‘wir ein Gericht von fünf Richtern haben und ein einzelner Gnadenrichter das Urteil kontradiktorisch nach- prüfen könnte.

Hand in. Hand mit den Gnaädensachen geht die Neuordnung des Begnadigungswesens Das Staatsministerium hat vor einiger Zeit die Gerichte ermähtigt, in allen Fällen, wo auf nichi mehr als sechs Monate erkannt war, die Strafe auszuseßen, eine Bewährungsfrist zu bestimmen und nach Ablauf der Bewährungs- frist die Begnadigung eintreten zu lassen. Es besteht die Absicht, auch in dem Falle dem Gericht das Begnadigungsrecht zu gewähren, wenn die Strafe zunächst mehr als sechs Monate betrug, aber der Strafrest, um den cs sich später noch handelt, nur noch sechs Monate ausmacht. Weiter zu gehen und zu sagen, in allen Fällen foll eine bedingte Begnadigung möglih sein, das scheint mir über das Ziel Hinauszuschießen.

Es ist endli darüber geklagt worden, daß die Unter.

suhungshaft häufig ohne Not verhängt wird. Jch bin überzeugt, |

daß die Klagen niht in allen Fällen unbegründet waren, und babe deshalb die Staatsanwaltschaft angewiesen, darauf hinzuwirken, d,: die Untersuungshaft nur da angewandt wird, wo sie zur Erteibune des Strafzwecks absolut erforderli ist. Es foll {trengstens geri, werden, ob es nötig ist, daß von der geseßlich gegebenen Handha Gebrauch gemacht wird.

Die Justizverwaltung verlangt von den Richtern, daß fie son fältig darauf bedaht sind, den Referendaren eine rihtige Ausbilduy zu geben, zumal der Stoff, den die jungen Leute zu beherrschen Labes von Tag zu Tag mehr anwähst, deshalb treten ja Universität, professoren dafür ein, daß an die Stelle des dreijährigen Universitzte, studiums ein folches von vier Jahren treten solle. Die Justizver, waltung ist nit gewillt, diesem Vorschlag zu folgen. Sie glaubt daß das dreijährige Universitätsstudium genüge, wenn der Student während der drei Fahre wirklih arbeitet. vorausgeseßt werden. Die Justizverwaltung tut dann aber au das Shrige, um das juristische Studium zu erleichtern, und zwar dadur daß fie sogenannte Anschauungskurse eingeführt hat. Die jungen Leute haben \{chon, wenn sie vom Gymnasium kommen, Gelegenheit, in die Gerichte geführt “und dort mit den sämtlihen Ei, riGtungen bekannt gemaht zu werden. Sie sehen, wie dz gearbeitet wird, wie sich das Verfahren vor dem Shöffy, geriht vollzieht. Selbstverständlih sollen sie keine Rechtsfragen ent, scheiden, sondern nur schen, wie fich der äußere Gang der Geri abspielt, wie die Akten aussehen usw. Ich weiß aus eigener E: fahrung, daß mir auf der Universität das Studium viel leiter 4e, wesen wäre, wenn ih einen folchen Einblick gehabt hätte, wie ihn di jungen Leute jeßt bekommen. Das tut also die Justizverwaltung fi; die jungen Leute, wenn fie auf der Universität sind.

Ganz besonders nimmt sie sih aber ihrer an, wenn fie Referendar sind. Es wird strikte darauf gehalten, daß die Leiter der einzelne Stadien darauf sehen, daß die Referendare zu allen für sie lehrreide Geschäften herangezogen, von allen anderen Geschäften aber fe, gehalten werden. Ueber das, was die Referendare in den Stadien q, leistet haben, muß am S{hluß ein wahrheitsgemäßes Zeugnis ausgestellt werden, \o daß also der junge Mann, wenn er sich zum Affsessorexamen meldet, mit den Zeugnissen der verschiedenen mit seiner Ausbildung be auftragten Beamten ausgerüstet ist. Ih bemerke, daß keiner in einen weiteren Ausbildungsabschnitt eintreten kann, wenn er \ih in den fruheren nit so bewährt hat, daß ihm das Zeugnis erteilt werden kann,

Auf einem ganz anderen Standpunkt als die Justizverwaltung scheinen die Herren zu stehen, die in der Kommission den Antrag qu stellt baben:

den Justizminister aufzufordern, einen Plan auszuarbeiten, nah det in Abänderung des Gerichtsverfassung8gesezes hervorragend Yu fähigte und praktisch erfahrene Personen aus allen Kreisen de Volks dur Ablegung der Gerichtsassessorprüfung die Befähigun zum Richteramt erlangen können, die nit den bisher vorgefchriebenen Ausbildungsgang durhgemacht haben. Die Herren scheinen zu meinen, daß man sich die nötigen Kenntnisse au autodidaktisch erwerben könne. Wenn ich mir den Antrag be tracte, frage ih zunäßst: Wer foll darüber befinden, ob jemand hervorragend befähigt und praktisch erfahren ist? Ela die Av wärter selber? Dann wird die Zahl derjenigen, die sich berufen fühlen, das Assessorexamen abzulegen, gion. Wenn sie selber nitt das Zeugnis ablegen können, wer soll darüber befinden, ob eint hervorragend befähigt oder praktisch erfahren ist? (Abg, Shuh (Neukölln): Es gibt auch sehr viele dumme Nichter, die viel Prüfungen gemacht haben !) Leider Gottes; aber das will doÿ nit sagen, daß diejenigen, die die Prüfung überhaupt nicht gemadt haben, etwas taugen. (Heiterkeit. Abg. Schulz (Neukölln): Veil sie kein Geld haben, haben sie die Prüfung nicht machen Fönnen!)— Das ist sehr bebauerlih. Der Antrag verkennt vor allen Dingen die Bedeutung des Assessorexamens. Der Antrag twneint, das Assessor examen wäre etwas, was für si existierte, was man nur abzuleget hätte. Er übersieht den Zusammenhang zwischen dem Assessorezaucà und den Prüfungen, die der junge Mann {hon vorher abzulegen hat, dem Referendarexamen und den Prüfungen, denen er stindi von den während des Vorbereitungsdienstes mit seiner Ausbildui beauftragten Beamten unterzogen wird. |

Nur weil er diese Zeugnisse Hat, wird er im Assessorexatnen 1 vielen Dingen nit examiniert, z. B. in historischen und philosophisdet Fächern. Wenn er das Assessorexamen ablegt, muß er das alles ebet wissen. Er muß dann auch allgemeine Kenntnisse haben. Menn alf ein Außenstehender das Affsessorexamen ablegen wollte, dann múßle in Affsessorexamen auf alles zurüclkgegriffen werden, auf die Examina, hi vorher gingen, \{ließlih auch auf das Abiturientenexamen. Da wolli ¡ch sehen, wie die Kommission zusammengeset werden müßte, vordet del

Gxamen abzulegen wäre. Der Vorschlag scheint mir utopistish zu 8 Die Justizverwaltung hat sich willig den großen Aufgaben unit zogen, die ihr in den legten Jahren zugefallen sind. Unversehtt habet sich die Richter den Ruf absoluter Zuverlässigkeit erhalten und [abet auch den Anforderungen, die die neue Zeit an sie gestellt hat, boll genügt. Widerspru gegen sie is nur în einzelnen Fällen erholet worden. Wenn man da näher zusteht, dann ergibt sich, daß in bet allerwenigsten Fällen die Nichter {huld find. Meist liegt na telt? Ansicht die Schuld am Geseh, das der Richter anzuwenden u pflichtet war. Wenn das Geseh als Strafminimum ein Jahr Zul haus vorsict, dann ist der Laie geneigt, über den Richter #1 shelizt der diese Strafe verhängt hat, aber der Rilhter konnte nicht at i handeln. (Zuruf: Also weg mit dem Geseg) Ich habe {hon gesa daß es wegkommen soll, daß wir dabei sind, ein neues Geseß zu r Also einmal liegt es am Gesetz, nicht am Riter. M 4 es ferner an einer unrichtigen Berichterstattuns H 4 ritig ) Die Zeitungen werden nit immer von retsverstit! Reportern bedient. Sie bringen oft Darstellungen, bei denen 4 die Haare zu Berge stehen. Wenn man der Sache dant ui e Grund gebt, fällt auf den Richter auH nicht ein Funke von a ; Was dann, um damit zu ließen, den generellen Vorwurf Muh daß unser preußischer Rihterstand Klassenjustiz übt (Sehr rid so weise i diesen Vorwurf mit aller Entshiedenheit zurlick (Wn) daß ein Richter bewußte Rechtsbeugung vornimmt. (Biber i JchG weise auG den Aussprulß in der schwäheren Fort ge dig) die Richter infolge threr Erziehung und Gewohnheiten (seht 1! N dazu neigen, dem kleinen Mann nicht so gerecht zu werdet, citigt verdient. Jch nehme für die Richter den Willen und die Fi) in Anspru, auch die Verhältnisse des kleinen Mannes gel! "id überschauen, Der Vorwurf der Klassenjustiz ist absolut unber (Bravo! Widerspruch.)

(Fortsehung în ber Zwekten Beilage)

Daß er arbeitet, my

Zweite Veilage

um Deutschen ReichSanzeiger und Preußischen StaatSanzeiger

ailein rain zem iein

Ir. 138. E (Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Abg. Dr. Berndt- Stettin (Dem.) berichtet sodann über die Verhandlungen im Hauptausschuß und befürwortet eine Reihe von Anträgen des Ausschusses. Das Staastministerium wird u. a. darin ersucht, die hauptamtliche Anstellung von Anstaltsärzten in Ploßensee, Tegel u Moabit zu veranlassen, die Jrrenabtei- ungen zu vermchren, das BVildungs- und Schulwesen in den Strafanstalten zu fördern, Maßnahmen zu treffen, die auf Ent- lastung er Leiter größerer Strafanstalten E Jedem Straf- efangenen oll bei Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten orélaufend Mitteilung über sein Körpergewiht gemacht werden, und shließlih soll dasür Sorge getragen werden, daß alle Vor- pürfe, die in der Oeffentlichkeit gegen Gerichtsurteile oder richter- lihe Handlungen erhoben werden, dahin nahgeprüft werden, ob die in der Oeffentlichkeit aufgestellten Behauptungen den Tqt- achen entsprehen; mit größter aria soll die Oeffent- lihfeit über den wahren Tatbestand E ärt werden. Jn einer Entschließung des R s wird gefordert der baldige Erlaß eines M Sag eyes, Ausbau der Aufsehershulen für Beamte an den Stras- und Ou Dane, Nachtdienstzu- lagen für Straf- und Erziehungsan taltsbeamte, Gleichstellung der weiblihen Aufssihtsbeamten mit den männlihen in den Dienstbezügen und Beschaffung von Wach- und Diensthunden Lu die Straf- und Erziehungsanstalten. Auh den Rechtsanwälten joll die Möglichkeit eröfsnet werden, zum Richterberuf überzugehen, und zwar unter der Voraussetzung, daß sie dann niht auf. dev untersten Stufe anzufangen brauchen, sondern ihrem Alter, dler Crfahrung und ihrer Leistun sfähigkeit nach au sofort in höhere Stellen einrückden können. Auch die Zulassung der Frauen zur Rechtspflege ist im Ausshuß erörtert worden, die Ersüllung der orderung, die Frauen zum Richteramt, wie zur, Staats- und RKehtsanwaltschaft en, ist für absehbare Zeit in Aussicht estellt worden. Weiter wurde verlangt die Uebertragung von rihterlihen Geschäften in erweitertem Umfange auf die cFUstiz- beamten: einmal um die Richter zu entlasten, dann aber auch um die Arbeitsfreudigkeit der Justizbeamten zu stärken. Der Fustiz- minister hat S Pn A vas eine weitere Uebertragung in diesem Sinne beabsichtigt wird. Ein A bei den Kaufmanns- und Gewerbegerichten Rechtsanwälte zuzulassen, ist von der Mehrheit abgelehnt worden. Zum Ueberalterun ers hat ‘dex Minister die Erklärung abgegeben, daß die Dauaisari e Weiterbeschäftigung pensionierter Veainter niht im Geiste der Justizverwaltung liege, ein Verstoß gegen die U sei damit aber nicht begangen. Für den Sirasvollzug ist eine sozialere N und für seine Handhabung eine cigene Behörde verlangt worden, da die Staats- anwaltschaft dafür nit die geeignete Fnstanz sei. Eine N Kommission ist eingeseßt worden, die sich mit dem Strafvollzug zu beschäftigen, neue Grundsäßg dafür auszuarbeiten und mit dieser Tütigkeit bèreits begonnen hat. Eine große Menge sehr umfang- reicher Anträge aus den Reihen der Kommunisten forderte die Abschaffung der Todesstrafen, eine allgemeine Amnestie, die Be- seitiqung der Staatsanwaltschaft und der Gefängnisse; die Anträge liefen im wesentlichen au die gänzliche Beseitigung der Justiz einrihtungen hinaus, sie sind sämtlih abgelehnt worden. ; Abg, Heilmann (Soz.): Wir bedauern sehr, daß wir ohue shriftlihen Ausshußberiht beraten müssen. Wenn der Justiz. minister hier mit leisec Stimme wichtige Erklärungen abgibt, ist » es sehr schwer, ihm so genau zu folgen, wie es die ache erfordert. Die ganze Behandlungsweise eint mir der Bedeutung des Justiz- etats wenig angemessen gzu sein. Der Minister hat heute eine Vebersiht über die Fustizreformen gegeben, die im Reiche und in Preußen im Gange sind. Jm einzelnen wäre manches zu be- anstanden/ wenn auch im allgemeinen Ee dur die Reformabsichten sowohl im Zivil- wie im Strafprozeß wie auch im Strafgeseybuch ein moderner Zug geht. Ob die abi ung des Strasmündigkeitsalters M echzehn Jahre und “ob die Be- \hränkung der bedingten Begnadigung an die Bindung an echs Monate genügt, wird später gründlicher L ÎL sind jeßt reihlich im dritten Jahre nah der Revolution, und es wäre an der C daß der neue ia der über Deutschland gekommen sein sollte, sich auch im Strafrecht und in der ehts- ffege ausspricht. Divon sehen wir nihts. Nach wie vor steht in ittelpunkt unserer Kritik das Strafreht mit seinen Sonder- und Ausnahmegerichten. Wir haben überhaupt keine einheitlihe Recht- sprehung mehr, der ebalsungarundien daß niemand seinem ordentlichen Richter entaogen werden darf, ist beinahe hon zum Gespött geworden. (Lachen bei den Kommunisten.) Früher unter dem persönlihen Regiment konnte der König einem Gescß zu- stimmen oder seine Zustimmung verweigern; die Kommunisten werden doch wissen, daß jeßt der Reichspräsident alle beschlossenen Geseße, gleichviel, ob sie ihm gefallen odex niht, einfa zu ver- lündigen und zux Ausführung zu bringen hat. Begrüßenswert ist es, daß an großen Reformen gearbeitet wird. Seit drei Kevolutionsjahren warten wir vergeblih darauf. Es ist an der Zeit, die Rechtspflege endlih mit neuem Geiste zu erfüllen. pm Vorder runde des Fnteresses stehen immer noch die Sondergerühte. (Abg. Sh ul z - Neukölln (Komm.): Sagen Sie das Frige Ebert!) n Volksversammlungeñ ist dieser Zwischenruf woh angebracht. vom Parlament weiß man aber, daß wir kein persónlihes Regiment mehr haben und der Reichspräsident ledigli die A des Reihsfabinetts, in diesem Falle des bürgerlihen Reichskabinetts, auszuführen hät. Jhnen (nach links) liegt aber nihts daran, die Vourgeosie zu bekämpfen, Sie wollen nur den Bruderkampf der Arbeiterklasse führen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemo- kfraten.) Schon in der Nationalversammlung haben wir uns gegen die Sondergerichte" ausgesprohen. Jeßt ift die Gefährdung der offentlichen Ordnung, längst vorüber. Die ungeheuerlichen Strafen stehen in keinem brhältnis zu dem in Mitteldeutshland an- richteten Schaden. Die verhängten 2500 Fahre Zuchthaus und Vefängnis werden mehr Menschenleben kosten als der Aufstand. Sehr wahr! links.) Diese sharsen Strafen erwecken die Sympathie t die Kommunisten, von der während des Aufstandes in Mittel- eutschland nihts zu spüren war. Die Justiz darf niht Fum Instrument der Rache werden. Auch politish sind die Sonder- werihie eine Torheit; Volk und Justiz werden einander immer mehr entfremdet. „Reichsregierung und LIOA haben sich für Be- sodigung eingeseßt, das Kabinett Stegerwald stemmt sich dagegen. ai es damit dié, nationale Einheit shmieden? Tatjächlih ist omit das Kabinett Stegerwald verantwortlich auch für Sonder- perihte und für die Beibehaltung des Belagerungszustandes. Die ratonischen Strafen sind umso schwerer zu tragen, als die Justiz sgener den Rechtsparteien vollkommen versagte. Während und E des Kapp-Putsches ist niemand verurteilt worden, es sei a daß er gegen den Kapp-Putsh Stellung genommen habe. êim Kapp-Putsh ist man nicht auf den Gedanken gekommen, ondergerichte einzurichten, da griff man zur Amnestie, weil die Vulstig versage. Die »,Rote Fahne“ ist verboten worden, die Blätter eid Rechten können aber jeden Tag von Shandregierung un- se oren sprehen. Wenn der Justizminister erklärt, die Gerichte ¿gten nit bewußt das Recht, so ist das vollkommen unsere hesteung, aber ‘der deutsche Richterstand ergänzt sih aus ganz Mad Schichten dex Bevölkerung, die der Arbeiterklasse und a polihen, Leben vollkommen fernstehen. Früher hieß es: Sozial- emokraten dürfen nicht Nichter werden. (Sehr richtig! rechts, großer und Pfuiruse. links.) Bei den französishen Revolutionèn 4 l ; \ \

Berlin, Donnerstag, den 16. Funi

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aa

wurden sofort die Richter abgeseßt und durch Revolutionäre ergänzt. Bei dec deutshen Revolution wurde du'ch E Rosenfeld ausdrücklich die Unabsezbarkeit und Unabhängigkeit der Richter erneut gewährleistet. Dadurch soll aber nicht verhindert sein, daß ein neuer Geist in das Richterkorps einzieht. Der neue Richter muß ein besseres Verständnis für die Arbeiterklasse haben. Für den Geist im Richterstande ist kennzeihnend, daß zum Präsidenten des preußishen Kammergerichhtes, also zum hödsten preußischen Richter, ein Herr v. Staff ernannt worden il der 1913 îin der deutshen Juristenzeitung einen Artikel zum Regierungsjubiläum Wilhelm Ik. shrieb, in dem auch von dem inneren Feind gesprochen wurde, in dem irrtümlicherweise Wilhelm Ik. als der Schöpfer des Sozialistengeseßes von 1878 gepriesen wurde, er sei der ureigenste Vater des Haager Schiedsgerichtshofes, leider sei es

noch niht zum Zuchthausgeses zum Schuße der Arbeits- willigen gekommen. Herr v. Staff ist ein eifriger Ost- markenpolitiker gewesen, der besonders für die gewaltsame

Enteignung der Polen eintrat, Wilhelm IL. preist er als den ersten ZFuristen Deutschlands (Lachen links). Und die preußishe Republik ernennt den Derieller solher Artikel zu ihrem ersten Richter! Und nun vom ganz Großen zum ganz Kleinen. Ein Vtittergutsbesißer hat einen Gewerkschaftsangestellten beschimpft; die Erhebung der Anklage im öffentlihen Fnteresse wird abgelehnt, die Privatklage wird vom Amt3geriht und auch von der Gene amer abgewiesen, und in den Erkenntnisgründen heißt es, Ausdrüte, wie „rausgeshmißner Kerl Stankmacher, Heßer", seien keine Be- leidigungen, der Angeklagte habe sich volkstümlich ausdrüten wollen, 4 dem ländlichen Svrachgebrauh angeschlossen, um sich seinen Zuhörern deutlih zu machen, und der Ausdruck „Heher" sei bloß ein deutshes Wort für den der ländlichen Bevölkerung un- verständlichen Ausdruck „Agitator“ (wiederholte stürmische Heiter- keit). Das Amtsgericht Bentheim hat wiederholt Arbeiter, die ver- sehentlich über die Grenze gegangen waren, wegen Schmuggel- verdachts zu 150 # Geldstrafe verurteilt, aber einen Grafen, und

Flügeladjutanten des früheren Kaisers, der bei Passieren der Grenze,

einen Shmuck von fünfviertel Millionen Mark Wert verheimlichte, freigesprochen, da es ihm glaubte, daß er den Shmuck nur seiner Frau nah Holland mitbringen wollte, damit sie ihn dort bei Hof- festen tragen könne. (Abermalige stürmische Heiterkeit.) Der Justiz- minister ist niht in der Lage, den Grundschaden der preußischen Justiz, die einseitige Zusammensezung des Richterpersonals, aus- zurotten. Zahlreiche Richter schließen heute bei der Aufstellung der Geschworenenlisten die Arbeiter völlig aus, so daß z. B. in dem so gewerbreichen Bezirke Kottbus seit sechs Fahren kein Arbeiter Geschworener gewesen ist. Ein erwahsener Mensch, der genügènde Exsahrung gesammelt hat, muß) Volljurist werden können, ohne den Bildung3gang der zünftigen Furisten durchgemaht zu haben. Fn Amerika gilt das für selbstverständlich, ein Arbeitersekretär, ein Anwaltshreiber, ein mittlerer Fustizbeamter, ein Redakteur muß Gelegenheit erhalten, in verkürztem Ausbildung8gange zum Voll- juristen zu gelangen. Den Söhnen und Töchtern der Arbeiter muß der Zugang zunrt juristischen Studium und zur juristischen Praxis eröffnet werden. Den Referendaren soll man entweder Gehalt geben oder Dan jede Nebenbeschäftigung erlauben, die nicht mit ihren Berufspflihten follidiert. Ein Arbeitersekretär, der eine rein juristishe Tätigkeit ausübt, besißt nah zehn Fahren mehr Er- fahrung als neunzehntel allèx Referendare im zweiten oder dritten Ausbildungsjahr. Unser Ziel ist, niht etwa die Rechtspslege in ein Parteiges{häst umzuwandeln, oder eine Klassenjustiz aufzurichten, sondern die Einseitigkeit des NRithterpersonals zu überwinden. Wir protestieren gegen die Le die fremde Gewalt in den i Ly Gebieten gegen Déutsche. auf dem Wege der Fustizpflege ausübt. :

Inzwischen is u. a. ein Antrag der Sozialdemos= fraten eingegangen, in welhem Aenderungen des Gerichtsverfassung8geseßes und der. Strafprozeßordung in der Richtung befürwortet werden, daß. Laienrichter insbesondere zu den Strafkamrern hinzugezogen werden, daß die Auswahl der ¿Laienrichter künftig durxh Volkäwahl exfolgt, daß gegen alle verstinstanzlichen Urteile in Strafsachen Berufung zulässig sein soll, daß begabten Kindern minderbemittelter Eltern in größerer Anzahl auf Staatskosten der Weg zum Berufs= rihteramt eröffnet wird und daß endlih der befähigte und praktish exfahrene Personen aus allen Volkskreisen durch Ablegung der Gericht8assessorenprüfung die Befähigung zun

Richteramt erlangen können, auch wenn sie den vorschrists=-

mäßigen Ausbildungsgang nicht durchgemaht haben.

Justizminister Dr. am Zehnhoff: Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu den Anträgen dès Abg. Heilmann. Er beantragt in erster Linie, daß das Element der Laienrihter zu allen Gerichten, die in Strafsachen urteilen, bésonders zu den Strafkammern zugezogen wird. Sein Antrag bewegt sich in derselben Richtung wie die Bestimmungen des Entwurfs zu einer neuen Strafprozeßordnung. Wie ich vorhin sagte, ist beabsichtigt, die Gerichte fo ein- zurichten, daß nicht nur in der ersten Instanz, sondern auch in der Berufungsinstanz neben den rechtsverständigen Richtern auch Laien urteilen. h }

Zweitens wird begehrt, daß die Auswahl der Laienri@hter fünftig durch Volks8wahl nach dem allgemeinen gleichen, direkten und geheimen Wahlreht unter Anwendung des Verhältniswahlsystems er- folgt. Hierzu kann ih nur sagen, daß dieser Vorschlag erwägens, wert ist und daß mir die Auswahl, so wie sie augenblicklih erfolgt, nicht rihtig zu sein scheint. Ob es genügen wird, wenn der Auss{huß nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden wird, kann ih noch nit übersehen. Jedenfalls Habe ih grundsäßlich nihts gegen den Vorschlag einzuwenden, daß die Auswahl - des Ausschusses wi allgemeine Wahl erfolgt, und daß der so zustande ' gekommene Ausfhuß die Schöffen und Ge- \chworenen auswählt. Ebensowenig häbe ih etwas gegen den dritten Antrag einzuwenden, daß gegen alle erstinstanzlihen Urteile in Strafsachen das Rechtsmittel der Berufung zulässig sein soll. Dabei seße ih voraus, daß nicht gemeint ist, daß das Rechts- mittel der Berufung auch gegen Schwurgerichtsurteile zulässig sein foll. Diese Urteile erster Instanz müssen ausgenommen sein. Auch gegen sie die Berufung zuzulassen ist wohl auch mit dem Antrage nicht beabsichtigt.

Dann kann ih auch dem Antrage zustimmen, daß begabten Kindern minderbemittelter Eltern in größerer Anzahb auf Staatskosten der Weg zum Berufsrichteramt eröffnet wird. Die Frage wird nur die sein, wie große Mittel der Herr Finanzminister dafür bereitzustellen gewillt ift. i

Was den Punkt 5 des Anträges anbelangt, so habe ih dazu das Nötige bereits gesagt. Der Hinwkis des Herrn Kollegen Heilmann auf Amerika kann mih nicht Lecta usen ih bin selbst in Amerika gewesen, habe gerichtlißen Verhandlungen beigewohnt und gesehen,

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Kommission gesagt und kann hirS n

1921

daß das Verfahren dort nicht nachahmenêwert ist. Das fann uns unmöglich anregen, hier das Beispiel von Amerika nachzuahmen.

Herr Kollege Heilmann hat {fich dann des längeren bei einem Artikel aufgehalten, den der Kammergerichtspräsident von Staff im Jahre 1913 geschrieben hat. Er hat es nit gesagt ; aber wenn man ihn so hört, dann könnte man auf den Gedanken kommen, daß ih Herrn von Staff von Düsseldorf nah Berlin versezt hatte, um ihm eine Belohnung für den Artikel zu geben. (Heiterkeit.) So liegt die Sache niht. Als ich die Verseßung des Herrn von Staff vornahm, war mir dieser Artikel ganz unbekannt; ih habe ihn erst vor einiger Zeit gelesen. Als ich Herrn von Staff versetzte, war mir nur bekannt, daß er sich zur deutschen Volkspartei rechne. (Heiterkeit und Zurufe.) Vor allen Dingen war mir bekannt, daß Herx von Staff zweifellos einer der tüchtigsten Juristen ist, die wir in Deutschland haben, was auch kein Mensch bestreiten wird. Ab- gesehen von seiner allgemeinen... Tüchtigkeit gilt ex besonders auß als großartiges Organisationstalent und hervorragende Arbeitskraft und hat auch ein Auge dafür, {ih die rihtigen Leute auszuwählen, Eigenschaften, die auch erforderlich find, um einem großen Gericht vorzustehen. Herr von Staff, gegen dessen Verhalten unter keinen Gesichtspunkten etwas einzuwenden ist, ist im Fahre 1919, also nach der Revolution, vom Deutschen Juristenbund zum Ersten Vorsißenden erwählt worden. Das ist besonders wichtig, weil der Deutsche Juristenbund nicht nur sämtliche Richter, sondern auch die Rehtsanwälte und Rechtslehrer umfaßt. Eine größere Ehre Tonnte also Herrn von Stoff al%Juristen überhaupt nit zuteil werden. Dann kommt hinzu, daß ih vißn kenne, seitdem er im Jahre 1916 Oberlandesgerichtspräsident inWüsseldorf geroorden ist, und ih ihn da unter meinen Augen fab Cen fen und ich habe in der viederholen, ich habe ihn von der allerbesten Seite kennen gelecnt. Er war der beste Vorgeseßtte gegen seine Untergebenen, den man {ich denken fann, er hat \ich die Liebe und die Verehrung nicht nur seiner Kollegen, der Nichter, er- worben, sondern auch der mittleren und unteren Beamten; und gerade der leßtere Umstand war für mich der Grund dafür, ihn für geeignet zu halten. (Zuruf der Abg. Frau Wolffstein: Und die, die er ver- urteilt hat, hat er fich deren Vertrauen auch erworben? Große Heiterkeit.) Also er war der beste Präsident und ist als solcher von allen seinen Untergebenen gewürdigt worden.

Auf die Einzelheiten des Artikels kann ich nit eingehen; er ist so ras vorgelesen worden, daß ih sie niht im Kopfe habe. Nur gegen eins muß ich protestieren. Der Clou war eigentlih, daß Herr Heilmann sagte, Herr von Staff hätte Kaiser Wilhelm für den ersten Suristen erklärt. Wenn man das so hört, Tönnte man denken, daß dies ein Byzantini8mus ohne gleihßen gewesen wäre. Es ist ihm aber gar nicht eingefallen, Kaiser Wilhelm seiner Fähigkeit nach als" den ersten Juristen zu bezeichnen, sondern wenn man den Artikel im Zu- sammenhang liest, besagt er einfa folgeides: der Kaiser hat, als er die Negierung übernahm, erklärt, daß er immer ein Hüter des Rechts sein wolle. Dann hat ihn im Jahre 1910 die juristische Fakultät in Berlin zum Ehrendoktor ernannt. Er hat darauf erklärt, daß er es akzeptiere und sich als Juristen betrachte (Zuruf : Ohne NReferendarexamen ! Heiterkeit), er hat erklärt, daß er den Ehrentitel annehme und sich als Juristen fühle. Nun war er doch damals der Erste im Reiche, und in diesem Sinne war es doch ganz richtig, wenn Herr von Staff gesagt hat es handelte sich ja um einen Artikel zum 25 jährigen Regierungsjubiläum daß er der erste Jurist sei. (Zuruf : Alfo nicht wegen der Qualifikation! Heiterkeit.) Wenn man das fo liest, kann man wirklih nihts Verfängliches darin finden. Jch kann nur sagen, ich nehme die Veraniwortung dafür, daß ih diesen wohl- wollenden tüchtigen Präsidenten nach Berlin verseßt habe, gern auf mich

Was dann den Artikel des Staatsanwalts Gysae anlangt, der

in der „Deutschen Tageszeitung" gestanden hat, so muß ih sagen,

daß das \{chwerlich zu billigen ist. Jch werde die Sache näher unter- suchen. Der von dem Abg. Heilmann“. erwähnte Staatsanwalt Meyer geht mich nichts an; er war Krieg8getichtsrat und hat mir niemals unterstanden. (Zuruf.) Zumbroih zwar damals zur Polizei- verwaltung beurlaubt und die Untersuchung gegen ihn ist niht von mir;, sondern vom Minister des Innern geftihrt worden, also vom Minister Severing, dem Parteigenossen des Hekxn Kollegen Heilmann. (Heiterkeit.) Ich bin lediglih dessen Urteil beigetreten. (Große Heiterkeit.) Mir blieb dann nichts anderes übrig, als Zumbroih im Interesse des Dienstes von hier wegzuversetzen.

Abg Oppenhoff (Zentr.): Es ist niht zu bestreiten, daß reti A Urxrteile von Gerichten unbegreiflih sind. Auch die Richter sind Menschen. Mit Einzelfällen kann man aber nihts beweisen. Das tendenziós herabseßende Urteil der Sozialdemokratie über unsere Rechtspflege und unsere Richter hat keine sahlihe Be- gründung. Richter und Stat3anwälte sollen sich vorbehaltlos auf den Boden der republikanischen Verfassung stellen, aber man soll von ihnen keinen Gesinnungs8wechsêl verlangen. Wir lehnen jede Gesinnungsshnüffelei ab. (Beifall.) Dem sozialdemokratishen An- trag ‘auf Zulassung von Arbeitersekretären zum Assessorexamen können wir niht zustimmen, weil er praftisch undurchführbar ist. Es würde dann nur noch Richter, zweiter Klasse geben. Wir halten fest an der Vorausseßung des Universitärsstudiums für alle Richter, besen aber die Verbilli ung D Studiums und den Gymnasial- besuch auh für unbemittelte Kinder. Dîe Zusammenarbeit von Laien- und gelehrten Rihtern muß gefördert werden. Es ist nicht ju billigen, wenn Staatsanwälte Geshworene nur deshalb ab- ehnen, weil sie Arbeiter sind. Die veraten Shwurgerichte sollten aewait und durch große Schöffengerichte erseßt werden. Die Ar Ce müssen den Amts8gerihten angegliedert werden. Gegen Bee der Frauen als Schöffen und Geshworene bestehen lèbhafte Bedenken. Die Einwendungen dex Juristen sollte man dabewknicht übersehen. (Beifall im Zentrum.) *

Abg. Deerberg (D. Nat.): Ueber Deutschland is eit schweres, vernihtendes Ultimatum verhängt worden, welches auf Generationen hinaus dem deutschen Volke jede Lebéusmöglichkeit unterbindet. Es ist dem Volke ein Schuldbekenntnis abgepreßt worden, dessen objektive Unwahrhoaftigkeit feststeht, und dessen Wirkungen die ungeheuren wirtschaftlichen Bedrückungen sind, die wir auf uns nehmen müssen. Man versprah uns, Deutsch- land als Gere tigt in den Kreis der Nationen aufzunehmen uns das Selbstbestimmungsrecht einzuräumen; im Vertrauen auf dióses Wort sind wir in die Friedensverhandlungen eingetreten,