1900 / 61 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

Tol. Solhe Fleishbeshau bei den Hauss{hlahtungen ift weder ausführbar, noch nothwendig. Sie ift nit ausführbar, denn fie würde die Schlahtung dergestalt aufhalten und vertheuern, daß der den Arbeitern zugefügte Schaden größer wäre als der beabsichtigte Bortheil. Dies ift au niht nothwendig. Die Bauern sollen gegen ihren Willen mit dieser Schau avs bygienishen Rücksichten beglüdckt werden; die Bauern werden {ih hon in Acht nehmen und find auf die Gesundheit ihrer Kinder und ihres Gesindes mindestens ebenso be- dacht wie die Freunde der Untersuchung des hausgeshlachteten Viehs. Wenn Fleis gut gekocht ist, sind di- Krankheitserreger, die Tuberkulose- Bacillen, die Trichinen und andere Schädlinge, unshädlih gemacht. Die Untersuchung würde übershläglih eine Last von etwa fes Millionen Mak auf die ländlihe Bevölkerung legen; sie würde wie eine Steuer wirken, die den gleihen Ertrag abwirft. Und das wollen Sie heute der Landwirthschaft bieten? Was die Einfuhr von Fleish betrifft, so hatte eine s{härfere Richtung in der Kommission dieselbe nah dem 31. Dezember 1903 unbedingt ausschließen wollen; zuleßt hat aber doh die Rücksicht auf die Industriearbeiter den Sieg davongetragen und so soll es auch nah diesem Z itpunkt gestattet sein, Schweine- \schmalz, Speck, reine Oleomargarine und Därme einzuführen. Dies sind die Artikel, weldse die Arbeiter am meisten kon]umteren. Ein weiteres Entgegenkommen gegen die Arbeiterbevölkerung bedeutet der Uebergangszustand, welhen wir bis Ende des Jahres 1903 ge- {hafen haben; bis dahin wird es unzweifelhaft möglich sein, die deutsche Niebproduktion so zu heben, daß sie den Fleishbeda:f des deutschen Volkes selbständig decken kann. Wer also die Doppelbeschau will, wer das Inland nicht \{lechter stellen will als das Auéland, der kann

egen diese Vorschläge absolut nichts einwenden. Man fürchtet Ge- A bten für den Handel. Das Gese rihtet h es nicht allein gegen Amerka, sondern gegen das Ausland überhaupt, ünd wer sein Recht benußt, beleidigt keinen. Der Handel hat \einerseits der Landwirth- hast noch nie auch nur das geringste Entgegenkommen bewiesen. Sebr gerne g: stehe ich dem Am-rikaner das Recht zu, ih vor ge“ pans{chtem Wein zu {üßh-n; ebenso und erst recht haben wir die Verpflichtung, uns gegen die Gefahren zu s{üßen, welche uns von dem amerifanishen Fleishimport drohen. Die Amerikaner werden sh \{chon fügen, wenn das Gun in Kraft ist; fürdteten sie das Gef-y niht, so würden sie ia niht mit Reprefsalien droben. Gerade die Viebzucht is es, welche auch dem kleinsten Bauer etwas einbringt. Das Gesey kommt gerade dem Mittelstande unter dem Bauernstande am meisten zu gute. Von fanatisher Lebensmiitelvertheuerung, von „agrarisher Begehrlichkeit kann diesem Gesetze gegenüber nicht mehr die Rede sein; die Vorlage enthielt im Gegentheil eine direkte Schädigung des Inlandes gegen- über dem Ausland. Ich bitte das Haus, auch die Mitglieder der Linken, der Fassung der Kommission zuzuftimmen, wie das Zentrum es thun wird.

Abga. Frese (fr. Vag.): Herr Gerstenberger hat sich doch wohl in den Industriezentren niht genügend umgesehen. Wenn er meint, es werde keine Preissteigerung eintreten, so kenne ih das Herz der Agrarier doh etwas besser. Es wird eine direkte Schädigung und Benac(theiligung der Arbeiter eintreten dur Vertheuerung des

leishes und durch Verringerung des Arbeitémaktes infolge des chließlich unvermeidlichen Zollkrieges mit der amerikfanishen Union. Ein solcher Schlag, wie er mit § 14 gegen Handel, Jadustrie und Siffahrt gerichtet wird, is noch nich! autgeführt worden. Die Bewegung gegen die Kommissionsbeshlüsse ist noch nicht in ganzer Stärke auf- etreten, denn man hat den Bericht erst vertheilt, nahdem die leßte ommissionésizung hon 14 Tage her ist, andererseits ev aber mit der Anberaumung der Plenarrerhandlung sehr eilig gewesen ist, Große Protestbewegungen werden sich in den nächsten Tagen melden. Aus dem Regierungsentwurf und dessen Absicht ift eine Waffe geworden, mit der man jedes Vertragëverhältniß, mit Amerika nicht nur, sondern auch mit anderen Staaten, zu nichte machen kann, eine Waffe, die unser Vaterland bedroht, indem sie uns konkurrenzunfähig zu machen im stande ist, den Handel lahm legt und die Schiffahrt aufs ernstlihste gefährdet. Die Fassang i wenig klar. Die Bedingungen des § 14a, für die Einfuhr bis 1903 kommen das muß auch der Blödeste einsehen -— einem Verbot glei; wohin die Reise geht, Yann ein blinder Mann mit dem Stock fühlen: Proklamierung des absoluten Verbots der Fleishcinfuhr, Ausbeutung der arbeitenden Klafsen, Schädigung des Handels und der Schiffahrt ! Steht denn der Vortheil für die Landwirthschaft in irgend einem vernünftigen Verhältniß zu dem großen Schaden, der angerichtet wird? Sie (nach rechts) fagen : Gehbt’s dem Bauer gut, so geht es Allen gut; wir sagen mit größerem Recht : Geht es der Industrie gut, so geht es auch der Landwirthschaft gut. Was aus der Kowmission hervorgegangen ist, bedeutet eine Diskreditierung der gesammten amerikanischen Waare, und dieses Ur- theil wird drüben sehr deutlih vernommen werden. Amerika hat sein Augenmerk neuerdings ganz beträhtlih auf die Förderung und Aus- dehnung der Schifffahrt gerichtet; kommt dieses Fleishbeshaugeseßz nah den Kommissionsbeshlüssen zu stande, so würde Amerika in jenen Plänen ganz außerordentli dadurch unterstüßt, daß es plöpulih einen der beachtenswerthesten Konkurrenten los wird. 80 9/6 des gesammten Kapitals der beiden größten deutschen Schiffahrtsgeseklshaften sind in Schiffen investiert, welche für den nordamerikanischen Dienst ge- baut und anderwärts niht verwendbar sind; wollen Sie diese Kräfte leiten Herzens lahm legen? Amerika wird die Tonnengelder erhöhen und unsere Ausfuhr noch stärker als bisher differential belasten; und es würde nicht lanze dauern, bis unserer Schiffahrt nach Nord- Amerika das Rückgrat zerbrohen wäre. Baumwolle, Mais, Taback und Petroleum sind zudem Produkte, welhe Deutschland nicht produ- ziert und nah wie vor vom Auslande beziehen muß. Die große Textilbranche wird durch die Abschneidung der Baumwollenzufuhr aufs ärgste geshädigt werden, und insbesondere werden die Arbeiter die Geschä- digten sein. Wollen Sie die Quellen verstopfen, aus denen der Nationals- woblstand fließt, so können Sie auch die Mittel niht aufbringen für die größere Flotte. Unsere Wehikraft stärken, ist wohl eine bobe patriotishe That, aber mit derartigen Sondervortheilen verträgt ih der Patriotismus niht. Ih würde es mit Freuden begrüßt haben, wenn das Auswärtige Amt sich son heute über die Frage, die ihm doch sehr nahe gehen muß, autgelassen hätte. Bis jet haben wir ein leidlihes Verhältniß zu Amerika innegehalten; zu Ende geführt sind die Handelsvertrags- verhandlungen aber noch nicht und ih hätte gern über die Art ibrer Fortführung Näheres erfahren. Ich {ließe mit dem Videant con- gules! und boffe, daß die Vertretung des Auswärtigen Amtes gegen die Beschlüsse der Kommission auch in der dritten Lesung fest- bleiben wird. h 2+ M Parterre

Präsident Graf von Ballestrem bemerkt, daß die ge- \{chäftsordnungsmäßigen Fristen für die Plenarberathung des Entwurfs innegebalten worden sind, überdies auch der Seniorenkonvent vor längerer Zeit den heutigen Tag für diese Berathung festgeseyt hat.

Abg. Graf von Klinckowstrôm (d. kons): Die bisherige Agitation gegen das Geseß läßt ih in die Worte zusammenfassen: Angst vor Amerika. Und deshalb gänzlihes Preisgeben jeder uationalen Produktion! Auf diese Angstmeierei gebe ih nichts. Herr Frese verlangt Berücksichtigung des Handels, der Schiffahrt und der Industrie durch die Landwirthschaft, aber in demselben Moment empfiehlt er den Bezug landwirthschaftliher Erzeugnisse aus dem Auslánde. (Lebhafte Zurufe links: Baumwolle!) Die ganze Agitation is künstlich Lee von der liberalen Börsen- prefse, welhe die öfentlihe Meinung maht. Schon in der ersten Lesung stand fest, daß die Doe E garniht anders lauten konnten, als fie jeßt lauten. Jn der langen Zwischenzeit war es auch in der P:esse ganz ruhig und still ; kein Wort wurde über die Fleisch- beshau verloren Erst ist in den leßten Wochen, wo irgend ein Blatt entdecte, da durch das Gesey Geld verloren gehen könnte, war die Wünschelruthe gefunden, und man machte auf der ganzen Linie mobil; felbst der „Vorwärts“, dieses „Arbeiterblatt“, trat fär diese großkapitalistishen und Börseninteressen ein. Es liegen in dem Geseß rein agrarishe Interessen niht vor; alle Berufsftände und alle Länder sind in der Kommission vertreten ge- wesen, und die Beschlüsse sind der Ausdruck des allgemeinen Inter - effses, welhes die Frage einer gesunden Volkseraährung erheischt ;

selbft die Freisinnige Vereinigung hat für die Beschlüsse gestimmt, welche ih auf einer mittleren Linie bewegen. Wenn anerkannt wird, daß auch die Landwirthschaft Berückfihtigung verdient, so nenne ih das nicht agrarish, sondern patriotish und gerecht. Ich hoffe, daß auch der Bundesrath {ih diesen Beschlüssen anschließt; es wäre ein nationales Unglück, wenn dieses Gesetz an dem Widerstand des Bundes- raths scheiterte. Das würde eine Verbitterung erzeugen in der Land- wirthschaft, welhe allen späteren nationalen Bethätigungen hindernd in den Weg treten würde. Es ist doch beschimend, wenn man deutsche Blätter liest und glauben muß, amerikanische zu lesen; ich hoffe, der Reichstag wird dur seine Haltung beweisen, daß diese Ait deutscher pre bedeutungslos ist. Es handelt sich um ein Geseg, das im anitären Interesse ergehen soll. Wie ftehen wir denn zu Amerika? Kann uns der ärgste Feind zum Vorwurf machen, daß wir bei den Verhandlungen mit Amerika zu fkampfeslustig vorgegangen sind? Die Meistbegünftigung besteht nah wie vor; über die differenti-lle Behandlung des Zuckers erwarten wir noch heute die Antwort. Unsere Geduld ift ershöôpft. Wenn si die deutschen geseßgebenden Faktoren über ein solches Geseß einigen, dann hat ih das Ausland dem zu fügen. Redner aeht hier- nah auf die Kommi\sionsbeshlüsse im einzelnen ein, Dem 8 2 we-de seine Partei geshlossen zustimmen. Die §Z l4 a und 14d zeigten gerade, wie wenig das agrarishe Interesse bei den Beschlüssen der Kommission dominiert habe. Den Ardeiterinteressen bezüglih der Ernährung sei in vollem Umfange Rechnung getragen. Der Bundesrath würde mit seiner Zustimmung zu diesem Gese die bestehende Mißstimmung der Landwirthschaft gegen die Regierung mit einem Shlag beseitigen. Werde hier nit geholfen, so sei auch von den füaftigen Handelsver- trägen nihts zu erwarten. Seine Partei hoffe, daß die Regierung das Ges als Wifffe gebrauchen werde, um friedliche, aber auch be- friedigende Verhältnisse herzustellen.

Abg. Wurm (Soz.): Wenn ganz allgemein S(hlachtthiere, also auch ausgewachsene Rinder, in der Haussblachtung ohne j°de Kontrole sollen geshlahten werden können, dann kann man die NüXsicht auf die ländlichen Arbeiter nicht mehr ins Feld führen. Seit wann hat denn der Arbeiter auf dem Lande ausgewahsene Rinder? Nein, diese Rinder werden auf den großen Gütern geshlachtet, die von der Untersuchung frei bleiben wollen. Was bisher ein Mißbrauch war, der die \chlimmsten Folgen haben konnte, wird von der agrari'\hen Unbe- fangenheit zum Gebrauch, zu einer geseßmäßigen Handlung ge- stempelt, womit die Interessen der allerzablreichsten Volksklassen, der Arbeiter, einfach todtgeshlagen werden. Thiere, welhe einer Seuche verdächtig sind, werden bekanntlih s{leunigst geshl1chtet, damit der Besitzer sih allen Weiterungen entziehen kann; dieser für das Volk geradezu verderblihe Mißbrauh wird hier ohne weiteres sanftioniert und zum Ueberfluß bloß noch das gewerbsmäßige Verwenden derartigen Fleisches untersagt. Gerade die Hauéschlahtungen sind es, welhe im Interesse der Erhaltung der Volksgesundheit die Fleishbeschau zur absoluten Nothwendigkeit mahen; und gerade diese wollen Sie (rechts) aus frafser Profitwuth von dem Ges: e ausgenommen wissen. Die Wohlfahrt des Volkes und das Staatsinteresse verlangen gleich- mäßig diese Untersuhung. Bei den heutigen Fleishpreisen lohnt es ch nun angeblih nit, große Ausgaben für Verbesserung und Aus- dehnung der Viehzucht zu machen. Also gebt uns habere Preise, dann werden wir auch auf diesem Gebiete staatserhaltend wirken. Und so if denn die Fleishvertheuerung die Aufgabe des Geseß?s. Die vorgeshlagenen Maßnahmen gegen die Einfuhr auélänudischen Fleishes sind zur Sicherung der Gesundheit der Bevölkerung nicht erforderlih. Das amerikanishe Fleisch soll in unver- bältnißmäßig hohem Prozentsaß gesundheitshädlich sein. Nun hat doch die Einfuhr von dort erh-:blid zugenommen; das beweist, wie groß das Bedürfniß dafür war Wenn man dem Bundes- rath die Vollmacht giebt, alle Maßnahmen zu treffen, die eine gründ- lihe Untersuhung ermöglih-n, so brauht man doch die Einfuhr selbst niht nah 1-04 unmöglich zu mahen Zunächst muß unser Inland aeshüßt werden gegen die Gefahren, die der Volksgesundheit drohen. Die außerordentliche Freundlichkeit, die darin liegen soll, daß Sie auch nah 1904 Speck, Schmalz, Därme und Margarine einlassen wollen, wird auf ihren wahren Werth zurückgeführt, wenn man be- denkt, daß Sie eben in diesen Artikeln nit leistungsfähig sind.

Abg. Sieg (nl ): Der Großgrundbesiger s{lahtet doch nit selbst, sondern läßt das Vieh durch Schlächter shlahten; ih möchte den Großgrundb. sizer sehen, der sich in dem Sinne, wie es der Vor- redner ausgeführt hat, in die Hände seiner Schlächter lieferte. Außerdem trifft gerade der so angefohtene § 2 ausgiebige Vorsorge gegen Machinationen der befürchteten Art. Wie kommt es denn, daß die Arbeiter troy der billigeren Ernährung auf dem Lande nah den Städten rennen, wo es theurer ift? Auf diese Frage wird Herc Wurm die Antwort schuldig bleiken müssen. In der Hamburger Petition wird mit wunderbaren Mitteln gearbeitet, um vor dem Gesetz graulich zu machen; die lumpige Einfuhr des amerikanischen Fleisches soll den ganzen Segen der Sojtalreform des ersten Deutschen Kaisers in Frage stellen. Es ift doch einfah selbstverständlich, daß die Viehzucht in größerem Maßstabe betrieben wird, wenn die Viehe- preise si heben. Auch der deutsche Landwirth aber nimmt die Interessen seines Arbeiterstandes genau so wahr, wie alle übrigen Stände; es liegt bei diesem Geseß durchaus niht in der Absicht, die Volks- ernährung zu ershweren oder zu vertheuern. Redner geht dann auf die Rede des Abg. Frese ein, und bedauert, daß dieser die Flottenfrage in die Debatte hineingejogen habe. Den Vorwurf, daß die Freunde der Vorlage Ausbeutung der Arbeiterklasse * treiben, könne er fh nur damit erklären, daß Herr Frese der sozialdemokra- tishen Bevölkerung der großen Seestädte eine Konzession habe machen wollen. Redner bespricht dann nah dem Vorgange des Grafen Klinckowstroem die Einzelheiten der Kommissionsbeschlüsse, die den vom Reichskanzler aufgestellten Grundsaß der vollen Gleichheit des In- und des Auslandes erft zur vollen Durchführung brächten. Man dürfe außerordentlich gespannt darauf sein, was der hohe Bundesrath damit machen werde.

Abg. Beckh- Coburg: Die angebliche volle Gleichheit bezüglich der sanitären Maßregeln kann doch unmöglich darin zum Ausdruck gelangen, daß man bei den Hauss{lahtungen von der Fleishbeschau von vornherein Umgang nimmt. Thatsächlich würden wir in dieser Begrenzung für das Inland keine Fleishbeshau haben, während wir für das Ausland eine doppelte vorshreiben. Es ift auch eine sonderbare Geseßmacherei, in einem Fleishbeshaugeseß die Ein- fuhr fremden Fleishes überhaupt zu verbieten; das Geseg soll benußt werden, um einen Druck auf ein bestimmtes Auslands- gebiet auszuüben. Die Flottenvorlage is ganz mit Recht hereingezogen worden, denn _die stärkere Flotte soll doch den deutshen Handel \{ühen, den Sie mit diesem Beschluß ganz beträhtlich \{chädigen. Durch die Agrarier sind wir doch niht zum Wohlstand in Deut)ch- land gekommen. Denn nach ihrer Erklärung leidet ja die Landwirth- haft immer; dieser Wohlstand muß also andere Quellen haben. Jn Bayern haben wir bis in die jüngfte Zeit die unbedingte Fleishbeshau gehabt; erst vor kurzem sind die Hausshlahtungen in der jeßt von dem Entwurf vorgeshlagenen Faffung freigegeben worden. Die Städte haben ih aber energisch gegen die Schädigungen gewehrt, die ihnen von dieser Maßregel drohen. Redner seßt dann im einzelnen aus- einander, daß man, wenn man es bei § 2 belaffen wolle, mindestens die Abänderungsanträge annehmen müsse, die ec dazu geftellt habe.

Abg. Holy (Rp.): Agrarische Selbstsuht liegt uns bei diesem Gesetze sehr fern. Die Interessen des Abg. Frese dagegen gravitieren mehr nah der Seite der Schiffahrt und Amerikas. Er hätte seine Rede besser in Amerika halten sollen, Herr Wurm möchte am liebsten sämmtlihe Grenzen öffnen und die deutshe Landwirthschaft todt- machen. Die doppelte Fleishbeschau rechtfertigt sih aus hygienischen Gründen. Dasselbe müßte eigentlich auch für das ausländische Gebiet

elten. Wir sahen aber ein, daß das nicht gut durhführbar ift. Die San müßten aber eine gewisse Fristbeftimmung enthalten, wenn wir nicht das Inland benachtheiligen wollen. Bis 1904 wird die deutshe Landwirthschaft ihrer Aufgabe, die Fleishversorgung zu garantieren, vollauf genügen, Wir verlangen nur Preise, welhe einigermaßzn das Unternehmerrisiko aufbringen. Ein kleiner Vortheil für die Landwirthschaft kann die anderen Parteien

nit veranlassen, gegen das Gesetz zu ftimmen. Der Widerstan

beinahe geeignet, den Humor des Auslandes hervorzurufen, May nt denke doh, wie das Fleischergewerbe und der Fleishhandel in Amerika betrieben wird, Die Befür tung, daß die Arbeiter bei der Haug, \{chlachtung verdorbenes Fleisch bekommen würden, is unbegründet Feder Unternehmer hat ein Jaterefse daran, daß seine cet: ut ernährt werden. Auch die Bedenken des Herrn Beth find niht gerechtfertigt Würden die Arbeiter an ungesundem Fleish frank, so hätte der Unternehmer die Krankenlaft zu tragen und hätte keine Arbeiter. Welches Heer von Fleischbeshauern

für die Hausschlahtung eingeführt werden! Bei der Auswahl dieser

Beamten könnte dann niht mit der erforderlichen F ae ein ver t die

fahren werden, und diese Fleishbeschauer würden vielle kleinen Leute cikanieren. Bei einer krastvollen Nation müss-n wirtb\{aft, lihe Fragen vom Standpunkt des eigenen Interess 8 behandelt werden. Jh hoffe, daß der Reichstag und die verbündeten Regierungen die Veränderung der Vorlage als Verbesserung annehmen wetden zum Besten des deutshen Volks.

Abg. Hoffmann- Hall (d. Vo!ksp.): Das Gese Kommission eine erheblihe Vershlehterung erfahren. Ih habe meine Bedenken dort zum Ausdruck gebraht. Herr Gerstenberger ift gegen die Beaufsichtigung der Hausshlachtung, weil sie unbequem und kost, spielig sei. Ich sollte meinen, daß, wem die sanitären Interessen am Herzen liegen, auch die Unb-quemlihkeit und Kosten mit in d:n Kauf nehmen muß. Oder glaubt Herr Gerftenberger etwa, daß die Thierärzte nur aus materiellem Interesse für die Beaufsichtizung der B Pry eintreten? Dagegen müßte ich ent|chieden Verwahrung einlegen. Die Verhältnisse der Hausshlahtung im Norden sind viel günstiger als die im Süden. Gerade ein Süddeutsher war der Erste, der in einer Broschüre die Agitation gegen den § 2 eingeleitet hat. Wie man aber die Hausschlahtung von der Beaufsihticung be- freien und die Grenzen gegen das Ausland verschließen wi ist ein Widerspruch, den ih nicht verstehe. Redner bezieht f für die Nothwendigkeit der Beaufsichtigung der Hausschlachtung vor der Shlahhtung auf verschiedene thierärztlihe Autoritäten. Heute würden die Thiere im Haushalt vielfah in geradezu efkelerregender Weise geshlahtet. Die Thierkrankheiten stiegen von Jahr zu Jahr ganz außerordentlich. Redner warnt vor der Gefahr, die mit der unkontrolierten Hauss{lahtung verbunden sei. Welche Verantwortung übernähme der Eigenthümer, wenn Erfrankungen durch ungesundes Fleish vorkämen? Die Belastung infolge der Beausstmtiqung set überdies niht groß. Das beste Nahrungsmittel für das Volk sei das Fleisch; es müsse aber gesund sein.

Abg. Dr. Vielhaben (Reformp.): Die Kommissionsvorlage entspricht dem großen nationalen Zuge, der durch das Volk geht, und der Aeußerung des Grafen Bülow, daß wir uns von keiner fremden Nation mit Füßen treten lassen wollen. Ich bedaure, daß der Staatssekretär niht anwesend i1t und uns uicht erklären kann, ob ck nur bei Worten bleiben soll oder ob dea Worten Thaten folgen sollen. Will der Bundesrath die Rolle des bescheidenen Hauslehrers spielen? Wir find von den Amerikanern herauß- gefordert worden. Wie Resolutionen des amerikanischen Kon- gresses als Schreckshüsse wirken, haben wir an Herrn Frese gesehen. Im dortigen Senat ist die Bemerkung unwidersprochen gee blieben, daß fein Land dem Konsumenten so wenig Schuß biete wie Amerika. Furcht vor Amerika haben nur die Importeure. Senator Mason hat als beste Repressivmaßregel die sorgfältigfte Kontrole der Fleishmärkte empfoblen. Zur Zeit gehört das Fleisch zu den am meisten verfälshten Nzbrungsmitteln in Amerika. Es giebt dafür Rezepte in kostspieligen Werken. Im Jahre 1883 hatten wir bereits einen Zollkrieg mit Amerika. Der Untershied zwischen damals und jeßt ist nur, daß auf dem Stuhl des Füriten Bismar®F jeßt Fücst Hohenlohe sißt. Wann begann die Agitation gegen das Geseg? Uls die Juden fürchteten, Geld zu verlieren; denn alle Händler, die an der Fraae interessiert sind, sind Juden. Oppenheim in Chicago fabriziert Würste aus Pferdefleisch und s{chreibt an den Oppenheim in Berlin und Breslau, wenn er für seinen Geldbeutel fürchtet. Daß das Fleish ih vertheuern wird, i ab;uwarten, vorläufig be- zweifle ih es. Bei den legten Handelsverträgen hat nur die Jn dustcie den Vortheil gehabt; es schadet nihts, wenn jeyt die Landwirthschaft einen kleinen Vortheil hat So furchtbar hat die Landwirthschaft nie geshrien wie die Industrie. Das Erwachzn des nationalen Selbstgefühls und der Selbständigkeit zeigt am besten der 8& 2, Die Bauern sagen: Mein Haus ist meine Welt, und uiemand hat etwas drein zu reden, wenn es sich um meinen eigenen Bedarf handelt. Das entspricht do freihändlerishen Bestrebungen. An dem Termin von 1904 muß unbedigt festgehalten werden, damit die Land- wirthshaft ih darauf einrihten kann. Die Kommissionsbeschlüsse sind das Mindeste, was wir verlangen müssen. Dem Antrag Bech werde ih zustimmen.

Hierauf wird nah 5, Uhr die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

hat in der

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 41. Sizung vom 8, März 1900, 11 Uhr.

Das Haus set die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und E - Angelegenheiten bei dem Ausgabetite! „Gehalt des Ministers“ fort.

Abg. Dr. Beumer (nl.): Für die Behauptung meines Freundes Hackenberg, daß den katholishen Lehrern der f eundschaftlihe Verkehr mit evangelishen verdaht werde, bat das Z-ntrum Beweise ver- langt. Jh kann zwei Fälle als Beweis anführen. Im Landkreis Gs:n hat ein fatholisher L-hrer bei der Gemeinderatbswahl für den Kandidaten der in der Gemeinde liegenden Zeche gestimmt, weil diese die Hälfte aller Kommunalsteuern bezahlt und für kirlidhe

wecke große Opfer gebracht hat. Dadurch hat sihh der Lehrer den Zorn des Orts - Shulinspektors, eines katholischen Geistlichzn, zug zogen, und er wurde bei der demnähstigen Wahl eines Hauptlehrers vergangen und ibm eine jüngere Kraft vorgezogen. Eine Beschwerde an die Düsseldorfer Regterung ift abschlägig beshieden worden, wt troy seines Rektorexamens thn sein Vorleben niht zum Hauptlehrer geeignet mahe. Er hat nämlih im Jahre 1880 einmal einen Ver- weis erhalten. Ibm is sogar dec Verkehr seiner Töhter mit den Töchtern seiner evangelischen Kollegen verdaht worden, Der zweite Fa betrifft einen katholischen Lehrer an der unteren Ruhr. Dieser sollte im Schulaufsichtsdienst oder im Seminar beschäftigt werden; der Rektor ver- spra ihm ein gutes Zeugniß, wenn er erkläre, daß er niht nur seine religiösen Pflichten erfülle, sondern daß ihm das Katholische in Fleis und Blut übergegangen sei, und wenn er seinen mindestens = auf fälligen Verkehr mit evangelishen Lehrern aufgebe. Jch bitte die Regierung, diese beiden Lehrer in andere Stellen zu verseßen. Wir verwahren uns dagegen, daß die Eoangelischen von den Katholiken als Staatsbürger zweiter Klasse angesehen werden, mit denen diese nit verkehren könnten. Dagegen protestiere ih als protestantischer Christ, ahe Dr. por ch (Zentr.): Gestern wurde über Vergewaltiguns evangelischer Lehrer von katholisher Seite geklagt, und heute werden als Beweis die einseitigen Behauptungen zweier Herren gebra Erst muß der Sahverhalt festgestellt werden, und wenn sih eine Schuld ergiebt, dann soll die Unterrichtsverwaltung Remedur ein treten lassen. Man soll aber nit in Bausch und Bogen die katholische Ortsschulinspektion verdammen. Jch kann auch cinen Fall aufluihren, wo die Bergewaltiqung viel härter ist, Ginem evangelischen Lehre dessen Frau katholisch is, wurde vom Superintendenten angezeigt, er in dem Orte, wohin er j verseßt war, den Religionsunterrì " nur ertheilen dürfe, wenn feine Frau binnen vier Wochen evangeli a würde. Ih habe diesen Fall dem Kultusminister unterbreitet, hat der Bitte, Remedur eintreten zu lassen, An der Universität Halle

evschlag eine Festrede gehalten, wie er sie niht hâtte ofesior Dv in ber er die katholishe Kirche A und z. B. si darüber aufbält, daß der rômishe Papst entsheiden solle, ob Deutsch- land eine Seemacht werden solle. Sie können es den Katholiken iht verdenken, wenn fie mit so!chen Männern nit verkehren wollen. : Abg. Dr. von Fazdzewski (Pole): Der Minister sagte, daß die Regierung auf dem Gebiete der Schule festbleiben müsse. Auf diesem Gebiet sind aber in den polnischen Landestheilen seit zehn Jahren #0 viele Veränderungen vorgenommen, daß man ersieht, daß die Regierung feine richtige Grundlage für die Erziehung finden fann. Die verschiedenen Minister haben ein ganz verschiedenes System befolgt; der Minister sollte uns ein festes Programm für den polni en Unterricht vorlegen. Der Redner tritt wieder aus- führlih für die Berücksichtigung der polnishen Sprache in der ule ein, wird aber im einzelnen nur theilweise verständlich, weil er fortgeseßt abgewendet spriht. Er verlangt, daß unter allen Um- ständen der Religionsunterriht in der Muttersprache ertheilt werde und die polnischen Kinder in der Schule soweit gebraht würden, daß e ihre Muttersprache vollständig verständen. Die Unterrichts- verwaltung mache aber selbst den Privatunterriht im Polnischen un- möglih. Einem fatholishen Pfarrer, der polnishen Privatunterriht ertheilt, habe der Ober-Präsident B daß er die Bevölkerung aufreize. Die Unterrichteverwaltung sei verpflichtet, für den polnischen Unterricht in der Volksshule zu sorgen; wenn fie es aber nicht thue, bleibe den Eltern nihts Anderes übrig, als selbst dafür zu forgen. Oer frühere Kultu8minister Graf Zedliß habe nihts dagegen gehabt, daß inm Privatun1erricht Polnisch, Französi\ch Sarskrit oder sonst eine Sprache gelehrt werde. Wenn 200 000 Deutsche zu den Polen übergegangen seien, fo fônne man doch den Polen daraus keinen Vor- wurf machen. Für die deutschen Katholiken in seiner Didjese Gnesen habe ec (Redner) in der Weise gesorgt , daß sie, obwohl nur eine verschwindend kleine Anzahl vorhanden sei, einen deutschen Gottesdienst an jedem Sonntag hätten. Der Minister werde hoffent- li Vorschläge machen, wie in dieser Beziehung für alle deut|hen Katholiken gesorgt werden kônne. ie Polen hätten ein Reht auf die Erhaltung ihrer Nationalität. Die Verwaltung sei dafür ver- antwortlih, daß in der Schule nah richtigen pädagogishen Grund- säen verfahren werde.

Minister der ‘geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Ich erkenne es mit Dank an, daß der Herr Ahg. von Jazdzewski sih in seinen ersten Ausführungen eines Tons der Mäßigung b: fleißigt hat, der wahrscheinli nicht mich allein, sondern auch das hohe Haus angenehm berührt haben wird. Aber die Urtheile, die der verehrte Herr Abgeordnete im weiteren Verlaufe seiner Rede an die Haltung und die Maßnahmen der Regierung ge- lnüpft hat, muß ih mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Diese Urtheile überschreiten weit die Grenze der Mäßigung, in der der Herr Abgeordnete zu sprehen begonnen hat. Wenn von einer Tyrannei der Regierung die Rede ist, so ift das ein Urtheil, wie es schärfer nit gefällt werden kann. Da diese Reden weit übet die Grenzen dieses Hauses, sogar über die unseres Vaterlandes hinaus bis ins Ausland shall-n sie sind ja zum theil dazu bestimmt, ge- wissermaßen zum Fenster hinaus gehalten, um die öffentlihe Meinung ¡u beeinfl issen habe ich um so mehr Veranlassung, auf das Allerentschiedenste dagegen Einspruh ¡u erheben, daß in dieser Art die wohlerwogenen Maßnahmen der Königlichen Staatsregierung kritifiert werden.

Wir werden uns mit den Herren von der polnishen Fraktion nie über die Ursachen verständigen, die die Königliche Staatsregierung dazn genöthigt haben, ihre Maßnahmen zu ergreifen. Der Herr Ab- geordnete behauptet, daß durch das Vorgehen der Regierung erft die Haltung der Polen hervorgerufen worden sei. (Sehr richtig! bei den Polen.) Die Geschichte lehrt es, daß gerade das Umgekehrte der Fall gewesen i|. (Sehr rihtig!)) Die Haltung der polnischen nationalen Agitation, die mit jedem Jahre Schritt vor Schritt es läßt sch das ganz genau ungefähr seit dem Jahre 1827 verfolgen eine deutshfeindlichere, nahdrücklihere und erfolgreihere geworden ist, hat die Regierung zu diesen Maßnahmen genöthigt. Daß nicht immer konsequent gehandelt worden ist, gebe ih ohne weiteres zu. Die Regierung hat sch zum theil vielleicht in ihren Mitteln geirrt, sie i auf der einen Seite vielleicht hinter demjenigen, was praktisch und angemessen war, zurückgeblieben, auf der anderen Seite ist fie vielleicht auxh in einzelnen Fällen über das Maß des Nothwendigen hinausgegangen. Aber ih muß für die Königliche Staatsregierung in Anspru nehmea, daß jedesmal der beste Wille obgewaltet hat, Ret uud Gerechtigkeit walten zu lassen. Gs is der Königlichen Staatsregierung nicht eingefallen, der polnishen Bevölkerung in ihren berehtigten Fo d rungen zu nahe zu treten. Uebe- den Begriff der berechtigten Forderungen ift eine Verständigung mit der polnishen Fraktion freilih nicht möglich. Sie ist auch mit dem polnischen Volke niht mögli, so lange bei diesem der maßgebende Einfluß der nationalpolnishen Agitation bestehen bleibt, wie ih sie vorhin geschildert habe, und wie ich sie namentli gestern zu sHildern ge- nöthigt war.

Da ih gerade zu dem Worte: „Einfluß" gekommen bin, so habe ich noch den Wunsch auszusprechen, daß die sehr loyalen Auffafsungen, die der Herr Abgeordnete vorhin hinsihtlich der Aufgaben der preußischen Unterrichtsverwaltung und hinsihllih der Nothwendigkeit, dem polnishen Volke ein gewisses Maß von deutscher Kultur bei- zubringen, geäußert hat, bei der polnishen Bevölkerung Einfluß ge- winnen mögen. Leider sind sie z. Zt. lediglih seine persönlichen und werden im polnischen Volke nicht getheilt, vor allem niht in den- jenigen Kreisen, die ih für die nationalpolnishe Agitation ver- antwortlich machen muß; die denken ganz anders. Abgesehen davon, daß sie die Zugehörigkeit zum preußishen Staate toto die nur als cin nothwendiges Uebel bezeichnen, das möglihst rasch ab- geshüttelt werden muß, haben sie für die deutshe Kultur die aller- widerwärtigften Bezeichnungen, und ih kann sagen, daß einzelne Blätter, auch solche, die im urdeutshen Gebiete, in Westfalen er- heinen, weiter nichts als die Parole der tiefsten Verahtung gegen jeden einzelnen Deutschen haben. (Sehr richtig! rechts.) Ich kann das nahweisen. Jh will die Herren nicht damit beläfstigen ; aber die Preßäußerungen liegen in ganzen Kubikmetern vor. (Zuruf.) Der Herr Abgeordnete bedauert das auf das Lebhafteste. Ih wünschte, daß sämmt- liche Herren der polnischen Fraktion die Konsequenzen aus diesem Bedauern ¡iôgen und ihren sehr maßgebenden und tiefgehenden Einfluß auf das polnishe Volk und die polnische Pxesse dahin üben wollten, daß endli einmal dieser für uns unerhörte Zustand ein Ende nimmt. (Sehr rihtig! rechts und links.)

Meine Herren, wollen Sie einen Beweis dafür haben, wie die deutshe Kultur von einem bekannten polnischen Hehorgan in Westpreußen beurtheilt worden if? Ih darf hervorheben, daß s{chon zur Zeit der Deutschordensritter der Weichselstrom reguliert und eingedämmt worden ift, daß in der Folge Millionen seiteus der preußischen Regierung für die Regulierung der Weichfel

ausgegeben worden sind. Das ift allerdings ein Thema, das eigentlich nit zu meinem Refsort gehört; aber die Beurtheilung, welche unser opferwilliges und opfervolles Vorgehen auf diesem Gebiete seitens der polnischen Presse erfährt, ift charakteriftisch.

„Der Weichsel Klage* heißt eine poetishe Betrachtung, die, in deutscher Prosa wiedergegeben, folgendermaßen lautet :

„Frei \trômte ih bis nah Danzig hin, frei ergoß ih mich ins blaue Meer, heut aber fesselt mich der Tyrannen fatanishe Macht, bezahlte Schergen bewachen heut meine Ufer. Uralte Wälder raushten an meinem Ufer, so manches Dörflein lächelte mih unterwegs an, heut muß ih in diesem ein- geengten Bett dahinfließen, und die jüdishe Axt hat die Wälder gefällt. Kähne." und Gakeeren trug ein mein glatter Spiegel, polnishes Getreide trug ih in die weite Welt, heute \toße ih auf deutshe Schlagbäume und muß mosfkowitishe Kähne auf meinem Rücken tragen. Der gewinnsuch-nde Kaufmann dringt mit \{eußliher Habgier fogar in mein verborgenstes Innere, und in meine jungfräulichen Tiefen ftieg er brutal bis auf den Boden, um mit harter Schaufel den Boden meines Bettes zu verwunden, Daher s{hwellen meine Pulse vor Grauen und Zorn und das aufgeregte Wasser eilt zum Meere. Wartet! Es wird einst, shäumend und trübe meine Feinde in gräßliher Uebershwemmung er- säufen!* (Heiterkeit.)

Das ift die Quittung auf unsere Weichselregulierung !

Meine Herren, um zu der Unterrichtsverwaltung überzugehen, so werde ih dem Herrn Abgeordneten heute nicht ein unter allen Um- ständen bindendes Versprechen abgeben; dazu bin ih nicht in der Lage, weil ih die Tragweite eines derartigen Versprehens mit Rücksicht auf die Kürze meiner Amtsthätigkeit als Kultus - Minister noch nicht übersehen kann. Ih kann nur das eine Versprechen abgeben, daß getreu den unverrückbaren Traditionen, die ih stets befolgt habe, nah

Recht und Gerechtigkeit die Verwaltung geübt werden wird, daß wir |}

von dem Boden des Rechts nicht einen Schritt breit abweichen werden, daß ih jede Willkür streng verurtheilen werde, und daß ih namentli hikanôse Verfügungen und folche, die unnöthigerweise reizen können, hintanhalten und, wenn nöthig, Remedur eintreten lafsen werde. Jn dem einen Falle, den der Herr Abgeordnete heute erwähnt hat, ift eine Remedur \{chon erfolgt. Der Herr Abgeordnete weiß es vielleicht nicht; sonst würde er cs wohl hier erwähnt haben.

Einzelne Fälle find au unrichtig geschildert worden. Zunächst bedauere ih, daß eine Korrespondenz zwischen dem Ober-Präsidenten der Provinz Posen und dem Erzbishof von Posen- Gnesen jeßt {hon in die Hände des Herrn Abgeordneten gelangt ift, obglei die Korrespondenz noh niht abgeschlossen und eine Verständigung noch nicht herbeigeführt ift. Da der Herr Abgeordnete das Schreiben des Ober-Präsidenten verlesen hat, brauche ih ja kein Bedenken zu tragen, auch meinerseits Gebrau davon zu machen, Es heißt in diesem Anschreiben des Ober-Präsidenten :

„Die shweren Bedenken, zu welhea das Verhalten des Pfarrers Gryzlewicz Anlaß giebt, liegen auf der Hand. An ih muß es als unstatthaft bezeichnet werden, daß ein Pfarrer ih der Hilfe von Squlkindern in der ausgesprochenen Absicht bedient, um dadurch Maßnahmen entgegen zu arbeiten, welche die Shulverwaltung nah Prüfung der in Betracht kommenden Verhältnisse innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffen hat.“

Das hat nämlich der Herr Abgeordnete vergessen, Ihnen vor- zutragen: der Vorwurf, den der Herr Ober-Präsident gegen den Pfarrer Gryglewicz erhebt, rihtet sih dagegen, daß dieser einen pol- nischen Sprachunterriht organisiert hat in der Weise, daß er ältere Schulkinder beauftragt hat, jüngere Schulkinder in der polnischen Sprache zu unterrihten. Wenn die Sache in dieser Weise gehand- habt wird, find alle Maßnahmen der Regierung illusorisch. Dann ift es mögli, einen Theil der Schulkinder dazu zu mißbrauchen, um andere im polnisdhen Sinne zu beeinflufsen. Denn wie wollen wir das kontrolieren, was in diesem polnishen Sprachunterrichte geschieht ? Fh habe gestern darauf hingewiesen, daß selbst an staatlichen Anstalten mit ftaatlih besoldeten Lehrern ein Mißbrauch getrieben worven ift in der Ertheilung des Sprachunterrichts, daß fich die Lehrer ein Ver- gnügen daraus gemacht haben, national-polnishe Schriften als Lehr- material für die Schüler zu benußen. Das ift ein Zuftand, der von uns unter keinen Umständen geduldet werden kann, um fo weniger, als, wie ich hervorzuheben {hon die Ehre hatte, jeßt der Beweis ge- führt ist, daß die national - polnishe Agitation nicht davor zurüd- \hreckt, sih in die Schülerkreise bineinzudrängen und sogar Schüler- verbindungen zu stiften. Die Sache wird vielleicht später die dffent- lihe Meinung noch sehr beschäftigen.

Nun hat der Herr Abgeordnete einen Erlaß des Ministers von Bethmann - Hollweg vom 4. Juni 1861, um den Beweis zu führen, daß die Frage des B: fähigungsnachweises für die von den öffentlichen Schulen ausgeshlossenen Disziplinen jeÿt in anderer Weise gehandhabt werde. Der Herr Abgeordnete hat au in diesem Fall einen wesent- lihen Punkt Ihnen vorzutragen vergessen, nämlih den, daß diefes Rescript \sih bezieht auf den Privatunterriht, der nur Erwachsenen ertheilt wird, aber nicht auf den Unterriht der Schulkinder. Der Erlaß hat also auf den vorliegenden Fall keinen Bezug.

Ih bin leider genöthigt, auf das Thema der Polonisiérung der deutshen Katholiken zurückzukommen, weil der Herr Abg. von Fazdzewski mir den Vorwurf gemacht hat, daß ihm meinerseits gestern unzutreffende Thatsachen vorgeführt worden seien. Wollen die Herren mir vielleiht gestatten und ih bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubniß aus der Rede meines Herrn Amts- vorgängers von Goßler vom 14, März 1883 Ihnen die Schilderung der Leiden der deutschen Katholiken vorzutragen in den Jahren 1862 bis 1872, also zu einer Zeit, von der ich gestern noch hervorhob, daß fie in die Epoche der ftolzesten Er- innerungen des deutschen Volkes fällt. Der damalige Minister sagte Folgendes :

„Es liegen mir Liften vor, welche auf Grund der speziellen Verhandlungen mit den Erzbischöfen Przyluski und Ledohowski auf- gestellt sind, und die ungefähr erkennen lassen, wie infolge dieser Maßnahmen das deutsh-katholische Element planmäßig und natur- gemäß zurückgedrängt bzw. in die polnische Nationalität übergeführt worden ift. Im Jahre 1862 gab es beispielsweife in Lubosch (Kreis Birnbaum) 103 deutsche Katholiken, 651 polnische. Eine deutsche Predigt wurde nit gehalten; es wurde von der Regierung bei dem

Bezug genommen auf

zitiert, sondern nah der offiziellen Festschrift. nicht zu Reli longgepre Gen geetgnet. der Düsseldorfer

d n. Da Deiden bedauert, is mir sehr erfreulih, aber ich bin weit entfernt,

Erzbischof beantragt, für die deutshen Katholiken alle vier Wochen eine deutshe Predigt halten zu lassen; doch gewiß eine sehr besheidene Forderung! Der Antrag wurde abgelehnt. (Hört, hört! rets.) Im Jahre 1872 fanden \ih j : es war 10 Jahre später in Lubosh bloß noch 6 deutsche Katholiken unter 693 Polen. In Opalenica waren im Jahre 1862 554 deutsche neben 2243 polnischen Katholiken. Eine deutshe Predigt wurde niht gehalten. Beantragt wurde von der Regierung eine 14tägige deutshe Predigt; der Grz- bischof lehnte dies ab. (Hört, hört! rets.) Im Jahre 1872 gab es in Opalenica nur noch 23 deutsche Katholiken. Die ablehnende Erklärung wurde speziell motiviert damit, daß die Katholiken deutsher Abkunft \{riftlich vor dem Pfarrer zu Protokoll erklärt hätten, daß sie einen deutshen Gotte®- dienst niht haben wollten. ein aralteristisches Zeichen, in welcher Weise eine Be- einflussung da stattgefunden hat. In Brody mit 135 deutschen Katholiken wurde weder eine deutsche Predigt gehalten, noh eine deutsche Beichte entgegengenommen. Und nun kommt derjenige Kreis, den ich während einer Reihe von Jahren verwaltet habe : Im Kreise Obornik waren im Jahre 1862 in Mur-Goslin 686 deutshe Katholiken neben 1214 Polen. Die Deutschen erhielten keine deutshe Predigt. Es wurde beantragt, alle vier Wochen eine deutsche Predigt zu halten; das wurde abgelehnt. (Hört, hört! rechts.) 1872 waren nur noch sieben deutshe Katholiken dort vorhandea. (Hört, hört! rechts.) In Kirhen-Dombrowska waren 1862 b08 deutsche Katholiken gegenüber 1426 polnishen vorhanden, ohne deutsche Predigt. Der Antrag auf vierwöchentlihen Gottesdienst in deutscher Sprate blieb seitens des Erzbishofs unbeantwortet. 1872 war fein deutsher Katholik mehr dort vorhanden. (Hört, hört! rets.)

Meine Herren, ih will die Sahe niht weiter ausführen. Ich fann aus eigener Wahrnehmung erklären ih habe später noch den Kreis besucht, den ih eine Reihe von Jahren zu verwalten die Ehre hatte —, ih habe da in katholishen Dörfern, die vorher noch ganz deutsch waren, gefunden, daß kein einziges deutsches Wort mehr ge- sprohen wurde, und daß die Leute, die, als ih fie zum erften Mal besuchte, mih durch ihren Schulzen freundlihft in ihrer deutschen Muttersprache begrüßten, jeßt es aufs entschiedenste ablehnten, noch Deutsche zu sein.

Meine Herren, haben wir nicht die heiligfle Pflicht, endlich ein- zugreifen? (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen) und zwar auf demjenigen Gebiet, auf dem wir es allein thun können, nämli auf dem der Schule? Jch habe gestern {hon hervorgehoben, wie noth- wendig es ift, die deutshen Katholiken davor zu s{hüßen, daß ihre Kinder auch hinsihtlih des polnischen Sprachunterrichts vollständig mit den polnishen Kindern in gleihem Sinne behandelt und so langsam, aber sier polonisiert werden.

Eins muß ih leider heute, durch Herrn Dr. von Jazdzewski pro- voziert, hier noch hervorheben: Den Kindern wird in der That bei- gebracht: der polnische Katholiziómus ist ein anderer, ein viel besserer als der deutshe. (Hört! hört! rechts.) Ich habe au Zeitungsbeweise dafür.

Weiter will ich aber nicht darauf eingehen. Es ift ein peinliches Thema, das mich deswegen s{merzlich berührt, weil ih nur noth- gedrungen die konfessionellen Unterschiede hier öffentlich zur Sprache bringe.

Meine Herren, ih kann shließen mit der Versicherung, mit der ih begonnen habe, daß nach Recht und Gerechtigkeit in meinem Resort gehandelt wird. Ih muß auf das allerentschiedenste Einspruch gegen die Art und Weise erheben, wie der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski sih gemüßigt gefunden hat, einen mir beigegebenen, nit verantwortlihen Beamten anzugreifen. Meine Herren, ih bin der allein verantwortlihe Refsorthef und habe das in meiner erften Rede, die ih in diesem Hause zu halten die Ehre hatte, hervorgehoben. In welcher Weise der Herr Abgeordnete die Thätigkeit des betreffenden Herrn charakterisiert, ja als eine solche dargestellt hat, die gewissermaßen über den Kopf des Refssortchefs hinweg eine Nebenregierung einführte, gegen diese Art muß ih mi auf das entschiedenste, auch namens meiner Herrn Amtsyor- gänger, verwehren. Daß irgend einer der dem Ressortchef beigeordneten Herren überhaupt eine derartige Rolle spielen könnte und \ptelen kann, das würde den preußischen Traditionen durhaus nicht entsprechen. Thatsächlich is das nit der Fall, und ih bitte auch vor allen Dingen, von mir die Erklärung entgegennehmen zu wollen, daß die Motive, die der Herr Abgeordnete der Thätigkeit dieses Beamten untergeschoben hat, absolut unzutreffend sind. (Lebhafter Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Manche Redewendungen des Abg. von Jazdzewski sind mir geradezu auf die Nerven gefallen. Die Behauptung, daß Herr Bofse als der unpopulärste Mann aus seinem Amte geschieden sei, ist unberechtigt. Wir sind ihm für manche Ge- sege sogar sehr dankbar. Den Herren Polen mag er allerdings un- populär gewesen sein. Wir müssen uns au dagegen verwahren, da ein anderer Beamter als der Minister allein verantwortli gemacht werde. Das Verhalten der Polen ift aufreizend, und das Verbot des polnishen Privatunterrihts liegt im Interesse des Staats. Herr Porsh hat immer meine Bewunderung durh seine Ausnuzzung der parlamentarischen Situation gehabt. Herr Beumer hat doc ganz auffällige Fälle von katholischer Sntoleranz vorgebraht. Wenn der von Herrn Porsh angeführte Fall des Superintendenten aus Schlesien so liegt, würde ih ihn lebhaft bedauern. Die Regierung follte ihn S untersuhen. Der Fall des Lehrers aus dem Landkreis Effen zeigt jedenfalls, daß die Düfseldorfer Regierung zu s{chwach ift und den ultramontanen Einflüssen nicht widersteht. Meinem Freunde Beyschlag kann man keine Jutoleranz vorwerfen; Herr Porsch hat nur nach dem Bericht in der „Köln. Volksztg.* über die Rede

Beyschlag?s zitiert. Die Universitäten sollten keinen konfessionellen Eleretter haben; aber wer, wie Herr Porsh, für fie einen

konfessionellen Charakter in Anspru nimmt, kann sih nit dagegen

verwahren, daß ein evangelischer Theologe seine Ansicht an einer aus-

gesprochenen evangelischen Universität ausf\pricht.

Fch habe niht nah der „Köln. Volksztg." Dieses Haus if} aber Wenn der Fall in Essen von egierung näher untersucht wird, so habe ih nichts ß Herr Friedberg den Fall des schlesischen Superinten-

Abg. Dr. Por:

solhe einzelne Fälle zu verallgemeinern. Theologe vor aus\ließlich katholischen Zuhörern bei einem

Wenn ein katholischer Festakt