1900 / 123 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 23 May 1900 18:00:01 GMT) scan diff

Dante Landwirthe enecrgisch in Schrß nehmen zu müssen glaube.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Jch bitte, dem Antrage nit zuzustimmen. Zunägst soll nah Absay 1 nur das Fleish von der Vor- und Nach- beshau befreit sein, welches auss{ließlich im Haushalt verwendet wird, das heißt, weles nur Personen, die zum Hauskalt gehören, zum Genuß dargeboten wird. Daran müssen wir festhalten.

Was aber den zweiten Absay betrifft, so würde derselbe für die verbündeten Regierungen völlig unannehmbar sein; denn er würde in dieser Form das ganz- Gesct über den Haufen werfen; es würde dann jedermann in der Lage sein, zu erklären: ih nehme Hauds(lahtungen vor, um binterher troßdem tas Fleis gewerblih zu verwerthen. Es soll in diesem Falle nur eine Nahbeschau, also eine einmalige Unter- suchung, vzrgenommen werden, von der nicht einmal gesagt ist, daß se eine amtlihe Untersuhung sein soll, und tamit kann fh der Haus» \{lächter thatsählich allen Verpflichtungen entziehen, die der gewerbê- mêßige Schlächter zu erfüllen hat. Meines Erachtens wird von dem Deutsten Fleisherverband mit Recht gegen den Antrag ausgeführt :

„Die inländishen Produzenten, welche hau8geschlachtetes Vieh gemerblich weiter veräußern, uns gleihzustellen, daran kann irgend wele Politik niht hindern. Solche Ungeretigkeit strebt aber der Antrag von Schele an, der gestaiten will, Fleisch von haus- ge’chlachteten Thieren in Stücken, und zwar sogar nach Trennung voa den inneren Organen, zur Untersuhhang zu stellen, um fie dann gewerblich zu veräußern

Meine Herren, ih glaube aber, dem Wunsche der Herren Antrag- steller wird vollständig genügt, wenn ih biermit erkläre, daß eine gelegentlihe entgeltlihe Abgabe von Fleis, das von haus- geshlahteten Thieren herstammt, noŸ nit im Sinne des Nahrungs- mittelgesezes einen Gewerbebetrieb darstellt, I kana nur dringend bitten, unter diesen Verhältnissen von Ihre Antrage abzusehen oder, wenn Sie das nit thun wollen, so bitte ich das Haus, den Antrag abzulehnen, weil er in dieser Form das ganze Prinzip des Gesetzes roieder aufhebt.

Aba. Nißler (d. konf.) polemisiert gegen den Abg. Wueznm, der seine früheren Aeußerungen völlig entstellt wiedergegeben babe.

Abg. Baudert (Soz.) kann nit finden, daß der Vergleich des Aussehens der bayerischen Bauern mit den Arteitern Nordteutschlands irgend welhe Beweiskraft hätte. Es gebe Hunderttausende von Arbeitecn, welche nit in der Lage seien, das gesunde Fleisch der bayzrischen OŸfen, Kälber und S(weine ih zu verschaffen, sondern die mit tiligem Fleis vorlieb nebmen müßten. Auch sei keineswegs zutreffend, daß überall das Gesinde auf dem Lande dasselbe Essen, vor allem dasselbe Fleis erhalte wie die Bauernfamilien. Das Sesey folle do vor allem sanitären Zwecken dienen ; mit diefer Tendenz fei die Beseitigung der Fleischbeshau bei Hausshlachtungen ein für alle Mal unvereinbar.

Avg. Wurm: Es kommt doch nicht allein darauf an, was man ißt, sondern wieviel man ifit. Die deutschen Arbeiter bekommen zu wenig amerikanisches Pökelfleish. Ich habe keineëwegs behauptet, daß der bayerishe Bauer das shlechte Fleis ißt; ih habe rur behauptct, daß er das shlechte Fleish verkauft, das gute ißt er selber.

Abg. von Schele-Wunstorf ist nach den Erklärungen des Staattsefretärs bereit, seinen Antrag zurückzuzießen, wenn diese Gr- klärung threm Inhalt nah in die Autführungsbestimmungen auf- genommen werde.

Abg. Dr. Heim tritt dem Abg. Wurm nohmals entgegen. Es komme darauf an, was man effse und wie viel man efffe.

Kommissar des Bundesraths, Regierungsrath im Neichs-Justizamt Oegg erkläct, daß die Aufnahme der Erklärung des Staatssekretärs in die Auéführungsbestimmungen nicht thunlich sei; es sei dies aber au garnit erforderli.

Abg. Wurm: Gerade aus den ländlichen Bezirken ist nah den amtlichen statistishen Ausweisen die Zahl der kräftigen, tauglien jungen Leute bei den Auëbebungen im Rückgang; der Schein trügt also. Daß Hzrr Heim mit antisemitishen Recewendungen auftrat, ist leit verstäándli, handelte es sih do um Shweinereien.

Abg. Dr. Heim: Wollte ih der Geshmacklosigkcit die Krone auf- seßen, fo müßte ich in demselben Ton antworten; ich thue das aber niht. Der Wurm kcümmt sich, wenn er getreien wird.

Abg. von Schele-Wun storf hält nah der (Erklärung des Bundeskommisfsars seinen Antrag aufre@t.

Damit \chließt die Diskussion. wird zurückgezogen.

Der Antrag von Schele wird abgelehnt, der Antrag Bech desgleichen. § 2 gelangt unverändert nah den Beschlüssen zweiter Lesung zur Annahme.

Zu §8 14 a, die Einfuhr ausländischen Fleisches betreffend, liegen die bereits mitgetheilten Anträge von Bonin-Bahren- bush und Aichbichler vor.

Abg. Dr. von Leveßow triit nobmals für den FKompromiß- antrag Aihbihler ein. Die ganze deutsch-klonservative Partei hätte am liebsten gesehen, wenn die Beschlüsse zweiter Lefung mit dem Ginfahrverbot aufrecht zu erhalten gewesen wären, sie hätten au den Antraa von Bonin- Bahrenbush dem Kompromißantrage vorgezogen; aber der bestimmten Er- klärung der verbündeten Regierungen gegenüber hake sih ein Theil der Bartei auf den Kompromißantrag zurückgezogen, um wenigstens einiger- mafen die hygienishen Zwecke des Gesetzes zu e:leihtern und anderer- seits ven ver Lantwirtb1chaft den ihr droßtenden Schaden zum tbeil ab:uwenden. Die Mehrheit seiner Freunde halte allerdings die Zu- geständnifse dieses Kompromißanirages für nicht genügend. Da es h nur um Zweckmäkigkeitserwägungen handle, fo sollte man ein im Sen nüßliches Geseß niht aus folhen Erwägungen zum Scheitern

ringen.

Abg. Dr. Ro esicke- Kaiserslautern (b. k. F.): Durch das Geseß würde in der Behandlung der Fieisbeschau zwisch-n dem Inland und dem Ausland eine dauernde Ungleichbeit geschaffen werden. Dafür wollen wir niht mitverantwortlih sein. Ein Gescß, dem diefer Stempel der Ungleichheit dauernd aufgeprägt ist, kann auz nit in dem Sinne des Staatsjekretärs Grafen Posadowsky als ein fanitäres autgegeben werden. Der Antrag von Bonin-Bahrenbusch, der fi enger an die Beschlüsse zweiter Lesung anlehnt, genügt uns natürlich eigentlich au rit, trägt aber rah unserer Meinung den Bedenken ver verbündeien Regierungen genügend Rehnung. Es handelt sich do um Aus- nabmebestimmungen, und die können nit auf die Dauer festgelegt, sondery müssen an gewisse Fristen gebunden werden, wie wir es für S&inken und frishes Fleisch vorshreiten. Das Pökelfleish aber muß ausgeschlofen bleiben, da bei diesem ein sicheres Ergebniß der nachträglihen Untersuhuang absolut niht gewährleistet ift, während

Der Antrag Hoffmann

antererieits feststeht, daß gerade dieses Fleisch vielfa eminent -

gesundbeitägefährlih ift. Die Landeëgesezgebung hat das Ret, die reihsgeseglihen Bestimmungen zu verschärfen ; gegen das Ausland ciebt es eine folhe Möglikeit nit. Mit einem Gesex, welches zu solchen Konsequenzen fübrt, können wir nihts anfangen; es ist ein Geg zum Schaden der deutshen Landwictbshaft. zu Gunsten des Autlandes. Wo sind denn eigentlich diejenigen läntlihen Arbeiter, welhe nah Herrn Wurm lieber Geldlohn nehmen, ftatt ibr S&wein zu mästen; fo lange die Gegend nit genannt roicd, wo diese Leute wohnen, nehme ih an, daß sie sich im Véonde befindet. Wird der Kompromißantrag angenommen, dann sagen wir: Lieber Fein Gefe als ein soles! :

Abg. Fürst Herbert von Bismarck (b. k. F): Ohne mich auf die Details eirzulassen, die ja ein Sachkenner wie der Abg,

Roesike sehr treflih geschildert hat, möhte ih nur die gegenwäctige Situation beleuhten. Das. ganze Gefey hängt an der Entscheidung über den § 14a. Mögen auch noch mehr Sahkenner wie der Aba. Noesidke Reden balten, das würde uns nicht hinweghelfen über diz Erklärung des Stellvertreters des Reichskanzlers, daß das Geseß für die verbündeten Regierungen unannehmbar fein würde, wenn der Kompromißaxtrag nicht angenommen würde. Die Sache liegt also sehr einfach: entweder das Komvromiß oder der status quo. Einigen Herren von der Rechten ist der status quo lieber ais ‘das Kompromiß. Ich kann nicht zugeben, daß über- haupt nidts verbessert würde, wenn das Kompromiß angenommen würde. Es twoerden doch bestimmte Sachen verboten, die Einfuhr frischen Fleishes wird wesentlih erschwert; und vor allen Dingen ist der gegenwärtige Zustand nahhtbeiliger als da3 Kompromiß. möchte mich lieber auf den Standpunkt des Abg. Gerstenberger stellen, der erklärt hat: Wenn ih nicht das Ganze bekomme, fo nehme ich einen Theil als Abs{lagszahlung. Jeder Kaufmann, der nit 100 9/ crhalten kann, nimmt 30 oder 40 und behält ih das Uebrige vor. Damit müssen wir rechnen, wenn wir auch die Motive der verbündeten Regierungen nit kar erkennen. Allerdings liegt bier cine Inkonsequenz vor im Verbältniß der Verhandlungen des Inlandes zu dem Auslande. Welche Gründe also die verbündeten Regierungen dabei antreiben, diese Inkonsequenz Geseß werden zu lassen, ist uns nit ganz klar. Es handelt si dabei wohl um ein gewisses Imponderabile. Wenn wir uns vergegenwärtigen, was der Staatssckretär Graf Posadowsky gestern gesagt hat: ein guter Staatsmann habe Rücksichten zu nehmen, so ist vielleicht nah der Richtung die Erklärung zu finden, weshalb die Regierung mit foldem Nahdruck sich für das Kompromiß erklärt hat. Es handelt ih bier um eine reine Sahe der Zweckmäßigkeit; man kann darüber verschiedener Meinung sein, brauht sich abec nit zu ecauffizren, und ih freue mi, mit welher Ruhe gestern u2d beute debatttert worden ist. Ih stehe auf dem Standpunkt der Utilität ; das Bessere ift des Guten Feind. Jh habe in meinem Wahlkreife mit angesehenen und einflußreichen Landwirthen und Viehzüchtern ge- \spro®en, und nit einer hat den Standpunkt des Abg. Roesidke vertretea; alle sagten: wir wollen lieber eine Abschlagszahlung nehmen, als den jeßigen Zustand behalten. Ih habe mi besonders gefreut, wie bei der gestrigen Debatte der ver- ehrte Herr von Wangenheim und der Vertreter der ver- bündeten Regterungen eine Kraftprobe von sich gewiesen haben; mit Erstaunen habe ih in der Prefse aller Parteien gelefen von einer Kraft- und Generalprobe. Aber bei dieser einfahen Sache, wo es ih um die Zulassung von gepökelt:m Fleisch u. f. w. handelt, kann man doch nit von einer Kraft- und Generalprobe“ sprehen. Ih möchte anbeimstellen, daß wir die Kraftprobe der grundfäßglicen wirth- {aftlichen Auffassvngen hinausschieben bis zur Debatte über den neuen Zolltarif und die Handelsverträge. Ich hoffe, daß dann die verbündeten Regierungen und die Mehrheit des Hauses mit vereinten Kräften eintreten werden zum Sckchuze der Landwirthschaft. Hier wicd \{limmsten Falles auf zwei Jahre - und sieben SNtonate abges{lofien, nicht, wie bei den Handelsverträgen, auf zwölf Fahre. Ergiebt sich in den nähsten sech8s Monaten, daß das acht- vfündige Pökelfleish gesundheits{ädlich ist, fo wird es nach der gestrigen Erklärung des Grafen Posadowsky ebenfalls unter ein geseß- lies Verbot gestellt werden. Das Gesetz ist ja ledigli im Interess- der Hygiene erlassen worden; rüßt es nebenbei der Landwirtbschaft, 10 it das sehr erfreulih. Auf den Zolltarif und die Handhabung des- selben im Einzelnen einzugehen, davon darf ich mi wohl dispensieren. Die Befürchtung, daß der § 14a von der amerifanishen Regierung unanzenchm empfunden werden könnte, theile ih niht; es handelt sich ja hier um einen ft der autonomen Gesetzgebung. Der Konsum des amerikanischen Fleiscz:8 bat übrigens ftarf abgenommen, nachdem man erkannt hat, daß cs vielfah mit Reit zu beanstanden war; das wird ja sogar von Chicago-r Blättern zugestanden, welhe mit dürren Worten erklären: „Deutschlanz will unfer einbalsamiertes Fleish nicht mehr haben, und wir danken ebenfalls dafür.“ Ich bedauere freilih, daß die Re- gierung den Schuß der deutsden Fleis(händler niht auch auf das Pöfelflzisch ausdehnen will; bei der winzigen Menge dieses Import- artifels wäre das wohl möglich gewesen. Aber jedenfalls ift das Gese au in der Kompromißfassung besser als der heutige Zustand, und daher werde ich dafür stimmen

Aba. Wurm: Es handelt sich also nur um eine ganz vorüber- gebende Ecleizterung in Bezug auf das Pökelfleisch; es wird also auf das völlige Verbot des amerikanishen Fleishes hingesteuert. Aber die deutsche Armee hat 20 Jzhre lang amerikanishes corned beef erbalten; wie reimt sich das mit diesen bygienishen Rü- sichten ? Ucbrigens bat man nie etwas davon gehört. daß der Ge- sundheitszustand der Armee darunter gelitten hätte. Ja Amerika ist übrigens die Fieishbe]chau weit gründlicher und umfassender dur- geführt als bei uns; tarüker schweigt aber die Regierung und auch die Vorlage enthält darüber kein Wort. Die amerikanishen Fleisch- beïcauer sind vom Staate bezaëlte und vereidigte Beamte.

Abg. Fit (anl.) erklärt, er halte im Prinzip für die Belästi- gung-a, welche der heimiszen Landwirthschast dur die Beschau er- rwoûdszn, cine Kompensation durch die Erichwerung der autländishen Konkurrenz für gebotea und bätte das Ginfuhrvcrbot jedem anderen Ausweg vorgezogen. Eine Vertheuerung des inländischen Fleisches sei davor nit zu befürhter. So werde er für das Kompromiß ftimmen. Da Bavern längst die Doppelschau habe, fo könne diesem Lande aus dieser Vorschrift cin Schad2n üderhaupt nick&t erwachsen. Die arößtze Zahl der Nationalliberalen werde für den Antrag Lichbichler stimmen. Í :

Darauf wird ein Schlußantrag angenommen.

__ Die Abgg. Reißhaus (Soz¿.) und Dr. Müller - Sagan (fr. Volksp.) \prehen ihr Bedauern darüber aus, daß ihnen durch die Annabme des Schlußantrags das Wort abgeschnitten worden fei.

Der Antrag von Bonin-Bahrenbusch, welher nur Speck, Schweineschmalz und Därme sowie unter gewissen Bedingungen bis zum 31. Dezember 1903 geräucherte Schweineschinken und frisches Fleish vom Auslande zugelassen wissen will, wird ab- gelehnt, der Antrag Aichbihler in namentlicher Abstimmung mit 158 gegen 123 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung an- genommen. _

Der Rest des Gesches wird mit einer redaktionellen Aenderung des Z 25 ebenfalls angenommen und ebenso folgende Nesolution:

„Ver Rciästag erklärt es für angezeigt, daß in Ergänzung des Geseyes über die Schlachivieh- usd Fleijhbeschau dur Landes- geseße öffentliche SélachtviehverfäiWerungen unter Heranziehung itaatliher Miitel eingericztet und Maßnahmen zur angemessenen Verwerthung der verworfenen Theile des Shlahtthieres getroffen werden.“

Die Gesammtabstimmung über das ganze Gesetz, die cine namentliche sein soll, wird ausgeseßt.

Darauf vertagt sih das Haus.

Schluß nah 6 Uhr. Nächste Sizung Mittwoch 11 Uhr. (Nachtrags-Etats, Gewerbeordnung, Münzgeseß, Abstimmung über die Fleischb:-shauvorlage.)

Brenßzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 73. Sizung vom 22. Mai 1900, 11 Uhr. Ucber den Beginn der Sizung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Zur Berathung steht der Antrag der Abgg. von Eynern

(nl.) und Genossen, betreffend die Ueberweisung eincs Fonds von 50 Millionen Maxk aus den Ueber-

\hüssen des Etatsjahres 1899/1900 an die Pre. vinzialverbände. : 5 Die Kommission beantragt, statt des Antrages von

Eynern folgenden Antrag anzunehmen:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in der nägsten Session einen Geseßentwurf vorzulegen, wodur die den einzelnen Provinzialverbänden gemäß dem Dotationegeseß vom 8. Juli 1875 zustehende Dotationsrente unter Berücksichtigung der Benachtheiligung der leistungs\{wahen Provinzen durch die Bestimmungen deg S 20 a. a. O. und der seitdem durch die Gesetzgebung herbei, geführten höheren Belastung, ferner einerseits der Leistungsfähigkeit andererseits der Hôhe der ¿ur Erfüllung ihrer Aufgaben noth, wendigen Leistungen dieser Verbände erhöht wird.“

Abg. von Jagow (konf.): Wir stimmen für den Kommissions antraa aus den von dem Berichterstatter angeführten Erwägungen, Die Ueberlastung der Kommunen giebt zu ten allerernftesten Bedeaken Veranlassung und muß unheilvoll werden, wenn ihr nit entgegen, getreten wird. Dabei ist der Grundkesig jeßt mehr verschuldet als früher, seine Erträgnisse sind zurückgegangen, mit einzelnen Zahlen läßt sich da fein flares Bild geben. Wonn es Gemeinden giebt, die über 400% an Zusclägen erheben, so sind das Zustände, die zum Ruin führen müssen. Die Kreis- eingesessenen stellen oft übertriebene Ansprüche, Und wenn die Aurlichtsbehörde sie nit genehmigt, sagen sie, daß sie ihre Interessen besser kennen müßten. Einer Quotifierung der Einkommen- steuer, welche in der Kommission berührt worden ist, können wir aus allgemein politishen Gründen niht zustimmen ; fie würde nur den Wohlhabenden nügen, aber nit den Kreisen, welchen wir aufßelfen wollen. Die Ergänzungssteuer hat viele Gegner, wir meinen aber, daß eine Revision der Ergänzungt steuer noch nit angebra@t ift. Es ift nit angezeigt, aus dem großen Werk der Steuerreform ein Glied berauszunehmen. Die Annahme des Antrages von Eynern ist uns nicht möglih, weil er das Suldentilgung8geseß durh- briht und wir in s{lechten Jahren unsere Bedürfnisse durch Anleihen decken müßten. Wir sind deshalb für den Kommissions- antrag. Es bleibt nihts Anderes übrig, als daß bei der guten Finanz lage des Staats den Provinzen eine nicht zu stark bemefsene Summe überwiesen wird. Ge die Verth-ilung muß ein gereter Maßstab gefunden werden. Jn hervorragender Weise muß dabei auf die öft. lichen Provinzen Rücksicht genommen werden. Meine Feunde erwarten, daß die Regierung sofort und mit Eifer das Material aufstellt und uns einen Gesetzentwurf mit thunlichster Beschleunigung vorlegt.

Vize-Präsident des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ich glaube, daß das hohe Haus in allen seinen politishen Parteien gegenwärtig in dieser Frage mit der Staats- regierung in vollstem Einklang steht, und ih zweifle nit daran, daß die Resolution, welche die Kommission zur Annahme empfiehlt, nahezu einstimmig durhgeht. Ih brauÿe daher niht sehr tief auf die ein- zelnea Fassungen einzugehen. Wenn es da z. B. heißt: in der nächsten Session, so verstehe ih das so, daß, sofern die unmittelbar bereits ein- geleiteten und eifrig zu fördernden Vorarbeiten die Vorlage zulaffen, aber nit, wie {hon Herr von Jagow gesagt hat, daß unter allen Umständen das Haus fordert, einerlei, ob die Klarstellung und Vor- bereitang der ganzen Sahlage bis dahin möglich ist, daß die Regie- rung mit einec so schwierigen Vorlage vor das Haus uabedingt treten foll.

Meine Herren, vor einiger Zeit bat mir der Abg. S@mieding den Vorwurf gemacht, die Staatësteuern wären zwar ganz s{ön geregelt, aber nit die Kommunalsteuern; denn es seien die Kommunen auf eine ganz entseglihe Weise dur die hohen Zuschläge überlastet, die sie zu den Staatssteuern erheben müßten. Er hat aber selbft hinzugefügt, in seiner Heimath sei die Aufgabe, die Kommunen über- haupt anders zu organisieren, aus den fleineren Verbänden größere ¡u malen. Darauf müßte entsheidendes Gewicht g-legt werden. Ja, meine Herren, diese Aufgabe halte ich für gestellt, aber fie ift so eminent s{chwierig und würde cine so große Mißstimmurg vielfa erregen, die Gegensäße der Kommunen unter einander derartig vertiefen, daß man darauf nach meiner Meinung als augenblicklihe Abbilfe nicht verweisen kann. Aber jedenfalls wäre das nicht meine Aufgabe, sondern das is die Aufgabe der allgemeinen Verwaltung, das fällt nicht in das Ressort des Finanz-Ministers. Nun muß ih aber doch daran erinnern, daß gegenüber den namentli in den 80er Jahren erhcbenen Klagen über den tamaligen Nothstand der Kom- munen, die Steuerreform den Kommunen 100 Millionen überwiesen hat, indem der Staat alle Realfteuern prei2gab ‘und den Kommunen diese neuen Steuérquellen eröffnete. Ih muß ferner taran erinnern, daß die Fruhtbarmahung und gerechte Veranlassung dieser Real- steuern als Kommunalsteuer den Kommunen völlig freigestellt ift. In keinem Lande der Welt haben die Kommunen in dieser Be- ziehung mehr Befugnisse und fceiere Hand als in Preußen. Ih kaun allerdings nicht verhehlen, wie ih das hon bei der Be» rathung der Waarenhaussteuer ausgedrückt habe, daß bis jet die Kommunen von diesen außerordentlichen Befugnissen sehr wenig Ge- brau gemadht haben, wenigstens nur in seltenen Fällen. Gewiß ist die kommunale Grundsteuer innerlich durchaus berehtigt; aber es kommt darauf an, wie sie gehandhabt wird. Ich höre z, B., daß, naGdem in Breslau eine Grundsteuer, umgelegt nach dem gemeinen Werth der Grundstückz, eingerihtet worden ist, den Klagen der Grund- eigenthümer, die wir hier jährlich höôren, wesentlich abgeholfen ift, indem namentli% die mittleren Grundst?cke außzrordentlih dadur entlastet wurden. Warum gehen niht alle größeren Städte an die Reform wenigstens der Besteuerung des Grundeigenthums, wenn ihnen die anderweite angemessene kommunale Regelung der Gewerbesteuer zu schwer wird? Wir . müssen hoffen, daß, wenn di? ‘Kommunen diesen Weg energisch in Angriff nehmen, wobei die Staatsregierung durhaus gewillt ift, wie bisher so au in Zukunft den Kommunen nach allen Richtungen zu H!lfe zu kommen, ein erheb- licher Thel der Klagen vershwinden wird.

Aber, meine Herren, Herr von Jagow hat mit großem Recht darauf hingewiesen, daß ein grcßer Theil der Ueterlastung der Kow- munen mit Steuern hervorgerufen ist durh zu geringe Berücksichtiguns der Kräfte und Mittel, durch Ausgaben, die vielleiht ganz hätten ver- mieden werden können, die aber jedenfalls viel zu {nell hinterein- ander, ohne daß cine folche Kommune erstarkt und allmählih wieder zu Kräften kommt, namentlih infolge des Drängens der Interessenten von den Städten sowokl wie den Kreisen durchgeführt worden sind.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

(S{luß aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, wir hatten ja früßer in Preußen leider gar keine bestimmten klaren Grundsätze, unter welchen Vorausseßungen eine kommunale Anleihe genehmigt werden würde; das geschah nach zu- fälligen Gesihtspunkten, ohne feste Prinzipien. Wir sind sehr bald es war eine meiner ersten Maßregeln in meinem Ressort dazu übergegangen, den Kommunen gegenüber flare Grundsäße’ aufzustellen: was darf aus Anleihen gemaht werden, und was muß aus laufenden Mitteln bezahlt werden? Das war bei vielen, auch großen Kommunen, dringend nothwendig; denn wenn fie den früher üblihen Weg, alles, was irgend angängig war, auf Anleihen zu werfen, an die Zukunft gar nicht zu denken, die s{önsten Einrichtungen der Gegenwart zukommen zu laffen, ohne fie zu belasten, weiter fortgeshritten wären, so hätte das Folgen haben können wie bei vielen italienishen Städten. Diese Grundsätze haben wir aber heute, und im allgemeinen reichen sie auch aus. Wir sorgen bei kommunalen Anleihen, die in die Zentralinfianz kommen, auf das Genaueste dafür, daß diefe Grundsätze inne gehalten werden. Da muß ich mich allerdings mit Herrn von Jagow darüber wundern, daß oft wir Anleihegenehmigungen von Provinzialinstanzen empfohlen bekommen, von denen man garniht begreift, wie fie haben ohne weiteres genehmigt werden FTönnen. Die Bezirksausshüsse sind in dieser Beziehung bisweilen etwas lax und ich weiß nicht, ob sehr viele Provinzialbebörden, die ja, wie jeder verständige Mann, einen Fortschritt auf dem Gebiete der kommunalen Einrihtungen wünschen, die finanzielle und wirth- \haftlihe Lage der betreffenden Kommunen genügend ins Auge fassen. Man muß häufig als verständiger Mann von der sofortigen Dur@führung an sih nügliher Maßregeln absehen, wenn man fleht: die Kräfte sind nicht da, und die Lasten der Kommunen werden übers spannt. Ih würde wünschen, daß in dieser Beziehung unsere Bezirks- aus\schü}se anfingen, noch genauer die Lage der betreffenden Kommunen im allgemeinen zu studieren und niht bloß den Fall einer wünshens- werthen Einrichtung für \sich zu prüfen. Auch sollen die. Regierungen vorsichtig sein gegenüber den Kommunen, welche die Kräfte wohl be- fißen, allzusehr auf sogenannte fulturelle Fortschritte zu drängen. Die Regierung nuß die Lage der einzelnen Kreife, der Kommunen genau fennen und dana sachlich und materiell nah allen Richtungen objektiv urtheilen.

Meine Herren, dies ist einer der wesentlihsten Gründe der Ver- \{uldung der Kommunen und der größeren Verbände; wie wir denn überhaupt bewußt oder unbewußt in einer Zeit leben, wo alles darauf sinnt, viele Einnahmen zu erringen, aber nit daran denkt, auch Er- sparnisse zu machen und größere Vorsicht in den Ausgaben walten zu lassen. Die Ausgaben werden leiht bewilligt, damit ift jeder einverstanden ; der kleinste Ort will eine Kanalisation, eine Wasserleitung, chöône Straßen, - breite Trottoirs u. f. w. Der hinkende Bote kommt aber nach. Alle die Herren, die in Kommunalverwaltungen sigen, follten diesen Gesichtspunkt fih recht scharf vorstellen.

Meine Herren, es wird sich zeigen, daß rechte Verschiedenheiten in folhen Fragen in den Provinzialverwaltungen vorhanden find. Ich kenne doch manz Provinzialverwaltung, die in der Steigerung ihrer Auz?gaben etwas {nell war; andere aber, die außerordentlich sparsam verwaltet haben, dürfen wir doch au niht vergessen; sie haben sich der Ausgaben mehr enthalten, haben die Genüsse von diesen Au8gaben niht gehabt und haben au natürliÞ weniger Kommunallaften zu tragen. Was unsere Kommunalverwaltung im besonderen betrifft, so kommen nah meiner Meinung diese Nothstände, die rapide Steigerung der Verschuldung, die rashe Erhöhung der Zuschläge wesentlich aus folgenden Gründen. Einmal aus der ursprünglih falshen Ver- theilung der Staatsgelder an die Provinzen, und das liegt vor allen Dingen in der Vertheilung der Gelder für die Wegeleistungen. Darüber will ich nicht weiter sprechen; es wird heute allgemein an- erkannt, und wir werden diesen Punkt bei den neuen Revisionen vor- zugsweise ins Auge fassen müssen. Fh gebe dabei dem Bericht- erstatter zu, daß man dabei nicht bloß das, was an Wegebauten er- reiht ist und welche Lasten dafür die Verbände auf sh genommen haben, sondern au die mit einiger Sicherheit, aber auch mit Vorsicht zu berechnenden, noch von den neuen Verbänden für die Zukunft auf diesem Gebiete zu leistenden Aufgaben einer Berücksichtigung unter- ziehen muß. Unsere Aufgabe kann doch nur sein, nah Maßgabe der Leistungsfähigkeit und des wirklihen Bedürfnisses niht des Phantasiebedürfnisses kulturell mit diesen Staatsgeldern zu arbeiten, Die großen Aufgaben, die die preußischen Könige im vorigen Jahrhundert ih stellten, die ihr ganzes Augenmerk auf die Hebung des Ostens vorzugsweise warfen und dafür die erforder- lien Opfer brachten, sind auf manchen Gebieten infolge der Ent- widelung der preußishen Finanzen und der Gejammtaufgaben Preußens in diesem Jahrhundert mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Ih will das nicht näher ausführen. Preußen konnte au nit anders. Nah den Freiheitskriegen waren unsere Finanzen so knapp, daß nur durch die größte Sparsamkeit und Einschränkung die absolut noth- wendigen Ausgaben geleistet werden konnten; es hat sehr lange gedauert, ehe Preußen die Folgen des siebenjährigen Krieges und des Freiheits- krieges finanziell überwinden konnte. Nachdem dies nahezu erreiht war, kamnun die große Aufgabe der Unifikation Deutschlands, kamen die Kriege, die sih daran knüpften. Die ganze Aufmerksamkeit der Regierung war auf diese große nationale Aufgabe gerichtet. Wiederum trat diese, ih möhte sagen, Aufgabe des Kulturtragens nach dem Often in den Hintergrund.

Jett sind wir allerdings wieder mehr in der Lage ich stimme in- dieser Beziehung Herrn von Jagow bei —, diese Aufgabe nah Kräften in die Hand zu nehmen. Wir haben es {hon dur eine große Anzahl von Gesezen und Maßregeln gethan; wir seyen nur die große nationale und kulturelle Aufgabe Preußens fort, wenn wir jegt an die Revision des Dotationsgesezes gehen.

Zweite Beilage zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preuß

M 123.

Berlin, Mittwoh, den 23. Mai

Dabei if ja niht zu verkennen, meine Herren, daß man die Begriffe Often und Westen doch sehr cum grano salis nehmen muß. Wir haben im Westen auch Landestheile, die dringend der Staatshilfe bedürfen. (Sehr rihtig!) Es wäre die größte Un- gerechtigkeit, wenn man gewissermaßen bei dem Endpunkt Berlin eine scharfe Sch‘ide machte und den einen Theil si selbs überließe, den andern mit Staatsmitteln um fo stärker unterstüßen wollte. Hier muß auh ausgleihende Gerechtigfeit sein, ein vernünftiges Abwägen der einzelnen Fragen, und auch nur auf diesem Wege wird es mögli sein, zur Zufriedenheit aller Betheiligten die Zustimmung des Land- tages zu einer solhen Vorlage zu erlangen.

Daß das Werk ein eminent \{wieriges ist, wird von allen Seiten anerkannt; der Herr Berichterstatter sowohl wie Herr von Jagow haben vollständig anerkannt, daß dazu ein bedeutendes statistisches Material gehört, welches bestätigen muß, wie die Dinge im einzelnen zu behandeln sind; während wir von den Dingen im Großen und Ganzen genug wissen, um die Richtung der Revision zu beurtheilen, ist doch unsicher, ob wir bis zur nächsten Session eine Vorlage maten können; aber ih kann namens der Regierung versprechen, daß wir alles aufbieten werden, um dies zu ermöglichen, und ih kann weiter hinzufügen, daß wir {hon in kommifsarische Berathungen der Herr Minister des Innern mit dem Finanz-Ministerium ge- treten sind, um die Sache ohne Verzag in Angriff zu nehmen und mit der möglihfsten Bes(leunigung durhzuführen.

Man hat hier wieder von der Quotisierung der Einkommensteuer gesprohen und hierauf als auf ein Mittel zur Abhilfe hingewiesen. Die Quotisierung der Einkommensteuer konnte, ehe die Staatefinanzen in einer so hervorragenden Weise von den Resultaten der Staats- betri-be abhingen, vielleiht eine nüßlihe Wirkung ausüben, indem fie dem Landtage immer vor Augen hielt, daß beim Drängen, fort- während neue Ausgaben zu machen, sofort das Gegenbild in der Er- höhung der Steuer sih zeigen würde. In so fern ist die Quotisierung der Einkommensteuer für die Finanzverwaltung an si vortheilhaft, Bei uns aber ist die Bedeutung dieser Frage fo zurückgetreten, daß gegenüber den Uebershüssen der großen Betriebe ein Erlaß von Steuern in einem Jahre von 5,6 °/9 kaum noh irgend eine Wirkung auf die ganzen Staatsfinanzen haben würde. In so fern steht diese Frage heute ganz anders; siz hat weniger Bedeutung auf finanziellem Gebiet, sondern hat vielleiht noch eine gewisse Bedeutung auf politishem Gebiet. Aber, meine Herren, bei den Kommunen existiert jx die Quotisierung der Steuern ; diese sind jedes Jahr berechtigt, die Zu- {läge herauf- oder herunterzusezen. Was will man mehr! Wie wenig durgreifend das auf die Sparsamkeit in den Kommunen selbfi ges wirkt bat, haben wir eben {on betührt. Deswegen waren die Ein- kommensteuerzuschläge gegenüber der Realsteuerbelastung so kolofsal gestiegen, weil nihts leiter ist, als ein paar Prozent mehr zur Ein- kommensteuer zu bewilligen, während es recht s{chwierig ist, die Real- steuern ordnungsmäßig heranzuziehen.

Ueber den Antrag des Herrn Akg. von Eynern \preche ih nit mebr. Sowohl der Herr Berichterstatter als auch Herr von Jagow baben die Gründe dargelegt, aus welchen dieser Antrag für die Staatsregierung garnicht annehmbar gewesen wäre. Das Staats- Ministerium is si darüber vollständig klar, daß es eine entschiedene Pflicht einer au an die Zukunft denkenden, vorsihtigen Finanzverwaltung Preußens ift, das Staatsshuldengeseß in keinec Weise durhbrechen zu laffen. Die Neigung dazu wird immer vorhanden sein. Shuldentilgung halten viele Menschen überhaupt nicht für nöthig. (Heiterkeit.) Ieden- falls werden sie, wenn sie in der Lage sind, statt der Schuldentilgung eine andere angenehmere Ausgabe zu machen, sehr geneigt sein, diese vorzuziehen. In Preußen sind, wie ih in die Erinnerung zurückrufen möchte, seit 1880 durhschnittlich nur 0,80 %/ SWulden bis heute getilgt ohne zuwachsende Zinsen, während wir den Kommuner. heute eine Schuldentilgung mindestens mit 19/9 unter Zuwachs der Zinsen, ja neuerdings sogar, wo es sich um Privatbetriebe handelt, ao viel höhere Tilgungsprozente auferlegen. Es kann niht daran gedacht werden, daß wir in Preußen den Steuerzahler der Gegenwart allzufehr durch übermäßige Schuldentilgung für die Zukunft und die zukünftigen Aufgaben in Anspruch nehmen. Schon aus diesem Grunde war der Antrag von Eynern für uns niht annehmbar; hat man einmal den \{ônen Apfel verzehrt, dann wird das zweite Mal nicht lange ausbleiben, dann wird es heißen: l’appétit vient en mangeant, Wenn wir einmal zu irgend welchen Zwecken dies Prinzip durhbrechen, dann haben wir keinen Halt mehr, dann würde die Schuldentilgung bald wieder aufhören.

Nach dem, was ih gesagt habe, erkennt die Staatsregierung ein Bedürfniß der Revision der Dotationsgeseze an (Bravo!), und fie wird au sofort die Vorarbeiten eintreten laffen.

Ich möthte mi enthalten, Gedanken, die man jeßt {on im Kopf hat, in welher Weise im einzelnen die Revision zu gestalten ift, hier auszusprehen; ih bin in meinem Urtheil wegen Mangels an Material noch ebenso unsicher wie die Staatsregierung überhaupt. Wie hoch diese Dotation sein wird, kann ih heutzutage au nicht sagen. Das wird auch von den Staalsfinanzen abhängen. Man muß ja in der heutigen Zeit und bei der Gestaltung unserer Finanzen sehr vorsichtig sein in der dauernden Belastung des Staats mit Ausgaben. Aber wir werden so weit gehen, wie wir mit gutem Gewissen nah der Lage der Finanzen gehen können, Das Eine kann ih aber sagen, daß die Revision niht den Charakter einer Aus- gleihung in dem Sinne haben wird, daß der einen Provinz genommen und der anderen gegeben würde. (Sehr rihtig) Nachdem die Provinzen einzelne vielleicht reihlich nah ihrem Bedürfniß mal diese Zuwendungen bereits mehrere Dezennien hindurh gehabt, ihre ganze Verwaltung darauf eingerihtet, Einrihtungen aller Art auf dieser Basis geschaffen haben, würde es nach meiner Meinung ganz unmöglich sein, diesen Provinzen wiederum ihre jeßigen Dotationen zu vermindern. (Sehr richtig!) Das kann niht ein- treten. Wenn eine Revision dahin führt, dea Staat stärker heran- zuziehen, die nothleidenden Provinzen zu entlaften, so muß das durch

neue Zuschüsse aus der Staatskasse gemaht werden. Darüber wird

ischen Staats-Anzeiger.

1900.

man si klar sein müssen, und auf dieser Grundlage werden wir die Sache aufbauen.

Nachdem der Antrag von Eynern zurückgezogen is, bin ih ganz damit einverstanden, daß die Resolution, die ja im wesentlichen auch der Resolution des Herrenhauses entspriht, vom hohen Hause angenommen wird. Meine Herren, ich möhte aber noch eine Be- merkung magen: ganz klar ist die Resolution in ihrer Fassung nicht. Ih stche auf dem Standpunkt, den wir au, sowohl mein verehrter Kollege der Herr Minister ves Innern als ih, gestern ausgesproŸen haben, daß es unmöglich ift, eine Selbstverwaltung auf der Bafis zu begründen, dzß, wenn die Ausgaben steigen, wie das ja in der heutigen Zeit nah unseren gesammten Verhältnissen gar nit anders au in der Zukunft zu erwarten ift, dann der Staat jedesmal gehalten werden soll, die gestiegenen Ausgaben den Provinzen zu erseßen. Ein folches Prinzip kann unmöglich stabiliert werden in Preußen, und im Herren- hause haben mehrere Herren, die schr nahe der Kommunalverwaltung stehen, ausdrüklih erklärt, daß sie in dieser Beziehung ganz auf meinem Standpunkt ständen. Darauf können wir uns also nicht einlassen, Ganz anders liegt die Sache, wenn zurückgebliebene Provinzen, die eigene Kräfte nit haben, eine klar zu berechnende Leistung durchzuführen haben, die in Zukunft ihrer wartet; da hat der Staat eine feste Dotation in erhöhtem Maße zu geben. Dann aber geht ihn die weitere Ent- wicklung nihts mehr an. Denken Sie an das Wort eines großen englishen Staatêmannes, der sagte: Selbftverwaltung ist ohne Selbst- verantwortlichkeit ein Unding. Ich bitte, bei der ¿zukünftigen Revision des Geseges diesen Gesichtspunkt nicht aus dem Auge zu verlieren. (Bravo!)

Abg. Graf von Moltke (fr. konf.) spricht ih für dea Kom- missionsantrag aus, bleibt aber im einzelnen unverständli. :

Abg. Friten (Zentr.): Die Frage ist allerdings sehr \chwierig, ih hoffe aker do, daß uns in der nähsten Session eine Vorlage ge- mat werden kann. Man spricht über die hohe B:lastung der Kom- munen, aber die Kommunen werden häufig durch ftaatlihe Organe zu neuen Au8gaben gedrängt, z. B. für kostspielige Sbulbauten. Wenn der Aufschwung im Erwerbsleben wieder eine rüdläufige Bewegung nimmt, wird den Kommunen nichts Anderes übrig bleiben, als hohe Zuschläge zur Einkommensteuer zu erheben. Deshalb follten fie rechtzeitig Fonds für Schuldentilgung bilden. Der biéherige Maßstab für die Bertbeilung der Provinzialdotation ifi ungerecht, deshalb muß eine Revision vorgenommen werden; aber ohne wesentlihe Erhöhung der Dotation ist nichts zu mahen. Ih empfehle die An- nahme des Kommissionsvorshlags und erwarte die Vorlage in der nächsten Session.

Abg. Krawinkel (nl.): Der Antrag von Eynern hat seine volle Schuldigkeit gethan und die Erörterung dieser witigen Sache ver- anlaßt. Der Kommissionsantrag geht noch über unseren Wunsch hinaus, insofern er eine dauernde h3here Dotation verlangt. Bhne Einschränkung darf man aber niht fagen, daß die östlihen Pro- viazen mehr bekommen sollen, denn es müssen niht nur die Pro- vinziallasten, sondern au die Kommunallasten mit in Betracht gezogen werden. Die Belastung der Gemeinden ift vielfa erdrückend und unerträglih, und ich erkenne an, daß dies namentlich in landwirthshaftlihen Gegenden der Fall is. Herr von Miquel beklagt das leihtsinnige Schuldenmachen der Kommunen, aber ter Staat hat selbst auf neue Shulbauten 2c. hingedrängt. Aller- dings müssen die Städte in der Aufaahme neuer Anleihen vorsichtig sein, aber darunter dürfen die Kulturaufza®cn, wie Kanalisation, Wassecleitung 2., nicht leidea. Zwar hat der Staat seit 1880 die Schuldentilgurg nur in geringem Maße durchgeführt, aber der Staats- besiß in Forsten und Domänen läßt die Ecwägung angebraht erscheinen, ob überhaupt eine staatliche Schuldentilgung noth- w-ndig i. Wenn den Gemeinden auch jährlih 100 Millionen durch die Steuerreform überwiesen sind, so werden diefe dech mehr als ausgealihen durch die Steigung der Ausgaben. Mit Recht hat der Minister darauf hingewiesen, daß der Maßstab für die Vertheilung sehr shwer zu finden sei, er wird immer mechanisch sein müssen, und zwar wird man wohl berücksihtigen müfsen, auf welchem Gebiete die Kommunen sich bethätigen. Aus diefen Gründen begrüße ich den Kommissionsantrag mit Freuden.

Abg. Kindler (fr. Volksp.) erklärt ih ebenfalls für den Kom- missionsbes{luß, der baldige Hilfe für die Provinzen erboffen lasse. Die Provinz Posen babe den zweifelhaften Vorzug, die böten Pro- vinzialsteuern zu erheben, nämlih 2209/6. Ein gerechter Vertheilungs- waßstab sei allerdings schwer zu finden, bei dem jeßigen kämen die Städte zu chlecht weg. Die Regierung möge kald helfen nah dem Sprichwort: Doppelt giebt, wer ichnell giebt.

Abg. von Pappenheim (konf.) (s{chwer verständlih, da er fortgeseßt nah rehts spriht): Ih danke dem Finanz-Minister für seine Mahnung ‘an die Kommunen, sparsam zu wirthschaften. Ich bitte ihn aber, diese Mahnung aub an e a zu rihten, die thm näher stehen. Denn von wem werden die Gemeinden vielfah zum Schuldenmachen veranlaßt, wenn nicht von den vorgeseßten Ver- waltungsbehörden? Der Minister möge nur an die Schulbauten und das Lehrerbesoldung8gesey denken. Auch in seinem eigenen Hause wird der Vize-Präsident des Staatë-Ministeriums eine Quelle finden, ih erinnere nur an die Verhandlungen der lezten Tage. Jch bin mit ihm vollständig einverstanden, daß die Gemeinden mit aller Strenge davor bewahrt werden, unproduktive Schulden zu ma@hen. In dieser Beziehung muß die Aufsichtsbehörde mit allem Ernft prüfen, wo sie ihre Sencl migung zu ertheilen hat und wo niht. Ich Le daß diese Mahnung ebenso berechtigt ist wie die an die Ge- meinden.

Der Antrag der Kommission wird angenommen.

Es folgt die zweite Berathung des Antrags der Abgg. Dr. Weihe-Herford (kons.) und Genossen auf Annahme eines Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung des Renten- g SIergetedes von 1891 (Errichtung von NRentengütern fleinsten Umfangs, aus einem Haus mit Garten- land bestehend). i

Die Kommission empfiehlt die Annahme des Geseßentwurfs mit der Maßgabe, daß bei diesen Rentengütern die Sicherheit als vorhanden angenommen werden darf, wenn der dreißig- fache Betrag der Rentenbankrente innerhalb von drei Vierteln einer besonderen Taxe liegt.

Abg. Dr. Rewoldt (fr. kons): Der Gedanke des Entwurfs, Wohnungen für die Arbeiter zu schaffen, is sozialpolitisch richtig. Für das Land paßt dieses Gese; ob es aber auch für die Städte paßt, ist zweifelhaft. Jadessen hat die Kommission kein befseres Mittel gefunden. Weiß die Regierung ein besseres, so mag man es anwenden. Wenn der Staat si dieser Aufgabe unterzicht, so bleibt er immer im Rahmen seiner Aufgaben. Allerdings ift dew Zweck nit, daß nun sämmtlihe Arbeiterwohrungen mit Hilfe des Staates errihtet werden; der Zweck ist nur, die Beschaffung von Arbeiter-

wohnungen in die Wege zu leiten.