Nath Beendigung der Parade begaben Sih Se. Majestät der Kaiser und König mit der Suite nah dem Königlichen Stadtshlo}e, von dessen Fenstern- aus Ihre Königliche: Hoheit die Großherzoegin-Mutter von Mecklenburg-:S{hwerin, Ihre Kaiserlihe und Königliche Hoheit die Kronprinzessin, Ihre Kaiserlicze Hoheit die Großfürstin Wladimir und Ihre König- lihe Hoheiten die Prinzesfinnen Friedrih Carl, Marie und Elisabeth der Parade zugejchen hatten.
— Der Bundesrath hielt gestern die 16. Plenarfizung. Den Vorsig führte der Staats-Minister Dr. Delbrü.
Von ecinier Vorlage, betr. die Nahweifung der den Bundes- Faaten bis Ende März d. I. überwiesenen Beträge an NReichs- znünzen, wurde Kenntniß genommen. Eine Vorlage, betr. den am 27. April d. I. zu Bern unterzeichneten Niederla}sungs- vertrag mit der Schweiz, wurde dem betr. Aus\husse über- wiesen. Hierauf œurden Mittheilungen gemacht über die Kün- digung des Handelsvertrages und der Schiffahrtskonvention mit Italien, sowie über die Zurükziehung des Antrags Bremens wegen Behandlung der Zweigniederlassungen fremder Aktien- gesellschaften in Deutschland. Ein Antrag, betr. die Be- willigung eines Ruhegehalts an einen dienfiunfähig ge- wordenen Pof:-Unterbeamten, wurde angenommen. Die Be- \cchlußfa}ung über einen Ausschußantrag, betreffend die in Auslegung des §. 180 des Strafgeseßbuchs hervorgetretene Meinungsverschiedenheit wurde vertagt. Auss\chußberichte wurden erstattet über a. eine Meinungsverschiedenheit mit Oldenburg wegen *Besteuerung von Grundstücken der Marineverwaltung in Neuende; Þ. den Erlaß einer Verordnung, betreffend die Kautionen derx Beamten der Militär- und der Marineverwaltungz c. einen An- trag wegen Versezung der Städte Raßeburg und Mölln in Lauenburg ‘in eine höhere Servisklasse; d, den Abz \chluß eines Freundschasts -,. Handels- und Schiffahrts- vertrages mit dexr dominikanishen Republik; e." eine Vetition wegen des Erlasses eines Gesehes über das Wasserrecht ; f. eine Meinungsverschiedenheit, betreffend den Verlust der Eigen- \chaft als Mitglied einer Disziplinarkamuer beim Aufxücken in ein höheres Richteramt; g. die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Landesverwaltung von Elsaß-Lothringen für 1874 2c.
Schließlih nahm der Staats-Minister Dr. Delbrück von der Versammlung Abschied, indem er Worte des Dankes an dieselbe richtete und den Minister Hofmann als seinen Amtsnachfolger vorstellte. Der Staatsrath Freiherr von Perglas gab hierauf der Betrübniß der Versammlung über das Ausscheiden des Herrn Delbrück und den Gefühlen der Dankbarkeit gegen den- Felben Ausdruck, indem er zugleih den Herrn Minister Hofmann mit der Versicherung des Vertrauens der Versammlung bewill- Tommnete.
Der Minister Hofmann empfahl sich dem Vertrauen der Versammlung.
— Das unbefugte Eindringen in einen aus\chließlich zur Beförderung von Personen dienenden Wagen (Postwagen, Eisenbahnwaggon 2c.) is nach einem Beschluß des Over: Tribu- nals vom 27. April d. I. niht als Hausfriedenosbruh zu er- achten. Dagegen is das unbefugte Eindringen in einen Wagen, welcher von den darin fahrenden Personen (z. B. von herum- ziehenden Gauklern) als Wohnung benutzt wird, oder ein Wagen, der als Geshäftsraum (Verkaufslokal) oder als amtlihes Bu- reau (z. B. die in einen Eisenbahnzug eingeshlossenen Post- wagen) benußt wird, wohl als Hausfriedensbruh zu bestrafen.
— Der Geheime Kabinets-Rath von Wilmowski is mit Turzem Urlaub abgereist und wird demnächst Sr. Majestät dem Kaiser und König nah Ems folgen.
E Königlih sächsishe Gesandte und Bundesbevoll- mächtigte von Nostiß-Wallwitz hat zum Gebrauche einec Badekur Berlin auf 6 Wochen verlassen.
— Der Roßarzt Hoppe zu Colberg i| zum kommissari- \chen Kreis-Thierarzt des Kreises Saazzig, unter Anweisung der Stadt Stargard als Amtswohnsiz, ernannt worden.
Bayern. München, 30, Mai. Die Abgeordneten? „Kammer hat heute nah längerer Debatte den Antrag Faige auf Erlassung eines Geseßes, betreffend einige Abänderungen der Civilprozeßordnung, gemäß dem Komumissionsantrag ab- gelehnt. Nächste Sizung Donnerstag.
— Der Entwurf eines Gesehes, cinen Kredit für außer- ordentliSe Bedürfnisse des Heeres beireffend, fordert als Erweiterung der durch die Gesezge vom 27. Juli 1874 und 15. April 1875 bewilligten Kredite von 10,129,710 Fl. und 9,827,800 FI. einen ferneren Kredit von 17,775,342 M6
Sachsen. Dresden, 31. Mai. Die Erste Kammer nahm in ihrer heutigen Sizung den Gesetzentwurf, das Mobiliar- und Privat-7reuerversizerungswesen betreffend, nach den von den Beschlüssen der Zweiten Kammer in einigen Punkten ab- weichenden Vorschlägen ihrer Deputation einstimmig an.
Die Zweite Kammer erklärte sh, unter Ablehnung des von der Ersten Kammer gefaßten Beshlusses, einen Theil der Verwaltungsübe:r{hü}e der Finanzperiode 1872/73 zur Bestrei- tung von gewiffen einmaligen und außerordentlihen Ausgaben in das ordentlich e Budget einzustellen, mit den von d:x Regte- rung bei der Aufstellung des Budgets befolgten Grundsäßen einverstanden uud genehmigte hierauf den Ankauf der {ä ch{\i}{ch- thüringishex Eisenbahn gegen 3 Stimmen. Eine Differenz bei Pos. 25 des Cinnahme-Budgets wurde im Sinne der iSrsten Kammer erledigt, 1vogegen die Kammer bei einer von der Ersten Kammer niht genehmigten Streichung" bei Pos. 14d, des Aus- gabe-Budgets beharrt. -
— 1. Juni. (W. T. B.) Die Zweite Kammer hat heute die von der Regierung beantragte 3 prozentige Renten - anleihe bis zur Höhe von 101 Millionen Mark ohne Debatte "genehmigt.
__ Württemberg. Stuttgart, 30. Mai, ift der Graf Gregor Strogonoff, mit welhem die ver- ewigie Großfürfiin Marie von Rußland in zweiter Ehe ver- mählt war, sammt Tochter zum Besuche der Königlichen Familie 1 er eingetroffen. Î — An der heutigen Sigzung der Abgeordnetenkammer wu de der Antrag Elbens, Aufrechterhaltung des früheren Be- {{chl.'1ffes auf Herstellung der Eifenbahnlinie Wangen- Kiß legg mit 40 gegen 36 Stimmen angenommen,
¿Vaden. Karlsruhe, 31, Mai. Die Zweite Kammer genehnigte in ihrer heutigen Sizung einstimmig einen Gesehz- entwurf über eige Eisenbahn- Anleihe von 35 Millionen Mark. Die Mgdalitäten sind dem Finanz-Minister überlassen.
—_„ Sefsen. Mainz, 29. Mai, Gestern tagten hier die Delegirten der rheinv/essischen Fortschrittspartei. Aus
Gestern Mittag
treter zur Berathung erschienen. Zuerst wurde die Abänderung des §. 2 der Statuten genehmigt und über Bildung der Kreis- aus\hü}sse für die Provinz Rheinhessen berichtet. Hinsichtlich der Abhaltung von Provinzialversammlunzen einigte man sich dahin, daß im Juni eine solche in Lampertheim und in Gau- Böckelheim und im Juli eine Versammlung auf der Waldeck bei Dber-Jngelheim abgehalten werden foll. Für den Landkreis Mainz wird erst später eine Versammlung veranstaltet werden, und man hofft, daß Ludwig Bamberger daran Theil nehmen wird. Wahrscheinlih findet dieselbe in Finthen statt. Zum Schluß wurde zur Wahl eines definitiven Provinzialaus\{hu}es geschritten.
Mecklenburg-Schwerin. Schwerin, 29, Mai. Eine heute publizirte Großherzoglihe Verordnun g verfügt, im An- {luß an die Berathung mit den Ständen über die Stol- gebühren der evangelish-lutherishen Landeskirche, wegen des Wegfalls von Stolgebühren bei den römisch-katholishen Amts- handlungen. Rücksichtlih der Gebühren und Opfer, welche den katholishen Geistlihen und Küstern in Shwerin für die Taufen, Proklamationen und Trauungen bisher zugestanden haben, wirò der bisherige Fechtszustand dahin abgeändert, daß die Genannten eine jährlihe Avfindungssumme von 198 4 aus Großherzog- licher Renterei erhalten, wogegen sie den Rehtsanspruch auf jene Gebühren und Opfer verlieren. Jedoch PWleibt ihr Recht, bei Taufen und Trauungen außerhalb ihres Wohnortes eine Ber- gütung für Reisckosten oder Diäten zu fordern, unverändert. ,
Sachseun-Weimar-Eisenach, Weimar, 31. Mai. Das „Regierungsblatt“ enthält cine Minifierial-Bekanntmachung, der zufolge die Wahlen zum 21. ordentlihen Landtag im Sep- tember d. I. stattzufinden haben.
Brauuschweig. Braunschweig, 30. Vai. Se. König- lihe Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen hat sih heute Morgen von hier nach Goslar begeben, um die Iäger zu in- spiziren.
ZÆnhalt. Dessau, 30. Mai, Die Krankheit des Prin- zen Friedrich is seit einigen Tagen weniger bedenklich. Die übrigen “ Mitglieder der Herzoglichen Familie, welhe erkrankt waren, befinden sich in der Konvalescenz.
Elsaß-Lothringen. Straßburg, 31. Mai. (W. T. B.) Von der „Straßburger Zeitung“ wird die Nachricht, daß der Ober-Präsident v. Möller um seine Entlassung nachgesucht habe, als aus der Luft gegriffen bezeichnet.
— Der „Schweizer Grenzpost“ wird unter Anderem aus dem Oberelsoß geschrieben: „Ein in seiner Bedeutung und Tragweite nicht zu untershäßender Schritt in der verfassungsmäßigen Fort- entwickelung des „Reichslandes“ auf konstitutioneller Basis ist durch das neulich nebst Motiven veröffentlihte Geseg, betreffend die Landesgeseßgebung von Elsaß-Lothringen ge- schehen. Dieses Gese, wenngleich vorläufig noch Entwurf, darf schon wegen seiner den berechtigten Wünschen der Bevölkerung entgegen- kommenden und wohlwollenden Tendenz der Genehmhaltung Sei- tens des Landesaus\{u}ses, wie des Deutschen Reichtages gewiß sein. Dafseïbe bestimmt bekanntlich, daß Landeëgeseße für Elsaß- Lothringen nah Zustimmung des Landesaus\chU}ses und des Bundesrathes und ohne Mitwirkung des Reichstages vom Kaiser erlassen wexden können. Die etwas anomale, bisher einzig in ihrer Art bestehende Organisation hat zu langen Debatten und unnöthigen Weiterungen im Reichstage, besonders gelegentlich der Verathung des clsaß - lothringishen Budgets geführt. Der Reichstag, der selbstverständlih mit den Spezialitäten im Ein- zelnen nicht vertraut sein konnte, wie cine direkt dem Lande angehörige und qus seiner Mitte hervorgegangene Vertreiung, wurde dadurh mehr belästigt, als beschäftigt. Diese Unzuträglichkeiten hat man nicht blos in Reichs- tags, sondern auch in Regierungskreisen eingeschen und zu würdigen gewußt. Es wird also von nun an bei allen elsaß-lothringischen Spezialgesczen die Einwilligung von Landes- aus\{chuß und Bundesrath genügen. Die Mitwirkung des Reichs- tages ist nur noch dann erforderli, wenn sich im Stadium der Berathung Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Ausschusse und der Regierung erheben. Mit Einem Worte — die Stimme der Landesvertretung ist mit Ausnahme des leßten Falles aus einer blos begutahtenden und be- rathenden eine beschließende geworden, wie die der übrigen deutschen Partikularstaaten. Das i} der konsti- tutionelle Fortschritt dieser Vorlage gegenüber der seitherigen Gestaltung. Es ist, wie gesagt, eine weitere und nicht unwich- tige Etappe auf dem Gebiete des elsaß-lothringishen Verfassungs- rechts, ein ersier Schritt in der inneren parlamentarishen Aus- bildung der Provinzialveriretung des Landes, dem unzweifel- haft, wenn nicht alle Zeichen trügen, noch einige andere, ebenso dringlihe und even so oft von der öffentlichen Meinung ge- wünschte und dur die Presse formulixte folgen werden.“
__Defterrei{-Ungarn. Wien, 30. Mai. Der Kaiser wird, wie die „Deutsche Zeitung“ erfährt, am 3. Juni von Pest hier eintreffen. Die Kaiserin wird ihre Abreife nach Ischl wahrscheinlih bis zu jenem Tage verschieben. — Einer Lemberger Meldung der N. Fr. Presse“ zufolge, sind die seiner Zeit wegen ihres Votums für die kirhenpolitischen Vorlagen im Reichsrathe vom Metropoliten Sembratowicz gemaßregelten ruthenishen Domherren Pawlikow, Swedzicki und Petrusiewicz, dann Dr. Krzyzanowski wieder rehabilitirt, beziehungsweise in ihre früheren Stellen eingeseßt worden. Karlsbad, 31, Mai. Der Minister-Präsident Fürst v. Auersperg hat sich heute nach beendeter Badekur nah Wien zurückbegeben.
Pest, 31. Mai, (W. T, B) Die österreihiscche D e- legation lehnte in ihrer heutigen Sizung den Antrag, dén Fond für militärishe Stellvertreter zur Bedeckung des Kriegsbudgets heranzuziehen, ab, und nahm den Aus\chußantrag an. Im weiteren Verlaufe der Sißung wurde die Berathung des Extraordinariums des Kriegsbudgets erledigt, — Die
rathssizung am 15, Juni verschobeiz.
ungarische Delegation nahm das Budget für das Mi- nisterium der auswärtigen Angelegenheiten an, indem sie zugleih dem Grafen Andrassy ein Vertrauensvotum A N O A einen Theil des Heeresbudgets unter eqnung Der beantragten weiteren Abstrihe nah den Ausf\hußanträgen. y dis P
Schweiz. Bern, 31. Mai. (W. T. B.) In der heutigen
drei Auswege in Aussicht genommen: 1) Weglafsung der nörd=- lihen und südlichen Abzweigung resp. nur der Bau der Stamm- linie, 2) theilweise einspurige Herstellung, 3) Tratektschifssverbin- dung über den Vierwaldstädter-See.
— Die „N. Zürch. Ztg.“ schreibt: „Diverse Blätter bringen die Nachricht, der Bundesrath habe Hrn. v. Claparède, ersten Sekretär der \chweiz. Gesandtschaft in Berlin, zum dortigen Geschäftsträger ad interim ernannt. Eine folche spezielle Er- nennung war nicht nöthig und hat auch in legter Zeit nicht stattgefunden, da in Abwesenheit eines Gesandten der erste Sekretär jeweilen eo ipso die Funktionen des Geschäftsträgers versieht.“
Srofßbritanunien und Frland. London, 30. Mat. Der König der Belgier kam gestern an Bord des belgischen Packetbootes „Parlament Belge“ in Woolwih an, wo er von den Spißen der Militärbehörden empfangen wurde. Nach kur- zem Aufenthalt begab er sfih nach London, wo er etwa 10 Tage zu verweilen gedenkt, Se. Majestät slieg in Claridge's Hotel ab, — Dem Vernehmen der „E. C.“ nah wird Prinz Louis Napoleon demnächst nah dem Kontinent abreisen,
_— Im Dberhause wurden drei wichtige Gesege, die soeben von dem Unterhause angelangt sind, nämlih das Han- dels\chiffahrtsgeseß, das Steuer- und Zollgeseß und das Geseg über die fonsolidirten Fonds, in erster Lesung angenommen.
— Im Ansc;luß an die Mittheilungon über die vermehrte Thätigkeit auf den Portsmouther Werften meldet “die „S. C“, daß auch zu Chatham der Bau und die Aus- rüstung von Panzerschiffen und anderen Kriegsfahrzeugen batrieben wird. Vorzüglich handelt es \ih hier um die Panzer-= chie „Alexandra“ und „Temeraire“, an deren Bollendung mit allen verfügbaren Kräften gearbeitet wird. Die „Alexandra“ ist hon vor einem Jahre von Stapel gelaufen, und die Haupt- arbeit ift daher {hon geschehen; von den ungepanzerten Schiffen ist der „Euryalus“ dem Stapellauf am nächsten. Mit dem Bau des Panzerschiffes „Agamemnon“ wurde eben begonnen.
— Dem „Standard“ zufolge is beschlo}sen worden, während der gegenwärtigen Fischereisaison an der neufundlän- dishen Küste die Zahl der daselbst mit der Wahrnehmung der Interessen Lritisher Unterthanen betrauten britischen Schiffe zu verstärken, damit sie in keiner Weise der Zahl der französishen Floitenmaht in den neufundländishen Gewässern
nachstehe.
Frankrei. Paris, 30. Mai. Das „Journal officiel“ veröffentliht abermals die Ernennung von 18 Maires und 36 Adjunkten. — Auf Donnerstag ist in der Deputirten- kammer die Berathung des Gesetzes, betreffs der Modi- fikation der Art, 13 und 14 im Geseß vom 12. Juli 1875, wegen Uebertragung der akademishen Würden, an- geseßt. Zwölf Redner sind bis jeßt für die Debatte eingeschrieben, sieben dagegen, darunter Cassagnac, der Bonapartist und Castel- lani, der Monarchist, und vier dafür, darunter Pascal Duprät und Dechanel. Wie es heißt, \soll auch Gambetta für den Waddingtonschen Entwurf sprechen wollen.
— Der Staatsrath hat die katholischen Vereine, die sich der Steuerpflicht als „Wohlthätigkeits-Vereine“ entziehen woll- ten, und ebenso die gleichartigen Vereine der Vendée wieder unter das gemeine Reht zurückehren lassen. Diesen bciden Verord- nungen gegenüber “ hät das Central-Comité der fatholishen Vereine Frankreihs das Bedürfniß gefühlt, sich zu verständigen und seine Mitglieder für die folgende Woche einberufen. Es gilt jeßt, die Statuten den jezigen Verhältnissen anzupassen und außerdem, den Genofsenschaftern, so gut es eben gehen mag, hinreihend modernen Sinn einzuprägen, um in der heiligen Allianz viele Handwerker zurückzuhalten, die schr stußig gemacht scheinen, und die erlahmte Propaganda wieder aufzufrischen,
— Die Untersuhungskommission über die Wahl de Mun's hat ihre Arbeiten beendigt. Sie beantragt Bernich- tung der Wahl, und hat zwei Berichterstatter ernannt, Turquet, um die Thatsache, und Guihard, um die Rechtsfrage zu be- handeln. Guichard wird in seinem Berichte vom Standpunkte des öffentlihen französishen Rechtes ih über die Frage der Einmischung des Klerus in die Politik und besonders in die Waßhlkämpfe zu äußern haben.
__— 81. Mai. (W. T. B.) Der italienische Gesandte, Ritter Nigra, hatsheute dem Marschall Mac Mahon sein Abberufungs\chreiben überreicht und tritt am nächsten Montag seine Reise über Ems nah St. Petersburg an.
Spanien. Madrid, 23. Mai. Die Verhandlungen, zu welchen die finanziellen GEnthüllungen und Projekte des Finanz-Ministers in den Cortes Anlaß gegeben haben, bieten ein wenig erfreuliches Schauspiel. Iede Partei wirft der andern vor, die Unordnung und Vergeudung vershuldet zu haben, und alle hierüber gehaltenen Reden gipfeln in persönlichen Angriffen und Verdähtigungen. Es ist daher auh von einer parlamentarishen Kommission die Rede ge=- wesen, welche die finanzielle Verwaltung seit einer Reihe von Jahren untersuchen follte, und die beleidigte Unschuld aller Par- teien, die jemals am Ruder gewesen sind, {hien auf dieser Maß- regel bestehen zu wollen. Eingeweihte versichern aber, daß die Kommission niemals ernannt werden, geschweige denn etwas Verdächtiges finden oder gar öffentlih aufdecken wird, was auch zur Bereicherung der Staatskasse wenig beitragen würde.
Für den Augenblick ist viel von Ersparnissen in allen Zweigen der Verwaltung die Rede, und die Budgets der cin- zelnen Ministerien {einen einige Neduktionen erfahren zu sollen, die aber wahrscheinlich weniger die höheren Beamten, als die Teinei Gehälter treffen werden. Gleichzeitig \heint man außer den bereits bekannten Steuererhöhungen an eine Erhößung des Briefportos und des Telegraphentarifs zu denken, eine Maß- regel, die nah den in anderen Ländern maßgebenden Ansichten \{chwerlich geeignet wäre, den Verkehr und die Einnahme aus demselben zu heben.
__ Mit den Vorschlägen des Finanz-Ministers zur Tilgung der Schulden hat si eine ebenso heftige als allgemeine Unzufrieden- heit im ganzen Lande kundgegeben. Ueberall sind Comités zu= sammengetreten, welche diese Vorschläge der \chärfsten Kritik unterziehen, und der Finanz-Minister wird in den bevorstehenden Verhandlungen mit den Coupon-Inhabern keinen leihten Stand haben. Die Regierung scheint ihn aber niht fallen lassen zu wollen und unter diefen Umständen wird die ministerielle Ma- jorität au ihm gegenüber durh Annahme seiner Gesetzentwürfe ihre Shuldigkeit wohl thun.
Die Frage, welche hierbei das Ausland vor Allem interessirt,
Sigung des Ausschusses des Verwaltingsrathes der St. Gotth ardbahn wurden keine definitiven Beschlüsse gefaßt, und wurden die weiteren Vechezndlungen bis zut Verwaltungs-
ob Ünd in wie weit die auswärtigen Gläubiger auf irgend eine Befriedigung hoffen dürfen, scheint noch keineswegs ihrer Lösung nahe zu fein.
Gü den Fall, daß nicht das
den verschiedenen Orten unserer Provinz waren gegen 60 Ver- |
ganze Eisenbahnneß zur Ausführung kommt, wurden vorläufig |
tigen Sigzung
Italien. Rom, 31. Mai. (W. T. B.) In der heu-
der Deputirtenkammer theilte der Mi-
nister der Auswärtigen Angelegenheiten Melegari auf | eine bezügliße Anfrage des Deputirten Rasponi die kur- zen Informationen mit, welche ihm über die jüngsten Greignisse in Konstantinopel zugegangen waren und fügte hinzu, daß die bis jeßt vorliegenden Nathrichten noch unvollständig seien. Er könne den Charakter der Be- wegung und die Einflüsse, welhe sie bestimmten, noh nit konstatiren. Indeß könne er erklären, daß die Bevölkerung das Ereigniß mit Befriedigung aufnahm und daß \ih keine Gegenströmung bemerkbar machte auch keine Unruhen stattfanden. Der Minister {loß seine Erklärung mit der Verficherung, daß die italienische Regierung den Befehlshabern der in den türkischen Gewössern befindlihen Kriegs\chife den Befehl ertheilt habe, die italienishen Unterthanen und deren Interessen gegen jede Gefahr zu s{üßen. Tiürléle Konfläntinopel, 31. Mai. (W. .D. B) Großvezir hat so eben an die Vertreter der hohen im Auslande ein Cirkulcr - Telegramm ge- rihtei, welches unter Bezugnahme auf sein Telegramm vom gestrigen Tage über die Thronbesteigung Murads V, „durch die Gnade Gottes und den Willen des Volkes Kaisers der Türkei“, konstatirt, daß das Ereigniß all- scitig im Lande enthusiaftish aufgenommen und allfeitige Sym- pathie dem neuen Monarchen bezeugt worden sei. In dem Telegramm wird die unmittelbare Aufstellung eines Reform-=- programms angekündigt. — 1. Juni. Sultan Murad hat den Handels-Minister Saadullah Bey zu seinem ersten Sekretär ernannt und mehrere Verbannte Mückgerufen. Derselbe begiebt sich nächsten Freitag
Der Pforte
“n die Moschee Ejub und wird demnächst cine Proflamation
an die Bevölkerung erlassen. Die Angehörigen der hiesigen aus- wärtigen Kolonien halten morgen eine Versammlung ab, worin wegen Ueberreichung einer Adresse an den neuen Sultan beshlossen werden sol. Die Abfahrt der Flotte von hier ift aufgeschoben.
— Ueber die Entthronung des Sultans wird der „Politishen Korrespondenz“ aus Konstantinopel gemeldet, daß dieselbe weder durch eine Volkserhebung hervorgerufen sei, noch fsich als eine eigentlize Palastrevolution charakterisire. Vielmehr habe man es gewissermaßen mit einex Ministerrevolution z1» thun. Der Sultan habe {ch mit feinen Ministern im Konflikt befunden wegen des Verlangens, den erschöpften Kriegskassen Geld aus seinem Privatschaße vorzustreken. Der Scheich ul Islam, Hairulih Effendi, habe im Verfolg dieser Konflikte in Anwesenheit sämmt» liher Minister dem Sultan angekündigt, daß das Bolk mit sei- ner Negierung unzufrieden und ex demnach entthront sei. — Unmittelbar nah dieser Erklärung des Scheich ul Islam wurden der Sultan und die Sultanin Valide gewaltsam nah dem Schlo}e Topkhana gebracht, wo er sich ledend in {werem Ges wahrsam befindet. :
— Ueber die Person des Sultans Murad wird der „D, A. C.“ u. A. Folgendes mitgetheilt: „Der Sultan Murad ist von mittlerer Größe. In seinem Aeußeren zeigt sich eine ge- wisse Lebhaftigkeit und Energie, die von dem orientalischen Cha- rater im Allgemeinen abweicht. Sein Geficht zeigt die orientalische Abstammung. Seine Neigung gehört. vorzugsweise der militä- rishen Thätigkeit an. Er hat seine Erzichung in der Militär- \hule erhalten, und sih sehr eingehend mit militärischzen Studien beschäftigt, aber er hat keine Gelegenheit gehabt, bisher dieselben praftish anzuwenden, da der Argwohn seines Dheims ihn niht dazu gelangen ließ,“ — Der Sultan if der älteste Sohn Abdul Medschids und am 21. September 1840 geboren. Seit dessen beabsichtigter Thronfokgeänderung beargwöhnten sich beide, bis 1874 dur) Vermittlung des Scheik-ül-Jslam und des cng- lishen Gesandten Elliot eine Versöhnung zu Staude kam, wobei der Sultan unter Ablegung cines Eides auf den Koran sich verpflichtete, an keinem einzigen Rechte des Thronfolgers zu rütteln, während dieser das Versprechen ablegte, seinem Vetter Iussuf Jzzedin den Nang eines Serasfkiers (Generalissimus) zu geben und ihn und seine Brüder mit Apanagen auszu- statten. Vor 1—2 Monaten soll Murad, Arges befürch- tend und in der Absicht, die Fahne des Aufruhrs zu er- heben, entflohen sein. Nach einiger Zeit kehrte er, aus welchem Grunde ist unbekannt, zurück, und es verlautete dann vor wenigen Tagen, Sultan Abdul Aziz halte ihn im Palaste in strenger Haft. Der Sultan hat ses Brüder und sieben Schwestern, mit dem Titel Sultane, von denen vier verheirathet find, darunter eine mit Mahmud Pascha.
— Aus der Herzegowina schreibt man der „Pol. K.“ über Ragusa, 26. Mai (\slavishe Quelle): Uever den Kampf bei Kobilja Glava (Stutenkopf) liegen nunmehr folgende Details vor: Schon am lezten Sonntag erhielten die Insurgen- ten durch ihre Kundschafter die Mittheilung, daß Moukhtar Pascha einen Vorstoß von Gacko in der Richtung gegen Bilek? im Schilde führe. Er organisirte zu diesem Zwecke ein kleines Corps in der Stärke von 5500 Mann, welchen er drei BVat- terien beigab, da türkischerseits in neuerer Zeit der Ver- wendung einer zahlreicheren Artillerie größeres Augenmerk zuge- wendet wird. Der Abmarsh dieses aus Elite-Truppen gebil- deten Corps, welchem nur ein paar hundert Baschi-Bozuks als Eclaireurs beigegeben wurden, war für Dienstag, den 23. Mai bestinmt. Die Insurgenten zogen in Folge dessen \{hon Tags zuvor nach Kobilja Glava, wo sie sich ra\sch in festen Stellungen einrihteten. Jn den Vormittagsstunden des Diens- tages wurden die Jnsurgenten der Avantgarde der Türken an- sihtig, welche sie ruhig vor ihren gedeckten Positionen passiren ließen. Crt als das türkishe Gros im Anmarshe war, war- fen sich die Jusurgenten mit Ungestüm auf dasselbe. Die Türken hielten sich bis gegen 5 Uhr Nachmittags ganz waer und vermochten ihre Reihen ers nach dieser Zeit erschüttert zu werden. Erst spät Abends traten sie den Rückzug an, der, an- fänglih ziemlich geregelt, später in eine Panik ausartete. Der Wojwode Simonik ließ die Türken bis Cernicza verfolgen. Der Verlust war auf beiden Seiten ein sehr großer. Die Türken sollen an Todten und Verwundeten über 500 Mann, die Aufstän- dischen aber erst, nachdem sie aus ihren gedeckten Stellungen hervor- brahen und zur blanken Waffe griffen, über 100 Mann einge- büßt haben. Moukhtar Pasha wird demnächst den Versuch, nach Bilek zu gelangen, mit einem größeren Corps erneuern. Dieser Operation liegt der Zweck zu Grunde, die Flanken seiner Armee sicherzuftellen, mit welcher er demnächst eine abermalige Expedition nah Niksic vor hat. Die Insurgenten verlangen be- trächélie Verstärkungen von allen Seiten. Ihre augenblickliche Gesammtstärke wird jezt auf 7000 Mann geschäßt.
— Die Besika-Bai, welhe zum Sammelpunkt des briti- {en Geschwaders bestimmt is, liegt an der kleinasiatischen Küste hinter der Insel Tenedos und unweit des ersten Darda-
und trägt ihren Namen von Besik:Tepe (Wiefenhügel), einem Hügel auf dem aus den Kämpfen um das alte Troja bekannten Sigeishen Vorgebirge, von welhem die Besika-B1îi mit ein- ge\schlossen wird. Die Bai war Station der hritish-französishen Flotte in den Jahren 1839 und 1840, sowie im Jahre 1853.
Numänien. Der Tagesbefehl, welhen der Für f Karl an dem zehnten Jahrestag seiner Thronbesteigung an die Armee erließ, lautet nah dem Amtsblatte folgendermaßen: „Soldaten! Seit dem Tage, an welhem*Rumänien mir sein Geschicck anvertraute, ist es mein lebhaftester Wunsch gewesen, die Armee zu organisiren, deren Traditionen zu dem größ- ten Ruhm unserer Vergangenheit gehören. Durch die Armee hat Rumänien große geschihtlihe Perioden über- dauert, in wéilchen andere ein mächtige Nationen untergingen. Unsere alten militärishen Einriktungen find heute wieder hergestellt, und ihre fette Organisation wird die Zukunft unseres theuren Vaterlandes sichern. Es sind zehn Jahre, seit ih mit lebhafter Genugthuung die wachsenden Fortschritte ver- folge, welche mit eurer Hülfe gemacht wurden; beharret auf diesem Wege, denn nur \o werdet ihr den Erwartungen des Landes ent- sprechen, welches große Opfer gebract hat, um in seiner Armee eine Bürgschaft seiner Nationalität und seiner Rechte zu besizen. Soldaten! Vergesset niemals die Worte, welche auf euren Fahnen geschrieben stehen. Eure Disziplin is die befte Bürgschaft, daß ihr die würdigen Söhne jener Helden sein werdet, denen wir ein Vaterland verdanken. Was mich betrifst, so werdet ihr mi stets da finden, wo das Interesse des Landes es erheischt. Ge- geben zu Bukarest, 10. Mai (a. Sils.) 1876. Gez. Carol.“
Kußlartd un Polen. St. Peter vir, S Mal
Dem „W,. T. B.“ wird gemeldet: „Wegen der von den drei Kaisermächten formulirten, von Frankreih und Italien unter- stüßten, der Türkei zu übergebenden Vorschläge zur Herbei- führung eines Friedens mit ihren füdslavishen Unterthanen wird in Folge der Konstantinopeler Katastrophe noch ein Gedanken- austausch zwishen den bezüglihen Höfen stattzufinden haben. Die Katastrophe bekundet die seit langem eingerissene Unsicher- heit in allen politishen Verhältnissen der Pforte, insonders die- jenige persönlicher ungarantirter Reformzusicherungen. “ (W. T. B.) Das „Iournal de St. Petersbourg“ bespriht in seiner heutigen Nummer den Thronwechsel in Konstan- tinopel und hebt hierbei die Schwierigkeiten hervor, welche sich dem neuen Sultan Murad entgegenstellten und die durch die Art feiner Thronbesteigung nicht vermindert würden. Eins e abe Geib, O O SutsOIae Europas eit Weitergreifen dcr Krisis im QDrient zu verhüten unver- mindert bleibe, Das Einvernehmen der Mächte bleibe nah wie vor unershütterlih in dem Wunsche,“ von der türkishen Regie- rung, gleihviel welche cs sei, die Ausführung der unentbehr- lihen Reformen zu erlangen. Der Artikel giebt {ließlich der Hoffnung Ausdruck, daß der neue Souverän den Wünschen der Mächte entgegenkommen möge; hierdurch werde er seine Aufgabe erleihtern und zugleih den Mächten gegenüber den Beweis führen, daß er nicht das Werkzeug cines religiösen oder natio- nalen Fanatismus werden wolle.
Amerika. New-Yorker Zeitungen melden, daß in Folge der von den Sioux-Indianern verübten Megelcien eine 2000 Mann starke, größtentheils aus Kavallerie- bestchende Ex- pediion mit einigen Gatling-Kanonuen und befehligt von den Generalen Terry und Chester ausgezogen ist.
— Aus Panama wird dem Reutershen Bureau unterm 7. Mai berichtet: „Hiesigen Zeitungen zufolge is es den Truppen von Guatemala gelungen, Salvador zu invadiren; das Gesuch des Präsidenten dieser Republik um einen Waffen- ftillstand wurde mit dem Verlangen um sofortige Kapitu- lation beantwortet. General Miranda, der Oberbefehlshaber der Armee von Guatemala, erließ am 23. April in La Union ein Dekret, in welhem er fich zum provisorischen Präsidenten von Salvador proklamirte. Ein Theil der Legislatur acceptirte, die Autorität von Valle und Hoyzales ignorirend, seine Herrschaft.
— In Peru war eine Meuterei unter den daselbst ein- gewanderten Chinesen ausgebrochen, ader unterdrückt worden.
Brasilien. Rio de Janeiro, 19. April. Die bra silianishe Presse entwickelt neuerdings wieder eine große Rüh- rigkeit in Besprehung des Kolonijations- und Einwan- derungswesens. Man wird niht müde in stets erneuter Aufzählung der „außerordentlichen Vortheile“, welche angebli den Einwanderern geboten werden,
Welche Bewandniß es mit diesen „Vortheilen“ hat, sollte nahgerade in Europa bekannt sein. Nur über einen Punkt, welher in den lezten Tagen wieder mit besonderem Nacvdruck in hiesigen Blättern hervorgehoben worden ist, kann nit oft genug Aufklärung gegeben werden, da er in denjenigen Bevölkerungskreisen Europas, auf welhe die Werber ihr Hauptaugenmerk gerichtet haben, aus nahe liegenden Gründen als wirkfsamstes Verlockungsmittel angewendet zu werden pflegt. Es ift dies die angebliche Billigkeit des den Auswanderungslustigen verheißenen Erwerbes von ländlihem Grundbefiß. S
Allerdings verordnet das Landgesch von 1850, daß die Staats- ländereien, welhe vorher gehörig vermessen und abgegrenzt sein sollen, entweder meistbietend zum Preise von # bis 2 Reis per Quadratbraße (d. i. 4,84 Quadratmeter) oder aus freier Hand
u einem dem Uebereinkommen überlassenen Preise zu verkau- fen sind. :
Nach einem Reglement von 1867 — welches in den An- preisungen freilih häufig außer Betracht gelassen zu werden pflegt — ist der Preis der Quadratbraße auf den Staatslände- reien zu 2 bis 8 Reis, also zum 4fahen der Preise des Ge- seßes von 1850 festgeseßt. Die Werbe - Agenten bieten in Europa den Auswandern Landloose zu 2 bis 8 Reis per Braße an. In Wirklichkeit aber müssen die Ankömuilinge den Kolonie-Direktionen mindestens das Vierfache jenes Preises selbft für die abgelegenste Urwaldparzelle zahlen. Der Grund if ein einfaher, Die Landloose werden wohl zum Minimalpreise ab- gegeben, aber an brasilianishe Spekulanten, welche die im Cen- trum belegenen guten Grundstücke an fih bringen und nah An- bau der Außenländereien zu hohem Preise verwerthen.
Dieser Mißbrauch is in der Sißung der Deputirtenkammer vom 4. August v. J. von dem Abg. Flores aus Porto Alegre folgendermaßen gekennzeihnet worden: :
„És besteht die \chlechte Sitte, an Privatleute zum Wieder- verkauf diejenigen Ländereien abzulassen, welche in der Nähe der Straßen und Kommunikationen liegen. Dies gereicht zum Schaden der Kolonisation, Denn jene Privatleute kulti- viren die Grundstücke weder, noch verkaufen sie solche sofort an leistungsfähige Kolonisten. Sie warten vielmehr
nellenshlosses. Sie bietet einen guten und ges{chüßten Ankerplaßz
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auf den beften Preis. fönnen die Kolonisten
nur unter den von mir geshilverten ungünstigen Bedingungen, das heißt entfernt von jedem Verkehr, fich etabliren.“
Das offizielle Blatt vom heutigen Tage veröffentlicht ci Regierungsdekret, welches die bisher bestehende offizielle Koloni \sationsagentur umgestaltet, indem es ihr vermehrte Funktionen, namentlich u. A. auch die Registricung und Vermessung aller Ländereien überweist. Letzteres war bisher einer desonde- ren Verwaltung ( Repartiçao das terras publicas) über- lasen, welche cine Abtheilung de Ackerbau-Ministeriums bildete, deren Erfolge aber, troß bedeutender dafür vermendeter Summen sehr gering gewesen sind. Sie hat es3 im Laufe langer Jahre niht vermocht, die unbeschreiblihe Verwirrung in den agra- rishen Verhältnissen zu löfen. Ein allgemeines Kataster ist nicht vorhanden und Vermessungen genauer Art sind selten vorge- nommen worden, dazu fehlte es an dem geeigneten Personal, Die offizielle Kolonisationsagentur is, wie bekannt, eben- falls nicht im Stände gewesen, ihre Aufgabe, die Kolonisations- frage zu lôsfen. Ihr früherer langjähriger Chef Ignacio da Cunha Galvao hatte es in seinen freimüthigen Iahresberichten fich angelegen sein laffen, die Schäden des fezigen Folonisaticns- \ystems und die geeigneten Abhülfemittel dazulegen; aber seine Rathschläge blieben unbefolgt, Augenblicklich steht die Agentur noch unter der provisorischen Leitung des Rathes Nascentis de Azambuja, bekannt dur seine Inspektionsreise nah den Kolonien Muniz und Theodoro, wo er den — inzwischen durch unwider- leglihe Thatsachen erwiesenen — Beschwerden der Kolonisten entgegen, alles in „schönfter Ordnung“ fand.
Ob nun die unter dem Namen „Beneral-Infpektorat“ binirte, (aus dem Gengxral-Inspefktor, dessen Adjutanten, z Sektions-Chefs, vier ersten Beamten und dem nöthigen Un beamtenpersonal bestehende) neue Behörde bessec im Stande fein wird, die ihr gestellte Hauptaufgabe zu lösen, nämlih den Sirom der Auswanderung nach Brasilien zu leiten, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlih i} es nicht, denn über eine Systemveränderung enthält das Dekret nichts.
Als spezielle Aufgabe der 2. Sektion des General-Inspek - torats ift die Anwerbung von Einwanderern für Rechnung von Privatleuten bezeichnet. Hiernah mu: an dem Grundsaß fest- gehalten werden, daß die vrasilianishe Regierung — ungeachtet aller das Gegentheil besagenden Reverse, weiche man den Aus- wanderern im Einschiffungshafen abverlangt — für das, wenn auch an Private in Entreprise gegebene Schicksal der Ange- worbenen verantwortlich bleibt.
Das Blatt „OD'Globo? hat in seinen Leitartikeïn vom 17. und 18. d. M. dem jezigen Kolonisationssystem mal wieder in sehr ernster Weise den Text gelesen. Woh! niemals haben die Beuriheilungen aus fremder Feder, über welhe mait sih hier gelegentlig so tief entrüstet zeigte, härter gelautet — als jene beiden augenscheinli*g aus brafilianisher Quelle hécrührenden Artikel des „Globo“. Und wenn die darin enthaltenêèn Schilde- rungen au nur halb den Thatsachen entsprähen, so würden sie immerhin genügen um darzuthun, di
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welchzen Glauben die Glüdckseligkeits-Prospekte der Werber und Agenten verdienen.
Der erste Artikel beschäftigt sih namentlich mit den Mängeln der Verwaltung und der Rechtspflege, u. A. aúh in Beziehung auf die Einwanderung. Ich theile Ihnen zwar den Artikel mit, aber ih bin überzeugt, daß man in Deutshland aus Rülsihten internationaler “Konvenienz lieber ® auf den Nuyzen verzihten wird, den ein Bekanntwerden der=- artiger Schilderungen in den von den brafilianishen Auswande- rungsagenten umworbenen Bevölkerungs:reisen stiften tönnte, ehe man dergleichen dort abdruct.
Der zweite Artikel beschäftigt sich mit den Stand und dem voraussihilichen weiteren Verlaufe der hiesigen Einwanderung im Allgemeinen und lautet wie folgt:
„Jn pompöser Weise wird verkündet, daß im laufende! Jahre zahlreiche deutshe Einwanderung erwartet wird. Wtöglich, daß sih jene Hoffnung verwirklicht; es {eint uns aber nit sehr wahrscheinlih, denn diese Einwanderung hat bekauntlih in den lezten Jahren urigewöhnlih abgenommen,“
„ÎIm Hafen von Hamvurg (von wo der größ für Brasilien bestimmten Einwanderer abgeht *),
1873, für unser Land bestimmt, 4284- Cinwandere
rend 1875 die Zahl jener, welhe denselben Hafen Bestimmung verließen, kaum die unbedeutende Höhe vor erreichte.“
„Worauf begründen sich Jene, welche an eine baldige Wieder= belcbung jener sterbenden Einwanderung glauben? Wir wissen es in der That niht! Die Feindschaft daucrt gegen uns in Deutschland unerbittlih fort, und die Verhältnisse deutscher Ein- wanderer im hiesigen Lande bessern sih nicht.
Noch vor Kurzem kamen 50 dieser Kolonisten unter von der Regierung bezahlter Passage in dieser Hauptstadt an, welche den Ort ihrer Nieverlasung in der Provinz Bahia verlassen hatten.“
„Selbst in der Provinz Rio Grande do Sul, wo eine deutshe Bevölkerung von 60,000 Seelen fih be- findet, wo die Provinzialregierung große Summen fü den Koloniediensst ausgiebt, wo ein Kontrakt zur Ein- fuhr von 40,000 geschlossen worden, felbst in diefer Provinz, wiederholen wir, geschieht die Einführung neuer Einwanderer nur unter den größten Schwierigkeiten. Und dem if in der That \o, denn von 1859 bis zum Ende vorigen Jahres (16 Jahre) kamen in der genannten Provinz faum 8412 deutsche Einwanderer an, jene mit eingeschlossen, welchze von anderen Theilen Brasiliens dorthin gingen, was einen Durchschnitt von etivas mehr denn 500 im Jahre ergiebt.“ „Wenn die Provinz Ri Grande mit einer Bevölkerung von 60,000 Seelen, einer Nationalität angehörig, die jährliÞh 50,000 bis 200,000 Auswanderer von ihren Ufern absendet, nur 500 von folcer Zahl zu erhalten erreiht, obglei sie zu solchem Zivecke große Summen ausfeßt, ist denn dieses Faktum niht an und für fich \chon genügend, zu beweisen, daß die im Lande befindlihen Deutschen nicht gut fituirt sind, und daß ohne gerehie Ursache die Nachricht verbrei- tet wird, es stehe in diesem Jahre die Ankansft einer großen Anzahl von Einivanderern dieser Nationalität bevor ?“
„Die österreichische Einwanderung, welche kaum begonnen, droht in der Geburt zu ersterben, / tverden an anderem Plate davon sprechen, was sih mit österreihishen Einwanderern in der Kolonie Rio Novo zugetragen hat, Die bezüglichen Thatsachen gehören dem Trimester an, um das es fich handelt, und sie zu berichten, ist niht nöthig, diese Abschweifung zu verlängern. Wir begnügen uns, hier zu. sagen, daß jene Vor-
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*) Anm. d. Einsend.: Dies ist in dieser Allgemeinheit jeßt nicht méhr ganz zutreffend ; allerdings wird die erößte Mehrzahl wohl durch Hamburger Unternehmer und Agenten engagirt und mag auch wohl über Hamburg ihrea Weg nehmen; aber in die eigentlicze Ver- \chiffung nah Brasilien theilen fich Hamburg und Antwerpen, in
Folg?z namentli der Thätigkeit der an beiden Orten domizilirten
Firma R. Lobedanz & Co.