1900 / 105 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 02 May 1900 18:00:01 GMT) scan diff

GENERSC I R T T T I gn A n

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Deutscher Reichstag.

183. Sißzung vom 1. Mai 1900, 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung stehen lediglih Wahlprüfungen.

Die Wahl des Aba. Grafen von Dönhoff-Friedrich- stein (Königsberg-Fischhausen, b. k. F.) wird beanstandet und der Antrag der Wahlprüfungskommission, welher auf An- stellung von Erhebungen über mehrere Protestbehauptungen gerichtet ist, ohne Debatte angenommen. _ Ha

Die Wahlen der Abgg. Börne r (Schwarzburg-Sonders-

ausen, nl.), Ern (Czarnikau-Kolmar, fr. Vgg.) und Kraemer Altenkirhen-Neuwied, nl.) werden für gültig erklärt.

Die Wahl des Abg. von Loebell (Wefihavelland- Brandenbura, d. kons.) ist von der Wahlprüfungskommission mit 8 gegen 5 Stimmen für yngültig erachtet worden, weil nah den über die Protestbehauptungen angestellten Erhebungen von ihr als erwiesen angenommen worden ist, daß die Oeffentlich- keit der Wahl systematisch ausgeschlossen ist und dazu ein amtliher Erlaß des Landraths von Westhavelland, der gleich- zeitig der deutschkonservative Kandidat war und aus der Wahl als Sieger hervorgegangen ist, am meisten beigetragen hat.

Aba. von Brockhausen (d. kons) befürwortet einen Antrag der deutschkonservativen Abgg. Dr. von Leveßow und Genossen, wona im Interesse weiterer Klarstellungen eine Anzahl fernerer Erhebungen über die Wahlberehtigung der ausgewiesenen Personen veranstaltet und die Beschlußfassung über die Gültigkeit der Wahl au2gefeßt bleiben foll.

Abg. Auer (Soz.) wendet si gegen diesen Antrag. Was fest- geftellt sei, genüge vollständig, um die Ausweisungen a!s unberechtigt, die betreffenden Wahlakte für ungültig und die ohnehin geringe Mehr- heit für den Gewählten für derartig erschüttert zu erklären, daß das Haus zur Kassierung gezwungen sei. Mit Berufung auf den [land- râthlihen Erlaß seien die betreffenden wahlberewtigten Perfonen, welche der Wahblhandlung beiwohnen wollten, abgewiesen und ihre Auéweispapiere für unzureichend erklärt worden. Man habe zum Hohn den Betreffenden anheimgegeben, ihre polizeilih beglaubigte Photo- graphie vorzulegen. Es handle sich um elf Wahlbezirke, in denen diese Aus8weisungen unter solhen Umständen erfolgt seien,

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Gewiß hat die Wabl sih unter der breiteten Oeffentlichkeit zu vollziehen, die geseßlich gewährleistet ift ; kTleinlihe Maßnahmen, wie die hier vorliegenden, gehören sih nicht. Aber die vorgekommenen ungerehtfertigten Au8weisungen sind do nur vereinzelt, von einer allgemeinen Wirkung des erwähntcn Erlasses, von einer fyftematishen Ausweisung kann keine Rede sein; die be- treffenden elf Wahblvorfteher haben den landräthlihen Erlaß falsch verstanden. : ]

Abg. Shwarze- Lippstadt (Zentr.) if der Ueberzeugung, daß dur die Auéweisungen die bestehenden Vorschriften über die O-ffent- lihkeit des Wablakis gröblich verletzt seien und damit die Nothwendig- keit der Kassierung der Wahlen in den elf Bezirken gegeben, womit die ganze Wahl binfällig werde. _

Dem Abg. von Brockhausen gegenüber, der für feinen Antrag noch geltend zu mahen suht, daß der Begriff der Oeffentlihkeit von der Kommissionsmehrbeit verkannt worden set, empfehlen die

Abag. Fischer-Berlin und Auer (So1.) abermals den Kom- mifsionsbeshluß, da die Wahlberechtizung der Ausgewiesenen feststehe, und aufierdem aus zablreihen früheren Beschlüffen der Kommission und des Plenums sich ergebe, daß die Verleßung des Prinzips der unbedingten Oeffentlichkeit bei der Wabl von erhebli@em Einflusse auf die Beurtheilung der Gültigkeit fet.

Auch Abg. Dr. Spahn (Zentr.) vertritt die Auffassung, daß die dur den Landratbserlaß veranlaßte ungescßlihe Beschränkung der Oeffentlichkeit in ibren Konsequenzen zur Kasjerung führen müsse.

Die Wahl des Abg. von Loebell wird darauf gegen die Stimmen der beiden konservativen Parteien, der Reformpartei und der Nationalliberalen für ungültig erflärt.

Ueber die Behauptungen der Proteste gegen die Wahlen der Abgg. Graßmann (Thorn-Kulm, nl.) und Göß von Olenhusen (Göttingen, Zentr.) wird ohne Debatte Beweis- erhebung beschloßen. E

Denselben Antrag stellt die Kommission bezüglich der Wahl des Abg. Will (Stolp-Lauenburg, d. kons.). Der ein- gegangene Protest ist ganz besonders umfangreich, und die Kommission hat über meyrere hundert Punkte der unter Be- weis gestellten Behauptungen Erhebungen beantragt.

_ Der Abg. Will ist in der Stichwahl gegen den der frei- sinnigen Vereinigung angehörigen Rittergutsbesiger Wüstens berg:Rexin gewählt worden.

Abg. Gamp (Rp.) kat gegen den Kommissionsantrag nichts ein- zuwenden, bemängelt aber, daß die Komwission aud mehrere Protest- behauptungen der „Denunzianten aus Stolp“, die sih als frioole

- Verdächtigungen von Beamten und Wahlvorftänden charakterisierten,

zum Gegenftande nur informatorisher Vernehmung der Betreffznden zu machen vorshlage, wo doch eine eidlihe Vernehmung angezeigt fei, um nicht die Betreffenden von vornherein mit dem Stigma der Un- glaubwürdigfkeit zu fennzeihnen, während die Denunzianten, eventuell ganz zweifelbafte Persönlichkeiten, eidlih verrommen werden sfolltea.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vag.) tritt für den Kommissions- beschluß ein und fpriht die bestimmte Hoffnunz aus, daß diese Wahl, die zu dem umfangreisten Wablproteste, den der Reichstag je gesehen, geführt habe, auf Grund der anzustellenden Erhebungen werde kassiert werden. Die Wahlbeeinflufsungen in diesem allerdings heiß umstrittenen Wahlkreise seien unerhört gewesen, die Wahikrei8zeometrie grenze ans Fabelhafte, und die kunstreihe Faltung der Wahlzettel habe wahre Triumphe gefeiert; die gewaltsame Entreißung mißliebiger Stimm- zettel sei an der Tagesordnung gewesen.

Abg. Gamp bleibt bei feinen Ausführungen ftehen und ke- anftandet, daß der Vorredner dem Ergebniß der Crbebungen vorgreife.

Abg. Kopsch (fr. Volksp.) pflichtet den Ausführungen des Abg. Parhetdte bei und führt weitere Einzelheiten der konservativen Wahl- eeinflufsung an. In dieser Gegend thue ein Verein zum Schuße des gebeimen Wablrechts bitter noth.

Der Präsident Graf von Ballestrem theilt den Ein- ang eines Schreibens mit, wonach der Abg. Sachse-

aldenburg (Soz.) sein Mandat niederlegt. Die Prüfung der Wahl des Abg. Sachse steht auf der Tagesordnung; die Kommission hatte die Kassierung beantragt.

Abg. Dr. Spahn tritt als Vorsizender dec - Wablprüfungs- kommisfion ebenfalls dem Abg. Gamp entgegen, allerdings folle man niht Wahlprotestzebauptungen von vornherein als zutreffend ansehen.

Aba. Gamp bezieht fih für seine Behauptung, daß der- artige Proteste in ganz frivoler Weife entstehen könnten, auf die i Sina up. fene die aus seinem eigenen Wohrort Hebron-

amniy gekommen sei, wo eine ungerechte Ausweisung ftatt- gefunden babe, die Oeffentlichkeit 4 bis 5 Stunden lang ausge- schlossen gewesen sei und von dem Wabhlvorsteher und anderen Wakblvorstand8mitgliedern die liberalen Wahlzettel den Wählern ewaltsam aus der Hand gerissen worden sein sollen. Letteres ei positiv unwahr, und es handle si lediglih um eine frivole Ver- dächtigung von Beamten und Wahlvorstandêmitgliedern. Redner weist auf die Vorgänge in Breslau hin, wo, wie er behauptet, eine Bestehung der sozialdemokratischen Wahlmänner stattgefunden habe.

Nachdem die Abgg. Dr. Pachnicke und Kopf ch dem Abg. Gamp nohmals entgegengetreten, legt der

Abg. Auer gegen die von dem Abg. Gamp ausgesprochene Be- hauptung der Käuflichkeit der Sozialdemokraten als eine Verleumdung entschiedenft Protest ein.

Vize-Präsident Dr. von Stege erklärt den Ausdruck Ver- TIeumdung“ für parlamentarisch unzulässig.

Abg. von Staudy (d. kons.): Daß in Breslau eine Wahls- beftehung stattgefunden hat, ist vom Abg. de Witt im Abgeordneten- bause ausdrücklih erklärt worden. Die Behauptungen der Proteste haben sh in den meiften Fällen als erlogen erwiesen; das ergeben die Erfahrungen in der Wahlprüfungskommission unwiderleglich. Mit der Behauptung, u: die Konservativen in Wahslbeeinflufsungen auch nur entfernt an die Leistungen heranreichten, welhe man täglich bei den Liberalen beobachten fann, sollte man doch das Haus vershonen.

Abg. Singer (Soz.): Diese Behauptung des Herrn von Staudy muß doch nacgerade etwas komisch_ wirken, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln der Wahlbeeinflussung unter Nußbarmahung des ganzen Beamtkenapvarats die Konservativen arbeiten. In Breslau hat keine Wahlkest:hung stattgefunden; diese Behauptung if eine niht8œürdige Verleumdung. Uebrigens traut man niemandem etwas zu, was man nit selbst zu thun bereit ift.

Abg. de Witt (Zentr.): Ih bin zwar richtig zitiert worden; in meinea Worten hat aber der Vorwurf der direkten Wahlbestehung

iht gelegen. e Abg. Dr. Pach nicke: Angesichts der großen Z2bl der kassierten Wahlen is es wobl überflüssig, erst noch einen Beweis anzutreten dafür, daß die Mehrzahl der Proteftbehauptungen auf Wahrheit beruht. x Abg. Gamp: Es hat mir durchaus fern gelegen, den Sozial- demokcaten allgemein einen moralishen Makel anzuheften.

Der Kommissionsantrag wird angenommen.

Die Wahlen der Abgg. von Kardorff (Dels - Warten- berg, Rp.), Graf von Bismarck-Bohlen (Grimmen-Greifs- wald, d. kons.), von Bonin (Neu=- Stettin, Rp.) und Stöcker-Siegen (b. k. F.) werder für gültig erklärt.

Die Wahlen der Abgg. Baron de Schmid (Saargemünd- For»ach, b. k. F.), Dr. Hänel (Kiel-Neumünster, fr. Vgg.), Fürst zu Jnnhausen und Knyphausen (Emden-Norden, d. kons.) werden beanstandet und die von der Kommission beantragten Beweiserhebungen beschlossen.

Die Wahl des Abg. Harriehausen (Einbeck-Nordheim, b. k. F.) hat die Wahlprüfungskommifsion mit neun gegen zwei Stimmen für ungültig erklärt, weil ein vom Kreis - Kriegerverband Einbeck erlassenes, von dem Landrath mitunterzeihnetes Schreiben dringend zur Wahl des Ge- wählten aufgefordert hat und die Kommission hierin fast ein- stimmig eine mißbräuchlihe Einwirkung auf die Wahl erblit hat, welche ähnlih einer behördlihen Einwirkung zu repro- bieren ist. Alle Kriegervereine, in welchen die Bekanntgabe dieses Erlasses bezeugt ist, sind in Betracht gezogen und die betreffenden Stimmen für ungültig erklärt worden, wodurch es zweifelhaft wird, ob niht ohne diese Beeinflussung statt des Sozialdemokraten Fischer der nationalliberale Kandidat in die Stichwahl gelangt wäre.

Abg. Dr. Arendt b-kämpft die Kassierung. Die ReGnung der Kommission sei eine willkürlihe und babe keinen realen Boden unter den Füßer. Eine direkte Wablbeeinflufsuna sei carniht nahgewiesen und aud nicht nachzuweisen; ledigli die Möglichkeit einer solhen aber könne nicht genügen, sondern es müsse eine thatsählihe Beeinflussung nachzerwiesen werden, wie es auch die freisinnige Partei in dem vorher hon erwähnten Breslauer Fall verlangt habe. Redner beantragt, die Wabl für gültig zu erklären.

Nbg. Bassermann (nl.) spriht fi kurz für die Kassierung aus.

Dim Antrage der Kommifsion entsprehend, wird die Wakl des Abg. Harriehausen für ungültig erklärt.

Ohne Debatte erklärt das Haus die Wahlen der Abag. Graf Magnis (Reichenbach : Neurode, Zentr.), Dr. Hasse (Leipzig-Stadt, nl.) und Dietrich (Ruppin-Templin, d. kons.) für gültig.

Die Wahl des Abg. Dr. Zwi ck (fr. Volksp.) hat die Kom- mission beanstandet und Bewe1serhebung darüber vorgeschlagen, ob in einem Wahlbezirk die Wahlhandlung nicht durch den Vor- steher eröffnet worden ist. Dr. Zwi ist mit nur 47 Stimmen tehrheit gewählt worden. Außerdem soll über die Behaup- tung Beweis erhoben werden, daß 36 Hospitaliten mitgestimmt aben.

i Abg. Fishbeck (fr. Volksp.) hält den ersteren Beschluß für gänilich unbalthar; die Konsequenz einer solhen Neuerung wäre unabsebbar. Der Vorsteher brauhte na den Vorschriften des Wahl- gesetzes die Wablhandlung auch garnicht zu eröffnen; es könnte ebenso aut sein Stellvertreter diese Funktion übernebmen. Die übrigen gerügten Mängel genügten nih!, die Mehrheit für den Abg. Zwick zu ershüttern.

Abg. Singer plaidiert für den Kowmifsionsvorschlag, den er nur in dem zuleßt erwährten Punkt bemängelt.

Auch der Abg. Dr. Spahn vertheidigt den Kommissions- vorshlag, der darauf angenommen wird.

_— Sqhließlih wird auch die Beanstandung der Wahl des Abg. Freiherrn von Stumm (Rp.) beschlossen.

Schluß 51/4 Uhr. Nächste Sißung Mittwoch 1 Uhr. (Erste Berathung der Anträge Müller-Fulda und Bassermann, betreff2nd Abänderung des Reihs-Stempelgesezes und des Zoll- tarifs [Deckungsfrage]; zweite Lesung der Unfallversiherungs- geseßnovellen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

64, Sißung vom 1. Mai 1900, 12 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die Berathung des Antrags der Abgg. von Eynern (nl.) und Genofsen: die Königliche Staatéregierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf

vorzulegen, durch welhen nah den Grundsäßen des Geseyes vom 8. Juli 1875 den Provinzialverbänden aus den U?berschüssen des Etatsjahres 1899/1900 ein Fonds von 50 Millionen Mark überwiesen werde.

Die Abgg. von Dziembowski und Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. kor.) beantragen:

unter Ablehnung des Antrags von Eynern die Regierung auf-

zufordern, mit möglichster Beschleunigung einen Gesegentwur? vor- zulegen, durch welchen unter angemessener Acnderung des Gefeyes vom 8. Iuli 1875 den durch die Summe ihrer Provinzial-, Kreis- und Gemeindefteuern vorzugsweise belasteten Landestheilen ohne Minderung der den Provinzen zur Zeit zustehenden Dotations- beiträge ein nah dem Maßstabe ihrer Leistungsfähigkeit und ihrer auf dem Gebiete der Verwaltung und der Meliorationen be- thâtigten wirklichen Leistungen zu bemefsender Ausgleih für ihre wachsenden Ausgaben geboten wird.

Ueber den erften Theil der Verhandlungen if in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel: Meine Herren! Ih kann in faft allen Punkten, vielleiht mit Ausnahme des letzten Punkt:8, den der Herr Vorredner, der Abg. Frißen erörtert hat, mein volles Einverständniß mit den Grundfägen und Auffafsungen, die er hier dargelegt hat, von vornherein zu erkennen geben. Der Herr Abg. Friten hat namentli festgestellt, daß es falsch ift, wean wir glauben ich werde hierauf

Schalden, daß es nit berechtigt ift, für das natürlihe Steigen der Ausgaben, die man einem Selbftverwaltung8organ zur Verwaltung übergeben hat, dasselbe jedesmal entsprehend den geftiegenen Ausgaben zu entschädigen: denn daß das die Aufhebung jeder Selbfiv:rwaltung sein würde, auf Kosten eines Dritten zu ver- walten, obne selbs irgendwie die Rückwirkung der vermehrten Aus- gaben auf die eigenen Leistungen zu fühlen, das ift fo klar, das brauhhe ih in diesem hohen Hause nicht noch weiter zu entwickeln. Er hat gemeint, aus diesem Steigen, das den Kommunen und dem Staate genau so passiert ist, wofür ja auch die Provinzen ihre guten Erfolge für ihre Provinzialeinwohner haben, könne an ih ein Ansprach, eine neue Re- vision eintreten zu lafsen, niht gefolgert werden; wohl aber, meinte er, sei das der Fall, wo neue Gefeße neue Lasten den Provinzen überwiesen hätten, und das sei in einigen erbeblïh2zn Pankten der Fall. Ih werde hierauf zurückommen. Â

Ich komme nun zu der Motivierung des Antrags durch den Herrn Abz. von Eynern. Soviel ih ihm habe folgen können ich habe mich bemüht, genau zuzuhören hat Herr von Eynern in diefe Frage so viele andere Fragen Hineingezogen, daß wir zehn Tage debattieren müßten, wenn man gründlißH auf alle einzelnen Andeutungen und Hinwerfungen von gewissen Gedanken ant- worten wollte. Ih werde mich darauf nicht einlafsen; sondern mich nur mit den Fragen beschäftigen, die hier tn Betracht kommen,

Der erste Vorwurf, den Herr von Eynern gegenüber unserem jetzigen Finanzzustznd erhebt, iff der, den er s{chon oft erhoben hat, daß wir zu viel Steuern einzögen. Meine Herren, er hat auf das Steuerverhältniß anderer Länder hin- gewiesen und daraus auch konkludieren wollen, daß wir entseßlich mit Staatssteuern belastet wären. Meine Herren, der General-Bericht- erstatter in der französisch:n Kammer, Hzrr Pefletan, wohl heute der erste Kenner Frankreihs und seiner Finanzen, ebenso aber auch der Finanzen aller anderen Länder, sagt in seiner leßten Etatêrede, die von keiner Seite nahher irgendwie im Parlament bemän gelt worden ist, Folgendes: In Frankreich kommen bei 10 760 000 Haushaltungen auf die einzelne Hau8haltung 50 Fr. direkte und 250 Fr. indirekte Steuern. Die direkte Steuer belastet allerdings nur etwa 6 bis 7 Millionen jener Haushaltungen, die indirekten aber treffen die kleinften Haus8- haltungen mit 120 bis 140 Fr. oder 10 bis 15, in Ausnahmefällen bis 25 9% des Arbeitsverdienstes. Wie drückend die Steuerlaft in Frankrei sei, gehe daraus hervor, daß nach zutreffenden Berehnungen in Frankreih 75, in England 62, in Oesterreiß und Holland 44,50, in Dänemark 34, in Belgien 31, in Deutschland 30,50 Fr. pro Kopf der Bevölkerung an gesammten Steuern indirekten und direkten zur Grhebung gelangen (Zuruf), indirekte und direkte!

Was nun die direkte Steuer betrifft Herr von Gynern, daran hzéiten Sie vielleiht niht erinnern sollen, denn die beträgt in Preußen noch nit mal 5 Æ pro Kopf, während sie selbft in Oefterreichß 29 und 33 beträgt, und ia Italien noch viel mehr bezahlt wird; es giebt auch in Deutschland kein Land, wo die Staatssteuer in ibrer Gesammtheit so niedrig wäre, wie in Preußen. Allerdings, es bat für andere ein anderes Gesicht; bei uns zahlen die hohbemittelten Klassen verhältnißmäßig weit mehr als 5 Æ pro Kopf, aber die niht be- mittelten Klafsen werden um fo niedriger herangezogen, und faß 2% Millionen Preußen {ind von direkten Steuern überhaupt frei.

Meine Herren, wir sehen daraus Folgendes: während man in anderen Staaten, z. B. in Rußland, klagt, daß der Staatsschayz mäcbtig wahse, die Bevölkerung aber durch die. übermäßige Be- steuerung verarnme, können wir das in Deutschland doch unmöglih sagen. Ih habe Ihnen ja gezeigt, daß das fteuerbare Bermögen in zwei Jahren um 44 Milliarde gewadsen ift, während doch gleih- zeitig die Lage einer großen Bevölkerungésklasse, der Landwirthschaft, eine außerordenilih gedrüdckte zur Zeit noch ift.

Also, meine Herren, daß wir durch eine übermäßige Steuer seitens des Staat3 die Bevölkerung ohne Noth ausfögen, davon kann bei uns niht die Rede sein, so sehr diejenigen, die nah threm Vermögen leistungsfähig und ibrer Leistungsfähigkeit entsprechend herangezogen find, auh hier und da klagen. In der Rheinprovinz, meine Herren, ist auch nur eine ganz kleine Partei, die die jevige Steuereinrihtung bei uns niht billigt. Jh habe die reisten Leute in der Rheinprovinz gesprochen, die sagen: Das ift gegen früher ein wahrer Segen, diese gerehte Heranziehung zur Steuer; si: theilten niht die Bedenken, die von dieser Seite und von anderen Organen vorgetragen werden.

Meine Herren, was nun die Höbe der Schuldentilgung betrifft, fo habe ich nur unsere Shuldentilgung vom Jahre 1880 ab zusammen- gestellt das ift in fo fein sehr \{wer, als der Schuldbestand fich fortwährend ändert und als dabei von der BereWnung von zu- wachsenden Zinsen bei der Schuldentilgung nicht die Rede ift, sondern wir nur zusammenstellen konnten, welhe Summe in einem bestimmten Jahre auf die j:weilig vorhandene Shuldenlaft zur Tilgung ver- wendet ist, ohne irgendwie das Zuwachsen von Zinsen, wie es bei dem eigenen Sculdentilgungsfonds von selbst eintritt, zu berüdck- sihtigen. Was ftellt fich nun heraus? Wir haben seit 1880 ein- \chließlih der leßten guten Jahre auf den jeweiligen Schulden- bestand, der sch bei uns ja permanent vermehrt hat trop der Sculdertilgung, 0,85 9% getilgt, Von den Kommunen verlangen wir mindestens 109/69 mit zuwachsenden Zinsen, bei rentbaren Unternehmungen, die sie magen, vielfach auch echeblich höhere Tilgungs8quoten und ¡war nicht bleß bei den Kommunen, sondern ebenso bei den Kceisen und Provtnzen. Troßdem vermehren si in den Kommunen, durch die Gesammtentwidelung bedingt, die Schulden auch sebr erheblich, genan so wie bei dem Staat. Frankreih, meine Herren, hat jeßt etwa ncch 27 Milliarden Schulden, es hat dazu diese kolofsale Belastung, die ich vorhin bezeichnet habe, von der der Berichterstatter sagte: wir haben zwar in den legten Jahren immer noh neue Steuern erboben, um fk’in Defizit aufkommen zu lassen; wir haben seit 10 Jahren kein Defizit, wie es in Preußen noch vor wenigen Jahren geschehen, dur Anleihen getilgt, sondern immer durch dielaufenden Mittel ; troydem hat Frankrei doch noÿ in dea legten 5 Jahren und es hat keine Gisenbahn, sondern aus den laufenden Mitteln der Bevölkerung eine Milliarde Schulden getilgt. Gnglands gar nicht zu gedenken ; da steht es noch ganz anders. Wie kann man nun hier behaupten, daß unbedingt in Preußen Wandel nah der Richtung geschafft werden müßte, daß mehr an die Gegenwart und weniger an die Zukunft gedacht werde! Diese alten Kulturvölker denken in ganz anderer Weise

noh eingehender zurückfommen —, wir tilgten in Preußen zu viel

an die Zukunft. Wel: kolofsal sparsame Verwaltung Frankreich

seit den leßten 10 Jahren geführt hat, kann man daraus ersehen, daß, während wir in Preußen die dauernden Ausgaben des Staats, die eigentlichen Staatsveiwaltungsausgaben, um etwa 200 Millionen in der Zeit unter einem angeblih besonders \parsamen Minister vermehrt haben (Heiterkeit), die Franzosen in der Zeit kaum um 20 Millionen Franken diese dauernden Auszaben vermehrt haben. Mir würde diese Art von Sparsamkeit sogar viel zu weit gehen. Die Franzosen haben mehr als 400 090 Beamte, von denen fünf S-chstel unter 2009 Fr. und 140 000 unter 1000 Fr. ohne Wohnungs- geldzushuß beziehen. Während dort die Budgeikommission immer den Knopf auf den Beutel hält, selbst gegen die Minister, ift es hier umgekehrt. Hier kenne ih das niht mehr (Heiterkeit), daß man den Minister unterstüßt, wenn er den Knopf auf den. Beutel drückt.

Fh glaube also, meine Herren, wean der Antrag des Herrn von Eynern mit diesen fraglichen, hier berührten Gesihtspunkten, auf die ih niht weiter eingehen will, motiviert wird, so ift er ganz verfehlt ; ih kann aber in seinen Grundgedankzn allerdings eine andere und rihtigere Motivierung finden. Meine Herren, bei unseren Swhulden das will ich noch nachtragen muß man doch auch berüdsihtigen, daß Preußen zu % für die Reichs- \{hulden haftet, und daß bei diesen irgend eine festgeordnete Tilgung ja überhaupt noch nicht vorhanden ift. Daß erft in den leßten Jahren wie ih vollkommen anerkenne, durch das Verdienst des Zentrums der Beginn einer ordentlihen Schuldentilgung im Reiche begonnen hat, muß man doch auch in Betracht ziehen; und niht minder, daß zwar unsere Shulden regelmäßig nur gemacht werden für rentable Anlagen, und daß namentlich für den Eisenbahnbau diese Schulden fontrahiert find, daß aber die Uebershüfse aus diesen rentablen Unternehmungen, besonders aus der Eifenbahnverwaltung, {on längst von uns in dauernde Au3gaben verwandelt worden sind. Wenn netto die Eisenbahnen 75 Millionen aufbringen, so haben wir diese bereits festgelegt in dauernden anderweitigen Staat8au8gaben. Würden diefe Ueberschüfse uns fehlen, so würden wir einfach auf die Steuern greifen müssen. Während in Frankreich °/10 fast aller Ausgaben gedeckt werden durch die Steuern, werden umgekehrt in Preußen die Au?- gaben überwiegend gedeckt durch das eigene Vermögen des Staates. Aber diese Einnahmen von dea Eisenbahnen haben auch ibr Risiko. Ih brauÿe dies nicht näher auszuführen. Nach welhen MRihtungen die fkolofsalen Schwankungen gehen, sehea wir ja fortwährend vor uns. Also wir wifsen niht, wie in Zukunft das Verhältniß der Einnahmen und Ausgaben bei den Eisen- bahnen fi dauernd gestalten wird. Es liegt in diesem Besitz ja ein größeres Risiko, als wenn das eine feste Schuld wäre, die von den Bewegungen des Marktes niht abhängig wäre.

Ich habe immer betont: unsere Finanzlage ift eine günstige, und kein Staat der Welt kann sagen, daß er eine günftigere bätte; aber die lebende Menschheit, die nun diese günstige Finanzlage genießt, die fi erlauben kann, 200 Millionen dauernde Ausgaben in 10 Jahren mehr auf den Staat zu bringen, die nah allen RiŸtungen die Auf- gaben der Landesvertheidigung zu Wasser und zu Lande in vollem Maße zu leisten im ftande ist, die nicht nöthig hat, durch den Druck und Drang der Zeit alles auf die Zukunft zu werfen, sondern die Fähigkeit, aus eigenen Mitteln im wesentlihen unter nicht zu ftarker Belastung der Zukunft diese Ausgaben nah allen Richtungen hin zu leisten, die muß auch die Verpflichtung in sih fühlen, für ihre eigenen Kinder und Nachkommen einen ähnlih:n Zustand zu hinterlassen, wie wir ihn überkommen haben, über- kommen baben wesentlich durch die au3gezzihnete Finanzwirthschaft der zwanziger Jahre, die auch während der ganzen Zeit des Abso- lutismus in der strengsten Weise durhgeführt ift.

Meine Herren, ih will nicht weiter auf die Sache eingehen ; darüber könnte man noh viel reden. Aber da ich vielleicht sonft feine Gelegenheit habe, über diese für die Zukanft und für das Ver- halten des Landtags zu den Finanzen höchst wichtige Frage hier noh zu sprehen, so habe ib geglaubt, meine Meinung wenigstens kurz ausdrüdcken zu sollen.

Meine Hzrren, was nun die Provinzen betrifft, so werden Sie A erinnern, daß im Jahre 1875 13 440 000 #4, zur Hälfte nah dem Maßstabe der Zivilbevölkerung, zur anderen nah dem Maßftabe des Fläheninhalts, an die Provinzen überwiesen wurden. In dieser Dotation wurde mitverwandt ein bis dahin vom Handele-Minister verwandter Fonds von 6 Millionen für Wegebauten.

Dazu kam zweitens die Dotation für Uebernahme der Verwaltung und Unterhaltung der bisherigen Staats - Chausseen, die in die Ver- waltung der Provinzen übergingen. Dafür wurdez 19 Millionen überwiesen; davon 15 Millionen nah Maßgabe der bisherigen durch- shaittlihen Chaufsee-Unterhaltungékosten in den einzelnen Provinzen, 4 Millionen nach Land und Leuten. Meine Herren, die- jenigen von Ihnen und das wird ja wohl im Haufe eine größere Anzahl fein —, die damals diese Gese gebung mit- gemacht haben, werden sh erinnern und ih babe das mehrfa ausgesprohen —, daß wir alle damals \{chon das Gefühl hatten: durch diese Art Dotation kommen die ärmeren und weniger leistungsfähigen Provinzen \{lecht weg. Wir konnten aber damals keinen anderen Maßstab finden, und man konnte denjenigen Provinzen, deren stark au8gebildetes Neß von Staatschaufseen bisher vom Staate unterhalten war, nicht zumuthen, ohne Entgelt diese Unterhaltung zu übernehmen; man sagte sch: wenn wir Hannover, wenn wir der Rheinprovinz u. #. w. jeßt die Unterhaltung übertragen, die wir bisher aus der Staatskaffe geleistet haben, so müssen wir natürlih den Provinzen die dazu erforderlihen Mittel geben. Das war also der Maßstab, der ganz naturgemäß gegeben war. Aber er führte dazu, daß die- jenigen Provinzen, welhe bis dahin noch wenig Staats- chaufseen hatten, zwar eine geringere Unterhaltungslast be- kamen, aber doch auh eine viel geringere Gesammtsumme, und daß die Provinzen, welhe das größte Interesse hatten, ihre Land- ftraßen noch weiter zu vermehren, offenbar bei dicsem Modus zu kurz kamen. Das war uns auh damals garnicht zweifelhaft, wir konnten aber einen anderen Modus nit finden, und wir find daher damals zu dieser Geseßzgebung gekommen.

Wie hat sh diese nun in der Praxis in Be- ¡ug auf die Belastung der Provinzen bewährt? Ost- preußen hatte für 1898/99 einen Zuschlag zu den Staats- fteuern von 15,53 9/0, Westpreußen von 18,1%, die Stadt Berlin hat gar keinen besonderen Zuschlag, denn sie bezahlt diese Provinzial- koften aus ihren Kommunalfteuern, die gegenüber anderen Städten bekanntlich recht niedrig sind. Brandenburg hat 1009/6, Pommern 9,57 9/6, Posen 30,69%, Schlesien 11,28%, Sachsen 8,35 %%,

Shleêwig - Holstein 9,87 9%, Hannover 10,50 9%, Westfalen 7,8 9/9, Hefsen-Nafsau zusammen 3,50 %o, die Rheinprovinz 5,51 %/,, Hohen- zollern kommt niht in Betracht.

Wenn wir nun den Antrag von Eynern annehmen, was hat das für eine Folge? Für die Provinz Ostpreußen, die jeßt eine Ge- sammtau?gabe von 1238000 4 hat, würde ih diese bei 339% Verzinsung des zu überweisenden Kapitals um 147 090 A, also nicht nennenswerth reduzieren. In der Previnz W-fipreußen, die ich gebe nur runde Zahlen an eine Ge:\sammtaus8gabe von 1 140 000 4 hat, würde sih diese um 105 000 4A vermindern. Berlin würde seine Ausgaben um 46000 A vermindern, Brandenburg hat eine Ausgabe von 2350000 4, diese würde \sch um 177000 A vermindern u. s w. —, ich will das nicht näher ausführen. Die größte Provinz Schlefien würde bei einer Gesammtumlage von etwa 2750000 ÆA nur um 220 000 Æ entlastet werden. Das sind Prozentsäße von 1,86, 1,67, 0,76, 1,14 u. . w. Man sieht also, mit diesem Antrag, der ohne Nücksiht auf Leistungsfähigkeit und Bedarf allen Provinzen nah Maßgabe des allgemeinen, damals angenommenen Maßstabes von Land und Leuten das Geld zutheilt, wird eine Reihe von Provinzen, deren Bedürfniß nah Hilfe durch die einfahen Zahlen, die ih mitgetheilt habe, widerlegt wird, genau so dotiert wie diejenigen Provinzen, die offenbar durch die Provinzialausgaben {wer belastet find, und zwar um so mehr belastet, als gleihzeitig in diesen Provinzen auch die Kreisabgaben am höHften sind, darauf will ih gegenwärtig aber nicht weiter eingehen.

Was würde der Erfolg sein ? Herr von Eynern sagt jetzt: wir haben cinen Uebers{uß von 100 Millionen ; das ist aber nicht rihtig ; nach meiner Schäßung. die ih im Ganzen als zutreffend erwiesen hat, wird er ungefähr zwishen 85 und 90 Miklionen betragen; es gehen in diesem Jahre davon aber ab 30 Millionen für die Eisenbahnen, und es bleiben sonach ungefähr 50 Milltonen. Kommt nun im laufenden Jahre wieder ein Uebershuß, so würde er sagen : hier ift wieder ein Ueberschuß ; das, was wir im vorigen Jahre gethan haben, hat niht genügt, folglich nehmen wir den kommenden Ueberschuß und alle kommenden Ueber- \chüfse, sei es für diesen Zwel, sei es für andere Zwecke. Alsdann würde das Geseß, welches wir, wie ih heute noch mit Dank anerkenne, mit dem größten Eifer unterftüßt von den Finanzmännern und den Kennern des Budgets in der nationalliberalen Partei, gemacht haben, sehr bald wieder verschwunden sein.

Ich habe gewiß gesagt: eine Schuldentilgung von 2/59 ohne zuwachsende Zinsen ifff genügend, aber doch nur unter der Voraussetzung, daß wir die Uebershüsse auch zur Schuldentilgung ver- wenden. Wenn wir diese zu anderen Zwecken verwenden, so ift eine solhe Tilgung gegen das, was alle anderen Kulturländer leisten, Rufiland an der Spitze der Herr Vorredner hat uns ja das des Näheren dargelegt doch unzweifelhaft für eine stetig watsende Schuld Frankreih macht keine neuen S{ulden; wir machen aber jedes Jahr neue viel zu niedrig, und wir würden wieder reduziert werden auf den geringen Betrag, den wir mit 2/5 als obligatorish eingestellt haben, und die ganze übrige Tilgung aus ten Uebershüfsen würde vershwunden sein.

Sagen Sie sh mal selbs, meine Herren: Wenn ih mit einem Ueberschuß etatisiere, der niht aus der Rechnung fließt, wie viel Be- dürfnisse im Lande {sind vorhanden, die sh herandrängen! Von allen Seiten wird die Hand aus8gestreckt, und Sie werden sih der Sache nit entziehen können.

Darin liegt gerade der Werth der obligatorishen Tilgung, daß man nicht willfürlich nach den. jeweiligen, veränderlihen Wünschen einer Majcrität zu anderen Zwecken die diéponiblen Mittel verwendet als eben zur Schuldentilgung. Hier ift der erste Anfarg gemacht, unter einer schr milden Form, wie man es bei Herrn von Eynern gewöhnt ist (Heiterkeit), diese Schuldentilgung wieder zu beseitigen, und ih glaube, er würde es auch kaum leugnen, wenn man ihn privatim aufs Gewissen fragen würde. (Heiterkeit.)

Nun, meine Herren, ih bin fes überzeugt, daß Sie darauf nicht eingehen werden; aber ich kann Ihnen auch mittheilen, daß, wenn das Haus anders beschließen sollte, dem Antrag von Eynern entspcechend, unter dem ersten Beginn der Beseitigung des Schulden- tilgung8geseyes aus den vorhandenen Uebershüssen diese Summe zu entnehmen, das Staats - Ministerium sich außer ftande sel,en würde, einem solhen Beschlusse beizutreten. Das Staats-Minifterium steht auf dem Standpunkt, daß es seine Pflicht ist, das Schuldentilgung3- gesetz streng und ohne Ausnahme dur{hzuführen.

Und, meine Herren, betrahten Sie weiter: follen denn solhe Au3gaben durch extraordinäre Hingabe von Geldsäßen, von erspartem Bermögen, was ebenso gut ift, wie keine Schuldentilgung zu mahen und wer Schulden tilgt, verbessert bekanntlich sein Vermögen oder jollen fie aus den laufenden Mitteln des Staats wie die beutigen Dotationen bezahlt werden? Dies ift doch das einzig Rich- tige. Der Herr Vorredner hat schon hierauf hingewiesen und hat mit Recht gesagt: alle diese Ausgaben müfsen in allen Kommunen, in allen Verbänden richt durch Anleihen, sondern dur die laufend auf- fommenden Mittel der Kommunalverwpaltung gedeckt werden, und fo müfsen wir au verfahren.

Nun, meine Herren, komme ih auf das Positive. Ich glaube, daß der Staat wohl für absehbare Zeit in der Lage ift, die Pro- vinzialdotationen nah Mefßgabe des Antrages, wie er im Herren- hause angenommen is, womit \ich auch der Herr Abg. Friten ein- verstanden erklärt hat und im wesentlihen auch nur mit einer eiwas anderen Faffung, wenn ih es recht verstanden habe, der Antrag Zedlig einigermaßen zu erhöhen nach den Gesichtspunkten, die in all diesen Anträgen bezeichnet find. Daß das eine sehr {were Aufgabe sein wird, habe ih im Herrenhause {on ausführlich dargelegt, und das werden Sie selbst füblen; denn es läuft doch mehr oder weniger hinaus auf eine verstärkte Subvention für einen Theil der Provinzen. Berlin zu subventionieren, Hefsen-Nafsau zu subventionieren, die Rheinprovinz mit 5 9/9 z. B. zu subventionieren, dafür kann ich kein dringendes Bedürfniß anerkennen. Es ift sogar für die Provinzialverwaltung ganz nüßlich, wenn sie weiß: wenn wir zu opulent verwalten, steigen unsere Ausgaben au zu unseren Laften; aber ih erkenne an, bei anderen Provinzen ift das Bedürfniß viel stärker.

Nun wird es ja von dem durhgreifenden Staat8gefühl darf ih fast sagen —, das die beiden Häuser des Landtages beherrschen wird, abhängen, ob man eine solhe vershiedene, aber ge- rehte, den Staatsaufgaben entsprehende Behandlung erreichen

kann. Ich hoffe, daß es gelingen wird. Es sind dazu sehr

Thatsachen Voraussetzung. Wir haben j-t {on der Herr Minifter des Innern und ich kommifsarishe Berathungen ein- geleitet, und da wird die erfte Frage sein: wie ift die Gesammt- belastung der Provinzen durch Staats-, Provinzial-, Kreisfteuern u. \. w.? Wofür sind diese Ausgaben hauptsächlich bestimmi ? Wo- dur ist die starke Steigerung in den Provinzen entstanden? Welches \ind die Gründe? Ift die Provinz vielleicht zu leichtfertig in den Ausgaben gewesen, oder sind die Bedürfaifse so dringend, daß sie fie hat befriedigen müssen durch Steigerung der Einnahmen? Endlich wird man ih auch klar mahen müssen, welhe Bedürfnisse fteigender Natur, und welche Aufgaben der Provinz sind noch zu befriedigen, wosür die Krast der Provinz allein niht ausreicht ?

Wenn ih mir z. B. vergegenwärtige, daß in der Beziehung {hon einige Landes-Direktoren, namentlich der Landes-Direktor von Posen, sehr werthvolles Material geliefert haben und auch der Meinung find, daß der Antrag von Eynern ihnen nit helfen werde, dann werde ih die Frage erörtern: was ist nah dem gegenwärtigen und praktish an- ¡ustrebenden Kulturzustand in dieser Hinsicht an Aukgaben für Chaufsce- Neubauten erforderli ? Alle diese Fragen müssen nothwendig erörtert werden, und dann wird man vielleiht auch dahin kommen, das bobe Haus zu überzeugen, daß die Vorschläge, die wir machen, niht nach einem dunklen Gefühl, aus der Luft gegriffen sind, sondern klaren Boden haben und feste Thatsachen. J glaube, das wird nothwzrdig sein, damit wir im Hause uns über eine solde Gesetzgebung verftändigen.

Die Staatsregierung ist gewillt, nah Maßgabe der ihr zu Gebote stehenden Mittel und des Bedarfes in dieser Beziehung zu verfahren. IFH möchte um so mehr bitter, da Sie wahrscheinli niht im stande find, detaillierte Vorshläge zu machen, diese Sahe noch in dieser Session zur Erledigung zu bringen, damit die Staatsregierung die übereinstimmende Meinung beider Häu)er des Landtages zur Seite hat. Ich habe um so mehr Vertrauen, daß wir hierbei zum Ziele kommen, als ich namentlich von Vectretern der westlichen Provinzen und ich bin überzeugt, Herr von Eynern wird selbst dazu gehören erfahren habe, daß sie vollftändig diesen Standpunkt billigen und bereit wären, den \tärkeren Bedürfnissen entgegenzukoramen.

Ich kann Ihnen also nur empfehlen, wenn Sie nah dieser Erklärung überhaupt eine Resolution für nöthig halten, das zu tbun, etwa in dem Sinne des Antrags des Freiherrn von Zedlitz. Ich haite ursprünglih gedacht, daß es am einfahsten wäre, das hohe Haus bâtte ih den im Herrenhause angenommenen Anträgen einfah angeschlossen. Wollen Sie aber eine andere Formulierung, so hat das fein Bedenken. Den Antrag von Eynern bitte ih schon jeßi durch Plenarbes{luß ablehnen zu wollen.

Abg. Dr. Wolff -Gorki (kon\.): Au wir halten diese An- gelegenheit für sehr wihtig und wünschen eine Berathung der An- träge in der Kommission, damit wir das Material über die Be- lastung der Provinzen prüfen können. Wir würden aber keineswegs dafür zu haben sein, daß den westlißen Provinzen von ihrer Dotation etwas genommen wird. Wenn uns in der Kommission das Material vorgelegt ift, werden wir hoffentliH gemeinsam Wege finden, in besserer Weise als bisher die Provinzial-Dotation zu regeln.

Abg. Stengel (fr. kons.): E3 wird ja Kommissionsberathung beshlofsen werden, ih empfehle daber nur kurz den Antrag meiner Fraktion. Ist die Finanzfrage wirklich so günftig, daß man auf die Schuldentilgung verzichten und den Uebershuß nach dem Antrage von Eynern verwenden kann? Der günstige Zustand der Finanzen ift durh die Uecbers(üsse der Betriebsverwaltungen, namentlih der Eisenbahnverwaltung, herbeigeführt worden, wir baben aber mit wellenartigen Bewegungen zu renen, dürfen nicht vergessen, daß wir noch vor wenigen Jahren mit Defizits zu kämpfen hatten, und müfsen uns darauf gefaßt mahen, daß folhe Zustände wiederkehren können. In der Eisenbahnverwaltung treffen - wir jeßt viele Einrihtungen, wie Babnhofsbauten 2c., die eigentlih {hon früher hätten gemacht werden müssen. Wenn man sih die gesammte Finanzlage klar mahen will, muß man die Schuldenlast der einzelnen Jahre mit einander vergleiben. Am 31. März 1892 hatten wir 6 057 953 000 M SgZulden und am 31. März 1899 6600 176 000 «# Shulden, unsere Schulden find also noch gewachsen. Den neuen Anleihen ftehen allerdings große Beschaffungen der Eisen- bahnverwaltung gegenüber, aber nicht immer ift das Kapital des Staates werbend angelegt. J möchte z. B. denjenigen im Hause sehen, der in dem Dortmund-Ems-Kanal, für den wir 80 Millionen ausgegeben baben, einen werthvollen Besiß des Staates sieht. Herr von Eynern will den Uebershuß den Provinzen zuwenden. Bei der Etatsberathung hat uns aber Herr Sattler eine große Liste von neuen Aufgaben vorgetragen, die der Staat er- füllen soll. Woher soll man aber das Geld dazu nehmen, wenn man es den Provinien überläßt? Dau haben die Herren noch große Pläne in Bezug auf tie Verkehrsverhält- nisse. Wenn den Provinzen in einem Jahre 50 Millionen überwiesen werden, dann werden fie im nächsten Jahre wiederkommen. Vei dem Gese von 1875 sind thatsächlih einige Provinzen ret {lecht weg- gekommen, die damalige Vertheilung nah der Wegebaulaft ist ni@t rihtig gewesen; die Provinzen, die wenig Chausseen hatten, kamen dabei zu kurz. Die Provinz Posen bekommt nur 401 000 #, Hannover dagegen 1,8 Millionen, Westfalen 1,7 Millionen, Unser Antrag verfolgt eine andere Richtung, als der des Herrn von Eynern, und ih boffe, daß unser Antrag zur Annahme gelangen wird.

Abga. Eblers (fr. Vgg.): Ih boffe au, daß wir uns in der Kommission verständigen können. Für den Antrag von Eynern können wir nit eintreten. Am drückendsten ift die Steuerlaft in den Kommunen, und außerdem ift sie in den einzelnen Landestheilen sehr verschieden. Daher würde das Uebel durÞ die Vertheilung nah dem Antrage von Eynern niht behoben werden. Der Antrag der Freikonservativen, der in besserer Weise den Beschluß des Herrenhauses wiedergtebt, zeigt den richtigen Weg - und enthält einen theoretiich rihtigen Maßftab. De boffe aber, daß aus der Kommission nicht das negative Frgen berauskommt, daß man sagt: ein vollkommen rihtiger Maßstab läßt sh nit finden, und solange der nicht gefunden ist, können wir keine weiteren Staatèmittel den Provinzen überweisen, Jch würde ein solhes Ergebniß aufßerordentlich bedauern. Die kommunalen Ver- bäade, namentlih in den öôftliven Provinzen, find mit ibrer finan- ziellen Leistungtfähigkeit am Ende. Es wäre ein Ziel, innig zu wünschen, wenn man den Kommunalverbänden zu Hilfe kommen könnte; aber cs wird s{hwierig scin, einen rihtigen Vertheilungsmaß- ftab zu finden.

Abg. Dr. Freiherr vou der Goltz (fkons.): Das statiftif Material zeigt eine dauernde Steigerung der Provinziallasten. Die Schulden der Provinzen im Often sind pro Kepf von einem Minimum bis zu 11,3 4 gestiegen. In manchen Theilen der westlihen Pro- vinzen giebt es dagegen gar keine Kreisabgaben. Neben den großen Wegebaulaften hat der Staat den Provinzen neue Aufgaben auf dem Gebiet des Schulwesens, der Irrenanftalten, des Hebeammenwesens x. zugewiesen. Die Provinzen sollen alte Unterlafsungsfünden des Staats wieder gut machen. In der s{chweren Belastung der Kreise und Kommunen liegt auch ein Grund der Landfluhi der ländlichen Arbeiter. Kann man es den Leuten verdenken, daß fie dahin ziehen, wo sie ee Abgaben und alle Genüsse des Lebens haben? Die Kommunallastea fteigen fortwährend durch die Maßnahmen dec

Staatsverwaltung, ¿. B. durch Meliorationen, landwirthschaftlihe

viele Ermittelungen, Klarftellungen vieler uns völlig nnbekannter

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