1900 / 119 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 May 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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ungen ergeben hat. In Berlin i voriges Jahr kon- aa aar ge E eine bier wohnende unbescholtene Frau jahrelang den Liften der unter polizeilicher Sittenkontrole stehenden ens onen gefübrt: wörden ift. Als dies zu ihrer Kenntniß kam, ent- uldigte si die Polizeibehörde damit, sie habe ch in dem Nationale der Frau geirrt. Das Hanseatische gern hat merkwürdiger Weise den Grundsay aufgestellt, daß die Befugniß, eine Frau unter sittenpolizeilihe Kontrole zu ftellen, zu den Maht- befugnifsen der Polizei gebr, sodaß das Gericht die Berehtigung der polizeilihen Maßregeln niht naczuprüfen hat. Dieser Vorgang hat L den deutshen Frauenkreisen die höchste Aufregung und Er- bitterung hervorgerufen. Also, wenn die Polizei mit Unreht von einer an hon \o mißlihen B anß Gébrauch mat, gea es kein Mittel, das beleidigte t wieder zur eltung zu bringen. Diese skandalösen Vorfälle haben die anze deutshe Presse aller Pana beshäftigt. Wäre dies im usland vorgekommen, so wäre alles einig in der Verurtheilung derselben; das enalische Parlament hätte sih beeilt, solchen Ausbrüchen einen Riegel vorzushieben. Vor drei Jahrzehnten hat \ich Aehnliches in England abgespielt, und prompt ift Abhilfe ge- schaffen worden. Wie die Gesetgebung jeßt liegt, find die Frauen rehtlos; diesem unwürdigen Zustand muß endlih ein Ende gemacht werden. Wir wollen deshalb auch das Recht der Polizei be- seitigen, auf bloßen Verdaht hin eine Frau der fkörper- lihen Untersuhung zu unterwerfen. Liegt thatsählich gewerbs- mäßige Unzuht vor, so sollen nach wie vor die nöthigen polizeilihen Vorkehrungen getroffen werden können, welche im sfani- tären Interesse der Allgemeinheit liegen; aber die Untersuchung darf nit von cinem männlichen Arzt ausgeführt werden. Das Recht der rau auf Untersuhung dur einen weiblichen Arzt is {hon mit Rück- cht auf das Schamgefühl unbestreitbar; Yaß weiblihe Aerzte der Aufgabe ebensowohl wie männliche gerecht zu werden vermögen, ftebt fest, ist selbst von Polizeibehörden anerkannt. Mit unferem Antrage, das Verbot der polizeilihen Kasernierung au3zusprechen, rollen wir diese bei § 181b bereits erörterte Frage wiedec auf. Bei der Ver- handlung über diesen Paragraphen war es der Hamburgische Be- vollmächhtigte Burghard, der die interessante Enthüllung mate, Bordelle im polizeitehnishen Sinne gebe es in Hamburg nicht. Jeder O weiß, was er von dieser Ableugnung zu halten hat. uh in einer großen Anzahl mittel- und \üd- deuts Städte giebt es eine Anzahl Bordelle. Beim Arbeit» ger: aragraphen war es Herr Dr. Oertel, der sich für die esondere Reinheit der ländlihen Bezirke ins Zug warf; er Ilud mi direkt zu einer Reise nah Freiberg eta; nach Ham- burg aber wollte er mit mir niht gehen. Mir theilt nun ein Ingenieur, der Freiberg ganz genau kennt, mit, daß in Freiberg mit seinen 15 000 Einwohnern niht weniger als vier Wirthschaften sind, welche als Bordelle angesehen werden müfsen. Herr Dertel hätte alfo nit mit Steinen werfen sollen, wenn man selbst in einem Glashauje sißt. Ich boffe, daß Ihnen meine Angaben genügendes Material für unsere Anträge zu § 361,6 geliefert haben.

Der zuleßt genannte Eventualantrag Heine wird zurück- gezogen. Éin Antrag des Abg. S inger (Soz.) ist mit gehöriger Unterstüßung auf namentlihe Abstimmung über den Antrag Albrecht und die dazu gestellten Eventualanträge gerichtet.

Das Wort erhält der Abg. Stadthagen (So9oz.), der unter wachsender Unruhe des Hauses die Tribüne besteigt. Da die Unruhe den Abgeordneten veranlaßt, mit dem Beginn seiner Ausführungen zurückzuhalten, ersuht der Präsident Graf von Ballestrem das Haus um Rukbe; je zahlreicher die Versammlung sei, desto eher könne font ein Ton in die Verhandlungen kommen, der niht wünschenswerth sei. Abg. Stadthagen: Die einzige Berechtigung, welhe ih für olizeiaufsiht überhaupt ausfindig machen läßt, liegt in den sanitären udsihten. In diesem Vunkte wollen wir B auch das Erforderliche vorgekehrt wissen. Die Nr. 6 des § 361 stellt {hon nach ihrer Ent- stehung8geshihte eine Anomalie dar. Die Polizei kann niht den Beruf haben, die Sitten des Volkes zu regulieren; aber wir finden eine folhe Auffaffung selbst in gerihtlihen Grkenntnissen als Unterlage für die Erkenntnißgründe wieder. Die Kasernierung wird andererseits infolge der betreffenden schriftliden Verfügungen des Chefs der Polizeibehörde von den davon Betroffenen als eine Art Konzession betrahtet. Der Polizei-Präsident in Berlin z. B. ift ja anz und gar nit im ftande, die vielen Tausende von Frauen und

ädchen, welche alljährlih der Sittenpolizei zugeführt werden, per- fönlih zu vernehmen und seine Entscheidung danach zu treffen; diese Frauen und Mädchen find also von vornherein der Willkür unter- geordneter Polizeiorgane überantwortet. Sind doch fogar Fälle vor- ekommen, wo Mädchen unter Polizeiaufsiht gestellt werden sollten, die sich bei der ärztlihen Untersuhung als völlig unberührt erwiesen. In welde Seelenkämpfe müssen solche Mädchen hineingerathen, und welche Sittenverderbniß muß die Folge solcher polizeilihen Willkürlihkeiten sein! Redner führt noch eine Reihe weiterer Fälle an, welche als Belege für diese Polizei- willkür dienen und die Nothwendigkeit einer Beseitigung oder einer erbeblihen Abshwähung der Nr. 6 des § 361 Strafgesegbuchs bes aründen sollen. Weiter führt Ytedner aus, daß die Kasernierung und Lokalisierung der Prostitution gerade die Arbeiterviertel der Städte mit ihrem verpestenden Einfluß vergiften muß. Die Absteige- quartiere in den feinen Vierteln betrahte die Polizei be- kanntlich nicht als Bordelle. Auch für diesen Theil der An- träge beruft \ich Redner auf eine große Zahl von Gerichtsurtheilen und polizeilihen Verfügungen. Wolle man das Unrecht der Nr. 6, welches der Polizeibehörde die Befugniß gebe, Arbeiterviertel mit Huren zu besegen, nit gänzlih beseitigen, so möge man wenigftens die Eventualanträge annehmen. Die Polizei habe, besonders in Preußen, wahrlich andere Aufgaben, die ibre ganze Kraft in Anspruch nehmen ; das Institut der Sittenpolizei müsse verschwinden. Er freue sih darü*er, daß aus dem Hause bisber gegen den sozialdemokratishen Prinzipalantrag kein Widerspruch erhoben worden fei, ein Bewtis, daß das Haus bis zum leßten Wort mit demselben einverstanden sei.

Abg. Beckh- Coburg (fr. Volk2p.): Wäre der § 181b ange- nommen worder, ¿s wäre ein großer Theil des Unwillens über dieses Gesetz gegenstandelos geworden. Bei der früheren Berathung hatte man sich auch auf der Rechten gegen die Handhabung des § 361 er- klärt. Wenn diese Bestimmung au nicht darauf hinwirkt, daß die Regierungêmaschine das Zuhälterthum begünstigt, wie der Vorredner meint, so muß sie do verderblich sein, wie sie gehandhabt wird. Die Streichung dieser Bestimmung könnte aber einen unheil- vollen Einfluß auf die Zunahme der geschlechtlichen Krank- beiten haben. Ich bin ein entschiedener Gegner der Kasernierung und damit der Ausbeutung und Sklaverei der Prostituierten Durch Ab- lehnung unseres Antrages in Bezug auf das Wohnen der Proftituierten haben Sie den Riegel weggeschoben, den wir vor die Kasernierung legen wollten. Ich kenne eine Stadt, in der von den Bordellen Steuern erhoben wurden unter der Rubrik: Landesprodukte. Solche Zustände sind eines zivilisierten Staates unwürdig. Schlehter kann es in Zukunft niht werden. So, wie die sozialdemokratishen Anträge liegen, kann ih für sie niht stimmen. Dagegen bin ich mit dem Grundgedanken des Eventualantrages einverstanden.

Von den Abgg. Dr. Spahn (Zentr.) und Dr. von Leveßow (d. kons.) wird Schluß der Debatte beantragt.

_ Abg. Singer beantragt darüber die namentliche Ab- stimmung; der Anirag wird genügend unterstüßt.

Abg. Hauß man n-Béblingen (d. Volksp.) konstatiert zur Geschäfts- ordnung, daß ihm durch den Schluß der Debatte die Möglichkeit entzogen werden würde, seine zu § 361 gestellten Anträge zu begründen.

räsident Graf von Ballestrem: Ihre Anträge beziehen sh niht auf den Gegenstard, der uns bier béschäftigt, aljo auf § 361,6, sondern auf andere Nummern des § 361. Sie werden seiner Zeit zur Diskussion und Abstimmung kommen. ___ Der Antrag auf Schluß der Debatte wird in nament- licher Abstimmung mit 213 gegen 92 Stimmen angenommen.

Ein eme enthält sich der Abstimmung. Gegen den Schluß ftimmen auch die Polen.

Darauf wird in namentliher Abstimmung der Eventual- antrag Älbrecht und Genossen zu § 361 Nr. 6 (Kasernierungs- verbot) mit 221 gegen 73 Stimmen, der Eventualantrag Heine ersu G aner vel mit 218 gegen 70 Stimmen, der Antrag

lbreht auf Streichung des § 361 Nr. 6 mit 237 gegen 48

Stimmen abgelehnt. : Um 68/4 Uhr wird die weitere Berathung auf Freita 1 Uhr vertagt. (Vorher dritte Berathung der Nachtrags-Etats.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

69. Sigung vom 17. Mai 1900, 11’ Uhr.

Ueber den ersten Theil der Verhandlungen ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus geht zur Berathung des vom Herren- hause in abgeänderter Fassung zurückgelangten Geseß- entwurfs, betreffend die Gewährung von Zwischen- kredit bei Rentengutsgründungen, über. Das Herrenhaus hat die in der ursprünglihen Regie- rungsvorlage enthaltene, vom Abgeordnetenhause gestrichene Zweckbestimmung, daß der Zwischenkredit nur zur Abstoßung der Schulden und zur Errichtung der a I und Wirthschafts- gebäude auf den Rentengütern dienen joll, wiederhergestellt und außerdem den Zusay beschlossen, daß über die Verwen- dung des Zwischenkredits dem Landtage alljährlich Rechnung zu legen ist.

Abg. von Bockelberg (kons.) beantragt, die Zweckbestimmung abermals zu ftreihen, will jedo den anderen Zusazz als unwesentlih an- nehmen. Ohne die Erweiterung des Zw-eckes des Zwischenkredits habe die Vorlage wenig Werth. Irgend welher Mißbrauch des Zwischen- kredits sei auÿ obne die enge Zweckbestimmung ausgeschlossen, da es sich ja nur um Rentengüter yandele, die unter Vermittelung der General-Kommission errihtet werden.

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Es is mir bei den Berathungen in diesem Hause und im Herrenhause niht möglih gewesen, die große Differenz, die angebli stattfinden foll zwishen einem Theil dieses Hauses und der Regierung bezw. den Beshlüssen des Herrenhauses, ausfindig zu machen. Ich glaube, daß dies Gese, wie die Regierung es vor- gelegt hat, die Tendenz, die ich vollständig mit dem Herrn Vorredner theile, doch in bohem Grade fördert. Jh bin zweitens der Meinung, daß, wenn die Beschlüsse des Herrenhauses bestehen bleiben, die Herren, die andere Ziele verfolgen, ihren Zweck garnicht erreihen.

Meine Herren, der Jahalt dieses Gesezes ist: wir wollen den Zwischenkredit privaten Vereinen und Personen geben, welhe es auh sein mögen, um die hohen Ausgaben, welche entstehen vom Tage der Aufstellung des Plans durch die Abstoßung der Hypotheken, welche mit sehr großen und s{hwerz:n Kosten verbunden is, und dur die Folgeeinrihtungen, für weldhe vielfah au erheblihe Ausgaben zu machen sind, dur diesen Zwischenkredit zu erleihtern. Nun sagt man ganz rihtig: vielleicht wird der Zweck einer soliden Kolonisation in noch vollkommenerer Weise, ohne daß das reine Bestreben nah Gewinn in den Vordergrund tritt, erreiht, wenn ein Privatmann sich damit beshäftigt oder ein Verein, der ih der Kontrole des Staats unter- wirft, dur seine Persönlichkeit alle Garantien bietet, und wenn der in die Lage gebracht wird, ein Gut, welches sich zur Kolonifation eignet, zu kaufen und nun auf sein Risiko hin die ganze Kolonisation durchzuführen. Aber, meine Herren, nah dem Antrage, den das hohe Haus hier angenommen hat, soll ja vorher s{chon die General- Kommission mitwirken. Diese kann aber nach ihrer ganzen Stellung in diesem Stadium noch niht mitwirken. Es wird also nah meiner Meinv.ng, auch selbs wenn Sie an dem Beshlufse dieses hohen Hauses festhalten, das, was die Herren wollen, garniht erceiht. Wenn der Beschluß so bleibt, wird es niht möglih sein, daß die Sezhandlunz Vorschüsse giebt, ohne daß vorher eine Mitwirkung der General-Kommission für den Erwerb eines Gutes {hon stattgefunden hat, um dasselbe hinterher in Rentengüter zu verwaadeln. Deswegen kann ich nicht finden, worin die große Differenz liegt. Ich glaube, die Herren irren fich darin, daß sie diefen eben geshilderten Gang der Kolonisation mit den veränderten Beshlüsszn, wie sie hier im bohen Hause gefaßt find, erreihen werden.

Der Herr Vorredner hat das, was die Staatsregierung vor- geshlagen und das Herrenhaus beschlossen hat, für einigermaßen werthlos oder minder wertbhvoll gehalten. Das kann ich durhaus nicht finden. Denn wir habzn ja die Erfahrung gemacht, daß ganz solide Unternehmer ein solches Geshäft mahen wcllten, daß wir aber bei der Seehandlung das ablehnen mußten, weil eben die Voraus- seßungen, die wir damals stellen mußten, entsprehend diesem jeßigen Geseße au in Zukunft stellen werden, niht vorlagen, und weil wir keinen Foads hatten, um in dieser Beziehung dem offenbar vor- handenen Bedürfniß entgegenzukommen.

Wenn die Sache so liegt, so möchte ih doch die H:rren, nament- lih von der rechten Seite, bitten, fih jeßt mit den Beshlüfsen des Herrenhauses zufrieden zu geben; denn die Gefahr, daß das Geseßz dann seitert, wenn Sie die B:\chlüfse des Hzrrenhauses wieder um- werfen, is doch namentlich bei der Geschäftslage des Hauses eine große ; im Herrenhause war man fo bestimmt in dieser Frage, daß der Spre@er der Majorität des Herrenhauses ausdrücklich erklärte : wenn die Regierungsvorlage nicht aufrecht erhalten bliebe, so würden sie gegen das ganze Gese stimmen. Meine Herren, nun haben wir doch einmal ein Zweikammersystem; man muß sh da nah den Umständen richten; bei einer Differenz muß man auch mal nah- geben. Wenn ich nun glaube, gezeigt zu haben, daß die Differenz materiell gar niht so groß ift, so möchte ih Sie dringend bitten, das Geseß an dieser Differenz niht scheitern zu laffen. Ih habe im Herrenhause gesagt, und kann das hier auch vollständig wiederholen, daß, wenn sih zeigen sollte, daß das Geseg den vorhandenen dringenden Bedürfnifsen noch nicht genügt, man in jedem Augenblick weiter gehen kann; die Sache ist damit gar niht abgeschlossen.

Meine Herren, ih lege deswegen einen fo großen Werth auf dieses Gese, weil ih der Meinung bin, daß dasselbe ein Kind ift, welches bald zu einem großen Mann heranwachsen wird, und daß wir später nicht mit 10 Millionen Mark, sondern mit vielen Millionen die Sache in Angriff nehmen werden. Das ift der erfte Schritt, den wir thun, und ich möchte dringend deswegen bitten, daß die Heren sich für dieses Mal damit begnügen. Bei der Stimmung im Herren- hause, wie sie fich deutlich zu erkennen gegeben hat, zweifle

ich an dem Zustandekommen des Geseßes, und dann wir nihts, und der sehr wohlthätige und nothwendige Zwi, kann überhaupt niht gegeben werden. Jh habe ja ausges

daß ih meinerseits gegen die Erweiterung der Befugnisse der Stagiz, J

regierung nihts zu erinnern finden würde; wir würden das Gesey niht scheitern laffen, wenn Sie bei den Beschlüssen des Abgeordneten, hauses stehen bleiben. Aber das Gese wird dur die abweichende

Stellungnahme des Herrenhauses gefährdet. Jh kann nur bezeugen, daß nah meiner Meinung hinter diesen Beshlüfsen des Herrenhausez eine Abneigung gegen die Zwecke, die wir hier verfolgen, in keiner Weise zu suchen ift. Jch glaube au, daß heute in weiten Kreisen diese Zwecke anerkannt werden. Gs hat \ih doh heute alle Welt überzeugt, daß wir eine große Anzahl Güter haben, die in der gegenwärtigen Zeit niht mehr haltbar find, und daß aug die Frage der Leutenoth auf die Dauer sehr wesentli beeinflußt wird durch die Förderung der inneren Kolonisation. Diese Meinung ift jeßt durhgedrungen, und ih glaube nicht, daß gewissermaßen beim- lite Motive bei den Beschlüssen des Herrenhauses vorliegen.

Aus allen diesen Gründen möchte ih die Herren bitten, nun, mehr, wofür ih ja au grundsäßlih schon bei der ersten Berathung Stimmen erhoben haben, daß die Regierungsvorlage vorzuziehen sei, da die Aenderung auf Widerstand gestoßen ift, \fih dahin zu veistän- digen, daß die Regierungévorlage genehmigt wird. (Bravo!)

Abg. Dr. Sattler (nl.) wünscht das Zustandekommen des Ge, seßes, weil es die innere Kolonisation fôrdere, und macht darauf aufmerksam, daß dasselbe Geses auch schon im vorigen Jahre ge- sheitert ift; er habe früber den Beschluß des Ab éorduetenbauses mitgefaßt, der nah seiner Ansicht die Kolonisation beffer fördere, als wenn die Zweckvestimmung darin enthalten sei; diese Förderung falle aber ganz weg, wenn das Geseß heitere, und deshalb empfehle er die Zustimmung zu dem Herrenhausbeshlusse.

_ Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. konf.) befürchtet nicht, daß das Geseg im Herrenhause scheitern werde, wenn das Ab- geordnetenhaus an seinem Beschluß festhalte. Die Konservativen würden wohl ihre Parteifreunde im Herrenhause, welche dort die Mehrheit bildeten, bestimmen können, si der Meinung de3 Ab- geordnetenhauses anzushließen. Damit mit der inneren Kolonifation energish vorgegangen werdea könne, bitte er, den früheren Beschluß des Abgeordnetenhauses wiederherzuftellen.

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Ia, meine Herren, ih bin bei den Beschlüfsen des Herrenhauses gegenwärtig gewesen, ih werde also die Wahrscheinlichkeit, wie das- selbe sh ftelles würde, doch wohl etwas sicherer beurtheilen können als der Abg. Freiherr von Zedliy. Es hat nicht bloß die rehte Seite im Herrenhause für die Wiederherstellung der Regierungévorlage ge- stimmt, sondern auch die sogenannte Linke im Herrenhause; es war ein fast einstimmiger Beschluß, und es wurde ausdrücklich aus- gesprochen: wir werden das Geseßz licber \{cheitern laffen, als daß wir uns den Beschlüfsea des Abgeordnetenhauses anschließen. Da ift doch die Gefahr groß, daß es \{eitert. Wir wissen noch nit einmal, wann das Herrenhaus wieder zusammenkommt, und dann drängt fich am Séluffe der Session alles zusammea und es kann sthr leicht so kommen, daß so das -Geseß unter den Tish fällt. Das wäre nah meiner Meioung unter allen Umständen zu bedauern, selbs für die- jenigen, welche für die Zukunft weiter gehen wollen. Denn wenn man überhaupt noch keinen Anfang gemacht hat, ift es viel {wieriger, die Sache wieder in den Gang zu bringen. Sollten wir uns aber in Zukunft überzeugen, daß das jezige Geseß noch nicht genügt, um den Zweck zu erreihen, daß damit für die innere Kolonisation noh sehr wenig gewonnen ift, wir sind ja jegt alle einig in dieser Frage, Regierung und Landtag, dann werden wir einen weiteren Zusaß machen, dann ist ja auch noch nit viel verloren. Wer also sier gehen will, daß überhaupt etwas zu ftande kommt, den möhte ih dringend bitten, jegt die Beschlüsse des Herrenhauses anzunehmen.

__ Abg. von Riepenhausen (konf.) hält an dem früheren Be- {luß des Abgeordnetenhauses fest und kann nicht einsehen, weéhalb das Äbgeordnetenhaus sich dem Herrer haus fügen solle. Wenn das Herrenhaus dann seinen Besluß aufrecht erhalt-, sei immer noÿ Zeit, daß das Abgeordnetenhaus seinen Beschluß ändere. ]

Die Vorlage wird nah dem Antrag von Bockelberg, also unter Streichung der Zweckbestimmung, angenommen.

Sodann folg! die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Bewilligung weiterer taatsmittel (5 Millionen Mark) zur Verbesserung der Woh- nungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen Be- trieben beschäftigt sind, und von -gering besoldeten Staats- beamten, in Verbindung mit der Denkschrift über die Aus- führung der Geseße gleihen Jnhalts von 1895, 1898 und 1899.

Abg. Macceo (nl.): Bei der Schaffung von Wohnräumen für Arbeiter müssen die billigen Wünsche der Arbeiter berücksihtigt werden. Im Westen find aber vielfa kasernenartig- Gebände errichtet worden, bei denen doch die Gefabr größer ift, daß unter ihren Bewohnern Zwietraht und andere Mißitände plaßzreisen, die wir sonst mit allen Mitteln zu bekämpfen suchen. Bei dem guten Zweck des Gesezes kann man sich mit einer geringen Verzinsung begnügen. Ich be- antrage, die Vorlage der Budgetkommission zu lverwetsen

Abg. Saenger (fr. Volk3p.): Auch wir stimmen der Regierungs- vorlage ju. Den Hauz3besißern wird kaum Konkurrenz berettei, da der Staat nur dort eingreift, wo Wohnungênoth herrsht, auch muß ihr Interesse hinter das der Arbeiter zurücktreten. Ich bedauere, daß es dem Staat nicht immer gelungen ist, vorbildlih zu wirken, um zu zeigen, daß man auÿ mit verhältnißmäßig wenig Mittein shône Häuser bauen kann. Außerdem hat der Staat die Aufgabe, die Bemübungen der Arbeiter beim Erwerb von eigenen Häusern zu unterstügen, indem er die Baugenossenschaften subventioniert. In Bezug auf die Kasernenbauten sind die Verhältnifse in den leßten Jahren besser geworden. Der Prozentsaß der 2- und 3ftöckgen Gebäude ist nach der Denkschrift gestiegen. Es sollen jetzt nur in Frankfurt a. M. und ia Königsberg noch 4stêckige Gebäude errichtet werten; das sind zwei Städte, in denen Grund und Boden allerdiags theuer ist. Im Ganzen kann ih diefem Vorgehen des Staats gern es Die Einzelheiten können wir am beften in der Kommission esprechen.

Abg. Schall (konf.): Wir begrüßen es mit Genugthuung, daß die Regierung in der Ausführung dieser Geseze den Wünschen des Hauses Rechnung getragen hat. Es sind bereits 15 Millionen für diesen Zweck verwendet worden, ih möchte fragen, wie viel noch in Zukunft dafür vorautsihtlich nothwendig sein wird und in welchem Maße den Uebelständen in dem Wohnungswesen durch die bisherigen Mittel abgeholfen ist. Die Subvention der Baugenossenschaften von dem Bedürfniß abhängig gemacht werden, damit der Staat niht in unnôtziger und chilkanierender Weise der privaten Bau- thâtigkeit Konkurrenz maht. Es ift niht unberehtigt, wenn die Haus- und Grundbesißzervereine sich gegen die Unterstützung der Baugenofsenschaften erklären. Es wird sich in jedem Falle sicher fest- tellen lassen, ob die Subvention einer Baugenofsenschaft dringend

nothwendig ist, ob Bohnngtmangel herrscht oder die Miethe eine

übertriebene Höhe hat. Zu bedenken ift, daß, wenn man mit St mitteln in den Städten den Arbeitern Wohnungen zur Berivans ftellt, die Landfluht der Arbeiter noch verstärkt tes, und man mu

N gründet wären, wenn die

der Gerechtigkeit entspriht. Aber die Regierung

f fragen, Li wobl mit dieser sozialen Fürsorge für die Arbeiter, welche die Arbeiter auch in sittlicher Hinsiht gefördert werden. SizoPrásident es Staats-Ministeriums, FinanpMinister Dr. LO Perrin! Der Gesetzentwurf selbst is von keiner Seite an- en, vielmehr allseitig wohlwollend aufgenommen worden. Ih E "mi daher über die einzelnen Punkte, die hier zur Sprache at worden sind, nur kurz zu äußern. g Zuerst ist wieder die alte Frage, ob Villensystem, Einzelwohnungen der Kasernenstil zu wählen seien, von dem erften Herrn Redner zur Gyrahe gebracht worden, und er hat beantragt, dieserhalb die Sache n die Budgetkommission zu verweisen. Jh glaube nit, daß die Bu mmission viel mit dieser Anregung machen wird. Es ist wohl in der ganzen Welt keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß Einzelwohnungen vielleiht mit Garten und Stallungen den Gebäuden, wo viele einzelne Familien zusammenwohnen, weit vorzuziehen find. Aber die Arbeiter haben doch, so sehr man au bemüht sein muß, für ihre Wohnungsverhältnifse zu sorgen, auf ne Einzelwohnung keinen besouderen Anspruch. Dieser Anspru kann ja für faft keine Klasse der Bevölkerung wenigstens in großen Städten befriedigt werden. Wo es mögli ift, ohne die Kosten zu hoh zu steigern, wo namentlich der Grund und Boden billig ift, da soll man allerdings und das thut die Staatsregierung ja au mal Versuche mit der Rentabilität von Einzelwohnungen machen.

Das wird namentlich da m3glih sein, wo zwei Bedingungen vor- handen find: erstens billiger Boden und zweitens reihlihe Löhne.

daß eine Einzelwohnung gegenüber einem Geseh, welches eine angemessene Verzinsung fordert dies is kein Woblthätigkeitsgeseßz, wenn es das wäre, würde es nur kurze Beine haben, fondern es i ein Geseß, welches dem Staat, und so müssen wir

nah Maßgabe des Geseyes verwalten, eine mäßige Rente giebt nit florieren kann, wo die Lebensverhältnifse oder Lohn- verbälinifse der Arbeiter so find, daß die Miethe zu hoh sein würde, darüber braucht man au nit weiter zu sprehen. Wo andere Ver- hältnisse vorliegen, ist es gewiß im höchsten Grade nüßlich und vor- theilhaft und human, möglihft auf Einzelwohnungen hinzudrängen. Ob diese Bedingungen in dem einen Orte oder in der einen Gegend oder in einer anderen vorliegen, das kann doch nit theoretisch fefst- gestellt werden durch einen allgemeinen Erlaß; das müssen Sie {on der Verwaltung überlassen. Wenn 3. B. die Beschwerden, die in dieser Beziehung aus dem Siegenschen erhoben sind, be- Voraussezung der Möglichkeit von Einzelwohnungen vorläge, so würde ich unbedingt dafür fein, diesen Wünschen zu entsprechen.

Auch die Fragz, ob vier- oder dreizimmerige Wohnungen, hängt mit von dea Lebens8verhältnifsen der betreffenden Personen ab. Ein Verkführer, dec einen großen Lohn hat, wicd vielleiht eine vier- immerige Wohnung nehmen können, und deshalb bauen wir auch vierzimmerige Wohnungen. Das Rationellste ist also au in einem großen Gebäude, vershiedenartige Wohnungen herzustellen. Für ein altes Ehepaar, das keine Kinder hat, genügt oft eîne einzimmerige Wohnung, * und das Ehepaar wünscht sich vielleißt auch gerade eine solhe Wohnung. Man muß die Wünsche und Leiftungs- fähigkeit der betreffenden Miether in Betracht ziehen. Man lann fogar behaupten, daß das in viel größerem Maßftabe möglich iff, wenn man große Häuser baut, wo verschiedenartige Familien untergebraht werden können. In einer größeren Stadt, hier in Berlin oder in einem Vorort, werden Sie Einzelwohnungen nicht bauen können. Da würde der Preis der Miethen derartig fein, daß man hiervon ganz absehen muß. Außerdem if die neue Methode, die innere Beschaffenheit des Baues von solchen sogenannten Kasciaen gar nit so schlimm, es fallen jegt eine ganze Zahl von Uebelftänden fort.

Meine Herren, wir haben dech die Erfahrung gemacht, und das möhte ich den Bemängelungen gegenüberftellen, daß wir durch den Bau dieser Wohnungen bei den Arbeitern und den Miethern die größte Dankbarkeit hervorgerufen haben; diese sind alfo zufrieden. Was für einen Vortheil haben diese Arbeiter des Staats aber {on allein dadur, daß der Staat nur 3 9/9 berechnet, während sie, wenn sie das Geld anderswo anleihen müßten, eine ganz andere Summe bezahlen müßten ! Welchen Vortheil haben sie dadur, daß der Staat vielfah auf eigenem Grund und Boden baut und daher den hohen Werth des Grund und Bodens nicht anzurehnen braucht, daß die Miethen meist oft geringer sind als die Miethen für s{lehte Wohnungen in demselben Ort, und daß die Leute sier sind, in ibren Wohnungen bleiben zu dürfen, daß sie nicht, ob- wobl fie sich cut betragen und die Miethen pünktlih zahlen, Gefahr laufen, hinau8geworfen zu werden. Das ewige Umziehen ift das größte Unglück sür die Arkbeiterklasse. Wenn die zunähst Be- theiligten mit der Sache durhaus zufrieden sind, wenn die Wohaungen äußerst gesucht find, und wenn sie, sobald sie nur fertig, gleich voll sind, so kann man doch wobl annehmen, daß nicht allzu viele Fehler seitens der Staatsregierung bei dem Bau dieser Wohnungen gemaht werden. Die Frage, ob sechs oder vier Wohnungen in einem Hause sein sollen, halte ich nicht für so important, daß es rathsam würe, zu beshließen, es sollen überall n ur vier Wobnungen in einem Hause sein statt sech8. Wir haben eine große Anzahl von Häusern mit vier Wohnungen, au eine Reihe mit sechs Wohnungen.

Ich habe vorhin gesagt, die Beschaffenheit der Wohnungen hängt für den Arbeiter oder Beamten wesentlich von ibren Gebalts- berhältnifsen ab. Jch glaube aber troßdem niht, daß die Wohnungsfrage tine bloße Gehalt8- und Lohnfrage sei, denn leider es liegt vielleicht auch in der Natur der Sache spart der Arbeiter zuerst an der Wohnung. Alle anderen Bedürfnisse befriedigt er eher und auch vielleicht etwas reihliher als daz Wohnungsbedürfniß, und es ift eine kulturelle Auf- gabe, die arbeitenden Klassen ers an gute Wohnungen und ihren

h in sittliher und hygienisher Beziehung zu gewöhnen. Hat mal ein Arbeiter längere Zeit eine solche Wohnung gehabt, so wird er seine Ansprüche erhöhen, was zu seinem Heil und zum Heil des

gereiht. Jn dieser Beziehung muß der Staat Muster sein

und namentlich für Stabilität der Wohnungen sorgen. Hier in Berlin ist eine ausgezeihnet geleitete, s{choa alte gemeinnüßige Bau- vesellshaft, die durch Legate und andere Zuwendungen finanziell Qusgezeihnet steht. Jch bin mal mit dem betr. Herrn, nah- N der Staat ihm 2 Millionen vorgestreckt hatte, durch diese ohnungen gegangen und habe da eine große Anzahl Miether ge- den, die 20 und mehr Jahre in der Wohnung gewohnt hatten. sehen ihre Wohnungen gewissermaßen als ihr Eigenthum an.

Sie s{chmücken die Wohnungen mit Bildern, guten Möbeln sind die ordentlihften Leute. Das werden wir nah und nah für unsere eigenen Arbeiter auh erreichen.

Wenn nun gefragt worden ift, wie hoch das Bedürfniß nah folchen Wohnungen für die eigenen Arbeiter und andere Beamte in Zukunft \ch ftellen wird, so kann ih diese Frage wirklich niht be- antworten; denn wenn die Bergwerksverwaltung früher 30000 Bergleute beschäâftigt und jeßt auf einmal 40 000 wer kann voraussehen, wie das Bedürfniß fih in Zukunft entwickeln wird? Wenn wir eine, wenn auch mäßige, in der beutigen Zeit ja erheblihe Opfer für den Staat herbeiführende Verzinsung erreihen, wenn wir fortfahren, naß Maß- gabe des wirklihen Bedürfnisses Jahr aus Jahr ein 5 Millionen zu bewilligen, so werden wir damit an ih allen Arbeitgebern ein gutes Beispiel geben, und es wird die Wohnungsnoth allmählich {ih ver- ringern.

- Meine Herren, die Nücksiht auf die Hausbesizer {lage ih gar- nit gering an, wzil sie zugleih die Rücksiht auf die Privat-Bau- unternehmungen is. Würde der Staat das Wohnungswesen mehr in die Hand nehmen, wte das ein Antrag, der jegt vorli?rgt, ins Auge faßt, würde er gewifsermaßen die Verantwortlichkeit generell für das Wohnen seiner Einwohner übernehmen, dann würde fofort die ganze Bauspekulation selbstredend verschwinden; denn gegen den großen Staat können die Bauunternehmer niht konkurrieren.

Nun wissen wir ja aus langer Erfahrung, daß die Bauunter- nehmer am allerschwierigsten an die Herstellung von Acbeiterwohnungen gehen (sehr rihtig!), weil fie ihr Kapital festlegen. Eine solche große Arbeiterkaserne wird sehr selten verkauft; auch die Risiken, die mit einem folien Unternehmen verbunden find, find niht gering. Daher fehlt in den fortschreitenden Städten, deren Be- völkerung sh vermehrt, fast immer die volle Befcie- digung des Bedürfnisses an ganz kleinen Wohnungea. Wenn nun dadurch eine Art Wohnungsnoth entsteht, hohe Preise, {lechte Wohnungen, Ueberfüllung der Wohnungen, dann if es durchaus berechtigt, daß der Staat wenigsten2 für seine eigenea Arbeiter sorgt. Aber er soll fich auch darauf beschränken. In Orten, wo kein Bes dürfniß ist, wo vielleiht eine große Anzahl billiger Wohnunzen zur Disposition fteht, muß der Staat nach meiner Meinung seine Hand davon halten; denn sonft rihtet er mehr Schaden als Vortheil an. Aber ih behaupte au, daß die Ressorts, namentlich die Bergwerk3- und die Eisenbahnverwaltung, genau nach diesem Grundsatze handeln, und daß daber die Besorgniß und Klagen, daß wir den Grundeigen- thümern bzw. den Bauunternehmern eine ruinöfe Konkurrenz machten durhaus nit begründei sind und sich auch in keiner Weise bisker gezzigt haben.

Meine Herren, wenn Sie die Vorlage an die Budgetkommission zur näheren Prüfung verweisen wollen, so ift, da die Budgetkommission ja shnell arbeitet (Heiterkeit) und also die Gefahr einer Verzögerung eines Abschlusses dieses Gesez:s in diesem Jahre dadurch nicht ent- steht, unsererseits dagegen natürlich nihts zu erinnern. Ich glaube nur nit, daß die Budgetkommission eine viel größere Weisheit in dieser Sahe hat als das ganze Haus überhaupt, als alle die- jenigen wenigstens, die fich mit der Wohnungsfrage beschäftigt haben. Aber unsererseits ift dagegen nihts zu erinnern. Ich nehme ja natürlich an, daß dadurch die Sahe nicht so verzögert wird, daß etwa das Gese [iegen bliebe; denn das wäre sehr übel, Ueberall treten die offenbarsten , dringendsten Bedürfnisse an uns heran; viele Sachen sind eingeleitet; man hat auch {on Arbeiter- und Beamten-Baugenossenshaften vielfah Summen in Aussicht gestellt. Wenn also plôöglih eine Lücke von einem Jahre hineinkäme, so würde ih das im böhsten Grade bedauern. Aber ich bin überzeugt, dafür wird das bohe Haus {hon forgen, daß dieser. Mißstand nicht entstehen wird.

Dee von Rieven hausen (kons.) hält die Ueberweisung an die Budgetkommission nah dem Verlauf der Berathung für überflüsfig, will ibr aber nicht widersprehen, wenn eine große Partei noch jetzt die Ueberweisung beantrage. Die hohe Verzinsung eines Vielfamilien- hauses von 4,26 9/6 entspreche niht der Verzinsung bei allen übrigen Bauten der leßten Jahre. Könne man da niht in den Wohnungs- preisen etwas zurückgehen ?

Aba. Krawinkel (nl.) billigt die soziale Fürsorge des Ministers, meint aber, daß die öôrtlihen Verhältnisse oft nicht genügend berüdck- sichtigt würden.

Abg. Ehlers (fr. Vgg.): Ueber die Bewilligung der 5 Millionen sind wir alle einig. Die technishen Meinungsverschiedenheiten kann die Budgetkommission nicht aus der Welt schaffen, fie sind vielleicht überhaupt niht aus der Welt zu hafen. Wir bedürfen daber keiner Kommissionsberathung. Bei der Ausführung der Bauten können ja die Techniker die hier geäußerten Wünsche mit in Rehnung ziehen. Die Budgetkommission bat sih dreimal gründlich mit dieser Sache beschästigt, vershonen Sie sie also diesmal und nehmen Sie die Vorlage fofort im Plenum an.

Der Antrag auf Kommissionsberathung wird abgelehnt ; es folgt sofort die zweite Berathung.

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Ih möchte noch auf eine Frage erwidern, daß allerdings in dem von Herrn von Riepenhausen angeführten Fall eine Rente von über 4 9/9 berauékommt. Wenn wir aber einen Durchschnitt von etwa 30/9 erhalten wollen und besonders günstige Verhältnifse an einem Orte mal vorliegen, eine Ueberschung der Mieth:r niht ftattfindet, dann müssen wir arch mal, da wir in manchen anderen Fällen unter 3 9% kommen, wenn die Verhältnisse es gestaiten, etwas weiter gehen, um den Durchschnitt herauszubringen. Sonst haben wir durchaus nicht diz Atsicht, generell mehr als 3 9/6 heraufzuwirths{aften.

Die Vorlage wird unverändert angenommen.

Es folgt die Berathung von Petitionen.

Zunächst wird die vor einiger Zeit vertagte Berathung der Petition von Helene Lange und Genossinnen in Berlin (Berliner Frauenverein) um Zulassung der Frauen zur JImmatrikulation an den Universitäten und zu den Staatsprüfungen fortgeseßt. :

Die Unterrichtskommission, deren Berichterstatter Abg. Dr. Dittrich (Zentr.) ist, beantragt, über die Petition zur Tagesordnung überzugehen. i A

Abg. Rickert (fr. Vgg.) beantragt, die Petition der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen ; Abg. Dr. Arendt (fr. kons.) beantragt die Ueberweisung derselben als Material.

Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. Sch midt bemerkt, daß die Ver- waltung den Wünschen der Petenten {hon jehr entgegengekommen sei In einem Jahre seien zugelafsen 645 Hospitantinnen, 40 Extraneer, 10 Damen zum Doktorexamen und 8 zur ärztlichen Vorbildung. Weiter als bisher könne die En niht entgegenkommen; es

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müsse erst abgewartet werden, wie sich Vérhältnisse entwickeln.

Abg. Dr. Endemann (nl.) ift mit dem Uebergang zur Tagesordnung nit einverstanden, sondern empfiehlt die Ueberweisung als Material und hält die Errichtung von Mädchengymnasien für nothwendig.

Abg. Schall (kons.) weist auf die Gründe hin, aus denen er sch im vorigen Jahre ausführlich gegen die Petition ausgespro: n habe, deren Forderungen nah der Ansicht seiner Freunde nicht dem wahren Wokl ter Frau dienten. Eine Schulleiterin, die niht nur Oberlehrerin, sondern auch approbterte Oberlehrerin sei, sei ihm nit erwünsht. Bet der Erziehung der Mädchen komme es hauptsählih auf die Herzens- bildung an. Mit der Zulaf}ung zur ärztlichen Approbation möge man weitere Versude machen, aber es müßten besondere medizinische Pr ueatutse eingerichtet werden. Er bitte, bei dem woblerwogenen Be1chiuß der Kommission stehen zu bleiben ; denn €s dürfe in dieser Frage nihts überftürzt werden, damit wir unser altes deutsches Frauenideal, das sih von dem Sdeal einer englishen oder amerika- nishen Frau wesentli unterscheide, niht verlören.

Nah eigen weiteren Bemerkungen des Geheimen Ober- Regierungsraths Dr. Sch midt und des Abg. Dr. Endemann beschließt das Haus den Uebergang zur Tagesordnung.

Die Petition des Magistrats und der Stadtverordneten von Leobschüß um Erbauung einer Eisenbahn Leobshüß— Kan drzin wird der Regierung als Material überwiesen.

Die Petition des Rechtsanwalts Luft in Leobshüß um Beschleunigung des Baues der Bahn Polnish-Neukirc —Bauerwiß und Fortführung derselben bis zur Landesgrenze mit einer Abzweigung Nassiedel—Leobshüß wird der Negierung zur Ecwägung Überwiesen.

Ueber die Petition des Küsters Kittler in Luckenwalde um Beilegung der Staatsbeamten-Eigenschaft an die zivilversorgungsberehtigten Beamten der Kirchen- r eS geht das Haus auf Antrag des Berichterstatters

bg. Freiherrn von Dobeneck (kons.) zur Tagesordnung über.

Außerdem erledigt das Haus noch eine Reihe von Peti- tionen persönlichen oder lokalen Jnhalts.

Schluß 3 Uhr. Nächste Sißzung Freitag 11 Uhr. (Waarenhaussteuergeseß.)

Statiftik und Volkswirthschaft.

Unter dem Vorsiz des Direktors des Kaiserlichen StatiftisGen Amts, Geheimen Ober-Regierungsraths Dr. von Scheel begann heute in Jena eine Konferenz vou Vertretern der Statiftik des Reichs und der Bundesstaaten ihre Berathungen; Gegen- stand desselben ift in erster Linie die Auëführung der in diesem Jahre vor- zunehmenden Volkszählung, der land- und - for stwirthshaftlihen Er- bebungen und der Biehzählung.

Gewerblihe Riesenunternehmungen in Deutschland. *)

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Gewerblihe Unternehmungen mit mehr als 1000 Personen gab es nah dem 119. Bande der „Statistik des Deutschen Reichs“ am 14. Junt 1895 insgesammt 296. Sie beschäftigten über eine halbe Million Personen : 562 628, die in ihnen verwendeten motorishen Kräfte revpräsentierten eine Leistung von zwei Drittel Million Pferdestärken: 665 265. Diese modernen Gebilde der volkswir1hschaftlihen Organi- sation, in denen Tausende von Menschenbänden nebeneinander arbeiten und in ibrer E vou gewaltigen Motoren und tehnisch sehr vervollkommneten Arbeitêmashinen unterstüßt werden, find gemäß ihrer Verfassung, Ausdehnung und Produktiokraft von fo weit- tragendem Einfluß auf die Volk8wirthschaft, daß private und öffentliche Interessen in ihnen aufs engste verbunden erscheinen. Die sfozial verschiedensten Klassen von Famili:n find in ihrer wirthshaftlihen Gristenz voa ihnen abhängig, zunächst die leitenden Perfönlichkeiten, die Aktionäre, stillen Theilhaber, sonftige Kapitalinterefsenten, die Gläubiger, die Werkmeister und Arbeiter. Daneben verfolgen Hunderte und Tausende von Kunden aus Nah und Fern das G:shäft;- zablreihe Händler, Lieferanten, Konkurrenten, endlich die Nachbarn, die ganze Stadt, der Kreis; die Provinz haben Interesse am Auf- und Niedergang der betreffenden Unternehmung. Die Lage, die baulihen Einrichtungen, die guten oder \{lechten Verkehrs- beziehungen des Großbetriebs werden zu einer Gemeinde- und Bezirks- angelegenbeit ; von d-m Betriebe werden Schulwesen, Steuerkraft, Bevölkerungtzu- oder -abnahme, Wohlstand und Verarmung der ganzen Gegead, Art der Siedlung und Grundzigenthumsvertheilung beeinflußt. Diese volk8wirthschaftlihe Bedeutung kommt mehr oder minder allen größeren Unternehmungen zu, insonderheit aber den erwähnten Riefen- nebmungea, bei ibnen tritt der öffentlihe, gemeindeähnlie Charakter ganz befonders deutlih hervor. Ihre gewaltige Ausdehnung haben die Riesenunternehmungen vornehmlich dadurch erhalten, daß vershieden- artige Gewerbebetriebe zu einem Gesammtbetrieb, zu einem wirthshaft- lihen Ganzen vereinigt wurden. Die Tendenz der Vergrößerung hält aber noch an, sz zeigt sih gerade bei den autgedehnteften Unter- nehmungen: Eûtweder wird der eigentlihe Stammbetrieb erweitert, oder es werden mit ihm Theilbetriebde mannig- faltigster Art fkombiniert. Zweck dieser Kombinationen ist, dem Hauptbetrieb die Lheilfabrikate anderer Gewerbe, die im erfteren viel und regelmäßig gebraucht werden (z. B. Tischler-, Bôtth-r-, Buchbinder-, Schlofserarbeiten), möglihst billig und einfach zuzuführen oder die eigenen Produkte weiter zu verarbeiten (daher neben Berg- und Hüttenwerken Eisengießeretien und Maschinen- fabriken), oder man bezweckt eine rationelle Verwerthung der Nebens produkte (z. B. in der mit Gasanstalten verbundenen Kokerei und chemisden Werkstätte Ammoniakbereitung), oder man will fih vom Markt überhaupt“ unabhängiger machen (weéthalb z. B. Eisenbüttenwerke in ibrer Nähe belegene Koblengruben erwerben). Ein anschaulihes Bild von der Großartigkeit diefer Unter- nehmungen läßt sh nur an der Hand konkreter Beispiele gewinnen. Deshalb sollen im Folgenden einige Riesenunternehmungen einzeln vorgeführt werden ; zugleih wird an ibnen auf Grurd der im Laufe der Monate September und Oktober 1899 über ihren neuesten Stand O Nachweife gezeigt, wie deutsche Riesenunternehmungen jept aus!eyen.

Zu den Werken und Anlagen der Firma Friedrih Krupp gehören die Gußftablfabrik in Efsen1), das Krupp’she Stahlwerk vorw. F. Afthöwer u. Co. in Annen (Westfalen), das Grufonwerk in Buckau bei Magdeburg, 4 Hochofenanlagen bei Rheinhausen, Duis- burg, Neuwied und Engers, 1 Hütte bei Sayn mit Maschinen- betrieb, 4 Koblengruben (außerdem Betheiligung an anderen Zechen), über 500 Eisensteingruben in Deutschland, darunter 11 Tiefbau- Anlagen mit vollftändiger maschineller Einrichtung, verschiedene Eisen- steingruben bei Bilbao in Nordspanien, 1 Schießplay bei Meppen von 16,8 km Länge und mit der Möglichkeit, bis auf 24 km Ent- fernung zu schießen, 3 Seedampfer, verschiedene Steinbrüche, Thon- und Sandgruben 2c.; außerdem is der Firma Friedrich Krupp vertragsmäßig der Betrieb der Schiffé* und Maschinenbau- Aktien-Gesellihaft „Germania“ in Berlin und Kiel überlassen. Die hauptsählihften Fabrikationsgegenftände der Gußftablfabrik in Essen find Geshüze (bis Ende 1898 über 37000 Stück ge- liefert), Geshofse, Zünder, fertige Munition 2c, Gewehrläufe,

*) Vergl. Nr. 117 des „R.- u St.-A.“ vom 16. Mai d. I.

1) Der Grundbesiß betrug am 1. Januar 1899 in Efsen und umliegenden Gemeinden 360 ha 64 a 89 qm, davon 59 ha 78 a 99 qm überbaut.