1877 / 94 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 21 Apr 1877 18:00:01 GMT) scan diff

Lewirfen galt. Ebenso unbestritten gebührt dieser Stadt der Ruhm, die Stellung Deuts{lands im Welthandel au erster Stelle begründet zu haben. Ein kühner und glücklicher Verkämpfer für deutschen Handel und Verkehr hat Hamburg die deutsche Industrie in albe Theile der Welt getragen und eine kommerzielle Geltung und Be- deutso.mkeit erlangt, mit welcher keine einzige Stadt des Vaterlandes und nur einige wenige Städte Europas sich zu messen vermögen. Unb dieser mächtige Handelsplat, auf den wir alle mit stolzer Ge- ungthuung blicken, erfreut si cines trefflichen Gemeinwesens, eines Szcelfgovernment, dem es gelungen ift, sih dur eine Reihe von groß- «artigen Einrichtungen von Handel und Schiffahrt wie auf dem weiten Gebiete öffentliher Wohlfahrt auf das Glänzendste zu be- währen. Ich trinke auf das Wohl dieser freien und Hansestadt, hrer Bürgermeister, ihres Senates und ihrer Bürgerschaft mit dem ännigen Wunsche, daß ihr wie dem ganzen Vaterlande in friedlicher «Œntwidelung eine glückliche Zukunft erblüheu möge.

Der Hohe Redner leerte sein Glas und dankbar mischten Tit die H in den Tus. Jn leutseligster Weise unter- Hielt Sich der Kronprinz mit vielen Tafelgenofssen.

Gestern früh 84 Uhr wurde den Höchsten Herrschaften von den vereinigten Regimentskapellen der hiesigen und der Alto- naer Garnison eine Morgenmusik vor dem Hotel de l’Europe gebracht.

Um 10 Uhr begaben Sich, laut Meldung des W. T. B., Jhre Kaiserlichen Hoheiten der Kronprinz und die Kron- prinzessin mit Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm zunäwhst nach_ dem Dalmannsquai, wo sich die Mitglieder der Schiffahrtsdeputation und der Hafen- Deputation, die Bürgerschastsmitglieder , die hiesigen Reichstagsabgeordneten Und die angesehensten Bewohner der Stadt zur Begrüßung eingefunden hatten. Der Kronprinz und der Prinz Wilhelm, fortwährend von stürmischen Hurrahs begrüßt , besichtigten den Quai und den Quaispeicher, während zugleih die Dampskrähne in voller Thätigkeit waren. Hierauf wurde auf dem Staatsdampfer „Elbe“ der Sandthor-Quai und Hafen besucht, elbaufwärts die Eisenbahn- brüdcke in Augenschein genommen und elbabwärts bis Oevalgören gefahren. Die Fahrt war vom schönz1ten Wetter begünstigt. Um 12 Ühr wurde das Seemannshaus besichtigt, von welchem der Kronprinz eine bis ins Einzelnste gehende Kenntniß nahm.

Nach einem Besuche der Nikolaikirhe begaben Sich die Kronprinzlihen Herrschaften um 1 Uhr nach der fesilih ge- Thmüdckten Börse, wo Höchstdieselben von den Mitgliedern der Handelskammer empfangen und in die oberen Näume der Börse geleitet wurden. Um 24 Uhr begann die Fest- fahrt auf der Binnen - Alster und Außen - Alster mit dem Boote „Armin“ vom Germania - Ruderklub und dem Boote „Loreley“ vom Amazonen - Loreleyklub, woran eine große Anzahl anderer Boote theilnahm. Während Shre Kaiserliche Hoheit die Kronprinzessin hierauf mehrere Besuche in der Stadt abstattete, unternahm Se. Kaiserliche Hoheit der Kronprinz mit dem Prinzen Wilhelm, begleitet von Mitgliedern des Senats und den Jngenieuren, die Fahrt durch den Geest-Stammsiel auf dem zu diesem Zwecke erbauten flahen Fahrzeug. Der unterirdische Weg war dur Lampions und bengalische Feuer fast taghell erleuhtet. Das Diner wurde von den Kronprinzlihen Herrschaften im Hotel de 1’Europe eingenommen.

Abends um 7 Uhr begann die Zllumination, der Stadt, für welhe die großartigsten Vorbereitungen getroffen waren. Die Staatsgebäude und viele Privatgebäude waren gan erleuchtet. Vor Allem zeichneten sih die Lombards-

rückde zwishen der Binnen-Alster und Außen-Alster, sowie die Börse und das Reichsbankgebäude aus. Um 85 Uhr be- gann vor dem Hotel de l’Europe die Korfofahrt, an welcher etwa 30 mit Lampions geshmückte Ruderboote Theil nahmen. Später fuhren die Kronprinzlichen Herrschaften um das Bassin der Binnen-Alster zur Soirée nah der Kunsthalle. Auf dem Wege dorthin wiederholten sich die freudigen Kundgebungen der Bevölkerung. Die Soirée, welcher gegen 1000 Personen beiwohnten, verlief sehr glänzend. Gegen 9 Uhr erschienen die Kronprinzlichen Herrschaften, machten eine Promenade durch die Säle und hielten darauf Cercle ab. Später fand ein Souper statt.

Se. Hoheit der Prinz Friedrich zu Hohen- zollern, Oberst-Lieutenant im 1. Garde-Dragoner-Regiment, ist von Urlaub hierher zurücgekehrt.

Der Bundesrath, sowie die vereinigten Ausschüsse desselben für A und Steuerwesen und für Rehnungswesen Hielten heute Sißungen.

Jm weiteren Verlaufe dcr gestrigen Sißung des Reichstages wurde der Abg. Prinz Radziwill von dem Abg. von Bunsen darauf verwiesen, daß es sih bei dem Freundshaftsvertrage mit Tonga um nichts mehr handele, als um eine Kohlenstation. Hierauf nahm der Be- vollinächtigte zum Bundesrath Staats-Minister von Bülow das Wort:

Der Herr Vorredner hat am Schlusse seiner Ansprache, meine Herren, das gesagt, was ih mir erlauben wollte, zu sagen, wenn ih au nit selbst die volle Anerkennuug in Anspruch nehmen konnte für das Auswärtige Amt, die er so freundlich und, wenn ich das sagen Darf, mit so vollständiger Einsicht in das Sacverhältniß uns ge- spendet Hat. Ich halte mich aber doch für berechtigt, hinzuzufügen, daß die Vorausseßung, von der der Herr Vorredner ausgeht, nämlich

Daß wir auf jenen Inseln nur auf dem Boden kommerzieller und

“Für unfere Marine erwünschter friedlicher Niederlassungeu stehen, vollkommen begründet it. In keiner Weise ist es die Absicht, weder auf den Samoainseln, noch auf Tonga uns in die ánneren Verhältnisse , die innere Geseßgebung einzumishen. Wir haben, wie Ihnen das {on vorliegt, das Gld gehabt, in Tonga eine wohlbefestigte Negierung und einen tücbtigen und zuverläffigen Herrser zu finden, mit dem wir ohne Schwierigkeiten, wenn auch durch die Zeit und Umstände gedrängt, den Vertrag abs&ließen konnten, der Ihnen zur Genehmigung vorliegt. Wir haben in Samoa nicht dasseïbe Glück gehabt, indemdort, wie auch der Herr Vorredner näher erwähnt hat, innere Kämpfe stattgefunden haben, welche die Regierung8gewalt ¿weifelhaft und die Möglichkeit, eine zum Abschluß der Verträge, zur Sicherstellung des deutschen Cigen- thums vollständig legitimirte permanente Behörden zu finden, in

w'ifel stellen. Es ist uns also die Aufgabe geworden, und wir jaben fie erfüllt, ohne Einmischung eben diejenige Partei zu stüßen, welhe am ersten die Bürgschaft genährte, geordnete Zustände wieder herzustellen. Die Ordnung dieser Zustände, die nidt direkt von uns ausgeht, aber von uns im Interese unserer Angehörigen freudig begrüßt werden würde und werden znuß, giebt die Bürgschaft, das so bedeutende deutsche Eigenthum dort zu sitern, die deutschen Pflanzungen zu hüben, den Litel des Eigenthums festzustellen, und uns vor den Ruhestörun en zu bewahren, die mit anarchischen Zu- ständen unzertrennlich sind.

Dhne tiuf die Geschichte der Inseln weiter einzugehen, will ih do bemerken, daß, wenn die Aufmerksamkeit des Auswärtigen Amts dieser Frage lange und eingehend zugewendet worden ift, es si dabei um rine Schöpfung deutsher Tüchtigkeit, deutschen Fleißes und deutshen Unternehmungsgeistes, um Unterstüßung weit- sitiger und \{öner Pläne handeli, wie sie, ih glaubte niht seit der Zeit gewesen find, wo das große Haus Fugger von B aus Deutschland Kolonien zu erwerben wußte in Central-Amerika zur Zeit der ersten spanishen Groberer. Ich glaube in der That nitt, daß etwas Aehnliches seit der Zeit dagewesen ist, und möchte die Herren auffordern, eine Zeitschrift, die über die Erfolge in Samoa, die friedlihen Erfolge des deutschen Fleißes und deutschen Unter- nebmungsgeistes in Hamburg in monatlichen Berichten erscheint, oder auch die Sammlung von Merkwürdigkeiten naturhistorischer und anderer Art aus jener Insel, die ebenfalls in Hamburg im Be- siße des Hauptbegründers diefes großen Unternehmens sich befindet, gelegentlih anzusehen, um sich selbst zu überzeugen, daß es bei diesem Unternehmen sich um ein außerordentliches großes, hönes und für ganz Deutschland wichtiges Interesse handelt. Aber cben darum, weil wir auf diesemguten Boden standen, weil wir die Pflanze, die fräftig aufgewachsen war, zu fördern und zu {üßen uns verpflichtet acteten, find wir, nadem die ganze Sachlage uns vorlag, mit Vorsicht ans Werk ge-

angen und haben namentlich uns in feiner Weise in die innern

erhältnisse der Insel eingemischt. Wir haben nur das gethan, was wir der deutschen Unternehmung und was wir der deutschen Handelsflagge {huldig waren, nämli daß wir, wo diese sich gezeigt, (und das Haus dort in Samoa hat ungefähr 20 Dampfschiffe unter deutscher Flagge) diese Flagge dort zu hüten suchen, daß wir mit den Eingebornen, die kulturfähig und zum Theil {on zum Christenthum befkehrt sind wie und von wem kann uns einerlei sein —, ein gutes Verhältniß unterhalten und diejenigen unterstüßen, welche Fleiß, Kultur, gute Sitte dort hingebracht haben und fich zur Hauptaufgabe ein gutes Einvernehmen mit den Eingebornen gestellt haben. In der That sind in Samoa nie Streitigkeiten zwischen den deutschen Niederlassungen und den Eingebornen gewesen, höchstens ganz unbedeutende. Mit Tonga ift ebenso das Verhältniß durchaus gut.

Ich glaube daher meinerseits auch die Ueberzeugung aussprechen ¡u müssen, daß Sic mit diesem Vertrag zwar niht weitgreifende Unternehmungen, die uns ferne liegen, aber eine Festigung und Sicherung desjenigen, was lelbvstthätig und selbstkräftig erwachsen ift, fördern und unterstüßen werden. F

I möchte endlich noch hinzufügen, daß unsere ganze politische Stellung zu dieser niht politishen Sache eine so einfache, klare und billige ist, daß die Aufklärungen, die wir_ den befreundeten Piächten haben geben können und nit unterlassen haben zu geben über unsere Absichten, dort vollen Anklang gefunden, und daß namentlich die Stellung, die wir zu den Parteikämpfen in Samoa genommen haben, si voller Anerkennung überall zu erfreuen hatte, wo wir es für nöthig und also auch für nüßlich hielten, Aufklä- rungen zu geben. s / :

Der Vertrag wurde {ließlich mit großer Mehrheit genehmigt.

Bei der folgenden Fortseßung der Etatsberathung erklärte bezüglih der Gotthardbahn der Bevollmächtigte zum aae Präsident des Reichskanzler-Amts Staats-Minister

ofmann:

JFch bin nicht in der Lage, in dem Augenblicke, wo die Verhand- lungen mit der Schweiz und Italien über die Frage weben, ob und inwieweit für das Gotthardtbahnunternehmen weitere Subven- tionen gezahlt werden sollen, Näheres über die Grundlage der Ver- handlungen und über die Gesichtspunkte mitzutheilen, von denen die deutsche Regierung ausgeht. Nur das kann ich im Allgemeinen sagen, daß die Kaiserlice Regierung nach wie vor in dem Gotthardt- bahnunternehmen cit Werk sieht, bei welhem Deutschland mit sehr erheblichen Verkehröbeziehungen betheiligt ist, und daß wir, so weit das deutsche Interesse. an der Vollendung des Goti ardtbahnunter- nehmens geht, bei denzb4 scebenden Verhandlungen die Hand gern dazu bieten werden, um ¿ein Üebereinkommen herbeizuführen, welches die Mittel zur Vollendung des Unternehmens gewährt.

Der Titel wurde genehmigt. s

Zum Umbau des ehemaligen Radziwillschen Hauses wurde dent Antrage des Abg. Frhrn. zu Franken- stein entgegen nah den vom Referenten Abg. Dr. Wehren- pfennig gegebenen Erläuterungen die volle geforderte Summe mit großer Mehrheit bewilligt. : /

Bei der Position „Kosten der Prüfung eines neuen Verfahrens zur Ermittelung des Zucergehalts“ wurde vom Abg. von Behr-Schmoldow die Frage der Zucker- steuerreform angeregt und erörtert, während der Abg. Som- bart sich für Beibehaltung des erprobten Verfahrens ver- wendete. Der Plan des Botschafts{hotels in Wien gab den Abgg. Dr. Reichensperger (Crefeld), von Miller und Römer Gelegenheit zu Bemerkungen über den Baustyl ; au der Staats-Minister von Bülow betheiligte sih au der Dis- fussion. Nach dem Vorschlage der Kommission wurde in den diesjährigen Etat nur die Hälste der geforderten 300,000 s ein- gestellt. Ebenso wurde von den einmaligen Ausgaben sür die Post- und Telegraphenverwaltung fast 1 Mill. #6 in den außer- ordentlichen Etat verseßt, nahdem der Abg. Demmler die da- hin gehörigen Baupläne kritisirt hatte. Hierzu sprachen noch die Bundeskommissarien Geheimer Ober-Postrath Kramm und Direktor im Reichskanzler-Amt Dr. Michaelis. Die Verhand- lung wurde um 45 Uhr vertagt.

In der heutigen (27.) Sißung des Reichstages, welcher die Bevollmächtigten zum Bundesrath, Vize-Präsident des Staats-Min isteriunis, Finanz-Minister Camphausen, Prä- sident des Reichskanzler-Amts, Staats-Minister Hofmann u. A. beiwohnten, theilte der Präsident mit, daß die Komwission für die Vorberathung der Anträge, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, gewählt sei und sih konstituirt habe. Auf der Tagesordnung stand zur ersten Be- rathung folgender Geseßentwurf, betreffend die Er- hebung einer Ausgleihungsabgabe:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König

von Preußen 2c. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zu- stimmung de3 Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

8. 1. Die folgenden Gegenstände werden bei der Einfuhr in das deutsche Zollgebiet mit einer Ausgleichungs8abgabe von 75 H für den Zentner belegt: 1) Eisen und Stahl, ge- \chmiedet und gewalzt, in Stäben . (mit Einschluß des façonnirten); Eifenbahnshienen, Winkeleisen, [- Eisen, einfaches und doppeltes T - Eisen; Eisen« und Stahlplatten , sowie Eisen- und Stahlblech, auch polirt oder gefiruißt ; Weißblecch (aus Nr. 6b. des Zolltarifs); 2) ganz grobe Gußwaaren in Oefen, Plaiten, Gittern 2c. (Nr. be. 1); 3) grobe Eisen- und Stahlwaaren, die aus geshmiedetem Eisen oder Eisenguß, aus Eisen und Stahl, Cisenblech, Stahl- und Eisendraht, auch in Verbindung mit Holz, gefertigt, in- gleihen Waaren dieser Art, welche abgeschiiffen, gefirnißt, verkupfert oder verzinnt, jedo nicht polirt sind, als: Aerte, Degenilingen, Feilen, Hämmer, Hecheln, Hobeleisen, Kaffeetrommeln und -Mühlen, Ketten (mit Aus\{luß der Anker- und Schiffsketten), Kobgeschirre, Nägel, Pfannen, Shaufeln, S@&lösser, Schraubstöcke, grobe Messer zum Handwerks- gebraub, Sensen, Sicheln und Futterklingen (Strohmefser), Stemm- eisen, Striegeln, Thurmuhren, Tuchmacher- uad Schneiderscheeren, Frnoent u. dgl. m.; dann gewalzte und gezogene s{chmiedeeiserne

öhren (Nr. 6e. 2

C; 2); 8, 2, Die geseßlihen Bestimmungen über die Eingangszölle finden auch auf die Ausgleichungsabgabe Anwendung.

8. 3. Die zur Herstellung von: a. Lokomotiven, Tendern und Dampfkesseln (Nr. 15b. 1 des Zolltarifs), b. Maschinen, insofern sie dem Gewichte nach überwiegend bestehen aus Gvßeisen, Schmiedeeisen oder Stahl (Nr. 15b. 2. # 7), e. Eisenbahnfahrzeugen weder mit Leder- noch mit Polsterarbeit (Nr. 15e. 1 4) erforderlichen Mate- rialien und Maschinentheile dürfen, nah Maßgabe der vom Bundes- rath zu erlassenden Kontrolvorschriften, frei von der Ausgleihungs- abgabe aus dem Auslande bezogen werden.

8. 4. Das gegenwärtige Geseh tritt mit dem 1. Juni 1877 in Kraft. Es wird durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesraths außer Kraft gesetzt, sobald die in anderen Ländern that- sächlih bestehende Begünstigung der Ausfuhr von Eisen und Eisen- fabrikaten durch Ausfuhrprämien in Wegfall gekommen fein wird.

Jn“ der Diskussion wurde hiermit die erste Berathung eines von den Abgeordneten Dr. Löwe und Genossen vor- gelegten Geseßentwurfs, betreffend die Abänderung des Ver-, einszolltarifs, verbunden.

Nachdem der Abg. Richter (Meißen) Namens der Petitions- fommiszion über die hierzu eingegangenen Petitionen referirt hatte, ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats- Minister Dr. Achenbah das Wort. Derselbe legte in ausführliher Rede die Nachtheile dar, welche der deutschen Eisenindustrie aus der in Frankreih heimischen Einrichtung der acquits-à-caution erwachsen, und motivirte damit den Entshluß der Regierungen, auf die im vorigen Jahre vorgeschlagene Maßregel, soweit es sich um Eisen und Cisenfabrikate handelt, zurüdzukommen. Die Bedenken der Reichstagskommission gegen die vorjährige Vorlage seien durch die gegenwärtige fast vollständig beseitigt. Darauf sprach der Abg. Richter (Hagen), dessen Argumentation, daß die Vorlage der erste Schritt zur Rückkehr zum Schutzollsystem sei, der Staats-Minister Dr. Achenbach widerlegte. Beim Schlusse des Blattes hatte der Abg. Dr. Löwe das Wort.

Nach der im Reihs-Eisenbahn-Amt aufgestellten in der heutigen Zweiten Beilage veröffentlichten Nachweisung über die auf deutschen Eisenbahnen excl. Bayerns vorgekommenen Unfälle waren im Monat Februar cr. im Ganzen zu verzeichnen :

31 Entgleisungen und 14 Zusammenstöße fahrender Züge, und zwar wurden hiervon 14 Züge mit Personen- beförderung von je 7941 Zügen dieser Gattung Einer und 31 Güterzüge resp. leerfahrende Maschinen betroffen ; ferner 34 Entgleisungen und 19 Zusammenstöße beim Rangiren und 70 sonstige Betriebsereignisse (Ueberfahren von Fuhr- werken auf Wegeübergängen, Defekte an Maschinen und Wagen 2.).

In Folge dieser Unfälle wurden 4 Personen verleßt (3 Beamte und 1 Arbeiter); 12 Thiere getödtet und 27 Fahr- zeuge erheblich, 135 unerheblih beschädigt.

Außer den vorstehend aufgeführten Verunglücckungen von Personen kamen, größtentheils dur eigene Unvorsichtigkeit hervorgerufen, noch vor: 35 Tödtungen (1 Reisender, 14 Beamte, 6 Arbeiter und 14 fremde Personen); 83 Ver- leßungen (2 Reisende, 42 Beamte, 29 Arbeiter und 10 remde Personen), sowie 4 Tödtungen und 1 Verletzung bei beabsihtigtem Selbstmorde.

Von den überhaupt beförderten Reisenden wurde von je

| 10,655,156 Einer getödtet und von je 5,327,578 Einer ver-

leßt; von den im Betriebsdienste thätig gewesenen Beamten He von je 8755 Einer getödtet und von je 2724 Einer verleßt.

Ein Vergleich mit demselben Monate im Vorjahre ergiebt, unter Berücksichtigung der in beiden Zeit- abschnitten geförderten Achskilometer Und Der Ant Betriebe gewesenen Geleisìängen daß im Durchschnitt im Februar cr. bei 12 Verwaltungen mehr und bei 11 Ver- waltungen weniger und in Summa circa 15 Prozent weniger Verunglückungen vorgekommen sind, als im Februar vorigen Jahres.

Die in der heutigen Börsenbeilage abgedruckte tabel- larishe Uebersicht der Wochenausweise der deut- \hen Zettelbanken {ließt mit folgenden summarischen Daten ab: Es betrug der gesammte Kassenbestand 720,536,000 6, d. i. der Vorwoche gegenüber weniger 641,000 H ; der Wechsel- bestand belief sich auf 621,574,000 H#, wies demgemäß eine Zunahme auf von 9,020,000 M, während die Lombardforde- rungen mit 85,020,000 & einen Rückgang um 4,599,000 #6 und der Notenumlauf mit 909,496,000 4 einen solchen von 90,399,000 6 konstatiren. Es betrugen ferner die täglich fälligen Verbindlichkeiten 180,546,000 oder 20,064,000 M mehr und die an eine Kündigungsfrist gebundenen Verbind- lichkeiten 92,900,000 F oder 118,000 M mehr als in der Vorwoche.

Den Zeug- und Feuerwerks-Hauptleuten soll für die Folge bei event. eintretender Charafter-Erhöhung statt des Charakters als Major der als Zeug- resp. Feuerswerts- Major verlichen werden.

Unter Bezugnahme auf den Erlaß vom 16. Juli 1875 hat der Kriegs-Minister bestimmt, daß fortan Seitens der Militär-Verwaltungsbehörden im Bereiche des X1V. und XY. Armee-Corps die Ermittelung - von Militär- Anwärtern zur Beseßung erledigter, denselben vorbehaltener Stellen nah der Bestimmung der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 12. April 1875 stattzufinden hat. Die Anmeldung der A Stellen erfolgt beim Landwehr-Bezirks-Kommando in Soblenz.

Dur einen Erlaß vom 31. Januar d. F. hat- der Minister der gn 2c. Angelegenheiten genehmigt, daß Schulamts-Kandidaten und Lehrer, welche ihre Be- fähigung nur durch Prüfungszeugnisse außerpreußif cher Prüfungsbehörden des Reichs darthun, im diesseitigen Sqhul- dienst unter Erlaß der 1. Prüfung provisorisch unter der Be- dingung angestellt werden können, daß Seitens derselben die in Preußen vorgeschriebene 2. Prüfung? nah Maßgabe der sür dieselbe geltenden Bestimmungen vor einer preußischen Prü- fungsbehörde abgelegt wird.

Der Minister der geistlichen 2c. Augclegeeten hat in zwei Spezialfällen dem Gesuche eines Geistlichen bezw. Le hters um Befreiung von den Schulbeiträgen feine Folge gegeben, da auch das Königliche Ober-Verwaltungs- geriht unterm 17. Januar d. F. dahin erkannt hat, daß Geistlihen und Lehrern ein ateatiter Anspruh auf Fre lassung von den Schulbeiträgen nicht zur Seite stehe.

Die geseßlichen Bestimmungen über die Konzessions- pflichtigkeit und die Steuerpflichtigkeit des Kleinhandels mit Branntwein finden nah einem Erkenntniß des Ober-Tribunals, Senats für Strafsachen vom 6. April

1877, au auf den Kleinhandel mit Liqueur Anwendung.

Der Bundesraths- Bevollmächtigte, Königlich württembergische Präsident des Staats-Ministeriums, Staats- Minister der Justiz und der Auswärtigen Angelegenheiten von Mittnacht ist nah Stuttgart abgereist.

Bayern. München, 19. April. (Allg. Ztg.) Der König hat dem Erzherzog Albrecht von Oesterreich zu seiner ubiläumsseier das Großkreuz des militärishen Mar-Joseph-Ordens verliehen. Jn Niederbayern eab- sichtigt man aus Anlaß des 50jährigen Bischofsjubiläums des Papstes eine Kinderadresse an den Papst zu richten; in Folge dessen Eg ein Erlaß der Kreisregierung an die Bezirksämter: daß dic Vertheilung und Einsammlung der Subskriptionsbogen von Schulaufsichtswegen nicht geduldet werden könne, und aer das Leh-:personal der deutschen Schulen bei Meidung disziplinären Einschreitens sih jeder dienstlihen Mitwirkung zu dieser Kinderadresse zu enthalten und zu vermeiden habe, igendwie den Einfluß als Lehrer und Erzieher auf die shulpflichtigen Kinder zu obigem Zwed geltend zu machen.

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Hesterreich-Ungarn. Wien, 19. April. Die Minister Tisza und Szell sind heute hier angekommen. Wie die „Deutsche Zta.“ meldet, wird dem Abgeordnetenhause alsbald nah seinem Wiederzusammentritte der Geseßentwurf über die Regelung des Militär-Bequartierungswesens vor- gelegt werden. Die Vorlage an den ungarischen Reichstag werde erst später erfolgen.

Nach Meldungen aus Pest sollen wahrscheinli bereits am 24. d. M. den beiderseitigen Parlamenten nach- stehende, auf die Erneuerung des österreihisch-unga- rishen Ausgleihs bezüglihe Vorlagen überreicht werden: 1) Geseßentwurf über das österreichish-ungarische Handels- und Zollbündniß; derselbe enthalte au die neuen Bestimmungen über die Zollrestitution ; 2) Geseßentwurf, be- treffend die in beiden Theilen der Monarchie etablirten Aktien- Gesellshaften und Unternehmungen; 3) Geseßentwurf über die Regelung der Bankangelegenheit, dessen integrirender Theil die Entwürfe über das Statut der ötjterreichish-ungarischen Bank und der Hypothekar- Abtheilung dieser Bank bilden ; 4) Geseßentwurf über die Regelung der 80-Millionen-Schuld; 5) Geseßentwurf über die Zuckersteuer ; 6) Geseßentwurf über die Spiritussteuer. Jedem dieser Geseßentwürfe soll ein cin- gehender Motivenbericht angeschlossen werden. Die Motipven- berichte dürften von jeder der beiden Regierungen separat ab- gefaßt werden. ;

Die Landtagssession naht sich ihren: Ende. Zwei der Provinzvertretungen, die oberösterreihishe und Jchlesische, haben ihre Arbeiten bereits beendet. In den übrigen wird der Sessions\{chluß im Laufe der nächsten drei Tage er- folgen, da am Montag, 23., das Abgeordnetenhaus feine Thâtigkeit wieder aufnimmt.

: Pest, 19. April. Aus Anlaß der heute erfolgten Reise des Finanz-Ministers Szell nah Wien berichtigt der „P. Lloyd“ die Meldung des „Kel. Nepe,“ der zufolge es sich um „Fortseßung der Verhandlungen über die Ausgleichsfragen“ handle, insbesondere jegt „die noch unerledigten Punkte be- ¿ügtiÓ der Finanzzölle“ geordnet werden sollen. Der „P. Lloyd“ erklärt, mit Bestimmtheit versichern zu können, daß diese Angabe nicht richtig ist. Minister Szell nehme nah Wien die auf den Ausgleih bezüglichen fertigen Operate, Geseßzesvorshläge, Motivenberichie u. st. w. mit, um mit den österreihhishen Ministern die Fdentität der Schluß- redafttion der beiderseitigen Vorlagen zu konstatiren. Sobald dies geschehen, werde der Finanz-Minister feinen Aufenthalt in Wien gleichzeitig dazu benußten, um der Zeitersparniß hal- ber, unter Abkürzung der üblichen Prozedur, die fertigen Ent- würfe persönlih Sr. Majestät zur vorläufigen Genehmigung vorzulegen. Herr von Szell werde muthmaßlich bereits im Bacout des morgigen Tages nach Pest zurückkehren.

Niederlande. Haag, 20. April. (W. T. B.) Die Regierung hat den Generalstaaten einen Geseßentwurf vorgelegt, wonach der 157,000 Hektaren umfassende südliche Theil des Zuydersees auf Staatskosten trocken gelegt werden soll. Die Kosten sind auf 116 Millionen angeschlagen und sollen durch Anleihen gededät werden. Jn Verbindung mit den bezüglichen Arbeiten wird von der Regierung ferner die Herstellung eines neuen Kanals zwischen Amster- dam und den Rheinprovinzen beantragt.

Belgien. Brüssel, 20. April. (W. T. V.) Der Deputirte Frère-Orban fragte in der heutigen Sizung der Repräsentantenkammer an, was die Regierung in Ve- zug auf die Petition der Bischöfe und belgischen Katholiken, betreffend die Lage des Papsies, zu thun gedenke. Der Minister der auswärtigen An- C Graf Aspremont - Lynden, erklärte, die

egierung habe das fragliche Schriftstück erhalten, jedoh noch feine Entschließung gefaßt und werde nihts ohne vorheriges - Gehör der Kammer unternehmen, wenn jemals die Mächte Belgien auffordern sollten, an einex

. Besprehung über die römische Frage theilzunehmen. Die

Deputirten Frère-Orban und Orts wiesen darauf hin, daß die in Vorschlag gebrachte Konferenz ein Ding der Unmög- lichkeit sei, und daß sih Belgien auf dergleichen nicht einlassen dürfe. Der Minister Malou erklärte, die Regierung er- warte keine Einladung zu einer solhen Konferenz, die von den Vischöfen im Lande geshürte Agitation sei ein unfluges Unternehmen.

Großbritannien und Jrland, London, 19. April. (E. C) Die Königin wird sich am Sonnabend von Oshorne nah Windsor begebcn. Jm Unterhause wurde gestern über die zweite Lesung des von dem konservativen Abgeordneten für Chatham, Mr. Gorft, ein- gebrahten Gesetzes bctreffend die Jurisdiktion in Küstengewässern beschlossen. Anstoß zur Einbringung des Gesetzes hatte der Zusammenstoß des dzuililén Schiffes „Fran- conia“ mit dem englischen „Strathclyde“ gegeben. Der Antragsteller, Mr. Gorst, auf den erwähnten Unglücksfall Bezug nehmend, welcher, obgleih innerhalb zweier englischen Meilen von der Küste entfernt vorkommend, doch nicht der Zurisdiktion der englischen Krone anheimgefallen sei, bezeih- nete es als wünshenswerth, durch eine geseßlihe Bestim- mung es unzweifelhaft zu machen daß innerhalb des terri- torialen Gewässers, bis 3 englische Meilen von der Küste, die Krone volle Jurisdiktion auszuüben habe, damit niht Ver- gehen, dur auswärtige Seeleute auf ihren Schiffen innerhalb dieser Zone begangen, künftighin straflos blieben. Sir George

Bowyer beantragte Aufs{Gub der zweiten Lesung des Gesetzes auf 6 Monate (gleihbedeutend mit Beseitigung des Gesetzes ohne formelle Verneinung seines Prinzips), da es eine internatio- nale Angelegenheit berühre und also niht einseitig von England ausgeführt werden könne. Ebenso sprach gegen die Vorlage Mr. Stanley Hill. Dur Festfeßung einer Dreimeilenzone würden die natürlihen Grenzen der hohen See verrückt. Die Maßregel sei auch unnöthig, da man ja nur einfach eine Person, die innerhalb jenes Gürtels ein Vergehen begangen, in ihrem eigenen Lande anklagen und dort verantwortlih machen könne. Sir W. Harcourt hält zwar das Prinzip des Gesetzes für richtig, meinte aber, es sei nothwendig, demselben durch diplomatische Verhandlungen Geltung zu verschaffen. Der General-Staats- anwalt erklärte, dem vorgeschlagenen Gefeßze nicht zustimmen zu können. Gesfeßgeberishe Maßregeln seien nur dann thunlich, wenn mit auswärtigen Staaten und den Kolonialregierungen die Angelegenheit vorher verhandelt worden sei. Die Regierung habe die Sache indeß keineswegs aus den Augen verloren, und sobald andere wihtige Geschäfte der Session erledigt wor- den und die Angelegenheit für die Geseßgebung reif sei, werde sie zu einem Schlusse Über den einzus{lagenden Weg zu ge- langen suhen. Auf Empfehlung Sir H. James zog Mr. Gorst darauf seinen Geseßesvorschlag zurückd. Jn Hull is ein zweites, der japanishen Regierung gehörendes Schiff von Stapel gelassen worden. Auch dieses Mal war der Gesandte des Kaisers von Japan anwe- send. Das Schiff ist eine Korvette von 2000 Tons und 2500 Pferdekraft und wird neun Kruppsche Geschütze führen. Eine andere Korvette ist im Bau begriffen. Der Abgeordnete Reed hat zu sämmtlichen Schiffen den Entwurf angefertigt.

(A. A. C.) Jn der vorgestrigen Sißzung des Unter- hauses theilte Lord Sandon, der Chef des Unterrichts- und Sanitätswesens auf eine Anfrage des Obersten Kingscote mit, daß in Willesden ein weiterer Fall von Ninderpest kon- statirt worden sei. Am Montag habe der Geheime Rath ganz London unter seine Aufsicht gestellt und 12 FJnspektoren er- nannt. Am Dienstag seien 60 Kuhställe inspizirt worden, und jeder Stall, sowie jede Heerde in London werde einer sorgfältigen Untersuhung unterzogen werden. Er sei in der Lage zu erklären, daß sich seit dem vorigen Mittwoch kein an der Rinderpest erkranktes Thier lebend befunden habe.

21. April. (W. T. B.) Heute findet ein Minister- rath statt. Jm Unterhause erklärte gestern der Unter- Staatssekretär für Jndien, Hamilton, auf eine Anfrage Duffs, in den Beziehungen der Regierung von Fndien zu dem Emir von Afghanistan sei keine Aenderung einge- treten. Da der Emir aber Anstand nehme, einen englischen Offizier zu empfangen, so würden die Verhandlungen in Pe- schawur geführt werden.

Frankreih. Paris, 19. April. (Köln. Ztg.) Der Präsident Marschall Mac Mahon stattete heute dem Großfürsten Konstantin einen Besuch ab. Der General Lcwaschow, Staatssekretär und Adjutant des Kaisers von Rußland, traf vorgestern Abend hier ein und reiste nach einer Audienz bei dem Marschall heute Morgen nah St. Petersburg zurückl, Das Sreiben des Justiz-Ministers an den Bischof von Nevers wurde gestern Abend abgesandt. Das „Journal officiel“ veröffentliht Veränderungen im Perjonal der Prä- fekten, die dur die Ernennung des Hrn. Le Myre de Nilers zum Direktor der algerischen Angelegenheiten und durch die Be- rufung des Hrn. Jeanjson zu „anderen Funktionen“ veranlaßt wurdcn. Zwei Unter-Präfekten wurden zu Präfekten ernannt, wodur) auch eine Unter-Präfektenbewegung nothwendig wurde.

(Magd. Ztg.) Die republikanischen Blätter ver- öffentlichen mit Entrüstung ein vom 7. April datirtes Rund- \chreiben, welches der vielgenannte Bischof von Nevers aus eigener .Machtvollkommenheit an alle Maires seiner Diö- zese gerichtet hat. Dieselben werden darin offen aufgefordert, der Bevölkerung die Bedrängnisse des Papstes klar zu machen, und in den Gemeinderäthen und sonstigen Vertrauenskörpern für die päpstlihe Sache zu agitiren. Das betreffende Schrei- ben lautet:

Bisthum Nevers. Nevers, 7. April 1877.

Mein Herr! Als Einem von Denen, welchen ein Theil der Gre- futivgewalt Frankreichs anvertraut ist, muß Ihnen daran liegen, daß die geheiligten Interessen des Gewisjens bei allen Ihren Mitbürgern geachtet werden und daß sie demgemäß die Weisungen und Befehle dessen frei empfangen können, welchem von unserem Herrn Jesus Christus, alle Macht, zu binden und zu löfen, verliehen worden ift. Fn einem von edler Standhaftigkeit und hehrem Unabhängigkeits- finn bescelten Afte hat der heilige Vater vor Kurzem erklärt, daß er in Rom nicht mehr die zur Ausübung seiner Gewalt nöthige Freiheit genießt. Daraus ergiebt si, daß wir selbst niht mehr frei sind in unserem Gewissen, daß wir mithin unseren ganzen Einfluß aufbieten müssen, um die Aenderung einer so widernatürlichen Sach- lage herbeizuführen, und zu bewirken, daß dém Beherrscher unferer Seelen die Unabhängigkeit zurückgegeben werde, deren er durchaus bedarf, um uns zu leiten: Vor Allem ist es nöthig, daß diese An- schauungen den Bevölkerungen beigebraht werden, deren Interessen uns anvertraut sind; dann müssen wir ‘uns ferner darüber verstän- digen, wie in den verschiedenen Vertretungen des Landes ähnlichen Veberzeugungen Eingang verschafft werden kann. Ich habe daher die Chre, Ihnen beifolgend mit der Allokution des hei- ligen Vaters und meinem Kommentar zu derselben die Abschrift des Briefes zu übersenden, in welhem ih versucht habe, die hohe Für- sorge des Herrn Marschalls auf einen so wichtigen Gegenstand zu lenken. Genehmigen Sie u. \. w.

+ Thomas Casimir, Bischof von Nevers.

Türkei. Ueber die Orientalischen Angelegenhei- liegen folgende Nachrichten vor:

Wien, 2. April. (W. T. B.) Die „Politische Korrespon- denz“ meldet telegraphish aus St. Petersburg von heute, das angekündigte Cirkularshreiben des Fürsten Gort- \chakoff sei bisher nit abgesendet worden, weil die Kund- gebung der Entschließungen der russischen Regierung bis zum 99. -d. Mts. verschoben worden sei. Die Rückkehr des Kaisers Alexan der von Kischeneff nah St. Petersburg werde am 30. d. erfolgen.

London, W. April. (W. T. B.) Eine Depesche der „Times“ aus Konstantinopel von heute will wissen, die Pforte rechne auf die Neutralität Desterreichs Und auf die Mediation Frankreichs. Die Türkei sei dur die Aussicht eines unmittelbar bevorstehenden Krieges mit Be- fürhtungen erfüllt und würde Vorschlägen, die auf eine fried- lihe Regelung abzielten, gern Gehör schenken, wenn es nicht zu spät wäre.

as T. B.) Jm Unterhause erwiderte der Unter- Staatssekretär Bourke Gourley, es fei unmöglich, darüber Aufklärung zu geben, in welcher Lage si die in den Dar- danellen, im Bosporus, im Schwarzen Meere und

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in dem Suezkanal verweilenden neutralen Schiffe be- finden würden, falls es zwishen Rußland und der Türkei zum Kriege komme. Die englishe Regierung werde hin- reichende Maßregeln ergreifen, um die Jnteresjen Englands zu schüßen. Er könne übrigens nicht sagen, welhes Recht die Pforte haben sollte, russishe Schiffe zu verhindern, den Suez- fanal zu passiren. Er glaube annehmen zu dürfen, daß die Schiffe, wenn sie einmal eingefahren find, nicht verhindert werden würden, den Kanal zu passiren.

21. April. (W. T. B.) Ueber den Jnhalt des russishen Manifestes liegen dem „Reutershen Bureau“ aus Bukarest Privatmeldungen vor, deren weitere Beglaubi- gung abzuwarten Fcin wird. Danach foll das Manifest geltend machen, daß, nachdem die Anstrengungen des Kaiser Alexander zur Erhaltung des Friedens in Folge der Hartnäigkeit der Pforte gescheitert seien, die Lage der Christen in der Türkei si verschlimmert habe. Leben und Eigenthum der Christen sei in Gefahr. Der Kaiser sei im Namen der Humanität und im Vollbewukßtsein seirter Pflichten als natürlicher Protektor der Slaven im Orient zu dem Entschlusse genöthiat , dur Waffengewalt diejenigen Garantien für seine leidenden Glau- bensgenossen auf türkishem Boden zu erlangen, die für die Sicherung ihrer künftigen Wohlfahrt unumgänglich nothwendig seien. Die militärishe Jnterventioa Rußlands verfolge keine Ziele der Eroberung, werde vielmehr nach Erreichung der er- wähnten Resultate endigen. | :

St. Petersburg, 20. April. (W. T. B.) Nachdem die Pforte Seilens verschiedener Mächte in Betreff Rumäniens dahin beschieden ist, daß die Neutralität Rumäniens durch keinen Vertrag stipulirt sei, hat die Pforte, wie die „Agence Russe“ erfährt, erklärt, daß sie, sobald die Nuffen in die Moldau eingerüdt sind, ihrerseits die strategishen Punkte an der Donau beseßen werde.

Paris, 20: April. (W- D. B.) Wie dex „Temps“ wissen will, wäre der neue Vertreter Englands in Konstanti- nopel, La yard, nit beauftragt, dort irgend einen bestimmten Vorslhlag zu machen, sondern hätte lediglich die Mission, den Gang der Dinge in Konstantinopel zu beobachten und eine sich später etwa zu einer Vermittelung bietende Gelegenheit zu benußten.

Bern, 20. April. (W. T. B.) Der Bundesrath hat der Pforte mitgetheilt, daß er bezüglih ihres Antrags, das in einem rothen Kreuz bestehende Abzeichen der Gen- fer Konvention durch den Halbmond erseßen zu dürfen, ihr selbst überlassen müsse, die Zustimmung der übrigen der Genfer Konvention beigetretenen Staaten auszuwirken. Von den betheiligten Staaten haben aht sich über den Antrag der Pforte bisher noch nit erklärt.

Die W. „Presse“ erhielt folgende Telegramme :

Konstantinopel, 19. April. Der Khedive hat in Anbetracht des bevorstehenden Krieges seine Hierherkunft, die für Anfangs Mai festgeseßt war, wieder abfagen laffen. Da- gegen soll in den nächsten Tagen schon einer feiner Schwieger- söhne mit einer Waffensendung, als Geschenk des Bize- fónigs für die türkishe Armee, hier eintreffen. Auch aus New-York treffen in einigen Tagen 30,000 Gewehre und 40 Millionen Patronen hier ein.

PRest, 19. April. Berichten aus Rustshuk zufolge lasse die türkische Regierung jeßt s{chleunigst an den Ufern der Donau in der Dobrudscha, da man dort einen Ueber- gang der Nussen über den Strom befürchtet, Befesti- guugen aufführen, an denen Tag und Nacht gearbeitet wird. Auch werden fortwährend über Varna Truppen nach der Do- brudscha geworfen, wo schon bei 19 Bataillone stehen. Jm Festungsvierecke Rustshuk-Silistria-Schumla - Barna da- gegen stehen hon bei 78 Bataillone und werden diese noch immer durch Zuzüge von Rumelien und Varna her verstärkt.

Das W. „Fremdenbl.“/ vam 19. schreibt: „Die Zahl der in die strategishe Aufstellung der Donagulinie bereits ein- gerückten türkischen Truppen wird insgemein stark über- schäßt, weil die fortwährenden Contremärsche den oberfläch- lihèn Beobachter täuschen. Die. Gesammtstärke der Dona:!- Armee macht kaum 115,000 Kombattanten aus, welchen die Aufgabe zufällt, eine Grenze von ungesähr 120 geographischen Meilen Länge wirksam zu vertheidigen. Uebrigens erhellt es aus Allem, daß, von dem völlig werthlosen asiatischen Baschi- Bozuk-Gesindel abgesehen, die Türkei unter keinen Umständen dahin gelangen wird, mehr als 150,000 Mann reguläre Trup- pen in Europa den Nussen entgegenzustellen. Ueberdies ist ihre verfügbare Artillerie jeßt nur 144 bespannte Geschüße viel zu shwach, um an einen Kampf im offenen Felde, Front gegen Front, mit einiger Hoffnung auf Erfolg denken zu Eönnen. Die Zustände in Bul- garien werden immer s{limmer. Die große Masse hat kaum mehr als das nackte Leben. Unerhörte Ver- brechen, wenn an Christen begangen, bleiben völlig ungeahn- det; ja der Kläger riskirt, als Verleumder auf unbestimmte Zeit in ein Gefängniß gesperrt zu werden, wo der Typhus permanent seine grausige Ernte hält. Neulih wurde in Nustshuk ein Knabe von drei Türken in den Weinbergen aufgefangen und halb erdrosselt in einen Graben geworfen. Der Richter entließ die sheußlihen Verbrecher ohne eingehen- des Verhör mit der sanften Ermahnung, zukünstig vorsihtiger zu sein; der Vater aber wurde hart getadelt, weil er ih unterstanden hätte, die hohen Behörden mit folhen Bagatellen zu belästigen. Die Gelderpressungen für die Nüjtungen nehmen ebenfalls in großartig tem Maßstabe ihren Fortgang. Sólimmer wird es noch werden, wenn einmal die Tjchertessen und Baschibozuks, circa 30,000 an der Zahl, zu den Waffen greifen und sich auf Unkosten der hristlihen Bevölkerung er- nähren müssen.“

Die W. „Presse“ vom 19. schreibt: „Die neuerdings aus Konstantinopel signalisirte Drohung, daß die Türkten im Kriegsfalle zur Okkupation der Walachei schreiten werden, möchten wir im Jnteresse der ottomanischen Heeres- leitung niht ernst nehmen. Wir haben bereits vor einigen Tagen auf den Mangel eines hinreichenden Brückentrains und auf die Gefahren aufmerksam gemacht, welchen türkische Ab- theilungen mit der Donau im Rücken ausgeseßt wären. Die Defensive mit der Aussicht auf die Offensive ist immer wün- \{enswerther als ein: problematische Offensive, der eine De- fensive mit entmuthigten und fliehenden Truppen folgen muß. Gegenüber den in Griechenland offiziell dekretirten Rüstungen haben neue Truppensendungen stattgefunden und befinden sich bis jeßt an der griehishen Grenze 18 BVa- taillone regulärer Jnfanterie und 6 Escadronen Kavallerie mit 22 Geschüßen. Allein noch immer is diese Macht von etwa zehntausend Mann eine unzureichende, mit welchcr im Falle einer griechischen Aggression nicht viel anzufangcn wäre. Unter solchen Verhältnissen ist es exklärlih, daß mc.n

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