“preises dabei mit verlangen können. Die amerikanische Wurft ift e sehr e ftigmatisiert worden; das Ciniubete bot würde die fremde Wurft nebst den Konserven von Deuütschland ‘fern halten, aber die fchlechte, elende Wurst soll uns erhalten bleibèn, die vielfah in dentshen Schlähtereien und Wurstmachereien fabriziert wird, deren Jämmerlichkèit ‘und Unappéetitli®hkeit jeder ‘Beschreibung spottet. Welche Unsauberkeiten in diefen Mel an ‘der
esordnung find, if unglaublih, aber es handelt fih um That- sachen. Die Gewerbe-Infpektoren werden . in diese zweifelha f ume garni{t hineingelassén. Nicht das Ausland is bevorzugt, sondern die heimische Arbeiterbevölkerung aufs ärgste benachtheiligt, auch wenn dieses Gesey nach den Kompromißbeshlüfsen an- genommen wird. :
Abg. Münch - Ferber (nl.): Die Textilindustrie teht und fällt mit dem Prosperieren der deutshen Landwirthschaft. Die Angft- meierei vor Revressalien des Auslandes hat keinen Zweck; ih stehe folhen Repressalien kühl bis -ans Herz gegenüber. Amerika hat béreits ein Fleischmonopol, und, es liegt Gefahr vor, daß dies Monopol auf Guropa übertragen wird. Dann können ‘wir nicht mit vershränkten Armen gegenüberstehen. Die Amerikáner werden uns niemals mit einem ZoUkrieg überziehen, wenn wir Front machen. Die Hauptgefahr für das deutshe Volk besteht aber darin, daß dies
Gesetz nicht zu ftande kommt.
Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Meine Herren! Ih war leider ‘abgehalten, eine Zeit lang den Verhandlungen des hohen Hauses beizuwohnen, es ift mir aber be- rihtet worden, einer der Herren Redner habe gefragt, ob die Nach- rihten der Presse rihtig feien, ‘daß wegen des Fleishbeshaugeseßes von der deutshen Regierung verhandelt worden sei mit der Res gierung der Vereinigten Staaten. Jh bin über diese Anfrage übér- rasht. Das Fleishbeschaugesep if ein Akt der inneren „Geseß- gebung, der deutschen Souveränität, und wir brauchen für unsere Geseßgebung nicht das Placet irgend einer anderen Re- gierung. (Bravo!) Ich bestreite also, daß irgend welhe ämtlihe Ver- handlung seitens der deutshen Regierung mit der amerikanishen Re- gierung über dieses Gesetz stattgefunden habe. (Zuruf rets.) — Ja, Herr Abg. Dr. Hahn, Sie kann ih nit überzeugen, wenn Sie das bestreiten, was ih hier erkläre. Ich muß aber dann verlangen, daß Sie das, was ih hier erkläre, für rihtig halten, oder den Nachweis erbringen, daß es unrichtig ift. (Sehr rihtig!) Nun gestatten Sie mir noch eine Bemerkung gegenüber den Ausführungen, die heute gemaht worden sind, Wenn man sih auf den Standpunkt ftellt, daß eine Fleishbeshau überhaupt niht nothwendig ift, dann ift fie weder für das inländishe Fleisch noch für das ausländische nothwendig. Wenn man aber zugesteht, daß aus dringenden hygieni- \{hen Gründen, die ih hier sehr tief und eingehznd behandeln könnte, eine Fleishbeshau nothwendig ist, so kann man schlüssig nur zreeierlei vertreten: entweder man läßt das ausländishe Fleisch fo weit herein, als eine UntersuWung noch mögli ist, als niht nachgewiesen ist, daß die Einfuhr gesundheits\{ädlich ift, oder man fordert eine mathe- matisch vollkommene Gleichstellung des inländishen und ausländischen Fleisches und Läßt infolge dessen überhaupt keinerlei ge- \chlachtetes Fleis herein. Wenn man aber auf dem leßteren Standpunkt steht — und diesem Standpunkt \heinen sih jeßt die Interessenten der Fleisherei zugewendet zu baben —, dann muß man entweder den Nahweis führen, daß es mögli ist, mit einem Schlage der deutshen Volksernährung für 165 Millionen Mark Fleishnahrung zu entziehen, oder man muß auf den Standpunkt kommen, wieder [lebendiges Fleisch hereinzulassen. Die Herren Fleischer würden viel- leiht sehr gern lebendiges Fleis bereinlafsen, das beweisen die Ver- handlungen, die wir hier seiner Zeit geführt haben über die Frage der deutshen Fleishverforgung; aber, ob niht darin das viel größere Unglück und der viel größere Schaden für die deutshe Landwirths{haft liegen würde, überlafse ih der Beurtheilung fo \fachverständiger Kenner, wie sie sch hier im Hause befinden.
Und \chließlich noch- einen leßten Punkt. Wie ih höre, ift in meiner Abwesenheit aus einer Berliner Zeitung eine Aeußerung eines amerikanishen Beamten verlesen worden. Meine Herren, der amerikanische Staatssekretär sür Ackerbau heißt aber nicht Wilms, sondern Wilson, und wohnt niht in Chicago, sondern in Washington, und dürfte deshalb niht identisch sein mit der Persönlichkeit, von
der heute eine Erklärung im „Berliner Togeblatt“ abgedrudckt ift. {Heiterkeit.)
Abg. Franken (nl.) weist darauf hin, daß nah einem Wort des Fürsten Biêmarck Landwirthschaft, Kohle und Eisen die Dreibeit bilten, welche den Staat aufrecht erbalten. Er könne nit die Hand
dazu bieten, den Arbeitern das Fleis zu vertheuern, deéhalb könne er sh hôöchstens für das Kompromiß Aichbichler erklären.
__ Hierauf wird die Diskussion geschlossen. Es folgen per- sónlihe Bemerkungen der Abgg. Dr. Hahn (b. k. F.) und Freiherr von Wangenheim.
Darauf wird die Sißung vertagt. Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sißung Dienstag 1 Uhr. (Fortsepung der dritten Lesung des Geseßentwurfs, betreffend Aenderungen und Er- gänzungen des Strafgeseßbuchs, Fortseßung der dritten Lesung des Fleishbeschaugeseßes.)
ften Ge-
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
72. Sißung vom 21. Mai 1900, 11 Uhr.
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des e vi linatids über die Zwangserziehung Minder- jähriger.
Die Kommission hat in der Vorlage überall das Wort „Zwangserziehung“ dur „Fürsorgeerziepung erseßt.
Den S 1, der nur eine Definition des Begriffs Zwangs-
erziehung ‘enthielt, hat die Kommi in gien, r
Abg. Freiherr von Zedliß und Neu (fr. kons.): Es unter- Tiegt keinem Zweifel, daß ‘an den shweren Ausschreitungen des Sonn- abends und Sonntags ‘in Berlin, bei denen Leben und Gesundheit derjenigen “Personen ern gefährdet worden is, ‘die in Er-
Dung ibrer vertragsmäßigen Verpflihtungen ‘handelten, Aus- , {hreitungen, die fast den Charakter ‘des Aufruhrs angenommen haben, -in großer Zahl folhe jugendlihe Personen betheiligt gewesen find, "déren Erziehung zu guten Tae eine der größten Aufgaben des Staates ift, die wir zum theil mit Hilfe dieses Geseyes erfüllen wollen. Meine Freunde ‘wollen eine Interpéllation einbringen, ‘um zu erfahren, was die Regierung zur Verhütung der Ausschreitungen gethan hat und bei Wiederholung der Ausschreiiungen zu thun ge- denkt. Es wäre aber zweckmäßig, hon jeßt die Stellung der Regie-
rung zu erfahren. Minister des Junern Freiherr von Rheinbaben: Meine Herren! Ich bin bereit, auf die Anfrage des Freiherrn
der leizten Tage das öffentliche Interesse nit nur in Berlin, fondern au in vnserem ganzen Vaterlande in außerordentlihem Maße in Anspru genommen haben. Ih sehe davon ab, auf die Frage der Lohndifferenzen zwishen der Straßenbahn und ihren Angestellten einzugehen ; ‘denn ich glaube, die Staatsregierung thut gut, an dem alten Standpunkt festzuhalten, daß die Austragung von Lohnftreitig- keiten den Betheiligten zu überlassen ist, und daß die Regierung nicht den Beruf hat, fich in derartige Angelegenheiten hineinzumischen.
Meine Herren, die Angestellten haben, stait sich an die Direktion der Straßenbahn zu wenden und bei dieser ihre Wünsche vorzubringen,
einen überaus bedenklihen Weg beschritten. Sie haben sich unter die Führung der sozialdemokratischen Gewerkschaften begeben und si unter deren Leitung zu Forderungen bewegen lassen, die mit der Disziplin und der Aufrechterhaltung des Straßenbahnbetriebs niht vereinbar find. (Hört! hört!) Wäre die Direktion bereit gewesen, auf diese Forderungen einzugeben, so hätten die Staatsbehörden prüfen müfsen, ob sie niht von Aufsihtswegen der Erfüllung derartiger Forderungen entgegenzutrêten hätten. (Sehr richtig !)
Meine Herren, was mih und das mir unterftellte Ressort ins- besoúdere angeht, so handelt es sih für mich darum, die öffentliche Ordnung állen Angriffen gegenüber mit Nachdruck und Unnachsihtlich- feit aufrecht zu erhalten. (Brävo!) :
Die Vorgänge am Sonnabend, meine Herren, sind in der Prefse zum großen Theil übertrieben dargestellt ; insbesondere ift der Krawall am Aléxanderplay niht so schlimm gewesen, ‘wie er vielfa in den Zeitungen dargestellt ist. Auh ein haupt\#hlich in den Vordergrund gezogener Vorgang, die angeblihe Umstürzung eines Wagens in der Leipzigerstraße, hat sih thatsählich. ganz anders vollzogen. Ein un- fundiger Fahrer hat den Wagen s{lecht geführt; infolge -defsen ift der Wagen aus dem Geleise gesprungen und der Anhängewagen ift auf ihn aufgerückt, dadurch find die Scheiben zer}prungen. Also, eine Demolierung des Wagens durch das Publikum und ein thätliher Angriff auf den Wagen hat nicht stattgefunden. Immer- bin hat der Wagen eine Zeit lang, bis er von Feuerwehrleuten beseitigt werden konnte, auf der Leipzigerstraße gestanden, und dadur ift diesem Gerücht neue Nahrung gegeben worden.
Richtig ift, daß ‘einem Pferdebahnwagen ‘von Maurern an ‘einem Neubau in der Leipzigerstraße die Pferde ausgespannt und die Pferde weggetrieben sind; -rihtig if auch, daß eine große Anzahl von Belästigungen und Ausschreitungen, zum theil au schwerer Art, vor- gekommen sind. Die Einzelheiten genau festzustellen, ist im Augenblick noh niht möglih; denn was in folhen Zeiten der Aufgeregtheit an shiefen Urtheilen an uns gelangt, ift kaum glaublich. Es wird in diesen Tagen niht mit einer Brille, sondern mit zwei Brillen gesehen, und bis wir die Wahrheit der Vorgänge im einzelnen ermittelt haben, bedürfen wir eingehender Erhebungen.
Es ift niht zu verkennen, daß auch \{chon der Sonnabend {were Ruhestörungen an . manchen Pläßen gebraht hat, denen wir nit überall în der Lage gewesen sind, genügend entgegenzutretèn. Wenn auf einem Straßenbahnnetz von der Größe wie bier in Berlin der Verkehr, wenn auch mit Stockungen, aufre{t erbalten wird, fo läßt fich s{chlechterdings nit übersehen, wo etwa ein Auflauf ‘eintreten kann, und darauf ist es anch wohl zurüd- zuführen, wenn an einzelnen Stellen der Auflauf vielleiht niht mit der Schnelligkeit unterdrückt worden is, wie es wünschenswerth ge- wesen wäre. Meine Herren, die Polizei hat in den Tagen der An- wesenheit des öfterreihishen Kaisers den Beweis geliefert, daß sie ihren Aufgaben gewachsen ist. Ich glaube, darüber besteht nur ein Urtheil, daß sie in diefen Tagen Vorzügliches geleistet hat. Daher ift ‘es durchaus erklärlih und verzeihlih, wenn der einzelne Mann, nicht ausreichend unterstützt, vielleiht niht immer in der Lage ge- wesen ift, den Ausschreitungen rechtzeitig und mit vollem Nachdruck entgegenzutreten. (Sehr richtig!)
Nun, meine Herren, das Bedenklichfte an den Vorgängen am Sonnabend war Folgendes: Daß unter dem Einfluß der Ausschreitungen allmählih der Verkehr zurückgegangen ift und ließli ganz gestockt hat, also der Oeffentlichkeit gegenüber gewissermaßen der Verkehr den Excedenten gegenüber gewihen ift, das ift ein Vorgang, der vom Standpunkte der Aufrehterhaltung der öffentlihen Ordnung unter keinen Umständen geduldet werden konnte. Ich habe daher in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag eine Konferenz im Polizei- Präsidium abgehalten und dabei mit den Herren des Polizei: Prä- fidiums und der Straßenbahn-Direktion die Maßregeln besprochen, die für den Sonntag zu treffen wären.
Wir waren einstimmig der Ansicht, daß der Verkehr allen Angriffen zum Tro wieder aufgenommen, daß dann aber diesem Verkehr auh unnachsihtlich der polizeilihe Shug gewährt werden müßte. Den Verkehr auf allen Linien aufzunehmen, war ein Ding der Unmöglich- keit — dazu reichte das Personal der Straßenbahn niht hin —, und es war unausführbar, sämmtlie Linien bei dem außerordentlih aus- gedehnten Neß mit dem polizeilichen Schuß zu versehen, der erforder- lich war, um allen Ausschreitungen entgegenzutreten. Es ift daher angeordriet worden, daß vom Sonntag früh ab die sieben wichtigsten Linien wieder in Betrieb zu seßen seien und taß diesen dann der nahdrücklichste polizeilihe Shuy zu theil werden sollte. Ih habe geftern Morgen in Gemeinschaft mit dem Herrn Minister der öffent- liden Arbeiten die Hauptstrecken und die polizeilien Maßnahmen am Dönhoffsplaß, Spittelmarkt, Alexanderplay u. |. w. eingehend besichtigt und mich überzeugt, daß an diesen Plägen die nöthigen Polizeimannschaften aufgeboten waren, um etwaigen An- griffen und Ruhestörungen ‘entgegenzutreten.
Der Verkehr hat fich denn auch am gestrigen Tage auf allen diesen Routen ordnungêmäßig und ohne Störung vollzogen, bis auf die chweren Ausschreitungen, die in der Gegend des Rosenthaler Thores vorgekommen sind. Dieses Thor, besonders exponiert dadur, daß eine Menge von Straßen einmünden, aus denen si der Jánhagel dem Thore zuwälzt, if polizeilich besonders {wer zu “behandeln. Aber ih glaube averkennen zu können, daß die Polizei dieser besonders schwierigen Aufgabe in vollem Umfarge gewachsen gewesen ift. Sie hat, als der Exzeß flieg, als gejohlt, ges{hofsen und mit Stéëinen ge- worfen wurde, blank gezogen, ift mit rücksihtsloser Energie mit blanker Waffe vorgegangen und hat die Excedenten zurückgetrieben- Wenn Verwundungen dabei vorgekommen sind, so ift das aufs tiefste zu bedauern, aber wir können. es niht ändern. (Sehr richtig!)
J kann hier nur noch einmal die Bitte aussprechen, die heute s{on durch Anschlag an den Litfaß-Säulen bekannt gegeben ift, daß das woblmeinende Publikum . an diesen Zusammenrottungen , auh
von Zedlig zu antworten, umsomehr, als in der That die Vorgänge
nicht ein mal passiv, si betheiligen möge. Es ift unmögli, wenn
wir unsere Pflicht thun sollen, zwishen \{uldig und uns{huldig zw untershéiden. (Sehr rihtig!) Die Polizei muß vorgehen und, so bedauerlich es ift, einen Unschuldigen zu treffen, so ift sie doch häufig außer tande, eine Unterscheidung zu niachen.
Dieser Bitte möchte ich noch die Bitte an die Prefse hinzu- |
fügen, auch ihrerseits auf Mäßigung hinzuwirken. Statt alarmierende Natrichten ju bringen, die die hon so tiefe Erregung der Gemüther noch weiter steigern, follte sie fih bei der Polizei erkundigen, was ax diesen Nachrichten wahr ist, und erft das bringen, was fi als zu- verlässig erwiesen hat. (Sehr richtig!) Die Prefse aller Parteien: könnte sehr zur Beruhigung der öffentlichen Meinung und zur Zurück- drängung etwaiger Tumulte beitragen. (Sehr richtig!)
Meine Herren, die Vorgänge am geftrigen Tage waren so bes denklih, daß wir vor die Frage gestellt wurden, ob wir unter allen: Umständen in der Lage sein würden, mit unseren Kräften etwaigen erneuten und verstärkten Ausfchreitungen entgegenzutreten. Gestern Abend hat bei mir unter Zuziehung der betheiligten Vertreter dex Schutzmannschaft wie der Straßenbahn-Direktion eine erneute Kon- ferenz stattgefunden. Ih bitte um die Erlaubniß, bes zügliÞ dieser Konferenz einen Punkt wvorwegnehmen zu dürfen. In den Zeitungen steht, ih - hätte angeordnet, daß der Straßenbahnverkehr gestern Abend um 7 Uhr eingestellt werden sollte, und ih hätte eine dahin gehende Weisung dem Polizei- Präsidenten zugehen lassen — das ift \{lechterdings niht der Fall. (Bravo!) Eine derartige Maßnahme, die äls Zeichen der Schwäche gedeutet werden könnte, würde ih mir nicht zu shulden kommen laffen. (Bravo!) Die Sache verhält fich folgendermaßen. Die Vertreter der Schußzmannschaft wie der Straßenbahn-Direktion haben überein- stimmend erklärt, daß es zweckmäßig sein würde, für die nächste Zeit den Verkehr von 8 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends aufrecht zu er- halten, aber nicht länger, weil ein außerordentlißes Maß von An- ftrengung sowohl an die geringe Zabl von treugebliebenen Angestellten der Straßenbahn wie in noch höherem Maße an die Schußmannschaft geftellt würde. Ichiglaube, die Wenigsten haben wohl eine Ahnung, was es für die Schußleute heißt, den ganzen Tag über einer solhen heulenden und- johlenden Menge gegenüberzu ftehen, Ordnung zu halten und Besonnenheit ¡u bewahren. Wenn wir wollen, daß der Verkehr mit rücksihtsloser Energie geschüßt wird, so. müssen wir auh dafür sorgen, daß die Sußleute körperlih dazu im stande find, den Schuß zu gewähren. Deshalb ist in Aussicht genommen, den Verkehr auf diese Stunden zu beschränken.
Aber, meine Herren, weitergehend habe ih erwogen, ob es nicht nöthig sei, für alle Fälle auch noch stärkere Machtmittel für den Schuß der öffentlichen Autorität heranzuziehen. Ich hoffe, daß wir mit unseren polizeilien Kräften allen sih gegen die ‘öfentlihe Ordnung richtenden Anstürmen die Stirne zu bieten im stande sein werden; aber ich muß mih au auf den Fall rüsten, daß die Aufläufe einen derartigen: Umfang annehmen, daß die Zahl der auf die Polizeimannschaften eine dringenden Excedenten so groß wird, dag die Zahl der Polizei- mannschaften nicht hinreiht. JIch habe infolge dessen gestern Abend in später Stunde mit den militärischen Machthabern von Berlin vereinbart, daß die nöthigen Truppentheile konsigniert würden, um nöthigenfalls gegen die Excedenten einzuschreiten. (Lebhaftes Bravo.) Ih hoffe, meine Herren, daß es niht nötbig sein wird; denn wir werdèn das Leßte einfeßen, um allein und aus eigener Kraft der Sache Herr zu werden. Aber follte das nicht der Fall sein, so ift Vorsorge getroffen, daß auch die militärische Macht zur Stelle und rücksihtslos einzuschreiten in der Lage ift.
Meine Herren, Sie können begreifen, daß diese Dinge mih und meine Verwaltung auf das äußerste bes{chäftigt haben und daß wir bemüht gewesen sind, nah bestem Wissen und Gewissen die An- ordnungen zu treffen, die nöthig, sind, um der öffentlichen Autorität wieder Achtung zu vershaffen. Wir werden nicht erlahmen in dem Bestreben, hier zu zeigen, daß wir dem Janhagel gegenüber noch Herren im Hause sind (lebhastes Bravo), daß wir die öffentliche Autorität wahren wollen und jeden zu Boden werfen, der es wagt, der Majestät des Geseyes sich zu widerseßen. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Kir\ch (Zentr.): Wir müssen dem Minister dankbar sein für feine Erklärungen und für fein energishes Auftreten. Seine Mahnung an die Presse ist sehr angebraht, damit nicht falshe Nach- richten in die Oeffentlichkeit kommen. Jch selbst bin gestern Morgen în einem Wagen gefahren, dessen Scheiben zertrümmert waren und dessen Schaffner von der Menge mit dem Rufe „Streikbrecher !* verfolgt wurden. Der Redner bemängelt in einzelnen Punkten den öffentlichen Anschlag des O Ae das Haus wird jedoch jo unruhig, daß nichts mehr zu verstehen ift.
Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Ich bedaure eigentli diese Diskussion. Wenn wir hier fo formlos über die Sache sprechen, so mat es den Gindruck, als ob sich auh unser die Auf- regung bemächtigt hätte. Wir hatten von vornherein die Meinung, daß die Regierung ihre Schuldigkeit thun würde; es würde nit nöthig gewesen sein, es now besonders zu fagen. Das Abgeordneten“ haus hätte darum niht aus seinem Geleise herauszugehen brauchen. Der Janhagel bemächtigt sich stets solher Gelegenheit. Es darf ih niemand beklagen, wenn es dabei blutige Köpfe giebt. Die Grfkläc ung des Ministers war daher eigentlich niht nöthig.
Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! J{ch wollte nur bemerken, daß ih dafür dankbar bin, daß Herr Graf zu Limburg-Stirum von vornherein das Ver- trauen zu der Staatsregierung gehabt hat, daß sie mit der Energie vorgehen werde, die die besondere Situation erforderlich macht. Ih glaube aber, daß es meine Pflicht war, auf die Anregung, die aus dem Hause an mich erging, ausdrücklich zu «äntworten. (Sehr richtig! links und im Zentrum.) Ich glaube, daß es, wenn auh nicht diesem hohen Hause, so do der Oeffentlichkeit gegenüber (sehr richtig! links und im Zentrum) angebraht war, hier zum Ausdruck zu bringen, wohin wir steuern (sehr rihtig! links und im Zentrum) und daß wir die öffentlihe Autorität chüzen werden, es koste, was es wolle. — (Sehr richtig! links und im Zentrum.) Dem Abg- Kirsch gegenüber, welher, wenn ih ihn richtig verstanden habe, be- mängelt hat, daß am Rosenthaler Thor nit genügend Manu- schaften gewesen wären, bemerke ih, daß am Rosenthaler Thor nicht weniger als 250 Scußleute in Thätigkeit getreten sind. (Hört, hört!)
(S{luß in der Dritten Beilage.)
Pir ha
Dritte Beilage
z zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 22. Mai
1900.
M 122.
(Schluß aus der Zweiten Beilage.)
ben aus den benahkarten Revieren die Mannschaften heran- soweit das möglich war. Wenn der Herr Ab- den Wortlaut der Proklamation des Polizei-Präsidenten tadelt, #0 bemerke i, daß ih niht der Vater dieses Kindes bin. (Heiterkeit) Aber ich nehme das Kind unter meine Fittiche; i glaube : mißverständlich ift die Fassung nicht. Die Proklamation sagt, das Publikum möchte auf diejenigen einwirken, die seiner Obhut unter- worfen sind, also jugendlihe Elemente und Kinder. Bedauerlicher- weise haben si bei den Zusammenrottungen am Rosenthaler Thor viele Kinder mitbefunden, die bei solchen Anläfsen fehr leiht zu Schaden kommen fönnen, und ih glaube, es war rihtig von dem Polizeipräsidenten, daß er Eltern und sonstige Pfleger tarauf hinwies. (Sehr rihtig! links und im Zentrum.) Also der Inhalt der Pro- flamation ist sachlich richtig; die Redaktion, meine id, is nit fo ¡u fritisieren, wie das der Herr Abg. Kirsh gethan hat. Man wolle ¡ch nur in die Lage der Polizei in dieses Tagen verseßen: zu redak- tionellen Kunststücken hat sie keine Zeit. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Rickert (fr. Vag.): Wir halten es nit für zweckmäßig, über die Sache heute zu sprechen, da wir auf die Details doch nicht eingehen können. Wir werden später darauf zurückfommen.
Abg. Dr. Sattler (nl.): Es ist selbstverständlich, daß die Volks8- vertretung die erste Gelegenheit benuyt, die Sache zu besprehen. Es iff erwünscht, daß der Minister erklärt, wie sich die Regierung ver- balten hat und noch verhalten will. Deshalb bedauere ih dieje Bes sprechung nit. Fch bin damit einverstanden, daß die Regierung \#ich niht in Lohnkärmpse einmischen soll, und damit, daß die Ruhe auf den Straßen unter allen Umständen aufrecht erhalten werden muß, und endli auch damit, daß die Regierung nicht den ganzen Verkehr sistieren ließ. Vom 4. bis 6. Mai bat die Polizei mit Ruhe und Höflichkeit ihres Amtes gewaltet. Ich nehme an, daß auch bei den Frawallen der lehten Tage sie es an dieîen Eigenschaften nit hat fehlen lassen. Durch die strafe Aufreterhaltung der Ordnung wird hoffentlih au wieder Ruhe eintreten. Dem Interesse der Strikenden kann nihts chädliher sein, als wenn durch andere Theile dec Be- völkerang die Ruhe gestört wird. Auch im Interesse derjenigen, die in dem wirthschaftlichen Kampfe stehen, muß die Nuhe aufrecht er-
[lten werden i s n ‘Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.) : Ich darf erklären, daß von Wir bâtten
nlemandem in diesem Hause die Exzesse gebilligt werden. gewünscht, daß die Straßenbahngesell|chast mit ihren AngesteUten zur Einigung gekommen wäre und die Arbeitsniederlegung si hâtte ber- meiden laffen. Die Gesellschaft hat in weiten Krei]en der Be- vôlferung feine Sympathie. Der Minister fagt, die Aufsichts- vebôrde hätte eventuell prüfen müssen, ob die bewilligten Zu- gefländnisse der Gesellichaft richtig gewesen wären. Wenn man. si in diesen Streit nicht mis{hen will, so kann man auh nit als Aufsihtsbehörde prüfen, ob das Bewilligte richtig ist. Aber die Auf- gabe der Polizei ist es, die Ruhe aufrecht zu erhalten. Ih kann den Wunsch des Ministers, den er an das Publikum und dtîe Presse richtete, auch an die Polizei richten, milde zu verfahren, um versöhn- tih einzuwirken. Die Berliner Straßenbahngesellsaft hat es ab- gelehnt, das Einigungs8amt des Gewerbegerits anzurusen, Dieses ift allerdings nicht zuständig; aber bei dieser Gelegenheit hätte man alle Möglichkeiten der Einigung versuchen sollen.
Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen:
Meine Herren! Darauf, ob die Berliner Stcaßenbahngesellsha ft Sympathien in Berlin hat oder nit, kann es in dieser Frage über- haupt niht ankommen. (Sehr richtig! rechts) Und, meine Herren, wenn die Berliner Straßenbahngesellshaft in Berlin die Sympathien zum theil verloren hat, fo liegt das auf einem ganz anderen Gebiet als auf dem der Behandlung ihrer Angestellten, Meine Herren, es sind zwei Arten von Forderungen gestellt worden. Die eine betrifft die Lobnfrage. In der Lohnfrage ist die Straßenbahngefellschaft den Ange- stellten so weit entgegengekommen, wie es mit den eigenen Interessen und mit den Interessen derjenigen Berufsarten, die mit den Straßenbahn- angestellten in Vergleich gestellt werden können, verträgliÞ war. (Sèhr richtig! rechts.) Meine Herren, die Differenz zwischen dem Geforderten und dem Bewilligten ift dabei in Bezug auf die Lohn- frag? eine duriaus geringfügige. Dahingegen ist mit meinem vollen Wiffen und mit meiner vollen Billigung die Straßenbahngesellshaft allen Forderangen entshieden entgegengeireten, die fich auf die Ordnung und Disziplin bezogen. (Bravo! rechts.) Meine Herren, da sind Forderungen gestellt worden, mit denen eine Verkehrsanftalt überhaupt nicht ibren Aufgaben gerecht werden kann — keine Verkehrsanstalt! — und die Königliche Staatsregierung wäre in die Lage verseßt worden, wenn die Straßenbahngesellshaft auf diese Forderungen eingegangen wäre, zu erwägen, ob sie nit ihrerseits dagegen einshreiten müsse. (Höri! hört!) Die Straßen- bahngesellshafi is aber nicht auf diese Forderungen ein- gegangen, mit vollem Recht, und in dieser Beziehung muß eine Einigung abgewehrt * werden. (Sehc richtig! red18.) Meine Herren, das Gewerbegericht ist nit zuständig, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil mit vollem Bewußtsein die Straßenbahnen, überhaupt die Kleinbabnen, niht der Gewerbeordnung, fondern einem besondern Gese unterstellt worden find. Es sind eben andere Rük- sichten, die bei den Angestellten der Verkehrsanstalten durhgeführt werden müssen, als bei den Angestellien jeder anderen Art von Bes- trieben ; und tabei muß cs auch bleiben. (Bravo! rets.)
Abg. Dr. Rewoldt (fr. konf.): Es wäre unverftändlich gewesen, wenn das Parlament, das doch in seinen Mitgliedern von diesen Vor- gängen mit betroffen wird, fih niht an der Erörterung betheiligt hätte. Die Erkiärung des Ministers hat uns in threm Gesammt- inhalt vollständig befriedigt, wir stehen auf dem Standpunkt, daß es gut ist, wenn von dieser Stelle ausgesprochen wird, daß die Regierung nah Kräften mit voller Macht den Frieden wahren wird. Manches ift selbstverständlich und muß doch wieder gewissen Elementen in Berlin wiederholt werden; es is rihtig, daß das Berliner Publikum und der Janhagel das erfahren, was in dem Säulen- ars{lag steht, daß unter Umständen diejenigen, die si einmischen, zu gewärtigen haben, daß ihre Gesundheit oder auch ihr Leben gesährdet ist; es ist durhaus wünschenswerth, daß das Publikum ganz klar ficht, damit es weiß, daß es sih etwaige Folgen selbft zuzuschreiben hat. Alles dics gilt vit bloß von Berlin, sondern ift auch für die Pro- vinz von der größten Bedeutung. Aber war es nicht mögliÞ, zu ver- meiden, daß die gestrigen Exzefse bis zu einer solhen Höhe gelangten ? (Die weiteren Ausführungen des Redners sind bei der zunehmenden Unruhe des Hauses unverständlich.)
gei ogen, eordnete
Abg. Dr. Hirsch (fr. Volksp.): Namens meiner Fraktion habe ih dreierlei zu erklären: 1) daß wir uns freuen, daß seitens der Regierung und ihrer Organe irgendwelche Parteinahme in diesem Intere ssenkampfe niht beabsichtigt ist und nicht stattfiadet, 2) daß wir dur&aus damit einverstanden find, daß auf die Art des Kampfes, soweir er auf geseglihem Wege ist, ebenfalls ein Einfluß nicht statt- findet, 3) daß wir in der gegenwärtigen Lage uns nicht für berechtigt und verpflichtet halten, zu dieser Angelegenheit Stellung zu nehmen, da es eine rein wirthsaftlihe Frage ift. f
Abg. Smit -Düsseldorf (Zentr.) kommt auf die Vorlage zurü, welche die wichtigste in dieser Session sei. Die Kommission, führt er aus, hat ih einshneidender Aenderungen möglichst enthalten. Wenn die Eltern ihre Kinder verwahrlosen lassen, so ist es eine Aufgabe des Staats, an die Stelle der gewissenlosen Eltern zu treten. Aus manchen Verbrehern wäre etwas Anderes geworden, wenn si? eine rihtige Erziehung genossen hätten. Die Strafrehtépflege genügt niht, um der Nerwahrlosung der Kinder vorzubeugen. Die Verwahrlosung - beruht vielfach auf wirthschaftlihen Urfachen. Wir {ind der Ansicht, daß dieses Geseg nur als ultima ratio angewandt werden joll. Die Sicherung der guten Erziehung ift nur möglich innerhalb des religiösen Bekenntnisses. Weder im B. G.-B. noch im Str.-G.-B. wird der Ausdruck „Zwangéerziehung“ gebraucht; die Kommission hat den Ausdruck im vorliegenden Falle in „Für- sorgeerziehung“ geändert. Auf den dazu vorliegenden Antrag des Grafen Moltke, den Ausdruck „Fürsorgeerziehung* durh „öffentliche Fürsorge“ zu erseßen, gehe ih nicht ein, ehe ich die Ansicht des Antrag- stellers gehört habe. Von einer Zwangserzichung kann bei diesem Gesetze nicht die Rede sein; ein Zwang liegt nur insofern vor, als der Staat ich hier das Ret zuspriht, in das elterliche Erziehungsrecht ein- zugreifen. Da der Ausdruck „Zwangserziehung“ allgemein Anstoß erregt, so ist der Ausdruck „Fürsorgeerziehung“ wohl zu acceptieren, da er gerade das bezeihnet, was man mit dem Gesetz erreichen will. Fch boffe, daß das Gesetz zu stande kommt zum Segen des Volkes.
Abga. Dr. von Fazdzewski (Pole) erkennt die Nothpendigkeit, der Verrohung der Jugend entgegenzutreten, an. Das müsse man dur die religiôse Erziehung der Jugend und dadur zu erreichen suchen, daß man die Kinder in Familien ihrer Nationalität unterbringe. An dem Ausdruck „Zwangserziebung“ sei nichts zu bemängeln, zumal der dabei nothwendige Zwang vielz Eltern abhalten werde, fh der Gefahr auszuseßen, daß ihnen die Erziehung ihrer Kinder entzogen werde.
Abg. Graf von Moltke (fr. kons.): Der Ausdruck ,Zwang®- erziehung“ deckt si mit dem, was das Gesey will. Deshalb ift es gut, das im Gesey festzulegen, was wir erreihen wollen. Der Ausdruck „Zwangderziehung“ is für mich deswegen -un- annebmbar, weil ih wünsche, daß durch das Gese weite Schichten des Vo!kes wieder mit dem Gedanken erfüllt werden, daß ein großer sozialer Schaden vorliegt, an desen Beseiti- gung sie mitwirken müssen. Da das Volk die Titel den einzelnen Gesezen doch selbst giebt, wie sih an der Bezeichnung „Zuchthaus- vorlage* 2c. zeigt, so habe ih, um eine möglichst genaue Bezeichnung zu ermöglichen, den Antrag gestellt, in der Ueberschrift zu fagen: „Entwurf eines Gesetzes, betreffend die öffentliche Fürsorge für Minder- jährige im Sinne des 8 135 E.-G. zum B. G.-B.“
Abg. von Jagow (koaf.): Au wir stehen der Vorlage sym- pathish gegenüber und müßten es lebhaft bedauern, wenn uns die An- nahme des Gesetzes durch viele Abänderungsanträge unmögli gemacht würde. Das betrifft auch die Ueberschrift. Der Ausdruck „Zwangéerziehung“ ist ganz klar. - Der Ausdruck „öffentliche Fürsorge“ würde dem Gesetz einen sozialistishen Anftrih geben, denn es würde sich dem Zustande des Zukunftsstaates nähern, in dem die Erziehung aller Kinder auf öffentliche Kosten erfolgen foll. Auch sind wir gegen den Antrag des Herrn von Fazdzewski, die Erziehung von polnischen Kindern in polnishen Familien vorzuschreiben, denn dadurch würden dem Geseße zu enge Schranken gezogen. Ich bitte, das Gesey fo anzunehmen, wie es aus der Kommission herausgekommen ist.
Abg. Noelle (nl.): Wir wünschen das Zustandekommen des Geseßzes und halten die Aenderung der Kommission für berechtigt, auch die Aenderung der Bezeichnung _„Zwangserziehung“, wenn auch die Bezeichnung „Fürforgeerziehung“ sprachlih nicht gut ist. Mit der konfessionellen Erziehung sind woir einverstanden, protestieren aber gegen das Verlangen, daß die polnischen Zöglinge in ihrer Nationalität erzogen werden. Es giebt keine polnische Nationalität bei uns, fondern nur eine vreußishe, die Polen sind Preußen mit polnischer Muttersprache. Ueber die Vertheilung der Kosten wünschte ih eine Grfiärung der Regierung. Wir haven in dieser Hinsicht keine Veranlassung zu Abänderunagsanträgen, wir nehmen das an, was der Regierung an- nebmbar ist; die Differenz ift nit jo bedeuten», und wir wollen ouf jeden Fall das Gese zu stande bringen. /
Abg. Goldschmidt: Auch wir halten das Geseg für noth- wendig und heilsam. Das Wort „Fürsorgeerziehung“ ist nicht \chön, drüdt aber die Absicht des Gesetzes rihtig aus. In dem Vorschlage des Grafen Moltke ift von der Erziehung überhaupt nicht mebr die Rede. Wir stimmen den Kommifsionsbeschlüssen zu. _ Herr von Jagow will das Gesetz eventuell an der Kostenfrage scheitern laffen. Der Minister hat früher ertlärt, daß die Uebertragung der Kosten zu drei Vierteln auf den Staat unannehmbar sei. Wird das aber geändert, so lehnen die Konservativen das Geseß ab. Die Differenz ist indefsen nit so kedeutend, um das Gefeß daran seitern zu lassen. Die Kommunal- verbände müssen an den Kosten betheiligt werden, um nicht Kinder in die Zwangserziehung zu bringen, für welche diefe nit nôthig it. Wir wünschen zunächst eine Ecklärung der Regierung über die Kostenfrag?.
Minister des Jnnern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren, ih war eben durch Dinge, die mit dem vorher erörterten Gegenstand im Zusammenhang stehen, in Anspruch ge- nommen und habe daher die Reden der Herren Vorredner nicht in allen Theilen verstehen können. Fh werde mir erlauben, mich zu den einzelnen Anträgen zu wenden, wie sie uns hier vorliegen.
Zunächst zu dem Antrage des Grafen Moltke, bei dem es sich, soweit i ihn in der Eile habe verstehen können, um eine redaktionelle Aenderung handelt, der aber jedenfalls keine grundfäglihe materielle Aenderung will. Jh glaube nicht, daß der Vorschlag, den Herr Graf Moltke gemacht hat hinsichtlich der Ueberschrift, cin sehr glücklicher wäre. Eine Ueberschrift : „Entwurf eines Gesehes, betreffend die öffentlihe Fürsorge für Minderjährige im Sinne des § 135 des Ein- führung8gese8zs zum B.G.-B.*“, scheint mir ziemlich schwerfällig zu sein und würde, glaube ih, niht sehr glücklih als Ueberschrift zu verwerthen sein.
Mas nun die Frage betrifft, ob man den Geseßentwurf ,Zwangs- erziehungs-Gesegentwurf“, „Fürsorgeerziehungs - Gefegentwurf“ oder „Gesetzentwurf für öffentliche Fürsorge“, wie Herr Abg. Graf Moltke will, nennen will, das halte ich für keine Kapitalfrage. Ih hätte gewünscht, man wäre bci der Regierungsvorlage stehen geblieben, weil das Wort „Zrangserziehung“ si in Uebereinstimmung mit § 139 des Einführungs8geseges zum B, G.-B. befindet. Nachdem die Kommission aber beschlossen kat, in dieser Beziehung eine andere Tenorierung zu wählen und also das Wort „Fürsorge-
erziehung“ gewählt hat, \heint mir die Sache nit wichtig genug, um meinerseits Bedenkzn gegen den Kommisfionsbeschluß zu äußern. Ich möchte bitten, daß wir es in dieser Beziehung bei dem Kommissionsbeshluß belaffen.
Meine Herren, was den Antrag des Herrn Abg. Dr. von Jazdzewski betrifft, so geht er dahin, in § 9 festzuseßen, daß die Kinder in einer Familie ihres Bekenntnifses und ihrer Nas- tionalität erzozen werden sollen. Wenn ih annehme, daß Herr Abg. Dr. von Jazdzewski damit meinte, der preußischen Nationaliât, so bin ich einverstanden. (Heiterkeit.) Das ift aber selbstverftändlich, da bedarf es eines solhen Artikels ‘nicht. Sollte er aber andere Nationalitäten meinen, fo erkläre ich, daß wir in Preußen nur eine preußishe Nationalität haben und keine andere (Bravo! rechts), und deshalb würde ih, um Zweifeln in dieser Richtung vorzubeugen, dringend bitten, den Antrag von Fazdzewski niht anzunehmen.
Dann hat der Herr Abg. Schmit, wenn ih — wie gesagt, ih war gerade draußen in Anspruch genommen — seinen Ausführungen richtig gefolgt bin, beantragt, in §9 die Worte „soweit mögli“ zu streichen. Es ift also in § 9, der ja in der Kommission des Herrenhauses wie in der des Abgeordnetenhauses eine sehr cingehende Erörterang gez funden hat, die Fassung dahin gewählt :
Im Falle der Anftaltserziehunz ift der Zögling, soweit möglich, in einer Anstalt seines Bekenntnisses unterzubringen. Im Falle der Familienerziebung muß der Zögling mindestens bis zum Auf- hören der Shulpfliht in einer Familie seines Bekenntnifses unter- gebracht werden.
Es ift also dur die Zusätze, die in der Kommission beschloffen find, absolut sihergestellt, daß das Kind im Falle dec Familienerziehung bis zum vollendeten fchulpflihtigen Alter — also in der wichtigsten Zeit der Bildung von Herz und Gemüth — in ciner Familie seines Bekenntnisses untergebracht werden muß. Eine Ausnahme davon ist nit zugelaffen. Wir haben also, den Wünschen der Herren ent- sprehend, völlig \ißergeftelt, daß im Falle der Familienerziehung die Kinder unter allen Umständen bis zum ‘vierzebnten Jahr in einer Familie erzozen werden die der Konfession des Kindes angehört. Wir waren in der Kommission, glaube i, einig darüber, meine Herren, daß es gerade bei diesen unserer Fürforze am meisten be- dürftigen minderjährizen Kindern unerläßlich ist, wenn wir etwas er- reih2n wollen, ihnen die Wokltkaten des firchlihen Unterrichts, die Wohlthaten ihrer Konfession fo frübß und \}o lange wie irgend möglich angedeihen zu lassen. Darüber bestand, glaube i, in der Kommission gar kein Zweifel; die Frage war nur, wie man diesen Grundgedanken im einzelnen Fall auszugestalten hat.
Gs haben also, glaube i, die Wünsche der Herren jet völlig zufriedenstellende Berücksichtigung gefunden, soweit es ih um Familien- erziehung. bis zum vierzehnten Jahre handelt. Dagegen ift im Falle der Anstaltserziehung der Saß hinzugefügt : „soweit mögli“. Meine Herren, auch von fonservativer Seite, von Herren, die dem Grund- gedanken, von dem der Herr Abg. Schmitz ausgeht, durh- aus sympathish gegenüberstehen, ist, glaube ich, unwider- leglich dargethan worden, daß wir das Wort „soweit mögli“ nicht entbehren fönnen. Es giebt in der That Fälle, wo \ih die Anstaltserziehung niht unter allen Umständen in konfessioneller Weise regeln läßt. Ich glaube, es war der Herr Abg. Bartels, der dargethan hat, daß die Provinz Sachsen, wo nur wenig katholische Kinder find, diese in Erfurt, glaube ich, bei katholischen Schwestern unterbringe, die fie gewissermaßen nur aus Gefälligkeit und Güte aufgenommcn haben, und wie für Salsen die größten Schwierigs keiten entstehen würden, wenn diese Ilöôfterlihe Niederlaffung niht mehr in der Lage sein würde, diese Kinder aufzunehmen. Von anderer Seite wurde darauf hingewiesen : roie soll es denn mit den jüdishen Zwangszöglingen gehalien werden? Es ist nit möglich, für ihre geringe Anzahl Anstalten zu errichten. Das sind zwar Ausnahmefälle. die wir aber berücksihtigen müssen. Ich bin mit den Herren der Ansicht, daß auch die Anstaltserziehung konfessionell gestaltet werden sol, soweit es irgendwie möglih ift. Das \iad nur besondere Auznahmefälle, wie sie in einzelnen Provinzen vorkommen, wodur aber die Ausnahmen begründet werden. J bin ferner bereit, in der Ausführungsinstruktion noch darauf au3- drücklih hinzuweisen, daß, wie die Erziehung unter allen Umftänden fonfessionel sein oll, so auch die Anstaltserziehung, soweit es ircendwie erreihbar ift. Ih bin allerdings der Ansicht, daß das
Mort „soweit mêglih“ eng zu interpretieren is, und ‘daß auch die Anstaltserziehung konfeisionell gestaltet werden soll, soweit es irgend angängig ist. Aber ih glaube, wir können die beiden Worte doh nicht entkehren; denn es kommen, wie ich auh in der Kommission an- gegeben habe, do vereinzelte Fälle vor, wo wir von der Anstalts- erziehung in konfessioneller Beziehung nicht Gebrauch machen können.
Nun komme ih zu einem Punkt, der ja leider nech bisher den hauptsächliFsten Gegenstand bes Streites oder der Differenz bildet, zur Frage der Kosten. Da bedauere id, hier erklären ¿u müssen, daß wir nicht in der Lage sind, den § 15 so, wie er aus der Kommission herauëgekommen ist, anzu- nehmen, und der § 15, fo \{chmerzlih uns das sein würde, das ganze Gesch zum Stheitern bringen würde. Ih darf nohmals in dieser Beziehung an die Entwickelung der ganzen Sache erinnern. Ich darf daran erinnern, daß im ersten Entwurf, der seitens der Regierung ausgearbeitet war, eine Drittelung der Kosten vorgesehen war, der- art, daß die Ortsarmenverbände ein Drittel tragen sollten, die Provinzen ein Drittel und ein Drittel der Staat. Wir haben diesen Modus verlassen, weil es erwünscht wäre, die Ortsarmenverbände
garnicht heranzuziehen, und wir baben auf Anregung der Landes- Direktoren selber, also derjenigen Persönlichkeiten, die doch in erster Linie die Interessen der Provinzen zu wahren berufen sind, beschlossen, nah Maßgabe des Geseyes von 1878 die Kosten zu halbieren derart, daß die Kosten zur Hälfte auf die Provinzen, zur Hälfte auf den Staat ents fallen jollen. Jm Herrenhause ist man darüber noch binausgegangen; man hat gewünscht, den Beitrag3maßstab des Staats noch weiter zu er-