1875 / 294 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Dec 1875 18:00:01 GMT) scan diff

Mit Vorbehalt der Ausfertigung der Bestal- lung und Feststellung der Anciennetät sind als Oberförster definitiv angestellt worden die Ober- förster-Kandidaten: von Estorff, Oberförfter-Kandidat und Hülfsarbeiter bei der Regierung zu Stralsund, definitiver Ober- förster zu Oberfier, Regierungsbezirk Coeslin; Urff, Ober- förster-Kandidat, zum Oberförster in Obernkirchen, Regierungs- bezirk Minden; Kahle, Oberförster-Kandidat, zum Oberförster in Georgsplaß, Provinz Hannover; von Stünzner, Regie- rungs- und Forst-Referendar, zum Oberförster in Colbiß, Re- gierungsbezirk Magdeburg; Bender, Oberförfter-Kandidat, zum Oberförster in Brandoberndorf, Regierungsbezirk Wiesbaden ; Ghren trei, Oberförster-Kandidat, zum Oberförster in Böhl, Regierungsbezirk Cassel.

‘Nicßtamlliches. Deutsches Neich:

Preußen. Berlin, 14. Dezember, Im weiteren Ver- laufe der gestrigen Sizung der außerordentlichen Gene- ralsynode brate der Synodale Dr. Hinshius (Berlin) nah- stehendes Amendement ein:

Die Generalsynode wolle beschließen: a. in §. 2 Absaß 1 ftatt der Worte: „von den Provinzialsynoden der Provinzen“ zu seßen : nach Maßgabe der §8. 3 bis 30d. in den Provinzen; b. den §. 3 zu streichen und statt desselben hinter §. 2 einzuschalten:

8, 3, Die zufolge §. 2 Nr. 1 zu wählenden Mitglieder werden auf die aht Provinzen dergestalt vertheilt, daß in der Provinz Preu- ßen 24, Brandenburg 27, Pommern 18, Posen 9, Schlesien 21, Sachsen 24, Westfalen 12 und in der Rheinprovinz 15 Mitglieder gewählt werden.

& 2a. Die Wahl erfolgt durch die Kreissynoden.

In jeder Provinz werden mehrere Kreissynoden zu Wahlyerbän- den vereinigt.

In den Wahlverbänden sind je drei oder sechs Abgeordnete durch Wahlmänner zu wählen. /

Die Zahl der Wahlmänner beträgt die fünffahe Anzahl der zu wählenden Abgeordneten.

Auf die Wahlhandlungen findet die Vorschrift des §. 52 Ab- faß 4 der Kirhengemeinde- und Synodalordnung vom 10, Septem- ber 1873 Anwendung.

Die näheren Bestimmungen zur Ausführung der Vorschriften in Absatz 2 bis 4 bleiben bis zur anderweiten fkirchengeseßlihen Rege- lung Königlicher Verordnung vorbehalten.

8, 3b. Die in §. 2 Nr. 1 gedachten Mitglieder sind:

1) zu einem Drittheil aus den innerhalb der Provinz in geist- lichen Aemtern der Landeskirche angestellten Geisllichen,

9) zu einem Drittheil aus solchen Angehöcigen der Provinz zu wählen, welche in Kreis- oder Provinzialsynoden oder in den Ge- meindekêrperschaften derselben als weltliche Mitglieder entweder zur Zeit der Kirche dienen oder früher gedient haben,

3) die Wahlen für das leßte Drittheil find an diese Beschrän- fungen nicht gebunden, sondern können auch auf andere angesehene, firhlih erfahrene und verdiente Männer gerichtet werden , welche der evangelischen Landeskirche angehören. _ bab Alle Gewählten müssen das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt

aben.

Von dem Synodalen Dr. Schrader (Königsberg) lag naMh-

stehender Antrag vor: am Schluß des §8. 3 der

Die Generalsynode wolle bescchlichßen : Borláge folgenden Saß hinzuzufügen:

„Königlicher Verordnung bleibt es vorbehalten, die Aussonderung dec Residenzstadt Berlin uud ihre Umgebung aus dem Synodal- verbande der Provinz Brandenburg, die Einrichtung einer besonderen Provinzial- (Stadt-) Synode Berlin und die Vertheitung der Mit- gliederzahl anzuordnen, welche demnächst die Syuoden der Provinz Brandenburg und der Stadt Berlin nah dem Maßstabe der in ihnen vorhandenen evangelishen Bevölkerung in die Gereralsynode zu ent- fenden haben.

Veränderungen, welche hierin, für den Fall der früheren kirh- lihen Ausfonderung, durch die spätere landetgeseßlihe Feststellung eines besonderen provinziellen Veri andes für die Stadt Berlin und ihre Umgebung bedingt werden sollten, erfolgen gleichfalls durch Königliche Anordnung.“

Der Synodale Dr. Techow begründete zunähst einen von ihm eingebrahten längeren Antrag, dessen Alinea 1 so lautet: „Die Wahl der Mitglieder der Generaisynode erfolgt durch Wahlmänner in den Gemeinden.“ Redner \prach sich alsdann für den Antrag Schrader aus und versuchte den der Stadt Berlin gemahten Vorwurf unkirchlichen Lebens zu entkräften.

Ueber leßteren Punkt \sprah auch der Synodale Dr. Kögel (Berlin), glaubte aber eine Abhülfe in einer Vermehrung der kirhlihen Gemeinden und der Geistlihen suchen zu müssen.

Der Synodale Baur (Berlin) erklärte, in einer zur Zeit zusammenzuberufenden Provinzialsynode Berlin nicht den richti- gen Ausdru der kirhlihen Gesinnung der Einwohnerschaft er- blicken zu können und wolle deshalb zu einer Beschleunigung dieser Angelegenheit nihts beitragen.

Demnächst begründete der Synodale Dr. Gierke nachstehenden, von ihm eingebrahten Abänderungsantrag:

Hie Generalsynode wolle für den Fall der Beibehaltung von §. 3 der Vorlage folgenden Zusaß zu demselben beschließen:

„Die Wahl ‘erfolgt in der Weise, daß jedes Drittheil in einem besonderen Wahlgange gewählt wird. Sn jedem Wahlgange ift jeder Wahlberechtigte zur Abgabe von so viel Stimmen, als Syno- daldeputixte in diesem Drittheil zu wählen find, berehtigt. Er kaun diese Stimmen fowohl auf verschiedene Personen vexrtheilen, als mebrere oder alle Stimmen auf dieselbe Person kumuliren. Zu diejem Behufe hat er einen Stimmzettel abzugeben, auf welchem eine entsprechende Anzahl von Namen oder Namenéwiederholungen ver- zeichnet steht. Als gewählt sind diejenigen Personen zu betrachten, auf deren Namen die meisten Stimmen lauten. Nur gilt Niemand als gewählt, auf den niht mindestens halb fo viel Stimmen, als die Zahl der abgegebenen Stimmzettel beträgt, gefallen find. Können mehrere Personen, auf welche die gleiche Stimmenzahl gefallen ift, nicht sämmtlih als gewählt gelten, so ist Niemand von ihnen ge- wählt. Jt die Zahl dex zu wählenden SYM en eten in einem Mahlakte nicht erreiht, so wird dasselbe Wahlyerfahren bis zur Er- reichung diefer Zahl wiederholt,“

Nachdem der Synodale von Benda (Berlin) für den An- trag Schrader gesprochen, äußerte sih der Vertreter des Kirchen- regimentes, Ministerial-Direktor Dr. Förster dahin, daß bereits in der Kommission der Wunsh geäußert sei, Berlin aus der Provinzialsynode auszusheiden, Das Kirchenregiment habe im Prinzip zugestimmt, fich aber mit der Form des in der Kom- mission gestellten Antrages niht befreunden können. Die da- gegen erhobenen Bedenken beseitige der Antrag Schrader und das Kirchenregiment habe deshalb gegen dessen Annahme nichts einzuwenden.

Der Vertreter des Ober-Kirchenrathes, General-Super- intendent Dr. Brücknec \prah sich über den Schraderschen Antrag dahin aus, daß die Frage, ob und wie Berlin in seinem \synodalen Leven organisirt sei, keine Parteifrage sondern eine Zweckmäßigkeits- frage sei. Die Hebung des kirhlihen Nothstandes in Berlin sei kein rein städtisches, sondern ein wahrhaftes Landesinteresse. Zum Be- weise dessen führe er an, daß allein im Jahre 1873 137,000 Menschen nah Berlin gezogen und 95,000 Menschen von Berlin weg-

“R,

‘Religion und Sitte

gezogen seien Zahlen, die einen bedeutenden Einfluß auf ausüben. Er leugne den kirchlichen Nothstand Berlins nicht; seit vier Jahren \ei er General- Superintendent Berlins und fühle die ganze Verantwortichkeit seines Amtes. Man habe seine Ansicht eine optimistische ge- nannt, und weshalb? Weil er glaube, daß \sich der Nothstand beseitigen lasse und die Zustände sch bessern würden, weil er an dem Fortschritte der Menschheit niht zweifle. Man habe gesagt, Berlin müsse Geduld haben. Vor 18 Iahren habe man dasselbe gesagt und häite man damals gehandelt, so würden wir den jeßigen Nothstand nicht haben. Hier könne nicht Staat und Stadt Hülfe bringen, es müsse die Gleich- gültigkeit gegen die Kirche gehoben werden, etwa na folgendem Programm. Zunächst Vermehrung der geistlichen Kräfte. Auf 817,000 evangelishe Einwohner kämen 118 Geistliche, von denen 18 Anstalts-Geistlihe find, mit einer Gemeinde von 7000 Seelen. Von den übrigen 100 Geisilihen seien 26 junge Hülfsgeistliche, von denen keiner in der vollen Arbeit des Amtes stehe. fommen 74 Geistlihe auf eine Gemeinde von 860,000 Köpfen; eine Aufgabe, die zu befriedigen unmögli sei. Sodann müßten die Gemeinden verkleinert, große in mehrere fleine zerlegt werden. In Berlin sei die Vredigt nicht der \ammelnde Mittelpunkt; die Kirche müsse zu den Leuten gehen in nimmer ermüdender Liebe, Segen wir die Kirche in den Stand, die Menschen zu suchen und die Menschen werden die Kirche suchen. Aus dieser Idee sei die Stadtmission hervor- gegangen, die bereits s\egensreih gewirkt habe, Auch müsse die Einführung der Stolgebühren und des Parochialzwan- ges erfolgen. Berlin zeige überrashende Wahrnehmungen. Die Bevölkerung von 20 bis 40 Jahren bilde 41 Proz. und mit der von 15 bis 20 Jahren mehr als die Hälfte, während die von 50 bis 70 Jahren nur 20 Proz. betragen. Dürfe man sich wundern, wenn das Moment der Bewegung überwiegt, wenn es gährt und brodelt in ameisenartiger Regsamkeit? Das alles aber wirke auf das kirchlihe Gebiet zurück. Es erkläre fich dar- aus das Selbst- und Unabhängigkeitsgefühl, das sih der kireh- lihen Zucht niht fügen wolle, die fritishe Verständigkeit, der Rationalismus, das Vertrauen auf eigene Kraft und ein geringes Verständniß für die dogmatishe Seite des Christenthums. In Berlin sei Vieles zu erreihen, aber nur durch Ueberzeugung; jeßt begegne man nur Miß- trauen gegen die Kirche, die nah „öffentliher Meinung“ streben müsse. Alle diese Hülfsmittel gegen den Nothstand kämen aber erst durch \ynodale Einrichtungen zur rehten Geltung. Berlin fann noch unserer Landeskirche seine Dienste leisten, wenn es sein kirchliches Leben hebt, dazu bedarf es aber einer \synodalen Selbftändigkeit. %

Nachdem noch die Synodalen Hegel (Berlin), Hinschius

(Berlin), Dr. Beyshlag (Halle) und v. Diest-Daber gesprochen, ward die Diskussion ges{chlo}sen und zur Abstimmung geschritten. Der §. 2 wurde hierauf mit einer redaktionellen Abänderung

der Kommission, der §. 3 mit dem Amendement Schrader mit großer Majorität angenommen. Schluß der Sizung: 41/z Uhr.

Sachsen - Meiningen. Meiningen, 8. Dezember. (Leipz. Ztg.) Die Landtagsarbeiten nähern sich ihrem Ende. Die Staatsrechnungen weisen einen Einnahmeübershuß von ca. 230,000 é nad, auf welhen jedoch bereits nicht unerheb- lihe Zahlungen verwiesen worden sind. Die Prüfung der Staats- rechnung pr. 1872 hat zu keinen Anständen Anlaß gegeben. Nach einer dem Landtage ertheilten Auskunft ist {on die Hälfte des in 600,000 Thlrn. bestehenden Staatspapiergeldes eingezogen. Die früher angeregte Idee der Konvertirung der 4}; proz. Staats- {huld in eine 4proz. ist aufgegeben. Durch gegenseitiges Entgegenkommen im Landtage sind die meisten Differenzpunkte über die Gemeinde- und Kreisordnung gehoben. Dem Ortsfstatut bleibt es vorbehalten, zu bestimmen, ob die Leitung der Gemeinde- raths-Sizungen dem Bürgermeister oder einem besonderen Vor- fißenden zustehen soll. Der Landrath soll zwar nicht befugt sein, den Gemeinderath oder die Gemeindeversammlung zu berufen; auf Anirag des Landraths muß aber diese Berufung dur den Orts- vorstand erfolgen. Der Vorsiß im Kreistag steht nicht dem Landrath, sondern einem Kreistagsmitglied zu, welches der Kreistag erwählt. Ein Zwang zur Annahme des Amts eines Ortsvorsiehers if nicht anerkannt. Die Hôze des Gehalts für den Ortsvorsteher kann in den Landgemeinden nöthigenfalls vom Kreisaus\chusse bestimmt werden. In den Städten geht der Rekurs gegen Verfügungen des Ortsvorstandes nicht an den Landrath, sondern an die Ab» theilung des Innern des Herzoglichen Staatsministeriums, \o- fern nit der Kreisaus\{chuß oder der Verwaltungsgerichtshof als oberste Instanz kompetent ist. Der Verwaltungsgerichtshof, der nah Bedürfniß in Meiningen zusammentritt, besteht aus 6 Mitgliedern, nämli dem Vorstande des Staatsministeriums Abtheilung des In- nern, zwei von der Regierung ernannten Mitgliedern, von welchen das eine ‘dem Richteramt angehören wuß, und drei auf Vorschlag der Kreistage, welche für jedes Mitglied drei Kandidaten zu bes zeihnen haben, auf sechs Jahre bestimmten Mitgliedern. Der Verwaltungsgerihtshof, dessen Verfahren sahgemäß geregelt ift, ist vorzugsweise für alle Gemeindesacen, Gemeindestreitigkeiten, Gemeinde-Umlagen, kann aber auch Beamte der Kreis- und Ge- meindeverwaltung, sowie Mitglieder des Kreisaus\hu}ses, im Fall wiederholter gröblicher Vernachläsfigung ihrer Amtspflichten, nah vorgängigem Gehör und nah öffentliher Verhandlung der Sache entfernen.

10. Dezember. Zur Ausführung des §. 36 des Reichs- gesehes über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 er- läßt das Ministerium, Abtheilung des Innern, ein sehr um- fassendes Ausschreiben vom 25. Oktober d. I., betr. die Pferde- musterung und die Beschaffung der Mobilmachungspferde. Vor- gestern ist das Gese vom 27. November 1875, betr. die Aus- führung des Reichsgesezes vom 6. Februar 1875 über die Beurkundung des Personenstandes und die Ehe- \chließung, veröffentliht worden. Die Aufsichtsbehörde find die Einzelrichter für freiwillige Gerichlsbarkeit und die Ministerial- Abtheilung der Justiz. Die Trennung der Ehe aus landesherr- liher Machtvollkommenheit is beibehalten. Die Verpflichtung dér Standesbeamten erfolgt mittels Handgelöbnisses. Der Land- tag is| seit mehreren Tagen unausgeseßt mit Berathung der Kirchengemeinde- und Synodal-Ocdnung beschäftigt.

Schwarzburg - Soudershausen. Sondershausen, 9. Dezember. Der Landtag hat nunmehr mit der Berathung des Staatshaushalts - Etats für die Finanzperiode 1876/79 begonnen -und für das Departement der Finanzen und des Innern überall die von der Regierung aufgestellten Aus- gabepositionen genehmigt mit geringen Modifikationen, indem das Etatgeseß von 31,000 für Ausbau des Wegeneyes in den Forsten auf 20,000 # herabgeseßt wurde; für Unterhaltung der

Chausseen und Brücken wurden 69,000 (verwilligt und noch außerordentlich zur Besserung der Chausseen im Arnftädter Bezirke. Außerdem wurde im Anschlusse an den Bericht des Landtagsaus\chu}ses über seine Prüfung der Staatskassen- rechnungen pro 1873 und 74 über die Frage verhandelt, ob es niht rathsam sei, die Chaussee- und Brückengelder gänzlich aufzuheben; der Landtag Halt diese Aufhebung zur Zeit für unausführbar. Endlih erklärte sfich der Landtag bezüg- lih eines Antrags des Landtagsaus\{hu}ses resp. des Finanzaus- {usses dahin, daß die Pensionsanstalt für die Staats- diener 2c. als unzureichend anzuerkennen fei und rihtete an die Staatsregierung das Ersuchen, das betreffende Geseß einer Revifion zu unterwerfen. Der Staats-Minister v. Keyser hat eine solche Revifion zugesagt. Es liegt diesen Anträgen die Ab- iht zu Grunde, die den’ Hinterbliebenen zu gewähreade Unter- stüßung in eine den Zeitverhältnissen sowohl nach Höhe der Penfion als nach der Klasseneintheilung entsprechende Orga- nisation zu bringen.

Niederlande. Haag, 7. Dezember. Die Budget- berathung in der Zweiten Kammer der Generalftaaten nahm einen ruhigen Berlauf, bis gestern das Departement des Innern an die Reihe kam. Die Debatte über den Bedarf für dieses Ministerium, die heute fortgesezgt wurde und vielleicht noch mehrere Sizungen in Anspruch nehmen wird, hat \ich ziemlih lebhaft gestaltet. Von den Rednern der liberalen Mehrheit werden Ausfälle gegen den Minister des Innern, Hrn, Heemskerk, den Führer des Kabinets, niht gespart. So ging heute Hr. Geertsema in eine ausführlihe Kritik über die Politik Heemskerks ein, die er niht als konservativ oder flerikal, son- dern als anti-liberal charafkterifirte. Er meinte, die liberale Mehrheit würde dem Minister ihre Mitwirkung noch nicht ver- sagen, wofern derselbe ein Zusammenwirten, besonders in der Unterrichtsfrage, durch Verbesserungen, welche der liberalen Mehrheit entsprähen, ermögliche; thue der Minister dies nit, dann würde die liberale Mehrheit die Initiative ergreifen müssen, Hr. Cremers wies darauf hin, daß der Minister bisher wenig Neigung gezeigt zu einem solchen Zusammenwirken mit der liberalen Mehrheit. Hr. van der Houven erkannte an, daß alle anti-liberalen Fraktionen bereit seien, fh um Hrn. Heemskerk zu vereinigen, weil fie von diesem Minifter eine gerechte Behandlung erwarten könnten, und weil fie zu besorgen hätten, daß die Liberalen, wenn am Ruder, „dem Andrange von Außen“ Gehör geben würden. Das Widderthurms\cif , de Prins ean k“ wird ausgerüstet, Von Batavia find bis zum 28. Oktober reihende Post- becihte eingetroffen. Aus Kotta Radja vom 13. Oktober hatte man dort die Nachriht, daß die Atchinesen das Vorhaben, einen allgemeinen Angriff auf die Stellungen der Niederländer zu unternehmen, wieder aufgegeben zu haben seinen, aber ihre Plänkeleien, besonders ihre Ueverfälle der Patrouillen fortsegzen, wobei sie jedo jedesmal den Kürzeren zögen. Die Arbeiten zur Anlegung einer Eisenbahn, welhe Kotta Radja mit den nieder- ländishen Stellungen an der Küste verbinden wird, werden eifrigst betrieben und man rehnet darauf, daß die ganze Linie um Mitte des nächsten Iahres würde in Betrieb genommen werden können.

Schweden und Norwegen. Stockholm, 9. Dezember. Der russische Gesandte am hiesigen Hofe, Hr. N. v. Giers, hat Stockholm verlassen und sich nach St. Petersburg begeben; die Geschäfte werden dur den erften Legations-Sekretär, Grafen P. v. Dunten, besorgt. Unterm 19. November hat der König bestimmt, daß das am 26. Januar 1872 unter dem Marine- Departement eingerichtete militärish-tehnishe Bureau mit Schluß dieses Jahres wieder aufgehoben und dagegen drei Bureaus ge- bildet werden sollen, nämlich: ein Militärbureau, ein Werftbureau und ein Konftruktionsbureau; zu Chefs dieser Bureaus sind ernannt: für ersteres der Chef des Militär- personals der Flotte, für das zweite der Chef der Verwaltung der Marineangelegenheiten uud für das legte der Ober-Direktor im Marine-Ingenieur-Corps.

In Kopenhagen am 13. Dezember, Abends, eingegange- nen Privatnachrichten zufolge, ist der \chwedis{ch-norwegische Gesandte in Washington, Stenessen, auf der Rücdreise nach Washington in Paris plöglih am Shlagfluß gestorben.

Dänemark. Kopenhagen, 11. Dezember. Auf der Tagesordnung der gestrigen Sizung des Folkethings stand die erste Lesung des Feiertagsgeseßes. Berg, Graf Hol- ftein-Ledreborg und Kruse griffen besonders H. 7 des Entwurfes an, welchem zufolge künftig an Sonntagen zwishen 9 Uhr Vormittags und 4 Uhr Nachmittags alle öffentlihen Versamm- lungen verboten sein sollen, indem sie meinen, daß ein solches Verbot mit §. 88 der Verfassung in Widerspruch stehen würde. Hindenburg behauptet, daß die Anficht, die Verfassung habe §. 11 der Feiertägs - Verordnung aufgehoben, von den Sozialisten erfunden sei. Im Jahre 1853 habe der Justiz-Minister dem Paragraphen dieselbe Auslegung gegeben, welche jeßt von Berg als verfafsungs- widrig bezeihnet worden, ohne daß ein Mitglied des Th'nges dagen protestirt habe. Da noch mehrere Redner eingezeihnet find, werden die Verhandlungen abgebrohen und auf heute ver- tagt. Das Landsthing sandte geftern ohne weitere De- batte die Geseßentwürfe, betreffend die kommunalen Wasserwerke, das Verbot gegen die Einfuhr von Kartoffeln 2c. aus Nord- amerika und betreffend die Erweiterung der Zinsenga- rantie für die Laaland-Falstershe Eisenbahn zur wel ten Lesung und übergab den Gesegentwurf, betreffend die Berwaltung der Staatsbahnen, einem Ausschusse. Die Regierung if gegenwärtig mit der Berathung der Maß- nahmen beschäftigt, wodur der Ankauf von unseetüchtigen englishen Schiffen für die dänische Handelsmarine ver- hütet werden soll. Wie „Berl. Tid“ als ein Faktum anführt, find seit 1872 59 alte englishe Schiffe nah Dänemark verkauft worden, und von diesen find nicht weniger als 21 unter- gegangen, theils durch Strandung, theils im sinkenden Zustande verlassen und theils mit Mannschaft und Ladung verloren gegan- gen: es is also von den während 33/, Jahren in dänischen Be- si übergegangenen alten englischen Schiffen mehr als ein Drittel verloren gegangen.

Afrika. Aegypten. Kairo, 2. Dezember. Die Kunde von der Niederlage, welhe die ägyptishen Truppen dur die Abessinier erlitten haben, ist, auf dem Weg der Gerühte, dur das ganze Land gedrungen. Die Regierung hat fi des- Balk veranlaßt gesehen, in dem „Wakai Masrié“ eine Dar-

ellung dieses Ereignisses zu veröffentlihen. Der amilie Be- riht lautet nah der „Alg. 3.“: ;

„Wiederholt in den Blättern erschienene Nachrichten haben die Aufmerksamkeit auf die Haltung der avessinischen Regierung gelenkt, welche während der leßten drei Zahre Einsälle in unser Gebiet ver- anlaßt hat und unsere Grenzbevölkerungen hat plündern lassen. Die

ägyptische Regierung wandte sch mehrmals in gütlicher Weise an die abessinishe, um ihr bemerkflich zu machen, daß ihre Handlungen mit den Bedingungen guter Nachbarschaft unverträglich seien, daß es die Gerechtigkeit verlange, daß man unsern Grenzbevölkerungen heraus- gebe, was man denselben genommen hatte, und daß man Bédacht nehmen werde, die Wiederholung ähnlicher Gewaltthätigkeiten zu ver- hindern. Ohne unsere gerechten Vorstellungen zu beachten und weit entfernt, es an den sbegangenen s{ändlihen Handlungen genügen zu lassen, versammelte der König von Abessinien jüngst in Hamacin, einer an das Gebiet von Massaua anstoßenden Provinz, eine beträcht- liche Armee. Damit bedrohte er unsere Grenzen mit nahem Krieg, um so mehr, als er zwischen den beiden Ländern jede Handelsverbin- dung unterbrochen hatte, indem er den abessinischen Unterthanen ver- bot, nah Aegypten zu gehen, und den ägyptishen Handels- leuten, in Abcssinien einzudriogen. Da ein folcher Zustand der Dinge in unsern Grenzprovinzen Schrecken verbreiten mußte und diejelben der Sicherheit beraubte, welche ihnen unsere Regierung gewährleiften muß, sandte diese zwei Bataillone Infanterie unter dem Befehl des Obersten Arendrup-Bey nach Massaua, im diese Bevölkerungen zu beruhigen und unsere Grenzen zu hewahen. Nah der Ankunft dieser beiden Bataillone in Massana verließ das Gros der abessinischen Armee das Hamacin und zog fich in das Jnnere des Landes zurück. Aber die übrigen an unseren Grenzen aufgestellten Truppen fuhren fort , alle ägyptischen Unter- thanen, welche ihnen in die Hände fielen, zu plündern und zu miß- handeln. Angesichts dieser feindseligen Handlungen drang der Oberst Arendrup in das Hamacin mit den obenerwähnten Bataillonen eir, welche aus je 8 Compagnien und 6 weiteren Compagnien formizt waren, die noch im Sanhit standen, zusammen 22 Compagnien In- fanterie und 2 Batterien Artillerie. Er sollte unsere Grenzen hüen, vorläufig das Hamacin bescten und sich dann mit dem König von Abvesfinien über eine Uebereinkunft zu verständigen suchen. Beim Einrücken der äghp- tischen Truppen in das Hamacyn zog sih Cugag-Dabru, der Befehlshaber der abessinishen Truppen, auf Adna, Hauptstadt der Provinz Tigre, zurück, während die ägyptishen Soldaten von den Bewohnern des Hamacin mit Freudenbezeugungen aufgenommen wurden. Oberst Arendrup vertheilte seine 22 Compagnien in der nacstehenden Weise: 6 Compagnien Me in Fidur unter dem Kommando des Bataillons- chef Dürholzz dann Aliehß er, als er durch Afkthal zog, daselbft sieben Compagnien mit dem Oberst-Lieutenant Rustem-Nagbi-Bey. Mit den no verbleibenden 7 Compagnien rückte Oberst Arendrup auf Gondet am Marb-Flusse. Hier angekommen, bildete er eine Vor- hut von 4 Compagnien unter dem Befehl des Bataillons-Adjutanten Murgan - Agha, dem er den Reisenden Grafen Zihy beigab, und befahl ihm, weiter in das Land hinein vorzurücken, während die 3 anderen Compagnien in Gondet bleiben sollten. Aus den jüngst durch telegraphische Depesche empfangen Nachrichten geht hervor, daß ein Theil der Einwohner von Gondet sich am 16. des Monats Schawal zu Murgan-Agha begeben hat, um ihm zu melden, daß die Abessinier auf die Stadt marschiren, und um feine Hülfe und um seinen Schuß gegen die Eindringlinge anzurufen. Auf den Rath und das Drängen des Grafen Zihy ließ der Bataillons- Adjutant einen Theil der Vorhut vorrücken, der auch bald mit den abessinischen Truppen ins Gefecht kam und fie mit einem Verluft von 15 Mann an Todten in die Flucht s{chlug. Als sich am nächsten Tage das Gerücht verbreitete, daß zwishen der Vorhut und den Abessiniern ein Zusammenstoß stattgefunden habe, gab man bem Obersten Arendrup a Nachricht davon, der sich denn auch sofort, gefolgt von dem Oberst - Lieutenant Rustem- Bey, dem Gouverneur von Massaua, Arakel - Bey, und 5 Compagnien nach Gondet wandte. Als der erste in Gondet angekomwen, ließ der Oberst Arendrup die beiden Compagnien, welche seine Begleitung gebildet hatten, daselbst und rückte mit den beiden anderen daselbst stehenden der Vorhut zu Hülfe. Nachdem er fich einige Zeit am Kampfe betheiligt, überließ er_ dem Bataillonsadju- tanten das Kommando und kehrte mit 4 Soldaten nach Gondet zurückd. Da aber eine große Zahl abessinisGer Soldaten ihm ganz nahe folgte, bildete man cin Carré aus den in Gondet befindlichen Soldaten; der Oberst Atendrup verfügte fich in ihre Mitte, und es entipaun sih um 1 Uhr Morgens ein Kampf, der bis zum Abend währte. Der Gouverneur von Massaua und der Obez:ft Arendrup wurden zu allerleßt getroffen und getödtet. Der Oberst-Lieutenant Rustem-Bey erhielt eine Kugel an den Kopf, verband seine Wunde mit dem Taschentuch und führte den Befehl über seine Soldaten noch ejnige Zeit lang weiter. Von einer zweiten Kugel getroffen, be- fahl er fterbend noch, mit dem Bajonnet anzugreifen und fih bis zum Tode zu halten, Der Artillerie-Bataillons-Chef Ismail-Raghi-Effendi und der Infanterie-Bataillons-Chef Ahmed-Fanzi-Effendi hielten den Kampf mit großer Tapferkeit und Kraft aufrecht. Das gleiche kann man von den einfachen Soldaten sagen, welche, als die Munition er- \{chôpft war, die Abessinier mit dem Bajonnetit angriffen und den Kampyf kitig fortsetzten, bis sie als Opfer ihrer Pflicht fielen. Von den 11 Compagnien, die an dem Kampfe theilgenommen haben, find ein Unter-Lieutenant, ein Adjutant und 20 Sol- daten und Unteroffiziere als Gefangene in die Hände des Feindes gefallen. Der heldenmüthige Widerstand aller dieser Tapfern, von den höhern Offizieren bis zu den einfachen Soldaten, ift ein Beweis, daß Jedermann feine militärischen Pflichten mit der größten Ehre gethan hat. Die Zahl der Todten beirägt 770 Mann Infanterie, eingerehnet das ganze Personal einer Batterie. Da der Kampf lange gedauert hat, haben die Abefsinier empfindliche Verluste erleiden müssen. Jüngst eingetroffene Nachrichten melden, daß Ras-Raga, Wessier des Königs von Abessinien, Raé-Urania, Ober-Befehlshaber der abessiniscen Truppen, und der Gouverneur von Adna und vom Hamacin gefalleu sind; neuere Nachrichten geben

' die Zahl der Todten auf Seite der Abessinier auf 15,000 (! ?) Mann

dem Kampf erschien eine aus Fuß- i bestehende und vom König von Abessinien in Person befehligte Armee vor Akthal nund forderte in einem Schreiben die daselbst befindlichen ägyptischen Soldaten auf, ihre Waffen autzuliefern, wofür sie frei abziehen oder au dem Orte bleibeu dürften. Da die Aegypter antworteten, daß ihr Befe hléhaber abwesend sei, und der Brief an ihn gesandt werden müsse, und daß, sie niht auf eigene Faust èie Vorschläge des Königs annehmen könnten, zogen sich die abessinischen Soldaten zurück, ohne irgend welchen Angriff zu mahen. Auch die ägyptische Abtheilung zog sih hierauf, nachdem sie 4 Geschüße, die fie wegen Mangels an Pferden zurücklassen mußte, vernagelt hatte, zurüd nach einem Punkte Naniens Harkiku bei Massaua, wo sie sih noch gegenwärtig befindet. Aus den vorerwähnten Einzelheiten geht hervor, daß das von den ägyptischen Cruppen unter dem Kommando des Obersten Arendrup erlittene Unglück zum Theil davon herrührt, daß sie nit schr zahlreih waren, und zum Theil von den Entfernungen, welche sie von einander trennten. Aber unsere braven Soldaten werden gerächt werden. Se. Hoheit der Khedive hat beschlossen, unter dem Kommando Sr. Excellenz Ratib-Pascha's, Generalissimus der ägyptischen Armee, eine vollständige Expedition abzusenden. 4 Dampfschiffe mit Truppen sind bereits am Donnerstag, Freitag und Sonnabend nah Massaua abgegangen, und der Rest wird in Kurzem folgen. Die Expedition wird aus 4 Regimentern Ju- fanterie, 2 Schwadronen Reiterei und 3 Batterien Artillerie bestehen. Se. Excellenz Ratib-Pasha wird den General Loring zum General- stabs-Chef haben und von anderen höheren Offizieren begleitet wer- s „worunter Osman-Rifty-Pascha, Brigade-Generale und 4 Stabs- offiziere. /

an. Kurze Zeit nach voll und Reiterei

FNeichstags - Angelegenheiten.

Berlin, 14. Dezember. In der gestrigen Sißung des Deutschen Reichstags beantwortete der Bundesbevollmäch- tigte, Wirklihe Geheime Rath von Philipsborn, die Inter- pellation des Abg. Dr. Kapp, den, Lloyddampfer „Deuts ch= Tand betreffend, wie folgt:

Meine Herren! Wir beklagen gewiß an dieser Stelle eben so lebhaft, wie es in dem hohen Hause geschehen ift, den Unfall, der sich kürzlih mit dem Dampfer „Deutschland“ zugetragen, und der zunächst den Anlaß zu der heutigen Juterpellation gegeben hat. Wir beklagen es mit Ihnen um so mehr, als noch frisch in unserer Aller Gedächtniß der Unglücksfall ist, der sich vor Kurzem mit einem anderen deutschen Dampfer zugetragen hat. In dem einen, wie in dem anderen Falle gleiGmäßig ist Alles von uns geschehen, was in dem Bereich der Möglichkeit lag. Alle diejenigen Einzelnheiten, auf die der geehrte Hr. Vorredner eingegangen ift, sind uns zum Theil un- mittelbar nachhin, amtlich und außeramtlih, befannt geworden, ein Theil der vorher mitgetheilten Thatsachen allerdings nicht. Telegramm folgte auf Telegramm, Bericht auf Bericht, und ic) kann sagen, daß ih, der ih die Telegramme und Berichte nacheinander sämmtlich ge- lesen habe, nit im Stande war, daraus® auch uur ein einigermaßen vollständiges Bild über den Hergang, über die Verschuldung und die Ursache dieses Unglücksfalls zu gewinnen, daß auch Sachverständige, mit denen i kurzer Hand darüber gesprochen habe, mir immer die Antwort gaken: es ist noch nit Zufgetlárt : es bleibt eben, um ein Gesammtbild über die Sache zu gewinnen, in der That nur übrig, das Resultat der eingeleiteten Untersuchung abzuwarten.

Was nun die einzelnen Punkte der Interpellation angeht, und ¿war zunächst die Nummer 1, fo darf ih bemerken, daß unmittelbar nah dem Eintreffen der ersten Kunde von dem Unglücksfalle alle be- theiligten Behörden im Auslande mit den erforderlichen Ermächtigun- gen und Anweisungen versehen worden sind, nicht allein der Kaiser- lihe Botschafter in London, auch der General-Konsul in London und der Vize-Konsul in Harwih; auch dem Reichekommissar füc das Auswanderungêwesen ift der Auftrag geworden, nah England hinüber zu gehen, und dem Senat von Bremen ift von dem Unglücfsfalle Mittheilung gemaht worden, mit dem Anheinstelleo, auch seiner- seits die weiteren geeignet scheinenden Maßregeln einzuleiten. Die Untersuchung ist den englischen Behörden überlassen und über- tragen worden; auf ausdrückliche Anfrage der englii\chen Regierung haben wir uns diesseits gern damit einverstanden erklärt, daß diese Untersuchung _dort sofort in die Hand genommen werde. Nur auf diese Weise ist es möglich, den Thatbeftand zu fixiren, die Zeugen, die da sind, auf dem Fleck zu vernehmen, und solche, die abreisen wollen, im Moment noch zu halten und zu vernehmen, den Augenschein festzu- stellen, Verdunkelungen vorzubeugen ; ih darf das nit weiter ausführen. Der objektiven Haltung der englishen Behörden, deuen die: zunächst obliegt, glauben wir nah dem, was bei dem Swillerunglücksfall zu unserer Kenntniß gekommen ist, vollkommen vertrauen zu dürfen. Es ist, so viel zur Kenntniß der deutschen Regierung gelangt ift, und ih glaube zur allgemeinen Kenntniß, in wiederholten Punkten und an wiederholten Stellen bei der Untersuchung des Schillerunfalls zu Tage getreten, daß die englischen Behörden fich niht gesheut haben anzuer- kennen, wenn etwas nicht ganz so war, wie man es hätte wünschen können; die Unparteilichkeit der englischen Gerichte steht nach allge- meiner Erfahrung über jedem Zweifel. Wir habea also, wie ge- sagt, keinen Anstand gerommen, in diesem Fall, wo es sich eben nur um eine Untersuchung handelt, nicht um eine Aburtheilung, ver- trauensvoll den dortigen Behörden im Einverftändniß mit der eng- lishen Regierung dies zu überlassen. *

Das führt mi zunächst in Zusammenhang zu dem Punkt 3 den Punkt 2 werde ih nachher behandeln ih glaube, es ift richtig, wenn ih den Punkt 3 hier gleih anscließe.

Jn dem Punkt 3 wird gefragt :

Wie kommt es, daß derartige, in einer Entfernung von etwa siebenzehn Seemeilen von der englischen Küste fich ereignende Un- glückéfälle ausschließlich von den englishen Behörden untersucht werden ?

Dies, meine Herren, beruht auf einer Abrede, die mit der eng- lishen Regierung getroffen worden is im Jahre 1869. Ich bitte um die Erlaubniß, hierauf etwas näher einzugehen, weil von dem Hexrn Vorredner einiges bemerkt worden ift, was, glaube ich, der Berichtigung bedarf.

Es besteht nämli in England auf Grund der Werchant shipping Act die Einrichtung, daß, sobald ein Schiff in der Nähe der britischen Küste verunglückt, ein Beamter der Recei- ver of wrack oder dessen Stellyertreter die Umstände, unter denen das Schiff verunglückt ist, durch eidliche Vernchmung der Mannschaft oder der jonst damit bekannten Personen feststellt. Dies Verfahren findet sowohl auf britise Sc;iffe Anwendung, wie auf fremde; die leßteren find aber nur dann verpflichtet, si diesem Verfahren zu unterwerfen, wenn der Ort der Strandung nicht weiter als drei See- meilen von der englischen Küste entfernt ist. Da es aber doch im Handels- und Verkehrsinteresse sehr wünschenswerth ist, die Verhält- nisse auch dann fesizustellen, wenn ein fremdes Schiff weiter als drei Meilen von der englischen Küste verunglück ist, so kommt es darauf an, die Untersuchung und die eidlihe Vernehmung der betreffenden Personen auch bezüglih derjenigen deutschen Schiffe bewirken zu können, die außerhalb des Rayons von 3 Meilen an der britishen Küste verunglüdckt find. Also mit Rücksicht hicrauf kam es darguf an, ein Einverständniß zu erzielen. Jm Gesammtinteresse und allerdings auf Anregung der englischen Regierung wurde die Sache damals erwogen, auch im Bundesrath zur Sprache gebracht, und es ift hierrach mit der englishen Regierung eine Abrede in Form von Noten dahin getroffen worden ich werde es wörtlich vorlesen —,

daß die auf Grund der Merchant shipping Act fungirenden Receivers of wrack oder Friedensrichter ermächtigt werden, die eidlihen Verneh- mungen zur Feststellung der Ursachen von Strandungen und fonstigen Seeunfällen auch bezüglich derjenigen deut)chen Schiffe zu bewirken, welche außerhalb des dreimeiligen Küstenrayons in den die britischen Inseln umgebenden Meeren verunglüen.

Es werden daran einige Vorausseßungen geknüpft und beson-

ders die, daß die fraglichen Schiffe oder Personen ihrer Bemannung unmit- telbar nach dem Unglüksfalle in einen britischen Hafen einlaufen oder an der britischen Küste anlegen.

Dies ist die damals getroffene Abrede, und ih kann sagen, meine Herren, dieje Abrede hat sich bewährt. Regelmäßig nah jedem vor- gekommenen Unfall kommt hierher von den englischen Behörden ein direkter ausführliher und gründlicher Bericht über die Ursachen und gewährt die Möglichkeit, daraus Erfahrungen für die Zukunft zu sammeln.

Wenn diese Mittheilungen in regelmäßiger Weise eingehen, so werden sie den Provinzialbehörden fo wie den betreffenden Rhedern mitgetheilt, und es werden daun diejenigen Maßregeln getroffen, welche si als nothwendig ergeben. Die Zahl solcher Unfälle ist glückliher Weise Is gering; die meisten komrnen eben nicht zur allgemeinen Kenntni

Fern ist man aber bei der Abrede davon gewesen, an eint Frage der Justizhoheit zu denken, weit entfernt, Man hat von Justizhoheit dabei gar nicht sprehen wollen, man hat die Justizhoheit weder cinräumen, noch übertragen, noch eingeräumt wissen wollen, es war einfach eine Frage der Nüßlichkeit, eine Frage des gegenseitigen Interesses, eine Frage ich mödte sagen: der internationalen Humanität, England wollte uns für joiche Fälle die Klarftellung erleihtern, und wir fonnten das annehmen, wir konnten das um fo mehr annehmen, als wir der Gewissenhaftigkeit der Mittheilungen sicher waren, wie folche sih denn auch seitdem in jeder Weise bewährt hat, und wie wir umgekehrt sagen dürfen, daß, wenn England dergleichen von uns wüns{cht, wir jeden Augenblick dazu bereit find und bereit sein werden, im Interesse einer gewifsenhaften Dur nens der fraglihen Maßregeln; ih denke, wenn Deutschland und England aus Nüßlichkeitsgründen solche Ab- rede mit einander treffen, daß darin kein Uebel zu erblicken ist und man keinen Vorwurf daraus herleiten kann, und daß, wenn von that- sächlichen Feststellungen die Rede ift, man daraus n cht folgern kann, es sei etwas versäumt worden. j

So, denke ich, werde ih im Wesentlichen die Punkte 1 und 3 beantwortet haben; es bleibt mir nun noch übrig, dex Punkt 2 zu

.

[ erledigen, der da fragt, wann dem Deutschen Neichttag ein Gesetzént-

wurf über die Untersuchung der Seeunfälle deutsher Schiffe vorge- legt D Sen ! Sh leine Herren! on vor einigen Jahren, on im Jahre

1873, find Verhandlungen mit den feefahrenden h U knüpft worden, um eine geseßliche Untersuchung der Regulirung sol- cher Seeunfälle herbeizuführen. Dabei find, wie das natürli ift, eine große Anzahl von Vorschlägen gemacht worden und zur Erwä- guna gekommen. Ich will nur einen der wesentlihften Vorshläge erwähnen, der dahin gebt, daß man eine Kommission eixseße aus Männern, die mit dem Seewesen vertraut find, und daß man diesex Kommission die Prüfung der vorgekommenen Unglüdcksfälle überlasfe, die Prüfung insbesondere darüber, ob dem Kapitän oder den Schiffs- offizieren oder dem Bootsmann oder irgend einem der Anderen auf dem Schif} gewesenen Personen ein Versehen zur Last falle. Beï diesen Berathungen und Verhandlungen hat man sich sehr wesentli vergegenwärtigt alle die zum größten Theil, wahrscheinlich durchgän- gig, sehr prafti\hen Bestimmungen der englischen Geseßgebung; diese S Vas N zur Ls gezogen worden. Die Ersôr- erungen find noch im Gange und find jeßt so weit gediehen, daß d Abschluß in Auzssicht steht. tf ia S

Wenn i nun das Gesagte kurz zusammenfaffe, fo möchte i es dabin resumiren, daß erstens in Bezug auf die Sache selbst und nady geshehenem Unfalle von hier aus Alles gethan is, was im Bereicly der Möglichkeit stand; daß ferner Anordnungen getroffen sind, wona die jeßige Methode der vorläufigen Untersuchung und thatiächlichen Feststellung fich nach Analogie früherer Fälle hoffentlih bewähren wird, und daß der Wunsch, diese Frage für die deutsche Schiffahrt geseßlich geregelt zu sehen, der Erfüllung entgegergeht.

Nach dem Abg. Mosle nahm der genannte Bundesbevoll= mächtigte noch einmal das Wort:

Meine Herren! Einige der Bemerkungen des geehrten Herrn Vorredners lassen es mir doc als eine unbedingte Pflicht erscheinen, sofort ein paar Worte darauf zu erwidern.

Erstens muß ich ganz positiv dabei bleiben, wenn ich vorher gesagt habe, es handle sih hier um Vernehmung von Personen und um thatsächliche Feststellung, nicht um Aburtheilung. Jch wiederhole, daß man fern davon gewesen ist, Justizhoheit abtreten oder einräumen zu wollen ; daß man nichts weiter gewollt hat, als aus Nüßlichkeits- gründen die \{nellste möglich# sichere Au‘klärung der Thatsachen an Ort und Stelle zu fixiren.

Weun dann gesagt ist, daß es, ih glaube, es sind die Worte gebraucht eine Beleidiguug des Nationalstolzes sei, so glaube ih, fallt das im Augenblick fort, wenn man sich nur den Znsammenhang vergegenwärtigt. Hier foll weder England über Deutsch» land, noch Deutschland über England zu Gericht sißen, sondern im ‘gemeinsamen, wohlverstandenen Interesse aus internatio- nalen und Humanen Rückfichten will man fich- gegenseitig unterstüßen. So, glaube ich, ift der Gesichtspunkt klar und einfa, und damit fallen viele von den Bedenken und Andeutungen fort, die wir vorhin vernommen haben.

Wenn auf die Nothwendigkeit der Entsendung eines deutschen See-Offiziers hingewiesen ist. so dächte ih, bereits vorhin bemerkt zu haben, daß de: Reichskommissar für das Auswanderungswesen, Ka- pitän zur See a. D. Weikhmann, den Auftrag erhalten hat, fich \o- fort an Ort und Stelle zu begeben.

Dem Reichstag is der Entwurf eines Gesezes, be- treffend die Einrichtung und die Befugnisse des Rechnungshofes, vorgelegt worden. Derselbe lautet:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zu- stimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

& 1. Der Rechnungshof des Deutschen Reichs ist eine dem Kaiser unmittelbar untergeordnete, der Reichsverwaltung gegenüber selbständige Behörde, welche die Kontrole des ge)ammten Reichshaus- halts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Ein- nahmen und Ausgab en von Reichêgeldern, über Zugang und Ab- gang von Reichseigenthum und über die Verwaltung der Reich s\chul- den zu führen hat.

8. 2, Der Rechnungshof besteht aus einem Präsidenten und der erforderlihen Zahl von Direktoren und Räthen, welhe vom Kaiser, die Direktoren und Räthe auf Vorschlag des Bundesraths, ernannt werden.

. 3. Vater und Sohn, Sc{wiegervater und Schwiegersohn, et und Schwäger dürfen nit zugleich, Milglieder des Rechnungs-

ofes sein. E Ein Mitglied des Rechnungshofes, welches mit dem Norsteher einer obersten Rei chsbehörde in einem der in Absatz 1 bezeichneten Grade verwandt oder verschwägert ist, darf an der Beschlußfaffung über solche Angelegenheiten nicht Theil nehmen, welche zum Geschäfts=- kreis dieser Behörde gehören.

8. 4. Nebenämter oder mit Remuneration verbundene Neben- beschäftigungen dürfen den Mitgliedern des Rechnungshofes weder übertragen, noch von ihnen übernommen werden.

Ebensowenig können die gcdahten Beamten Mitglieder des Bundesraths oder des Reichstags sein,

8 5. Die Vorschriften, welche in den §8. 23—26 des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten Geric:tshofes für Handels- sachen, vom 12, Juni 1869 (Bundesgeseßbl. S. 201) über den Amts- verlust, über die Amtsfuspension und. über die zwangsweise Ber- seßung in den Ruhestand für die Mitglieder des Reichs-Ober-Han- delsgerichts getroffen find, finden auf die Mitglieder des Rechnungs- hofes mit der Maßgabe Anwendung, daß an Stelle des Plenum des Oter-Handelsgerichts das Plenum des Rechnungshofes tritt, daß im Falle des §. 2 a. a. O. die Verrichtungen des Staatsanwalts und des Untersuchunesrichters von je cinem Mitgliede des Rechnungs- hofes, welches der Präsident ernennt, wahrgenommen werden, und daß bezüglih der Höhe der Penfion die Vorschriften des Gesetzes, be- treffend die Rechtsverhältnifse der Reichsbeamten, vom 31. März 1873 (Reichs-Geseßblatt S. 61) gelten.

8. 6. Alle Beamten des Rechnungshofes, mit Ausf{luß der Mitglieder, ernennt der Präsident, und zwar aus den geecignetew

eamten des Reichs und "sämmtlicher Bundesftaaten. Er übt übez dieselben die Disziplin mit den Befugnissen aus, welche den obersten. Reichsbehörten 1ücksihtlich der ihnen-uatergeordneten Beamten zustehen.

8, 7, Der Geschäftsgang bei dem Rechnungsöhofe wicd dur e Regulativ geregelt, welches auf Vorschlag des Rechnungshofes in Einvernehmen mit dem Bundesrath durch Kaiserliche Verordnung: er« lassen und dem Reichêtag zur Kenntnißnahme mitgetheilt wird. Jn dem Regulativ sollen besondecs auch die Bestimmungen enthcltew sein, welhe zur Geschäftsleitung des Präsidenten erforderli find. Bis zum Erlaß desselben bleiben die hierauf bezüglichen, Bbisher gültigen Vorschriften und Instruktionen insoweit in Kraft, als sie niht dem gegenwärtigen Geseßze widersprechen.

8. 8. Der Rechnungshof faßt seine Beschlüsse nah, Stimmen- mehrheit der Mitglieder einschließlich des Vorfißenden, welher bei gleicher Theilung der Stimmen den Aus\clag giebt.

Die kollegialishe Berathung und Beschlußfassung, ist jedenfalls erforderlich, wenn

1) an den Kaiser Bericht erstattet,

2) die für den Bundesrath und Reichstag bescimmten Bemerkun-

gen (§. 19) festgestellt, : f

3) allgemeine Grundsätze aufgestellt oder “zeftehende abgeändert,

4) allgemeine Instruktionen erlassen oder abgeändert

5) über Anordnungen dex obersten Berwaltungsbehörden Gutahten

abgegeben werden sollen, :