1900 / 104 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 May 1900 18:00:01 GMT) scan diff

sind, und, wo das Wahlrecht an einen Einkommensteuersaß von 6 Æ ge?nüpft ist, auh die zu diesem Satze veranlagten Wähler, sowie die Steuer, mit welcher dieselben in die Wählerliste eingetragen sind, außer Betracht zu lassen“ und eia dieser Abänderung den § 2 in der Kommissionsfassung an- zunehmen.

Beri{terstatter Abg. Dv. Lewald (kons.) legt kurz die von der Kommission beschlossenen Abäúderungen der Regierungsvorlage dar.

Abg. Dr. van der Borght (nl.): Jh habe namens meiner politishen Freunde zu erklären, daß wir dem Entwurfe in der vorliegenden Fassung nicht zustimmen können. Durch die Steuerreform von 1891 haben plutokratishe Verschiebungen stattgefunden. Soweit s\i2 eingetreten find, hat die Geseß- gebung \schon Gegenmaßregeln getroffen in d 3 Marfk- Steuer, in der Herabseßung des Zeusus am Rhein u.X| w. Es ist aber nit richtig, diese ganze Frage ledigli unter dem Gesichtspunkt

Steuerverschiebung zu betrachten... Es hat au eine Verschiebung der wirthshaftlihen Lage der Bevölkerung stattgefunden. Diese Ver-

chiebung ist bei den Arbeitern größer als beim Mittelstande. Eine Anzahl von Leuten wächst infolge dessen in die Wahlfähigkeit hinein, die sie bisher niht hatte, Es wächst die dritte Klafse, während si der Prozentsaß in der ersten und zweiten Klasse vermindert. Die Bedeutung dieses Moments ist nit zu untershäßen. Wenn man die Fabce 1891 und 1899 vergleicht, fo findet man, daß in Danzig, reslau, am Rhein und anderwärts die Zahl der Wähler dritter Klasse um mehr als 100 9/6 gewachsen ist. Ih will niht fagen, dal man keine Kommunalwahlreform vornehmen foll, aber ih meine, man fo fie niht mehanisch vornehmen. Es muß dauernd eine zweckmäßige, ge- rechte Bertheilung stattfinden. Der Hinweis auf das Reichstagswahlrecht Ht hier durchaus verkehrt. Bei den Gemeinden handelt es sich um Recthte nah dem Maß der Steuerleistung. Gegen das Durchschnitts- system, wie es jegt vorgeschlagen wird, haben wir stets große Be- denken gebabt. Dieses System paßt nicht für die Aufgabe, die ih bezeichnet habe. Auch die Staatsregierung hat inzwischen eingesehen, daß der Einfluß auf Wahlen sich na der Steuerbelastung rihten muß. Die Regierung hält nur aus formellen Gründen an diefem Prinziv fest, sie übersieht aber, daß die Wirkungen des Geseßes von 1891 nit dauernd sind. Der Einfluß des Mittelstandes könnte dadur immer mehr zurückgedrängt werden. Möge das Zentrum dies wohl beachten. Das Zentrum will ja den Einfluß des Mittelftandes verstärken. Auf die Dauer aber richtet sih das Durschntttsprinzip gegen den Mittelstand, und die anderen Klassen gewinnen an Einfluß, Es wirkt also nah unten hin demokratish. In einigen Gemeinden wird eine Demokratisierune, in andern eine Sozialisierung stattfinden. Das leßtere würden wir lebhaft beklagen, denn es würde niht ohne Einfluß auf die Gestaltung ‘des Staats bleiben. Die Spiye des Geseß?entwurfs richtet sich gegen uns. Das Zentrum will uns damit Abbruch in den Rheinlanden thun. Wie aber die anderen Parteien fich für das Durchschnittéprinzip erwärmen können, ist mir unverständlich, denn das Durchschnittsprinzip ist weder liberal noch konfervativ. Die Kon- fervativen haben fh bisher nicht in den Dienst ciner Ein- rihtung gestellt, die auf d¿èn Umfturz der beftehen- den Gesellschaft hinarbeitet. Vielleiht erwarten sie vom Zentrum für dieses Entgegenkommen einen Gegendienst und bieten ihm dafür eine Liebcszabe. Ich würde mih freuen, wenn i mich irte. Jh betone noYmals, daß wir eine Reform durchaus nicht ablehnen. Wir wollen das Zwölftelungssystem zur Herrschaft bringen, wie es au das Abgeordnetenhaus 1893 acceptiert hat. Nur das Herren- haus hat es damals abgelehnt mit Rücksiht auf das platte Land. Dieses System paßt \sih niht nur dem Zustande vor 1891 an, es schließt auh Schwankungen aus und {ügt die Rechte des Mittel- fiandes. Es wirkt ferner antiplutokratisch nach oben hin, indem es au jenen Elementen einen Einfluß auf die Verwaltung ermöglicht, die keiner politishen Richtung angehören und ihre Intelligenz in den Dienst der Gemeinde stellen. Auf diese Weise wollen wir dauernd dem Mittelstande helfen.

Abg. Freiherr von Plettenberg-Mehrum (kons.): Ih spreche niht für meine Fraktion, sondern nur für meine Person. Mein Antrag bezweckt, eine beunruhigende Agitation von den Gemeinden fernzubaltev, wie sie stattfinden würde, wenn zur Beshlußfafsung über die Einführung, Abänderung oder Aufhebung der Ortsftatute die Mehrheit von zwei Dritteln der Gemeindevertreter nothwendig wäre. Id empfehle Ihnen meinen Hauptantrag und eventuell meinen Unter- antrag.

Abg, Freiberr von Zedlig und Neukirch (fr. kors.): Uns ift das reine Durchschnitteprinzip ni&t annehmbar; seine Nach- theile sind {hon dargelegt worden. Das Zwsölftelungs- syfleIm aber muß dahin ergänzt werden, daß Personen, welhe vom Staat zu einer Steuer niht veranlagt sind, stets in der dutten Abtheilung wählen, und daß Personen, die je nah der Größe des Ortes einen Steuersay von 70—192 M zahlen, der zweiten oder crsten Klasse zugewiesen werden. Die ¡weite Klasse soll in erster Linie dem Mittelstande gehören. Auch die Demo- rana der Gemeinden wird dur meinen Antrag wirksam be- ampTIt.

Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Ih möchte mir vorbehalten, meine Ausführungen über die Frage der Wiedereinführung einer Frist für die Einführung der Abänderung eines Ortsftatuts bei der Spezialdiskussion zu 8&4 zu machen, und gehe sofort zu dem wihtigsten Abänderungsbes{chluß der Kommission über, nämlih zu dem Beshluß, daß die ortsftatutarische Regelung niht durch cinfache Majorität erfolgen kann, wie die Regierungsvorlage es vorsah, sondern daß es dazu einer Zweidrittel- Majorität bedarf.

Meine Herren, wir haben mit voller Absicht Ihnen vorges{lagen, für die ortsftatutarishe Regelung nur die einfache Majorität zu er- fordern, weil die wirthshaftlihea und sozialen Verhältnisse in der Zusammenseßung der Kommunen in dem weiten Gebiet unseres Vaterlandes so außerordentlih verschieden sind, daß eben diesen Ver- shiedenheiten entsprechend auch nur verschiedene Maßstäbe geeignet sein würden, die Verschiebungen wieder auszugleichen, die durch die Steuerreform herbeigeführt worden sind, und den einzelnen Klassen der Bürgerschaft, namentlich dem Mittelstande, daêëjenige Maß von Wahlreht wieder einzuräumen, was ihnen gebührt. Die Statistik, die ih mir erlaubt babe, seiner Zeit aufzumachen, beweist, daß in der That ein einheitliher Maßstab shŸ nicht finden läßt, der allen diesen Verschiedenbeiten in der Monarhie Rech- nung zu tragen geeciznet wäre, und daß man deshalb niht davon absehen kann, durch Ortsftatut eiue verschiedenartige Regelung zuzulassen. Dieser Gesihtépunkt, meine Herren, spricht - auth gegen den Antrag, den die Herren Nationalliberalen eingebracht Haben. Es würde das Ziel, dem Mittelstande das ihm zustehende

Maß an Wakblrecht wiever einzuräumen, allein durch die Einführung der Zwölftelung nicht erreiht werden können, sondern man müßte au hier wieder neben der Zwölftelung einen anderen Maßstab ein- führen. Mit wenigen Daten möchte ih mir erlauben, das dar- zuthun.

Die bloße Einführung der Zwölftelung die bloße, d. b. ohne orts\tatutarishe Abweihung würde in einzelnen Gemeinden, namentlich in solchen mit starker Arbeiterbevölkerung, weit über das Ziel hinausschießen, die Zustände vor der Steuerreform wiederherzu- stellen, und würde zum theil Elementen ein Wakblrecht in der zweiten Klasse einräumen, die durchaus nicht in die zweite Klasse gehören. Es würden z. B., auf 1000 Theile der Bevölkerung gerehnet, in Ober-

haufen 22 in die zweite Klasse dringen, während es 1891 nur 10 waren, in Hörde 35 gegen 9 im Jahre 1891, in Höchstedt 25 gegen 14, in Ronsdorf 22 gegen 13, in Mülheim an der Ruhr 16 gegen 11, in Stendal 23 gegen 19, in Rathenow 17 gegen 13 u. st. w. ih will die Herren nicht mit einer weiteren Liste ermüden. Andererseits würde aber auch die Zwrslftelung in vielen Gemeinden dem Mittel- stande niht dasjenige Maß an Wahlrecht wieder gewähren, das ihm früher zustand und das ihm wieder gewährt werden foll. E83 würde beispiel8weise die Beseßung der zweiten Klasse auch wieder auf 1000 Theile der Bevölkerung gerechnet in Berlin von 11 auf 7 finken immer mit dem Jahre 1891 verglichen —, in Burtscheid von 8 auf 5, in Quedlinburg von 9 auf 6, in Memel von 22 auf 14, in Eupen von 10 auf 6. Kurzum, meine Herren, auch diese Daten beweisen, glaube ih, daß man allein mit der Zwölftelung nit würde auskommen können, sondern daß es au hier einer orts- statutarishen Regelung bedürfen würde.

Meine Herren, wenn wir demgemäß die einfahe Majorität für die ortéstatutarishe Regelung vorgeschlagen hatten, so wurde in der Presse und auch hier aus diesem hohen Hause uns das Bedenken entgegengebalten, daß dann einfach die Mehrheitsparteien, die im Besiße der Macht sind, sich teajenigen Modus ausfuhen würden, der am wenigsten an ihren Mathtverhältnissen abzubiöckeln geeignet wäre, gleihviel ob dieser Modus geeignet wäre, die Vershiebungen der Steuerreform auszugleichen oder nicht. Ih habe damals in der Kommission wie im Plenum erklärt, daß das natürlih nit die Absicht sein könne, sondern daß eine derartige Willkür ausgeshlossen sein müsse. Jedes Wort der Vorlage und der Begründung spricht die Tendenz aus, die durch die Steuerreform hervorgerufenen Vershiebungen wieder aus- zugleihen und dem Mittelstande das ihm gebührende Maß von Wahl- recht wieder zu verschaffen. Verstößt eine crtsftatutarishe Rezelung gegen diese Tendenz, so wäre es selbstverständlih gewesen, daß die Beschlußbehörden einer folchWen Regelung ihre Zustimmung hätten ver- fagen müssen. Ich habe wich ferner bereit erklärt, diese Direktive ausdrücklich auszusprehen, und wenn es gewünscht wird, sogar in das Gefeß selbst bixeinzubringen. Aber, meine Herc:n, ih bin mir darüber nicht im Unklarcn gewesen, daß auch diefe Regelung ihre erheblihen Bedenken hat, wie ich überhaupt glaubke, meine Herren, daß felbst ein Halbgott diefe Materie nich regeln könnte, ohne nach irgend einer oder der anderen Seite erhebliche Unebenheiten zu f\chafen (Sehr richtig!) Die Frage if so außerordentlich {chwierig und wegen der Verschieden- beiten in der Monarchie fo kompliziert, daß wir unter allea Lm- ständen mit gewissen Ungleichheiten werden rechnen müssen, welches Prinzip auch \chließlich gewählt wird. Ih glaube, darüber wollen wir uns nicht zweifelhaft sein.

Aber ich muß anerkennen, daß auch die einfahe Regelung dur Ortsftatut mit der Konsequenz, daß der Zustand von 1891 wieder hergestellt werden muß, mannigfahe Bedenken hat. Es wäre im Augenblick zwar mögli, die Zusammenseßung der Wählerabtheilungen wieder auf das im Jahre 1891 bestandene Verhältniß zurückzuführen, beispielsweise indem man bestimmt, daß genau fo viele Bru@htheile der Bevölkerung wieder der zweiten Klasse zugetheilt werden müssen, wie im Jahre 1891 in der zweiten Klasse enthalten waren. Aber, meine Herren, das Jahr 1891 nun auch noch nach 20 Jahren, 30 Jahren maßgebend sein zu lassen, hat erhebliße Bedenken, die ich durhaus nicht ver- kennen kann. Es würden troß aller Verschiebungen in den foztalen und wirthschaftli@en Verhältnissen immer wieder die Verhältnisse von 1891 festgehalten werden, uxrd das würde nach mannigfahen Richtungen, namentli in {nell sich entwickelnden Gemeinden, erheblihe Bedenken haben. Also ih habe nicht verkannt und kann nicht verkennen, daß auch dieses Prinzip mannigfache Mängel an sih hat, wie jedes Prinzip folhe Mängel an sih haben wird.

Nun hat die Kommission in ihrer Mehrheit sh nit auf den Stardpunkt der Regierungsvorlage gestellt, hat also niht den Ge- siht3punkt als maßgebend anerkannt, daß die Zustände von 1891 vor der Steuerreform in der Zusammenseßung der Wählerabtbeilungen wieder bergestelt werden sollen, sondern hat unabhängig von dem Zustande des Jahÿres 1891 eine solhe Willkür in der Regelung dieser Verkältnisse, wie ih fie vorhin andeutete, dadur abzuschneiden ge- suht, daß sie die ortsftatutarishe Regelung nicht mit ein- faher Majorität, fondern nur mit Zweidrittel, - Majorität zulassen will. Ich habe die Oster; ause dieses hohen Hauses dazu benußt, um eine Rundfrage zu halten, wie diese Ver- änderung in der Praxis wirken würde, insbesondere, ob die Z reidrittel-Majorität für ein Ortsstatut in den Gemeinden zu erhalten sein würde oder niht. Die Rundfrage hat ergeben, daß die Zweidrittel-Majorität in der allergrößten Zahl der Gemeinden nicht zu beshaffen sein wird. (Hört, hört!)

Die Konsequenz ist also die, daß wir in der größten Zahl der Gemeinden damit rechnen müßten, daß das einfahe Durchchnitts- prinzip zur Einführung gelangen wird. Das einfache Durchschnitts- prinzip ist, wie ih auch fcüher mehrfach dargelegt habe, zwar in vielen Gemeinden geeignet, den Zustand von 1891 wiederherzustellen, dem Mittelstande das nôthige Maß am Wahlrecht wieder einzuräumen; aber das Durhschnittsprinzip ift andererseits au in sehr vielen Ge- meinden, namentlich in Gemeinden mit starker industrieller Be- völkerung, gefährlih, da es über die Zustände von 1891 weit hinau?- führen und Glemente in die zweite Klasse bringen würde, die nicht als der zroeiten Klasse zugehörig betzahtet werden können.

In dieser Beziehung bitte ih, Ihnen einige Daten anführen zu können aus statistishen Ermittelungen, die ih der Kommission, die den Entwurf berathen hat, vorgelegt habe. Daraus ergiebt \sih, daß ¿. B. auch wieder nah Tausendtheilen der Bevölkerung berechnet die zweite Klasse in Stettin von 12 im Jahre 1891 auf 20 steigen würde; in Charlottenburg von 12 auf 22; in Efsen von 4 auf 15; in Wiesbaden von 13 auf 26; in Oberhausen von 10 auf 22; in Eshweiler von 11 auf 21; in Hörde von 9 auf 20. Es würde alfo die zweite Abtheilung wesentli viel stärker beseßt sein, als vor der Steuerreform. Wenn ih mi aber auf den Boden der Herren stelle, die sagen: Das if nicht entscheidend, sondern ent- scheidend ift, gleihviel wie es im Jahre 1891 war, ob diejenigen

Elemente in die zweite Klasse kommen, die dorthin gehören oder nit so wird man auch von diesem Standpunkt aus in allen Fällen wesentliche Bedenken gegen das Durchschnittsprinzip äußern können. Dieselbe Statiftik ergiebt z. B.,, daß in Dortmund nach dem bloßen Durchschnitteprinzip Leute mit durhschnittlich 34 M4

Staatsfteuern das sind Leute mit 2109 4 Einkommen in die

zweite Klasse kommen follten; ebenso in Remstheid. Es ift mir nun sehr fraglih, ob in Gemeinden wie Dortmund und Remscheid Leute mit einem derartigen Einkommen in der That in die zweite Klasse gehören; aber darüber kann man noch zweifelhaft sein. In anderen Gemeinden, beisplel8weise in Elbing, würden indessen {on Leute mit 1800 „(6 in die zweite Klasse kommen, in Königshütte mit 1500 4, in Hagen mit 1350 4, in Oberhausen mit 1650 A ih will auc hier die Liste nit bis zu Ende turchführen. Hter kann jedenfalls kein Zweifel fein, daß es eine bedauerlih? Zusammenseßung der zweiten Abtheilung herbeiführen würde, wenn Leute mit 1350 M, mit 1500, 1800 M in die zweite Klasse eindringen, das sind nah der Lage der Verhältnisse dort besser besoldete Arbeiter, aber nit die besseren Elemente des Mittelstandes, die’ in die zweite Klasse gehôörea. (Sehr richtig!) Und, meine Herren, von der momentanen Wirkung abgesehen, ist das Durhschnittsprinzip in vielen Gemeinden ih spred)e hauptsählich immer von Gemeinden mit starker industrieller Arbeiterbevölkerurg insofern bedenklich, als es ein stetes Moment der Unruhe und des Wechsels in die kommunalen Verhältnisse hinein- trägt. Ich glaube, Sie alle, meine Herren, welWzer politishen Partei Sie au fein mögen, müssen den Wunsch haben, in dea Gemeinde- verbältnissen, namentli in dem Gemeindewahlret, der Grundlage aller Gemeindeverhältnifse, eine gewisse Stabilität herbeizuführen, und diese Stabilität wird in erheblißem Maße gefährdet, wenn diese Elemente den Dur(shnitt mit beeinflussen können. Heute haben Sie den Arzt, den Richter, überbaupt den Beamten, den besseren Gewerbetreibenden in der zweiten Klasse, und mit Recht wird letztere von diefen Elementen als den Vertretern des besseren Mittel- standes teherrscht. Morgen werden in dec Gemeinde eine, zwet oder dret Fabriken errihtet, Hunderte von Arbeitern werden herangezogen, wie das in industriellen Landestheilen jeden Tag geschieht, und dadurch, daß diefe Hunderte von Arbcitern dem Divisor hinzutreten, sinkt der Durlschnitt dermaßen, daß ganz andere Elemente in di: zweite Klasse hineinkommen, daß der Arzt, der Nectsanwalt, der Beamte u. \. w. nit mehr die Majerität ia der zweiten Klasse haben, die ihnen ge- bührt. (Sehr richtig !)

Die Eniwickelung kann auch umgekehrt vor fch gehen. Wenn, wie es ebenfalls oft eintritt, cine Industrie zum Erlöschen kommt, wenn die Arbeiter sich einer anderen Branche zuwenden, die nuyß- bringender is, dann erhöht fih plôöglih der Durchschnittsbetcrag und Leute kommen in die zweite Abtheilung, die in ihrer sozialen und wirthschaftlihen Struktur in keiner Weise sh gegen den früheren Zustand geändert haben. - Lediglih dur solhe zufälligen Momente des Zustrômens und Abströmens von erbetlihen Arbeiter- mengen wird der DurSs{nittsbetrag auf das Wesen!lichste beeinflußt und mit dem Durhschnittsbetrag die ganze Zusammenseßung der städtishen Vertretung. Meine Herren, einen solchen Unfitherheits- koeffizienten, wenn ih so sagen darf, ein solches Moment der Be- unruhigung in den kommunalen Verbänden, sollte man, glaube ih, ausscheiden und suchen, den Durhschnittsbetrag und damit die Grund- lage der ganzen fommunalen Verhältnisse beftändiger zu machen, als es der Fall ist, wenn die geschilderten Elemente beim Dur§schnitt mit berüdcksihtigt werden.

Und, meine Hz:rren, was für mih das Bedenklichste ist und was ih ntt ernst genug dem bohen Hause zur Erwägung vorstellen kann, das find die Wirkungen in der Zukunft. Wie Herr Freiherz von Zedliß meines Grachtens völlig mit Recht ausgeführt hat, wird in vielen Fällen das DurŸschnittsprinzip zu einer ständigen Demokrat isierung der Gemeinden führen und führen müssen. (Sehr rihtig!)) Jch habe mir damals {on anzuführen erlaubt, meine Hzrren, wie sich tie Verhältnisse in vielen Gzmeinden gestaltet haben. Troy unserer alärzenden wirthschaftlihzn Lage ist der durchschnittlice Einkommen- steuerbetrag in einigen fo!chen mit starker Arbeiterbevölkerung ver- seheiea Gemeinden immer gesurken. In Barmen beispieltweiie ih halte es für meine Pflit, wegen der Wichtigkeit der Verhältnisse no@mals auf diese Daten hinzuweisen entfielen von den neu hinzugetretenen Zensiten niht weniger als 24 9% auf di: drei untecsten Steuerklassen, in Krefeld 88 9/9, tn Solingen 93 9/9, in Duisburg 91 9%, in Effen 91 2%, Wegen dieses starken Hinzutritts von Zersiten der unterzn Steuziklassen ist der durchschnittlihe Einkommensteuerbetrag in diesen Bemeinden erheblic) g-\sunken, obwohl glänzende wirtb\sckaftlize Verhältaisse im allgemeinen da herrs{ch2n und obwohl die Vernminde- rung des Durchschnitts durch die Erhöhung des Dividendus ausgeglichen wurde dur tie Erhöhung des Dividendus infolge des Hinzutritts großer Bermögens- und Einkommensmassen bei den reicher bemittelten Elementen, Der Durchschnitt i in Barmen gesunkea von 62 auf 51 M, in Krefeld von 68 auf 53, in Solingen von 43 auf 36,. in Duisburg von 99 auf 49, und, meine Herren, dieses alles, wie ih nohmals betonen fann, unter fehr glänzenden wirthschaftlichen Ver- bâltnifsen,

Nun bitte ih Sie, einen Vlick in die Zukunft zu thun und ih die Situation in diesen Gerneinden zu vergegenwärtigen ich spreche, wie ih nochmals betone, hauptfäghlich immer von den Gemeinden mit färkerer Ardbeitertevölkerung —, einen Blik in die Zukunft zu thun, wenn die wirthshaftlihen Konjunkturen rüdckläufig find, wenn erheblihe Einkommen niht mehr erzielt werden oder die Einkommen jedenfalls wesentli zurückgehen, wenn also der Dividentus sinkt und nun dieser gesunkene Dividendus bei dem ge- stiegenen Divisor der Masse der Arbeiter zu immer geringeren Dur(hschnittébeträgen führt; wir werden dann zu Durthschnuittêbeträgen kommen, die in vielen Gemeinden unser kommunales Leben aufs äußerste zu gefährden geeignet find. Deêwegen, meine Herren, kann ih den Eventualantrag des Herrn Freiherrn von Zedliß, wie ih es \chon in der Kommission gethan habe, nur angelegentlif| Fhrer Be- rücksihtigung empfehlen.

Der Antraz Zedliß würde, wenn er meine {weren Bedenken gegen die 2/3-Majorität auch nicht völlig zu beseitigen geeignet ist, doch diese Bedenken in erheblißem Maße abschwächen. Dieser An- trag, der ja einer zunächst von konservativer Seite gegebenen Anregung entspringt, ist auch in der statistishen Ermittlung cinigermaßea nah seiner Tragweite gewürdigt worden. Daraus ergiebt si, daß, während in Dortmund bisher nah dem reinen Durhschnittsprinzip Leute mit 2100 & Einkommen in die zweite Klasse kommen würden, künftig dieser Betrag auf 2400 # steigen würde eine sehr mäßige Steigerung —, in Remscheid würde die Summe von 2100 4 auf 2200 M steigen. Jh komme jeßt zu den Gemeinden, bei denen die einfahe Durhschnittsberehnung besonders gefährlichß wirken würde. In Elbing würden niht mehr Leute mit 1809, sondern mit 2700

1s

In die zweite Klasse kommen, in Königshütte ftatt mit 1509 mit 1650 Æ, in Hagen ftatt mit 1350 4 mit 1800 M

Meine Herren, Sie sehen, daß die Erhöhung immer nur eine mäßige is, aber sie ist doch wenigstens etwas wirksan und ver- hindert, daß ganz ungeeignete Elemente mit 1350 4 Einkommen u. f. w. in die ¿weite Klasse kommen, und, meine Herren, sie hat den Vorzug, daß sie die ewigen Schwankungen in der Gestaltung des Durchschnittsbetrages beseitigt, die ich vorhin als fo bedenklich bezeichnet habe. Wenn diese Elemente in der untersten Steuerstufe bei der Ber:chnung des Durchschnitts ausscheiden, kann der Durchshnitt niht in dem Maße variabel sein, heute steigen, morgen fallen, wie das beim reinen Durchschnitt nah der Fafsuag der Vorlaze der Fall sein würde. Die Thatsache, daß Hunderte von Arbeitern plößlih einem Orte zuströmen und nah einem anderen Ort verziehen, wirki nicht mehr auf die Bildung des Durchschnitts, und dadur werden die allerbedenklihsten Elemente der Unsicherheit aus der Berehnung des Durhschuitts aus- \ckeciden.

Der Antrag des Freiherrn von Zedliß würde endlich au, entgegen den Beschlüssen der Kommission, die Verhältnisse in der Rheinprovinz wenigftens in etwas berücksihtigen. Jn der Rheinprovinz war insofern eine besondere Regelung vorhanden, als in fast allen Gzmeinden mit wenigen Ausnahmen dort ein Zensus für die Waßhlberechtigung ein- geführt war von 9, 12 und 18 G Dieser Zensus ist bekanntlich dur den § 77 des Einkommensteuergesezes auf 6 4 herabgeseßt worden ; infolge defsen if in der Rheinprovinz son eine sehr erheblih2 Ver- breiterung des Wahlrehts eingetreten. Wenn ih so sagen darf, ist ein Theil der Gemeindewahlreform dort hon vorweggenommen. Jeden- falls hat sfih gegen früher die Zahl der Wahlberehtigten außer- ordentlih vermehrt, in manhen Städten verdreifaht oder vervierfat. Ist dies der Fall, so meine ih, wäre es bedauerlih, wenn nah dem Kominissionsbeshlufse die Rheinprovinz ganz außer Berücksichtigung bleiben würde, und nit au für diese, wie es in dem Antrag Zedlitz vorgesehen ist, eine Mözlikcit gegeben würde, diesem steten Shwanken des Durchschnitts vorzubeugen. Es kommt hinzu, daß in der Rhein- provinz, ganz abweihend von der Monarchie, ein Wahlreht der juristishen Person nit besteht, daß also diz Rheinprovinz auch na dieser Richtung hin eine Befonderheit in antiplutokratisher Beziehung bildet.

Meine Herren, ih glaube, ih bin am Ende meiner Ausführungen ¡u diesem Punkt. Ich darf nohmals betonen, daß der Antrag der Kommission, der im Effekt dazu führt, daß fast überall das reine DurWschnittsprinzip zur Geltung kommt, die \{wersten Bedenken gegen sih hat, namentlich im Hinblick auf die Zukunft, und ic bin in der Lage, zu erklären, daß die Staatêregierung für den Kommifsions- beschluß, so, wie er ift, nit einzutreten in der Lage ist. (Hört, bört !) Ich kann aber ferner erklären, meine H:rren, daß diese erheblichen Bedenken duch den Antrag des Herrn von Zedlitz so wefentlich ab- geschwäht werden würten, daß dann die Staatêregierung den Kommissionsbeshluß mit dem Antrag von Zedlitz zu vertreten, au in den weiteren Stadien der Verhandlung der Sache, in der Lage sein würde. (Hört, hört!) Meine Herren, ih bin weiter in der Lage, diese Erklärung, sowohl nah der negativen, wie nah der posi- tiven Seite hin, namens des Staats-Ministeriums abzugeben.

Meine Herren, die Materie, die uns beshäftigt, i eine der \hwierigsten, die wohl der geseßgeberishen Erledigung unterbreitet werden können, und wir werden diescs Reformwerk, an dem nun {hon Jahrzehnte gearbeitet wird, nur unt-r Da bringen was ih auf das Dringendste wünsche —, wenn nit Jeder auf seinem Stein be- steht, sondern wenn wir alle suhzn, unz auf eixer mittleren Linie zu vereinigen. Diese mittlere Linie besteht mziner pflihtgemäßen Ueber- ¡eugung nach darin, daß man suhzn muß, dem Mittelstand das Maß von Wahlrecht wieder zu verschaffen, was ihm früher zustand, und was ihm gebührt, daß man aber andererseits sih davor hüten muß, über dieses Ziel weit hinauszuschießen und die Gefahr einer Demokratisierung in unsere blühenden Gemzinwesen zu tragen. Ih glaube, daß ein folher mittlerer Weg in dem Antrag Zedliß gefunden fein würde, und ih kann deshalb nur bitten, daß nicht Jeder, wenn ih so sagen darf, auf seinem Schein besteht, sond:rn daß wir alle redlih bemüht sind, auf dieser mittleren Linie uns zusammenzufinden. Die Staata- xegierung kommt einen sehr wesentlihen Schritt entgegen, indem sie die schweren Bedenkea gegen die Zweidrittel-Majorität zurücktreten läßt, wenn der Äüntrag des Herrn Freiherrn von Zedliß angenommen wird.

Ich kann nur die Bitte an das hohe Haus rihten, auch seiner- seits dem Antrage des Herrn Freiherrn von Zedliz zuzustimmen ; ih hoffe, daß dann eine Basis gefunden sein wird, auf dec es gelingen würde, das nun so lange vergeblich in Angrisf genommene Reform- werk endlih zum gedeißlihen Abschluß zu bringen. (Beifall.)

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Wir haben bei der ersten Berathung des Gesetzes ausdrüdlich gejagt, daß wir eine Korrektur tes Kommunalwah1systems für absolut nothwendig halten angesihhts der Thatsachz, daß Besiß und Bildung nah- der neuen Steuerreform in großer Zahl in die dritte Klafse gewiesen worden sind. Uns leitet der soziale Gedanke bei diefer Frage. Konfessionelle Gründe dürfen bei der Abgrenzung des Mittelstandes niht mitsprehen, Das ate ih Herrn van der Borght zu bedeuken geben. Hat er ganz vergessen, daß im vorigen Jahre namhafte Vertreter seiner Partei gewillt waren, das Durhschnittsprinzip nicht nur für die großen Städte, fondern auch für das ganze Land zu acceptieren? Wie können Sie uns da vorwerfen, daß wir nur gewisser Vortheile wegen für diese Neform eintreten? Wir wünschen eine Reform, welhe eine Stärkung des Mittelstandes wirklich hexbeiführt, im wesentlichen auf der Grundlage des ODreiklassen-Wahlsystems. Von diesem Stanktpunkt aus is das Durdschnittsprinzip troß einiger Be:enken der rihtige Maßstab. Es paßt sich an den Zustand von 1891 an. Allerdings wird durch da3 Hinzu- treten von weniger wohlhabenden Elementen der Bevölkerung die Gefahr heraufbeschworen, daß das Durchschnittsprinzip zu einer Demo- kratifierung führen kann, deshalb bin ich in der Lage, meinen Freunden gewisse Anträge zur Annahme zu empfehlen. Nicht acceptabel ist dagegen für mi der nationalliberale Antrag und der Antrag Zedlitz, soweit er sih auf die Zwölftelung beziebt. Mit der Zwölftelung verlassen wir das Prinzip des Dreiklassen-Wahblsystems, wonah Rechte und Pflichten sich das Gleichgewicht halten. Wir sind dage,.en, auch mit Rüdsicht auf das Landtagswahlrecht. Der Antrag Zedliß Hat den Vortheil gegenüber dem der Nationalliberalen, daß er übersehbar ist, aber au er verlangt prinzipiell den Grundsaß des Dreiklafsen-Wahlsystems. Dagegen find wir gern bereit, dahin zu wirken, daß diejenigen, die keine Steuern zahlen, bei Berehnung des Durchschnitts außer Betracht bleiben. Wir empfehlen in dieser Beziehung den Antrag Plettenberg. In zweiter Linie werde ih meinen A nah der Erklärung des

Ministers empfehlen, für den betreffenden Antrag Zedliß und mit dieser Aenderung für das Gese zu stimmen.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Das Dreiklassen-Wahlsystem war \chon 1891 in sih degenertert. Ursprünglich hatte es einen gesunden, sozialen Gedanken, In der ersten Klafse sollte der reine Besiy, in

der zweiten der gebildete und der Mittelstzud und in der dritten Klasse der reine Handwerkerstand vertreten sein. Das war {on 1891 nicht mehr der Fall. Uns lag nur daran, dem Mittelstand seinen früheren Einfluß in der kommunalen Vertretung _zurüdcks zugewinnen. Der Bericht des Kollegen Lewald ift außerordentlich gut troß mancher Anfeindungen; ih kann mich auf ihn beziehen. In Bezug auf das Zwölftelungssystem sind wir mit dem Vor- redner darin einverstanden, daß es ein durhaus mechanisches ist. Daz Durchschnittsprinzip verdieat dagegen hon deshalb den Vorjug, weil derjenige, dec mehr als den Durchschnitt bezablt, in die zweite Klasse gehört. Die Verbesserung des Abg. von Zedliy ift auÿ für uns unannebmbar, si2 würde das Zustandekommen - des Geseßtz-s gefährden. Stimmten wir dafür, so würden wir die Staat8- regierung, die Konservativ:nn und unsere eigene Ueberzeugung aegen uns haben. Gegen die einfahe Mehrheit bei Annahme des Ortsstatuts haben wir erheblihe Bedenken. Die Aenderungen des Statuts würden \{chnell aufeinanderfzlgen. Bei der Zweidrittel- Majorität ift dies Ziel erf in viel längerer Zeit erreihbar. Es wird also den Gemeind-n ein viel geringerer Spielraum zu Waßblkämpfen gegeben. Die Abänderung einer gesezlihen Maßregel muß übechaupt an eine größere Mehrheit gebunden sein. Der Minister hat nun darauf hinzewiesen, daß das Durchschniitsprinzip in einzelnen Fällen den Mittelstand schädigen könne, weil die Arbeitermassen ihn erdrücken können. Wir theilen diese Befürchtungen nicht; wir glauben sogar, daß diese Elcmeate ia der zweiten Klasse nit haden, sondern nügen würden. Wie aber die Dinge liegen, müssen wir es uns über- legen, ob wir auf unseren Standpunkt in der Kommission beharren und nicht ein Loh zurückstecken müssen. Nh der Erklärung des Ministers bleibt uns nichts übrig, als dem Antrag Zedliz-Plettenberg zu- zustimmen, in der Hoffaung, daß ih für das ganze Gesetz eine so große Majorität finden wird, daß der Minister für das so umgestaltete Geseg eintreten wird. Würde der Antraz Zedliß das Wahlrecht der Sechsmarkicute antasten, so würden wic für diesen Antrag nicht zu haben sein; aber das ist nick&t der Fall, fie follea nur bei der Be- rechnung des Durchschnitts außer B-traht gelassen werden. Diese ganze Konstruktion ist allerdings eine künstliche. Die Anträge Zzdlißz- Plettenberg sollen nah der Ansiht der Konservativen die Atillesferse des Durchschnittöprinzips beseitigen, uäd ih bin von meinen Da autorisiert, zu erklären, daß wir für diese beiden Anträge stimmen werden; über unsere Stellungnahme zu der Vorlage in der vorigen Session ist \{chon früher das Nöthige gesagt worden. Von einer Ultramontanisierung der Gemeinden kann keine Nede sein. Man hat voa den trüben Nebeln des Ultramontanismaus gesprochen. Die Freunde des Herrn van der Borght haben längst anerkennen müssen, daß auch in anderen Parteien Leute sind, welhe gesunden Menschenverstand haben. Sollen etwa bloß die Nationalliberalen in den Stadtverroaltungen da3 große Wort führen und regieren, und die Staatsregierung die Pflicht haben, für die Aufrechterhaltung der nationalliberalen Herrschaft zu forcgen ? Vier und im Reichtaz sitzen Leute, welche die Gleichberehtigung der anderen Parteien und au des Zentrums anerkennen. In den Stadt- verwaltungen ift [eider diese Anshauung niht fo ras hervorgetreten roie bier. Unfere Stadtgemeindzn werden {ih gewöhnen müssen, für ibre Arbeit auÿ die tüchtigen Kräfte der anderen Parteien, unter anderen au des Zentrums, heranzuziehen. In Gemeinden, wo 80 9/69 meiner Partei vorhanden find, sollten roic die Nationalliberalen ent- fecnen? Nein, diesen Fehler werden wir nit machen, den mahen die Nationalliberalen. Seit dieser Herrschaft datiert der Niedergang der nationalliberalen Partei. Wir werden dafür sorgen, daß die ideelen Interessen, die sie vertreten, niht zu Shaden fommen. Wir werden tüchtigen Leuten nicht entgegentreten, au ausgesprochenen politischen G-°gnercn nit, wenn sie dem Gemeinwohl nüßlih sind. Wir hoffen, daß dies Geseß ein Geseß der V:rsöhnung sein wird. Wir haben ge- lernt zu vergefsen, was gegen uns gesündigt worden ist.

Abg. von Eynern (nl.): Der Vorredner legt der ungeheueren wirthschaftlihen Entwickelung der Gemeinden niht die nothwendige Bedeutung bei, die erforderlich ist, um zu einer Einigung zu gelangen. Wir werden für den Eventualantrag Zzedlig stimmen. Die national- liberale Partei strebt nicht aus Herrshfu§t, au andere Parteien be- mühen fi, den unberehtigten Einfluß des Zentrums zurück- zudrängen. Auf Unfehlbarkeit mah:n wir keinen Anspru; noch wentger sind wir unduldsam. Jn allen rheinishen evangelischen Städten wird immer di? größte Rücksiht auf die anderen Parteten genommen. Jh bin von einem Herrn gefragt worden, was denn eigentli die Kommission wolle. Jh konnte ihn beruhigen: Die Kommission s{chlägt drei Wege vor, aber in Preußen führen gewöhnli alle Wege nah Rom. Die Verschiebung hat weniger stattgefunden durch die Steuerrefo:m als dur den großen industriellen Aufschwung. Wir beurtheilen dieses Gesey nicht vom palitischG?en Standpunkt, das haben wir {hon im vorigen Jahre erklärt, wir wollten politishe Kämpfe von den Kommunen fernhalten. L Bachem wirft uns vor, daß wir in den Kommunen nach der Herrschaft streben, Die Früchte dicses Geseße3 wird aber nihcht der Mittelstand einheimsen, denn die zweite Klasse wird ebenso demokratisiert werden wie die dritte. Die Sozialdemokratie nimmt überhand auch in den katholishen Städten. Bei den Kommunalwahlen werden Sie Ihre Wähler noch weniger in der Hand haben wie bei anderen Wablea Den Erfolg werden diejenigen haben, welche in Berlin die 50090 46 für den Empfang des Kaisers von Oesterreich verweigert haven. Warum führen Sie nit lieber gleih die allgemeine, direkte und geheime Wakhl in den Kommunen ein? Wo ift denn die ftaatlidze Aufsicht gewesen, auf die man si bei Hintanhaltung von Mißbräuchen be- ruft, als die 20 Mann in der Berlinec Stadtv:rordneten-Versamm- lung die 50 000 Æ ablehnten? Wir sind gegen {ede orts\tatutarishe Regelung in diesem Geseh, denn wir wollen die Kommunen nicht zum Tummelplay foctwährender Kämpfe machen. Die übrigen Aus- fübrungen des Redners sind, da er sehr leise und nah rechts gewendet spricht, sehr {wer verständlih. Er erklärt, daß seine Freunde für den Antrag Z?dliß stimmen wecden, soweit er eine Verbesserung in ihrem Sinne darítelt.

Abg. Ehlers (fr. Vzg.): Die Vorlage hat nicht die Bedeutung, die man ihr von verschiedenen Seiten beizulegen scheint. In der ersten Lesung ließ fih noch uit übersehen, wer definitio die Fassung der Vorlage bestimmen würde. Als es ih herausstellte, daß die Konservativ-n und das Zentrum diese Aufgabe übernehmen, schieden die übrigen Parteien von der Mitarbeit aus, Ih bin in der felisamen Lage gewesen, mit jznen Parteien zu gehen. Ih muß diese Haltung begründen. Die Kommissionsmitglieder haben ih mit außerordentlihem Fleiß den Kopf zerbrohen, um etwas zu stande zu bringen, was dem Mittelstande helfen könnte. Diese viele Arbeit hat aber keines großen Erfolg gehabt. Wir haben unsererseits jede Vzrbesserung des bestehenden Zustandes acceptieren zu müssen geglaubt. Diese Vorlag? is niht so gut, wie wir sie haben wollen, aber besser als das Bestehende. Wir werden für die Kommissionsbeshlüsse mit dem Amendement der Freikonservativen stimwen. Die Vorlage geht uns allerdings niht weit genug, und wir hätten ein einfaheres Prinzip vorgeschlagen. Man hâtte vielleicht die Neuntelung einführen köanen. Das Dur(hschnittsprinzip hat etwas Künstlihes an sih und kann sich verschieden gestalten, je nah den Vermögensverhältnissen 2. Aber dasselbe Bedenken läßt ih auch gegen das ganze Dreiklafsen-Wahlsystem erheben. Die Korrektur durch das Ortsftatut is unportheilßaft, weil es zu unangenehmen Kämpfen führen könnt-. Wird das Ortsfstatut aber einmal zugelassen, so muß es mit den nöthigen Kautelen umgeben werden, Deshalb ift die Zweidrittelmehrheit der einfahen Mehrheit vorzuziehen. Waren denn die Verhältnisse vor 1891 überall fo günstig, daß man sie durch Ortsstatut wieder herbeiführen solite? Wo bei der neuen Geftaltung der Mittelstand bleiben wird, ijt abzuwarten. Was ift überhaupt WMittelftand ? Die geseßlihe Ordnung dieser Materie leidet darunter, daß sie zu sehr unter dem Einfluß des Streites zwishen Zentrum und Nationalliberalen am Rhein steht. Eine Verdrängung des sogenannten Mittelstandes dur die unteren Elemente befürhte ih nicht. Manche Arbeiter haben für die kommunalen Aufgaben ein größeres Verständniß als andere Klassen. Der Unterschied zwischen Klafsen von Kapital und Besitz, Arbeit und

Besiß und bloßer Arbeit ift künstlih. Arbeitet etwa ein Grof- industrieller nit, oder hat ein Arbeiter als dritte Klasse kein Interesse an dem Wohl der Gemeinde? Ih bin lütbeczeugt, daß man mit der Neform noh viel kühner hätte fein können, ohne für das Gemein- wesen etwas befürchten zu müssen. :

Abg. Wintermeyer (fr. Volksp.): Das Klassenwahlsyftem ift niht das richtige. In Frankfurt a, M. haben wir das gleihe und direkte Wahlrecht. Warum sollte nicht auch in anderen großen Industriestädten dasselbe mögzlih sein? Wir werden alles ann:hmen, worin wir eine -Verbesserung des bestehenden Zustandes sehen. Daz Zwölftelungssystem halten wir nicht für eine Berbesserung. Ebenso werden wir gegen jede ortsftatutarisch: Regelung immen. Für cine große Reform halten wir diese Vorlage nit.

Abg. Dr. van der Borght wendet sich unter großer Unruhe des Hauses gegen die Ausführungen der Abgg. von Heydebrand und Bach-m hinsichtlich des Durhschnittsprinzips. Dieses Prinzip schaffe nur für en Augenblick einen Ausgleich; den gerechten Ansprüchen des Mittelstandes genüge es nit. S

Abg. Kreitling (fc. Volksp.): Jch erkenne an, daß bie dies: jährige Vorlage Verbesserung!-n gegenüber der vorjährigen enthäït. Wir find ganz bamit einverstanden, daß die Sozialdemokraten ver- hindert werden, einen zu großzen Einfluß auf die Stadtverwaltung zu gewinnen. Wic wünschen aker niht, daß die Frag? vom Standpunkt einer Partei behandelt wird, wie es vom Zentrum und von den Nationalliberalen geschehen i, Wir werden gegen alle Anträze stimmen, soweit sie die Herstellung des Ortsftatuts3 beabsihtigen. Dagegen werden wir für den Antrag Zedliß stimaen.

Die Diskussion wird geschlossen. § 1 wird mit großer Mehrheit angenommen. : i R

Bei der Abstimmung über den Z 2 wird zunächst der Antrag Beckmann gegen die Stimmen der Nationalliberalen und der Antrag Zedliß T gegen die Stimmen der Frei- konservativen und Nationalliberalen abgelehnt. Der Eventual- antrag Zedliß TT, der mit dem Eventualantrag Plettenberg übereinstimmt, wird mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der Freisinnigen und der Polen angenommen, und in dieser Fassung wird der § 2 selbst angenommen. :

Aog. Freiherr von Plettenberg-Mehrum zieht hierauf seinen Antrag zu 4 zurü.

S 3 wird mit großer Mehrheit angenommen.

Zu 8 4 und den mitgetheilten Anträgen führt /

Ubg. Dr. von Heydebrand und der Lasa aus, daß seine Freunde Kautelen für nothwendig gehalten bätt-n, um ein: miß- bräuhlie Anwendung der ortsstatutarishen Beschlußfassung zu Ver hindern. Darum hbâttea sie ih für die Zweidrittel-Majorität entschieden, wie sie auch in anderen Fällen vorg:sehen sei. Die zehnjährige Fristveftimmung der Regierungsvorlage empfehle ih sahlich nit. : A

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirh tritt dafür ein, daß Ortsstatute nur im 11., 21. 2c." Jahre n3ch dem Zeitpunkt ihrer Einführung abgeändert oder aufgehoben werden dürfen.

Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:

Ih möchte des Hecrn Abg. von Z:dliy darin folgen, daß ih auf die Frage der Zweidritte-l-Mzhrheit worunter, wie Herr von Heyde- brand mit R-cht hervorgehoben hat, die Mehrheit der Abstimmenden zu verstehen i nicht näher eingehe, denn ih betrahte auch mit ihm die Frage der einfach:n oder Zweidrittel-Majorität als erledigt. Ih möhte mich darauf besYränkzn, noch einige Worte zu sazen zur Fraze der EFinführungefcist. Wir hatten Jgn?n vocrgeshlagen, die Einführung und Aenderung einzs Ortsftatuts nur in zehnjährigen Fristen zu erlauben, und zwar aus einem Grunde, der jedes politischen Charakters entbehrt, und dzr von allzn Parteien glei hohgehalten werden sollte, nämli lediglich aus dem Gesihtspunkte, ia den Ge- meinden cine ftete Agitation zu vermeidzn. N

Herr von Hz2ydebrand hat dagegen au3gzeführt, daß es auf diese W-:ife unmözlih gem2cht werden könnte, den veränderten Verhältnissen Rechnung zu tcagen, und daß es deshalb ¡weckmäßiger wäre, die Einführung eines Ortsfstatuts Hon eher zuzulassen. JIHYH möhte aúerkénn:n, daß diese Umstände eintreten könnzn uad will dz3- wegen auf »die ursprünglihe Vorlaze der Regierung niht zurück- kommen. Aber, meine Hz:rren, anders \teßt es doch mit der Ab- änderung eines Ortsstatuts. Die Gemeinden müssen h darüber klar werden, ob si? ein Ortsstatut haben wolle1 odec nicht. Ft ein Orts- statut aber bes{lofsen, so ist es meines Erahtcns zwcckmäßig, das Ortsftatut auf zehn Jahre in Kraft zu lassen. Die Frage ist, wie gesagt, ganz unpolitish, sie berührt alle Parteien gleiHmäßig und if ledizliHh von dem Wunsch diktiert, daß die fortwährende Agitation in dea Gemeinden wegfällt. Ih möhhte glauben, daß durh diz Fafsung d23 Herrn von Zedliy den Bedenken des Herrn von Heydebrand mehr Rehnuang getragen wird als dur die Fassung der Regierung2vorlage. Jh möchte es deshalb zur Erwägung der Herren Konservativen stellen, ob sie nicht für den Antrag Z-edlig stimmen wollen, und sehz, um Ihren Bedenken Rechnung zu tragen, davon ab, für die Wiederberstellung der Re- gizrungsvorlage zu votieren.

Abg. De. Sattler (nl): Jin Gegensaß zu den Konservativen balten wir das Dur{schnittsprinzip niht für einen sozialen Fort- shritt. Wir werden gegen den § 4 der Kommissionsvorlage timmen, soweit er sih auf die Zweidrittel-Mehrheit bezieht,

Der Antrag Zedliß wird abgelehnt und § 4 unverändert angenommen. : :

S 65, nah welhem die bestehenden Vorschriften über das Gemeindewaßlrecht im allgemeinen unberührt bleiben, wird ohne Debatte angenommen. Die Kommission hat noch einen neuen §d5a eingeführt, der in den bestehenden Städteordnungen die Bestimmung über den Wahlvorstand dahin ändert:

„Der Wahlvorstand besteht in jedem Wahlbezirk aus dem Bürgermeister als Vorsitßendem und aus zwei von der Stadt- verordneten-Versammlung gewählten Beisißern. Für den Vor- sigenden werden von dem Bürgermeister und für die Beisiger von der Stadtverordneten-Versammlung nah Bedürfniß je ein oder mehrere Vectceter aus der Zahl der stimmfähigen Bürger bestellt.“

Abg. Freiherr von, Zedliß und Neukirch beantragt folgenden Zusaß :

Im Bereich der Städteordnunzen is der Magistrat (Bürger- meifter) befugt, an Stelle oder innerhalb der Wahlbezirke, in denen je eine beftimmte Anzahl Stadtverordneter zu wählen ist, Bezirke zum Zweck der Stimmabgabe (Abstimmungsbezirke) zu bilden oder die Wähler in anderer Weise in Gruppen zu theilen und für jeden Abftimmungsbezirk bezw. jede Gruppe einen eigenen Wahlvorstand zu bestellen. Soweit er von dieser Befugniß Gebrauch matt, hat er zuglei die für die Feslstelung des Gesammtergebnifses der Waÿhl, sowie für das Verfahren bei nothwendig werdenden engeren Wahlen exforderlihen Anordnungen zu treffen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch befürwortet seinen Antrag aus Gründen der Zweckmäßigkeit zur Erleichterung des Wahl- geschäfts in den großen Städten.

Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Jh kann mich auŸÿ nur für den Antrag des Herrn von Zedliy aussprehen. Diese Materie gehört eigentlich gar- nicht in den vorliegenden Gesetzentroucf hinein, hat mit der Kommunal-