1899 / 221 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 19 Sep 1899 18:00:01 GMT) scan diff

Der Geburtstag ohei Herzogs ist am ganzen Lande in der herkömmlichen Weise

onnabend im festlich begangen worden.

Großbritanuuien und Jrland,

Der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern von Birmingham nach London

zurückgekehrt. Frankreich.

Der Senat is gestern Nachmittag als Staats-

gerichtshof zusammengetreten. Der Präsident Fallières eröffnete die Sizung um 2 Uhr. Nach der Verlesung des Einberufungsdekrets verlangte der Senator de Lamarzelle das Wort. Der Präsident verweigerte ihm dasselbe. Da de Lamarzelle weiter zu sprechen verlangte, fing die Linke an, mit den Pultdeckeln zu schlagen. Schließlih wurde zum namentlihen Aufruf geschritten, worauf der Ober-Staatsanwalt die Anklageschrift verlas.

Jn derselben wird, wie „W. T. B.“ berichtet, zunächst

darauf hingewiesen, daß die v:rschiedenen Nuhestörungen in den Jahren 1898 und 1899 auf eine Verschwörung zum Zwecke einer Abänderung der Regierungsform zurück- zuführen seicn. Nach den weiteren Ausführungen des Ober- Staatsanwalts seien zwei Gruppen zu unterscheiden : 1) die Patrioten-Liga, welhe an Stelle der parlamentarischen Ne-

ierung eine fkonstitutionclle seßen wolle; 9) die Anti- emiten - Liga, welhe die Nationalisten, Royalisten und JImperialisten zum Zwecke eincs Aufstandes vereinige. Dubuc, der Leiter der antisemitishen Jugend, bilde das Binde lied jen der Patrioten- und Antisemitenliga und unter tüße

ie royalistishen Umtriebe von des Pontèves-Sabran, der mit den Comités in Caen und Havre korrespondicrt habe. Von besonderer Wichtigkeit seien die Enthüllungen über cine lebhafte Korrespondenz, die zwischen dem Herzog von Orléans und seinem Verirauensmann Buffet geführt worden sei. Der Herzog habe im Zuli 1898 geschrieben, daß cine gewisse Persönlichkeit ihm die Unterstüßung zahlreicher Arbeitersyndikate zugesichert habe: 300 000 Fr. würden dazu genügen. Bald darauf seien der Strike der Erdarbeiter im Oktober 1898 und die von der Patriotenliga im Saale “v ins Werk gesechte Versamm- lung vom 20. Oktober erfolgt. Auf cine Depesche Busffct's ei der Herzog von Orléans am 23. Januar nach Brüssel ge- ommen, wo er am 25. Januar dcn Besuh Guérin's empfan- gen habe. Am 13. Februar habe der Herzog in San Remo die Royalisten empfangen. Von seinen Anhängern würden dem Herzog Geldmittel zugeführt, eine ahlung von 400 000 Fr. sei durch Bricfe bewiesen. Am 2823. Februar sei die Verhaftung Déroulède’s in der Kaserne erfolgt. Die Royalisten hätten später ihre Treibereien fortgeseßt, alles sei für den Fall eines glücklihen Ausgangs bereit und die Beamten designiert gewesen. Am 1. Juni habe Buffet dem Herzog von Oriéans telegraphiert, es sei nöthig, daß er in der Nähe sei, und am 3. Jum, dic Ercignisse scien für cine lange Abwesenheit zu ernst, am 4. Juni habe dann die Kundgebung der Antisemiten statt- gefunden. Der Prokurator erinnert sodann an die Aufforderungen Déroulède’s in St. Cloud am 2. Zuli und im Théâtre de la République am 16. Juli. , Seit April dieses Jahres habe Guérin Gelder gehabt und sih in der Rue Chabrol einge- rihtet. Dubuc habe die Ngitation in der Provinz betrieben. So hätten die Dinge gestanden, als die Untersuchung einge- leitet worden sei. Die vorgenommenen Haussuchungen hätten alle Verdachtsmomente bestätigt. Infolge dessen habe der Pro- kurator den Staategerichtshof ersucht, das Verfahren gegen 22 Beschuldigte zu eröffnen. Die Anklageschrift stügt sich auf gahlreihe Telegramme und Briefe.

Nach der Verlesung der Anklageschrift trat der Staals- gericht8hof zu einer längercn Verathung unter Ausshluß der Oeffentlichkeit E und beschloß sodann auf Antrag der Angeklagten, daß diese während der Untersuchung von ihren Anwälten unterstüßt werden sollten. Hierauf wurde mit 234 gegen 82 Stimmen die Anklageschrift zur weiteren Prüfung an die Untersuhungskommission verwiesen. Die Berathung über dic Kompetenzfrage wurde bis nah dem Schluß der Untersuchung vertagt, welhe von der Kommission des Gerichtshofs demnächst eingeleitet werden soll. Auch die Frage, ob die Angeklagten und ihre Ver- theidiger der Berathung über die Kompetenzfrage beiwohnen sollten, wurde vorläufig P Cgelent, Beim namentlichen Aufruf antworteten 270 Senatoren. Die Senatoren Trarieux und Devès erklärten si nit für befugt, als Richter zu fungieren, da sie Verwandte von Angeklagten seien. (Trarieux soll mit Déroulède verwandt sein.) Die Sizung wurde dann um 7 Uhr aufgehoben.

Nach einer Meldung des „Eclair“ ist der Chef des Generalstabs, Gencral Brault an einer Lungenentzündung erkrankt. Sein Zustand erweckt rauisse.

Der Kommandant des Nord- c|chwaders, Vize-Admiral Sallandrouze de Lamornaix ist gestern in Cherbourg

gestorben. Jtalien.

Der sozialistische Deputirte Prampolini, gegen den wegen der Beschädigung der Abstimmungsurnen in der Kammersizung vom 30. Juni Anklage erhoben ift, hat fich, nach einer dem „W. T. B.“ zugegangenen Meldung, in Nom der e gestellt. Die übrigen Angeschuldigten, B rissolati, de Felice und Morgani, befinden sih im Auslande.

Der Kreuzer „Carlo Alberto“ nah China in Sce gegangen.

Spautien.

Aus Madrid wird dem „W. T. B.“ berichtet, der Minister-Präsident Silvela habe sich dahin geäußert, daß die Carlisten infolge der unter ihnen herrschenden Meinungs- verschiedenheiten auf jede Unternehmung gegen die Regierung

verzichtet hätten. Türkei.

Der dieser Tage von Konstantinopel na Tripolis ab- egangene Dampfer „Taif“ hatte, dem Wiener „Telegr.- orre}p.-Bureau“ ee 30 Personen an Bord, welche in

die Verbannung gefü rt wurden. Der größte Theil der Ver- bannten waren Angestellte des Yildiz:-Palais.

Nah Naqrichten aus Kumanowa ist sowohl das Bc- treten, als auch das Verlassen der Stadt strengstens verboten. Diese Maßregel ist auf die Befürchtun zurüczuführen, daß die bulgarische Landbevölkerung in den irchenstreit gewaltsam

ist gestern von Neapel

‘Serbien. :

Hochverrathsprozesse beendet worden war, hielt gestern der General-Prokurator seine Anklagerede. Derselbe wies, wie das Wiener „Telegr.-Korresp.-Bureau“ berichtet, gegenüber dem Leugnen der Ängeklagten darauf hin, daß Knezes wiish aus eigenem Antrieb Kovazewitsch und Dimitsch als Anstifter Dlelibnet habe. Die Aufforderung Paschitsch's ur Steuerverweigerung sei sträflih, da sie Gährung in der Bevölkerung hätte LSEREO Lay und die Aufgabe der Behörden vereiteln können; alles habe auf Erregung einer Revolte ab- gezielt. Der Prokurator legte weiter dar, die Anklage gegen DalGis und Tauschanowitsch sei niht entkräftet worden. eßterer sei der Autor revolutionärer Aufzeichnungen. Die antidynastishen Handlungen des Erzpriesters Gjurik seien allbekannt. Milenkowits{'s Behauptung, die Korrespondenz mit dem Prinzen Karageorgewitsch habe sich auf eine Geldforderung zur Begründung eines Blattes beschränkt, sei hinfällig. Milenkowitsh hätte ein solches Verlangen an den König und niht an einen Prätendenten stellen müssen. Die Anklage gegen Zivkowitsh sei nicht entkräftet worden, es sei bewiesen, daß Zivkowitsch antidynastish-revolutionäre Broschüren verfaßt und seinen Haß gegen die Obrenowitsh bei dem Leichenbegängnisse Catitsch’s kundgegeben habe. Der Prokurator wies ferner auf die Verbindungea Ziv- fowitsh’s mit Knezewitsch und Montenegro - hin und betonte, auch die Anklage bezüglich der übrigen Angeschuldigten sei durch nihts widerlegt worden; er verlange die Anwendung des Geseßes und die Verurtheilung der Angeklagten zum solida- rischen Ersaß der Gerichtskosten. Hierauf begannen die Plai- doyers der Vertheidiger. Der Vertheidiger des Attentäters Knezewitsh stellte fest, daß leßterer auf Anstiften aehandelt habe, ein Werkzeug gewesen sei und scinen Kopf für Geld aufs Spiel gesezt habe. Ec ersuchte, Knezewitsh nicht zum Tode, sondern zu lebenslänglicher Zwangsarbeit zu verurtheilen. Der Advokat Mostitsh vertheidigte zunächst die radikale Partei und erklärte, dieselbe sei niemals antidynastisch gewesen : er plaidierte sodann für Nicolitsch und führte aus, es wäre eine Sünde, Nicolilsch Theilnahme an dem Attentate zu- zuschreiben; gegen ihn liege nur eine verdächtige Aussage Knezcwitsh's vor. Der Schlüssel der Vershwörung liege bei Angielitsch, der sih dur seinen Selbstmord schuldig bekannt habe. Sodann plaidierte Mostitsh für Protitsch und erklärte, dessen Antrag auf Steuerverweigerung sei erfolg10s geblieben; {ließlich ras Mosiitsh für Stanojewitsh und gab der Hoffnung Nus- ruck, daß seine drei Klienten nit verurtheilt werden würden, da die Anklage nit genügend begründet sei. Der Vertheidiger Spartaly plaidierte für Kovazewitsh und Raikowitsh und er- flärt-, es sei fein Beweis erbracht, daß Kovazewitsch in das Attentat oder in den Hochverrath verwickelt gewesen sei, ebenso wenig dafür, daß Naikowitsh an dem Komplott theilgenon;men habe. Der Vertheidiger erhoffte milde Strafen.

Jn der gestrigen Abendsizung führte der Vertheidiger des Dimitsch aus, es i gegen die Angeklagten und die Nadikalen kein Bêweis erbraht worden. Die Jdece, den König Milan Wg ermorden, sci in Cetinje entstanden und sodann in

ukarest weiter erörtert worden. Man habe gehofft, mit Hilfe des Prinzen Karageorgiewitsh die Könige Milan und Alexander zu beseitigen. Dieses sei das Geheimniß der Neise des Knezewilsh nach Bukarest. Der Vertheidiger verlangte, daß Dimitsch freigesprochen werde. Der Vertheidiger von Paschiisch führte aus, das die Aufforderung zur Steuerverweigerung ent- haltende Protokoll bewcise, daß in dieser Hinsicht keinerlei Be- shlüsse gefaßt worden seien. Etwas, was lediglih Mittel im politischen Kampf sei, dürfe nicht strafbar sein. Weder Paschitsch noch die radikale Partei seien für Agitationen im Auslande verantwortlih. Der Vertheidiger verlangte Freisprehurg aller Angeklagten mit Ausnahme von Knezewitsch.

Amerika. Die Lage in Venezuela hat sih, wie das „Reuter sche Bureau“ aus Carácas meldet, günstiger für die Regierung gestaltet. Die Truppen der Regierung hätten Puerto Cabello wieder genommen und Tonzentrierten sich dort und in La Victoria. Afrika.

Das „Reutershe Bureau“ meldet aus Pretoria vom estrigen Tage, der Staatssekretär Reiß habe erfkläit, die Si, der Volksraad und das Volk seien einig in der Haltung, die Tranévaal eingenommen habe; die Gerüchte, daß Meinungsverschicdenheiten beständen, scien unbegrüadet: man habe die Entschlüsse in Uebereinstimmung mit dem Oranje- Freistaat gefaßt.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Fürst Hermann zu Solms-Hohensolms-Lich, erblihes Mitglicd des Herrenhauses, ist, wie die „Darmjt. Ztg.“ meldet, am 16. d. M. in Lich verstorben.

VIIL. Gencralverfammlung der iuternatioualen kriminaliftischeu Vereinigung.

I

Vom 11. bis 14, September 1899 hat die VIII. Generalver- fammlung der internationalen kriminalistischen Vereinigung zu Budapest getagt. Troydem England, Schweden, - Rußland und Italien, die lonft stets Strafrc{tslehrer und «Praktiker entsendet hatten, dieses Mal unvertreten waren, trug die Zusammenkunft denno einen inter- nationaleren Charakter als sonst. "Gs kam ties daher, d2ß den deuts sprehenden Angebözigen aus dem Deutschen Reiche, Oesterreich und Urgarn dieses Mal eine avffällig große Zahl von Franzosen, Belgiern, Holländern, Rumäner, Porlugiefen, Japanern u. ]. w. gegenübérstand: roelhe sich des Französischen als U ingangs- und Kongreßsprache bedienten, sodaß ber „Bebrauch der leptcren Sprache in den Verhandlungen um so mehr überwoa, als auch cine Anzabl von Unçarn und Reichg- deutschen sie _anwendete, O fi,ielle Regteruagt vertreter waren aus Frankrei, Oesterreich, Ungarn und Rumänien ersch@ienen. Die

ißungen fanden in der Akademie der ten statt und wurden durch den ungarischen Justiz- Ministec Dr. von PI65z feierlich cröffnet. Ec hob hervor, daß der Kampf gegen das Ver- brechen so alt sei wie die Menschheit, durch die Gewlbunzen der hier zusammengetretenen Vereinigung aber neue Formen und einen neuen Geift angenommen habe. Ven idr zu gemeinfamer Arbeit auf- gefordert, träten die Natioaecn einander auf diesem Ge- biete immer näher, und Unzarn werde hierbei setner historishen Aufgate treu ble’ben, sowohl im Strafrecht wie im Strafprozeß unter den Ersten zu fein, welche Neuerungen eine

eingreifen werde.

Nachdem am Danrs das Verhör der Zeugen in dem e

Gesellschaft dienen. Nah einer geistreichen Erwiderun

Penden der internationalen kriminalistischen Vereinigung. Profes rins (Brüfel), Chefs des belgischen Gefängnißiwesens, nahm L von Pló8z die ihm angetragene Ehren-Präfidentschaft des Kongresse an. Aus der Bureauwahl ingen folgende Präsidenten bervor: Prins für T Geheimer Justizrath, olgen von Liszt Berlin) und Unter -Staatssekretär z. D,, Professor von Mayr ( ünchen) Deutschland, Professor van Poel (Amsterdam) für die Niederlande Generol - Sekretär der allgemeinen Gefängnißgeselsczaft Nividre (Paris) für Frankrei, Hof- und Gerichts. Advokat Nicoladoni (Un a. d. Donau) für Oesterrei, Kultus. und Unterrichts Ministe: Dr. von Wlassics Gee D für Ungarn, Professor Tanoviceano Bukarest) für Rumänien, Professor Silovié (Agram) sür Kroatien,

( Advokat Dr. Tayares de Medeiros (Lissabon) für Portugal, s Die ersteren fünf leiteten der eihe et

Dkada (Tokio) für Japan. die Sißungen.

_ Auf der Tagesordnung standen vier Berathungsgegenftände, wele sämmtlich erledigt wurden. Das erste Thema lautete: Die kontra, diktorishe Voruntersuchun g. Gedruckte Gutaten hierzu hatten geliefert: Nath am Budapester Appellhofe von Valogh und Professor Le Poittevin (Paris). Ersterer erstattete auc) den mündlichen Bericht Er ging davon aus, daß die Boruntersuung zwei Aufgaben hat : die wirklichen Thatsachen festzustellen und das Srgebniß des Vozverfahrens dur etne Behörde amtlich festzustellen. Bei der jictigen Gestaltung der Voruntersuung wird aber vom Richter und Polizeibeamten ¿Uviel verlangt. Diese haben ein Interesse daran, daß dfe Ermittelurgen nicht resultatlos verlaufen, und können deshalb ihrer weiteren Auf, gabe, den Gntlastungsbeweis zu erheben, nit ausreichend geredt werden, da fie foust wie Penelope ihr eigenes Werk zerstören müßten, Vie Lage des Beschuldigten, der ohnehin mit ungleiden Weffen gegen den hohgebildeten und mit allen staatlichen Mochtmitteln ausgestat- teten Vertreter bder Anklagebet örde kämpft, vers{!lechtert i, wenn dec erstere politis oder fozial mißliebig ist, einer unters drückten Nationalität angehört, arm oder ungebildet is. Einen Bertheidiger können oder wollen siŸ nur die Wenigsten beiordnen. Jn Frankrcich hat man ver)ucht, aus dem hieraus sid ergebenden Dilemma dadur berauszukommen, des Angeklagten und seines Vertheidigers wesentlich für die ganze Dauer des Vorverfahrens erweitert, etnen Verkehr zwischen beiden ungebindert zuläßt, ibnen die Anwesenheit bei den Unter, suhungshandlungen gestattet, ibnen ein Fragerecht und die Befugniß, von ihnen für nothwendig erahtete Beweisaufnahmen zu verlangen, einräumt und eine fortgeseßte Kontrole der Boruntersuhung dur fie ermöglicht. von Balogh legte dar, daß aber weder diese Mafinahme noch die Deffentlichkeit bex Voruutersuhung den wah:en Interessen des Angeklagten geret zu werden vermag, Fn Franfreih felbit regt si ein starker Widerspruch gegen das dort geltende Geseß. Man findet, daß es die Dauer ber Untersuchung und der Haft verlängert, die Prozeß- kosten erhöht, ben Unter suhungsrichter labmlegt, die Reichen gegen» über den Armen, welhe sich keinen Beistand bestellen können, be- aünstigt „und dle vielbesäftigten Necht8anmälte, die eixe Vorunter- sudung immer als mehr nebenfählich für 1s behandeln, nicht die richtige ersprießliche Thätigkeit entwickeln äßt. von Balogh hält deshalb eine durchgreifenze Reform dahin für nöthig, daß in allen nit ganz unwesentliden Sachen von vornherein ein be- amteïer, unabhängiger urxd der Gerichtsbehörde sowie dem Staatëanwalte aleihgeftellter Vertheidiger bestellt wird, der aus der Zahl der juristisch gebildeten Bürger zu wählen ist und au ein Rechtsanwalt sein kann. Er oll die Er1aittelung der materiellen Wahrheit in den Vordergrund stellen und selbständig die Polizei mit der Erbeburg des Gntlaftungsbteweises beauftragen dürfen, immer aber als Beamter, nit als Privatmaan.

Die Debatten hierüber gestalteten fh außerordentli lebhaft.

(Fs betheiligten sich an ibnen nit. weniger als folgende 17 Redner, die fast durchweg eingehend dte Frage erörterten : Untersuhungsrichter Albane! ( aris), Landgerihterath Dr. Aschrott (Berlin), Obergtrichtsrath Barna (Budapest), Advokat Berger (ebenda), TribunalsriGter Conte (Marseille), Landgerihts-Direktor Dr. Felisch (Berlin), *#dyokat iFran- quart (Mons i. Belgien), Kammergerichtsrath Dr, Kronecker (Berlin), Prins, Riviòre, Professor Rosenblatt (Krakau), Amtsrichter Schwarz (Hawburg) ilovié, Tanoviceano, Rath CTellier (Douai), Abvokat Visontay (Budapest) und Hofrath, Professor Zuer (Prag). Vie von ihnen geäußerten PVéeinungen gingen weit auêeinander, namentliß auch die Anschauungen der Franzosen felbst über die Vor- theile der Neuerung ihres Landes, die von Ginigen nit genug gelobt, von Anderen niht fharf genug getadelt werden konnten. Letztere hoben namentli hervor, daf der vermeintliche Schuß der Angeklagten durch ihre Vertbeidiger f{chon dadur iülujerifch werde, daß diese garriht in der Lage seien, viele Stunden für das Warten auf die UnterfuHungstermine und die Dauer der Verhöre {clb zu ver- wenden, und deshalb eutweder gar nit erschienen oder ihre Skretäre und die bei ihnen beschäftigten Rechtébeflissenen an die Gerichtéstelle entsenden. Namentlich legten Albanel, der Vectreter des franzésischen Jusftiz-Ministeriums, und auch Tellier schr scharf die Blößen dar, welche in der Praxis aufgetreten sind. Im übrigen machten fich folgende Hauptströmungen geltend.

__ Einige Redner billigten das franzöfische System und die Vorschläge von Balogh's und empfablen deren Berbindung mit einander (Stiiovié, Visontay). Andere (Wortführer: Aschrott und Kronecker) wollten das kontradiktorishe Element aus der Voruntersuhung binaus- nehmen und in das Stadium des Prozesscs verlegen, in welhem über deren Ergebuiß und „die Eröôffnung des Hauptverfahrens bhes{lossen wird. In diesem Zeitpunkte sollen Staatöanwalt, Angeklagter und Vertheidiger in Rede und Gegenrede dem Gerihtsbofe ihre Vécinungen da1legen und vor diesem bie anmesenden oder sfofort herbeizuholenden Pauptzeugen befragen. Aschrott will dabei das Vorverfahren über- vaupt der Staatsanwalt{&aft allein überlassen. Wiederum Andere (Wort- führer Berger) bestritten, daß ein beamteter Vertheidiger besser wirken werde als ein freigewählter, und erachteten von Balogh's Vor- {läge für eine {were Schädigung des Anwaltstandes, Eine fernere Gruppe (Wortführer eli\ch) erklärte si, jede Erörterung der außerhalb des eigentlihen Themas gemachten Borschläge ablehnend, entschieden gegen jede Tontradiktorische Ausgestaltung der Vorunter- suchung und gegen deren Oeffentlichkeit. Letztere wird nur Kriminal- itudenten in die Gerichts\äle locken und deren Verständigung mit dem Beschuldigten zwecks Beschaffung eines Alibibewetses und dergleichen un- saubere Machenschaften ermöglichen. Erstere bedeutet die DBernichtung des Unteisuhuugêzweckes, der die Wabrheit nicht in Gemeinschaft mit dein Angeschuldigten, foudern gegen diescn ans Tageslicht bringt. Jm kontradiftorishen Vorverfahren, das die Zeugen für die Haupt- verhandlurg präpariert, wtrd der Angeschuidigte geradezu zur Ver- nihtung von Spuren der That herausgefordert. Ein wahres Fontradittorishes Verfahren findet sih nit in Frankreich, sondern in England ; wer dieses will, muß aber auc den englischen Geridts- vo'sigenden, der keine Aften kennt, mit seiner uns unsympathischen Stellung in den Kauf nehmen, uvd das möchte niemand. Was uns noth thut, sind fozial und technisch besser vorgebildete Unter- su@Sungsrihter und Poltzeibeamte. Wiederum Andere (Wortführer Nosfenblatt und Schwarz) wollten an einzelnen, genau bestimmten Ab- snitten des Verfahrens kontradiktorishes Verfahren zu!a en, fo bei definitiver Verhängung der Untersuhungéhaft, bei Feststellung des objeftiven Thatbestandes, bei Akten, die in der Hauptverhandlung nit wiederholt werden, u, tgl. Zucker machte darauf aufmerksam, daß die ganze Frage zunächst die Lösung der Vorfrage bedinge, ob denn über- haupt eine gerichtlie oder eine außer erihtlihe Voruntersuchung stattfinden foüe; {hon das Wort „Untersuhungsrichter* sei ein Wider- spruch in si, da man nicht zuglei untersuchen und richten könne. Die Versammlung \chlcß sch feiner Meinung an, daß ih der Be- rathungsgegenstand nit lozgelöf| von den Grun lgen der Bor- üntersudhung erschöpfend behandeln klafse, und beschloß auf Riviöre's elte n der nähsten Generalversammlung darüber zu berathen : welches sind die Fundamentalgrundsäße für die Voruntersuchung und für die Verseßung in den Anklagezustand (Eröffnung des Haupt- verfahrens) ?

führen, die der Humanität ünd dem Kulturfortshriit ter bürgerlichen

Peschäftigten Personen erstzeckden sich u. a.

daß man die Nechte .

Statiftik und Volkswirthschaft.

Wohlfahrt3-Einrihtungen.

Durch die Errichtung “einer Anzahl fiskalischer Wohn- häuser für Grenzaufseher und Grenigendarmen ist dem Mangel an gesunden und ausreihenden Wohnungen für Beamte in den ländlihen Distrikten der Grenzkreise in der Provinz Posen einigermaßen abgeholfen worden.

Zur Arbeiterbewegung.

Eine allgemeine Lohnbewegung haben, der „Voss. Ztg.“ zufolge, die Berliner S{lächtergesellen am Sonntag mit einer Ver- animlung eingeleitet. Die Forderungen der im ScMhlätercibetriebe

rf auf Abschaffung der Gnt-

laffung am Sonntag und von Kost und Wohnung im ause des Meisters. Der Ausstand der auf den P leupTäven Berlins thätigen Arbeiter und Kutster ist beendet. Dic Ausftändigen baben nach Bewilligung einiger Zugeständnisse die Arbeit wieder aufgenommen. (Vergl. Nr. 218 d. Bl.) In eine Lohnbewegung eingetreten find die hiesigen Bürsten- und Pinselmacher. Auch die Former und Gießereiarbeiter Berlins beschlossen, wie die „Staatsb.-Ztg.“ mittheilt, am Sonntag in einer fehr zahlreich besuchten Versammlung, sofort in eine Lohnbewegung einzutreten. Folgende Forderungen follen dur eine Kommission den ctt n unterbreitet werden: 1) neunstündige Arbeitszeit, 2) 10 9/6 [ccordaufshlag, 3) 21 M Minimallohn für Hilfsarbeiter. Eine Versammlung hiesiger Bauarbeiter hat am Sonntag die Einigungsvor schläge der Neuner-Fommission abgelehnt. Der von seiten der Arbeitgeber vor- gelegte Tarif wurde als zu niedrig und zu kompliziert bezeichnet. Auf Widerstand ftieß namentlich dec Vorschlag der Einbehaltung von 2% S pro 1000 Steine als Kaution, fowie die Berechnung des Zu- {lags nah Metern stati, wie bisher, nach Etagen. Die Versamm- lung beschlofi, an dem aufgestellten Tarif festzuhalten, der einen Minimallohn von 40 4 Z und bei Accordarbeiten von 2,50 M als niedrigsten Saß verlangt. Die Kommission soll versuchen, die Arbeit- geber zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. (Vergl. Nr. 206 d. Bl.)

Aus Krefeld berihtet die „RNh.-Westf. Ztg.“ zum Ausstand dortiger Färbergesellen, daß am 17. d. M. eine zahlreich besuchte Bersammlung ftaitfand, die sich mit der gegen wärtigen Lage des Ausstandes der Färber beschäftigte. Die von demselben betroffenen Firmen hoben auch in Como eine Fabrik liegen. Die ausftändigen Krefelder Fächer haben #{ch nun mit den dortigen Arbeitern in Verbindung geseßt uud die Zusicecung erhalten, daß, sobald in Como für Krefeld gefärbt werden jolle, die Comoer Färber ebenfalls sofort die Arbeit einstellen würden. Auch die Färber einiger anderen Betriebe haben bereits zu dieser Angelegenheit Stellung genommen und sind gewillt, die Arbeit einzustellen, falls ihnen zu- gemuthet würde, für die genannten Firmen Waaren fertigzustellen.

Kunst und Wissenschaft.

In der Stadt Posen \ind die Neubauten der Kaiser-Wil- belm- Bibliothek und des Provinzial-Museums dur den Abbruch der auf den Bauplägzen befiudlihen alten Gebäude vor- bereitet worden.

In München wurde gestern die 71. Versammlung deutscher Naturforscher unv Aerzte mit einer Sißung im Hof - Theater, wel{her auß mebrere Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses beiwohnten, eröffnet, Nachdem der Geheime Rath, Professor von Winckel-München die Versammlung mit einer Anspra&e und mit einem Hoch auf Seine Königliche Hoheit den Prinz-Regenten und Seine Mêéajestät den Kaiser eröffnet hatte, übermittclte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern die Grüße des Prinz-Regenten und des Herzogs Carl Theodor. Der Kultus-Minister von Landrumn begrüßte die Versammlung im Namen der Staatsregie:ung, woktei er auf den Aufshwung binwies, den Wissenschaft und Kunst im ganzen Deutschen Neiche genommen haben. Noch weiteren Vegrüßungs- ansprachen von Vertretern der Stadt München, der kayerischen Akademie der Wissenschaften, der Universität und der Tech- nishen Hohshule nahm der Vorsitzende _der Gesellschaft deutscher Naturfors@er und Aerzte, Wirklißce Geheime Admiralitätsrath, Professor Dr. Neumayer- Hamburg, das Work, um die Vortheile ¡u würdigen, welche der politiie Aufschwung Deutsch- lands au der Naturforsung gebracht habe. Er wies darauf bin, daß jeßt deutshe Expeditionen zur ErforsGung der Tteffee, der Polar- gegenden u, f. w. ausgefandt werden und auch in den deutschen Kolonien ein ucues Feld für naturwissen\ch{aftlihe Arbeiten eréffnet worden ist. Von lebhaftem Beifall empfangen, betrat hierauf Professor Dr. Fridtjof Navscn die Rednertribüne und führte in längerem Vortrage an der Hand von zablreihen Lichtbildern die wissenschaftlichen Resultate seiner Nordpolfahrt auf dem Gebiete der Geographie, Meteorologie, Zoologie u. #. w. vor. Außerdem sprachen in der-geslrigen Sihung noch der Geheime Medizinalrath, Professor Dr. von Bergmann- Derlin über die Anwendung der Röntgerstroblen für die moderne Chirurgie und der Gebeime Regierungsrath, Professor Dr. Förfter- Verlin über die beobadckteten Wand! ungen des astronomishen Welt- bildes bis zur Gegenwart.

Auf Einladung des \ächsischen Kriegs-Ministeriums fand in Dresden eine Konferenz deuts er Archivar- statt. Nachdem ch die Delegirten und sonstigen Theilnehmer am Sonntag zu einer Vorbespre&ung versammelt hatten, begann gestern Vormittag die offizielle Thätigkeit der Konferenz mit der erften Sißung im Situngs- (ale der Zweiten Ständekammer des Landhaufses. Der Kriegs- Minister Vegrüßte die Grschienenen und wie, wie das «Dreëd. Journ.“ beri tet, auf Zweck und Aufgabe der Konferenz hin, Die Feststellung der Präfenzliste ergab, daß dur 58 Delegirte 21 Staaten, 5 Standesberren und 11 Städte vertreten waren. Bei der fich anschließenden Wahl des Bureaus wurde der Delegirte der preußischen Vegierung, Geheimer Archivrath Dr. Könnedcke zum Ersten, der Delegirte Bayerns, Neichs - Archiv - Direktor Freiherr von ODefele zum Zweiten Vorsitzenden gewählt, während wit der Schriftführung Dr. Jung, Archivar der Stadt Frank- ut a. M, und Dr. Tumbült, Archivar des Fürsten zu Fürstenber ¿u Donaueschingen, betraut wurden. Der Präsident ertheilte sodann dem Referenten des Kutegs-M inisteriums, Ober- ‘glerungsrath Dr. Posse das Wort: Eigenhändige Niederschriften der Klassiker des ried en und rômischen Alterthums sind uns nicht erhalten, cine größere Zahl derselben aue abfchristlich e: dem spâteren Mittelolter. Leider hat uns dieses mancher älteren Klassiker- Dandschrift dadur beraubt, daß man bescriebenes Material durch Ab- waschen oder Abschaben noch einmal zum Schreiben brau&bar machte und bervßte. Man nennt folhe A Triton Palimpseste. Bei diesem Verfabren sind jcdoh Meste der ersten Schrift übrig geblieben, die man durch Anwendung von Chemikalien (Reagentien) für das Zuge wieder hervortreten ließ. Auf diese Weise is eine große Zahl x werthvollsten Handschriften zwar entziffert, aber fo ge- schädigt daß sie - rettungsles verloren gehen werden, wenn halbigst an deren Neparatur herangetxeten wird. er Gelegenheit çcehabt bat, zu sehen, in welch barbarisher ¡Weise die unerfeßlihen E Ne ten, wie z. B. die Gajus-Handschrift n Verona, die lantus-Handschrift in Mailand, durch Anwendung von Reagentien zerstört wurden, der muß wünschen, daß die chemischen ctboden durch folhe verdrängt werden, welhe die Handschriften peshädigt lassen, und dazu eignet sich vor allen die fibotographte , die zur Entzifferung alter Handschriften wer viel zu wenig verwendet worden ift und bei An- iung der mannigfahen Methoden in den hen pa en a ebrauh von Reagentien überflüssig mat. Am meisten

die Vatikanische Bibliothek fowohl über Reagenzschäden, als auch

sonstige dur die Tinte \elbft entstandene, die Handschriften in ihrer Existenz bedrobende Schäden zu klagen. Desha h der Vatikan, ¡zumal auch andere Bibliotheken fd in gleichen Schwierigkeiten be- finden, einen Schmerz- und Ma nruf, in «der Hoffnung, daß dieser überall gehört, daß man si zu einem gêmeinsamen Samariterwerke im Interesse der Erhaltung der ältesten Veberlieferung unserer aliflassishen Literaturwerke zusammenfinden werde. Da diesem von P. Ehrle, dem Präfekten der Vatikanischen B'bliothek, verfaßten Mahnrxuf von allen Seiten das lebhafteste Interesse entgegengebracht wurde, so erließ der Papst Einladungen zu einer am 30. September und 1. Oktober vorigen Jahres in St. Gallen tagenden Konferenz, zu der Theile selbst der fostbarsten Handschriften aus dem 3. bis 6. Jahrhundert aus dem Vatikan gesandt wurden, Die Konferenz war beshickt von Baden, Bayern, Belgien, England, Frankrei, den Niederlanden, Oesterreich, Preußen, der Schweiz, Ungarn, Württemberg. Die {ächsische Regie- rung entsandte den Ober-Regierungsrath Dr. Posse, auf dessen Wunsch P. Ekhrle eine Grweiterung des Verhandlungêprogramms dahin eintreten licß, daß aud die Konservierungsmethoden alter und neuer Archiyakten zur Erörterung gestellt werden könnten. In St. Gallen kam eine Anzahl Neparaturmethoden, Ueberdeckung scchadbafter Stellen mit Tranéparentpapier, das Gelatine: und Gelatineformolverfahren, das Kolodiumverfahren, in Vorschlag. Als vierte Methode wurde von Posse eine durch Vorlagen erläuterte Imprägnierung modernder und s{adhaft gewordener Schriftstücke empfohlen, welhe im hbygiénish-chemishen Laboratorium bes fähsisWhen Kriegs-Ministeriums vom Ober-Stabsarzt Dr. Schill vor sieben Jahren ersunden wurde, um Generalstabsfarten im a und namentlih bei Regenwetter benutzen zu können. Dieses zerfahren der Imprägnierung der Generalftabskarten wurde au vor Jahren von Preußen und Oesterreich - Ungarn mit Erfolg entlehnt. Da die St. Gallener Konferenz die Empfehlung diefer Imprägnierung und aller anderen vorgeschlagenen Konservierung8methoden von deren weiterer Prüfung abhängig gemaht hat, so wurde das von der säbsishen Regterung empfohlene Verfahren im Laufe des leßten Jahres im genannten Laboraterium etner weiteren, eingehenden Prüfung unterzogen. QDieselbe hat ergeben, A dieses Verfahren {ih nicht nur für die Erhaltung selbst ter nur aus oderresten bestehenden Archivalien bewährt, sondern auch als ein werthvolles Schußzmittel für diejenigen Handschriften anzusehen is, wegen deren Erhaltung die Päpst- lie Kurie die Bibliothekare nach St. Gallen berief. Den dort gefaßten Beschlüfsen entsprechend, hielt es der Staats- und Kriegs-Minister von der Planiy für angezeigt, die deutshen Archivare, Chemiker und racgelehrten zu einer Konferenz na Dresden einzuladen, um das Imprägnierungsverfahren ibnen vorführen und durch mündliche Berhandlungen die Güte desselben feststellen zu lassen. Dieses Verfahren besteht aus einer Jwprägnierung der Pergamente oder Papiere mit einem selbstglättenden Lake, Zapon genannt, der von elnucm Amerikaner Frederik Clare erfunden wurde. Zapon besteht aus ciner Lösung von Kollodiumwolle oder von Celluloid in geeigneten Wsemitteln. Diese find: Amylacetat, Yceton, Amylalkobol oder Mischungen von Amylacetat und Aceton. Als Verdünnungéflüssigkeiten roerden, wenn nöthig, verwendet ent- weder Amylalkohol oder etne Vermishung von Amylalkohol mit anderen Flüssigkeiten. Die Verdtünnungéflüssigkeiten sind indifferent und verflühtigen fich. Infolge seiner physikalishen Beschaffenheit wahrt Zapon den Charaïter ter Untezflähe, der Ueberzug ist der Natur des Celluloids noch für die gewöhnlichen Temperatur- untershiede nicht sichtlich} empfinblih, wird niht, wie dies bei Harzeu dec Fall i, mit der Zeit trübe und undurhh- sihiig. Eine vorherige Detinfektion des Schriftslücks ist nicht nötbig, da die vegetativen Formen der auf den Schrififtücken lagernden Pilze vernichtet, die sehr widerstandsfähigen Fruchtformen (Sporen) wenigstens fixiert und am Auskeimen gehindert weiden. Mikroskopische Unter- juungen ergeben, daß dur Zapon jedes einzelne Fäserchen des Papiers ifoliert, umbüllt i und die oren Leider Stoffe lufidiht abgeschlossen find, daher au Teßtæe im Wasser aufbewahrt „werden können, __ ohne ¿u zerfallen. Zapcen bietet au den Vortheil, daß die fast in Staub- theile zerfallenen Moderftücke wieder fes werden und, selbft wenn sie wiederum in feulte Räume gelangen „ollten, nit weiter modern. So stellt fich die Zapon-Imprägnierung als ein Schußmittel dar, das den bisBer gemaHten Erfahrungen zufolge die Schrift der zu konser- vierenden Schriftstücke in keiner Weise nachtheilig beeinflußt, vielmehr vor Zerstörung dur äußere, \{ädliche Einwirkungen \{chüßt und dem Träger der S&rift, dem Pergament oder Papier, wieder eine große Festig- keit giebi, den Grundftoff auch vor Eindringen von Schimmel und anderen Pilzen in die Gewebeporen bewahrt. Aber nit bloß für zerfallende Akten is} die Zaponierung ven größter Bedeutung. Metalle werden {on feit längerer Zeit dur dieses Verfahren vor Orydation und Abnußung gest, Auch würde unser modernes Zeitungs- papier damit widerstandsfähiger und zu einer dauernden Aufbewahrung geeignet gemacht werden können, ift doch sonst zu befürchten, daß die so wihtige Quelle der zeitgenö\sishen Ereignisse, die moderne Zeitung, schen nach wenigen Jahrzehnten verloren gehen wird. Der Kaufmann wird seine übersecishe Korrespondenz damit leit vor den s{ädigenden Einflüssen der Seeluft {chüßen können, ja, sie wird noch nah Jahren vom Taucher unversehrt aus den Trümmern des untergegangenen Schiffes zu retten fein, MRasuren an zaponierten Testamenten, Wechseln, Inhaber papieren, Frachtbriefen u. a. sind sofort ¿weifellos erkennbar. Die Medizin, die Technologie, manche Branchen der In- dustrie werden Nußen aus der Zapon-Iwmprägnierung ziehen können. Zu den übrigen in der St. Gallener Konferenz empfohlenen Kon- fervierung8methoden übergehend, besprah Ober-Regterungerath Dr. Posse zunächst die Methode der Veberklebung schadhafter Stellen der Handschriften mit Transparentpapieren. Bei der Avéewahl derselben is größte Vorsicht uöthig, da ¿. B. Paus- und eine große Zabl anderer Transparentpapiere durch eine Beimishung von LTerpentin oder andere ôlige Chemi- kalien ihre eigene Durchsichtigkeit verlieren, die beklebten Blätter felb\t nachdunkeln und damit die Lesung der Schrift sehr ershweren. Selbst die feinsten, nit geölten japanesishen Seidenpvapiere beseitigen nit die aus dem Verfahren des Ueberklebens hervor- gehenden Gefahren. Abgesehen davon, daß dur Ueberkleben, namentlich bei {wer aesdbädiaten Handschrijten, die Entzifferung derselben fehr erschwert wird, muß eine Devipfizierung des Grundstoffs vorgenommen werden, „was bei ftark vermoderten Akten, ohne deren Gewebe noch weiter zu zerstören, unmögli ift. Auch das Ueberkleben mit Goldschlägerfell eignet sich für Pergomenthandsriften nit, weil die dem Pergament fowohl als diefer Haut, als thierischen Stoffen, eigene Fettigkeit das feste Auf- kleben des lehteren Stoffs auf den ersteren verhindert und jede zwischen beide Stoffe fih legende Luftschicht dem Goldsclägerfell jeine Durchsichtigkeit nimmt. Aber au für die große Masse modernder Papier -Archivalien is Goldshlägerfell {hon deshalb auêegeschlossen, weil ein S1ück von 1 m Länge und einer Syanne Breite im Handel 2 46 ‘kostet, die Verwendung elen aber ohne vorherige Desinfektion de3 Papiers nicht anzuempfehlen ist. Mit dem Ammoniak-Kollodiumverfahren bezweckt man, den Ueberschuß freier Säuren, welcher die Ursache des zerstörenden Fraßes der Vatikaniscken Handschriften ist, „zu zerftôren und hierauf die beschädigten Blätter mit einer (chützenden Hülle von Kollodium, das nicht nur den Bakterten, sondern auch sämmtlichen Säuren völlig unzugänglich ist, zu überdecken. QDiescs Verfahren is jedech deshalb nit zu empfehlen, weil Kollodium zu wentg in die Zwischenräume des Perga- ments und Papiers eindringt und selbft bei einem Zusay von Ricinusöl ih auf der Oberfläche Häutchen bilden, die si leiht abheben. Auch bildet das Kollodium meist nicht eine völlig durdsihtige, glashelle, sondern eine mehr oder minder weißlich getrübte Membrane, welde die Deutli®keit der S@rift becinträchtigt. Von den auf der St. Gallener Konferenz empfohlenen Konser- vicrungêmethoden is daher außer der Zapon - Jmprägnierung nur. die Behandlung der Schriftstücke mit Gelatine, wie

e von P. Ehrle und Dr, de Vriés (Leyden) bei Reparatur von A amenthandschriften verwendet wird, der Beachtung wérth. Doch birct die Gelatine vershiedene Gefahren für die Zukunft der Hand-

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fhriften in si, und zwar well sie leiht brüchig wird, immer wieder Futigkeit anzicht und somit zu ciner Brust der Bakterien werden ann, zu deren künftliher Zühtung dieselbe eben deshalb benußt wird. Außerdem reagiert die Gelatine immer sauer, aber eine Neutr fierung derselben mit Soda oder Alkali ist deshalb bedenklich, weil. man das dur nit die Sicherheit gewinut, ob die zugeseßten Alkalien allmähli {chädlich wirken werden. Auf der St. Gallener Konferenz i desha als Antiseptikum ein Zusaß von Formol vorgeshlagen worden, das die auf dem Substrat lagernden Bacillen und Pilze ertödtet und den Nähr- boden für weitere Ablagerungen derselben für immer ungeeignet macht. Da nun aber Perno die Brüchigkeit der Gelatine echöht, so galt es, ein Mittel auefindia zu machen, welches diesen Uebelstand beseitigt. Dieses Mittel besteht nach Versuchen des bygienisch-chemischen Laboratoriums in einem Zusaß von Glycerin, welches das ergament oder Papier weih und biegsam erhält, auch deren estigkeit erhöht und nicht die Eigenschaft des Verdunftens besißt. Js nun das auf diese Weise verbesserte Gelatine-Formo!- verfahren nit zu verwerfen, so bietet doch diesem gegenüber die Zapo- nierung weit größere Vortheile. Die Gelatine eignet sich für Aus- besserung stark vermoderter Akten garniht, ja ihre Anwendung ist scgar unbedingt zu verwerfen, weil derartige Schriftstücke bei dem Zubringen von Feuchtigkeit der im Wasser gelösten Gelatine noch mehr in ihrer Konsistenz gelockert werden. Gelatine macht Rasuren und Verschiedenheit der Tinte, namentlich ‘von Kor- refturen, so gut wie unsihtbar, ihre Zubereitung ist im Vergleich zu dem im Handel erhältlichen Zapon sehr umständlich, der Trockenprozeß ein viel klangsamerer als bei der Zaponierung. Mit leßterer erzielt man eine größere Festigkeit der dur Moder und Säuren gelockerten Grundftoffe, weil Zapon diese vollständig durh- dringt, während Gelatine dem Schriftstück nur einen enden Veberzug verleiht, der noch dazu die Schrift in ihrer Deut ihkeit s{ädigt. Zudem hat man bei der Zaponterung niht nöthig, mit chemischen Mitteln die Säuren zu neutralisieren und die auf dem Grundfioffe wuchernden spermodishen Gebilde zu zerstören. Für die Anwendung der Gelatine bei Pergamentreparaturen ent- steht auch die Schwierigkeit, daß die Gelatinelöfung warm auf- getragen werden muß, alfo größte Vorsicht in den Wüärmegraden an- zuwenden ist, soll das Pergament nicht zusammens{hrumpyfen. Ober- Regierungsrath Dr. Posse {Glägt nun vor, daß die Archive an dem Verfalle ausgeseßten Akten mit der Zapon- Imprägnierung Versuche anstellen und Erfahrungen sammeln, die auf einer in Jahren wiederholten Tagung der Archivare zum Zweck der Empfehlung dieses Verfahrens im Sinne der St. Gallener Konferenz zu präzisieren sein würden. Er lenkt hierbei sodann die Auf- merksamkeit der Archive darauf, daß sie bei ihren Versuchen au die modernen, in den legten 50 Jahren aus Surrogaten bereiteten, mit Anilintinten beschriebenen, jeßt {on zerfallenden Archivalien berück- sichtigen, da diese nur durch baldigst zu ergreifende Präventty- maßregeln, wie Imprägnterung, vor ihrem vollständigen Unters gange zu retten find. Crt Ende der siebziger Jahre sind die Staaten auf diese Schäden aufmerksam geworden, zuerst Bayern, dann Sachsen, wo Geheimer Regierungsrath Dr, Hartig bei Prüfung der thm zur Untersuchung übergebenen Papiersorten der Negierungskanzleien verschiedene Bedingungen für die Herstellung eines guten, dauerhaften Schreibpapiers aufstellte, die, von ihm veröffentlicht, die Grundlagen für die von der preußischen Versuhsftation 1886 und 1891 erlafsenen Vorschriften, betreffend Lieferung und Prüfung von Papieren zu amtlichen Zwecken, geworden sind. Noch haften diesen sowie ren in Dänemark und Finland erlassenen Vorschriften sowohl wegen der Zahl der Papiersorten wie deren Verwendungsklassen manche Mängel an, au i} die Prüfungsmethode ein Gegenstand des Streits zwischen Versuchsftation und chemisher Wissenschaft geworden, da fie die noch in den Anfängen stehende Tintenforshung in ihren Fort- ritten hemmt und auch dur Beobachtungen, die man au der St, Gallener Konferenz an den Vatikanisen Des des 4. bis 6. Jahrhunderts zu machen Gelegenheit hatte, nit gestützt wird. Zwar haben taaten , Standesherren und Städte schon seit längerer Zeit durch Luft und Licht schaffende Neubauten oder Unterbringung der Archivalien in gesunden Lokalitäten ihre weise Fürforge für deren Erhaltung bewtesen, aber was nüßen der- artige Borkchrungen, wenn nicht zugleich auch dafür gesorgt wird, kaß bei Herstellung der Schriftstücke in den Kanzleien vorschrifts- mäßige Schreibstoffe verwendet werden, die in „ihrer Zu- fammenseßung eine Jahrhunderte lange Dauer der Schriftstücke vers sprechen? Der Referent betont dann , die Zapon-Imprägnierung zur Debatte s\tellend, daß die heute hierüber beginnenden Verhandlungen vielleiht noch ein besseres Konservierungsverfahren als das von dem Kriegs-Ministerium vorgeschlagene zeitigen dürften. Aber au in diefem Falle wäre der Zweck, welchen das Kriegs-Ministerium bei der Einbervfung der Konferenz deutsher Archivare nach Dresden gehabt hat, erreiht: die seit langer Zeit \{chwebende frage der Er- haltung und Ausbefserung s{adhaft gewordener Schri tslücke im Interefse der Archive und der Wissen]chaft zur Lösung zu bringen. Im Anschluß an dieses Referat führte der Oberstabsarzt Dr. Schill die Technik der Zapon-Imprä nierung vor. Er zeigte zunächst militärische Karten (sowohl zaponisierte wie nicht zaponisierte) und wies auf die Vortheile der Imprägnierung hin; sodann ging der Vortragende auf die Zerstörung der Sergamente und Papiere in den Archiven ein, indem er die hauptsächlihsten Erzeuger der Vermode- rung in Natur und an Abbildungen zur T brate. Es wurden» mehrere Jahrhunderte alte Aktenstücke vorgeführt, welche theilweise ganz zu zunderartigen Feten zerfallen waren, die beim Aufheben des Aktenslückes sih ablöften. Dieselben nehmen be- gierig Wasser auf und zerfellen, in Wasser aufgeschwemmt; zu einzelnen Fafern. Dr. Schill zeigte nun, wie durch das von ihm angegebene Verfahren die vermoderten Papiere wieder Festigkeit erlangen und wasserdißt werden. Das Imprägnieren erfolgt durch Ein- legen, Eintauhen, Besprizen oder - Bepinfeln. Es wurde ferner gezeigt, wie timprägnierte Papiere an Festigkeix gewinnen, sodaß 1 B, Filtrierpapier im Wasser nit nur geshüttelt, sondern selbs gekocht und Jahre lang in Wasser aufbewahrt werden kann, wie Drucke an Klarheit zunehmen und Schriftzüge niht mehr verwisht werde können, während gleihwobt die imprägnterten Paptere mit Farben, Tinte und Bleistift beschrieben bezw. bemalt werden können. Der Dertnoa zeigte weiter, wie ganz aus dem Zusammenhange gelöfte Stellen wieder befestigt werden können. Zaponisierte Zeitungen, welche auf sehr viel Holzschliff enthaltendes Papier gedruckt sind, werden dur Zaponisieren gleichfalls gefeftigt und vor Zerfallen bezw. Spröde- und Brüchigwerden ges{üßt, Das Gelb- oder Braunwerden folcher Papiere urter dem Einfluß direkt auf- treffenden Sonuenlichts kann freilich durch Zapon nicht wc sentlich be- einflußt werden. Siegel werden beim Zaponisieren niht verlekßt. Die Crhöhung der Festigkeit des Papiers dur Zaponisieren, welche sich {chon dem Auge und der fühlenden Hand zeigt, wird dur die mit folhen Papieren vorgenommenen Zugproben bestätigt. Das zaponisierte Schriftftück ist nit nux gegen Feucktigkeit, sondern auch gegen s{chädlihe Gase gesichert. Dec Vortragende er- wähnte die mancherlei Verwerthung dieser Thatsache auc auf anderen Gebieten, z. B. als Schuß der Silberwaaren gegen das nlaufen, als ReRE von Münzsammlungen gegen Blindwerden u. a. Zapo- nifizrte Nägel sind in cinem Glase mit etwas Wasser aufbewahrt rostfrei, während die nicht zaponisiertea von Rost überzogen sind. Auf Gläfern und Spiegeln ist der Ueberzog ganz unsihtbar. Zapou bildet ein völlig dur(sichtiges hartes, dur den Fingernagel nicht ritbares, in der Wärme nit Ilebrig werdendes Hévten; auf biegsamen Metallplatten springt das Häutchen beim Biegen nicht ab und erscheint geaen Tomperatur- | cinflüfse unempfindlich. Es wurdén s{ließlich die Bestandtheile bw. s Bereitung des Zapons und etwaige Einwände alis der Gesund» es Kostspieligkeit und Feuergctährlihkeit des Verfahrens urückgewitesen. : / j i / ierauf wurde von Schnauß, Redakteur dec photograph hen Zeitschrift „Apollo“, mittels. photographischer Projektionen das Ver» tahren des Professors Pringsheim in Berlin, die erfte S6rift von Palimpseften zum Vorschein zu bringen, zu dem Zwecke vorgefühct,