1922 / 157 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 19 Jul 1922 18:00:01 GMT) scan diff

bin in der glüdl Lage, E den Herren Dißmann nnen. Mit Dr. Gildemeister des Widerstandes mcht

g. K o ch - Weser (Den): chen Vorrednercn, namentli pag i zustimmen zu

der Meinung, do die

troffenen Gemeinwesen geholfen wird. auch ‘die Rel erinA insofern,

überaus hart be der Schuld trifft i nsofe z. B. in Wilhelmshaven neben dem Reichs p inisterium noch ein paar Reichsministerien nebeneinander arbeiten und daß sih Ressortschwierigkeiten auftun, die geradezu ein Armutszeugnis TÜr aa erivaltungsorganisaton sind, wo es si, wie in diesen ällen, um schleuniges und energisches Handeln dreht. Dieselben chwierigkeiten ershweren auch Hamburg und der Unterweser jeden wirtschaftlihen Fortschritt aufs äußerste, überall sehen wir ein Ressort neben dem andern, sehen wir die Reichsregierun neben den verschiedenen Landesregièrungen arbeiten, ohne daß die sich zwishen ihnen auftuenden Abgründe überbrückt werden. Die Vorlage muß so rasch wie möglich Geseß werden, au die Bedonken Flensburgs können uns niht beirren. Auch für Flens- burg muß und wird das Mögliche getan werden, aber es geht niht an, nur um einer Stadt willen die T D inn einer anderen aufzuhalten. Wir wären bereit, auch ohne us\{chuß den Entwurf anzunehmen. Die Vorlage soll uns eine Mahnung sein, daß es auf dem bisherigen Wege nicht weitergeht.

Abg. Korthaus (Zentr.): Auch wir sind der Meinung, daß den Wünschen der Stadt Kiel entsprochen werden muß. Kiel hat dur das Eingehen der Krigsmarine shweren wirtscha tlihen Schaden erlitten, und es ist troy aller Bemühungen der Stadt noch gar nit einzusehen, wie dieser Schaden wird ausgeglihen werden Snnen. Wir sind dex Ansicht, daß hier shnell gehandelt werden muß, und bitten daher, die Vorlage ohne Aus3schußberatung in allem drei Lesungen zu verabschieden.

Reichswirtschaftöminister Schmidt: Meine Herven, es fönnte aus der Debatte der Eindruck erweckt werden, als ob das Reichswirtshaftsministeruum der Fördeuung der hier vorliegenden Vorlage nicht die genügende Unterstüßung Hätte zuteil werden lassen. Die Vorlage ist, wenn sih die Herren Abgeordneten sie eitmal näher ansehen, vom Reichsfinanznrirtisterium eingebracht, und sie hat im Reichswirtschaftsmimisterium die lebhafteste Unter- stüßung gefunden. Es ist gang rihtig, daß alle Bestrebungen unsever Seestädte, ihven Verkehr freier zu gestalten, auf der Gound- lage cines freien Handelsverkehrs die nötigen Einrichtungen zu fchaffen, von dem Wirtschaftsministerium ungeteilte Unterstüßung finden. Zch darf das an dieser Stelle feststellen. Die vorliegende Vorlage ist durchaus in richtiger Erkenntnis ihver wirlshaftlichen Bedeutung gewürdigt. Wenn weitere Wünsche von anderen See- hafenstädten gestellt werden und die Vorausseßungen dafür und die Möglichkeit vorhanden ist, unter Berücksichtigung zolltehnischer An- forderungen ähnliche Einrichtungen zu schaffen wie für Kiel, so fann ih die Versiherung abgeben, daß sie auch von unserer Seite Förderung finden werden. (Bravo!)

Der Geseßentwurf wird in allen drei Lesungen angenommen.

Es folgt die Beratung des Einspruhs des Reichsrats gegen die Beshlüsse des Reichs- iags über Teuerungs§maßnahmen e Militärxrrentner. Der Einspruch des Reichsrats richtet s dagegen, daß die Einkommensgrenze, bei deren Ueber- reiten der ENIELu gm s ganz wegfällt, auf den drei- fachen Betrag der Erwerbslosenunterstühung festgeseßt ist.

Dêëxc Ausfchu ß, für den n S4vreiter (D. Vp.) berichtet, hat dié Bevehnung auf der Gr losenunterstützungssäße beseitigt. Die Abstimmung wird, da sie mit der verfässungsmäßigen Mehrheit erfolgen muß, U: big

in von den Abgeordneten Müller - Franken (Soz.), Ma rx (Zentr.), Dr. Petersen (Dem.) und Genossen ein- gebrachter .Geseuzentwurf, betreffend Erklärung des 11. August, des Tages der Annahme der Reichs- verfassung, zum deutshen Nationalfeiertag, wird dem Rechtsausshuß überwiesen.

Der Gesehentwurf über Maßnahmen

egen die wirtshastlihe Notlage “der Base wird ohne Erörterung an den volks3wirtschaftlichen Ausschuß verwiesen.

Es folgt die erste Beratung des Entwurfs eines Disziplinargeseßes für die Wehrmacht, der die Errichtung von L enbéref Disziplinarkammern für be- stimmte militärishe Vergehen vorsieht, durch die eine Be- schleunigung in der Erledigung dieser Fälle herbeigeführt werden soll,

Abg. Hühnl ih (Soz.): Wir haben gegen den vorliegenden Entivurf große Bedenken. Der Reichswehrministér hat die Not- wendigkeit eines derartigen Gejeßes damit begründet, daß béi ver- schiedenen Straffällen eine shleunigere Erledigung dringend not- wendig sei, als fie jeßt bei der Zuständigkeit der Üüberkasteten Zivilgerichte Plaß greifen kann. Wir erkenn die Notwendigkeit einer Gnelleren Erledigung der Verfahren an, sind aber der Meinung, zu diesem Zwecke auf eine Beschleunigung der Verfahrèn vor den ordentlichen Gerichten gedrungen werden muß. Vei gutem Willen läßt sich eine solche Beschleunigung auch sehr wohl erzielen. Wird der Entwurf Gesetz, so wird das Bestreben der Militärs u auf einen Ausbau der Zivilgerihtsbarkeit gerichtet sein, fondern sich in steigendem Maße darauf lonzentrieren, die durch das Geseß dann geshaffene Grundlage einer neuen Militärgerichts- barkeit nah Möglichkeit zu erweitern. Nach dex Vorkage sollen der Hivilgerichtsbarkeit alle die Dinge entzogen werden, in die sih die Militärs nicht gern hineinsehen lassen. Befonders bedenklich ist, daß aus dienstlichen Gründen. die Oeffeatlichkenit bei dem Ver- po foll ausgeschlossen werden dürfen. Wir werden dann dahin-

en, daß in allen den Fällen die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden wird, in denen sih Offiziere zu verantworten haben. 5m LUSOn A A über die Einzelheiten des Geschzéntwurfes ein deut- liches ort geredet werden müssen. Die sozialdemokratische Ses wird sich jeder Wiedereinführung der Militärgerichtsbar=-

it aufs energischste widerseyen, sie wird niemals dem Gesty- entwurf in seiner jeßigen Form ihve Qs geben können. Das deutsche Volk hat genug von den Leistungen der alten Militär- geriht8barkeit; wir verzichten darauf, eine Neuauflage eines solhen

Unghücks zu erleben. (Beifall links.) Abg. Thomas (Komm.): Jn Preußen und Doutschlcand be- nan das Milikip eine besondere c sie heute

regierung liegt, F S ber hedanerlid, daß fon drei Jahre fich hingezogen hat, bis nun endli aber

ebt einmal die Au fassung, de tsbawleit haben L ; wird, ist das Gegenteil von dem, was ste in einer , demokratischen Armee sein soll. (Sehr wahr! links.) Das Gese wird in einem Moment gur Beratung eingebracht, wo das ganze werktätige Volk forbert, daß Reichswehr, Justiz und Ver-

waltung von realtionären Elementen gesäubert wird

wird. atmet den Geist des alten preußish-deu T Monarchismus. l mg links) Wenn diese Vorlage Gesey wivd, dann zieht ijer Wilhelm Il. wieder in die Kasernen ein. Das Geseß ift joelter nichts als eine Neuauflage bes alten wilhelmmishen odex. Solange die Reih8wehr noch von der Deutschnationalen Volk 3- ieben gelobt wird, müssen wir das allershärffte Mißtrauen gegen \ie onn

¿er Reichawehrminister is zu seinem Glück unpäßlich, sonst ten ihm die Sünden seiner verantwortlichen Generäle vor-

undlage der Erwerb83=

die allen wilhelminischen Verhältnisse wieder in die Reihswehr fe n Ea Das f angesicsis der heutigen politishen Lage eine große Gefahr. (Beifall links.

Em Vertreter des Reichswehrministeriums gebt auf die Ausführungen der Vorredner ein und gibt der Erwartung

uSdrud, daß dre Bedenken im Ausschuß besoitigl werden.

Aba. von Gallwib (D. Nat.): Die Vorlage ist ein Fort-

" E iee AllivcaiSte rinen.

issen mit der grö amkeit der Zivilgeri en.

Ï A E GeriWtöbarkeit beim Militär.

ammern der Wehrmacht sind so zusammengeseßt,

ges- bzw. ALCNINI des Betreffenden, um den es

n) handelt, in der Mehrheit ae n. Dadurch ist eine starke Gewähr

gen Mißbräuche eben, Dem s steht genau so wie fiber das Recht zu, den Verteidiger zu wählen.

Die Vorlage wird dem Ausschuß für die Militärgerichts- barkeit überwiejen.

Bei der nunmehr erfolgenden Abstimmung über den G e-

eßentwurf, betreffend Teuerung8maß nahmen [s Militärrentner, gegen den der Reichsrat Ein- spruch erhoben hat, wird der Vorlage în zweiter und dritter Lesung einstimmig zugestimmt.

Dann folgt die zweite Bergtung des Geseßzent- wurfs über die öffentliche ekanntmachung von Verurteilungen MEDeE Preistreiberet, Schleichhandels, verbotener AusfuHrv lebenswihtiger Gegenstände und unzu- lässigen Handels. Danach. ist . bei Verurteilung Zu Freiheitsstrafe von drei oder mehr Monaten oder zu (Geld- strafe von 50 000 Mark an, die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung durch eine Tageszeitung sowie der öffent- lihe Anschlag auf Kosten des Schuldigen anzuordnen. Die Bestimmung, daß die öffentliche Bekanntmachung der Ver-

‘urteilung auch durch Strafbefehle angeordnet werden fann,

ist vom Ausschuß gestrichen worden. Mit dieser Vorlage steht zur exsten und zweiten Beratung der Entwurf eines Gesehes zur Abänderung der Verordnung über Sondergerichte gegen Schleichhandel und Preistretberei. Jn einer vom Aus{\chuß an- genommenen Entschließung soll die Reihsregierung er- suht werden, sobald wie mögli eine Abänderung der Ver- ordnung gegen Preistreiberei vom 8. Mai 1918 vorzulegen, in der der Preiswucher so klar gekennzeichnet wird, daß eine objektive Feststellung der Zuwiderhandlung gegen die Ver- ordnung ermöglicht wird. iter soll die Reichsregierung er- sucht werden, auf die Landesregterungen einzuwirken, daß in Strafsahen wegen Preistreiberei in allen zweifelhaften Fällen Sachverständige zu hören sind, die auf Grund von Vorschlägen der amtlichen Vertretungen der beteiligten Wirt- schaftskreise ernannt werden. Die Wuchergerichte sollen von der Befugnis der Handelsuntersagung nur in zweifelsfrei ge- rehtfertigten Fällen Gebrauch machen. Fn einex dritten Entschließung ersuht der Ausschuß, zu erwägen, welche Maß- nahmen gegen Preistreiberei der Kartelle und Syndikate zu ergreifen sind.

Fnzwischen ist ein Zusaßantrag der Volks- partei, des Zentrums und der Demokraten zu der exsten Ausshußentschließung eingegangen, wonah die Aenderung der Verordnung gegen Preistreiberei zum Aus- druck bringen soll, daß- der Preis keinen übermäßigen Gewinn darstellt, wenn ex der Marktlage entspricht, und wenn Höchst- preise oder amtlich festgeseßte: Marktpreise: eingehalten: werden,

sofern ‘nit? eine vorübergehende Notmärktläge: geschaffen ift.

Jst :die Bildung eines Marktpreises ausgeschlossen, ' dann soll der "Wiederbeschaffung8preis * nebst den nahweisbaren Ge- schäftskosten als Grundlage dienen.

Reichsjustizminister Dr. Radbrucch: Meine Damen und Herren! Die Wünsche. auf eine Umgestaltung des Begriffs der Preistreiberei bewegen sich in dreifaher Richtung: sie wünschen Berücksichtigung der Marktlage, Berücksichtigung der Wieder- beschaffungskosten und Berücksihtigung der Geldentivertung. Lassen Sie mich grundsäßlich zu diesen drei Forderungen Stellung nehmen.

Die Marktlage kann und das kommt auch in dem jeßt vorliegenden Antrag zum Ausdruck Berülsichtigung nur

fordern, soweit sie eine normale Marktlage ist, soweit sie nicht

eine Notmarktlage ist, die etwa ‘auf unlauteren Machenschaften vder auf Warenmangel beruhen kann. Fch vermisse in dem An- trag, der uns vorgelegt wird, bei der Notmarktlage den Hinweis auf die Möglichkeit eines Warenmangels. Als Ausdruck einer normalen Marktlage können auch amtlihe Preisnotierungen Berücksichtigung finden.

Was zweitens die Wiederbeschaffungskosten betrifft, so können auch tiese nur- dann Berücksichtigung finden, wenn sie nicht der Ausdruck- einer Notmarktlage sind. Auch den Hinweis auf diese Vorausseßung vermisse ich in dent vorgelegten Antrag.

Was schließlich die Berücksichtigung der Geldentwertung be-

trifft, sv kann einerseits regelmäßig nur die innere Geldentwertung in Frage kommen und kann diefe Geldentwertung auch nicht voll in Frage kommen. Solange fich die Geldentwertung in Löhnen und Gehältern nicht voll auswirkt, darf sie sih aucch nicht in Preisen ungehemmt zur Geltung bringen. (Sehr wahr! links.)

Zch darf dem Antrag, der uns vorgelegt wird, die dem Standpunkte der Reichsregierung entsprechende Entschließung ent- gegenhalten,' die auf der Tagung der Preisprüfungsstellen vom 23. und 24. Mai d. J. in Dresden gefaßt worden ist:

Eine etwaige Abänderung hätte fich auf die Einfügung einer Bestimmung zu ‘beshränken, welche zum Nachdruck bringt, daß Preiswucher nicht vorliegt, wenn der Preis der Marktlage, insbesondere dem unter amtliher Mitwirkung bekanntgemachten Börsen- oder Marktpreis entspricht, sofern nil duvch Waren- mangel oder durch erhebliche Schwierigkeiten, Waren an den Markt zu bringen, oder durch unlautere Machenschaften eine Notmarktlage geschaffen is. Für den Fall der Notmarktlage und in denjenigen Fällen, inm denen sich eine Marktlage der Natur der Waven nach nit bilden kann, verbleibt es bei dem Grundsay der Preisberechmung nah den individuellen Ge- stehungskosten unter angemessener Berlücksichtigung der zwischen Einkaufs- und Verkaufszeit eva eingetretenen imeven Geld- entivertung.

Meine Damen und Herren! Dieser Standpunkt ist nun in der Rechtsprechning zum guten Teil zum Durchbruch gekommen, vor allem in der Rechtsprehung des Reichsgerichts. Das Reichs- geriht erkennt an, daß in erster Linie die normale Marktlage maßgeblih ist, daß. in der Forderung des normalen Marktpveises ein übermäßiger Gewinn nicht zu finden ist, Soweit eine normale Maxktlage micht vorliegt, fommt entivedex dexr leizto normale

| Waasiitià ju Qatraché odsn die Gostehungsbasten ch luanhe

Jhnen nicht zu sagen, daß die Gestehungskosten niht nur dert Einkaufspreis, niht nur die besonderen Geschäftsunkosten, die allgemeinen Betriebsunkosten, den - Kapitalszins umfassen, sondern auch die Risikoprämie und den Unternehmerlohn. Unter diesen Gesichtspunkten kann auch die Geldentwertung zur Geltung ge bracht werden, und ih gestatte mir, aus einem, soviel ih weiß, unveröffentlihten Uuteil des ersten Strafsenats des Reichsgerihts vom 15. Mai 1920 darüber folgende Stelle vorzulesen:

Nach diesen Grundsägzen ist nun die Berüsichtigung der Geldentwertung keineswegs ausgeschlossen. So rechtfertigt der yohe Preisstand eine Erhöhung der Risikoprämie, indem die Fortführung des Geschäftes bei den stark gestiegenen Preisen unter erhöhter Gefahr des Verlustes aus einem Preisumshwung steht. Die Geldentwertung hat ferner Einfluß auf die Hohe des anzusezenden Unternehmerlohnes, da sie allgemein eine Er- höhung der für Arbeitsleistungen zu gewährenden Vergütung zur -Folge hat. Endlich kann sie nit unberücksichtigt bleiben bei der Feststellung des Unternehmergewinns, der der Vildung von Kapital dienen soll, das vegelmäßig wieder für die Zwede des Handelsge schäftes aufgewendet zu werden pflegt. E

Es zeigt si, daß die Forderungen, soweit sie berechtigt find, schon in der herrschenden Rechtsprechung zum Durchbruch kommen und noch mehr zum Durchbruch kommen werden, wenn der An- trag des Ausschusses Annahme findet, der die Wiederaufnahme er- leihtert und dadurch den Zugang zum Reichsgericht, der bei den Wuchergerichten verschlossen ist, wieder eröffnet. Daß dieje erleichterte Wiederaufnahme nach der anderen Seite die Gefahr einer zu ausgiebigen Verwendung nit begründet, zeigt sich in den Zahlen, die beweisen, wie zäh die Gerichte einem Wiederauf- nahmegesuh sih zu widerseßen pflegen. Von rund 19 500 Wucher=- geritsfällen haben im Jahre 1920 mur 22 zu einer Wieder aufwahme geführt, im Fahve 1921 von rund 15000 Wudcher- aerihtsfällen 42. |

Und nun entsteht die Frage, ob es sich empfichlt, das Er- gebnis dieser Rechtsprechung in einem Akte der Gesebßgebung zu befestigen. Das ist, meine Damen und Herren, einerseits eine psychologische und andererseits eine technishe Frage. Eine psycho- logishe Frage deshalb, weil jede auch nur scheinbare Lodckerung der Wucherbestimmungen gerade in einer Zeit ungeheurer Preis steigerung wie dieser sehr gefährlih zu wirken geeignet ist, eine technishe Frage aber aus folgendem Grunde: Der Begriff des übermäßigen Gewinns is eim nationalökonomischer Begriff. Nationalökonomische Begriffe haben fließende Ränder, sind elastisch, sind dem Einzelfall anpaßbao; juristishe Begriffe sind sharf- vandig, sind allgemein, sind unzweideutig, wenigstens ihrem Fdeal nah. Es stellt uns nun der Wunsch, durch einen geseßgeberishen Akt den Begriff des übermäßigen Gewinns zu umschreiben, einen nationalökonomischen Begriff juristisch festzulegen, vor eine \hlechterdings nicht voll lösbave Aufgabe, vor eine Quadratur des Zirkels, ‘vor die Aufgabe, einerseits den individualisierenden elastischen nationalökonomishen Charakter des Begriffs festzu- halten und ihm andererseits doch zugleih die Unzweideutigkeit eines juristishen Begviffs beizulegen. Bei jeder Formulierung, wie sie immer sein mag, if das Jdeál vollkommener Schars- rändigfett für den Begriff des itbermäßigen Gewinns niht et- reihbar. Schon. dädurch, daß man den Begriff der Notmarktlage im: Gegensaß zur normalen Marktlage verwendet, wird immer ein Element des vichterlihen Ermessens, ein Element der Billigkeit darin bleiben.

Meine Damen und Herren! Eben deshalb is die Heran= ziehung von Sachverständigen, wie sie in der Entschließung des Ausschusses vorgesehen wird, durchaus zu begrüßen, nur würde ih gewünscht haben, daß unter den Sachverständigen, die be- sonders namhaft gemacht werden, auch die Preisprüfungsstellen mitgenannt worden wären.

Jch bitte Sie also, unter Ablehnung des uns vorgelegten Antrags den Entschließungen des Ausschusses Folge zu geben.

Abg. Hammer (D. Nat.): Die Verhältnisse haben sich fo grundlegend geändert, daß man den übermäßigen Gewinn nicht mehr als Merkmal der Preistreiberei ansehen kann. Es muß vor allem berücfsihtigt werden, daß der Kaufmann heute bet jedem Wiedereinkauf von Waren erhöhte Preise zahlen muß und daß dadurch sehr erhebliche Mehranforderungen an das Be- trieb8lapital gestellt werden. Zu dem Gewinn muß er also einen angemessenen Zuschlag 3für diese erhöhten Wiederanschaf- fungsfosten {lagen dürfen, da sonst viele Gewerbetreibende bald nicht ‘mehr in der Lage sein werden, noch neue Waren an- zuschaffen. Vielfach zichen die Wuchergerichte leider Sachver- ständige zur BVeurteilung der Sachlage. nicht heran. Wir müssen mit aller Entschiedenheit darauf bestehen, - daß dafür Vorsorge getroffen wird, daß vor der Erhebung. einer Anklage 1n Zweifelsfällen Sachverständige unbedingt gehört werden. Nicht ein übermäßiger Gewinn, sondern ein übermäßiger Preis stellt Wucher dar ‘und diesen Wucher mit legislativen Mitteln vers schärft zu bekämpfen, sind auch wir bereit. Jm übrigen stimmen wir dem gemeinsamen Antrage des Bentrums, der Demokraten und der Deutschen Volkspartei gu, der unseren Forderungen entspricht. l Abg. Sivkovich (Dem.): Die Wuchergeseßgèung darf niht zu Schikanierungen oder Schädigungen eingelner Ge- werbetreibender führen. Verurteilungen, die für die Ehre des Vetroffenen und für sein Fortkommen von verhängnisvoller Bedeutung sein könnten, follten nur bei s{chweren zweisfelsfreien Verstößen gegen die betreffende Allgemeinheit erfolgen. „Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es im Jnieresse einer Gesun- dung der deutschen Wirtschaft unerläßlich is, daß wir von den Bestimmungen über den Begriff des Preiswuchers, die heute geltendes Recht sind, abgehen. Es muß möglich sein, daß der Gewerbetreibende den Anschaffungspreis, den Marktpreis und den Wiederanschaffungspreis berüdsihtigt. Wir erleben es täg- lich, daß zahlreihe Kaufleute einfah nicht mehr in der Lage sind, neue Waren anzuschaffen. Wir stimmen der Ausschußent= schließung zu, die der Reichsregierung aufgibt, nach welchen Grundsähen sie die geseßliche Regelung treffen soll, die dem Reich3tag bei seinem Wiederzusammentritt zu unterbreiten ift. Ohne eine Aenderung der bestehenden materiellen Vestimmun=- gen über die Preistreiberei kommen wir nicht aus. Es 1st durchs aus nit rihtig, daß es sich bei diesen Dingen um die Berüks sichtigung nur der Interessen der Unternehmer handelt und ebenso falsch if es, in dieser Frage den Unterschied zwischen Erzeugern und Verbrauchern herausfehren zu wollen, Auch wir wünschen die Mit= wirkung bon Sachverständigen in weitestem Maße. Mit Recht ift lebhaft darüber geflagt worden ist, daß die Wuchergerichte Sachverständige nicht genügend heranziehen, Darauf ist das Zustandekommen ungerechter Urteile gurüdckzuführen. Die deutsche Wirtschaft muß eine gewisse NRechtssicherheit ver- langen. Jh wünsche nicht, daß diese Aussprache etwa zu einer Ver- tiefung der im Lande bestehenden Gegensäße führt. Auch den Vers-

nue fen muß 8s einmal klar ps diesen e s Wu L (0) en IVENY 10 S1 N 144 p) i Be

ebftaffung ge finden, Ne etn Weskerbefteßen ber Wirtshaf gez waßHhrleiltet. j Abg. Kraeßhig: (Soz.): Der Antrag, der von dem Zentrum,

ben Demokraten und der Deutschen Volkspartei in leßter Stunde ein-

ür alle Lohn- und Gehaltsempfänger unerträglih. wäre, denn danach oll das ganze Risiko der Unternehmer auf die Verbraucher abgewälzt werden. Der Geseßentwurf bedeutet nur einen schwachen Versuch, dem Preiswucher entgegenzutreten. Jch hoffe daher, daß das Zentrum und die Bayerische Volkspartei die Stellungnahme, die sie im Aus\chuß eingenommen haben, hinterher niht ändern. Auch wir erkennen an, daß die in der Preistreibereiverordnung vorgesehenen Merkmale für den Begriff des Wuchers reformbedürftig sind, aber der Antrag geht weit über das erforderlihe Maß hinaus und bedeutet, bay man den Teufel mit Beelzebub austreiben will. Die ganze Aktivn geht offenbar vom Großhandel aus, der unerfüllbare Forderungen stellt. Wir sind der M dap jeder Kaufmann a trahten muß, den Preis der Mare, den er kaufen will, möglichst zu drüden, daß er sowohl im all- gemeinen wie im eigenen Interesse dem hemmungslosen Hinauf- treiben der Preise Widerstand entgegenseßen muß. Wenn das Fordern des Wiederanschaffungspreises feinen Preiswucher dar» alen 2 dann wäre auch das Zurücfhalten der Ware nicht \straf- bar. Der Redner wendet fich sehr entschieden gegen die großen Kartelle, die auf die Veseitigung jeder Konkurrenz hinarbeiten und damit die Preise hohtreiben, Wir werden darüber wachen, daß die Regierung die Entschließung des Ausschusses in bezug auf die Kartelle nicht unbeachtet läßt und daß uns möglichst bald ein entsprehender Geseßentwurf vorgelegt wird. \

sir t worden ist, will einen Zustand herbeiführen, der {lechterdings

J Wir müssen ver- langen, daß die Kartelle verpflihtet werden, ihre Beschllisse öffent- lih bekanntzumachen. Kommissare des Reiches müssen an ihren Sißungen teilnehmen. :

Abg, C u n o (D. Vp,)r Wir sind. für Maßnahmen gegen die Preistreiberei. Der reelle Handel muß aber ge\chüßt werden. Bauern wurden im vergangenen Jahre verurteilt, weil sie 40 und 50 Mark für den Zentner Kartoffeln nahmen. Dem Zusaßantrag werden wir zustimmen. Es muß Mechtssicherheit geschaffen werden. In Hamburg wurde ein Kaufmann freigesprolen, während in Derlin etn Kaufmann bei einem gleichliegenden Falle verurteilt wurde. Für das Handwerk haben wir den Wiederschaffung8preis eingeseßt, - . , Ce , , it Es fam eine Teuerung nicht verhindert werden. In iterreich lebt mon heute durch den Ausverkauf viel. teurer. Maßnahmen gegen die Kartelle hat ja der Ausschuß vorgeschlagen.

Abg. Ko rthau s (Zentr.): Die Wuchergeseßgebung. hat ihren Zweck bisher leider nicht erreiht. Unschuldige Leute stnd ihr ver- allen, die durchaus überzeugt waren, ehrlichen Handel zu treiben. Wir werden dem Geseßz in der vorliegenden Fassung zustimmen, Wir wünschen jedoch eine Erleichterung des Wiederaufnahmeverfahrens. Dem Aus\huß ist es auch mcht gelungen, die Tatbestand8merkmale des Preiswuchers zu definieren, Die Heranziehung von Sachver- ständigen ist vom Ausschuß einstimmig gebilligt worden. Jch. kann nicht verstehen, daß der Zusaßantrag einen wesentlichen Unterschied arr Ausschußentschließung darstellt. Wenn man die Kartelle für die Proistreiberei \chuldig macht, dann muß mam doch mit dem kletnen Kaufmam Mitleid haben. Maßnahmen gegen die Kartelle müssen unbedingt getroffen werden. Jch bin längst der Meinung, daß die Außenhandels\tellen mehr Unfug anrichten als sie Gutes tun. Nächstes Jahr sollten sie endgültig von der Bildfläche verschwinden.

Abg. Ünterleitner (U. Soz.): Dem Geseßentwurf und den Aus\chußentschließungen stimmen wir zu. Die Zusaßent\chließung lehnen wir ab. Die bürgerlichen Parteien haben durch ihre Ver- {chleppungstaktif die Vorlage bom Dezember 1921 ab aus dem Aus- chuß nidt herauskommen lassen. Die Wuchergeseßgebung muß noh

/ 4 t 4 S 7M : G s 19) evheblich verschärft werden. - Bieber einen un|chuldigen TBucherer ver- urteilen, als einen Schuldigen laufen zu lassen. Wenn die kapita- lisbishe Wirtschaft beseitigt wird, dann wird es auch keinen Wucher mehr geben. (Lebhafter Beifall links.)

Abg. Dr. Herzfeld (Komm.): Das Geseß în Verbindung mit den Aus\chußentsließungen und dem eingebvachten Abänderumgs- antrag würde nicht eine Maßnahme zur Hintanhaltung der Bewauche- rung, sondern eine solhe zur Begünstigung der Ausbeutung sein. Hinter diesein Geseß stehen die Würtschoftskreise, de ah Vie Mörderzentralen fimanzieren. Wenn die Regierung ; die Ausschuß» èntschliezungen befolgt, dann wird und kann die Rechtsprechung dem Wucher noh viel weniger zu Leibe gehen als jeßt, Die großen Baumwoll spinnereien haben ungeheuve Gewinne erzielt, während em großer Teil der Bevölkerung kaum noch einen anständigen Nock oder ein Hemd auf dem Leibe hat. Aber kein Staatsanwalt findet sich, der hier gegen diesen unerhörten einschreitet., Der Wucher auf allen Gebieten fann wirksam nur belämpft werden durch die orvgant- sierte Arboiterschaft selbst. So muß die Vobisen]Þ tulation dur Nertveter der Arbeiterschaft Tontrolliert, die Verschleppung des Geldes nah dem Ausland durch die Arbeiter verhindert werden.

Reich8wirtschaftsminister Schmid t: Maine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zum Abschluß der Debatte wenige Morte noch zu dem bereits dargelegten Standpunkt der Reichs- regierung zu sagen, und zwar mehr von allgemein-volkswirtschaft- lichen als von juristischen Gesichtspunkten ausgehend! Fch möchte insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen der lebten drei Redner, die wir gehört haben, unterstreichen, daß die Reichs regierung und ich am allerwenigsten nicht geneigt sind, bei den Verordnungen über die Preistreiberei und über den Wucher irgendwelche Erleichterungen zu gewähren, die geeignet wären, in der Verfolgung der Preistreiberei und des Wuchers Erschwernisse zu \chaffen. Dies wäre in der gegenwärtigen Zeit geradezu uner- tragbar. Jch muß hier auch aussprechen, daß ich darüber sehr er- staunt war und daß ich es in hohem Maße bedauere, daß hier immer nur von den Klagen des Handels wie der Fndustrie und von ihrer ungerechten Behandlung durch die Wuchergeseßgebung gesprochen wird, daß aber gerade von diesen Rednern über die Leiden des Verbrauchers in der gegenwärtigen Zeit kein Wort gesagt worden ist. (Sehr richtig! links.) Wenn ih in der gegenwärtigen Zeit abzumessen habe, wo die berechtigten Klagen am meisten ertönen müßten, dann dort, wo die Verbraucher und. niht diejenigen in Frage kommen, die für sich aus der gegenwärtigen Konjunktur freie und ungehinderte Preisbildung fordern. (Sehr richtig! links.) Der gegenwärtige Zeitpunkt ist zu solhen Anträgen nicht geeignet. Wenn Sie heute hon mit den hauptsählichsten Preisen an die Weltmarktlage gehen wollen, wozu würde das im Fnlande führen? Sie würden dazu kommen, daß innerhalb von vier Wochen, an dem s{chwankenden Stand unserer Valuta gemessen, sämtliche Preise um 100 vH und mehr in die Höhe gehen müßten. Ke ine Negierung kann die Verantwortung für die Folgen einer solchen gesebgeberischen Maßnahme übernehmen. Jch bin der allerleßte, der diesen Wünschen irgendwie Rechnung tragen fann. (Lebhastes Bravo! links.)

Wir haben alles zu tun, um einer solchen Preisbildung gerade

im gegenwärtigen Augenblick im Jnteresse unserer Gesamtwirtschaft Einhalt zu bieten. (Sehr richtig! links.) Wenn Sie bei den Neu- anschaffungen über die Höhe der erforderlichen Mittel klagen, die die Neuanschaffung von Waren beanspruchen, dann frage ih Sie: wo bleibt dann auf seiten der Verbraucher die Möglichkeit, die Arbeitskraft, ihr. Kapital, bei den erhöhten Preisen auf der wirt- \haftlih notwendigen Höhe zu halten? (Sehr wahr! links.) Ferner muß gesagt werden: Suchen Sie an den Gewinnen der Gesellschaften aufzusparen und niht auszuschütten, wie es eben an den Beispielen der Baumwollspinnereien vorgetragen wurde, wo 100, 200 und 300 vH verteflt worden sein sollen!’ Behalten die

GesellsGafken diese Geivknitte als Bekrieb3kapttal eïn, ban verben die Klagen geringer werden, daß sie kein Kapital haben. Verteilen sie niht in dem Ausmaße ‘an ihre Aktionäre Dividenden, dann wird ihre Politik als eine weise Fürsorge für komménde Zeiten erkannt werden. Heute gilt es, die Klagen derer zu hören, die unter der enormen Preisbildung ihre Kräfte shwinden sehen, nit aber Be- shwerden darüber entgègenzunehmen, daß die Wuchervorschriften zu streng gehandhabt wurden. Es werden viel zu wenige gefaßt, sage ih Ihnen. Wir müssen im Gegenteil noch mehr dafür sorgen, daß die Vorschriften auch durchgeführt werden. (Lebhafter Beifall links. Zuruf recht3: Das sagt ein, Minister!) JFawohl, das sagt ein Minister.

Der Gesetentwürf über die öffentlichen Bekannkt- machungen wegen Preistreibereien und der Geseßentwurf zur Abänderung dev Verordnung über. Sondergerichte gegen Schleichhandel und Preistreiberet werden in zweiter Lesung angenommen. Damit ist die Tage8ordnung erledigt. |

Nächste Sitzung Sonnabend, 2 Uhr. (Reichskriminalgeset, Beamtendisziplinargeseß, Zwangsanleihe, Novellen zum Ein- fommensteuer- und Erbschaftssteuergeset.)

Schluß 72/2 Uhr.

“O Ci i r L ies Y L i 252. Sibung vom 15. Juli 1922, Nachmittags 2 Uher. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutsher Zeitungsverleger.)

Die Sißung wird um 214' Uhr vom Präsidenten Löbe eróssmnet.

__ Der Gesetzentwurf über die Ersaupflicht für beshädigte Reihsbanknoten wird ohne Er- örterung in allen drei Lesungen erledigt und unverändert an- genommen, ebenso der Geseßentw U rf, betr. die Ab- änderung des Gesezes über die Metall- reserven der Privatnotenbanken vom 13. Juli 1921, nah kurzen Bemerkungen der Abgg. Reichert und Vr, Delfferich (D. Nat). Es solgt die Beratung eines Antrags üller Parteten, Fragen der Wohlfahrts - pflege einschließlich der Armenfürsorge,

Abg. Meèier- Zwickau (Soz.): Dieser Antrag is das Er- gebnis mehrerer Besprehungen aller Parteien. Die furchtbar steigende Teuerung hat in den leßten Monaten zu Erhöhungen der Unterstüßung hilfssbedürftiger Volksgenossen wie der Kriegs- beshädigten und Sozialrentner geführt. Es werden daneben etwa 400 000 bis 500 000 Rentenlose in Deutschland geschäßt, die man als die „Vergessenen“ bezeihnen muß, die keinerlei Anspru auf Rente haben, die im Erwerbsleben ergraut, dann aber erwérbs- be) hränkt und erwerbsunfähig geworden und aus dem Erwerbs8- leben ausgeschieden sind. Dieje Vergessenew besißen keine Mittel, besißen keine Erwerbsfraft mehr und jind grenzenloser Verelendung preisgegeben. Jhr einziger Anspruch ist die Armenpflege. Fst es [hon bitter und hart sür viele dieser Volksgenossen, um Armen- unterstüßung vorsprehen zu müssen, so sind noch dazu die Unter- stübungssäße außerordentlih gering. Wenn auch eine ganze Reihe von Gemeinden die Sätze der Geldentwertung angepaßt haben, so bleibt do bet der Mehrzahl, auch bei Berlin, noch viel zu wünschen übrig. Die Lösung dieses: Problems ist freilih nicht leiht; es muß vor allem eine Definition des Begriffs Rentenloser geschaffen werden. Um den Stein ins Rollen zu bringen, ist der Antrag ge- stellt. Er verlangt, daß die vom Reichstage schon im Mai angeregte Vebertragung der Zuständigkeit für die Fragen der Wohlfahrt8- pflege einschließlih der Armenfürsorge vom Reichsministerium des JImiternm auf - das Reichsarbeitsministerrum unverzüglich vor- genommen wird, daß sodann dem. Reichstag bet seinem. Wieder- zusainmentritt baldigst etne Denkshrift vorgelegt werden“ soll, in der zu der Frage - einer Nettiordnurtg dieser Materie und ins- besondere zu der Frage, welche“ geseßliche Maßnahmen zur Bes- hebung der Not der von der sozialew Gesebgebung des Reichs noch nicht erfaßten Volkskreise erforderlih sind, Stellung genommen wird, daß endlich die Länder schon jeßt zu ersuchen stnd, auf die Orts- und Landarmenverbände im Sinne einex Anpassung der Unterstüßungssäße an die. jeßigen Teuerung9verhältnisse etn- zuwirken. Es ist höchst tadelnswert, daß ein solcher Appell an die Länder erst noch besonders gerichtet werden muß, zumal nachdem durch die Schaffung des Notstandsgeseßes eine starke Entlastung der Armenpflege eingetreten ist. Wenn der Antrag angenommen

ird, kann die Reichsregierung während der Vertagung des

%3tags mit den Ländern in der Sache verhandeln und uns

n Herbst die Denkschrift und ihre Vorschläge unterbreiten. Die Krankenpflege ift natürlich hier ausgenommen.

Ohne weitere Erörterung nimmt das Haus den Antrag einstimmig an.

Der Gesehentwurf über die Errichtung eines Reihspolizeiamts und von Landes3- kriminalpolizeibehörden wird -ohne Aussprache dem VI. Ausschuß überwiesen.

Dann folgt die zweite Beratung des Gesehentwurfs über die Pflichten eines Beamten zum Schuße der Republik auf Grund der Vorschläge des Rechts8ausschusses.

Abg. Schulze (D. Nat.): Die deutschnationale Volkspartei erkennt das Recht des Staates an, sih gegen gewaltsame Angriffe zu schützen, und sie ist bereit, dem Staate die nötige Handhabe da- zu zu bieten. Den vorliegenden Geseßentwurf lehnen wir aber als zu weitgehend entschieden ab. Das Ziel des Geseßes ist die völlige Entrechtung der Beamten und die Beseitigung des Berufsbeamten- tums, nicht aber der Schuß der Republik. Wem verdankt man denn das Bestehen der Republik? Doch nur den Beamten; die am 9, November sich nicht als Diener einer Partei, sondern des ge- samten Volkes gefühlt und deshalb ihre Dienste auch der reuen Staatë#?orm- zur Verfügung stellten. Diese Pflichttreue der Be- amten ist auch von der ersten republikanischen Regierung anerkannt worden. Vor Weimar und tin Weimar ist den Beamten ausdrück- lich zugesichert worden, daß an ihren wohlevworbenen Rechten niht gerüttelt werden würde. Ausdrüclih ist von Regterungsseite er- flärt worden, daß die Leistung des Eides auf die Verfassung die staatsbürgerlihe Freiheit der Beamten in keiner Weise beeinträch- tige. Daß das Berufsbeamtentum der Sozialdemokratie einm Dorn im Auge ist, zeigt au diese Vorlage. Sie will die politische Ent- rechtung der Beamten und die Beseitigung mißliebigecr Beamten. Das Geseh wendet sich gerade gegen diejenigen, die den Staat, au die Republik bisher geshüht haben. Auch beim Kapp-Putsch, als es keine Regierung gab, war es die pflichttreue Beamtenschaft, die das Staats\chiff weiterführte. Beim Eisenbahnerstreik, wo die Regierung zur Wahrung ihrer Autorität: energish hätte eimgreifèn müssen, hat man äußerste Milde walten lassen; E sieht dieses Geseß scharfe Strafen vor für. die Beamten, die ihre Gesinnung nit \chnell genug wechseln können. Gerade die pflichttreusten und bewährtesten Beamten will man unter ein Aus8nahmegeseß stellen. Glauben Sie (zur Linken) durch Geseßesparagraphen die Republik hüben zu können? Wenn die Republik in dret Fahren nicht ver- standen hat, den Beamten das Wohnen in ihrem Hause angenehm zu machen, dann wird" man es auch niht mit diesem Geseß_ er- reihen, das ein in der Geschichte unseres Staates unerhörtes Aus8- nahmegeseß darstellt. Sie (zur Linken) wollen an Stelle der er- probten alten Beamten andere seßen, für die aber die erste Be- dingung die sogtalistische Gesinnung ist. Erfreulicherweise ist es uns gelungen, bei den Aus\{hußberatungen dem Geseßentwurf eirtige Giftzähne auszuziehen. Auch der Sozialdentolrätie gingen einige Bestimmungen der Regierungsvorlage zu wert. Jch wiederhole

Her Me Frage i bie Regléruny, 59 n eker fit Der. Oeffentlichkeit von seinem Rechte Gebrau machen darf, an der Verfassung -und an’ der Staatsgeivalt Kritik zu üben. "Lie Regie- rung zeigt sich auch bei diesem Gese als aussühretdes Organ der Gewerkschaften. Fn letzter Zeit ist ein Geses nab dem andern ge- inacht worden, durch das die angeblich freiesie Tarietséng der Welt eingeshränkt wurde. Wir stechen cut em Boden der Verfassung und respektieren die Staatsform, unter der wir leben, aber wir vèr=- langen, daß auch die Regierung die Verfassung achtet. Ber Beamte hat selbstverständlih Pflichten gegen den Staat, aber er hat auch verfassungsmäßige - Rechte, gegen deren Beschränkung meine Partet stets Front machen wkrd. Jch warne die Regierung. Feder Druck erzeugt Gegendruck und jeder Druck erhöht die Explofivkraft. Die Beamten werden si u en, weil sie sich eben als Diener des Staates fühlen, aber das G fet wird das Gegenteil von dem sei, was es bezweckt. (Beifall bei ven Deutschnationalen, tronijche Zus stimmungsrufe links.)

Abg. Dr. H öfle (Zentr.): Durch bie AussHußberatunzen find wesentliche Schärfen aus der Vorlage herausgebracht worden, - Ziel des Geseßentwurss ist es, das Verhälttris des Beamien zum wrepublikanishen Staat {d Ft regeln, daß einecseits die staatsbürgerlihe Freiheit des Beamten möglichst unangetastet bleibt, daß aber andererseits der Staat genügend geshühßt und gekräftigt wird, Das leßte Ziel ist dabet das entscheidende, die Stärkung des Staates ist auch Aufgabe des Beamten. . Auffällig ist, mit welchèr Heftigkeit si die Deuts nationale Volkspartei als Schüßer des Staates und der B Z hinstellt. Der alte Staat hat die staatsbürgerlihe Frei enger aufgefaßt als heute (Beifall in der Mitte und Widerspruck rets), obwohl er damals nah außen wîie innen viel kräftiger war als die heutige Republik. (Zurufe rechts.)“ Jch darf auch nur auf die frühere Zurücksezung des katholishen Volksteiles im Be=- amtentum hinweisen. (Zustimmung im Zentrum.) Die Linke soll aber heute niht Geseze machen, die sjolche Zustände her führen, wie fie ste früher bekämpfte. Nach der Auffassung Begriffs der staatsbürgerlichen Freiheit, wie sie die Soz vertreten, wird der Gesinnungsshnüfselei in den übelsten F:

Tür‘ und Tor geöffnet. - Die Forderung, . .¿.de monar@i

Agitation zu verbieten, muß sharf verurteilt werden. Wi grundsäßlih auf dem Boden der volllommenen staatsbü l

Freiheit der Beamten, aenau so wie sie jeder andére Staatsbürge hat. (Zustimmung.) Beim Diensteid muß det Beamte nicht

die bestehende Staatsform, sondern auf die Verfassung festgelegt werden. Selbstverständlich muß der Beamte bei polttisher Agi tation ein besonderes Maß von Takt haben. Politishe B t müssen sich Beschränkungen gefallen lassen, wie das unter Bis- marck ebenfalls gewesen ist. Wir sind grundsäßlih für die Bes behaltung des Becu?f die rehtsstehenden - Beamten hätten den Eisenbähnerstreik wesent=- lich bekämpft, so nehme ih für viele Beamte anderer Richtung die alcihe Pflichterfüllung in Anspruch. Die bestehende Staatsform zu stärken, gleichzeitig aber für die staaisbürgerlihe Freiheit der Beamten die Grenzen zu ziehen, die sich aus den tatsählihen Bes- dürfnissen ergeben, dieses Ziel haben wir in den Ausshußverhand- lungen zu erreichen versucht. Weitere Bershärfungen des Gesezes sind für uns unannehmbar. (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

Abg. Dv. Scholz (D. Vp.): Die Ausshußverhandlungen er- tinnerten lebhaft an das berühmte „rechte Hand, linke Hand, alles vertauscht“. Die Rechtsparteien sind lebhaft für den Grundsaß eingetreten, daß niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden darf, die Linksparteien bekundeten eine starke Sehnsucht nach dem von ihnen so verurteilten Obrigkeitsfstaat und verrietew sogar Sympathien br mittelterliche Schrelenskamnrerm. (Heiter= keit rechts.) Die Regierung betonte entschieden die augenblick= liche unbedingte Notwendigkeit des Geseßes; andererseits mußte man sich wundern, daß sie immer und immer wieder ausführte, es handle sich gar niht um etwas Neues, es stehe ja alles hon im Reich8beamtengeseß, man könne den gemachten harmlosen Vor- lägen ruhig zustimmen, es werde. en dem augenbliälichen Zu=- tand durchaus nihts “geändert. (Hetterkeit reis.) Diesen leßteren Zustand. halten“ auch wir für rihtig und das ganze Gejseß Las unnötig. (Sehx wahr! rechts.) Er- Tig acta at auch der Hentrumsvertreter diese Aufs assung geteilt, wenn au vtelleiht . scine Partei nicht die gleichen Konsequenzen ‘zu giehen entschlossen ift Der Rechten hat man vorgeworfen, sie hätte den Obrigkeitsstaat au8genußt, um parteipolitishe Geschäfte zu betreiben; der Linker wird von der Rechten jeßt dex gleiche Vorwurf mit Bezug auf den Gegenwartsstaat gemacht. Die Vorwürfe s{heinen sich also aufzuheben, und es könnte als guter Rat erscheinen, sie auf sich beruhen zu lassen. Aber ein gewisser Unterschied besteht denn doch: wir leben, wie uns von links stets und ständig versichert wird, im freiesten Staate der Welt; das frühere Deutshe Reih hat auf diese Bezeihnung niemals Anspruch gemaht. Wir haben uns alle auf diesen fretesten republikanischen Staat gefreut, aber wohin ist er entschwunden? (Große Heiterkeit.) Eine Gesehes macherei, die damit beginnt, den Beamten niht nur die Grund- rechte des Beamten, sondern die Grundrechte des Menschen zu nehmen, ist mit freiheitliher Auffassung überhaupt niht mehr zu vereinigen. Wir haben durch das Gefeß eine ganz neue, bis

dahin unbekannte Kategorie von Beamten kennengelernt, nämli

diejenigen, die mit dem besonderen Schuße der Republik betraut sind. Glücklicherweise sind diese jeßt so einwandsfrei bezeichnet, daß ein jeder von ihnen weiß, daß er mit diesem besonderen Shußz betraut ist und daß ihm besondere Pflichten obliegen. Ursprünglich hatte der Entwurf in diesem Punkte keine genügende Deutlichkett, ließ vielmehr jeder Willkür freie Bahn. Troß dexr im Aus[chuß hier erfolgten Verbesserung. bleibt so viel übrig, was auf dem Gebiet dex Gesinnungsschnüffelei liegt, daß wir unsere Zustimmung nicht geben können. Der im Entwurf vorgeschlagene Disziplinar= enat ershien als aus8gesprohenes Aus8nahmegericht, er ist in (us\huß gefallen, dieser hat als Ersaß eine Aenderung der Zú- sammenseßung der Kammern und des Disziplinarhos8 vorge- lagen, gegen die wir deswegen Front machen müssen, weil darîi

as richterliche Element außerordentli verringert ist. Wir werden daher auch gegen die Aus8shußvorshläge stimmen. Weiter wird eine nicht unerheblihe Ausdehnung der Gruppe von politischen Beamten vorgeschlagen, : die jederzeit ohne Verfahren in den einst- weiligen Ruhestand . verseßt werden können. Mir scheint auch hierin wie bei dem Bisziplinarsenat eine Aenderung der. Ver- fassung vorzuliegen, weil wohlerworbene Rechte der Beamten kassiect werden. Die eingebrahten Abänderunzsanträge, so den auf Wiederdherstellung der Vorlage im Punkte des Disziplinarsenats, werden wix samt und sonders ablehnen. Darüber hinaus bean- tragen wir, den vom Ausshuß vorgeschlagenen Zusay zu F 10a zu streichen, der dem Reich8beamten untersagt, in der Oeffentlichkeit gehässig oder aufreizend die Bestrebungen zu fördern, die auf Wiederherstellung der ‘Monarchie oder gegen den Bestand der Republik gerichtet sind oder solche Bestrebungen duvh Vers leumdung, Beschimpfung oder Verächtlicuiachung der Republik odex von Mitgliedern der im Amt befindlichen oder einer früheren republikanish-parlamentarishen Regierung des Reichs zu unter- stüßen. Jh wiederhole zum Schluß meine wiederholt an die Res gierung gerichtete dringende Mahnung, uns niht immer wieder von Woche zu Woche Gesetze vorzulegen, die an den Grundrechten des Beamtentums rxütteln. Es werden davon weit weniger die jeßigen Beamten als derx ohnehin {hon dürftige Nahwuchs be=- troffen. Heute bietet die Beamteneigenschast als solhe keinen besonderen Anreiz mehr, und solcherlet Gesebße sind geeignet, den leßten Rest von Lust und Liebe den Anwärtern außzutreiben, Man soll von den Beamten chrlichen Dienst verlangen, und ehx- liher Dienst gn von den Beamten geleistet werden, aber met soll ‘ihnen auch alle verfassungsmäßigen Rechte belassen und dazu achört auch die. Gefinnungs- und die Meinungsäußernnasfreihett, Wir bedürfen der freudigen Mitarbeit der Beamtenschoft, bie durch fleinlihe Schikane nicht gefördert wird, :

veamtentums. Wenn der Abg. Schulze sagte,“

A