gegen diejenigen Bestimmungen derselben von mir genannten Staaten, nah welchen Koalitionen der landwirthschaftlihen Arbeiter zum Zweck der Pression gegenüber Arbeitgebern unter Strafe gestellt werden. Aug eine driite Bestimmung in den Geseßen dieser beiden Staaten ist von ihm angegriffen worden: sie betrifft die Befugniß der Verwaltungsbehörden, welWße in diesen landesrechtlichen Vor- \riften konfstitutert ift, einen Arbeiter, der unter Verleßung seiner Vertragépfliht den Dienst verlassen hat, auf dem Wege des Zwanges der Arbeitsfstelle wieder zuzuführen. Die vierte der angefohtenen Be- ftimmungen gehört dem Lübishen Rechte an; sie betrifft — um mich kurz auszudrücken — das Verbot des „Strikepostenstehens“.
Von diesen vier Punkten is der erste, wenn ich den Inhalt der Interpellation recht verstehe, nicht Gegenstand derselben. Wohl von dem Herrn Vertreter der Interpellation, nicht aber von den Herren Snterpellanten, is behauptet, daß die Bestrafung des Kontrakt- bruchs, soweit sie in den betreffenden Landesgeseßen vorgesehen ist, mit dem Reichsreht im Widerspruch stehe. Wenn die Herren die Güte haben, die Interpellation nah ihren einzelnen Abtheilungen zu prüfen, dann werden Sie finden, daß die Frage der Bestrafung des Kontraktbruchs weder unter a, noch auch unter b, noch unter c der Interpellation gebraht werden kann. Es ift also ein novum, das von dem Herrn Vertreter der Interpellation hinzugefügt wird. Jch bin aber zweifelhaft, ob niht diese Frage von ihm nur in der Erregung des Augenblicks in die Debatte hinetngezogen ift, da mir bekannt ist, daß hervorragende Blätter der sozialdemokratischen Partei unzweideutig anerkannt haben, daß die Bestrafung des Kontraktbrus landwirthschaftliher Arbeiter auf dem Wege der Landesgeseßgebung nah der Lage des Reichsrehts nit an- gefohten werden kann. Dieser Punkt scheidet alfo als Gegenftand der Interpellation zurähst für mich aus. Die Auffassung jener Blätter ist nach meiner Meinung zutreffend. Jch werde mich auf diesen Punkt nicht weiter einlassen, wenn er niht in der sih etwa an- \{ließenden Diskussion wieder aufgenommen werden sollte. Jh beschränke mich — das liegt auch im Interesse des hohen Hauses — auf das, was in der Interpellation selbst angeführt wird — da bleiben die weiteren drei Punkte übrig, die ih die Ehre hatte, vorhin zu erwähnen. Bevor ich auf diese eingehe, muß ih hervorheben, um die Beurthei- lung der ganzen Sache klarzustellen, daß der Inhalt der hier ange- griffenen landetrechtlißen Bestimmungen sich keineswegs als etwas Neues in dem Landesrccht einzelner deutscher Bundesstaaten darstellt.
Wenn in der Interpellation angefohten wird, daß die Be- stimmungen von Anhalt und Reuß die Koalition der landwirthschaft- lien Arbeiter unter Strafe stellen, so muß ich dem gegenüber darauf hinweisen, daß solGe Bestimmungen bereits jeßt und seit vielen Fahren in einem großen Tkeile des Reichs, in Preußen feit dem Fahr 1854, bestehen, daß fie von den Gerichten unbeanstandet zur Anwendung gebraht werden und deß mir noch aus der neuesten Zeit ein Erkenntniß des preußischen Kammergerichts vorliegt, nach welchem die fortdauernde Geltung dieser landesrechtlichen Bestimmungen gegenüber dem Reichsreht als zweifellos behandelt wird. Wenn tann zweitens in der Interpellation hervorgehoben wird, daß das Landesrecht in Anhalt und Reuß den Verwaltungsbehörden gestatte, vertragsbrüchige Arbeiter ihrem so muß ich darauf hinweisen, daß
Dienste wieder zuzuführen, in einem großen, ih darf sagen, im weitaus größten Theile Deutsch- [ands landesrechtlie Bestimmungen vorhanten find, nach denen ver-
tragébrüchiges Gesinde im Wege der Verwaltungsexekution dem Dienste wieder zugeführt weiden kann. Nun hat der Herr Vertreter der Interpellation ja hier allerdings erwähnt, er wolle auf die Frage des Gesindes hier nicht weiter eingehen, weil sie eine komplizierte Frage sei. Jch werde das auch nicht thun, ih bebe aber doch hervor, daß solhe Zwangsbestimmungen im Gesindereht bestehen und, daß von dem Rechtéstandpunkt aus die Frage der Zurükführung der Arbeiter innerhalb des Gesinderechts und innerhalb des landwirtkb- schaftlihen Arbeiterrechts ganz dieselbe ist. Es ist cine prozessuale Frage, für die im Reichéprozeßrccht Verschiedenes bezüglih des Ge- findes und der Landarbeiter nicht bestimmt is. Diese Bestim- mungen, die also in einem grcßen Theile Deutschlands bestehen und zur Anwendung kommen, find meines Wissens auch nah ihrer Nectébeständigkeit biéther nicht angefohten worden, und eine so hervorragende Autorität wie Professor Dernburg hat in seiner neuesten Bearbeitung des Bürgeclichen Geseßbuhs ausdrücklich anerkannt, daß diese landesrechtlicen Bestimmungen neben dem Reichsgeseß fortbestehen. Drittens, wenn die Interpellation dann zum Angr f} nimmt die Bestimmungen der Lübischen
Senatsverordnung gegen das Strikcpostenstehen, so darf ih das hohe
Haus daran erinnern, daß in der Begründung des Geseßentwurfs über den Schuy der gewerblihen Arbeitäyerhältnisse, der im vorigen Sommer hier zur Diskussion stand, von seiten der verbündeten Regierungen ausdrüöcklich die Thatsache hervorgehoben war, daß es eine größere Anzahl von Polizeiverordnungen giebt, die sih gegen das Strikepostenstehen rihten. und daß auch hier im Hause diese Thatsache als richtig anerkannt wurde, daß fie hervor-
gehoben wurde, nit um ihre Legalität zu bestreiten, sondern um aus dieser Thatsache Gründe dafür herzuleiten, daß es niht nöthig sei, nach der Richtung hia zu
Bestimmungen ih an, um
neue reichêsrechtlidhe
erlassen. Das führe Rechts-
den gégenwärtigen
zustand klarzustellen und die Beurtheilung des Inhalts der hier angegriffenen Bestimmungen gegenüber dem Inhalte längst vor- handener landesrechtlicher Vorschriften dem hohen Hause zu erleichtern. angegriffenen Punkte selbft Vorschriften nah welcher dem Zwecke, Strafe geftellt ist. Jch habe die Ausführungen des Herrn Bertreters der Interpellation, wie ich glaube, genau verfolgt, ih bin aber do zweifelhaft darüber geworden, mit roelchen Gründen er gerade tiefen Theil der angegriffenen Bestimmungen hat seinerseits bekämpfen wollen. Er hat sich auf den sechften Abschnitt des Strafgeseßbuchs bezogen, der hier garnicht in Frage kommen kann. Ich kann deshalb die Gründe, welhe gegen die Rehtsgültigkeit dieser Bestimmungen im Sinne der Interpellation vorliegen sollen, nur Pa e Gedankengang Die Bestimmungen über die Bestrafung der Koalition landwirthschaftliher Arbeiter rihten {ih gegen cine unzulässige Einwirkung auf den Willen, auf die Entschließung
gehe nunmehr auf die ein Da komme ih nun zunähst zu den der anhaltinishen und reußischen Gesetzgebung, die Koalition landwirthschaftliher Arbeiter mit die Arbeitgeber zu Zugeständnisscn zu zwingen,
Ich
unter
Interpellation der
aus den Ausführungen, welhe die unter Litt. b enthält. Darnach ift der Herren Interpellanten folgender gewesen.
anderer Personen, die ausgeübt wird theils dadur, daß ein Arbeiter einen anderen bestimmt, einer Koalition beizutreten, theils auch dadur, daß die Koalition selbst eine Pression auf den Arbeitgeber ausübt. In welhem Umfang ein Zwang gegen die freien Entschließungen anderer Bürger unter Strafe gestellt werden darf, das ift aber er- \{öpfend durch das Strafgeseßbuch geordnet, und zwar in den Vor- schriften des Abschnitts 7, Verbrehen und Vergehen wider die öffent- liche Ordnung, und des Abschnitts 18 über die Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit. In diesen beiden Abschnitten sind diejenigen Fälle erschöpfend aufgeführt, in denen nah dem Sinne des NReichs- rechts ein zwangartiges Vorgehen gegen die freie Entschließung anderer Personen strafbar erfcheinen soll. Daraus folgt im Sinn der Inter- pellation, daß das Landesrecht nicht noch weitere Aktionen, die eber- falls den Zweck haben, auf die freie Entschließung anderer Leute ein- zuwirken, unter Strafe stellen barf. (Hört! bört! bei den Sozial- demokraten.) Wenn landesgeseßlihe Bestimmungen eine derartice Strafe verhängen, so greifen sie in die Materien ein, die in den Abschnitten 7 und 18 des Strafgeseßbulßs behandelt werden, und damit verlegen sie die Bestimmung des 8 2 des Einführungsgeseßes zum Strafgeseßbuch — wie auch ganz zutreffend von dem Herrn Vertreter der Interpellation hier gefolgert wurde —, wonach das Landesreht, um mich kurz auszudrücken, in Materien, die von dem Strafgeseßbuh behandelt sind, niht ein- greifen darf.
Für uns fragt es sich also nur, ob es sich in den Abschnitten 7 und 18 um Materien im Sinne des § 2 des Einführungsgeseßzes zum Strafgeseßbuh handelt. Die Frage geht dahin: enthalten der Abschnitt 7, der Abschnitt 18 des Strafgescßbuchs die Regelung einer Materie, durch welche die einschlagenden Fragen abschließend ge- ordnet sind, sodaß die Landesgeseßgebung hier nikt mehr eingreifen kann? Diese Frage, meine Herren, hat sich natürlich auch der Reichskanzler vorlegen müssen, und ex hat sich dabei, soweit Unterlagen gegeben waren, nah dena Direktiven rihten müssen, die die Judikatur des böôchsten Gerihtshoses des Reiches giebt. Für feine Entschließungen wird sachgemäß das maßgebend sein müssen, was die Judikatur des Reich8gerichts nah dieser Richtung auszesprochen hat.
Nun, meine Herren, \teht es, was den Abschnitt 7 des Straf- geseßbuchs betrifft, durch ein Urtheil des Dritten Strafsenats des Neichsgerihts vom 12. März 1894, das Sie in den Entscheidungen des Reichégerichts abgedruckt finden, fest, daß der Abschnitt 7 des Strafgeseßbuchs niht die Absicht hat, eine abscließende Regelung derart vorzunehmen; daß andere Fälle, die gleihfalls wobl dem Ah- \chnitt 7 eingereiht werden könnten, durch die Landesgeseßgebung mit Strafe nit mehr belegt werden dücfen. Und diese Entscheidung, daß der Abschnitt 7 des Strafgeseßbuchs eine Materie im Sinne des § 2 des Einführungsgeseßes zum Strafgeseßbuch nicht darstelle, ift dur ein zweites Urtkeil des Reihh8gerichts bestätigt worden, das mir erft fürzlih zur Kenntniß gekommen ist, das unter dem 7. Mai d. I. erlassen ist. Es liegt mir hier vor ; darin wird ganz klar ausgesprochen, wie folgt:
Ein Ueberblick über den Inhalt des Abschnitts 7 des Reichs- Strafgesezbuchs läft das Gegentheil davon erkennen, d. h. von der Behauptung, daß hier eine Materie geregelt fein solle. Es stellt ih dieser Inhalt des Abschnit18 7 dar als eine S2mmlung inner- li vershiedener Handlungen, die nur das Gemeinsame baben, daß fle ih wider die öffeatlihe Ordnung richten, die als folhe eine strafrechtlihe Materie nit bildet. :
Nach diesem Erkenntniß des höchsten Gerichtshofs, glaube i, ist es zweifellos, und jedenfalls für den Herrn Reichskanzler maßgebend, daß der Aktschnitt 7 des Reichs - Strafgeseßbuchs eine Materie im Sinne des § 2 des Einführungêgesetßzes niht darstellt.
Was den Abschniit 18 des Strafgeseßbuchs anlanzt, fo liegen strafrehtlihe Enduribeile des höhsten Gerich18hofes niht vor; aber darüber ist doch die Theorie und die Praxis im Ganzen einig, daß es si auch hier um eine Materie im Sinne des § 2 des Ginführungs- gesciz2-s zum Strafgeseßbbuch nicht handelt. Wenn ih mich hier auf die Judikatur des böchsten Gerichtshofes nit berufen kann, so kann ih mi dafür beruf:n auf die Stellungnahme, die die gesetzgebenden Faktoren des MNeiches selbst zu dieser Frage eingenommen habén. Als im Jahre 1895 von Reichs wegen der Sklavenhandel strafrechtlich verboten rourde, da kam es zur Sprache, ob die lantesrehtlihen Be- stimmungen, die früher gegen den Sklavenhandel ergangen waren, bis dahin noi zu Recht bestanden hätten oder nicht. Die verbündeten Regierungen sind der Ansicht gewesen — und ih glaube nicht, daß ihre Ansicht hier im Nreichstage WiderspruH gefunden hat —, daß bis zum Jahre 1895 die Bestimmungen des Landrehts über ten Sfklacenraub in Geltung geblieben waren.
Strafgeseßbuh außer Kraft treten müssen.
werden kann, daß die Strafgeseßvuchs, auf Materien im Sinne Strafgeschbuhe regeln.
gängen nicht angenommen schnitte 7 und 18 des Faterpellation sich beruft, des Einführungsgeseß:s zum
Bestimmungen zu erheben.
beiter in den Dienst wieder zurückzuführen.
wie er E Va 1.
in der Fassung,
\chädigungsanspruch erwächst.
fie von etnem anderen Arbeiter nit geleistet werden können.
Sie konnten aber nur in Geltung geblieben sein, wenn man davon ausgeht, daß der Abe nitt 18 die Materie der Vergehen gegen die persönliche Freiheit nicht abschließend hat regeln wollen; denn fonst bätten sie mit dem
Also, miire Herren, ih {ließe damit, daß nah diefen Vor- beiden Ab- welhe die des S 2 Regeln sie folche niht, dann if aber § 2 des Einsührungsgeseß-8 zum Straf- geseßbuch nicht verleßt dur die landesgeseßlihen Bestimmungçen, die hier in Frage stehen, und ist dieser § 2 des Neichsrehts nicht verleßt, dann folgt daraus, daß dem Reichékanzler die verfassungsmäßige Voll- macht fehlt, bei den betheiligten Negierungen Vorstellung wegen dieser
Meine Herren, ih komme nun zum zw:iten Punkt: das sind die Vorschriften der anhaltishen und reußishen Geseßgebung, wonach die Polizeibehörden befugt find, vertrag8biühige landwirthshaftlihe Ar- Die Interpellation beruft ih in dieser Beziehung auf den § 888 der Zivilprozeßortnung Januar d. I. dllk In dieser Bestimmung der Zivilprozeßordnung wird gesagt, daß Ar- beiten, die jemand vertragswidrig verweigert hat, wenn fie Leistungen aus einem Dienstvertrage, zu denen nur der Verpflihtete im stande ist, betreffen, niht erzwungen werden dürfen, sondern daß ein Ent- Nun umfaßt aber § 888 der Zivil- prozeßordnung eben nur solche Dienste, die so persönlicher Art sind, S
ür diejenigen Dienste, die niht so persönliher Art sind, daß sie von einem anderen Arbeiter niht auch geleistet werden könnten, ist das Zwangsverfahren geregelt nicht im § 888, so wie er seit Anfang
Dieser § 887 der Zivilprozeßordnung gilt aber nicht etwa erst si dem 1. Januar dieses Jahres, sondern er gilt seit dem 1. Oktober 1879, Aus der Thatsache, daß diese Bestimmungen Jahrzehnte hin, durch gegolten haben und wohl noch niemals auf Grund dieser Be, | stimmungen das Zwangsverfahren behufs Zurückführung landwirth, \schaftliher Arbeiter beanstandet worden ist, läßt fih bereits ließen, daß doch die Deduktion der Interpellation hier auf einem Jrrthum beruhen muß. Das läßt sich aber auh direkt beweisen. Die Inter, pellation beruft sh auf die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die ZwangsvollstreckŒung. Darauf is zu entgegnen, daß die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Zwangs, vollstrekdung nur auf die Zwangsvollstreckunz aus einem Verfahren, das unter die Zivilprozeßordnung fällt, an- wendbar ist, daß cs sch aber um ein solches Verfahren hier über- haupt nicht handelt. Es steht ganz außer Zweifel und ift durh den § 3 des Einführungsgesezes zur Zivilprozeßordnung noch ausdrüklih festgestellt, daß die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung, also au die in §§ 887 und 888 enthaltenen, nux Anwendung finden auf \olhe Urtheile, welhe in dem Prozeßverfahren innerhalb des Rakmens der Zivilprozeßordnung ergehen, daß fie aber keine Anwendung finden auf Entscheidungen anderer Art, die anderen Behörden übertragen find, Nun handelt es si hier um Entscheidungen, die die Landesgeseß- gebung in Gemäßheit der für sie durch den § 3 des Gerichtsverfassungs- geseßes begründeten Vollmacht den Verwaltungsbehörden übertragen hat. Das Zwangöverfahren, das eingeleitet wird gegen die vertrags- brüchigen landwirthschaftlichen Arbeiter beruht auf den Ent- scheidungen, die voa seiten der nach Landesrecht zuständi- gea Verwaltungsbehörden ergehen. Diese Entscheidungen ergehen nicht nach Maßgabe der Zivilprozeßordnung, es finden infolge dessen auch nicht die Beftimmungen über die Zwangsvollstrcckung im Zivilprozeßverfahren Anwendung, fie würden nur dann Anwendung finden, wenn dies ausdrücklih vorgesehen wäre; das ift nicht der Fall, Daraus folgt, daß eine Verlegung der Bestimmungen des Reichs- prozeßrechts bei di:sen Vorschriften niht vorliegt.
Nun hat der Herr Vertreter der Interpellation bezüglich dieses Punktes allerdings noch darauf Bezug genommen, daß au ein Eingriff in den § 2 des Strafgeseßbuchs vorliege. Jh kann das nit ver- stehen, denn es handelt sh hier ja nicht um eine Strafe, fondern einfach um die Durhführung einer Entscheidung in einer bürgerlihen Rechtsstreitigkeit, Hiernah, meine Herren, komme ih zu dem Ergebniß, daß die angefohtenen Bestimmungen des Landes- rechis von Anhalt und von Neuß über die Zwangsvollstreckung — der- artige Entscheidungen dec Verwaltungsbehörden gegen irgendwelches NReichsrecht nicht verstoßen, ebensowenig wie das in anderen Staaten der Fall is, wo derartige Bestimmungen bereits seit längerer Zeit und unbeanstandet bestehen.
Ich komme nunmehr zu der dritten und leßten der in der Inter- pellation angefotenen Bestimmungen. Das ist die Verordnung des Senats von Lübeck, die sich gegen das Strikepostenstehen richtet und wonach diejenigen Arbeiter, die planmäßig zur Beeinflussung oder Beobachtung anderer Arbeiter auf Straßen und an öffentlichen Orten Stellung nehmen, der Bestrafung unterliegen. Man kann diese Bestimmung von zwei Gesichtspunkten aus anfehten. Auch hier bin ih niht ganz siher, von welch:m Gesihtspunkt aus der Herr Vertreter der Interpellation sie anfehten wollte, und aus dem Inhalte der Interpellation is darüber nicht wvoll- ständige Klarheit zu \chöpfen. Sie kann angefohten werden von dem Gesichtspunkt aus, daß durch die Strikeposten gegen die freie Willensent!chließung anderer Arbeiter ein Zwang aus- geübt werden solle; daß dieser Zwang untec Strafe gestellt werde, daß somit in eine Materie des Strafgeseßbuchs eingegriffen, damit aber gegen § 2 des Einführungsgeseßes zum Strafgeseßbuch verstoßen werde. Daß diese Dedukzion nicht zutriffr, dafür berufe ih mi auf dasjenige, was ih vorher zu dem ersten Pankt der Interpellation die Ebre hatte, auszuführen. Ih will mich darin nicht wieder- holen. Aber und das scheint mir hier nach der JInter- pellation die Hauptsa®e zu sein — man kann auch behaupten, dic Bestimrnung stehe im Widerspruch mit § 152 der Gewerbeordnung, Dieser befitmmt, daß alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Vereinigungen von Arbeitern, die bezielen, bessere Lohn- und Arbeits bedingungen zu erreichen, aufgehoben siad. Die Frage ift: welchen Sinn hat diese Bestimmung? Bevor wir uns über den Sinn einig sind, können wir niht fagen, ob die landesrehtlihen Vorschriften mit dem Reichsreht in Widerspruch stehen. Auch in diesem Punkt ift der Neichskanzler in der angenehmen Lage, sich der Direktion anschließen zu können, die dur die Judikatar des höchsten Gerichtshofes gegeben ist. Was den Sinn des § 152 der Gewerbeordnung betrifft, so hat ein Urtheil des dritten Strafsenats vom 6. Oktober 1890, das Sie ebenfalls ia den Entscheidungen abgedruckt finden, Folgendes aut- gesprochen. Damals hatten sih die Revisionskläger darauf berufen, daß eine Verleßung der Bestimmungen-des § 152 der Gewerbeordnung vorläge. Darauf sagt das Reichsgericht :
Der Kläger verkennt den Sinn und tie Bedeutung des § 15 der Gewerbeordnung völlia. Nah Inhalt und Entstehungé- geshihte geht die Tragweite dieser Vorschrift niht weiter ali dahin, diejenigen partikularrechtlihen Strafbestimmungen zu beset- tigen und für die Zukunft au3zushließen, welhe gegen die int 8 152 bezeihneten Abreden und Vereinigungen als fol beständen. Völlig unberührt davon bleibt aber, welch: Mittel, von der Eingehung der Koalition selbft abgesehen, sonst die Arbeiter und Arbeitgeber anwenden dürfen zur Erreihung des in § 192 bezeichneten Zweckes, ohne si strafbar zu machen. Sind diest Mittel nah anderen Gefeyen ftrafbar, so trifft die Strafe auch dit Koalition und die für sie handelnden Arbeiter, soweit sie sih solcher Mittel bedienen.
(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das heißt: durá) den § 152 der Gewerbeordnung ist die “natürlihe Freiheil, wie sie jeder andere Bürger genießt, auch den Arbeitern dahin wiedergegeben, baß sie sch vereinigen können p Zwecken der Verbesserung threr wirthshaftlihen Lage, daß sie abt gerade so wie andere Bürger auh bei diesen Vereinigungen sid
und berü zum Schußt
die Bevölkerung bewegen, Strafbestimmungen, die
d'esir Interessen erlassen sind. Soweit eine des Landesre(hts nun den Zweck haben sollte, di in § 152 der Gewerbeordnung reihsgeseglich den Arbeitern gewährl
die sonst müssen dite
Interessen, sichtigen
dieses Jahres gilt, sondern im § 887 der
Zivilprozeßordnung.
Fretheit zu beshränfen, so weit würde sie nah meiner Meinung mit
rihten müssen nah den Gesetzen, die sonst bestehen, ahten müssen die |
Bestimmunß"
dem § 152 in Widerspruch stehen. (Hört! hört! bei den Sozialdemo- traten.) Soweit eine folh2 Bestimmung dagegen andere Zwecke ver- folgt und nebenbei eine Beengung der Bewegungsfreiheit der Arbeiter auf dem Gebiëte des Koalitionswesens nah ih zieht, so weit besteht fie zu Ret“ und muß sich der Arbeiter diese Be- engung gefallen lassen gerade wie jeder andere Bürger, der seine Freis heit ausnüßen will und bei der Ausnüßung dieser Freiheit auf Strafverordnungen }ößt. Nach diesem Maßstab, meine Herren, müssen wir dea Inhalt der lübischen Verordnung bemessen. Jch leugne nun nicht, daß die Fassung der Verordnung geeignet ift, Mißverständnisse über den Sinn und die Tragweite der- selben herbeizuführen. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Umstand ist für die Reichsverwaltung maßgebend gewesen, um mit dem Senate der freien und Hansestadt Lübeck in Verbindung zu treten und sich Aufklärungen über den Sachverhalt zu verschaffen. Nah den amtlihen Erklärungen, die dem Reichskanzler von seiten des Senats gegeben worden sind, ist die Entstehung und der Zwet dieser Bestimmung folgender:
In der Stadt Lübeck sind im Laufe der legten Jahre wiederholt heftige, leidenshaftlihe Ausstände und Ausftandsyersuche in die Erscheinung getreten und regelmäßig unterstüßt worden turch ein ausgiebige? Ausftellen von Posten, die den Zweck hatten, die Arbeiter, die neu anziehen oder zu den Arbeitspläßen gehen wollten, zu informieren oder zu beeinflussen, je nah dem. Nach den Er- fahrungen, die die Polizeiverwaltung von Lübeck gematcht hat, hat aber dieses Pofstenausftellen die Folge gehabt, daß es regelmäßig zu {weren Ausschreitungen, zu Shlägereien, Körperverleßzungen Sachbeschädtzungen, zu unerträglihen Störungen der Nuhbe und Ordnung auf den Straßen und im öffentlihen Verkehr kam, und der Senat der Stadt Lübeck hat nah den Verhältnissen, wie sie in Lübeck liegen, kein anderes Mittel erkannt, um dieser Gefahr für die Zukunft vorzubeugen, als den Erlaß einer Verordnung, welche das Strikepostenstehen untersagt. Meine Herren, der Reichskanzler kann uiht anders, als den Sinn und die Tragweite der Verordnung fo deuten, wie sie in der amtlihen Erklärung der Regierung der Hanses» stadt gegeben sind. Nah diesen Erklärungen des Senats stellt si aber die Verordnung dar als eine solche, die den Shuß des Verkehrs und der Ordnung in der Oeffentlichseit zum Zweck hat, die aus der Er- fahrung hervorgegangen ift, daß in den leßten Jahren an da3 Strike-
| postenstehen sich schwere Uebelstände und Unruhen geknüpft haben ; si: will
sich nicht gegen das Strikepoftenstehen als solches richten, sondern sie richtet si gegen die Ausschreitungen und Uebelstände, die das Strikepostenstehen dort in der Begleitung hat. Es handelt sich um eine Verordnung zur Aufrehterhaltung der öffentli hen Sicherheit und Ruhe, die dem- gemäß auch gegenüber dem Reichsgeseß berechtigt is. In wie weit die Verordnung zweckmäßig is, ob sie in solhem Umfange noth- wendig ift, das ist nicht Sache der Prüfung des Reickskanzlers, das liegt außerhalb feiner verfassungsmäßigen Kompetenz. Gemessen ledigli an den Erklärungen, die die maßgebende Stelle, die Regierung der freien Hansestadt, demReichskanzler abgegeben hat, muß dieser anerkennen, daß die Verordnung den Gesezen des Reichs nicht widerspriht. Also au in diesem Punkt liegt sonach eine Verletzung des Neichsrechts niht vor. i Nun, meine Hzrren, kommt für den R-ihs?anzler, abgesehen von diesen Erwägungen, die es ihm uamözlih m1ch?n, im Sinne der Inter-
| pellation einzuschreiten, noch eine andere Erwäzung in Betracht, eine Er- f wägung, di&auch von dem HerrnaVertreter der Interpellation berührt wurde,
daß es nämlich Sache der Gerichte ist, in allen beanstandeten Fällen, abgesehen von dem Falle der zwangsweisen Zurükführung der Arbeiter, endgültig darüber zu entscheiden, ob eine Verleßung des Reichsrehts vorliegt oder nich*, — ntcht Sache des Reichskanzlers, auch nit Saÿe anderer Verwaltungsbehörden. Sollten die Gerichte im Widerspruch mit uns zu der Ansicht kommen, daß hier eine Verleßung des Reichêrehts vo:liezt, dann erledigt ih die Sache sehr einfa. Sollte Anklage gegen eine bestimmte Persönlichkeit erhoben sein, weil sie sih gegen die hier beanstandeten Vorschriften vergangen habe, fo wird der Beschuldigte in dec Lage sein, den Einwand zu erheber, daß die Bestimmunzen mit tem Reihsreht nit in Einklang stehen und deshalb niht angewendet werten können. Die Richter sind dann berufen zu prüfen, ob dieser Einwand berehtigt ift; kommen sie zu der Ansicht, daß er berehtigt ift, so können si2 das Landes- recht niht zur Anwendung bringen, es findet also der Be- shuldigte seinzn Schuß ohne weiteres in dem Urtheil des G:- rihts. Das betreffende Landesgesez wird durch das gerichtlihe Urtheil für nicht anwendbar erklärt; es tritt eo ipso außer Kraft und die Landesinstanzen werden obne Mitwirkung des Reichskanzlers dann ge- nöthigt sein, auch formell die Bestimmungen zurückzuziehen. Sollte aber — und der Hzrre Reichskanzler is geneigt, da? an- zunehm:in — die Judikatur der Gerichte sh im Einklang bifiaden mit der Anschauung, die ih im Namen des
} Reichskanzlers die Ehre habe, dem? hohen Haufe vorzutragen, dann
ergiebt sih daraus ohne Weiteres, daß der Reichskanzler Recht hatte, wenn er ein Einschreiten im Sinne der Interpellation ablehnte. Aus diesem Grunde, meine Herren, ift der Reichskanzler nicht in der Lage gewesen, nach dem Wunsche der Herren Interpellanten etwas ¡u thun, uad ih muß hinzufühen, daß er auh nit die Absicht hat, weiterhin gemiß diesen Wünscheitmit den Regierungen der be theiligten Staaten sich in Verbindung zu seßen. (Bravo! rets.)
Auf Antrag des Abg. Singer (Soz.) wird in eine Be- sprehung der Jnterpellation eingetreten.
Abg Bassermann (nl.): Das lübishe Geseh bestraft das Strikepostensteben mit 150 # Geldstrafe oder mit Haft. Auffälig ist die Hervorhebung des Zweckes der Verordnung; es ift niht von straßenpolizeilichen Vorschriften die Rede, sondern davon, daß Personen O planmäßig an einer Arbeitsstelle, wo gestrikt wrd, mit der tobahtung der Personen befassen, welche dorthin kommen. Ich halte die lübische Verordnung für ungefeglih. Ein Erkenntniß des hanjeatischen berlandesgerihts sagt direkt, Strxifktpostenstehen “an _flck sel t ungefeßlih, Dennoch verbietet das lübishe Gesey direkt und bubstäblih das Strikepostenstehen an si; das if ein direkter Ein- qriff in den § 152 der Reichs-Gewerbeordnung. Gegen den Woit- Q hatte ja der Herr Staatssekretär selbst Bedenken; ob seine spä- tren Ausführungen über die po:izeilihen Rücksichten im Hause über- ¡eugend gewirkt haben, möHhte ih bezweifeln Auf diesem Gebtet hat d die cinzelstaatliche Gesezgebung jedes Vorgehens zu enthalten, ¿artüber find alle Staatsrechtslehrer einig. So Meyer und Laband : Was ua Neihögeses ftraflos gelassen ift, kann niht dur Landesgesez \traf- Iz fema t werden. Zum mindesten wäre der lübishe Erlaß eine un- Me isfige Ergänzung emer reichsgefeylihen Bestimmung ; darüber sind n Staatsrechtélehrer klar. Die verbündeten Regierungen hatten R au die ganze Materie in § 4 des Arbeitswilligengeseßes sür ich miert. Deú Wortlaut der lübishen Verordnung finde ich im
Gegensaß zum Staatssekretär so klar, daß jedes Mißverständniß aus- geschlossen ist, und daran kann auch eine nachträglihe Deklaration des lübishen Senats nihts ändern. Der Hinweis auf die Reichsgerichts- urthetile ist keineswegs schlazend. Gewiß werden die Gerichte schließ- lih entscheiden; aber bei solhen eflatanten Verlegungen follte der Reich:kanzler allerdings niht zögern, einzuschreiten und NRemedur zu \{chaffen. Die Bestealting des Kontraktbruch3 gewerblicher Arbeiter ist landesgesegliÞch zweifellos unzulässig; was die Bestrafunz des]elben Delikts beim ländlihen Arbeiter angeht, fo stellt allerdings die Interpellation diese Behauptung nicht auf. Die Frage, 9b die Bestrafung des Kontrakthruchs überhaupt ein Gegenstand unseres Strafgeseybuhs ist, muß verneint werten; in dieser Hinsicht steht also ein „reih8gejseßlihes Hinderniß niht im Wege. Ob der polizeiliche Zuführungszwang zuläsg ift, ist für mich eine sehr zweifelhafte juristishe Frage. Jedenfalls verträgt sich diese zwangsweise Zurückführung ret \{chwer mit unserem NReichsreht, nament- lih mit der Zivilprozeßordnung. Thatsächlih besteht di-'e8 Necht der zwangsweisen Zurückführung in zahlrêihen Einzelstaaten, Besteht das Recht der Bestcafung des Kontraktbruhs, dann wird au eine solche präyentive Thätigkeit der Administrativbehörden als zuläffig zuzugeben sein, Für ungültig halte ich die Bestimmung in dem anhal- tischen und reußi/chen Gesey, welhe im Widerspruch mit dem Ab- {nitt 18 des Strafgeseßbuhs „ Verbrehen und Vergehen wider die persönliche Fretheit* steht. Diese Materie i abiolut reich3rechtlich geordnet; Anhalt und Reuß gehen aber tin der Definition des Begriffs der „Nöthigung* über das Reichs-Stra*g-seß hinaus. Wir kônnen uns nicht mit der Verweisung auf die Gerichte begnügen; das Vor- gehen dieser Einzelstaaten ist geeignet, RehtsunsiHerheit in Deutschland Ten, und das ist im Interesse des Ansehens des Reichs nicht zu gen.
Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Die lübische Verordnung verstößt gegen das Reichsrecht. Wenn die verbündeten Regierungen an dem Koalittonsreht Aenderungen vornehmen wollten zum Schutze des ge- werblichen Arbeitsverhältnisses und ih später bei der Ablehnung der Vorlage beruhigt haben, so kann jezt nicht der einzelne Staat be- rechtigt sein, diese Bestimmungen für sich in Kraft zu setzen. Die Bestrafung des RKontraktbruchs felbst ist ja in Preußen noh Gesey und vom Kammergericht der § 3 des Gesetzes von 1854 ausdrücklich als noch in Kraft befindlih anerkannt worden. Die Frage der zwangsweisen Zurükführung is allerdings zweifelhaft, aber nahdem die Zivilprozeßordnung die Frage neu geregelt hat, {eint es doch ‘unangemessen, wenn man auf Bestim- mungen zurückgreift, die in Preußen bloß gegenüber dem landwirth- shaftlihen Gesinde galten; etne folhe Maßregel müßte ja die länd- lien Arbeiter vollends aus Preußen vertreiben. Angesichts dieser Vorgänge wäre es vielmehr vielleiht angezeigt, im W-ge der Reichs- gejeßgebung für eine größere Einheitlichkeit zu forgen.
Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieb erding:
Nur drei Punkte möchte ih erwähnen, meine Herren, die ih nit unwidersprohen lassen kann. Zunähst eine Bemerkung in dem Vortrag des letzten Herrn Redners. JIch bin ja als Vertreter des Reichskanzlers zunähst becufen, die Interessen des Reihz und der Reichsgesezgebung wahrzunehmen; aber die Rücksicht gegenüber den Einzelstaaten und ihrer berechtigten Freiheit nöthigt mih doch, gegen eine Theorie Einspruch zu erbeben, die hier von dem Herrn Abgeordneten, wenn ih ihn recht verstanden habe, entwickelt worden ist, die nab meiner Meinung undenkbar is. Der Herr Abgeordnete hat augtgeführt, das Reih habe het Gelegenheit des Geseßes über den Schuß des gewerblichen Arbeitsverhältnisses uñternomwen, au das Stcikepostenstehen und was damit zusammen- hängt, zu regeln; diese Regelung sei hier im Hause auf Widerstand gestoßen, das Geseh sei gefallen, der Bundesrath habe sih dabei be- schieden und damit sei die Frage reihsrechtlich festgelegt. So habe ih den Herrn Abgeordneten verstanden. Jh muß aber entschieden gegen diefe Auffassung protestieren. Wenn die verbündeten Negie- rungen eine Geseß2svorlage machen, und wenn diese fällt, wenn die verbündeten Regierungen dann auf diese Vorlage niht gleich von neuem zurückfommen, so kann daraus durhaus nit gefolgert werden, daß ein Einvernehmen zwishen Bundesrath und Reichstag über die betreffende Frag? befteht; in keiner Wetse. (Sehr cihtig! rets.) Im Gegentheil! Es besteht der alte Rechtsbest znd weiter, es ist über- haupt keine reihsrechtlihe Regelung eingetreten. je einzelnen Bundesftaaten haben ihre alte Freiheit behalten. Wie der Herr Ab- geordnete zu dem entgegengeseßten Schluß kommen kann, ift mir unbezreiflih ; im Namea der verbündeten Regierungen muß ih wegen der Konfequenzen, die sich daraus ergeben, Verwahrung ‘dagegen ein- [egen.
Dann muß ich dem Herrn Abg. Bassermann erwidern, gegen die Bemerkungen, die er bezüglich meiner Ausführungen zum Abschnitt 18 des Strafgeseybuhs gemacht hat. Ih habe nicht be- hauptet, daß die gesammte Theorie der Meinung sei, daß im Ab- {nitt 18 eine Materie des Strafrehts nicht geregelt sei, Ich bin entfernt davon, eine so kühne Behauptung zu wagen, denn die Juristen, auch auf dem Gebiet der Theorie, werden niemals alle einig miteinander sein. Aber, meine Herren, ih berufe mih auf den doch allgemein bohgeshäßten Kommentar zum Strafgesezbuch von Ols- haufen und ih môte den Hcrrn Abgeordneten bitten, sih einmal anzu- sehen, was Herr Olskausen über die Frage fagt, und zwar nicht nur aus eigener Meinung allein, sondern gestüßt auf die Autorität von Männern, wie Schwarze, Hälshner und Merkel. Das find Männer, die mih wohl berechtigen, den Standpunkt einzunehmen, den ih vorher darlegte, und wenn der Herr Reichskanzler sih auf diesen Standpunkt stellt, so wird ihm niemand daraus einen Vo: wurf maten können. Daß es Theoretiker giebt und au hervorragende Theoretiker, die auf einem anderen Standpunkte stehen, ändert daran nichts.
Drittens hat der Herr Abgeordnete, wenn ih recht verstanden habe, die Rechtskräftigkeit derjenigen Strafvorschriften bestritten, die bereits längere Zeit auch in Preußen, in Betreff des ländlichen KRKoalitionêtwesens bestehen. Ich will mi mit den Herren juriftish . nicht auseinanderseßen; ih berufe mi auf das juristishe Urtheil des preußischen Kammergerichts. Solange das preußische Kammergericht für die Aufrehterhaltung des preußischen Landesrechts eintritt, wird, glaube ih, der Herr Reichstanzler keinen falshen Weg gehen, wenn er sih auf denselben Standpunkt stellt. Jedenfalls wäre es do eine wunderbare Zumuthung an den Reichs- kanzler, daß er an die preußishe Regierung si wenden foll, damit sie gewisse landeêrechtlihe Bestimmungen beseitige, während der böôödhste preußische Gerichtshof diese Bestimmungen als rechtsbeständig be- handelt, (Sehr wahr! rets.)
Abg. Dr. Müller- Meiningen (fr. Volksp.): Die Lübecker Ver- ordnung halten wir mit den Vorrednern aus dem Hause für ungültig. Sie ist fast wörtlich der § 4 Abs. 2 der verflossenen Arbeitswilligen- vorlage. Ohne den Fall der genannten Vorlage wären die Lübecker mit ihrer Verordnung gar niht vorgegangen. Die Verordnung ift dabei auch viel strenger als der Vorschlag der Arbeitswilligenoorlage felbst.
Troy Olshausen behaupte ih, daß Abschaitt 18 die Frage der per- fönlichen rit in Zusammenhalt mit den §8 152 und 153
der Gewerbeordnung erschöpfend geregelt hat; die Vorlegung
des Zuchthausgeseßes wäre ja sonst gar niht zu verstehen. Der Lübecker Senat hat ih seine Zuhthausvorlage auf eigene Faust ge- macht. Daraus ergiebt si die imminente Gefahr, daß man mehc und mehr dazu übergehen wird, die reaktionären Geseße, welhe im Reichstage zu Falle kommen, auf dem Umwege über die - partifular- staatliche Geseßgebung durhzubringen. Es wundert mich sehr, daß die Interpellanten nicht au auf Bayern Bug genommen haben, wo ebenfalls solhe Bestimmungen im Widerspruh mit der Reichs- geseßgebung besteh-n. Auch ia Preußen besteht das Geseß von 1854 immer noch zu Net, und man geht fogar, einem Antraze Gamp ent- sprehend, dort mit einer Verschärfung der Strafvorschriften dieses Ge- seßes vor; das anhaltishe G-seßz ist ledigli eine Nachahmung und Verschärfung bes preußi|hen, Der Landwirthshafts-Minister Freiherr von Merse hat ja dem preußischen Landtage direkt versprochen, eine Borlage nah Art des anhaltischen be demnächst zu machen. Die Bestrafung des Kontraktbruchs' gewerblicher Arbeiter würde heute doch nit einmal Freiherr von Stumm im Reichstage beantragen; während doch garniht abzusehen ist, warum der gewerblihe Arbeiter nicht auch dieser Strafe unterworfen sein sollte, wenn sie für die [andwirthschaftlihen Arbeiter besteht. Es handelt ch also flärlich um eine Ausnahmegeseßzgebung. Der Grund für E anhaltischen und reußischen E ist. die Landflucht, die Leutenot
So sehr man bestrebt sein muß, diese zu heben, auf dem Wege krimineller Zwangsmaßregeln kann man nichts föcdern. Auch die Be- strafung des Kontrafk1bruhs i ein Eingriff in die dem Neich yorbe- haltene Geseßgebungsmaterie, in das Strafgeseßbub, und zwar nicht sowohl ia den 7. Abschnitt, als vielmehr in den 25. Abschnitt des- selben, welher über den „strafbaren Eigennuß“ handelt. Was in dem anhaltishen Gese steht, zielt einfa darauf ab, drakonishe Strafen à la Rußland bei uns in Deutschland einzuführen ; j?denfalls liegt ein eflatanter Einbruch der etnzelstaatlichen Gesetz- gebung von Anhalt und Reuß in das Reichsreht vor. Bei der Ver- handlung des Antrags Gamp hat der Minister von Miguel ausdrüdcklich zugegeben, die ganze Frage gehöre in das Gebtet dec eihsfompetenz. Hinsihtlih der ztvilrehtlichen Seite der Sahe stehe au ih auf seiten des Abg. Spahn. Es erscheint ia der That dringend noth- wendig. daß man von Reihsw?gen endlih einmal alle pactifularen Ausfühcungsbestimmungen zum Bürgerlichen Geseßbuch gründlich
revidiert. Ia Anhalt giebt es eine
_Abg. Roesicke-Dessau (b. k. F.): Reihe sehr guter, treffliher Einrichtungen, z. B. auf dem Gebiete des Schulwesens, die man sich viel besser ¡zum Muster nehmen könnte als bieses höchst bedenkliche anhaltishe Spezialgesey, das man auch in anderen Bundesstaaten, sogar in Preußen, zu kopteren beabsichtigt. Ft es niht ebenso verwerflih, wenn ein Arbeitgeber die verabredeten Löhne nicht bezahlt, als wenn ein Arbeiter die Arbeit verläßt? Und nun will man den Kontraktbruch bestrafen, und zwar lediglich an den ländlichen Arbeitern? Auf das der s{chlimmften preußischen Reaktions- periode entstammende Geseß von 1854 sollte man sih nicht berufen. In Anhalt war eine neue Gesindeordnung erlassen worden, und bet der Berathung derselben bedauerten in der Kommission einige Land- wirthe, daß man nit auch die freien landwirthshaftlihen Arbeiter zwangsweise zurückführen fönne. Flugs war die Regierung bereit, eine entsprehende Vorlage zu machen; ohne weiteres ging die Be- rathung vor sih, und innerhalb einer Woche war die ganze Geschichte fix und fertig gemacht. Jun der Berathung im anhaltish?n Landtage wurde aber niht etwa auf die Leutenoth zur Begründung verwiesen, sondern auf die Flottenverstärkung, welhe den Arbeit:-rmangel vers größern werde und folhe vorbeugenden Maßregeln nothwendig mache. So richtet man sih je nahdem mit seinen Argumenten verschieden ein. Nun kommen die Konservativen in Preußen und sagen, weil Anhalt weiter gegangen is, müsse man n O auch weiter gehen; Anhalt wiro dann später diesem L eispiel folgen, und eine neue Schraube obne Gnde ist geshafen. Man hat au nit vergessen, daß an der Spitze dex anhaltischen Re- gierung der frühere preußishe Landrath von Koseritz ftebt, der auch auf anderen Gebieten turch Verstümmelung des Wahls- rechts anderen Staaten ein wenig beifallwürdiges Beispiel gegeben hat. Die exorbitante Strafe von einem Jahr Gefängniß für die fogenannten Anstifter kann in der Praxis keine weitere Wirkung haben, als die Arbeiter dem Arbeitgeber auf Gnade und Ungnade aus- zuliefern. Es wäre verwunderlih, wenn ih jemand noch darüber wundern wollte, daß angesichts solhzer gefeßliher Maßnahmen die ländlichen Arbeiter auf und davon gehen und die Landflucht etne voll- ständige wird. Nur die Gleichstellung aller Arbeiter, ohnedies ein Gebot der Gerechtigkeit, wird die Landfluht der Arbeiter einzudämmen im stande sein. Haben die Einzelstaaten, hat speziell Lübeck, mit ihrem Vorgehen Recht, dann ift die ganze Koalitionsfreiheit, dann ift der ganze § 152 der Gewerbeordnung illuforisch. Man beruft fh auf eine nahträglihe Deklaration des Lübecker Senats. Ausreden sind billig wie Brombeeren. Nachdem der Reichstag das Zuchthausgefez zurückgewiesen hat und die verbündeten Regierungen sich damit ay- gefunden haben, erscheint es mir unbegreiflich, wie der Vertreter des Reichskanzlers diejenigen Regierungen in Schuß nehmen kann, welche fo vorgegangen sind.
Abg. Graf von Klinckowstroem (d. kons.): Herr Stadts- hagen hat meinen Namen ohne Grund in die Debatte gezogen und mih dabei auch für den Heringezoll verantwortlich gemacht. Die ganze Rechte hat seinerzeit gegen den Heringszoll gestimmt. Wenn ein Arbeiter 50 F Tagelohn hat, so ist das, was Herr Stadthagen nicht weiß, nur ein Theil seines Lohns, der im übrigen aus dem Deputat besteht. Aus den amtlihen Berichten geht hervor, daß der Tagelohn geshwankt hat zwishzn 89 S (in emem einzigen Kreise) und 3 4A Die angebliche Erklärung der italienishen Regierung bin ih nicht in der Lage für eine amtliche zu halten; follte es gleihwobl der Fall sein, so müßte ih bitten, von bier aus auf die italienishe Regierung aufklärend zu wirken, denn jene Erklärung geht von ganz und gar unrihtigen Voraussezungen aus.
Abg. Heine (Soz.): Die sozialdemokratishe Partei und auch der „Vorwärts“ haben bezüglich der Bestrafung des Kontraktsbruchs nur eingeräumt, baß ihr der Artikel 2 der Verfassung nit entgegen- steht. je Bestrafung des Kontraktbruchs is mit dem Geiste des Vürgerlichen Gesceßbuhs und der Zivil-Prozeßordnung aber durchaus unvereinbar. Es giebt Agenten, welchz in Berlin zu Hunderten und Tausenden Knaben und Mädchen von 15 und 16 Jahren als Arbeitskräfte für das platte Land anwerben und hinauss{hlevpen, die dann in eine wahre Sklaverei gerathen und täglih zu Dugzenden fortlaufen. Die Frage der zwangsweisen Zurückführung if that- \ählih eine der heikelsten des ganzen Strafrechts. Eine atsheidung des Reichsgerichts kann als genügende Unterlage für die Ent- scheidung darüber, ob Abschnitt 7 des Strafgeseßbuchs, - Vergehen gegea die öôffentlihe Ordnung“, * ershöpfend geregelt ift, nit angesehen werden; dur die Entscheidung des Reichs- gerihts steht zunähst nihts weiter fest, als daß ein Straf- senat desselben eine besondere Meinung hat, andere Leute haben eine andere. Allgemein i das Urtheil im Hause über die Verlegung des Reichsrehts durch die lübishe Verordnung. In den leßten drei Jahren sind übrigens keine Ausschreitungen in Lübeck vorgekommen; in diesem Punkte hat der lübishe Senat dem Reichs« kanzler Unrichtiges berichtet. Der lübishe Senat hält es eben {on für eine Ausschreitung, wenn die Arbeiter sich ihres Koalit bedienen In Lübeck hat man {hon seit Jahren das Strike- postenstehen als grob:n Unfug verfolgt, und als das nit mehr ging, if man mit dieser Verordaung egangen. ür uns fommt es niht allein au die Zuständigkeit des eihes, sondern j besonders auf diejenize des Reichstages an; das Schlimme is ja eben die hier zu bedenklichen Fem eaenzen führende Stellung der deutshen Volksvertretung. Der klar ausgesprochen, er will die „Zachthausvorlage* nit; ift es ungehörig und illoyal, daß in den Einzelstaaten je6t auf diese Weise vorgegangen wird. Die lübishen Juristen einfach E der Denkschrift zur „ Zuchthausvorlage" geworden. A e denklich ift auch, daß diese neuen Gejeye gleichzeitig in den drei h Staaten erschienen, wie es die Scharfmacherpresse gleich nah der Ein-
fcharrung der „Zuchthausvorlage“ verlangte.