auf das Gehalt die Gleichftelung der Militärärzte mit den gleihaltrigen Dffizieren der Truppe durchzuführen, worin ihm Abg. Dr. Zinn mit weiteren Ausführungen beitrat. Der Prä- sident des Reichskanzler-Amts, Staats-Minister Or. Delbrück, erklärte darauf, daß die kategorienweise Gehaltserhöhung in dem diesjährigen Etat vermieden worden sei (\. unter Reichstags - Angelegenheiten), eine Maßregel, mit wel- cher der Abg. Richter (Hagen) namentlich in Bezug auf die Militärärzte sein Einverständniß aus\prach. Die Po- fitionen des Kapitels wurden bewilligt, ebenso wie Kapitel 25 e„Naturalverpflegung“, wobei von der Militärverwaltung auf eine Anfrage erklärt wurde, daß man die Frage, ob Hafer dur Mais aus Sparsamkeitsrückfihten zu erseßen sei, im Auge be- halten werde.
Eine Diskussion erhob fich demnähst nur noch bei den ein- maligen Ausgaben, und zwar bei der Position „Neubau des Kasernements für die von Pirna nach Dresden zu verlegen- den zwei Escadrons des Garde - Reiter - Regiments erste Nate (150,009 4)“
Die Kommission beantragte, die hier geforderten 150,000 M gu streichen und die folgenden Resolutionen anzunehmen:
1) den Herrn Reichskanzler aufzufordern, - dem Reichstag den
lan der Königlih sächsishen Regierung vorzulegen, wonach die im
eidgeigenthum befindlichen militärishen Etablissements von Dres- den durch Neubauten daselbst erseßt werden; 2) zu erklären: indem der Reichstag den Titel in der vorliegenden Form ablehnt, spricht er seine Bereitwilligkeit aus, bei Prüfung des vorbezeichneten Planes auch die Frage in Erwägung zu ziehen, ob zur Ausführung s{ner Neubauten mit Rücksicht auf etwaige Garnisonverstärkungen in Dres- den aus Reichêmitteln Zuschüsse zu gewähren seien.
Der Referent Abg. Dr. Wehrenpfennig suchte darzuthun daß es sih hier um ein zum Schaden des Reichs mit Sachsen abgeshlossenes Geschäft handle, wobei auch der Abg. Richter (Hagen) das Vorgehen des sähsishen Kriegs-Ministeriums tadelte. Der Bundesbevollmächtigte Major Edler von der Planigz konnte ver- fichern, daß das Abkommen, das über diesen Gegenstand zwischen Der sähsishen Militärverwaltung und dem sächsishen Staat ge- troffen wurde, bereits vor Erlaß des Reichs-Eigenthumsgesezes geshah. Die sähsishe Regierung würde übrigens die zur Be- urtheilung der Sachlage nöthigen aufklärenden Aktenstücke auf Verlangen dem Reichstage gern zur Verfügung stellen. Ob- wohl die Abgg. Günther (Sachsen) und Krause den Sachverhalt des Baues der in Rede stehenden Kasernen aus näherer Kenntniß dargelegt und hervorgehoben, daß der Sache keineswegs, wie es den Anschein habe, ein Geschäft auf Kosten des Reihs zu Gunsten des Staates Sachsen zu Grunde liege, vielmehr durch den betreffenden Bau der Militärverwaltung des Reiches allein Vortheil erwachse, wurde die betreffende Position des Titels 21 hierauf mit großer Majorität vom Hause geftrihen und die von der Kommission beantragten beiden Resolutionen ange- nommen.
Seitens der Budget-Kommission lag ferner der Antrag vor, die Summe von 55,320 s für Eisenbahn-Transportkosten behufs Heranziehung des 3. Garde-Regiments zu Fuß und des 4. Garde-Grenadier-Regiments Königin zu den Herbstübungen des Garde-Corps zu streihen. Der Referent motivirte den An- trag mit Hinweis darauf, daß die beiden Regimenter bisher mit den Truppen des X. resp. VIIl, Armee-Corps manövrirt hätten. Der Staats-Minister v. Kameke bat um Bewilligung der Summe, da sich das Bedürfniß herausgestellt hätte, die Regimenter mit dem Gros des Garde-Corps operiren zu sehen (S. unter Reichstagsangelegenheiten) ; mit Rückficht hierauf waren auch die Abgg. Dr. Lucius (Erfurt) und Rickert gegen den Kommisfionsantrag, der vom Abg. v. Adelebsen mit Rück- fiht auf die Finanzlage des Reihs empfohlen wurde. Da die Abstimmung durch Probe und Gegenprobe zweifelhaft blieb, \o bedurfte es einer Zählung der Stimmen, welche die Bewilligung der Position mit 150 gegen 104 Stimmen ergab. (Gegen die- selbe stimmte das Centrum, die Fortschrittspartei und wenige Mitglieder der national-liberalen Partei.)
Bei dem Kapitel: „Außerordentlihe“ Zushüsse wurden \chließlich ohne Widerspru folgende von der Budgetkommission vorgeschlagene Resolutionen angenommen :
1) Die Erwartung auszusprechen, daß künftig viht ohne vorhe- rige Genehmigung des Reichstages die für eine bestimmte Kaser- nirung angewiesene Bausumme zu anderweitigen Kasernementszwecken ganz oder theilweise verwendet werde.
2) Die Militär-Verwaltung zu ersuhen, künftig dem Etat eine Uebersicht der für im Bau begriffene Kasernen erwachsenen und vor- ausfihtlich noch erwachsenden Kosten sowie über die für Kasernen- bauten bereits bewilligten und noch reservirten Beträge mitzutheilen, au die Forderungen für Kasernenbauten durch ausführlihe Dar- legung der Garnifonsverhältnisse und die Bestimmung der etwa ver- fügbar werdenden Kasernements zu vervollständigen.
Dami war die zweite Berathung des Militär-Etats erledigt.
Um 4 Uhr wurde die Sißung aufgehoben, um 74 Uhr Abends fortgeseßt zu werden.
In der Abend sißung, welher um 7} Uhr am Tische des Bundesraths der Präsident des Reichskanzler:Amts, Staats- Minister Dr. Delbrück, mit verschiedenen Kommissarien bei- wohnte, wurde die zweite Lesung des Budgets fortgeseßt und zu- nächst der Etat des Reichstags nach einigen Bemerkungen der Abgg. Frh. v. Stauffenberg und v. Vahl, die fich nur auf dessen formelle Auffielung beziehen, bewilligt.
Das Kapitel 66 der Ausgaben im Ordinarium, welches die Kosten der Verzinsung der Reichs\{huld mit im Ganzen 3,992,700 F aufführt, ift in der Budgetkommission einer sehr eingehenden Prüfung unterzogen worden, deren Resultat in dem Vortrage des Referenten Richter (Hagen) mit- getheilt wurde. Die Anträge der Budgetkommission bezwecken hier eine Absezung von nicht weniger als 850,000 M und diese, ebenso wie 2 Millionen Mark, welche die Kommission aus dem Uebershusse des Jahres 1875 in den Etat für 1876 als Einnahme einzustellen beantragte, solleu das Gleichgewicht im Budget erhalten, ohne die Matrikularbeiträge erheblih er- Höhen oder die neuen Steuern bewilligen zu müssen. — Der Präsident des Reichskanzler - Amts, Staats-Minister Dr. Del- brück glaubte der Geschicklichkeit volle Annerkennung wider- fahren lassen zu können, mit welcher die Budgetkommission einen eigenen Finanzplan dem der Reichsverwaltung gegenüber gestellt hat, er habe indessen gegen denselben um so gewitigere Bedenken, als seine Durchführung vorausfihtlich die Veran- lassung für ein ungewöhnlih hohes Defizit im Etat des Jahres 1877 sein würde. Dennoch glaubte die Finanzverwaltung des Reiches den Finanzvorshlaz der Kommission niht von der Hand weisen zu sollen, sondern war bereit, den Versuch zu machen, damit zu wirthshaften. (S. unter Reichstagsangelegenheiten.) Die Einnahmen aus den Zöllen und Verbrauchs steuern gaben dem Referenten Richter Gelegenheit zu einer Replik , in welcher er die Prophezeihung eines erheblihen Defizits im Etat für 1877 mit Rücksicht auf den steigenden Charakter dieser Einnahmen zurück- zuweisen suchte.
Als Mehreinnahmen hat die Kommission ferner în den Etat eingestellt: 1) ein Plus beim Gewinn der Ausprägung der Reihsmünzen, sowie bei sonftigen Einnahmen aus der Münzreform von 2,400,000 4; 2) an Zinsen vom Festungs- baufonds 360,000 ## und vom Reichseisenbahnbaufonds 600,000 M; 3) ‘aus den Binserträgnifsen der franzöfishen Kriegsentshädigung bis zum Ablauf des Jahres 1875 3,000,000 Æ# Nah einigen erläuternden Bemerkungen des Re- ferenten Richter wurden diese sämmtlihen Positionen nah den Anträgen der Budgetkommission genehmigt.
Eine von der Budgetkommission vorgeshlagene Resolution,
zu erklären: „Die verspätete Vorlage des Etats in diesem Jahre hat eb nicht ermöglicht, den Etat auch in Bezug auf die gegen das Vorjahr vieifah veränderte Form der Aufstellung überall einer eingehenden Prüfung zu unterziehen; aus den zustimmenden Beschlüssen des Reichs- tages zum Etat kann daher nicht gefolgert werden, daß er die fest- geseßte Form überall auch für die Etatsaufstelluug im nächsten Jahre zur Anwendung gebracht wissen will*, fand ebenfalls die Zustimmung des Hauses.
Die Etats des allgemeinen Pensionsfonds und des Reichs- Invalidenfonds passirten ohne Diskussion.
Die Gesetzentwürfe über ‘die Brau- und Börsen- steuer wurden hierauf ohne Diskussion verworfen. (Für die legztere Steuer stimmten die Konservativen.)
Damit war die zweite Berathung des Budgets und der damit in Zusammenhang stehenden Vorlagen beendet bis auf die definitive Feststellung der Matrikularbeiträge, die natürlich von der Feststellung der übrigen Einnahmen abhängig find und nach dem Vorschlage des Präsidenten erst in der dritten Be- rathung festgestellt werden follten.
Der Präsident des Reichskanzler- Amts Staats- Minister Dr. Delbrück gab freilih zu bedenken, daß es bis zum Sonn- abend nicht möglich sein werde, die Matrikularbeiträge ent- sprechend auf die Bundesftaaten zu repartiren, weshalb die Vertheilung einer \päteren Vorlage vorbehalten bleiben müsse, bei welher Abg. Dr. Lasker die Rechte des Reichstags gewahrt zu sehen wünschte.
Das Etatsgeseß selbsst wurde nach wenigen Bemerkungen des Abg. Rickert als Referenten mit der alleinigen Abänderung angenommen, daß in §. 3 der Reichskanzler ermächtigt wird, behufs Beschaffung eines Betriebsfonds zur Durchführung der Münzreform Schaßanweisungen bis zum Betrage von 53 Mil- lionen Mark (statt 50 Millionen Mark) auszugeben.
Damit war die Tagesordnung erschöpft.
Schluß 9# Uhr.
— In der heutigen (30.) Sizung des Deutschen Reichs- tages, welcher am Tische des Bundesraths der Präsident des Reichskanaler-Amts, Staats-Minister Dr. Delbrück, und der Staats-Minister v. Pfreßshner mit mehreren Kommissa- rien beiwohnten, stand zunächst zur Berathung der An- trag des Abg. Hasenclever, betreffend die Auf- hebung des bei dem preußishen Amtsgeriht in Celle oegen den Abg. Reimer \{chwebenden Strafverfahrens. — Der Antrag wurde, der Praxis des Hauses gemäß, ohne De- batte genehmigt. In der darauf folgenden erften und zweiten Berathung des Gesezentwurfs, betreffend die Abänderung des 8. 44 des Geseßes wegen Erhebung der Brausteuer vom 31. Mai 1872, bedauerte der Abg. Dr. Lasker, daß die Einbrin- gung der Vorlage erft so spät zur Kenntniß des Hauses gekom- men sei, was eine Information über die Wünsche der betreffenden Bevölkerung in dieser Beziehung verhindert habe. Er bean- tragte daher die Wirksamkeit. des Gesezes «auf ein Jahr zu beshränken, um der Bevölkerung in. Sachsen-Meiningen, Coburg-:Gotha und Reuß ä. L. Gelegenheit zu geben, ihre Wünsche darüber zu äußern, ob sie die Last der höheren Brau- fteuer überhaupt noch weiter tragen will, wobei der Abg. Dr. Reichensperger (Crefeld) die Brausteuer von allen mit Surro- gaten verseßten Bieren um das Doppelte zu steigern wünschte, dagegen die Steuer für echtes Bier vermindert sehen wollte. Das Haus genehmigte die beiden Paragraphen des Gesehz- entwurfs, nur wurde in §. 1, welcher lautet:
„Der zweite Absaß des §. 44 des Geseßes wegen Erhebung der Brausteuer vom 31, Mai 1872 wird dur folgenden Saß crsetzt:
In den Herzogthümern Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg- Gotha, sowie in dem Fürstenthum Neuß älterer Linie darf jzedoch von dem Centner Malzschrot derjenige Betrag, um welchen die dort zur Zeit geseßlich bestehende Brausteuer von Malzs{hrot dea Saß von 2 M. für den Centner übersteigt, bis auf Weiteres, jedoch nur insoweit, als die Steuersäße dieses Gesezes keine Veränderung erleiden, für privative Rehnung der genannten Bundesstaaten fort- erhoben werden“ ;
auf den Antrag des Abg. Dr. Lasker, in Absay 2 statt der Worte „bis auf Weiteres“ gesezt: „bis zum 1. Januar 10,
Darauf wurde in dritter Berathung der Gesezentwurf, be- treffend die Einführung des, Geseßes über die Portofreihei- ten vom 5. Juni 1869 in Südhessen- auf Grund der in zweiter Berathung unverändert angenommenen Vorlage ohne Debatte genehmigt. Es folgte die dritte Berathung des Gesetz- entwurfs, betreffend die Abänderung des Artikels 15 des Münzgeseßzes vom 9. Juli 1873. (S. Nr. 291 d. Bl.)
Der Abg. Rohland \prach den Wunsch aus, daß im Interesse der raschesten Einführung der Goldwährung die Verdrängung der Noten der Zettelbanken aus dem Verkehr durhch die Reichsbank in der Weise gefördert werden möge, daß die Reichsbank jene Noten eine gewisse Zeitlang an ihren Kassen annehmen, aufsammeln und den Zettelbanken zur Cinlösung präsentiren möge. Der Präsident des Reichskanzler - Amts, Staats-Minister Dr. Delbrück erwiderte darauf, daß das vorgeschlagene Mittel gerade die entgegengeschte Virkung äußern und die Noten der Zettelbanken in dem Pri- vatverkehr noch für längere Zeit festhalten würde. Die Vorlage wurde alsdann bei Shluß des Blattes unverändert nah den Beschlüssen der zweiten Berathung genehmigt.
— Ueber den Schiffbruch des Dampfers „Deuts\ch- land“ kann noch Folgendes aus dem Auswärtigen Amt zu- gegangenen Berichten mitgetheilt werden.
Der Kapitän Brickenstein hatte aus Besorgniß, zu nahe an die so weit in die See reihenden gefährlihen Sandbänke der holländishen Küste zu gerathen, \fich, wie das alle größeren Schiffe thun, der englishen Küste genähert, um das bekannte Feuer „the Galloppers“ zu finden, und dann den fiheren Kurs durch die Meerenge von Dover bestimmen zu können.
Durch Umstände, die noch niht aufgeklärt find, vielleicht Abweichung des Kompasses, wie sie auf großen eisernen Schiffen oft vorkommt, oder irgend einen Rechnenfehler, war das Schiff weiter und mehr nördli gelaufen, als der Kapitän annahm; er war zwischen dem Feuershisse und der Küste durhgefahren, ene bei dem ftarken Schneesturm das Leuchtfeuer bemerken zu
önnen.
Alle Vorsichtsmaßregeln \heinen beobachtet worden zu sein es wurde das Scnkblei geworfen, der Kapitän und die Lootsen an Bord waren die ganze Nacht auf der Brücke. Als der Ka- pitän bemerkte, daß er sih einer gefährlihen Brandung nähere, gab er den Befehl „Volldampf zurück*, da brach die Schraube, und das \{öône Schiff wurde hülflos den Wellen preisgegeben und auf die Sandbank geworfen.
Ohne diesen Unglücksfall, der wohl niht vorauszusehen und zu verhindern war, würde das Schiff troy des Fehlers im Course ficher gerettet sein.
Das Benehmen des Kapitäns und der Mannschaft ift nah der Ausfage aller Passagiere musterhaft gewesen und die deutsche Handelsmarine kann daher ruhig und mit Stolz dieser Unter- suchung entgegensehen.
Dagegen bedarf die Thatsache, daß ein Schiff fast dreißig Stunden in der Nähe der Küste und in Sicht von zwei Leucht- schiffen (das Wetter wurde nämlich am Montag nach dem Shneesturm ganz flar) liegen konnte, auch nah englishem Urtheil noch der näheren Aufklärung.
Die englische Presse beklagt einstimmig und lebhaft, daß in einem so bedeutenden Hafenplaßze wie Harwich kein Rettungsboot sih befinde, während fast jedes kleine Dorf an der englischen Küste ein solches besitzt.
Die Nothsfignale, durch das Feuerschiff wiederholt, wurdeu erst am Montag Abend gegen 6 Uhr in Harwich bemerkt. Ein im Hafen liegender Shleppdampfer heizte sofort, hielt es aber bei dem hohen Seegang für gefährlih, vor Tagesanbruh in See zu gehen. Nach Ausfage des Kapitäns und des Steuer- manns würden sie es aber doch gewagt haben, falls fie ein Rettungsboot hätten ins Schlepptau nehmen können.
Dem Kommandanten der Küstenwache, der die Nothsignal- Rakete des Feuerschiffes durch eine Rakete beantwortete, darauf aber, wie die Zeitungen behaupten, \fich weiter nicht um die
‘Sache bekümmerte, werden bittere Vorwürfe gemacht, und wird
er, falls diese Vorwürfe begründet find, einer strengen Strafe gewiß nicht entgehen.
Die Sandbank, auf der die „Deutshland“ ftrandete, ist 17 englishe Seemeilen von Harwich entfernt, und \o gelangte das Schiff erst gegen 10 Uhx an Ort und Stelle und mußte bei dem hohen Seegange und ohne Rettungsboot noch über eine Stunde warten, ehe es an das Wrack gelangen konnte. Die Passagiere hatten eine fürhterliße Nacht, fie hingen Alle in der Takelage; diejenigen, die untergingen, konnten fich niht halten und find ermattet und erstarrt auf De und ins Wasser ge- fallen. Bei der Kälte hatten die Shwimmgürtel, mit denen sämmtlihe Verunglückte versehen waren, keinen Nugen.
Dec Kapitän flüchtete sich ers in den Mast, nachdem er von der Kommandobrücke heruntergespült war; sein Benehmen ist ganz musterhaft gewesen, so sagen einstimmig alle Passagiere ; ebenso hat die Mannschaft bis zum legten Augenblick ihre Pflicht auf das Treusfte erfüllt.
Nachdem die Geretteten ans Land gebracht worden, ift für sie vorzüglih gesorgt; sie find durch die Einwohner auf das Beste verpflegt, es sind Sammlungen für sie veranstaltet und ist Alles geschehen, was irgend Menschenliebe für sie thun konnte.
Wenn nach dem Schiffbruch des „Schiller“ in den Seestädten und namentlih unter den Rhedern Stimmen gegen die Unter- suchung solcher Unfälle dur fremde, namentli englishe Behörden [laut geworden find, so stellen auch na dem Urtheil von Deutschen in England solche Klagen si als unbegründet dar; dieUntersuhung solcher Unglücksfälle an Ort und Stelle, ganz unabhängig von der Nationalität des Schiffes, sei im Interesse der Sicherheit der Schiffe und der Passagiere auf Handelsshifen von dem aller- größten Nugzen. Es handelte sih bei einer solchen Untersuhung weder um ein Strafverfahren, noch um Civilansprüche, es han- delte sih lediglih um die Feststellung des Thatbeftandes, nament- lih darum, wie das Unglück entstand und was nachher zur Rettung der Unglücklihen geshah. Die Mannschaft des Schiffes und die Bewohner der Küste seien beide dabei betheiligt, und deshalb sei es rihtig, daß die Behörden an der nähsten Küste eine solche Unterfuhung führen. Eine UntersuGßung an dem Heimathsorte des Schiffes sei ja dadurch durhaus nit aus- geshlossen. Daß eine solhe Untersuhung in England voll- ftändig unpartheiish geführt werde, dafür bürgt der ehrenwerthe Charakter der Nation und die allerunbeshränkteste Oeffentlichkeit bei den Verhandlungen.
Die Rettung des Hohbootsmannes Bock if für fich eine tragishe Episode. Indem er das Rettungsboot mit zwei Mann klar mate, wird er mit demselben fortgetrieben und, nahdem seine Kameraden erstarrt gestorben, bei den Befestigungen von Sheerneß angetrieben und durch den Posten auf die Wache ge- führt. Dort wurde er vortrefflih im Militär-Lazareth verpflegt und reihlich beschenkt: sein Schicksal hat so große Theilnahme gefunden, daß ihm ein Photograph sofort 10 Pfd. Sterl. bot, um feine Photographie aufnehmen zu dürfen.
Das Board of Trade behält ihn auf seine Kosten als Zeu- gen dort. Die Untersuchung wird wohl erst nach Weihnachten stattfinden können.
Wir sind ferner in der Lage, die Anfrage des Grafen Derby wegen Einleitung der Untersuchung und die darauf er- folgte Antwort des Kaiserlihen Botschafters in London mit- zutheilen :
London, den 8. Dezember 1875.
: Herr Botschafter, Die Aufmerksamkeit des Englischen Handels-Amtes is auf den
Untergang des deutschen Schiffes „Deutschland“ be Kentish Knock gelenkt worden und das gedahte Amt wünscht mit Nachricht darüber versehen zu werden, ob die Kaiserliche Regierung den Wunsch hege, daß e amtlihe Untersuhung der Sache in diesem Lande abgehal- en werde.
Ich habe deshalb die Ehre, Eure Excellenz zu ersuchen, mir die Ansicht Jhrer Regierung in dieser Beziehung sobald als möglich ge- fälligst mitzutheilen. -
Ich habe die Ehre 2c.
In der Abwesenheit des Earl of Derby: Robert Burke. Sr. Excellenz Herrn Grafen Münster 2c. 2c.
London, den 11. Dezember 1875. Milord,
__ Auf Ew. Excellenz sehr gefällige Note vom 8. d. Mets. bechre ih mich ganz ergebenst zu erwidern, daß die Kaiserliche Regierung mit Vornahme der amtlichen Untersuchung wegen des in der Nähe von Harwih stattgefundenen Unterganges des Bremer Schiffes an durch die englishen Regierungsbehörden einverstan- en ift,
Indem ih sonach seiner Zeit einer gefälligen Mittheilung über das Ergebniß ¡OE Untersuhung mit großem Interesse entgegensehe, bitte ih Ew. Excellenz im Namen meiner Regierung den Dank für die bei diesem Anlaß bekundete Bereitwilligkeit gütigst entgegennehmen zu wollen. Mit der ausgezeihnuetsten Hohaung Ä
nster.
Sr. Excellenz dem Herrn Grafen von Derby 2c. 2c.
— Tie heutige (20.) Sizung der außerordentlichen Generalsynode wurde um 10 Uhr 30 Minuten durch den Vorsigenden, Grafen zu Stolberg - Wernigerode, mit ge\chäft- lihen Mittheilungen eröffnet.
Auf der Tagesordnung stand die zweite Berathung des Regierungsentwurfs von S. 21 ab. |
Die §8. 21—24 wurden ohne Diskussion angenommen.
Zu § 25 lag ein Antrag des Synodalen Pr. Schrader (Königsberg) vor, wonach der Paragraph die Fassung erhalten soll: „Der Präsident der Synode leitet die Verhandlungen und handhabt die äußere Ordnung.“
Die Synode trat diesem Antrage mit großer Majorität bei.
Der §. 26 wurde vorläufig abgesezt und soll später be- xathen werden.
Der §. 27 wurde mit einem Abänderungsantrag des Sy- nodalen Dr. Schrader (Königsberg) — die Eingangsworte: „Die Mitglieder — Präses“ zu streichen und dahin zu fassen: „Die Mitglieder werden nach Konstituirung des Präsidiums von dem Präsidenten“ — angenommen.
Zu Alinea 2 des §. 28 beantragte der Synodale Dr. Nieden (Coblenz) ftatt „wird eröffnet“ zu seßen: „beginnt“, und vor dem Worte „die Synode“ zu seßen „und endet mit einem kurzen Segenss\pruh“.
Mit diesem Amendement fand der ganze Paragraph eine einstimmige Annahme.
Der §. 29 gab zu weiterer Diskussion keinen Anlaß und wurde ohne Debatte angenommen.
Bei Berathung des §8. 30 beantragte der Synodale Schnie- wind (Elberfeld) statt „Synodalvorstand“ zu segen: „das Prä- sidium“ und den Paragraph hiernach redaktionell zu ändern.
Die Synode nahm diesen Antrag und mit ihm den Para- raph an.
i Pit der Berathung des §. 31 beschloß die Synode sofort die über §. 34, sowie die ausgesezte Berathung über §8. 10 und 26 zu verbinden.
Zu diesen Paragraphen lagen folgende Amendements vor:
1) vom Synodalen Dr. Slhrader (Königsberg):
a. den 2. Saß des §. 10: „Der Generalsynode 2c. bis vorzu- legen“ zu streihen und dafür zu sagen: „Der Generalsynode, und in den Jahren, in welchen sie sich nicht versammelt, dem Synodalvor- stande (S. 31), ist die Jahresrechnung über diese Fonds zur Prüfung und Ertheilung der Eatlastung vorzulegen“ ;
b, im §. 26: a. den ersten Saß: „Nachdem die Synode — von Bedeutung sind“ zu streichen und dafür zu sagen: „Der Vorsißende des Synodalvorftandes eröffnet die Synode, berichtet über die big- herige Wirksamkeit des Synodalvorstandes während der verflofsenen Synodalperiode, fowie über die Verhandlungen der während derselben Zeit abgehaltenen Provinzialsynoden, soweit sie für die gesammte Undeékirhe von Bedeutung find“; b. den Saß: „zu leßterem Zwecke — mitzutheilen" ganz zu streichen; e. statt der Schlußworte in Alinea 1: „die Wahl des neuen Vorstandes“ zu sagen: „die Mahl des Präsidiums“;
c. die Nr. 7 des §. 31 ganz zu streichen;
d, im §. 34 Alinea 3 statt: „fällt in den Jahren aus“ zu sagen: „kann in den Jahren ausfallen“.
2) Vom Synodalen Dr. Gierke (Breslau):
a, in §. 31 die Nr. 3 zu streichen und dafür als Nr. 3 folgende Worte einzufügen: „Er hat die Jahresrechnungen, welche der Generalsynode und dem Synodalrath von dem Evangelischen Ober- Kirchenrath zur Entlastung vorzulegen sind (§. 10 und §. 34), einer Vorprüfung zu unterziehen, und die darüber aufgenowmenen Ver- handlungen dem Evangelischen Dber-Kirchenrath zur Kenntnißnahme und dann mit den Rechnungen der Genecalsynode und dem Synodal- rathe mitzutheilen. *
Þ, den §. 34 folgendermaßen zu fassen: „Der Synodalrath (F. 20) wird in jedem Jahre, in welchem die Generalsynode nicht zusammentritt, in Berlin versammelt. Seine Berufung e:folgt auf Verlangen des Evangelischen Ober-Kirchenraths oder nach Verein- barung mit demselben durch den Vorsißenden des Synodalvorstandes, welcher in ihm auch den Vorfiß führt. Seine Versammlung wird auf Anordnung des Evangelischen Ober-Kirchenraths ges{lossen. Der Präsident uxd die Mitglieder des Evangelischen Qber-Kirchenraths find berechtigt, an den Sißungen des Synodalraths Theil zu nehmen; der Präsident und die von ibm bestellten Vertreter der Kirchen- regierung können jederzeit das Wort ergreifen und Anträge stellen. Der Synodalvorstand ordnet die Geschäftsführung des Synodalraths gn erstattet ihm Bericht über seine Wüksamkeit im verflossenen
ahre. “
„Der Synodalrath hat:
1) die Vorlagen des Evangelischen Ober-Kirchenraths zu erledigen und über die Aufgaben und Angelegenheiten der Landeskirche zu be- rathen, in welchen die Kirchenregierung seinen Beirath zur Feststellung leitender Grundsätze für nothwendig erachtet ;
2) er ist berechtigt, Anträge zur Vertretung der Rechte und Interessen der Landeskirhe und auf Beseitigung von Mängeln in der Kirchenverwaltung an den Evangelischen Ober-Kirchenrath zu richten;
3) cr vertritt die niht v2rjammelte Generalsynode, wenn Anord- nungen, welche regelmäßig der bes{ließendèn Mitwirkung der General- synode bedürfen, wegen ihrer Unaufschieblichkeit durch kirchenre,,iment- lihen Erlaß provisorisch getroffen werden sollen. Solche Erlasse kônnen nur ergehen, wenn der Synodalrath sowohl die Unaufschieb- lihkeit anerkennt, als auch ihrem Jnhalte zustimmt, und mit aus- drückliher Erwähnung dieser seiner Mitwirkung. Sie sind der nâchsten Generalsynode zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen, Und, wenn die leßtere versagt wird, außer Wüksamkeit zu jeßzen;
4) er hat in den Jahren, in welchen die Generalsynode fih nit versammelt, die Jahresrechnungen über die in §. 10 bezeichneten Fonds zu prüfen und die Entlastung zu ertheilen. Er kann auc über die Grundsäße für die Verwendung dieser Fonds Anträge stellen, und darüber in Vertretung der Generalsynode und vorbehaltlich ihrer spä- leren Genchmigung Vereinbarungen mit dem Evangelishen Obéer- Kirchenrath treffen.“
An der Debatte, welche das Verhältniß des Synodalrathes zum Synodalvorstand zum Gegenstand hatte, betheiligten \ich die Synodalen Hol (Marrin), v. d. Golß (Bonn), Dr. Gierke (Breslau), Krummacher (Brandenburg), Dr. Cremer (Greifswald), Boretius (Halle), Wiesmann (Münster), der Ober-Konsistorial- Rath Hermes und der Ministerial-Direktor Dr. Förster.
ei der nunmehr erfolgenden Abstimmung wurden die §§. 31, 10, 26 und 24 mit den Amendements Schrader an- genommen, die Anträge Gierke dagegen sämmtli verworfen. 6 Zu §. 32 beantragte der Synodale Dr. Schrader (Königs- erg):
a. in der Schlußzeile des Alinea 1 ftatt der Worte: „dem Synodalpräses* zu seßen: „seinem Vorsitzenden“ ;
b. ebeuso in Alinea 3 das Wort: „Präses* zu erseßen dur: „Vorsitzenden“.
Die Synode nahm den Antrag ohne Diskussion mit dem Paragraphen an.
Zu §8. 33 beantragten :
1) Der Synodale Dr. Schrader (Königsberg) :
Nr. 2 die Worte: „und der zur Ausführung der landeskirchlichen Gesetze erforderlichen Instruktionen“ zu streichen.
2) Der Synodale Dr. Gierke (Breslau) :
,… a, bei Nr. 2 die Worte hinzuzufügen: „so wie bei Erlaß. kirh- liher Verordnungen“ ; |
b, die Nr. 3 folgendermaßen zu fassen: „bei dem Evangelischen
Ober - Kirchenrath zustehenden Vors&lägen für die General - Super- intendenturen, so wie sonstiger kirhenrezimentlicher Aemter® :
c. al2- Nr. 5 die Worte hinzuzufügen: „wenn dem Beschluß einer l lut die kirchenregimentlihe Bestätigung versagt wer- en foll“.
Der Paragraph giebt die Gegenstände an, in welchen der Evangelische Ober-Kirchenrath mit dem Synodalvorstand zusam- menzuwirken hat. An der Debatte betheiligten sich die Syno- dalen Gerke (Breslau), v. d. Gol (Bonn), Hering (Arnsberg), Wunderlih (Breslau), v. Kleist-Rezow, Altmann (Glogau) und der Ober-Konsistorial-Rath Hermes.
Bei der nunmehr erfolgenden Abstimmung wurden die zu Nr. 2 beantragten Abänderungsanträge Dr. Schrader und Gierke verworfen; der zu Nr. 3 gestellte Antrag Gierke und Nr. 4 nach der Vorlage angenommen, die vom Synodalen Dr. Gierke beantragte Nr. 5 dagegen verworfen.
(Schluß des Blattes.)
— Ein Kreis-Synodal-Vorstand hatte über den Einspruch gegen zwei gewählte Gemeinde-Aelteste auf Grund des S. 55 Nr. 8 der Kirchengemeinde- und Synodalordnung eine Entscheidung getroffen, die nur von vier Mitgliedern des Vor- ftandes erlaffen, weil das fünfte Mitglied mit Tode abgegangen war und dessen Ersezung durch eine Neuwahl Seitens der Kreis\ynode noch nicht hatte erfolgen können. Der Gemeinde- Kirchenrath erhob Bedenken, ob diese Entscheidung für legal ge- faßt anzusehen ift, weil der §. 55 a. a. O., legter Absatz, vor- schreibt, daß bei Beschlüssen dieser Art die sämmtlihen Mit- glieder des Vorstandes Theil nehmen müssen. Das betreffende Konsistorium hat diesen Zweifel für unbegründet erklärt, und der Evangel'she Obver-Kirchenrath is dieser Entscheidung beiuetreten. Die Schlußbeftimmung des §. 55 a. a. O. is nur dahin zu verstehen, daß an den bezeihneten Beschlüssen die sämmtlichen dem Kreis\ynoda(-Vorstand angehörigen Mitglieder \sih bethei- ligen müssen, hat aber keineswegs die Absicht, den Vorstand, o lange er nur noch die Minimalzahl von drei Miigliedern ent- hält, für gewisse Geschäfte als handlungsunfähig zu erklären, wenn etwa das eine oder andere seiner Mitglieder ausgeschieden und eine Ergänzungswahl nohch nit vollzogen ist.
— Der Antrag des Staatsanwalts auf Einleitung einer Voruntersuchung und Ernennung eines Untersuhungs- rihters kann vom zuständigen Geriht aus dem Grunde, weil eine strafbare Handlung nicht vorliege, niht zurückgewiesen wer- den. (Beschluß des Ober-Tribnals vom 23, November d. J.)
— Der Kaiserlihe Botschafter Fürs zu Hohenlohe hat Paris am 14. d. Mts. mit kurzem Urlaub verlassen. Während seiner Abwesenheit fungirt der Botscyafts-Rath Graf von Wesdehlen als interimistisher Geschäftsträger.
— Der Bundesraths-Bevollmächtigte, Königlih \ächsisher Geheimer Finanz-Rath Wahl, ist nah Dresden abgereist.
— Das Iustiz-Ministerialblatt enthält einen vom Geheimen Ober-Justiz-Rath Kurlbaum 11. verfaßten Aufsfay : Die Ge- nehmigung des Gegenvormundes zu Rechtsgeschäfteu des Vormundes.
— S. M. S. „Gagzelle“', deren Ankunft in Sydney am 4. Dftober cr. von dort telegraphisch gemeldet wurde, hat nit, wie die soeben eingelaufenen brieflihen Nachrihten ergeben, Sydney, sondern den Hafen Brisbane in Australien (nördli von Sydney gelegen) angelaufen, um für die Weiterreise nah Auckland Kohlen und Proviant aufzufüllen.
Das Schiff hatte Amboina (Molukken-Insel) am 11. Iuni cr. verlassen, am 15. de}. Mis. in der Mc. Cluer-B1y, West- füste Neu - Guineas, geankert, von - dort die Reise am 21. Juni fortgeseßt, hat dann durch die Galevo- und Dampier - Straße gehend, den Kurs auf die Anacho- riten - Inseln gesezt, und dieselben am 8. Iuli ange- steuert, wegen Mangel eines Ankergrundes, daselbst aber nur kurzen Aufenthalt genommen. In den Tagen vom 27. Juli bis 22. August hat S. M. S. „Gazelle“ sodann mehrere theilweise noch unbekannte Häfen auf den Inseln New- Hannover, New-Irland und New-Britain besucht, danach vom 25. bis 29. August bei der Insel Bourgainville (Salomon- Inseln) geankert und um Vorräthe einzunehmen am 21. Sep- tember den Hafen von Curtis (Ostküste von Ausiral ien) ange- laufen. Da solche dort niht zu erlangen waren, seßte das Schiff am nächsten Tage die Reise nah Brisbane fort und langte daselbst am 29. September cr. an.
Erfurt, 16. Dezember. Vorgestern und gestern wurde hier das 50jährige Amtsjubiläum des Ober-Regierungs- Raths, Freiherrn v. Tettau, feftlih begangen.
Bayern. München, 15. Dezember. Se. Majestät der König hat unter Aufhebung aller entgegenstehenden Bestim- mungen, namentlich der Militär-Ersazinstruftion vom 30. Juli 1872,
„die — unter Zugrundelegung der deutschen Wehrordnung vom
28. September d. I. — festgestellte „Wehrordnung für das Königreich Bayern“ genehmigt. Dieselbe wird in dem heut ausgegebenen Gesez- und Verordnungsblatt bekannt gegeben. — Bei Beginn der heute hier vorgenommenen Wahlen der Kirchenverwaltungen wurde in allen Pfarreien folgender Protest eingelegt: „In Erwägung, daß nah den Bestimmungen der Verfafsungsurkunde und des Konkordats nur die rômisch- katholishe Kirhe zu den anerkannten Kirchengesellshaften gehört, daß dagegen die sogenannten Altkatholiken von den berehtigten Organen dieser katholishen Kirhe aus ihrer Gemeinschaft ausgeshlofsen worden find und durch Bildung eigener Gemeinden fich thatsählih selb ausgeschlossen haben, \sohin bei fkatholishen Kirchenwahlen nicht stimmberehtigt sein können, protestiren die Unterzeihneten für fich und im Namen der rômish-katholishen Wählershaft gegen die Zulaffung der sogenannten Altkatholiken zum heutigen Waßhlakt." In den vom Magistrat aufgestellten Wählerlisten find übrigens nur Katholiken eingetragen worden. — Der König hat den zum Tode verurtheilten Raubmörder Battistela aus Italien nicht begnadigt; die Hinrihtung desselben wird in den nächsten Tagen dahier stattfinden. — Das Schwurgeriht verurtheilte den Redacteur des „Wendelstein“, Priefter Gasteiger, wegen Belei- digung des Gesammt-Ministeriums durch einen Artikel über die Wahlkreiseintheilung zu zweimonatliher Gefängnißstrafe.
Oesterreich-Ungarn. Wien, 15. Dezember. Im Ab- geordnetenhause fand die Spezialdebatte über das Budget des Finanz-Ministeriums statt. Der Finanz-Minister beantwor- tete die Ten Beschwerden bezüglih der Härten und Unregelmäßigkeiten der Steuerbehörden bei der Steuereinhebung
dahin, daß er bei ihm zur Kenntniß kommenden Fällert gerne Abhilfe treffen werde. Bezüglih des Salinenwesens erklärte der Finanz-Minister, er beabsihtige bezüclih der Reorganisirung des Salinenwesens tüchtige Fahmänner zu konsultiren und werde den ertheilten Rathshlägen und Wünschen die vollste Aufmerk- samkeit zuwenden. Das Budget des Finanz-Ministeriums wurde unverändertnachden Ausshußanträgen angenommen, sodann die Be- rarhung des Budgets des Handels-Ministeriums begonnen. Vor dem SWhlusse der Sizung interpellirte Janovski, ob die Regie- rung von den traurigen Zuständen in Galizien in Folge eines nie da gewesenen herrshenden Futtermangels Kenntniß habe und welhe Maßregeln die Regierung ergreifen wolle. — Die „Tagespresse“ meldet : Die russishe Antwortsdepes\cche auf die Reformvorshläge des Grafen Andrafsy if Sonntag in der Wiener russischen Botschaft eingetroffen. Der russishe Bot- schafter wollte zu dem Grafen Andrafsy nah Pest reisen, dieser avisirte aber, daß er heute in Wien eintreffen werde, um dem russischen Botschafter die Winterreise zu ersparen.
Pest, 15. Dezember. Im Abgeordnetenhause wurde der Geseßentwurf über das Salzgefälle nah unbedeutender De- batte angenommen. Hierauf beantwortete Minister - Präsident Tisza die Jnterpellation Miletics betreffs der Auslösung der \lovakishen „Matica“ in dem bereits bekannten Sinne. Das Vereinsvermögen, \{chloß Tisza, sei in die Verwaltung des Staates übernommen worden, nahdem dasselbe nah dem Wortlaute der Matica - Statuten Eigenthum der slovafkishen Nation sei und er einen solhen Eigen- thümer in Ungarn nicht aufzufinden vermocht habe. Die Unter- suhung der Akten sei er bereit, einem vom Hause zu wählenden Aus\hu}se vorzulegen, jedoch nicht dem Vlenum des Hauses. Auf eine Anspielung Miletics erwidernd, bemerkte Tisza, er könne versichern, daß der Landesherr Ungarns es immer billige, wenn man energisch gegen Leute vorgehe, die gegen die Staats- ordnung wühle«. Nachdem Miletics und hierauf nohchmals der Minister-Präsident gesprochen, nahm das Haus mit allen Stim- men gegen die der Sachsen, Nationalen und äußerften Linken die Aniwort zur Kenntniß.
— 16. Dezember. (W. T. B.) In der heutigen Sizung des Unterhauses brahte der Abgeord.iete Ernst Simonyi eine Interpellation ein, in welcher er Auskunft darüber ver- langte, ob Seitens ODesterreih-Ungarns eine Ofkupation von Theilen der insurgirten Provinzen beabsihtigt sei, und wenn dieses der Fall sei, auf Beschluß welcher Mächte und zu welchem Zwecke es geschähe.
Frankreich. Nach manchen Anzeichen scheinen die Bo napar- tisten gegenwärtig ihre Absichten auf eine nähere Verbindung mit der ultramontanen Partei zu richten, und bei Leßterer eine solche Alliance vielfach günstiges Entgegenkommen zu - finden. Die bonapartistishe Presse vertritt, der bezeihneten Tendenz cnt- sprechend, jegt auch lebhafter wie früher die ultramontanen In- teresscn. Bezeichnend ist in dieser Beziehung ein Artikel der „Patrie“ vom 13. Dezember, in welhen das Kaiserreih den Ultramontanen als ein roh besserer Freund und Vertheidiger, wie das legitime Königthum empfoÿ;len wird. Der Artikel, wel- her ganz geschickt die Form einer Polemik gegen das „Univers“ annimmt, um die ultramontanen Verdienste des Bonapartismus in helles Licht zu stellen, lautet:
„Câsar“, sagt das „Univers“, Jesus Christus Krieg geführt“.
Der Name Câsars ist hier, wie wir glauben möchten, nur finnbildlih gebraucht.
Cs würde in der That für Cäsar — d. h. Julius Cäsar — s\chwer gewesen sein, Krieg gegen Iesus Christus zu führen und dies aus dem sehr einfahen Grunde, weil Jesus Christus zur Zeit des Julius Cäsar noch niht geboren war.
Es \cheint uns, daß Cäsar, als er sich Constantin nannte, nicht immer gegen Jesus Christus Krieg geführt hat, da er als der erste zum Christenthum Bekehrte, sein ganzes Volk bei seiner Bekehrung nah \ih zog.
Carl der Große, welcher die weltlihe Macht der Statthalter Jesu Christi gegründet hat, war er nicht ein Cäsar?
Napoleon, der die Altäre in Frankreich wieder aufgerichtet, der das Konkordat geschlossen hat, war er niht ebenfalls ein Cäsar?
Napoleon II[., ift er nit einer dec loyalsten und ergebensten Vertheidiger des Papstes gewesen ?
Ist der heilige Vater niht genau in dem Monat gefallen, wo in Frankreih die Kaiserlihe Gewalt unterlag.
Was auch die Câfaren gethan haben, was auch Napoleon I. selbst, aus politisher Nothwendigkeit, gethan haben mag, so scheint es uns, daß sie niemals annähernd dem heiligen Vater Demüthigungen der Art wie das Königthum auferlegt haben, welches in den Augen des „Univers“ allein die Ehrerbietung vor der Religion repräsentirt.
Haben die Câsfaren jemals Schläge gegen einen Papst ge- führt, wie Philipp der Schöne es that? Haben fie ihn je 70 Jahre eingeshlossen gehalten? Haben fie ihm jemals, wie es Ludwig XIV. that, \{merzliche Entshuldigungen auferlegt ?
Wir find wirklih erstaunt, vom „Unioers“ das Kaiserreich als dem Klerus feindlih hingestellt zu sehen, während unsere beiden Kaiser Napaleon 1. und Napoleon ll. beständig die geist- lichen, ebenso wie die weltlihen Juteressen der römisch:katho- lishen Religion aufrehterhalten und vertheidigt haben.
Will uns das „Univers“ etwa zu verstehen geben, daß der Klerus dem Kaiserreich die Herrschaf: der Radikalen vorzieht ?
Versailles, 16. Dezember. (W. T. B.) Die Natio- nalversammlung genehmigte in zweiter Lesung die Vorlage wegen Errichtung eines internationalen Bureaus für Maße und Gewichte und seßte die Senatorenwahl fort. Seitens der Rechten enthielten sih sehr viele der Stimmgebung. Es wurden gewätlt folgende zehn Mitglieder der Linken: Adam, Bérenger, General Billot, General Chareton, Cazot, Denor- mandie, Magnin, Laurent-Pichat, Schoelcher, Jules Simon. Dem Vernehmen nach will die Linke bei der morgenden Wahl den Kriegs - Minister de Cissey und den Unterrihzs-Minister Wallon unter ihre Wahlkandidaten aufnehmen. — In Depu- tirtenkreisen wurde die Nachricht, daß der Finanz-Minister Léon Say um seine Entlaffung eingekommen sei, für begrün- det gehalten.
Türkei. Belgrad, 16. Dezember. (W. T. B.) Aus Deputirtenkreisen verlautet, daß der Finanz-Minister Zan- kowitsch um seine Entlassung gebeten habe. — Jn der S kupschtina fand eine Intecpellation über die Schritte der Regierung zur Befreiung und Entschädigung von 2 in Bosnien verhafteten Serben durch die befriedigende Erklärung des Wiinisters des Auswärtigen ihre Erledizung.
„hat zu allen Zeiten gegen