1876 / 107 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 May 1876 18:00:01 GMT) scan diff

Verlin, den 5. Mai 1876. Die Ausgrabungen von Olympia. V1, Bericht. (Vergl. Nr. 85 d. Bl.)

Die Briefe unserer Landsleute von Ende März bis 21. April bezeugen den erfolgreihen Fortgang der Arbeiten und den günstigen Gesundheitszustand der arhäologishen Kolonie in Druva. Man hat in verschiedenen Strecken an der Südost- \cite des Tempels die alte Mauer gefunden, welche den Tempel- hain einfaßte, die Altismauer, deren Aufdeckung für die Tspo- graphie des ganzen Lokals von Wichtigkeit is. Vier bis fünf Meter vor der Mauer fand man eine Reihe von Poftamenten ; 18 noch an Ort und Stelle ftehend, andere umgefstürzt, die meisten sind oblong oder quadratisch, rund nur zwei. Näher der Mauer fanden fich die Bruchstücke älterer größerer Pofta- mente, die wohl zur Aufstellung eherner Viergespanne gedient haben. Nach Freilegung aller Postamente steht eine reihlihe Inschriftenernte in Aussicht. Von Skulpturen fand man die Fragmente einer Kaiserstatue, neue Pferdefragmente vom Ost- giebel und unter der Masse vergoldeter Bronze, die den Boden bededckt, einige größere werthvollere Stücke, die Kriegern, Rofsen und Dreifüßen angehören.

Der alte Boden wird jeßt auch an der Südseite des Tem- pels freigelegt, wo die mächtigen Säulentrommeln, wie fie vom Erdstoße hingeworfen wurden, neben einander liegen. An der S.-W.-Eccke des Tempels beginnt vom Unterbau desselben eine ca 4 Meter breite Mauer, die \sich bis jeßt 16 Meter weit nah Süden verfolgen läßt; eine Mauer, welche, wie die fränkische Mauer in Athen, aus einer unglaublihen Menge von Architektur- flücken aufgebaut if, glückliher Weise ohne Mörtel, so daß die allmählihe Auflösung dieser Mauer für die Baugeschihte von Olympia reiche Ergebnisse verspricht.

Seit der Ankunft von Baurath Adler und Dr. Hirschfeld in Olympia (Sonnabend, 8. April) wurde den Arbeitern eine neue Aufgabe gestellt, nämlih die Säuberung des Fußbodens des Tempels, um auf demselben die Spuren der alten baulichen Einrichtung zu erforshen. Eine völlige Ausräumung is in diesem Frühjahr nicht mehr möglih, doch hat man schon die Ueberreste der Cellamauer gefunden, sowie die unteren Theile der Säulen, welche in der Cella aufgestellt waren; hier ift au das alte Marmorpflaster erhalten, dessen Beschaffenheit über die ursprüngliche Eintheilung und Benußung des Raums die lehr- reihften Ergebnisse in Aussicht stellt. Man if gegenwärtig be- schäftigt, die Vorzelle (Pronaos) des Tempels vollständig aus- zuräumen und die Schuttmassen zu entfernen, welhe die Süd- hälfte der Cella noch bedecken.

Diese Arbeiten wurden täglich von 80 Mann ausgeführt, lediglih zur wissenshaftlihen Erforschung des Tempelbaus und ohne Hoffnung auf besondere Funde. Um so erfreuliher war es, daß Mittwoch, den 19, April, bei Aufräumung des Pronaos dicht unter der Oberfläche (0,60 tief) eine Metopen tafel zum Vorschein kam, nah oben gekehrt, so daß der Kopf einer Jungfrau zuerst fichtbar wurde. Donnerstag Mittag wurde die Freilegung vollendet und man hatte nun ein Prachtstück der ersten Campagne vor Augen. Es ist eine Mar- mortafel, 1,60 hoch, 1,51 breit, ohne oberen Rand, mit nie- drigem Unterrand. Links eine feierlich stehende, lang bekleidete Jungfrau, deren rechter Arm herabhängt mit geöffncten Fingern ; der Kopf ist nach rechts gewendet, das wellige Haar mit einer Haube bedeckt; der linke Arm isst nah oben gerichtet. Daneven, ihr den Rücken wendend, ganz im Profil, ein unbe- kleideter Mann, eine Last tragend; der bärtige Kopf ift nah vorne gerichtet, so daß er in geshickter Weise zwischen den Oberarmen sihtbar wird. Ihm gegenüber Herakles, den rech- ten Arm nach vorne streckend, mit drei Aepfeln in der Hand; der linke Arm isst gebrohen. Alles Andere ist vortrefflich erhalten, namentlih der Kopf mit Spigbart, Locken und Stirn- band. Die an der unteren Ecke rechts fehlenden Stüdcke sind größtentheils noch gefunden. Das Werk is nach Styl und In- halt unshäßbar. Die Figur in der Mitte kann nur Atlas sein, von dem man glaubte, daß sein Kopf unter den aus Olympia nah Paris gebrachten Bruchstücken sei.

Wegen der Aufräumung des inneren Tempels if die Ausgrabung außerhalb desselben langsamer vorgeschritten. Dazu kommt, daß zum Osfterfeste die” Tzakonen in ihre Heimath abzogen und die Arbeitskräfte um ein Drittel verringert wur- den. Auch die Herstellung der Photographien, die durch Hrn. Romaïdes aus Patras gemacht sind und sehr gelungen sein sollen (fie werden jet in Patras vervielfältigt), verlangte viel Arbeitskräfte, um die Skulpturwerke aus den Magazinen und zurück zu bringen. Ebenso war die Herstellung der Gipsformen durch Martinelli und Borghini eine \{chwierige und mühevolle Aufgabe. Es find jet alle wihtigeren Stücke geformt und zur Verpackung bereit; der Transport soll auf dem Alpheios bewerk- stelligt werden, denn leider if die Fahrftraße noch nit fertig, auch nicht die Kladeosbrücke, welche den Shlußpunkt der Straße von Pyrgos nah Olympia bilden soll. Dr. Hirschfeld wird Verpackung und Transport überwachen. Bei dem Zusammensuchen der zusammengehörigen Skulpturen is es gelungen, den Unterkörper des fknieenden Mannes mit dem am 15. Dezember gefundenen Oberkörper als vollkommen zusammenpafsend zu erkennen; da- durch ift eine beinahe vollständige Figur des Ostgiebels gewon- nen, die Figur eines Wagenlenkers, welche der linken Giebelseite angehört, Als zur Nike gehörig hat sich das Bruchstük eines Vogels gefunden, das genau an die linke Seite der Statue paßt. Von Inschriften find in den leßten Wochen besonders solche zu Tage gekommen, die sich auf römische Zeiten beziehen, drei Mummiusinschriften, eine Inschrift auf Claudius Lyson u. a.

Man denkt vorläufig die Arbeiten bis gegen Ende Mai fortzuseßen. Die Jahrhunderte lang so verödete Tempelfiätte von Olympia ist seit diesem Frühjahr wieder ein Wallfahrtsort geworden; in den Ostertagen hat man tägli 4- bis 500 Fremde gerechnet.

Weltausftellung in Philadelphia 1876.

Die Ausstellungs-Centennial-Kommission zu Phi- ladelphia hat beschlossen, keine Einlaßkarten zur Ausstellung zu verkaufen. Der Besucher zahlt am Eingange eine 50-Centsnote, welche als Eintrittskarte betrachtet wird. Es werden jedoch zwei Sorten Freikarten ausgegeben und zwar solche für prominente Beamte al: ein Kompliment, das ihrem Amte, nicht ihrer Person gemacht wird und Karten für die Aussteller, die Angestellten der Aussteller, und die Repräsentanten der Presse. Die Karten für die Aussteller, Berichterstatter 2c. werden auf feines Kartenpapier gedruckt und zu- ammengefaltet sein, so daß sie vier Seiten haben. Der mittlere

heil der inneren Seiten wird mit Reihen von Zahlen eingefaßt sein, welche mit den Tagen korrespondiren, während deren die Avsstellung geöffnet ift. Sobald der Jnhaber der Karte eintritt, wird die Nummer auf der Karte mit einer Zange (punch) durch- lôchert werden und falls derselbe während des Tages den Plaß ver-

farten ist ein ovaler Raum freigelassen worden, in welchen der Jn- haber vor dem 1. Juni sein Bild einkleben muß. Thut er dies bis dahin nicht, fo wird ibm die Karte abgenommen. Eine solche Karte ist niht übertragbar und wird eingezogen, falls sie im Besiß einer anderen Person betroffen wird. Verloren gegangene Karten werden niht erseßt. Ferner hat die Kommission von dem früher bei Weltausstellungen üktlihen System der Zuerkennung von Preis - Medaillen Abstand genommen und beftimmt, daß die Preisjury, welche zur Hälfte aus Jnländern und zur Hälfte aus Ausländern zusammengeseßt ist und deren Mitglieder für ihre Mühe ein Honorar von 1000 Doll. beziehen werden, eingehende Berichte über einzelne Ausstellungs-Gegenstände einreihen soll und auf diese hin sollen dann den Ausftellern die Medaillen, in jedem Falle die gleihe bronzene Medaille zuerkannt werden. Diese Aenderung des Systems der Vertheilung der Medaillen wird in einem Bericht des Vorsißenden des Comités für Zuerkennung der Preise, Herrn N. M. Beckwith, durch Folgendes motivirt: Statt der Juternationalen Jury werden wir nur 200 Preisrihter haben, von denen die älste dem Auslande angehört und die sämmtlich ausgewählt nd, weil sie sich für diese Stellung vorzüglich eignen. Ferner ist das System der Zuerkennung verschiedener Klassen von Medaillen abgeschafft, dafür haben aber die Preisrichter \chriftlibe Berichte einzureichen, Über die vergleich8weisen und inneren Vorzüge {eden Produkts, welches fie einer Prämiirung für würdig halten. In diesem Bericht müssen die Eigenthümlichkeiten und Vor- züge auseinander geseßt und die Gründe angegeben werden, weshalb eine Preismedaille zuerkannt werden soll und ferner muß jeder Be- riht von den Preiérichtern, welche denselben abgefaßt haben, unter- zeichnet werden. Da das professionelle Urtheil und die moralische Verantwortlichkeit der Preisrichter auf diese Weise involvirt ist, so wird dadurch die Unparteilichkeit ihrer Berichte gesichert. Als Aner- fennungen werden solche Berichte für die Aussteller größeren Werth haben, als Medaillen, da sie dem Publikum werthvollere Information Über die Produkte geben. Ihre gemeinsame Veröffentlichung in Form eines Handbuches, wird für alle Klassen von Werth sein und zeigen, in welchem Lande gewisse Produkte am weitesten vor- geschritten sind. Endlich wird der Verkauf dieser Handbücher der Kommission eine Einnahmequelle eröffnen, durch welcbe der größte Theil der Kosten bestritten werden kann. Der Erfolg diefer Methode hängt natürlich ganz von der sorgfältigen Answahl der Preisrichter ab. Es verdient erwähnt zu werden, daß die besten Beurtheiler von Produkten gewöhnlich nit unter den Produzenten, sondern unter den Konsum?nten gefunden werden, Mit Rückficht auf diese Frage bietet das von der Centennial-Kommission angenommene Syftem den großen Vortheil, daß es der Kcmmission überlassen ist, niht nach der Re- präsentation des Landes, fondern nah der Fähigkeit, unabhängig von Lokalitäten, die Preisrichter auszuwählen, Die Mäuner, welhe man als Preisrihter gewinnen muß, find nach ihrer Fähigkeit, Er- ziehung, ihrem Ruf und ihrer Erfahrung zu wählen und diese find nicht schwer unter Denjenigen zu finden, welche in großartigen Industriezweigen, mächtigen Fabriken und höheren Bildungsanstalten angestellt find, in denen fie sich durch die Tüchtigkeit und Fachkenntniß eine permanente Stellang erworben haben. Soweit bekannt geworden ist, hat diese Methode der Zuerkennung von Preisen im Auslande entschiedenen Beifall gefunden, und es kann gar fein Zweifel darüber obwalten, daß vom Auslande aus Einhupdert Richter gesendet werden, welche sich durch solide uud zuverlässige Eigenschaften auszeichnen. Uns kommt es deshalb zu, Männer zu Preisrichtern zu wählen, deren guter Name, Erfahrungen und Fähigkeit in ihrem Beruf mit denen unserer auswärtigen Mitarbeiter gleichen Schritt halten, damit sie hinter diesen nicht zurückstehen. Die Liste der Preisrichter wird erst in der am 26. April zusammentretenden Generalversammlung der Vereinigten Staaten Centennial-Kommisfon festgestellt werden.

Der eben ausgegebene Ausstellungskatalog des Krupp- \chen Etablissements für die Weltausstellung zu Phila- delphia bietet, wie die „Köln, Ztg.“ mittheilt, namentlich in Be- tref der von demselben dort ausgestellten Geschüße ein besonderes Interesse. An Zahl stehen diese den in Wien 1873 ausgestellten Ge- shüßen zwar na, dafür aber sind beinahe sämmtliche in dieser neuen Zufammenfassung enthaltenen Geschüße von einer dort nech nicht ver- treten gewescnen Konstruktion. Außer der neuen 354 Cm.-Kanone in Me Aufla diesem neuesten KruppTchen Riesengeshüß, enthält diese Zusammenfassung als das einzige früher tereits konftruirte Ge- \{üß nur eine lange 24 Cm.-Kanone in Küstenlaffette, demnächst aber die beiden eben bei der deutschen Armee neu eingeführten Feld- geschüße, ein neues 8Cw.- und ein 6 Cm.-Gebirgsgeshüßz, die neu konstruirten Tragsättel und Geschirr sür dieses leßte Ges{hüß, noch ein besonders reich ausgestattetes und im Rohr wie in der Laffette polirtes Feldgeschüß der oben angegebenen Art und eine Serie von Geschofsen. In Betreff der neuen deutschen Feldgeshüße gewähren die im Katalog enthaltenen Angaben den Nachweis über ihre Leistungs- und Wirkungs fähigkeit. Nicht minder bedeutend und interessant erscheinen die Leiftungsfähig- feit und die neue Transportkonstruktion der Gebirgêgeshüße. Daß der neue Tausendpfünder in Amerika einen besonders wirksamen Aus- ftellungsgegenstand bilden wird, ist wohl vorauszuseßen. Betrachtens- werth erscheinen nächstdem noch die beiden Schiffswellen, von denen die eine 13,500 Kilogramm s{chwer, unter dem 1000 Ctr. {weren Dampfhammer aus einem 30,000 Kilogramm schweren Tiegelftahl|- block ausgeshmiedet worden ist, und die mit ihren drei Kurbeln und ihrer Kuppelshzibe der 2500 Pferdekraftmaschine eines im Bau be- griffenen neuen Schiffes der deutshen Kriecssmarine eingefügt werden wird. So viel bekannt, sind diese Wellen, von denen die andere, 9000 Kilogramm s{chwer, für einen transatlantishen Dampfer bestimmt is, ein neuer Erzeugungszweig der Anstalt, die wenigstens in Wien mit Leistungen für die Schiffsbau-Industrie noch nicht hervorgetreten war. Aus der diescm Ausstellungskatalog ähnlich wie hon dem von 1873 vorangestellten Uebersicht über den zeitigen Betriebsstand des Etablissements ergiebt sih, daß die gegenwärtige Arbeiterzahl desselben, einschließlich der 5000 Hüttenarbeiter, 15,500 Köpfe beträgt und daß fih troß der zur Zeit so ungünstigen Ver- kehrôsverhältnisse auf keinem Betriebégebiet ein Rückgang, auf mehre- ren hingegen eine niht unbeträchtlihe Steigerung der Betriebêmittel ausweist. So ist seit 1873 die Zahl der Kupol- und Flammöfen Un 19 _Di€ der, Dani Un 00, De D anbe hämmer um 7 und die der Dampfmaschinen um 8, darunter eine von 1000 Pferdekraft, gestiegen. Achnlich verhält es fich auch mit dem im Etablissement enthaltenen Eisen- bahnnet, das zur Zeit 38,92 Kilometer normalspurige und 18 Kilo- meter s{chmalspurige Eisenbahnen umfaßt, welche zusammen mit 24 Loko- motiven befahren werden. Den vielen, zu Gunsten der Arbeiter in denselben enthaltenen Anstalten und Einrichtungen sind vier Volks- \{chulen mit 21 Klassen und vier Jndustrieshulen für Frauen und Mädchen neu hinzugetreten. Endlich hat feit 1873 noch dadurch eine Erweiterung der Betriebsmittel des Etablissements stattgefunden, daß dasselbe gegenwärtig 4 Dampfer von je 1700 Tonnengehalt besißt, welche vorzugsweise zum Transport der Erze aus den in Nordspanien bei Bilbao erworbenen Eisfenerzlagern verwandt werden.

Die Stadtverordneten-Versammlung hat in ihrer gestrigen Sißung die in Nr. 106 dieses Blattes abgedruckte Ma- gistratsvorlage in Betreff der Nikolaikirhe mit einem Amendement des Stadtverordneten Salge angenommen, daß die Bewilligung der Mittel zum Ausbau der Thürme nur unter der Bedingung ausgesprochen wird, daß die Kirchengemeinde fich ver- pflichte, die Erneuerung und den invyeren Ausbau innerhalb dreier Jahre nach Anordnung des Magistrats auf Kosten des Kirchenfonds zu vollziehen, und daß die Entshädigung für das Vorgartenterrain erst nah erfolgtem Ausbau der Kirche gezahlt werde.

Zum Zwecke einer Reorganisation der allgemeinen Penfions- anstalt deut|cher Bühnen-Angehörigen hat der Prof. Dr. Karl Heym über eine Anzahl von deutschen Bühnen statistisches Material ge-

lassen und wieder zurückchren muß, erhält er vom Thürsteher einen „Retour-Check*", der nur für den einen Tag gültig ist, Auf den Freis

sammelt und bearbeitet und als einen Beitrag zur Juvalidens- Statistik unter den Bühnen-Angehörigen in Deutsch-

land in der deutschen Versicherungê-Zeitung veröff ntlicht Die Theater, welcde das Material geliefert, sind die Theater zu Cassel, Darmstadt, Dessau, Frankfurt a. M.; Gotha, Hamburg, Kie Leipzig, Mannheim, München, Prag, Schwerin, Stuttgart und Wiesbaden. Die Wahrscheinlichkeit, während eines Jahres invalid zu werden, betrug bei dem sämmtlihen beobachteten Personal im Durchschnitt 0,014, bei den Frauen war dieselbe größer (0,017), bei den Männern kleiner (0,012). Der Verfasser unterscheidet nah der Be- schäftigung der Personen vier Abtheilungen: 1) technisches Personal, Cher und Orchefter, 2) Schauspiel, 3) Oper und 4) Ballet. Das letztere hat sowohl bei den Männe:n als au bei den Frauen die größte Invalidität gezeigt, bei jenen 0,019, bei diesen 0,022. Oper und Schauspiel hatten bei den Männern dieselbe Invalidität 0,015, wie das weiblihe Personal der Oper, während die Schauspielerinnen eine um 0,005 hôhere Invaliditätswahrscheinlichkeit aufweisen, nämlich 0,020. Bei der ersten Abtheilung zeigt fih wiederum für das weibliche Geschlecht eine größere Invalidität, als für das männliche; denn für jenes ift sie 0,016, für dieses aber nur 0,011. Bemerkenswerth ist ferner die Verschiedenheit der vom Verfasser ermittelten Ältersjahre, in denen die Invalidität bei den einzelnen Abtheilungen eintritt. Für dieses Alter hat der Verfass-r gefunden: bei Abtheilung 1 (techn. Per- sonal 2c.) Männer 57 Jahre, Frauen 45; bei Abtheilug 2 (Schauspiel) Männer 59 Jahre, Frauen 50; bei Abtheilung 3 (Oper) Männer 49 Jahre, Frauen 43; bei Abthe:lung 4 (Ballet) Männer 44 Jahre, Frauen 39; im Durchschnitt für die Männer 55 Jahre, für die Frauen 44 Jahre. Die Frauen treten in allen Abtheilungen früher aus der Aftivität heraus, als die Männer. Es hängt dies allerdings mit von dem Umstande ab, daß sie auch in jüngeren Jahren, ais die Männer, ihre theatralische Laufbahn beginnen, jedoch erklärt dieser Um- stand die große Verschiedenheit im Anfangsalter der Invalidität nicht ganz; denn der Unterschied des Lebensalters, in welhem die Frauen und Männer ihre Thätigkeit am Theater beginnen, beträgt im Durch- {nitt nur 4 Jahre bei Männern ist es das Alter von 21, bei Frauen das von 17 Jahren wogegen, wie sih aus Obigem ergiebt, die Frauen um 11 Jahre früher als die Männer invalid zu werden pflegen. Die Aktivitätsdauer ist bei den Männern durchschuittlich 34, bei den Frauen 27 Jahre,

Berlin. Der zum Propst von Kölln ernannie vnd an die hiesige Universität berufene Professor, Dr. theol, Frhr. v. d. Golß aus Bonn hielt am 4. d, Nachmittags, vor einem zahl- reichen Auditorium seine E dean. Der Kampf, der zwishen Staat und Kirche entbrannt sei jo begann der Redner etwa habe bereits eine derartige Gestalt erhalten und nehme in folch großem Neaße das öffentlihe Jnterefse in Anspruch, daß die Wissenschaft diefem Kampfe gegenüber nicht mehr müßig zu- schauen könne, sondern das Recht und die Pflicht habe, Autkteil an demselben zu nehmen. Allein, wie in allen Dingen, so werde es auch in dieser Angelegenheit Aufgabe der Wissenschaft sein, sich weder von Pietäts-, noch von rechtlichen oder gar persönlichen Rücksichten leiten zu lassen, sondern unb:kümmert um allcn Parteikampf ledigli nah der Wahrheit zu suchen. Die Wissenschaft sei keinem irdischen Richter verantwortlih,. Es handle sich in dem gegenwärtigen Streit zwischen Staat und Kirche keineswegs um die Fragen: „Himmlischer oder Irdischer?“ „Religiösität oder Anti - Reli- giösität ?“ sondern lediglich um das rehtliche äußere Ver- hältniß zwischen seiner fkonservirten Glaubensgemeinschaft und einer nach modernen europäishen Anschauungen gebildeten Volksgemeinschaft. Keincswegs handle es sich um die Existenz der unveräußerlihen Kirche Gottes bez. um eine unantastbare, das vollendeteste Jdeal in sich shlicßende staatlihe Schöpfung. Die kfirchenpolitishe Streitfrage sei Seitens der Wissenschaft erstens vom historischen, zweitens vom rechtlihen und drittens vom ethischen Standpunkte aus zu behandeln. Von diesen drei Gesichtépunkten aus werde er (Redner) in seinen künftigen Vorlesungen, die alle Dienstag Nachmittag, zwischen 5—6 Uhr stattfinden werden, der kirchenpoliti- schen Frage näher zu treten suchen.

Der zweite internationale Kongreß der Leiter und Lehrer von Blindenanstalten findet vom 25.—27, Juli. d. I. in Dresden ftatt.

Theater.

Im Königlichen Opernhause trat am Donnerstag Hr. Be ck vom Landestheater in Graz als Nelusco in der „Afrikanerin* auf. Es war das erste Auftreten des Künstlers als Mitglied der hiesigen Oper. Der Künstler i ein wirklicher Gewinn für dieselbe; seine stattlihe Erscheinung, sein \{chöônes, kräftiges Organ, sein äht drama- tisher Gesang, der für jede Situation die rechte Färbung annimmt, vynd sein freies, degagirtes Spiel sind seine trefflichen, bereits von früher her bekannten Vorzüge sein fortwährendes, starkes Tremo- liren aber sein großer, ebenfalls früher {on gerügter, aber leider noch nicht abgelegter Fehler. Im Ga-"zen fand Hr. Beck großen Beifall, besonders nach seinem wild und originell vorgetragenen Lied vom See- riesen; aber auch die lyrischen Stellen seiner Partie kamen zu {önem Ausdruck. Hr. Ern saxg den Vasco de Gama; da er nur eine Aushülfe für jede jeßt fehlende größere Kraft bieten wollte, darf man nicht weiter mit ihm darüber rehten, daß er eine fo weit über sein Können hinausgehende Partie übernommen hat.

Im Saale der Reichshallen fand am Mittwoch die erste Auf- führung eines viel besprcchenen, wenn auch Erstlingswerkes, ftatt, die der „Sieben Todsünden von Hamerling, komponirt von Adalbert Goldschmidt, Die Aufführung währte von 7 bis ggen 11} Uhr, jo daß zuleßt die Kräfte wie die Energie der Mitwirkenden, namentlich der Dilettanten-Chöre, ebenso ershlafften wie die Fähigkeit der Hörer, - das Neue noch in sich aufzunehmen, Der dritte Saß wurde deéhalb weit unklarer ausgeführt als die ersten beiden, und ge- rade dieser enthält die größten und faßbarsten Schönheiten des ganzen Werkes, klare Motive, \{chöne instrumentale Malereien, ruhigen Gang uud ruhige Entwickelung; die sehnsuchtävollen Chöre der Men- schen, die trostreihen Worte des Jüngers, die siegreichen der Licht- geister, und anderes wirkten wahrhaft erquickend. Die erften beiden Theile, das Vorspiel vor dem Geist der Finsterniß und die Wirksamkeit der Repräsentanten der sieben Codsünden auf Erden enthielten zwar auch viel \{chöne Gedanken, aber fie kamen nirgend zur Wirkung noch zur Entfaltung. Der Komponist wandelt ganz in den Fußtapfen Richard Wagners, so zwar, daß ihm manche Scholle an den Füßen haften geblieben, die man nun wieder erkennt, aber wie der Meister eilt er unaufhaltsam vorwärts, läßt den Sänger in Tönen reden, das Orchester selbständige Zllufstrationen dazu geben und so, ohne Ruhe und Rast, ohne anderen Ruhbepunkt, als die Pause zwischen dem ersten und zweiten Theil, ohne daß der Geist Zeit hätte, eineu musikalishen Gedanken in fich aufzunehmen, da keiner ausge- sponnen noch entwickelt wird. Und doch find auch diesen Theilen viele Schönheiten, viel charakteriftishe Momente (z. B. die Zeichnung des Geistes der Trägheit; die Habsuht und des Volkes Gebahren auf dem Markt, die Bacchartinnen- Chöre, die Freiheits- und KAufruhrsgesänge u. A.) nicht abzusprechen. Dem Kowponisten ift offenbar großes Talent eigen. Die Aufnahme des Werkes war eine günstige, der Kom- ponist wurde gerufen und ihm, wie namentlich dem Dirigenten, Bin aur, sowie den mitwirkenden Damen und Herren, Frl. Gungl,

rl. Schulz, Frl. Ramme und den HH. Hill, Schott, Ober-

auser, Opiß und Prehn reiher und wohlverdienter Beifall zu heil. Sie hatten eine sehr schwere, angreifende Aufgabe glücklich gelöf

Redacteur : F. Prehm. Verlag der Expedition (Kessel).

Drei Beilagen (einscließlich Börsen-Beilage)

Berlint Druck! W. Elsner.

anßerdem die Fahrpläne der Nassauischen und der Oberschlesishen Eiseubahnu.

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich

Nihtamllihes.

Preußen. Berlin, 5. Mai. Der in der gestrigen Sißung des Hauses der Abgeordneten angenommene §. 2 des Entwurfs eines Gesetzes, betrefsend die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen lautet:

Die Kreissynode übt die ihr in der Kirchengemeinde- und n vom 10. September 1873 zugewiesenen Rechte in

etre

1) der in den Kirhengemeinden bestehenden und der den Kirchen-

gemeinden des Synodalkreises gemeinsamen Einrichtungen und Jn- stitute für chriftliche Liebeswerke (8. 53, Nr. 5); /

2) des Kassen- und Rechnungswesens der einzelnen Gemeinden und der kirchlichen Stiftungen innerhalb des Bezirks (§8. 53 Nr. 6);

3) der Kreissynodalkasse, des Kreissynodalrechners, des Etats der Koesse und der Repartition der zu derselben erforderlichen Beiträge der Kirchenkassen und Gemeinden (§8. 53 Nr. 7);

4) der ftatutarischen Ordnungen (§8. 53 Nr. 8).

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlihen Beschlüsse werden nah § 52 Absatz 3, 4 gefäßt. /

Im weiteren Verlaufe der Sizung wurde auf Vorschlag des Präsidenten Art. 3 der Synodalordnung vorläufig abgeseßt, um zusammen mit Art. 8, 8a, 10, 14 und 14a diskutirt zu werden. Die Art. 4, 5, 6, 7, 9 und 11 wurden ohne Diskussion angenommen. Dieselben lauten (die gesperrten Worte sind Aenderungsvorshläge der Kommission) :

Art. 4. Zux Feststellung statutarisher Ordnungen in dem der Kreis\ynode überwiesenen Geschäftêgebiete (§. 53 Nr. 8, §. 65 Nr. 5) bedarf es der vorgängigen Anerkennung Seitens der Staatshehörde, daß die entworfenen Bestimmungen dem Geseß vom 25. Mai 1874 und diesem Geseß nicht zuwider seien. E

+ Art. 5. Der Kreissynodalvorftand übt in Bezug auf die nah §. 53 Nr. 5 und 6 der Synode übertragene Mit- aufsicht das Recht, in eiligen Fällen die vorläufige Entschei- dung zu treffen (§. 55 Nr. 6). : i

Art. 6. Die Rechte, welche nach den Artikeln 2 bis 5 der ein- zelnen Kreissynode und deren Vorstande zuftehen, werden in dem Fall des §, 57 Absay 1 den vereinigten Kreissynoden und deren Vorständen für die gemeinsamen Angelegenheiten beigelegt, wenn die Vereinigung mit Einwilligung der einzelnen Kreis- synoden erfolgt. L i

Art. 7. Wenn der Wirkungskreis einer Kreissynode oder einer nach §. 57 Abfaß 1 gebildeten Vereinigung ven Kreisynoden sowie ihres Vorstandes nah Absaß 2 dieses Paragraphen mit Rüdckficht auf eigenthümliche Einrichtungen oder Bedürfnisse des Kreises erweitert werden soll, so ift ein Regulativ zu erlassen, für welches die Bestim- mungen des bezeichneten Absatzes maßgebend find. Auf die Fest- fiellung desselben findet Art. 4 dieses Geseßes Anwendung. i

Art. 9, Die Provinzialsynode übt die ihr in der Kirchen-

gemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 zugewiesenen

Rechte in Betreff 2 : j

1) der von den Kreissynoden beschlossenen statutarischen Bestim- mungen (§8. 65 Nr. 5); 3 i

2) der Synodalwitten- und Waisenkassen, der provinziellen Fonds und Stiftangen, der Kreis. Synodalkasse und der Provinzial-Synodal- fasse (§. 65 Nr. 6); A M N neuer kirchlichen Ausgaben zu provinziellen Zwecken (8. 65

F L t 4) der Verwendung des Ertrages der vor dem jedesmaligen Zu- sammentritt der Provinzialsynode oder alljährlich in der Provinz ein- zusammelnden Kirchen- und Hauskollekten zum Besten der dürftigen Gemeinden dcs Bezirks (§. 65 Nr. 8). Die Befugniß, eine Ein- fammlung dieser Hauskollekte anzuordnen, bedarf nicht der besonderen Ermächtigung einer Staatébehörde; die Zeit der Einsammlung muß aber dem Ober-Präsidenten vorher angezeigt werden

Die zur Ausübung dieser Rechte erforderlichen Beschlüsse wer- den nach §. 70 Absatz 1, 2 geregelt.

Art. 12 lautet in der Regierungsvorlage :

Kirchliche Geseße und Verordnungen, sie mögen für die Landes- firhe oder für cinzelne Provinzen oder Bezirke erlassen werden, sind nur so weit rechtsgültig, als sie mit einem Staatsgeseß nicht in Widerspruch stehen. ]

Bevor ein von einer Provinzialsynode oder ein von der General- synode angenommenes Geseß dem Könige zur M Ren Genehmigung vorgelegt wird, ift die Erklärung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten darüber herbeizuführen, ob gegen den Erlaß desselben von Staatswegen etwas zu erinnern sei.

Absaß 4 des §. 6 dec General-Synodalordnung vom 20, Ja- nuar 1876 findet auch auf provinzielle firhlihe Geseße Anwendung.

Die Bestimmungen dieses Autikels gelten auch in dem Bezirk der Kirchenordnung vom 5. März 1835 für die Prov:nz Westfalen und die Rheinprovinz.

Dagegen hat die fg derg folgende “pl: vorgeschlagen:

Die Staatsgeseße geheu den Kirchengeseßen vor.

Die Sanktion eines von einer Provinzialsynode oder von der Generalsynode beschlossenen Gesetzes darf bei dem König nicht eher beantragt werden, als bis durch eine Erklärung des dafür verantwortlichen Staats-Ministeriums festgestellt worden ift, daß gegen das Gesetz von Staatswegzen nichts zu erinnern ist. Jn der Verkündigungsformel ist diese Feststellung zu er-

wähnen.

Widerspricht ein Kirhengeseß oder eine kirchliche Verordnung einem Staatsgeseß, so wird der Wider- \spruch durch Königliche Verordnung auf Antrag des Staats-Ministeriums beseitigt.

Nach einer kurzen Debatte, an welcher fich außer dem Staats-Minister Dr. Falk und dem Referenten Dr. Gneist die Abgg. v. Loeper-Loepersdorf, Löwenstein, Dr. v. Cuny und Dr. Wehrenpfennig betheiligten, wurde Absay 2 des Ars tikels_12 in der Fassung der Kommission angenommen, im Uebrigen aber dee Aruitel n der Fassung dex Regierungsvorlage nah den Amendements Löwenftein und Schmidt (Sagan) wiederhergestellt. Der Minister der geiftlihen Angelegenheiten, Dr. Falk, erklärte nah dem Abg. Dr. v. Cuny: :

Meine Herren! Bei der erften Berathung hatte ih geäußert, daß die Staatsregierung gern gewillt sein werde, auf eine zweckmäßige Aenderung des Art. 12, über die ja damals hier viel verhandelt wor- den ift, einzugehen. Die verehrte Kommission mag mir aber ver- zeihen, wenn ih bei näherer Prüfung ihrer Vorschläge der Meinung geworden bin, daß man es ohne einen sachlichen Schaden eigentlich ganz und gar bei der Regierungsvorlage hätte belassen können. Jch freue mib, daß diese Anschauung hier, in mehreren Richtungen wenigstens, einen so energischen und beredten Ansdruck gefunden Lat und gebe mi darum der Hoffnung hin, daß das hohe Haus dem nicht zu- wider sein wird, was die Staatsregierung theils für absolut noth- wendig, theils für mehr oder werde erwünscht hält,

Ich halte allerdings für absolut nothwendig, daß der dritte Absaß der Kommissionsvorschläge keine Stelle in dem Gesetze erhält. Ich stimme mit dem Hrn. Abg. n, durhaus überein, daß diese Bestimmung eine selten unpraktishe ift, Die Sache liegt ja

Erste Beilage

Berliu, Freitag, den 9. Mai

so: es wird jeßt ein kirchliches Gesek erlassen, das kann niht eher publizirt werden in geseßliher Weise, als bis die berufenen Faktoren der Staatsregierung ihre Meinung abgegeben haben. Meine Herren, es ist ja wahr, irren ist menschlich, aver die Fälle, in denen bei genauer Prüfung in dieser Beziehung geirrt werden möchte, wer- den wirklich recht selten sin. Und nun im umgekehrten Falle: es kommt nah dem kirchlichen Geseß ein Staatsgeseß, nun, meine Herren, so denke ich doch, if es jedes Betheiligten Pflicht, zu prüfen, ob etwa vorhandene kixchliche Geseße und die Berührungspunkte werden recht selten sein mit den unbeabsichtigten Staatsgeseßen im Widerspruch ftehen, und da ftieht nit blos eine Staatsbehöcde, wie wir übereinstimmend wollen, da, um das erfte Urtheil abzugeben, sondern auch beide Faktoren der Landesvertretung. | ]

Sh denke also, in diesem Falle wird die Vorausscßung für Alinea 3 und dessen Nothwendigkeit eine noch viel seltenere sein, als dics in dem ersten Falle von mir gekennzeichnet ist. Daun ist es aber doch auch, sei es nun, daß der Art. 12 in der Fassung der Kommission, jei es, daß er in der *afsung der Regie- rungsvoilage angenommen würde, im ersten Alinea meine ih unzweifelhaft, daß alle geseßlich berufenen Behörden, vor deuen eine solche Frage zur Extscheidung kommt, vollkommen in der Lage sind, daraus die Kousequenzen zu ziehen gegen einen etwaigen Irrthum des Staatsgeseßes oder einen Irrthum der ftaatlihen Behörde. Ich kaun also * von dieser Seite nur sagen, die Sache ist recht unypraktisch. Ueber einen zweiten Gesichtspunkt, unter dem dieser Absaß als ein rein todtgeborener erscheinen würde, hat Hr. Abg. Löwenstein bereits gesprohen. Es ift wirklich kaum möglich, daß das Staats-Ministerium, welches, sei cs allein, sei es in Gemeinsamkeit mit beiden Haus-rn des Landtages, eben ein Gesetz zugelassen oder gemacht hat, hinterher auf den Gedanken kom- men möchte, dieses Geseß sei doch am Ende nicht zulässig oder uicht voliständig gewesen, die Bestimmungen eines Kirchengeseßes blieben widersprechend und müßten aus der Welt geschafft werden, ob- wohl fo wiederhole ich vorher die geseßgebende Gewalt es niht für nöthig gehalten hat über dieselben zu bestimmen, und obwohl vorher dieses Kirchengeseß mit den Staatsgeseßen als voll- kommen harmonirend anerkannt ist, die Sache ist also wirklich un- praftisch. Kommen unüberwindlihe Zweifel, dann wird dasjenige geschehen müssen, was in solchen Fällen immer geschehen muß, d. i., man legt ein Geseß vor und beseitigt mit diesem die Sache. Auf diese Nothfälle aber, glaube ich, können wir in Ruhe warten. Und dann, meine Herren, was vor Allen den Widerspruch der Staatêregierung gegen dieses Alinea erregt, das find die enormen schweren, verfassungsmäßigen Bedenken, Sie sind angedeutet worden in der Rede des Hirn. Abg. Löwenstein, sie drücken sih aus in der Formulirung des Abg. v. Cuny; die Frage ist: in welcher Eigenschaft ist denn der Landesherr, wenn er handelt ? ist es der Träger des landesherrlihen Kirchenregiments, ist es der Landesfürst als solcher, der in dieser Angelegenheit sprechen soll ? Jch glaube, diese paar Bemerkungen reichen aus, um Ihnen zu zeigen, wehin wir kommen, wenn der Absaß stehen bleibt. Darum t1röste ih mich, Sie werden ihn wegstreichen. 1 i A

Was die übrigen Bestimmungen betrifft, so liegt es ja iu der Natur der Dinge, daß die Staatsregierung erfreut sein muß, wenn ihr Vorschlag gegenüber dem der Kommission, den sie unter Um- aaa allenfalls annehmen könnte, vorgezogen wird, und i bin der

einung, daß das hohe Haus wohl thäte , den Vorschlag des Hrn. Abg. Löwenstein nach Streichung des Absaßes 3 anzunehmen und an Stelle des Absaßes 1 der Kommission Fen Absaß 1 der Regierungsvorlage zu seßen, um so mehr, als er (“d¡zkt auf den Punkt hinweist, auf den es allein ankommt, fih--alfo ge bgeberish fonkreter verhält, als der Antrag der Kommission. Ae

Was den Absatz 2 betrifft, so seßt deren Vorschlaci denächst das Staats-Ministerium an die Stelle des Kultkus-Min. ¿j»«. Meine Herren, ih glaube nicht, daß die Staatsregierung darauf ein besonderes Gewicht legen könnte. Man kann sich vielleicht auf einen Moment erftaunt finden, wenn dem Staats-Ministerium hier praescriptis verbis die Verantwortlichkeit für seine Entscheidung zuge- \hrieben wird, und beinahe denken per argumentum e contrario, daß -s eine derartige Verantwortlichkeit bei seinen sonstigen Be- \{chlüfsen niht auf sich nehme. Meine Herren, ih glaube nit, daß das Ihre Meinung ist. Db es im Geseh auëdrücklich steht, oder niht, wenn das Staats-Ministerium als solhes für eine Sache geseßlih einzutreten hat, namentlich auch bei einem von ihm vorzunehmenden Verwaltungsakte, so liegt es in der Natur der Dinge, daß es die Verantwortlichkeit übernimmt. Mir kommt es vor, als ob in einem gewissen Mißverständniß des Art. 63 der Verfassungsurkunde diese Worte sih hier übertragen hätten ; dort steht, daß eine ofktroyirte Allerhöchste Verordnung und unter diesem Ge- sihtêépunkte meinte man ja anfänglich die Verordnung im Alinea 3 der Kommissionövorschläge fassen zu müssen daß eine solche oftroyirte WVercrdnung, ih sage gegen ene sein müsse oder richtiger, unter der Verantwortlichkeit des gesammten Staats - Ministeriums gzu erscheinen habe. Das will aber nihts anderes besagen, als den Gegensaß, daß sonstige Akte eben nur der Gegenzeihnung des einzelnen Ministers nah Ar- tikel 44 der Verfassungéurkunde bedürfen. Wenn wir also, ich glaube sämmtlich, mit einander einig find, daß diese Worte nicht eine praf- tische Bedeutung haben, sondern daß das Staats-Ministerium für seine Entscheidung verantwortlih is, mögen sie dastehen oder nicht, so werden wir uns über diesen Punkt unschwer einigen. ;

Meine Herren, irre ih nit sehr, so erwähnte ich bei der früheren Berathung eines Standpunktes, der in der Generalsynode zu einem mi allerdings üÜüberraschenden lebhaften Ausdruck ge- kommen ist, des Standpunktes nämlich, der sich gegen eine Bestimmung auflehnte, wie sie im Entwurf der General- Synodalordnung ftand, daß zur Königlichen Genehmigung ein Kirchengeseß nicht eher vorgelegt werden „dürfe“, als bis der Minister der geistlichen Anzelegenheiten erklärt habe, daß dagegen von Staatswegen nichts zu erinnern sei. Jch habe geglaubt, der Staatsregie- rung anrathen zu sollen, d1ese Gereiztheit einigermaßen zu berückfichtigen und darum in dem 2. Alinea des Art. 12 diejenige Formel vorzushlagen, welhe in der späteren General - Synodal- ordnung ihre Aufnahme gefunden hat. In der Formel des Kommissionsvorschlages fkomwt, wenn auch in einer etwas anderen Fassung, dieses rauh empfundene „dürfen“ wiederum vor. Wenn vun der Standpunkt der Staatsregierung der von mir be- zeichnete i, so würde ih meinen, daß man in der Lage wäre, die unange- nehmen Empfiadungen zu beseitigen, die die von mir erwähnte For- mulirung „darf niht* früher erregt hat und, wie die kirchlichen Blätter alle Tage beweisen, noch vis zu diesem Augenblicke erregt, und daß man dahin würde gelangen können, eine andere Fassung zu wählen, wenn sachlich nichts Anderes in dieser anderen Fassung steht. Ih bin nun in der That nicht in der Lage, einen sachlichen Unterschied finden zu fönnen zwischen dem, was der Hr. Abg. v. Bismarck beantragt und zwishen dem, was die Kommission beantragt. Die Sache liegt in-der That so, daß, wenn gesagt ist : ein Kirchengeseß, welches nicht diesen bestimmten Saß in seiner Einleitung hat, hat gar keine verbindende Kraft, auch wenn es souft gehörig publizirt ist, so wird sih wirklich keine Kirchen- behörde finden, die so ein Geseß, welches die Ungültigkeit klar an der Stirn trägt, überhaupt publizirt. Sollten Sie aber des umgekehrten Gedankens sein, daß ein derartiges widerseßlihes Verfahren bei der

Kirche möglich sei, ja, mene Herren, wenn sie so böswillig sein sollte,

d Preußischen Staals-Anzeiger.

1876.

so kehrt sie fich auch nit daran, wenn Sie sagen: es „darf nicht“ sein. ch glaube, es finden fich fahlich keine Unterschiede zwishen beiden Vorschlägen, und da ih dem Hrn. Abg. v. Löpzr nicht Unrecht geben kann, daß feine und die Faffung des Abg. v. Bismark in firhlihen Kreisen angenehmer empfunden würdcr, fo wäre es mir lizber, Sie gäben der Fassung den Vorzug, die der Abg. v. Bismarck wiederholt beantragt hat.

__ Die Antwort, welche der Staats-Minister Dr. Falk auf die Anfrage des Abg. Richter (Sangerhausen) in Betreff der Kreissynoden abgab, hatte folgenden Wortlaut :

Aus den Mittheilungen der Zeitungen über die Berufung von Kreiéësynoden habe ich Anlaß genommen, mich mit dem Evangelischen Ober-Kirhenrath in Verbindung zu seßen und erfahren, daß allez- dings es dort für wünschenswerth erachtet worden ift, die gegenwärtige Kreissynode noch über gewisse kirchliche Angelegenheiten zu hören und ihre Berathung durch dieselbe zu veranlassen. Die Frage, ob diese

Angelegenheit wichtig oder niht wichtig ist, steht niht zu meiner Kognition. In der Sache selt# wird ein Nachtheil durchaus nit erwachsen, Es sind in diesem Augenbiick die Anordnungen dahin ge- troffen, um die §8. 40 und 41 der General-Synodalordnung zux Ausführung zu bringen. teh Fit

Die Sißung wurde um 37 Uhr geschlossen. i

è get as E SPLTZ O Tie 1 F 0)

Landtags- Angelegenheiten.

Berlin, 5. Mai. Dem Hause der Abgeordneten ift der Ent- wurf eines Gesetzes, betreffend die Umwandlung des Zeughauses zu Berlin in eine Ruhmezhalle für die preußische Armee vorgelegt worden. Nach demselben foll aus den Geldmitteln, welche auf Grund der Bestimmungen in den Ar- tikeln VI. und VII. des Reichsgeseßes vom 8. Juli 1872 und des Artikels 3 des Reichsgeseßes vom 2. Juli 1873, betreffend die fran- ofishe Kriegskostenentshädigung, der preußischen Staatskasse zu- Kießen, die Summe von sechs Millionen (6,000,000) Mark zur Um- Véeriin in eine Ruhmeshalle

wandlung des Zeughauses zu H preußishe Nation,

für die preußishe Armee und für die aus der die Armee hervorgeht, verwendet werden. Die Durchführung des Planes iff in folgender Weise gedacht: Der Eingang in die künftige Ruhmeshalle findet durch die Südfront des Zeughauses statt. Es muß demnach, um einen würdigen Eintritt zu erhalten, in der Mitte des Erdgeschosses dieser Front eine Art Yestibül abgegrenzt werden, welches etwa 3 neben einander liegende Bl1ôcke umfaßt. Die s{maleren Mittelgänge sind durch künstlerisch her- gesdellte, durchsichtige Gitterthore zu s{chliezen. An diese Halle würde sich dann nah rechts (Osten) das Artilleriemuseum, nach links (Westen) das JIngenicurmuseum reihen, Aus dem Vestibül würde man in den Hof treten, welher durch eine Eiseukonstruktion zu Üüberdahen und mit Glas einzudecken ist.

Unter der Voraussetzung der Eindeckung des Hofes empfiehlt es sich, eine Freitreppe vom Hofe aus in das obere Stockwerk anzulegen, weil eine solche der Architektur des Gebäudes am besten entspricht.

Von dem oberen Podest der Treppe gelangt man unmittelbar in die beabsichtigte Ruhmeshalle, welhe vorläufig für die Nordfront projektirt ift und hre Ergänzung dur die, auf den anderen Fronten aufgestellte Sammlung erhält.

In der Mitte der Front würde sih eine flache Kuppel mit Ober- liht erheben, deren innere Fläche dur:ch allegorische bildliche Dar- stellungen zu \{müdcken- sein wird.

An den Kuppelraum würden sich zu beiden Seiten zwei längere Säle anschließen, welche gleichfalls mit Dberlicht zu versehen wären, da die nach Norden gehenden Fenster, jowie je fünf anschließende, auf der Ost- und Weftfront durch Blendmauern geflossen werden sollen, um Wände für Freéken zu erhalten. Die Blerdmauern sollen fo angebracht werden, daß fie von außen nicht gesehen und die Façade des Gebäudes durchaus nicht geändert wird. Der in dieser Art her- gestellte Raum (aus Kuppel und 2 Säien bestehend) würde nur die Statuen der Herrscher und der Feldherrn, sowie Schlachtenbilder 2c. enthalten. Waffen würden in diesem Raum nicht zur Aufstellung ge- langen, vielmehr die Dekoration nur durch Malerei und Skulptur auszuführen sein. Den Kernpunkt der sich dem obigen Raum an- \chließenden ergänzenden Sammlung würde die Aufitellung der preußischen Feldzeihen nah ihrem Alter, regimenterwei]e geordnet, zu bilden haben, die beredetsten Zeugen des Ruhmes früherer Tage. An diese müßte fi, -chronologisch geordnet, die Entwickelung de.r Hand- und Feuerwaffen, der Bekleidungen und Aus6rüstungen, sowie der Trophäen, Reliquien, Büsten und Porträts von Männern, wek (he indirekt zum Ruhme der Armee beigetragen haben, anreihen. We'cth- volle Waffen sind in Schränken oder Vitrinen unterzubringen, die weniger werthvollen, sowie die nicht als Trophäen zu betracht/ .nden fremden Feldzeichen werden zur Dekoration der Pfeiler verr oandt. Die Bestimmung über die Zahl der Statuen, die Auëswa'gl der Persönlichkeiten, sowie des Gegenstandes, welchen die einzelr en Ge- mälde behandeln sollen, endli dauüber, ob der Raum für di ese Halle ausreichend oder woh weiter auszudehnen fein wird, wird 7er Allers höchsten Entscheidung anheimzugeben sein, Außerdem sind ‘(ür werth- vellere Waffen noch mehrere große Schränke in demselben S tyl, wie die vorhandenen, erforderlich, die Reliquicn müfsen in elegant en Vitrinen untergebraht werden, Pferdemodelle und künstlerish behan? elte Figuren zur Aufftellung wenigstens der wichtigsten Montirungs- und“ Ausrüstungs- Gegenstände sind nothwendig; ferner stehen zur VervoUf tändigung der Sammlung noch bedeutende Anschaffungen fehlender Th/ ‘ile bevor, und vor allen Dingen müssen die preußischen Feldzeichen ÿ 1 entsprehenden Stellagen übersichtlih aufgestellt werden.

Die nationalliberale Partei des Abgeordw etenhauses feierte gestern auf Anregung der Abgg. Dr, S@&laeger 71nd Schaeffer den 81. Geburtstag des Abgeordneten für Harburg, “Hrn. Weusthoff, dur ein Diner im Englischen Hause. Bei dieser "Gelegenheit hob der Präsident des Hauses v. Bennigsen in feiner Rede die rührige Thätigkeit des Gefeierten hervor, welche derselbe ftets auf kirchlihem und politishem Gebiete, sowohl in seinen frühe cen Verhältnissen, wie jebt, als Mitglied der preußischen Volksvertretw 1g, geübt hat. Dieser Rede schloffen sich noch viele Toaste an.

Staat und Kirche. I, (Vgl. Nr. 103 d. Bl.)

Die ftaatswirthschaftlihen und öfonomisck,èn Fragen über= haupt drängen gegenwärtig fast alles Andere in den Hinter- grund; durch all’ das, was die materie’den Interessen be- trifft, ist die religiöse Frage, wie \on 1870 und 1871 durch den Krieg, zum Vortheil “oes Ultramontanismus glücklich in den Hintergrund der We)/,hühne geshoben worden. Wir glauben jedoch, es hade keine’zwegs, wenn wieder einmal den Lesern gezeigt wird, daß es in der Welt denn doch au noh andere Dinge giebt, die ‘(hr Interesse verdienen, als nur Nank- und Eisenbahnwesen. Etwas derartiges is der Guibord-

. fall in Canada, den wix, zwar {hon einmgl (Bund Nr. 312, S