1922 / 155 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 Jul 1922 18:00:01 GMT) scan diff

iOmäßig zur Geltung kommen, und das ist nicht Sache einer Körperschaft, die nah Ländern zusammengeseßt ist. Daß neben

eser Zusammenseßung nah Welt- und Staats i

erüdsichtigung der Landsmannschaft bei der Ernennung der Richter ihre Rolle spielen wird und son gespielt hat, das habe ih ja mit allem erforderlichen Nahdruck schon betont.

Nun wende ich mi zur vierten und leßten Frage, zu der Besezung des Staatsgerichtshofs. Der Ausschuß hat beschlossen, ‘den Staatsgerichtshof zu beseßen mit zwei Berufsrichtern und fünf Laienrihtern. Meine Dame und Herren! Jch habe gegen diese Beseßung ein technishes Bedenken, nämlich das, daß der zine Richter, der neben dem Vorsißenden sibt, nicht in der Lage {st, die Berichterstattung und die Urteilsfassung für alle Sachen zu übernehmen, daß auf seine Schultern eine Last gelegt wird, die ein eingelner einfach nicht tragen fann. Gerade vor einer Stunde Habe ih einen Brief des Herrn Vorsißenden des Staatsgeriht3- Hofs zum Schutze der Republik erhalten, aus dem ich als einen Appell an dieses Haus die folgenden Säße verlesen will:

Die Befürchtung ist gänglih unbegründet, daß die drei Mitglieder des Reichsgerichts die erlassenen Bestimmungen nicht in dem Geiste, in dem sie erlassen sind, und mit der Schärfe, die der Schuß der Republik erforderi, anwenden würden. Sämtliche von mir vorgeschlagenen Mitglieder stehen ebenso wie ih selbst, fest und mit voller Ueberzeugung auf dem Boden der

* Republik und sind sih ihrer Aufgabe bewußt. Jch bitte daher è au die Parteien dringend, uns das Vertrauen zu schenken, dessen wir bedürfen, und uns nit in ängstlicher Kontrollsorge unnötige Hemmschuhe anzulegen. Ih bitte Sie deshalb, sich auf einen der beiden Standpunkte zu begeben, entweder zu der Regierungsvorlage zurüczukehren, d. H. zu der Zusammenseßung aus drei Reichsgerichtsräten und vier Laienrichtern (hört, hört! bei den Unabßÿ. Sozialdemokraten) oder aber dem Antrage zuzustimmen, der den Staats8gericht8hof aus drei Reichsgerichtsräten und sechs Laienrichtern zusammengeseßt wünscht, also den Zwet, den die im Aus\{chuß angenommene Fas=- fung durch Verminderung der BVerufsrichter zu erreichen sucht, umgekehrt durch eine Vermehrung der Laienrichter erzielt. (Bravo! bei den Sozialdemokraten und den Deutschen Demokraten.)

Abg. Dr. Rosenfeld (U. Soz.): Für uns ist die Fvage der Zusammensehung des Staatsgerichtshofs geradezu entscheidend. Das Ie Volk muß zu diesem Gerichtshof Vertrauen haben. Die technischen Ginwände des Neichsjustizministers sind niht durch- erw, auch die Laienrichter können den MNeichsgerichtsräten einen Teil der technishen Arbeit abnehmen. Bedauerlicherweise hat der Sit auer nicht unbedingt an dem Ausshußbes{chluß fest-

halten. Jch habe mich nur gewundert, daß der Abgeordnete Emminger nicht gefordert hat, h der Staatsgerihtshof seinen Siß in Miesbach Sn lait. (Heiterkeit links) Bei Herrn Hamm ist der Bayer mit dem Demokvaten durhgegangen. Davon, daß die Arbeiterschaft 1m Reichsgeriht die Verkörperung der Klass enzustiz erblidt, hat er offenbar feine Ahnung. Er selbst hat indirekt zu- egeben, daß das Reichsgericht auf die Revolution und ihre Wir- ungen feine Rüdsiht nimmt, daß es noch heute ganz der wilhel- minischen Tradition huldigt. Fn den Staatêgerichtshof dürfen nur era lge Republikaner hineinkommen; mit Monarchisten oder mit

nunftrepublikanern aus den Reihen der Deutschen Volkspartei fann man die Republik nicht hüten. Bayern fällt jedesmal dem Neich in die Arme, wenn dieses einen Fortschritt machen will, Bayern

\chüßt die Mörderbanden, Bayern tut nichts, um zur Gatgiftung des “politischen Kampfes beizutragen. Bayern hak im Jura in den Sitaats- «werfstätten der Chrhardt-Brigade Untershlupf gewährt uno auch

Kapp hat sich daselbst verborgen gehalten. Gewiß handelt cs si um ‘eine Verfassungsänderung, aber der Reichstag kann nicht länger warten, er fann nicht warten, bis sich auch Herr Hamm eines anderen besonnen hat. Wieviel führende Männer der Republik sollen denn noch ermordet werden? Nux Bayern hat eine so s{harfe Ab- lehnung des Gesehes hier aussprechen lassen. Wir verlangen, daß nicht die Neichsanwaltschaft die Anklagebehövde ist, sondern daß ein vom MNeichsjustizminister gestellter Kommissar die Rolle des An- Flägers übernimmt. Wir haben gegen die Oberreichsanwaltschaft das

ößte Mißtrauen. Wenn das Reichsgeriht im Kapp-Putsch ver- fagie, so trifft die Verantwortung dafür gerade die ODberreihs- anwaltschaft. In diesen Tagen hat das Neichsgericht einen RNeichs- anwalt nah München geshickt und ihm einen besonderen Stab von Berliner Polizeibeamten mitzugeben veranlaßt. Als die leßteren in München sih beim Reichsanwalt meldeten, erklärte er thnen, sie sollten lieber zurückfehren, er werde seine Sache lieber mit der bayerischen Polizei durhführen. (Große Bewegung links.) Und das in einem Augendlick, wo alles auf vashes und ent\chblossenes Handeln antfommt! Entweder war der Reichsanwalt zu shwach oder er hat ih von sder | yerishen Regierung eimvideln lassen. Bayern verfolgt eine Politik der Unterdrücfung ber Arbeiterklasse. Dieser Staats- gerihtshof aber soll ein wirtklider Schuß der Republik werden. (Beifall links.)

Reichsminister der Justiz Dr. Radbruch: Der Herr Kollege Dr. Rosenfeld hat hier einen Vorgang aus München vor- getragen, einen Vorgang, der stimmt. (Hört, hört! links.) Fn der Tat hat der Vertreter der Reichsanwaltschaft die Beamten der Berliner Polizei aus München wieder weggeshickt. (Höri, hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.) Was dazwischen liegt, weiß der Herr Kollege Rosenfeld nicht, Aber es hat ihm genügt, dies nicht zu wissen, um den ganzen Vorgang zu mißbilligen.

Fch kann ihm zweierlei dazu bemerken. Erstens: Es liegt nicht dazwischen irgendein Widerstand der bayerishen Polizei. Jch kann zweitens bemerken: Der Mann, den ih hingesandt habe, war mit vollem Bewußtsein und vollem Vertrauen ausgewählt. Es war ein Mann, der in den Kommunistenprozessen sich sogar das unershütterliche Vertrauen der Verteidiger dieser Kommunisten eúworben hatte und dem ih aus diesem Grunde, infolge der Ob- jektivität, die ih hieraus entnehme (Lachen vehts), diese Tätigkeit anvertraut hbe.

Fch bin nicht in der Lage, ohne Gefährdung des Untersuhumgs- zwedes über die Vorgänge, die zwischen der Ankunft und zwischen der Abreise der Berliner Beamten liegen, Auskunft zu geben. Fch fann dem Herrn Kollegen Rosenfeld nur sagen, daß sih aus diesen Vorgängen nichts ergibt, was gegen die Stellung spräche, die dieser Entwurf der Reichsanwaltschaft einräumt. Vielleicht ergibt sih aber aus diesen Vorgängen etwas, was für die möglichst baldige Verabschiedung des Reichskriminalgeseßes sprechen könnte.

Dann hat der Herr Kollege Dr. Rosenfeld seine Ausführungen gegen den Oberreichsanwalt mit seinem angeblichen Verhalten bei der Verfolgung der Kappisten begründet. (Zuruf bei den Un- abhängigen Sozialdemokraten: Nihtversolgung!) Der Herr Kollege Rosenfeld müßte eigentlich wissen, daß die Nichtverfolgung, wie Sie sagen, nicht beruht auf dem Verhalten des Oberveichsanwaltes, sondern auf der Rechtspoœchung des Reichsgerichtes auf Grund des Amnestiegeseves, das in einèr Weise, die ih immer bedauert habe, den Begriff der Führer viel zu eng ausgelegt hat. (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das war ein Fahr später!)

Gegen den Oberreihsanwalt ist keinerlei Vorwurf aus dieser Recht-

sprechung herzuleiten. Wer die Rede des Oberreihsanwalts im Jagowprozeß einmal in ihrem vollen Umfang gelesen hat und ih empfehle jedem Mitgliede dieses Hauses, das von der Psychologie des Reich8gerichts etwas wissen will, sich auch das Fagow-Urteil anzusehen (sehr rihtig bei den Deutshen Demo- fraten —, wer die Rede des Oberreichsanwalts, sage ih, gelesen hat, der weiß, daß dieser Mann mit vollem Bewußtsein auf dem Boden der Republik steht und das Vertrauen der Republik ver- dient. (Bravo! bei den Deutshen Demokraten.)

Abg. Eichhorn (Komm.): Hätten wir ein vertrauenswürdiges Neichsgericht, dann brauchten wir das Geseß und den Staatsgerichts-

hof überhaupt nicht. Alle Geseße nüßen nichts, Jona Bayern der |

Schlupfwinkel der monarchistischen Verbrecher bleibt. Bayern ist eine monarchistishe Mördergrube. Das Meichsgericht ist E Sin "Mio besser als irgend ein anderes Klassengeriht. Wir wollen ein besonderes Ausnahmegeriht nah Berlin haben, welches ständig mit der Reichs- regierung in Fühlung bleibt, und welches aus einem Richter und fünf Laien zu bestehen haft. Unter allen Umständen muß das Laienelement die Entscheidung haben, muß das gesunde Volksurteil zum Ausdruck kommen. Nicht der Reichspräsident hat die Laienrichter zu ernennen, sondern die Auswahl muß auf Grund einer Vorschlagsliste erfolgen, die von den 1 ie 0 A und den Beamtenorganisationen zu- sammengestellt ist. Auch wir verlangen, daß beim Meichsjustiz- ministerium ein besonderer Kommissar für den Schuß der Republik bestellt wird, der als Ankläger fungiert. Jst der Reichsjustizminister damit nicht einverstanden, fo wird ch wohl ein anderer finden, der den Willen des Reichstags ausführt. Der Reichskanzler hat noch die Parole ausgegeben: Gegen rechts! Dr. Radbruch hat im Aus\{huß bereits gesagt: Gegen links und rechts! Damit sind wir drauf und dran, daß, namentlih bei dem heutigen Klassenrichtertum ein Geseß gegen links zustandefommt und daß die Mörderzentrale völlig fret ausgeht. Nichts ist selbstverständlicher, als daß ein Mann wie der Staatsanwalt Emminger das Geseß sabotiert. Dr. Radbruch hat sich heute sogar zur Verteidigung und Rechtfertigung des Verhaltens des Meichsanwalts in München aufges{chwungen. Endlich einmal muß doch mit Ernst gegen die Drahtzieher vorgegangen werden, die hinter den Mördern stehen. Dr. Radbruh will den Begriff Führer weiter gefaßt wissen. Noch heute hält Herr Ludendorff die unverschämtesten Neden, er hat sogar die unglaubliche Frechheit und Unvershämtheit

en, meine Parteigenossen der Ermordung NRathenaus zu be- zichtigen.

ba. Dr. Bell (Zentr.): Jm Ausschuß sind der zweiten Lesung zu § 5 Aenderungen vorgenommen worden, die wir als unerträglich ablehnen. Wir beantragen im Verein mit den Demokraten, daß der Staatsgerihtshof in einer Beseßung von neun Mitgliedern ent- scheidet, von denen drei Reichsgerichtsräte und ses Laien sind.

Abg. Wissell (Soz.): Wir stimmen der vorgeschenen Zu- sammensebung des Staatsgerichtshofs im Prinzip zu und wünschen, das Laienelement die aus\chlaggebende Bedeutung erhält. Gestern ist hier an dem guten Ton appelliert worden. In der „Täglichen Rundschau” von heute abend finden sh aber in einem Artikel über den Mord an Rathenau und die gestrigen Reichstagsverhandlungen Aeußerungen, die eine politishe Brunnenvergiftung darstellen. Der Nedner verliest die in Betraht kommenden Stellen des Artikels, der auf der Linken lebhafte Entrüstungsfundgebungen auslöst, (Zuruf des Abgeordneten Kahl: Jh lehne das mir in diesem Artikel gespendete Lob ab!) Ueber diese Ablehnung des Abgeordneten Kahl freue ich mich! (Zustimmung links.) B

Abg. Dr. Wunderlich (D. Vp.) begründet kurz einen An - trag, wonach auch die geseßlichen Bestimmungen über die Aus- \{ließzung und Ablehnung der Gerichtspersonen nicht zum Nachteile des Beschuldigten geändert werden dürfen.

Abg. Dr. Barth (D. Nat.): Wir lehnen diese Geseßes- bestimmungen auch von unserm föderalistishen Standpunkt aus, den wir na wie vor vertreten, ab. Wir sind der Ansicht, daß es sich Hier um einen {weren Angriff auf den Föderalis8mus handelt. Es ist eine Brüskierung Bayerns, wenn dieses nicht einmal über die Zu- sammensezung des Staatsgerichtshbfs gehört wird. Ebenso empfinden wir die gestrine Rede des Reichskanzlers als eine Brüskierung Bayerns und wir bedauern es, daß der höchste Beamte des Neiches in dieser Rede auf das Niveau der Bierbank herabgegangen ist. (Leb- hafte Cntrüstungskundaebungen beù_ der Mehrheit, große Unruhe; Bizeprästident Dr. Rießer ruft den Redner zur Ordnung.) Geradezu unerhört is die Aeußerung des Reichskanzlers gestern, daß die Scließung der Wirtschafien um 9 Uhr abends in Bayerns eine weit stärkere Wirkung ausgelöst hätte als die \{chärfsten Bestimmungen des vorlieaenden Geseßes. (Stürmishe Zwischenrufe und lebhafte Schlußrufe.)

Der Antrag der Kommunisten, den Titel des S 5 dahin zu ändern, daß er lautet: „Außerordentliches Gericht zum Schuße der Republik“, wird gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt, ebenso der Antrag derselben Partei auf eine andeve Fassung des § 5.

Von den weiteren Abänderungsanträgen zu Z 5 werden angenommen der Antrag des Zentrums und der Demoëtraten, wonach der Staatsgerichtshof aus drei Reichsgerichtsräten und sechs Laienrichtern zusammengeseßt sein soll, ferner dec An- trag Wundexrlih und ein Anirag der Sozialdemokraten und Unabhängigen Sozialisten, wonach von den drei Richtern, die die Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung zu tveffen haben, einer nicht dem Reichsgericht angehören darf.

Mit diesen Abänderungsanträgen wird im übrigen § 5 nah den Beschlüssen des Ausschusses gegen die Stimmen der Deutschnationalen angenommen.

8 6 regelt die Zuständigkeit des Staat3gerichtshofs.

__ Ein Antrag der Deutschen Volkspartei will die Handlungen gegen Mitglieder einer früheren republika- nischen Regierung treffen, soweit diese Taten auss{chließlich gegen die verfassungsmäßige republikanische Staatsform eines Landes, die Mitglieder etner im Amte befindlichen oder einer früheren republikanischen Regierung eines Landes oder gegen Landesfarben gerichtet sind.

Nach kurzer Debatte wird § 6 mit dieser Aenderung an- genommen.

S 7 handelt von verbotenen Vereinigungen.

Abg. Dr. Semmler (D. Nat.) wendet sich gegen Megierungs- und Landratsverordnungen in Schlesien, wo in Ausführung der Ver- ordnung des Reichspräsidenten bewußt gegen die deutschnationale Partei eingeschritten und erklärt wird, daß die Verordnung nicht nah links angewandt werde. (Hört, hört, rets.) Der Polizeipräsident in Magdeburg, bemerkt der Redner, hat in einer Verfügung erklärt, daß er feinen Qweifel darüber lasse, daß es mit dem dem republikanischen Staatswesen L affa Eid unvereinbar sei, Parteien anzugehören, die, wie die Deutschnationalen und Kommunisten, diese Staatsform ungeseßlich bekämpfen. (Hört, hört, rechts). ieser Mann muß diszipliniert werden. (chen links.) So wirkt das Wort der Regierung „der Feind steht rechts." Das zeigt auch die Erschießung der Frau des Redakteurs Reiß in Marienburg; auch auf Frhr. v. Lüttwiß ist ein Revolveranshlag gemacht worden. Die Deutschnationalen werden sich dur kein Geseß abhalten lassen, ihre Ansichten offen und frei auszu- sprechen. Auch von dem Bekenntnis zu ihren angestammten Fürsten- häusern werden sie sih nicht abhalten lassen. (Lebh. Beifall rets.)

Reichsminister des Innern Dr. T E Die Verordnung des Reichspräsidenten ist mit Willen der Mehrheit des Reichstages so aufgebaut worden, daß der Reichsminister des aths kein Recht . hat, in die De der Länder einzugreifen. Ebensowenig kann Be- schwerde beim Reichsminister des Snnern geführt werden. Sie können niht nachher kommen und uns verantwortlih machen für das, was in den Ländern geschieht.

Abg. Dr. Levi (Unabh. Soz.) vosemisiert gegen die Deutsch- nationdlen. Solange die deutichnationale Partei Mörder schüne, müsse sie verfolgt werden. Bei den Kommun:sten würden keine Pèörder ge- ¿üchtet.

Abg. Kemp kes (D. Vp.) begründet einen Abänderung s®8- antrag, wonach Versammlungen verboten werden sollen, wenn in ihnen nah den übrigen Bestimmungen des Geseßes strafbare Er- órterungen stattfinden und geduldet werden.

Reichsminister des Junern Dr. K ö st e r : Meine Damen und Herren, ih möhte Sie bitten, den Antrag des Herrn Kollegen Kempkes, im Abs. 1 hinter dem Wort „stattfinden“ die Worte zu seßen „und geduldet werden“, abzulehnen. Wir haben im Aus- {huß, um dem Exekutivbeamten, der eine Versammlung verbietet, feste Richtlinien an die Hand zu geben, die Worte „bestimmte Tat- sachen“ noch besonders hinzugesezt. Wenn Sie nun noch die Worte „und geduldet werden“ hinzusezen und damit dem Beamten die Vorschrift geben, er solle eine Versammlung nur verbieten, wenn die Besorgnis gerechtfertigt ist ja, wenn bestimmte Tat- sahen vorliegen, daß die Besorgnis gerechtfertigt E, 08 fönnten von irgendwelcher Seite solche Erörterungen niht nur her- vorgerufen, sondern auch geduldet werden, dann machen Sie diese ganze Vorschrift überhaupt wirkungslos. Darin stimme ih mit dem Herrn Kollegen Levi vollkommen überein. Wir müssen dem Beamten, wenn wir überhaupt das verwirklichen wollen, was wir mit dicsem Absay bezwedcken, die Freiheit geben, wenn er bestimmte Tatsachen hat, die die Besorgnis rechtfertigen, daß solche Erörte- rungen von irgendwelcher Seite in die Versammlung überhaupt hineingetragen werden, dann die Versammlung aufzulösen.

Vom Herrn Kollegen Dr. Levi ist beantragt worden, im Abs. 3 die vom Ausshuß eingefügten Worte „geduldet werden“ zu streichen. Gegen die radikale Streichung habe ich im Sinne dessen, was Herr Kollege Kempkes ausgeführt hat, einige Bedenken. Fh habe aber auch Bedenken in bezug auf die praïtishe Ausführung, wenn es bei dem „geduldet werden“ bleibt. Denn wie liegen die Dinge in der Praxis? Der Versammlungsleiter hört in einer Debattevede Erörterungen dieser Art. Er greift niht sofot ein; er greift erst ein, nachdem einige Säge gefallen sind; dann hat er diese Erörterung nicht geduldet. "Es kommt ein anderer Debattes redner, der kommt wieder mit Erörterungen dieser Art, der Ver- sammlungsleiter greift wieder ein. Er hat wieder niht geduldet. Es fönnte also wiederholt, sogar nah einem abgekarteten Spiel zu immer wiederholten Erörterungen kommen, die vom Ver- sammlungsleiter als „nit geduldet“ bezeihnet werden.

Es ist aber auch mögli, daß der Versammlungzsleiter gar nicht die Kraft hat, sih durchzusepen. Wie ist es dann? Darum würde ih glauben, wir lösen die Frage am besten, wenn wir sagen: Solche Versammlungen usw. können aufgelöst werden, in denen Zus widerhandlungen vorkommen und geduldet „oder troy C1n- shreitens des Verfammlungsleiters fortgeseßt werden“. Daun haben wir eine klare Bestimmung. Fh würde mich freuen, wenn in dieser Richtung ein Antrag gestellt würde.

Was den Absatz 4 betvifst, so kommen wir wohl nah den Er- klärungen, die ih im Ausshuß gegeben habe, mit der jepigen Fassung vollkommen aus. Schon die jeßige Fassung weist klar darauf hin, daß es sich um Vereine und Vereinigungen handelt, die die Erhebung einex bestimmten Person auf den Thron be- tveiben. Daraus geht ganz klar hevvor, daß hiermit Vereine, die die monarchishe Tradition an sich pflegen, nicht gemeint sind. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Jch habe das im Aus\chuß gesagt und wiederhole es, daß das niht gemeint ist. Ich bin aber andererseits der Ansicht, daß wir hier durch diesen Zusaß den Wortlaut des Geseßes niht beschweren sollten. Schon nach dem vorliegenden Wortlaut kann gar kein Zweifel darüber sein, daß es si lediglich um solhe Vereine handelt, die die Erhebung einer bestimmten Person betveiben. Wir haben ja, um Mißver- ständnisse auszuschalten, diesen Wortlaut im Aus\{uß speziell fest- gefeßt.

Fch glaube, daß wir durch diese Aenderungen, die ich vor- geschlagen habe, weiterkommen, und daß wir es im übrigen beim Wovtlaut der Vorlage belassen sollten.

Abg. Dr. Shück ing (Dem.) will es gleihfalls bei der Vor- lage belassen. Die monarchishen Bestrebungen an ih \ollen nicht unterbunden werden. Der Erlaß des Neichspräsidenten in Magdeburg sei {on aufgehoben worden.

Abge. Koenen (Komm.): Also die Demokraten felbft erklären, und noch dazu durh den Mund des Dr. Schücking, nicht die Hand da-

zu bieten zu wollen, die Wiederaufrichtung der Monarchie an sich zu verbieten. Es \{cheint, daß aus thren Reihen noch manche geholt werden müssen, ehe sie einmal vernünftig werden. Auch S 7 ist durch- aus dazu angetan, der Stinnespartei zur Verfolgung der Arbeiterschaft eine Handhabe zu liefern; das Mittel dazu liegt in dem von der Stinnespartei geretteten, in ihrem Sinne umgemodelten § 2. Man führt die Ueberwahung von Versammlungen wieder ein und hebt die verfassungsmäßige Versammlungsfreiheit wieder auf, auch alle Wahl- versammlungen müssen in Zukunft überwat werden. Wie harmoniert das mit dem Bielefelder Abkommen und mit den Minimalforderungen der Linksporteien und der Gewerkschaften? S 7 ist für die Arbeiter und ihre freie Bewegung die allergrößte Gefahr.

L 7 wird nah Ablehnung aller Abänderung8anträge in der Aus\chußfassung angenommen.

L 8 erklärt für die Maßnahmen des S 7 die Landes3zentral=- behörden oder die von ihnen bestimmten Stellen für zuständig.

Abg. Vogel (Soz.) befürwortet, auch den Reichsminister des Fnnern für zuständig zu erkläien, und beruft sich dafür auf die passive uind aktive Resistenz, die man nah den bisherigen Erfahrungen bes sonders ' von der bayerischen Regierung zu erwarten habe. Dort sei man sozusagen in der Regierung drauf und dran, den Mordgesellen wieder das Rückgrat zu stärken. Darum bedürfe es durchaus der Exekutive. Uebrigens sei die Bevölkerung Frankens gegen die monarchistishen Bestrebungen ganz anders ¿inaritelt als im übrigen Bayern, auch viele katholishe Arbeiter hätten für jene Art von Bayerntum nichts übrig. (Widerspru im Zentrum.)

Abg. Koenen (Komm.): Wir brauchen einen besonderen NReichskommissar beim Reichsministerium des Innern, der für die Maßnahmen auf Grund von § 7 zuständig ist. Dieser Kommissar zum Schuß der Republik muß von den Arbeiterorganisationen momi- niert werden, nur dann wird die Neichsexetutive Erfolg haben und der Mörderbanden Herr werden.

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

Nerantwortliher Schriftleiter: J. V.: Weber in Berlin.

Verantwortlich für den Anzeigenteil : Der Vorsteher der Geschäftsstelle F V.: Rechnungsrat Meyer in Berlin.

Verlag der Geschäftsstelle (J. V.: Meyer) in Berlin. Druck der Norddeutshen Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Berlin, Wilhelmstr. 32.

Neun Beilagen (einshließlich Börsenbeilage,)

und Euste, Zweite, Dritte, Vierte, Fünfte und Sechste Zentral-Handelsregister-Beilage

ESrste Beílage

zum Deutschen RNeichZ2anzeiger und Preußischen SúaaicSanzeiger

Ir. 155.

Berlin, Montag, den 17. Fuli

1922

(Fortseßung aus dem Hauptblatt.)

8 8 wird unverändert angenommen, ebenso §8 8a und 9.

Von der N u Volkspartei. und der Bayerischen Volkspartei ist ein neuer § 9a be - antragt, wonach mit Gefängnis bis zu 5 Jahren, neben dem auf Geldstrafe bis zu einer Million Mark erkannt werden kann, bestraft wird, wer nicht verbotene Versammlungen, Auf- rufe oder Kundgebungen sprengt, verhindert usw.

Abg. Zapf (D. Vp.) befürwortet den Antrag, während Ab- |

geordneter Wis se l l (Soz) dartut, daß dieser Antrag nihts mit dem Gesebe zum Schuße der Republik zu tun habe.

Reichsminister Dr. NRadbruch: Der Antrag gehört in eine Mean des Strafgeschbuhs und hat auch sonst sehr starke Bedenken gegen fi. .

_ Abg. Dr. Schücking (Dem.) \ch{lägt eine Fassung vor, wona mit Gefängnis neben dem auf Geldstrafe bis zu einer Million Mark erftannt werden fann, bestraft wird, wer niht verbotene. Versamm- lungen, Aufzüge oder Kundgebungen mit Gewalt oder mit Androhung von Gewalt sprengt oder ihre Abhaltung verhindert.

Jn dieser Fassung gelangt der Antrag mit den Stimmen sämtlicher bürgerlichen Parteien zur Annahme.

8 10 delmt die Vorschriften des Preßgeseßzes von 1874 über die Beschlagnahme von Druckschriften auch auf die in S8 1 bis 2a dieses Gesetzes bezeichneten strafbaren Handlungen aus, mit der Maßgabe, daß der Staatsanwaltschaft gegen den S val ren lede A der die vorläufige Beschlagnahme aufhebt, die sofortige Beschwerde mit aufschiebender Wirkung zusteht.

Ubg. Vr. Mere (Komm.), der um 91/4 Uhr abends das Wort erhält, sucht die reaktionäre Tendenz des § 10 nachzuweisen, der auch der soztaldemokratishen Partei und ihrer Presse sehr leiht ge- fährlih werden könne und legt den Sozialdemokraten nahe, sch recht gründlich zu überlegen, ob sie eine solche Bestimmung in einem Geseß zum Schuße der Republik stehen lassen wollen.

Ein Antrag der Deutschen Volkspartei auf Einfügung eines neuen § 11a, der im Falle der Aufhebung der Beschlagnahme einen Schadenersaßspruch gegen ' den zu- ständigen Landesfiskus statuiert, wird vom Abg. Dr. Cremer (D. Vp.) begründet.

Reichsminister des Imern Dr. Köster spricht sich gegen die Annahme dieses Antvags aus.

Abg. Ko h - Weser (Dem.) und Abg. Sollmann (Soz.) be- Fämpfen gleichfalls den Antrag.

8 1la wird abgelehnt.

18, der die Mitglieder vormals landes3herrlicher Famlien betraf, ist vom Ausshuß gestrichen worden.

Abg. Frau Pfülf (Soz.) befürwortet einen neuen § 13 in folgender Gassrns:

„Mitglieder solher Familien, von denen ein Angehöriger bis November 1918 in einem ehemaligen deutshen Bundesstaat regiert bat, können, wenn sie wegen einer der in SS 1 bis 2a bezeichneten Praltaren, Handlungen verurteilt worden sind, durch Beschluß der

eihsregierung aus dem Reichsgebiet ausgewiesen werden

Ferner begründet Abg. Frau Pfülf (Soz.) einen A n - trag ihrer Fraktion auf Einfügung eines neuen F 14a, wo- nah Mitglieder ehemaliger landesherrlicher Familien für die Dauer von 25 Jahren vom Fnkrafttreten der Reichsverfassung an niht zum Reichspräsidenten, Staatspräsidenten, zu. Mit-= gliedern der Reich8regierung oder einer Lande§regierung ge- wählt oder bestellt werden.

Der . Schiele (D. Nat.), der der Rednertin „Unsinn!“ zuruft und der Abg. Mittwoch (Komm.), der darauf mit dem A antwortet: „Sie werden {hon wieder frech“, erhalten vom Präsidenten Löbe Ordnungsrufe.

Abg. Dr. Kahl (D. Vp.) beantragt Streichung des § 14, na welhem Mitgliedern ehemals in Deuts iano regierender

amilien, wenn sie thren Wohnsiß oder dauernden Aufenthalt im Ausland haben, von der Reichsregierung das Betreten des Reichs- gebiets untersagt oder der Aufenthalt u bestimmte Teile oder Orte des Reiches beschränkt werden kann, falls die Besorgnis gerechtfertigt ist, daß sonst das Wohl der Republik gefährdet wird. Gin Eventual- antrag des Redners fordert eine Ang der Ne ga für die Anwendung dieser Bestimmungen. Redner ist der Ansicht, daß § 14 sis vor allem gegen den ehemaligen Kronprinzen ‘und gegen den

überen Kaiser richte, und daß § 14 in seiner Wirku die Ver- bannung auf Leben3zeit und somit einen rstoß tan bie Reichs- verfassung bedeute.

bg, Koenen E begründet einen Antrag seiner Partei, der auf eine erhebliche Verschärfung des § 14 hinausläuft.

Der Antos auf WiGeecteang, des vom Aus\{chuß gestrichenen § 13 wird abgelehnt und der § 14 unter Ab- lehnung aller Abänderungs3anträge nach den Aus\huß- beschlüssen angenommen.

Der Rest des Geseßes wird ebenfalls nah den Aus\chuß- beshlüssen angenommen. Ein Antrag der Deutschen Volks- partei, das Gese hon nach drei Jahven außer Kraft treten zu lassen, wird abgelehnt, es bleibt also bei fünf Jahren.

Damit ist die zweite Lesung beendet.

Nächste Sizung Donnerstag, 2 Uhr. (Amnestiegeset, kleine Vorlagen.) Schluß nach 1014 Uhr.

Preußischer Landtag. 161. Sizung vom 6. Juli 1922, Vormittags 11 Uhr.

(Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger *)

Zur Beratung stehen die vom Verfassungsau8\shuß vor- beratenen Anträge der Kommunisten, der unab- hängigen Sozialisten und der Koalitions- parteien, betr. den Shußg der Republik, in Ver- bindung mit der ersten und zweiten Lesung der von dem Aus- \husse vorgeschlagenen Gesegzentw Uxfe Uber Ge» währung einer Amnesti e und über Aenderung des Disziplinarrechts für die nichtrihter- lihenBeamtenund fürdie Richter.

Berichterstatter Abg. Heilmann (Soz.): Der Verfassung3- aus\chuß hat mit fester Hand aus der Fulle der Anträge die Hauptgebiete herausgegriffen: die Amnestie und das Disziplinar- recht für die Richter und für gewisse Kategorien von Verwaltung8- beamten. Straffreiheit soll gewährt werden für Verurteilte, deren Strafen mit wirtschaftlichen und politishen Bewegungen, wie dem Kapp-Putsch, dem mitteldeutschen Aufstand von 1920, den Vor- gungen nah der Ermordung Erzbergers, in Zusammenhang stehen,

«) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck hervorgehobenen Reden

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der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

endlich auch Folgen des Eisenbahnerstreiks waren, wobei hier die

heitédelifte sind von der Amnestie ausgeschlossen. Zur Kontrolle wird ein vom Staatsministerium einzujeßender Ausschuß berufen.

Auf dem Gebiete des Disziplinarrechts schafft unjer Geseßes- | tand und eine neue Diszi- |

vorshlag einen neuen Disziplinartatbes plinarbehörde. Die leßten Jahre haben gezeigt, daß die Republik erade von Beamten in einflußreihen Stellungen in der ge- jässigsten und gemeinsten Weise beschimpft, verhöhnt und bekämpft worden ist, daß die Staatsgewalt in ihren Trägern die shärfsten Angriffe au von dieser Seite erfuhr. Die politishe Meinungs- freiheit soll durchaus erhalten werden; erhindert werden soll nur eine herausfordernde Stellungnahme gegen die Republik, Verleum- dung, Verächtlichmachung der republikanischen Staatseinrihtungen, agitatorische Förderung der Bestrebungen zur Wiederaufrihtung der Monarchie. Die Entscheidung kann nicht in die Hände der heutigen Disziplinarrichter gelegt werden. Die Disziplinarsenate sollen nur eine Erweiterung durch Hinzutritt einer Anzahl vom Staats- ministerium zu ernennender Personen erfahren. Zugleich benußt der Ausshuß die Gelegenheit, ein altes Unrecht wieder gut zu maen, indem er die Aufhebung der berüchtigten lex Arons vor- schlägt. Die sofortige Verseßung aufsässiger Beamten in den Ruhe- stand wird nicht verlangt; wohl aber joll bei der Beseßung von Aemtern hinfort auch das äußere Bekenntnis zur Republik fest- estellt werden. Es ist sehr zu begrüßen, daß man sich im Aus- {chuß entschlossen hat, Preußen zum Schuß der Republik voran- marschieren zu lassen. Das imposante Aufgebot der Hundert- tausende am 4. Juli anläßlich der Ermordung Rathenaus i} für das ganze Land von gar nicht hoh genug zu veranshlagender Bedeutung. Der Ausschuß hat {nelle und gute Arbeit geleistet; er erwartet vom Hause das gleiche. (Beifall)

Abg. Grzesinski (Soz.): Der Mord an Rathenau hat den tiefen Abgrund enthüllt, an dem Deutschland steht. An diesem Abgrund sind wir viel zu lange dahingewandelt, es muß Ordnung geschaffen werden; das ist Pflicht der Selbsterhaltung. Wir sind zur rüdsichtslosen Abwehr in Reich und Ländern entschlossen. Fm Vertrauen auf den guten Willen der anderen Seite waren wir bisher tolerant im besten demokratishen Sinne; trop Be- shimpfungen und Verleumdungen haben wir jedem und allen gegenüber an den Grundrecten festgehalten, die in keinem Lande der Welt \o ausgedehnt sind wie bei uns. Aber diese Toleranz hat Mörderbanden und zu ihrer Unterstüßung Organisationen ent- stehen lassen, die von politischen Parteien finanziert werden. Die Republik wird sich schügen gegen ihre offenen, aber auch gegen ihre geheimen Widersacher. Der Versuch der Wiederaufrihtung der Monarchie, der nah Lage der Sache nur ein gewaltsamer sein kann, wird von der Arbeitershaft im Keim erstickt werden; eine vorübergehende Wiedereinseßzung der Monarchie würde sofort den Bürgerkrieg entfesseln. Ein Horthy-Ungarn läßt sich die Arbeiter- haft und wohl auch die Demokratie auh nicht aht Tage lang gefallen. Das Ausnahmegeseß von 1878 verfolgte Gesinnungen; jeßt sollen nux Verbrechen und Straftaten verfolgt werden. Ein nohmaliges Uebergehen ihrer so berechtigten Mindestforderungen wird die Arbeitershaft niht mehr ruhig hinnehmen. Wir hofsen, daß die politischen Machtfaktoren in Reich und Land das Gebot der Stunde erkennen werden; sonst muß sofort das Volk befragt werden! Keine halben Maßregeln, die \{limmer sind als gar feine! Das Schußschwert der Republik muß haarsharf geschliffen werden. Wie war es möglich, daß im Reichsrat eine ganze Anzahl von Vertretern preußisher Provinzen gegen den Schuß der Republik haben stimmen können? Vorausseßung für jede wirksame Schußzaktion ist eine weitgehende Amnestie für alle Freunde der Republik, die in politischen Bewegungen mit dem Strafgeseß in Konflikt gekommen sind, und den Eisenbahnern muß dabei ein hervorragender Plaß eingeräumt sein. Stimmen Sie den unver- änderten Ausshußanträgen in diesem Punkte zu! Fast noch wichtiger und notwendiger erscheint die Aenderung des Beamten- disziplinarrehts, womit wir in Preußen vorangehen und worin uns die andern Länder nachfolgen mögen. Was hier gefordert wird, sind Selbstverständlichkeiten; aber leider haben die Diszi- plinarrihter und der Disziplinarhof andere Anschauungen betätigt und den Angriff auf die Republik, ihre Verächtlihmachung sozu- sagen für erlaubt erklärt. Darum der Disziplinarhof in seiner neuen BulammenE n Erst die Republik hat den Beamten wirkliche Bewegungsfretheit und eine materielle Sicherstellung ge- geben, wie sie das alte Regime nie fertigbekommen hätte. Die Republik verlangt, daß die Beamten auch als Staatsbürger ihre Pflicht tun. Nehmen Sie auch hier die oe Min A i an! Rücksichtslo3 müssen die neuen Geseße durchgeführt werden. Wenn sih heute auch hier plößlih alle Parteien zu Schüßern der Republik aufwerfen, so wird sich dadurch niemand täuschen lassen. (Beifall links.)

Abg. Weis8sermel (D. Nat.): Die Uranträge, die dem Verfassungsausshuß überwiesen waren, haben zu den Geseßvor- Q geführt, die uns heute vorliegen. Der Aus\{chuß hatte azu nah unserer Meinung kein Reht. Der mitteldeutshe Auf- stand, der zur Aufstellung einer Roten Armee von 40 000 Mann Veranlassung gab, ist in ganz anderer Weise von langer Hand vorbereitet gewesen, als der A in Berlin erledigte Kapp-Put ch. Meine politishen Freunde haben mit Mordorganisationen nichts u tun. (Sturm links, türmishe Gegenproteste rechts.) Der err Claus is unserem Kollegen Herrmann-Fredersdorf ebenso- wenig bekannt gewesen wie dem General Gallwiß. (Fortdauernder Lärm link3.) Man soll doch nicht, wenn man Geseße zum Schuß der MNepublik machen will, mit Verdächtigungen ehrenwerter Männer arbeiten. Die Kommandierung der Volksmassen auf die Straße is gefährlih, ihre Folgen sind unabsehbar. _Jch ver- weise auf Darmstadt. (Ruf links: Schwindel! Stürmishe Pro- teste rechts.) Jch verweise darauf, daß ohne jeden Anhalt be- hauptet wird, in Frankfurt seien Schüsse von Deutschnationalen abgefeuert worden. Es ist sehr bequem, sih mit Provokateuren herauszureden. Und der „Vorwärts“ selbst berichtet heute aus Stuttgart, daß die Demonstranten sih gegen die ruhig ihres Amtes waltende Polizei zur Wehr geseßt hätten. Auch die Volksernährung wird dur solche Massendemonstrationen gefährdet; ein geordnetes Staatswesen kann sie entbehren. Charakteristis{h ist, daß die Ausshußanträge den Kommunisten noch lange nit weit genug. gehen. Sie wollen {hließlich den Rechtsstaat aufheben urbd L en Gewaltsbaat erseßen. Von einem Ausnahmerecht gegen die Arbeiter kann doch heute gar keine Rede sein. Der Eisenbahnerstreik ist gar kein politischer Streik gewesen (Zuruf links: Unerträglih diese Heuchelei, diese Moralpauke! Gelächter rechts). Die neuen Vorschläge zum Disziplinarvecht find troß alledem reine und nackte Ausnahmegeseße. Der Dru der Ausncchme- gesche ist seinerzeit dem Zentrum und den Sozialdemokraten recht gut bekommen; vielleiht erwägen Sie einmal nach dieser Seite die Wirkung Jhrer Forderungen. Sehr wirkungsvoll, die Kom- munisten als Shüßer der Republik! Freilich hat die neueste Ein- heitsfront der sozialistischen Parteien {hon nah zwei Tagen wieder einen Riß erhalten. Herr Heilmann hat offen erklärt eine solche Beamtenschaft lasse sich die Republik nicht gefallen. Wie stimmt das zu der offiziellen Anerkennung der Beamtenschaft durch den Ministerpräsidenten Braun? Mit aller Dialektik kann der Ver- fassung3ausshuß den Ausnahmecharakter seiner Vorschläge nicht aus der Welt reden. Die Strafen sind drakonish in noch nicht das

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eigentlichen Disziplinarverfahren ausscheiden. Es soll Beruhigung | schaffen, ohne der Staatéautorität das Geringite zu vergeben. Noh- |

| gewesenem Maße. In den Entschließungen verlangt der Au3s

\chuß cine Erweiterung des Kreises der jederzeit absepbaren Bes amten. Welche Sicherheit haben dann die Beamten als solche überhaupt nob? Und was soll unter der „Verherrlihung der Monarchie oder der Hohenzollerndynastie“ in den Schulbüchern verstanden werden? Sind ihre Verdienste um die Kultur und die Hebung des Landes Geschichtsfälshungen? (Sturm links, ane dauernde Unterbrehungen). Die Vorschläge sind durchweg Produkte der Erregung und der Uebereilung; damit macht man die Be- amten nit zu begeisterten Republikanern. Das ist nicht Gleichheit und Brüderlihkeit, das ist Terror gegen Anderédenkende. Wir lehnen die Vorschläge ab! (Lebhafter Beifall rehts, Lärm links.)

Abga. Dr. Leidig (D. Vp.): Die Mordtat an Rathenau hat dem ganzen Volke neue Wunden geschlagen. Möchte dohch jeder Deutsche sich bewußt sein, daß solche Verbrechen das Volk als Ganzes aufs Tiesste tresfen! Tiefe Erregung und tiefe Besorgnis beherrsht das Volk. Ungemein gefährlich sind aus solcher Erregung heraus geseßgeberische Aktionen; davor müssen wir warnen, über das hinauszugehen, was ruhige Staatskunst gebietet. Das deutsche Reih muß sich wahren und wehren gegen alle Anschläge auf seine Verfassung und ihre Einrichtungen, zumäk heute, wo wir noch im Elend der sremden Beseßung und unter der Fuchtel des Versailler Vertrages stehen. Mit schwerem Herzen treten wix an diese Gesebe heran. Schon zum dritten oder vierden Mal soll durch eine Amnestie die Autorität des Staats und des Reichs abbiegen. Aber außerordentliche Zeiten verlangert außerordentliche Maßnahmen; heute wird die Amnestie, wie man uns versihert und was wir ernsthaft erwägen müssen, ein Beruhigungsmittel für die Arbeiterschaft und eine Stärkung des Ansehens der Republik bedeuten. Deshalb wollen wir diese politishen Verbrechen mit dem Mantel der Gnade bededen. (Stürmische Zurufe bei den Kommunisten: Und Höôlz?) Mik \chweren Verbrechen, die nur unter politischem Deckmantell! begangen wurden, hat die Amnestie nihts gemein. (Lärm links.) Jedenfalls wollen wir dieses leßte Mal die Gnade nicht versagen. Aber die Eisenbahner von Preußen aus amnestieren, hieße dem Reich in unverantwortliher Weise vorgreifen; diese Bestimmung lehnen wir ab. Wir betrachten die Vorlagen des Ausschusses als ein Ganzes; die kfommunistishen Anträge sind uns sämtlih uns* annehmbar. Jn Darmstadt lag die böse Absicht, unsern Partei- freunden Dingeldey und Osann womöglih ans Leben zu gehen, erwiesenermaßen vor. Fn einer Zeit der Erregung wie der heutigen ist es auch vielleiht notwendig, eine shärfere Betonung dessen, was die Disziplinargeseße vorschreiben, eintreten zu lassen. Da geht man aber doh sehr weit, wenn man die Möglichkeit der sofortigen Abberufung von Beamten soweit ausdehnt, wie die Linke will, wenn man die Strafbarkeit auch auf alle Beleidigungen, Beschimpfungen usw. ausdehnt, die früheren Regierungsmitgliedern widerfuhren; wir werden dafür stimmen, machen aber noch in leßter Stunde auf das Bedenkliche dieser Vorschriften aufmerksam. Zum Geseßentwurf betr. die rihterlichen Beamten beantragen wtr eine etwas abweichende Zusammensezung des Disziplinarsenats, auch wir wollen eine teilweise Erneuerung, aber niht in dem Umfange, wie der Ausschuß verlangt. Wir müssen aber wünschen, daß die preußische Aktion der des Reiches nicht vorangeht, sondern ihr folgt; hier is das „Preußen in Deuts{land voran!“ am wenigsten angebracht. Schieben wir die Entscheidung bis Mitte nächster Woche hinaus! Wir müssen ja ohnehin noch in die nächste Woche hineinsißen, da das Geseß für Oberschlesien in dieser Woche nicht fertig wird. Gegen die von der Ausschußmehrheit vor=- gelegten Entschließungen stimmen wir, denn sie müssen dis \chlimmste Gesinnungsshnüffelei zur Folge haben. Wir rufeit Sie auf, mit uns sih zusammenzufinden und unser Vaterland zut retten, sih mit uns zu positiver Arbeit zu vereinigen: Das Vaters land über die Partei! (Beifall rets.)

Abg. Dr. Preuß (Dem.) Troß aller Wenn und Aber ‘habe ih doch aus der Rede des Abg. Leidig ein Ja herauszuhören geglaubt. Hier ist weder von Verleßungen der demokratischen Grundsäße noch von einer Geseßgebung ab irato die Rede. Es ist keine Rede von Ausnahmeaesezen à la 1878. Das Attentat auf Rathenau hat au die Schläfrigsten aufgerüttelt. Nach der Revolution batte die Republik Gegner bloß auf der Linken, da marschierte Spartakus auf den Straßen. Jn den drei Fahren seitdem hat die Agitation der äußersten ReŸHten ihr Werk getan; die bedrohlichen Resultate sind zum Teil auch der Politik der siegreichen Entente zu danken, die unsere nationalen JFnstinkte brutalisiert und die Geltendmachung der demokratischen Grund- säße äußerst ershwert hat. Von rechts wie von links sind jene Keime benußt worden zum Kampf gegen die Republik. Jett ift die republikanishe Sache eins mit der Sache des Vaterlandes: die bestehende Staatsform muß gestüßt werden. Daher lehnen wir iede Aenderung dieses Ausdrucks in den Gesetzen ab. (Zurufe links.) Wer nur eine Spur politishen Verständnisses hat, muß einsehen, daß die Zerstörung der Büsten von Bismarck und Moltke der monarchistischen Reaktion nur angenehm sein kann. Die Republik muß sich also selbst schüßen, daher der JFhnen vorgelegte Geseße- komplex. Die Amnestie ist erforderlich, weil den Kapp-Putfchisten, außer Herrn von Jagow, auch nicht ein Haar gekrümmt worden ist und der Unmut des Volkes darüber nur zu berechtigt ersheint. Auf alle Eisenbahner können wir die Amnestie nit ausdehnen, dent ihr Streik war eine s{chwere Erschütterung der Staatsform, die \chwerste Bedrohung der Republik durch ihre eigenen Angestellten. Die Beamten- und Angestelltenklasse wie die Abeiterschaft müssen sih bei ihrer heutigen Macht mehr denn je mit politishem Geist erfüllen, dann würden so bedenkliche Erscheinungen wie der gerade jeßt proklamierte Berliner Seßerstreik unmöglich sein. Der Begriff der „Grundrechte“ darf nicht aus rein doktrinären Erwägungen so weit au3gedehnt werden, daß er der demokratishen Regierung eines demokratishen Staates das Regieren unmöglich macht. Darum ist auc die hier vorgeschlagene Aenderung des Disziplinar- rets fein Verstoß gegen die Reichsverfassung, die sich vorx diesent

Fehler gehütet hat. Beamte der Republik dürfen die Republik"

nicht angreifen und niht gegen sie agitieren. Von Ausnahmegesetz kann man nicht reden; eher mag man von cinem Notgeseßz fpreere das die dreijährige Lamme8geduld des Volkes jeßt erforderlî aemacht hat. Erfreulich ist, daß wir dabei ein so trauriges Ueber- bleibsel wie die lex Arons beseitigen konnten. Mit diesen Geseyen areifen wir nirgends in die Zuständigkeitäsphäre des Reiches ein. Die demokratishe Regierung muß in dieser ernsten Zeit dis Führung übernehmen; nur eine führende Regierung kann von der ihr in die Hand gegebenen scharfen Waffe den richtigen Ges brauch machen, und sie wird der Reichsregierung eine wertvolle Stüße sein. (Beifall bei den Demokraten.) i 7

Abg. Dr. Neumann - Ratibor (Zentr.) erklärt sich mit den Ausschußvorschlägen in den wesentlihen Punkten einverstandem. Jn der Zusammenseßung des großen Disziplinarsenats wünscht das Zentrum eine Aenderung dahin, daß von den neun weiterer Mitgliedern drei vom Präsidium des Kammergerichts aus dessen Mitgliedern, die übrigen sechs8 vom Staatsministerium aus der Zahk der preußishen Richter ernannt werden. :

; L Lei d (U. Soz.): Die Rede des Dr. Leidig verstärkt dew Eindruck, daß von den Beschlüssen erster Lesung des Aue immer weiter abgebaut werden soll. Jmmer mehr ge fommen, die an die alte reaktionäre preußishe Beamtengeseß- aebung anknüpfen, die die alte Beamtenschast in einen bewußtewt

Gegensag zum Volk gébraht und zur Dienerschaft des Königl

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