1900 / 101 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 27 Apr 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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über die Natur der Seuhe unterrichtet ifl als jezt. Wenn die Sperre auh nicht in allen Fällen den erhofften Nußen gebraht habe, so fei se decch von großem Werth, namentli, wenn man fie acch wirksamer als bisher gegen das Ausland an den Grenzen handhabe. Der Antrag Rembold sei also anzunehmen. Den Antrag Böckel hält au dieser Redner für überflüssig. y

Aba. Rettich (d. kons.): Der Abg. Böckel kat mit Unrecht die Maßregeln argen die Schafscuche zum Gegenstand von Angriffen agemaht. In Mecklenburg haben sich diese Maßregeln als sehr wirksam c: wiesen, uxrd fowohl hier als "in Sch{leswig- Holstein hat auf diesem Wege der Verbreitung der Schafräude gründlißh Einhalt gethan werden können. \ -

Aba. Lucke (b. k. F.) plaidiert für Œ@ärsste, rüdsihtsloseste Grenzsperren gegenüber den Ländern, wo diese Viehseuchen epidemisch find. Desgleichen seien im Inlonde Sperrmaßregeln nur dann von Wertb, wenn sle energisch und streng durchgeführt werden. Nicht sowobl die Thiere als tie Menschen feien die Uebertrager der Maul- und Klauenseute; es dauere nicht aht Tage nach dem Schluß des Frankfurter Marktes, daß in zehn oder mehr Ortschasten der Um- ebung die Maxul- und Klauenseuche auébreche. Indem die Vieh- Aker fih an den kranken Thieren anschmierea, vermitteln sie die Meiterübertragung der Seuche.

Aba. Scherre (Rp.) spricht sich gegen den Antrag Böckel aus, der die Arbeit der Polizeiorgane, speziell der Amtsvorsteher, nur kom- plizteren würde, ohne Nußen zu bringen. [

Abg. Graf von Klinckowstroem (d. kons.) is mit dem Grafen Kan! der Meinung, daß die Fellhändlec und die Viehhändler ganz besonders an der Versleppung der Seuche betheiligt seien, und daß diesen Personen dur die geseßlihen Anordnungen strengsters verboten werden sollte, die Viehställe ohne Erlaubniß d-8 Besißers zu betreten. Aber obne die strengste Grenzsperre gegen bie verseuchten Nachbar- länder fei nichts zu erreihen. Desgleichen werde die Maul- und Klauenseuche dur die russishen Gänse verbreitet. Hiergegen sei eine zushreiten und nit immer die die heimischen íúInteressen \chädigende, diplomatishe Rücksicht gegen das Autland vorzushüßen. Redner be- antragt, den Antrag Rembold in seinem ersten Theile anzunehmen.

Präsident des Kaiserlichen Gefundheittamts Dr. Köhler wider- spricht den leßteren Ausführungen des Vorredners.

Aba. Friedel (nl.) regt an, denjenigen, die cinen Seuchenfall zur Anzeige bringen, unter gewissen Vorauêseßungen cine Entschädigung ¿u gewähre. / |

Abg. Dr. Pachnicke spricht sih für scharfe Grenz!perre in dem Falle aus, wo von dem Nachbarlande direkt cine Gefahr der Seuchen- invasion trohe; weiter ¡u gehen, babe man keincn Anlaß

Damit ließt die Diekussion. „Nach dem Schlußwort des Abg. Rembold wird der Antrag Böel abgelehnt, der An- trag Rembold in seinem ersten Theile angenommen.

Die Erörterung des Antrags dcs Abg. Broemel 5 Ziffer 10 des Zolltarifgesceßes, betreffend die Zoll- reiheit für Schiffsausrü tung3materialien, zu ver- anstalten, sowie die Abstimmung über den Antrag der Budget- kommission, auf die Aufhebung dies.r Zollfreiheit hin- zuwirken, wird guf Antrag des Abg. Broemel, dem ih der Abg. Graf von Kaniß anschließt, von der Tages- ordnung abgeseßt, da die Frage gegenwärtig der Erörterung im wirthschaftlichen Ausschusse unterliege. Ebenso wird auf Antrag des Abg. Dr. Müller-Sagan (fr. Volksp.) die Erörterung der Resolution Bargmann wegen Veranstaltung von Erhebungen über die Wirkung des Saccharingeseßes ausgeseßt, weil der Gegenstand der Resolution zur Zit von den verbündeten Regierungen er- wogen werde.

Es folgen Kommissionsderichte über Petitionen.

Die Petition des Rechtéshußverbandes deutscher Photo- graphen in München wegen Atänderung des Gisezes, be- treffend den Schuß von Photographien gegen unbefugte Nachbildung, wird dem Reichskanzler zur Erwägung überwiesen.

Ueber die Petition der Schiffs- und Maschinenbau-Aktien- gesclschaft vorm. Gebrüder Schulz und vorm. Bernhard Fischer zu Mannheim wegen Niederschlagung eines Zoll- betrags und über die Petition des Allgemeinen deutschen Bäderverbandcs, betreffend die Abänderung der Verkehrs- ordnung für dieEisenbahnen Deutschlands hinsicht- lih der Bestimmungen über den Transport Schwer- kranker, wird zur Tagesordnung übergegangen.

Die Petition des Gottlob Adolf Krause in Charlotten: burg, den Sklavenhandel in Togo betreffend, überweist P Haus ohne Diskussion dem Reichskanzler zur Kenntniß- nahme.

Als Material soll dem Reichskanzler überwiesen werden die Petition des Zentralverbands der städtishen Haus- und Grundbesißervereine zu Berlin, die Sich erstellung der Bauforderungen betreffend.

Das Haus beschließt in diesem Sinne, nachdem der

Abo. Werner die Petition empfoblen und bei dieser Gelegenheit die Forderung der Einführung des Befähigunzsnahweises für das Bauzewerbe erneut befürwortet hat.

Die Petition des chrisilich-sozialen Textil-Arbeiterverbandes für Eupen und Umgegend, beircffend die Einführung einer Marximalarbeitszeit von höchstens 10 Stunden in der Textilindustrie, Untersagung der Nachtarbeit 2c. soll nah dem Kommissionsantrag dem Reichskanzler als Material überwiesen werden. Ein Antrag des Abg. Dasbach (Zentr.) die Petition hinsichtlich der Forderung bezüglich der Arbeitszeit dem Reichékanzler zur Erwägung, hinsichtlih der Forderung obligatorisher Gewerbegerihte in Städten von _mehc als 10 000 Einwohnern und hinsichtlich der Forderung obligatorischer Arbciteraus\hüsse als Material zu überweisen, findet nicht die genügende Unterstühung, da sich nur 1 Mitglied des Zentrums dafür erhebt. Dec Abg. Daëbach ist im Hause nicht anwesend.

Abg. Fischer - Berlin (Soz.) findet es sehr auffällia, daß der Abg. Dasbah noch vor drei Jahren einen Antcag auf Ueberweisung zur Berücksichtigung gestelll hate, heute aber nur noch die Ueber- weisung zur Erwägung empfchle. Redrer giebt dann auéführliche Auszüge aus den Berichten der Fabrikinspektocen, welchz, wie er behauptet, die Vaikürzung der Arbeitszeit gerade in der xtilinduftrie als eine Nothwendigfeit erkenzen lassen. Diese Vakürzung liege ebenso im Intercfje der Arbeiter wie der Unternehmer, denn England z. B., weles die höchsten Löhne und die kürzeste Arbeitszeit habe, sei auf diesem Gebiete der deutshezn Industrie weit überlegen. Daß die Arbeitskraft und Arbeitsleistung der Arbeiter dur die Herabsegung der Arbeitszeit gefördert werden, hätten auch bereits zahlreihe eins sichtige Arbeitgeber erkaznt, und zugegeben. Retner beantragt die Ueberweisung der Petition an den Neichékanzler „als Material zur Abänderung der Geseßgebung“. :

Vize-Präsitent Schmidt hält diesen Antrag für identisch mit dem Antrage der Kommission.

Abo. Freiherr von Stumm (Ryp.) ist derselben Meinung; wenn der Abg. Fi'cher etwas erreichen wollte, hätte er den Antrag Dasbach auf- nehmen müssen. Die Stimmung und die Beseßung des Hauses wider- riethen aleihmäßig die Verbandlung so wichtiger Fragen wie der des Normalarbcitätages aus Anlaß dieser unbedeutenden Petition Von efundbeits\œädlihen Betrieben und ron der Beschäftigung jugend- icher Arbeiter, wovon der Abg. Fischer au gesprochen habe, ftehe übrigens kein Wort in der Petition.

1 Vag.), Erhebungen über die Wirkung der Bestimmung in

Ein nunmehr eingebrahter Antrag des Abg. Fischer-

Berlin, die Petition zur Berüksichtigung zu überweisen, findet

ebenfalls niht ausreichende Unterstüßung, da die anwesenden

Sozialdemokraten und die außer ihnen auf der Linken sih zur |

Unterstühung erhebenden Mitglieder zusammen nur die Zahl von 2% abgeben, während zur Unterstüßung 30 Mitglieder erforderli nd.

Abg. Baudert (Soz.) weist insbesondere auf die Lage der Näherinnen hin, die geradezu ein Gegenftänd des öffentlihen Mit- leids sei; hätten sich doch sogar Vereine gebildet, um das traurige Loos dieser armen Arbeiterinnen zu bessern. Die Löhne der Weber seien bekanntlih erbärmlih; die Statistik habe erwiesen, daß die Wochenverdienste für Weber bis auf 9 M, für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen bis unter 2 # heruntergehen. Dabei habe die Zahl der jugendlichen Arbeiter Wund Arbeiterinnen in dieser Industrie nicht unbeträht!l:ch zugenommen. Nehme die Mehrheit des Hauses den Antrag auf Berücksichtigung an, dann würden die verbündeten Regierungen wentzstens veranlaßt, etwas mebr, als es bisher der Fall gewesen zu sein schcine, sich um die Mißstände auf diesem Gebiet zu kümmern, | i

Vize-Präsident Sch midt stellt aus dem stenographischen Bericht über die Rede des Abg. Fischer fest, daß derselbe gesagt habe: „Die Zuchthautvorlage beruht auf unbeweitbaren und erlogenen Be- dauptungen einer Denkschrift.“ Eine ole Aeußerung, fährt der Präsident fort, über eine namens der verbündeten Regierungen dem Hause zugestellte Denkschrift ist durchaus unzulässig; ih rufe den Abg, Fiscker dafür zur Ordnung! h i

Abg. Stolle (Soz.) tritt ebenfalls für den Antrag Fischer auf Ueberweisung zur Berükiichtigung cin. Er bezieht h speziell auf die Verhältnisse zu Zwickau und Chemniß. \

Abg. Dr. H ite (Zentr.): Der Abg, Dasbach hat feinen Antrag auf Erwägung nicht dethalb gestellt, weil er jet von der Bes: rechtigung des Petitums materiell weniger überzeugt wäre, fondern weil er cine mögli greß: Mehrheit auf den Antrag vereinigen wollte. Es möchte i vielleiht überhaupt empfehlen, die Angelegen- heit an die Kommission zurückuverweifen. Wir sind schon seit 1384 für den Elfstundentag für die Arbeiter beideriel Geschlechts eingetreten, Für die weiblichen Arbeiter best ht er ja jegt; wir haben abéër stets wieder unsere weitergehenden Forderungen betrieben; wir baben die Feststellung einer Moximalarbeitêwoche beantragt. Alle diese Anträge haben keine Mehrheit gefunden. Vom ganzen Hause angenommen wurde aber seiner Zeit unser Antrag, Erhebungen über die Arbeitszeit anzustellen; es sind auh die Fabrifin\pefktoren befragt worden. Eine Focderung auf Grund der Ergebniffe diefer Befragung haben wir noch im leßten Winter verlangt, Der Antrag auf Berück- chtigung fiadet sichec nur cine Minorität, desgleichen der auf Er- wägung gerichtete; eventuell ift es also das beste, die Ueberweisung als Matertal zu beschließen, wofür ja das ganze Haus zu haben fein würde.

Na, Fischer- Berlin: Wenn das Zentrum fo einig wäre in der Stellungnahme zu dieser Frage der Maximalarbeitäzeit, dann fönnte eine folde Lahmheit in der Stellungnahme ¿u unferem Antrag nit Play greiten. Ein einziges Mitglied des Zentrums hat heute den Antrag Dasbach unterstüßt. Herr Hige hat eben nit die Mebrhecit des Zentcums binter fh. Vit dec Enquôête_iit garnichts gethan, damit wird die Sah: nur vers&levpt, In Oesterreich hat wan d:n Mcrimalarbeitêtag; bei uns fehlt es nur an dem guten Willen. Sie ließen sich an dec bloken Versicherung, daß si: a:beîter- freundlih scien, geuügea; von einer Bethätigung diefer Gesinnung halten si2 sih gänzlich fern.

Abg. Dr. Hiye: Für die Normal - Wochenarkdbeits;eit von 62 Standen hatte sich die ganze Zentrumsfrafktion engagiert; der Ar.trag hatte im Reichstage keize Aussicht, wie si alsbald herauê- stellte. Daneben haben Freiherr von Hertling und i nicht den Evertualantrag, sondern den selbständigen Anirag gestellt, daß der Bundesrath yon seiner Befugniß be¡ügtih des sanitären Normal- arbeitét2ages Gebrau machen solle. Da befinde ih mich also nicht, wie der Abg. Fischer und früher shon der „Vorwärts“ tälshlih br- hauptete, im Widersyruch mit dem Aba. Freiherra voa Hertling. Wir siad für die Ueberweisung zur Berücksichtigung, aber der Artrag geht nit dur; darum haben meine Freunde den Antrag Dasbach nit unterstüßt. i:

Abg. Fischer « Berlin: Ich kaun dem Herrn Vorredner nachfühlen,

wie unangenehm diese Konstatierung ibm geroefen sein muß. Der Abz.

Hige bat für seine Person damals erklärt, der zehnstündige Arbeits- tag fei son jeßt durchzu!ühren für die Textilint ustrie, während Frei- herr von Hertling ih durchaus gegen jede weitere geseßlihe Ver- fürzung dec Arbeitszeit erklärte. Wenn das Zentrum den Antrag auf Ueberweisung zur Berücksichtigung unterstüßt, geht er dur; darübzr, wie die Regierung za dem Antrag zu bekehrea, tei, sollte doch die eins flußreiste, die regierende Partei des Hauses niht fo pessimistisch denken.

Abg. Dr. Hiße: Freiherr von Hertling hat sh nur gegen den achtstündigen Normalarkbeitè!ag auêgesprochen.

Abg. Fischer- Berlin bestreitet die Richtigkeit dieser Ausfübrung unter Bezugnabme auf die wörtlihen Autführungen des Abg. Frei- herrn von Hertling.

Nachdem die Abgg. Dr. Hiße und Fischer- Berlin sth nochmals über den Streitpunkt auseinandergeseßt haben, schließ: die Diskussion. Der Kommissionsantrag wird angenommen.

Darauf gelangt ein Vertagungsantrag zur Annahme.

Schluß 51/, Uhr. Nächste Sigung Freitag 1 Uhr. (Jnterpellation Deinhard: „Bis wann ist die in Aussicht u

gestellte Abänderung der Weingeseßgebung zu erwarten: Petitionen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 61. Sigung vom 26. April 1900, 12 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesezentwurfs über die Zwangserziehung Minder- jähriger.

Abg. Dr. Beer (Zentr.): Meine Freunde haben an der Vor- lage verschiedene Ausftellungen zu machen. Sie hat allerdings eine sozialpotitishe Tendenz und zeiat, daß man die Gefahren erfannt hat, welche tem Staatsleben und der Gefellshaft aus der Verrohung der Fugend drohen. Im Jahre 1897 sind 45 327 tugendliche Verbrecher be- ftrafi worden. Die bisherige Gefeßgebung hat also nicht ausgereicht, der Verrokung entgegenzuwirken. Veit den kurzen Fretheits\trafen wird selien etwas erreicht. In den Städten unter 10 000 Einwoßnern, welchze keine Stactkreise bilden, soll nit der Gemeindevorstand, sontern der Landrath den Antrag auf Zwangeerziehung stellen können. Warum soll hier der Landrath die Städte bevormunden? Der Ge- meindevorstand“ muß in. allen Städten antragsberehtigt sein. (Fs geht überhaupt ein bureaakratiscer Zug durch das Geseß. Der Rcdzer bemängelt ferner die vorgeshlagene Aufbringung der Kosten, ist aber bei der im Hause berrshenden Unrahbe faum zu verstehen. Ein Hauptgewicht legt er auf die religiöse Erziehung der Zwangs8zöglinge. Seine Freunde seien nicht damit einverstanden, daß darin die diskcetionäre Gewalt herrschen folle, sondern müßten verlangen, daß die konfessionelle religiöse Erziehung geseplih festgeleat werde. Leider habe das Kammergericht seine erste Enticheidung, daß der Vormund eine der Konfession des Zöglings entsprehende Schule auszuwählen habe, wieder fallen lassen, Seine Freunde würden es gern sehen, wenn die Ordensgesellshaften zu dieser erziehlihen Aufgabe herangezogen würden. Das wroürttembergische Gesey vom vortgen Jahre schreibe vor, daß auf die Konfession der Zwangçsezöglinge Rüksiht genommen werden loll2. Hoffentlih werde în der Kommission eine Verständigung erzielt werden können.] Wi

Abg. Dr. Freiherr von der Sors (kons.): Au meine Freund. saft mit der Vorlage is nur eine bedingte. Die zunehmende Genuß, sucht, die Befreiung von den Banden des. elterlihen Hauses, dag Streben, mit gleihgefinuten Genos}e die Freuden des Großstadtlebenz zu genießen, haben allerdings zu Verrohuna der Jugend geführt; die Erziehung is vielfach eine mangelhafte. Die Regierung ist der Ansicht, daß das jeßige Zwangserziehungsge]eß vom 13, März 1878 niht ausreiht. ie Verbrehen der Jugend find zum theil be, ründet in erblihez Belastung und in der {lehten wirthschaftlichen age der Eltern, die die Verführung der Kinder erleichtert. Viele Kinder, die nur von Altersgenossen verführt werden, danten durch eine geregelte Erziehung vor dem Verbrechen bewahrt werden. Das bestehende Gesetz läßt die Zwangserziehung nur bei einer Be- \trafung zu, die Vorlage will sie hon zulaffen, wenn die Gefahr der Rerwahrlosung vorliegt. Hier kommt cs sehr auf die Ausführung der Vorlage an. Die Amts- und Vormundschait3richter follen mit den lokalen und versönlihen Verhältnissen ihres Bezirks vertraut sein, das können si: aber nicht, wenn ein fo Di 18 Wechsel eintritt, wie es wirkli der Fall ist. Diese Vorlage weist dem Amts- und Vormundschaftsrichter eine wichtige Aufgabe zu, und dazu muß er mit den Verbältnissen seines Bezirks vertraut setn. Zu befürchten ist, daß die Vorlage von den Erziehungsverpflihteten gemiß- brauht wird. Deshalb müßte roenigstens eine andz:re Grenze des Lebengalters für die Zwangserziehung festgeseyt werden. Die obere Altersgrenze von 18 Jahren, bis zu welcher die Zwangs8erziehung an- geordnet werden kann, s{eint mir nit richtig gewählt, da die drei Jahre Zwangserziehung vom 18, bis 21. Jahre doch nicht ausreihen würden. Mindestens sollte man für Mädchen die obere Altersgrenze auf 16 Jaßre herabsezen. Die Bestimmungen des Giseßes darüber, wer die Zwangserziehung ausübt, find richtig ge- troffen. Der Zwangserziehung innerhalb gecigneter Familien würde id immer den Vorzug geben; nur wo es auf bejonders strenge Zucht ankommt, muß die Erziehung in einer Anstalt erfolgen, j¿doch dürfen diese Anstalten niht für eine zu große Zahl von Z‘glingen eingecihtet werden. Was die Kosien betrifft, fo ist zu bedeaken, daß die Provinzen \{chon überlastet und namentlih verschieden belastet sind. - Legt die Vorlage ihnen neue Lasten auf, so werden die landwirth\chaftlichen Kreise wiederum belastet. Das Hauptkontingent der Zwangszözlinge stellen aber die großen Städte und die Industrie- zentren und nit das platte Land. Meine Freunde könnten es nit verantworten, wenn die Provinzialverbände neue Lasten erhielten, wie es eine Folge der Vorlage sein würde. Wenn die Vorlage Gefeß wird, wird die Zahl der Zwangszöglinge sich verdoppeln. Die Verschuldung der Provinzen und der Kreise hat bedeutend und in rashem Tempo zugenommen. Die Belastung der Gemeinden, namentlich der kleinen Städte, ist kolofsal. Es giebt Gemeinden, die 450 9% Komaunal- steuern zahleo. Wir können die Hand zu weiteren Belastungen nicht bieten. Dec Staat muß dafür ein Acquivalent durch eine hözere Provinzialdotation schaffen. Sollte das Gesetz nicht für die Kommunal- verbände annéhmbar gemaht werden können, so werden roir kaum dafür stimmen können.

Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Die beiden Herren Vorredner haben im allge- meinen der Vorlaze gegenüber eine sympathisch? Haltung eingznommen und ich nehme Veranlassng, ihnen dafür zu danken. Sie haven aber eine Reibe von Moniten gezogen, die auf verschiedenen Gebieten liegen.

Der letzte Herr Vorredner hat ¿unähst mit dem Ausdruck des Zweifels begonnen, ob man mit der gegen rärtigen Gefetzesvorlage bessere Erfahrungen machen werde als mit dem Geseßze von 1878. Meine Herren, i glaube, diese Frage kann man in der That bejahen; denn wenn man mit dem Geseße von 1878 nicht genügende Erfahrungen machte, so lag das eben an der fehlerhaften Konstruktion des Gesetzes. Dieses Gese ermöglichte erst dann vorzugehen gegen die Ver- wahrlosten, wenn dieselben vor die Schranke des Richters gekommen waren. Es war nicht die MögliWhkeit ge- geben, einem so tiefen Sinken -der Fuzendlichen vorzubeugen und {on rechtzeitig ihnen die helfende Hand entgegenzufstreck:n. Wir Latten nicht tie Macht, einem Jugendlihen, den man auf abshüssiger Bahn sah, ein Halt zu bieten, indem man ihn in geeignete Grziéhung brachte, sondern wir mußten ihn weiter gleiten lassen auf der ver- breherischen Bahn, die ihn Z4ließlich vor die Thore de3 Zachthauses oder des Gefängnisses führte. Das ift der große Mangel gewesen, daß wir niht in dem Maße präventiv einschreiten konnten, wie es im Intereffe der der Verwahrlosung Ausgesezten erforderlih war, und diesen Mangel zu beseitigen, if eine der ersten Aufgaben dec jeßigen Vor- lage. Das Gesez von 1878 giebt überhaupt keine Möglichkeit, Fugendlihe über 12 Jahre, welche verwahrlost sind, der Z oangs- erziehung zu unterwerfen, abgesehen von denjznigen, die vom Straf- rihter verurtheilt werden und vom Staate unterzubringen find. Au nah dieser Richtung hin soll die Materie wesentlih weiter au8gebaut werden. Also gerate weil die jeßige Geseggebung niht hinreißenden Schutz für die in Rede stehenden Minderjährigen bietet, heffen wir, daß jeßt, wenn ein solher Shpyß geboten wird, in der That auh hier mehr Segen gestiftet werden wird, als es bisher der Fall ge- wesen ist.

Dann hat der Herr Vorredner den Gesegeatwurf im einzelnen nah vershiedenen Richtungen hin bemängelt. Zunähft hat er gerügt, daß keine Altersgrenze nach unten gezogen sei... Wir haben diese Frage auf das eingehende in einer Konfer:nz sämmt- lier Landesdirektoren der Monarciz besprochezn, und die Lantesdirektoren waren cinstimmig der Ansicht, daß man eine Grenze n2ach ob24 nicht ziehea sollte. Die jeßige Grenze von sech3 Jahren wurde all’eitig als fehl?chaft anzrfannt, und es-wardz mit Ret darauf hingewiesen: ist es rihtig, zuzusehen, wie ein JIugzndliher- von 4 oder 5 Jahren immer mehr der Verwahrlosung anheimfällt, und abzuwarten, bis er 6 Jahre alt geworden ift ? Ds gerade ift ja der große Mangel de3 gegenroärtigen Zustandes, daß man so häufig zu spät kam, und fo würden wir au ferner oft zu spät kommen, wenn wic eine Grenze festsezten. Daß man Kinder von 1 oder 2 Jahren in Zwangserziehung bringen wird, wie der Herr Vorredner andeutete, das mag in besonders kcassen Fällen wohl vorkommen ; daan wird dies auch geboten sein. Aber im allg2zmeinen werden das doc seltene Au3nahmefälle bleiben. Wohl abzr wird es unter Umständen geboten sein, Jugendlihe von 4 oder 9 Jahren, kurz vor der Grenze von 6 Jahren, zur Zroangserziehung zu bringen, um sie zu \chügen und nicht erst der gänzlihen Verwahrlosung an- heimfallen zu laffen,

Dann hat der Herr Vorredner ebenso die Grenze nah oben hin berührt. Au diese Frage haben die Herren Landes3direktorea ein- stimmig dahin beantwortet, . daß es richtig sei, die Einleitung der Zwangserziehung bis zum 18. Jahre zuzulassen. Wenn Sie die Ver- handlungen vor den Strafgerichten verfolgen, werden Ste sehen, daß an Rohheitêverbrehen und groben Gewalithätigkeiten gerade die Jugend- lien im Alter von 16 bis 17 Jahren erheblih betheiligt sind, und es würde ein großer Mangel sein, wenn wir diese Elemente niht im [eßten Augenblick noch mit starker Hand angreifen können, um den Versu zu machen, sie in geordnete Bahnen zu lenken.

Der Herr Vorredner hat bemängelt, daß die Zeit von 3 Jahren

furz: sei, um dieses erzieherishe Werk an ihnen zu vollenden. Die Herren Landesdirektoren haben ganz mit Ret darauf hingewiesen, da die Ausdehnung der Grenze bis zu 18 Jahren die Möglichkeit giebt, diese Verwahrloften direkt aus der Zwangserziehung in die Armee eintreten zu lassen. Ich glaube, daß diese Doppelerziebung, zuerst in der Erzichung8anstalt und naher in dem beften Erziehungs- institut der Welt, unserer deutschen Armee, wohl in der Lage sein wird, diese Elemente zu bessern.

Dann ist der Herr Vorredner noch auf einen weiteren Punkt gekommen, der allerdings von befonderer Bedeutung ift, nämli auf die Kostenfraze. In dieser Beziehung darf ih zunächGft historisch be- merken, daß im ersten Entwurf die Vorlage davon ausging, die Koften zu drititheilen, invem die Ortsarmenverbände ein Drittel der Kosten ähernehmen sollten, die Provinz als Landarmenverband das zweite Hitittel und das [eßte Drittel der Staat. Die Herren Landesdirektoren sprachen si dagegen aus, die Ortsarmenverbände zu belasten, weil fie fürchteten, daß die Anträge auf Einleitung der Zwangserzichung ¡u selteñ gestelit werden würden, wenn ein solches finanzielles Inter- esse der Ortzarmenverbände mitsprähe. Infolgedessen ist man weitere gegangen und hat sih entschlossen, noch dem Vorgange des Gesches von 1878 eine Halbierung eintreten zu lassen, der Art, daß die Provinzen die Hälfte der Kosten tragen sollten und die andere Hälfte der Staat. Gegen diese Kostentheilung, die ber die erste Vorlage wesentlich hinausging, richteten fh im Herren- hause erheblibe Bedenken. Es wurde der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß dadur eine zu starke Belastung der P-ovinzen eintret:n würde. Dank dem Entgegenkommen des Herrn Finanz-Ministers, ist diesem Bedenken dadurch Rechnung getragen worden, daß der Staat anter Abweichung von dem Prinzip des Gesehes von 1878 zwei Driitel der Kesten übernehmen soll, sodaß nur cia Drittel zu Lasten der Pro- vinzen verbleibt. Diese Theilurg soll nicht nur zutreffen auf die neuen Kosten, die auf Grund der Gesehesvorlage erwachsen würden, fondern auh auf die Kosten, die jeßt hon auf Grund des Gefeßes von 1878 den Provinzen entst-her. Diese Kostentheilung hat also eine im günsticen Sinne rückwi«kende Kraft.

Und wie stellen sich nun die Kosten? Die Kosten der Ausführung des Gesetzes von 1878 haben fich auf 15 Millionen Mark geftellt. Davon entfallen je 750 000 ( auf die Provinzen und auf den Staat. “Wir gehen ich glaube wobl mit Net auf Grund der Erfahrungen, die man namentli in Baden gemacht hat, davon aus, daß, wenn die Vorlage Geseß werden follte, sich die Kosten eiw2 verdoppeln würden, so daß alfo die Gesammt- kosten fich von 14 auf 3 Millionen erhöhen würden. Wenn daber 2 auf den Staat ükernommen werden, so trägt er von den „3 Millionen 2 und die Provinzen tragen 1 Million, alfo ein Plus von 250000 A Der Staat hatte bisher 759 009 #6 zu leisten; er hat künftig 2 Millionen zu leisten, also ein Plus von 129000 A Die sämmtlihen Provinzen haden also mehr zu tragen 90000 M, und ih glaube nicht, daß das über die Kräíte der Provinzen hinau9geht, zumal dér Herr Finanz - Minister ch bereit erklärt hat und das ift auch zu Protokoll genommen —, auch ¡u den Baukosten da beizutragen, wo ein Bedürfniß vorliegt. Zu den Baukosten generell beizutragen, zumal bei so wohlhabenden Verbänden, roie z. B. die Stadt Berlin ist, dazu liegt, glaube ih, keine Veranlafung vor.

Nun ift die Frage der nit zu starken Belastung der Provinzen von der eminentesten B:deutung nah allen Nichtungen hin. Die Frage if im Herrenhaus auf das Eingehendste eröctert worden. Jh brauße nicht zu betonen, daß ih mit dem Herrn Vorredner wünsche, in dieser Belastung Halt zu maŸYen und die Kräfte der Provinzen nicht über das Maß anzuîtrenzen, zumal wir im Often neben dieser großen Belastung der Provinzen zum theil ganz exorbitante Belastungen der Kreise und Ge- meinden sehen. Ih bin also mit ihm darin ganz eins versianden, daß wir in dieser Beziehung mit großer Borsicht vorgehen müfsen, und daß wir erwägen müssen, 0% wir die unzweifel- hafter. Ungleichbeiten des Dotationsgeseßes von 1875 nit in der einen oder anderen Weise zu Gunsten derjenigen Verbände, die dabei s{lecht gefahren sind, wieder ausgleihen können. Das ift aber eine Frage von so außerordentlihec Bedeutung und zuglei von so großer Schwierigkeit, daß wir sie unmöglich im Rahmen der jeßigen Vorlage lôfen können. Hier interessiert im Augzenblick nur Ne Frage: ist in der That die Mehrbelastung von 250 000 von so großer Bedeutung für die Provinzen, daß Sie die Vorlage ablehnen türften ? Ih würde es außerordentli bedauern, wenn na allem Entgegenko:nmen des Herrn Finanz-Ministers an diefer, wie ich meine, verhältnißmäßig nit bedeutenden Belastuag der Provinzen diese Vorlage \cheitern würde.

Ih glaube, es kann darüber kein Zweifel obwalten, daß die Vor- lage von ganz außerordentlicher Bedeutung für unsere fernere Ent- wick:luxg ist, und zwar au von einer finanziellen Bedeutung für die Provinzen selber. Die Herren werden nicht verkennen, daß, wenn die Vorlage das wirkt, was wir erhoffen, damit auch eine erhebliche Ent- lastung der Landarmenverbände eintreten wird. Was die Provinzen also auf der einen Seite durch die Ausdehnung der Z vangserziehung mehr ausgeben, werden sie auf der andern Seite ersparen dur ge- ringere Aufwendungen für das Landarmenwesen.

Meine Herren, auf der ersten Seite der Begründung finden Sie einige Daten angegeben, von deuen ih eines in aller Kürze wiederholen möchte, nämlih, daß im Fahre 1882 30676 Fugendlihe wegen Vergehen und Verbrehen bestraft worden sind und daß ih diese Ziffer bis 1896 auf 43 962, bis 1897 auf 45 327 gesteigert hat; also in den wenigen Jahren von 1882 bis 1897 eine Steigerung um 47 9/6! Diese Steigerung is um so be- denklicher, als sie relativ viel echeblicher ist, wenn man die Zunahme der Kriminalität bei den Erwathsenen beachtet. Während die Kriminalität bei den Erwachsenen nah Tausendtheilen der Bevölkerung nur um 16 gestiegen, ift sie bei den Jugendlichen um N gestiegen. Wir sehen also eine Zunahme der Kriminalität bei den JIugendlichen, die an sich sehr bedenklich ist und über die- jenige der Erwachsenen noch hinausgeht. Meine Herren, sollen wir diesen Dingen gegenüber gewisse, immerhin nur mäßige Opfer sheuen? Jh meine, diese Frage follten wir verneinen. E38 handelt sich hier um weite Kreise unserer Bevölkerung, die wir nit, sofern wir unsere Pflicht thun wollen, dem Verderben anheimfallen lassen dürfen, sondern die wir suchen wüssen in geordnete Bahnen zurückzuführen. DasZ ist gewiß nicht

ginge. Das if nicht richtig.

mözlich allein auf dem Wege der Zwangszerziehung. Es ist in der Begründung ausgesprochen und entspriht meiner innersten Ueberzeugung, daß diese \{chweren Schäden am Körper unseres Volkslebens acbilt werden können dur einträhtiges Zusammenwirken aller berufenen Organe, und hierzu rechne ih in erfter Linie Kirche und Schule, dann auch die kräftige Handhabe der Erziehung durH Staat und Provinz. Es handelt si hier um so wihtige Interessen, daß demgegenüber ein Opfer, das, wie ih nahgewiesen zu haben glaube, noch erträglih ift, seitens der Provinien nit geschzut zu werden brauht.

Der Herr Vorredner hat dann in einem Punkt ih wobl geirrt. Wun ich ihn rihtig verftanden habe, so sagte er, daß künftig auß die Fürsorge für die über zwölf Jaßre alten Zwangszöglinge nah § 56 des Strafgeseßbuchßs von dem Staat auf die Provinzen übers Die Fürsorge für diejenigen über ¿wölf Fahre alten Jugendlichen, die vor den Strafriter kemmen, aber wegen mangelnder Einsicht freigesprohen werden, bleibt nah wie vor dem Staat, und ter Staat hat diese Kosten ganz allein zu tragen. Es if mit Ret im Herrenhau'e angeregt wocden, ob man nicht diese Fürsorge ebenfalis auf die Provinzen über- geben lassen soll, was meines Ecahtens im Prinzip unbedenklich wäre. Aber es würde \{wierige Verhandlungen mit den Pcoviazen erfordern, da man thnen nicht zumuthen kann, auch diese Fürsorge zu ‘übernehmen, und ih mit der Erstattung von zwei Dritteln der Kosten, die gegenwärtig der Staat allein trägt, zu begnügen. Der Staat müßte diese Kosten voll erseßen, Baulichkeiten übergeben kurz, es würde eine Fülle von Verhandlungen nothwendig machen, die die Verabschiedung des vorliegenden Entwurfs in bedauerlich:-r Weise verzögern roürde.

Mit einigen Wort-n muß ih mich zu dem wenden, was der erste Herr Rednex gesagt hat. Er hat in der Vorlage zuerst § 4 bemängelt, insofern, als in dem § 4 dem Landrath ein Antragsreht gegeben ist. Dieser § 4 ist in der Presse und bei der Beurtheilung der Vorlage vielfa, glaube ih, mißverstanden worden. Ich glaube, daß auch der erste Herr Redner si von diesem Mißverständniß nicht ganz frei gehalten hat. Man hat den Paragraphen so aufgefaßt, als ob der Landrath allzin berechtigt sein soll, die Zwangserziehung beim Vormundschaftsrihter zu beantragen. Das ist niht der Fall. Sozdern es is Jedermann, intbesondere auch der Geistliche, der Lebrer, die Eltern u. ï. ro. berchtigt, den Antrag zu stellen, Der Vor- mundschaftscihter wird in jedem Fall pflihtmäßig yrüfen, ob die ihm unterbreitetzn Thatsachen einen Aalaß geben, der Frage der Zwangs- erziehung näher zu treten oder nicht. Wir haden indefsen mit voller Absit cine Inftanz installi:ren wollen, die, wie berechtizt fo ver- pflichtet is, d:rartige Anträge zu stellen. Geschieht dies ni§t, fo wird sih der Eine auf deu Anderen verlafsen und in vielen Fällen keiner etwas thun. Ih wiederhole, es ist ia keinec Weise aus- geshlofsen, daß der Lehrer, der Geistliche, der Fabrikherr oder sonstige Personen, die ein Interesse daran haben, si an den Vormundschafts- rihtec wenden und sagen: dies Kind ist der sittlichen Verwahrlofung ausgeseßt; wir bitten, nimm dich des Kindes an! Der Bormunad schafts» richter kann nur nit verpflichtet fein, jeden derartigen Antrag ab ovo zu instruieren. Es muß seiner pflihtmäßigen Gntscheidung über- lassen bleiben, ob er der Sache näher treten will odzr niht. We?nn aber der Landrath mit feiner Autorität €einea Antrag stellt, darf der Vermundschaftörichter ihn niht ohne weiteres abweisea, sondern muß ihn förmlih inftruieren und dem Landrath Beseid geben. Wir glauben, daß es in vielen Kreisen sehr erwünscht ift, daß cine Instanz, wie der Lanvrath, derartige Anträge stellt. Es würde meines Erachtens zu einer unerwünshten Disparität führen, wenn es von dem Ermessen des Bürgermeisters oder Lehrers abhinge, Anträge auf Zwangserziehung zu stellen, sofern wir niht cine JIaftanz hätten, die nah einheitlihen Gesihtspunkten vorgeht.

Der erste Herr Vorredner hat auÿ die Frxge der Kostentragung gestreift, über die ih mich in Ecwidecung auf die Aeußerungen des Freiherrn von der Golß schon ausgelassen habe.

Dann kat der erfte H:rr Redner eine überaus wichtige Frage in den Kreis seiner Erörterungen gezogen, nämli die Frage der religiösen Erziehung. Ich befinde mich in voller Uebereinstimmung mit dem Grundgedanken seiner Ausführungen. Auch ih halte es für selbstverständlich, daß die Erziehung nur dann den vollen Einfluß an der Seele der Kinder und sonstigen Jugendlihen ausüben kana, wenn diese Erziehung auf einer christlihen Greund[age erfolgt. Diese Frage ist au in der Herrenhauskommission eingehend erörtert worden. Es bestand volle Uebereinstimmung darin sowohl unter den Mitgliedern des Herrenhauses selber als unter den Vertretern der Staatsregierung. Es war eigentli, ich möchte sagen, eine nur tehaishe Fraze, ob eine derartige Dircektive in das Ge}eß hineingehöre oder nit. Meine Hérren, man fkänn es nur als été Direktive geben ; denm bis auf dea letten Fall positiv vorzuschreiben, beispielsweise daß die Kinder nur in den Familien untergebracht werden dürfen, die ihrer Kon'ession sind, das ist {wer möglih. Das wird ih bei den shulpflihligen Kindern wohl in den allermeiften Fällen durhführen lassen, abzc es wird sih hon nicht mehr durh- führen lassen bei denjenigen, die dem \chulpflihtigen Alter entwaŸhsen sind; denn man kann ei1 Dienstmädchen nit unter allen Umständen in einer Familie unterbrinzgen, die ihrer Konfession is, und ebenso wenig einen Lehrlinz lediglih danach in die Lehre geben, ob der Lehrbherr seine Konfession theilt oder niht. Man könnte es als Direktive ia das Geseg aufaehmen, wie €s durchaus gerecktfertigt wäre. Aber eine sol@e ODirektive gehört nicht in das Gescy, sondern in die Ausführungsanweisung ; denn ih habe mih- damals bereit erklärt und wiederhole auf das be- stimmteste viese Ecklärung, daß cine derartige \trikte Anweisung, so- weit es irgend mögli ist, auf die Konfession der Zwangszöglinge Rücksicht zu nehmen, in die Ausführunganweisung hineingenommen werden soll.

Ich glaube, meine Herren, ich habe damit im wesentlichen die Punkte berührt, die die beiden Herren Vorredner ihrerfeits zur Erörterung gestellt haben. Ih kann nur nochmals bitten, daß man sih dur einzelne Bedenken nicht abhalten lassen möze, dem Gesegentwurf im wesentlichen zuzustimmen. Derselbe hat im Herren- hause eine sehr eingehende Berathung gefunden, namentli auch nah der Richtung der Vermeidung der Ueberlastung der Provinzen. Es handelt sich um eine für die Eatwickelung unseres Volks überaus wichtige Angelegenheit, an der mitzuwirken, Kirhe, Schule, Staat und Provinzen berufen find, und ih hoffe, daß die Geseßésvorlage zur Verabschiedung gelangt und damit ein Fundament für diefes

Zusammenwirken zum Wohl unseres Volks gegeben wird. (Bravo ! rechts und im Zentrum.)

Abg. Noelle (nl.): Eine Aenderung des jeßigen gesetlihen Zu- stands ift nothwendig, schon mit Nückücht auf “A E We B. G.-B. Unhaltbar if aub der Grundsaß des jeßigen Zwangs- erziehung8gesegzes, daß eine Zwangserziehung nur eintrèten kaan, wenn etne Bestrafung erfolgt ist. Das Zwangserziehungs8gesez soll niht mehr ein Strajaeles lein, es handelt fich vielmehr um eine Aufgabe der Grztehung. Erfreulich ift, daß die Vorlage die Zwangs- erziehung auch in Familien und felbst im Hause der eigenen Eltern des Zöglings zuläßt. Eine untere Altersgrenze balte ich nicht für angebraht. Ueber eine obere Alterêgrenze von 16 oder 18 Jahren läßt sich streiten; ih entsheide mich für 18 Jahre, weil ih glaube, daß auch in den drei Jahren vom 18. bis 21. Jahre noh Manches durch eine Zwangserziehuna zu erreichen ist. Der § 56 des Strafgeseßbuhes üver di: Straflosigkeit der Verbreher zwishén dem 12. und 18. Jahre, wenn sle niŸYt die erforderliche Einsiht besessen haben, müßte geändert werden In Bezug auf das Antragsreht stimme ih dem Minifter zu; es wird hier nicht genug unterschieden zwisden dem AntragsreWt und dem Anzeigerecht. Dein Antragzrecht steht auch die Antragspflicht graeaer und deshalb is auch für die fleineren Städte ber andrath die geeignete Person, auch aus dem Grunde, weil das Ge- rit nicht mit unbegründeten Anträgen belastet werden darf. Nicht einverstanden bin ih mit der Herrenßhausfafsung des § 10 über die Unterbringung der Zwang8zöglinge in Arbeitéhäusern; wenn auch eine Trennung der Räume fta'tfinden foll, so sheint doch damit gesagt zu sein, daß auch Arbeitshäuser die Zwangs8zöglinge aufnehmen können ; es wird immer dieselbe Anstalt sein. Nach de:n Reichs-Strafgesezbuch ist diefe Art der Unterbringung von Zwangszögkingen aber garnicht zulässig. Die Unterbringung in einem Arbeitshaus ist die entehrendfte, die wir kennen. Die Zwangserziehung würde dadurch verschärft werden, finanzielle Bedenken dürfen nicht ausschlaggebend sein; ih wünsche daher die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, nah der die Zöglinge in Arbeitshäufern niht untergebraht werden dürfen. Bezüglich der Kosten verweise ih auf den Antrag meiner Freunde über die Erhöhung der Provinzialdotationen und vermeide es jeßt, darüber zu sprechen. Die Kosten werden nit so bedeutend sein, daß man daran das Geseg scheitern lassen túrste. Shließlih sind es do dicselben Steuerzahler, welche die Kosten tragen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. konf.): Ih bes antrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 21 Viitagliedern. Die Vorlage bringt den Grundsaß voll zur Geltung, daß bie Zwangserziehung keine Strafe, sondern eine Fürsorgemaßregel sein soll. Wenn man aber ein folhes Geseg mat, das so tief in die Rechte der Eitecn eingreift, fo muß man dafür sorgen, daß der Zweck der Zwangserziehung a:ch voll erreiht wird, Die Kosten und die Frage, wer fie tragen soll, können erst in zweiter Linie köómmen. Es fragt |\ch nur, ob die sonstigen Bestimmungen der Vorlage richtig gewählt sind. Die Bedenken des Abg. von der Goly wegen der oberen und unteren UAlters8grenze theile ih nit; die Behörden werden dieses Gese nicht ia thöôörihter Weise ausführen. Durch den Anschluß der Heercspfliht unmittelbar an die Zwangserziehung werden hoffent- li auch solche noch g:bessert werden können, die erft mit dem 18, Jahre in die Zwangserziehung gebraht werden. Die B:- stimmung, daß die Octépolizeiverwaltung die Koften einer vorläufigen Unterbringung in die Zwangserziehung dann selbst zu übernehmen hat, wenn die vorläufize Anordnung nicht in eine défiaitive verwandelt wird, kann leiht dahin führen, daß die Orttpolizeibehörden noth- wendige Anträge auf Anordnung zur Zwangéerziehung überhaupt nicht stellen. Die Zwangserziehung muß ganz individuell theils in Familien, theils in Anstalten erfolgen. Vorausseßung is allerdings, daß geeignete Familien vorhanden sind. Bei der Anstaltéerziehung wird man au die Zöglinge in v:rshiedene Klasszn eintbeilen müssen. Die Mitwirkäng der Kirh? und Schule kei der Durchführung diefes Gesezes ist eine nothwendige Ergänzung der ftaatlichzn Organe. Dafür, daß die Pcovinzen die Träger der Zwangserziehung fein müssen, sprehen wichtige Gründe. Die Swattenseiten dieser Ein- rihtung liegen nicht in der Sache selbst, sondern auf anderem Gebiete, nämlih în der Belastung der Provinzen. Wir werden {hon in den nächsten Tagen uns darüber bei dem Antrag auf Er- böbung der Provinzialdotationen zu unterhalten haben. Der Finanz- Minifter hat erkläct, daß die Betheiligung des Staats mit zwei Dritteln an diesen Kosten das äußerste sei, was er zugestehen könne, und man wird an di:sem Maßstab auch uit viel ausseßen können. Ein Mfßstand is es aber, daß dieser Beitrag des Staats auf die verschiedenen Provinzen vershieden wirkt und die reichen Provinzen dabei im Vortheil sind. Die Kautelen des § 10 be- ¡gli der Unterbringung von Zöglingen - in Arbeitshäusern werden mehr auf dem Papier stehen; es wird s{ließlih doch auf eine Unterbringung im Atrbeitshause hinauslaufen, und damit wird der erzichlide Zweck der ganzen Einrichtung gefährdet. Mit Rücksicht darauf, daß die Kosten der Strafrechtsxfleze dur die Zwangserzichung vermindert werden, könnte man au die ganzen Kosten der Zwangs- erziehung dem Staate avferlegen. Wollte man aber die Zwangs- erziehung dem Staate überlassen, dann würde eine solche neutralifierte Verwaltung noch viel bureaukratisher sein und noch viel mehr Koften verursachen, als wenn die Provinzen diese Aufgabe übernehmen,

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ih will mih heute auf einige wenige kurze, wesentli mein Ressort betreffende Bemerkungen beschränken, zumal der Herr Minister des Innern ausführlih die Stellung der Staats- regierung dargelegt hat, das Bedü:fniß des Geseßes bewiesen und au den Beweis angetreten hat, daß die Ausdehnung der bisherigen Thätigkeit der Provinzen durchaus zrocckmäßig und der eigentlichen Staatsverwal- tung, von welcher zuleßt Freiherr von Zedliß gesprochen hat, vorzuziehen ist. Ich kaun mich um so mehr beschränken, a!s die meisten Redner fd im Großen und Ganzen dem Gesey durhaus sympathisch gegenüber- geftellt haben und ih in vielen Eiazelheiten mit den Bemerkungen der leßten Redner ganz einverstanden bin.

Hz:rr von Zedlitz sagt, es sei niht unbillig, daß der Staat die ganzen Kosten übernähme. Ich kaüpfe hiecan an. Meine Herren, er führte felbst aus, die Provinzen die bisherige Thätigkeit auf dem Gebiete der Zwangserziehung im großen Ganzen in jeder Weise zwoeckmäßig gehandhabt hätien, er führte nur aus, daß, wenn der Staat diese Aufgabe übernehme, dann die Kosten erheblih gtößer werdea würden. Er sagte zugleih: es kommt auf die Kosten in di:ser Frage nit an. Ih stehe in dieser Beziehung ihm fehr nahe. Ih unterschreibe auch den Satz: Diese Aufgabe, die wic hier in Angriff n-hmen, if von einer solchen kapitalen Bedeutung, daß das, was an Kosten nothwendig ift, auch geleistet werden muß.

Aber, meine Herren, es fragt sh: welhé Kosten sizd noth- wendig, und wo werden am meisten Kosten ohne Noth au8gegeben werden ? Da fagt Herr Freiherr von Zedlig selbst: wenn die Pro- vinzen die Verwaltung behalten, so werden die Koften doch noch erheblich geringer sein. Unnüße Kosten auszugeben, dazu ift aber jed:-nfalls keine Verarlafsung. Ih gehe aber weiter: wir haben die Provinzialverwaltung eingerihtet, nicht um den Provinzen aus Staats- mitteln Geschenke zu mahen, auch nicht um den Provinzen zu garantieren, daß sie niemals über die Dotation des Staats an Kosten zu zahlen haben würden, sondern es war eine große Dezentralisations- maßregel. Wir glaubten eben, daß bestimmte Verwaltungszweige

zweckmäßiger, billiger und besser verwaltet werden könnten, wenn fie