1900 / 290 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 06 Dec 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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Bemerkungen. Die verkaufte Menge ivird auf volle Doppelzentner und der Ein liegender Strich (—) in den Spalten für Preise hat die Bedeutung,

Ros: Hafer.

12,60 12,70 1280 | 13,00 12,80 12 80 1320 | 1320 12,40 12,40 12,80 12,80 11,80 1180 | 12,00 | 12,00 14,00 14 20 14,60 | 14,60 12,80 13,00 13,20 13,40 12,60 12,60 12,80 | 12,80 a n 1350 | 13,50 13,00 13 00 1320 | 13,20 12,00 12,00 1240 | 120 12,45 12.70 12,95 | 13,20 12 00 12,20 1260 | 12,80 14,50 14 80 1480 | 1510 14 00 14,00 1450 | 14,50 12,10 12,10 1220 | 1220 13,60 15,00 15,10 | 16,00 12,67 13,00 E S 13,20 13,50 1350 | 14,00 12,00 12,60 12,70 13/00

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Verkaufswerth auf volle Mark abgerundet mitgetheilt. Der Durdschnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet. daß der betreffende Preis niht vorgekommen ist, ein Punkt (.) in den

bten fechs Spalten, daß entsprehender Bericht fehlt.

Deutscher Reichstag.

13. Sißung vom 5. Dezember 1900. 1 Uhr.

Zur ersten Berathung steht der von den Abgg. Dr. Lieber und Genossen (Zentr.) am 23. November ein- ae Geseßentwurf, betreffend die Freiheit der

eligionsübung.

Nach § 1 dieses Gesezentwurfs steht jedem Reichs- angehörigen innerhalb des Reichsgebiets volle Freiheit des Religionsbekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgemein- schaften, sowie der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung zu. Den bürgerlihen und ftaatsbürgerlichen Pflichten darf dur die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.

Nachdem der Präsident die erste Berathung für eröffnet erklärt hat, nimmt das Wort der

Reichskanzler Graf von Bülow:

Im Namen der verbündeten Regierungen habe ih die Ehre, nachfolgende Erklärung abzugeben :

„Obwohl sih die verbündeten Regierungen über gesetzgeberishe Anträge, die aus dem Reichstage hervorgehen, erft \chlüssig zu machen pflegen, nachdem der Reichstag seinerseits Stellung ge- nommen hat, halten sie es im vorliegenden Falle doch für noth- wendig, zu einer fo ernsten und das Gewissen des deutshen Volkes berührenden Frage sich alsbald auszusprehen. Die verbündeten Regierungen achten die Ueberzeugungen und Gefühle, welhe dem Antrage der Herren Abgg. Lieber und Genossen zu Grunde liegen. Sie sehen sih jedoch außer \tande, diesem Antrage zuzustimmen, welcher die verfassungsmäßige Selbständigkeit der Bundesstaaten auf einem Gebiete beschränken will, das fie der Zuständigkeit ibrer Landesgeseßgebung vorbehalten müssen.“

' Meine Herren, die aus älterer Zeit überkommene Gefeßgebung dieses oder jenes Bundesstaates mag Vorschriften enthalten, die mit den im größten Theil des Reichs anerkannten Grundsäßen freier Religionsübang niht überall im Einklang stehen. Wenn ih für meine Person hoffe, daß terartige landesgeseßlihe Disparitäten ver- {winden werden (Bravo!) ih bin durchaus für die Gleich- berehtigung der Neligionsgemeinshaften —, so muß ih als Reichs- kanzler mir doch* vor allem vgr Augen halten, daß meine erste Aufgabe dahin geht, den bundeéftaatlihen Charakter des Neichs und die Autonomlte der Bundesglieder, soweit die Reichsgesetgebung die- selbe gewährleistet, nit ohne willige Zustimmung der Einzelstaaten beeinträhtigen zu lassen. (Hört, hört! links, Bravo! rechts.) Darin wurzelt das Vertrauen, auf welhes die Reihsgewalt bei den Bundes- ftaaten ¡ählen muß. Dieses Vertrauen ungemindert und ungeschmälert zu erhalten, is meine vornehmfte Pfliht (Bravo! rets), und ih bin überzeugt, daß das hohe Haus mir in diefer Auffassung? beistimmen wird. (Bravo! rets.)

Akg. Dr. Lieber: Meine politishen Freunde erkennen an, daß der Reichskanzler bestrebt sein muß, das Vertrauen der verbündeten Regterungen zur Reich3gewalt dadurch zu erhalten, daß er füc seine

erson alles vermeidet, was als cin Eingriff in die Nechte der

undesftaaten gedeutet werden kann. Dann aber find meine politishen Freunde mit dem anderen Theile ber Erklärung des Reichs- kanzlers, wonach für alle anerkannten Religionsgemeinshaften volle Gleihberechtigung im Reiche herrshen muß, einverstanden. In der Erklärung des hohen Bundesraths selbs erblicke ih für meine Person einen wesentliwen Fortschritt. Wir haben heute fogar die erfreuliche Thatsache erlebt, daß der Bundesrath nit einmal die Begründung des Antrages abgewartet, sondern seine Stellung sofort präzisiert hat.

‘An sich hat uns der Bundesrath nichts Neues gesagt, wir sind aber

dur die Mißzhtung unserer Wünsche so wenig verwöhnt, daß wir schon dankbar dafür find, wenn wznigstens etwas gesagt wird. Wenn der hohe Bundesrath anerkennt, daß die religiösen Be\chwerden, die wir in den einzelnen Bundesstaaten zu erheben haben, berehtigt sind, so erachten wir das s{hon als einen ge pen DoriiGeit, Diese einzelnen Beschwerden wird mein Fraktionsgenofse Gröber noh vortragen. Jch hoffe, daß nach der Erklärung des Bundesraths das Haas Gelegenheit nehmen wird, die einzelnen religiösen Beschwerden in einer besonderen Kommission von 28 Mitgliedern, die ih beantrage, gründlih zu prüfen. Zu meinem Theil habe fch den lebtaften Wunsch, daß die Erörterung, welhe unser Antrag hervorrufen wird, hier und in der Kommission sowie iw Schoß der verbündeten Re- gierungen ohne alle persönlide und konfessioaelle Schärfe geführt wird. Ih stehe nit an, zu erklären, vaß wir niht bi:stimmte Personen, namentlich au nit bestimmte Regenten der etnzelnen Bundesstaaten im Auge haben, sondera die von Alters her liberkommenen Geseygebungen und De. Diese machen wir iür das verantwortlich, was wir durch unsern

ntrag auszuräumen wünschen. Nichts liegt uns ferner, als dafür bestimmte Herrsher oder bestimmte Minifter verantwortlich zu

machen. Wenn wir Klagen erheben, so erhebea wir sie nit gegen Perfonen, sondern gegen Zustände, gegen die Geseßgebungen und die Berwaltungsgrundsäße, die wir als völlig veraltet bezeichnen müfsen. Wir haben in erster Linie in den leßten Jahren derartige religiôse Beschwerden besonders zu erheben gehabt in Mecklenburg, Braun- shrwoeig und Sachsen. In den leßten Jahren haben fich die Klagen aus diesen Ländern über die Behandlung des katholishen Bevölkerungs- theils sehr stark gehäuft. Wenn ein Geistlicher für die Freiheit, an vier vers{iedenen Orten eine Messe zu lesen, erst für jede Messe die hohe politjeilihe Eclaubniß einholen muß, so is das eine Er- scheinung, an die wir in Preußen längst niht mehr gewöhnt find. In das Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schuß- gebiete, hat ein § 10a Aufnahme gefunden, weler den im Deutschen Reich anerkannten MReligionsgemeinshaften Gewissensfreiheit und freie Ausübung ibrer Kulte gewährleistet. Wir haben geglaubt, au der hohe Bundesrath würde ein Gefühl für das Beschämende des Zustandes haben, daß in den Schußgebieten des Deutschen Reichs erlaubt ift, fraft eines Rethsgesezes, ohne daß ein Wort des Bundesraths bei der Verhandlung darüber im Reichstage dagegen gesagt worden wäre, was in den einzelnen Staaten des Deutschen Reichs verboten ist. Daher {eint es uns cine gebotene Konsequenz dieses § 10a des jüngsten Geseßes für die Schugtgebiete, eine un- ausroeihlihe Konsequenz, daß die Reichs-Geseßgebung nunmehr auch im eigenen Lande ben Grundsaß zur Geltung führt, den sie für die Schußgebiete angenommen hat. Und so wäre auch ohne die Einzel- beschwerden, die die Sache füc uns brennend gemacht haben, die Nothwendigkeit gegeben, schleunigst einzugreifen. Nun kommt man mit der Einrede der Nichtzuständigkeit des Reichs. Wir fordern die Religionsfreiheit der Reichoangehörigen und ‘der Religionsgemein- schaften. Zunäcbst sind vor der Reii{sGesctzzebung die Religions- gesellschaften Vereine, wie alle anderen Vereine. Der Einwand der Nichtzuftändigkeit kann also angesihts des Artikels 4 der Reichsverfassung nicht erhoben werden; man braucht sih ja nur unserer Erörterung aus Anlaß der Frage der Aufhebung des Ver- bindungsverbots für Bereine zu erinnern. Wir wollen nicht etwa eine positive Reichs - Kirchenhoheit, wir verabsheuen die Staats- bobeit, das jus circa sacra, wir wollen also nit etwa auch noch dazu die Nethshoheit dem teutschen Volk als Weibhnachtsgeschenk be- sheeren. Die Reichéverfafsung \priht zwar ferner von der Religions- freiheit der einzelnen Reichsangehörigen nicht, aber sie nennt sie au nit unter ten Ausnahmen. Also au dafür ist der Beweis nicht zu erbringen, daß die Religionsfreibheit der Reich8angehörigen niht zur Kompetenz ver Reichageseßgebung gehört Aber muß man sich nicht überhaupt über das kurze Gedächtniß Derer wundern, die dies argumentieren? Schon i. I. 1869 gab der Nord: deutsche Reichstag ein Gesey, welhes die Ausübung staatébürger- licher Rehte für unabhäng‘g vom religiösen Bekenntniß erklärte, auch für Mecklenburg, Bayern und Sachsen; und kaum war das Deutsche Reich geshmiedet, als man diefes Geseh auf das Deutsche Reich autsdehnte. Was thun wir also anderes, als dièéses deutsche Reichsgeseß seinem Inhalte nah véllig zur Wahrheit machen? Und legte nit der Bundesrath i. F. 1872 diesem Reichôtage ein Jesuitengesey vor? Kein Mensch bat damals an der Zuftändigkeit der Neichsgeset- gebung gezweifelt. Wer so in die religiöse Freiheit in den Einzel- staaten eingegriffen hat, darf heute nit von Unzuständigkeit reden ; diese Klinke der Gesehgebung darf uicht berührt werden. Und beute ist es offenes Zugeftändniß, daß dieses Jesuitengesey lediglih eine Gefäligkeit gezen Preußen war, um die dortige Kulturkampfge}etßzgebung wirksamer zu mahen Wer sih beute auf die Unzuständigk-it des Reichs für die Annahme und Ausführung unseres Antrags besinnt, kommt etwas zu spät. Nichts ist in der Reichsverfassung ausführlicher geordnet als der Abschnitt über das Militärwesen. Fürsorge ist getroffen für alle möglichen uünd beinahe unmöglichen Eventualitäten; wir haben allgemeine Wehrpflicht, ein einheitlihes deutshes Heer. Da sehen wir auf einmal neben der einbeitlißen Landmalht etne auf der Freiwilligkeit aufgebaute ostafiatishe Armee, gänzlih verschieden von allem, was die Neichsverfafsung anordnet; wir seben sie entsteben, ohne daß auch nur das nöthige Drittel des Bundesraths sich aufthut und die Versammlung des Bundesraths fordert, um über diese absolute Neuerung sich zu unterhalten und die Zuständigkeit des Reichs dafür zu prüfen; unserem Antrage gegenüber sehen wir aber plôöglih den Bundesrath auf dem hohen Rosse der Unzuständigkeit des Reichs. Sehr häufiz habe ih gegenüber den Einzelstaaten die Nicht- zuständigkeit der MReichsgeseßzebung vertreten, als Fôderalift, wie unsere ganze Partei, in der redlichen Ueberzeugung von der Nichtzuständigkeit des Reichs in den betreffenden Fragen. Nichts liegt vns ferner, als die Rechte der Einzelstaaten \ch{mälern zu wollen ; aber wir meinen, daß man zu unserem Schaden oft mit einem leichten salto mortalo über Kompetenzbedenken hinweggegangen ift, und daß man taher, wenn es si um die religiöje Freiheit handelt, sih nit allein auf die Kompetenzfrage versteifen sollte, Man hat gesagt, unser Antrag verfolge nur katholische Interessen. Er verlangt nur die staatóbürgerlice Gieihberechtigung der Bekenntnisse, wie fie durch Jahrhunderte lange Kämpfe erreiht worden ist. Nicht der dogmatishen Toleranz 1eden wir in unserem Antrage das Woizt, wohl aber Tônnen wir uns zufammenfinden auf dem Boden der staats- bürgerlichen Toleranz.

Abg, Dr. Graf zu Stolberg-Wernigerode (d. kons.): Gleich dem Reichskanzler widerstreben auch wir ciner Machterweiterung des Reiches und Schmälerung der Hoheitörehte der Einzelstaaten.

Das ift unser prinzipieller Standpunkt. Dabei bleibt es freilid zweifelhaft, ob unsere prinzipiellen Bedenken gegenüber allen einzelnen Punkten des vorliegenden Antrages angemessen find. Wenn eine große Partei des Hauses, mit der wir erfreulihherweise auf manchen Gebieten zusammenarbeiten, ihren Antrag einer Kommission überwiesen zu sehen wünscht, so können wir dem nicht entgegentreten. Wir vinkulieren uns dabei in keiner Weise und behalten uns alles Weitere vor. Aufgabe der Kommission wird es sein, zu ermitteln, welce Punkte aus dem Antrage herausgeschält werden können, die der Reichsverfassung nicht zuwiderlaufen. In diesem Sinne stimmen wir für die Ueberweisung des Antrages an eine Kommission.

Abg. von Vollmar (So1.): Wir Sozialdemokraten sind so ziemlich die einzige Partei gewesen, die den Kulturkawpf nicht mit- gemacht hat. Wir haben allerdings wenig Dank vom Zentrum dafür erhalten, haben ihn freiliÞ als Realpolitiker auch ntcht erroartet. Wir wissen au, daß Gewohnheitssünden außerordentlih {wer ab- zulegen sind, daß die Nußbarmachhung religiöser Motive zu Partei- zwcck.n so sehr die Wesenheit des Zentrums bildet, daß es thm um so s{chwierigecr werden muß, davon los zu kommen. Unter den Einwendungen gegen den Antrag ift eine ganze Reibe ohne weiteres hinfällig, so z. B. der, daß der Antrag lediglich agitatorish sei und keinen praktishen Zweck habe. Iede Partei, welche nit jede Wurzel im Volksleben verloren hat, muß ih an das Volk wenden. Ein anderer Einwurf war der, der Antrag könne nit ernst gemeint sein, weil die verbündeten Regierungen nimmermehr darauf eingehen würden. Wenn wir uns nur auf Anträge beschränken wollten; welche den verbündeten Regterungen gefällig sind, wäre der Parla- mentariêmus eine Farce, an der ein ernfter Men'ch ih nit betheiligen sollte. Darum kann auch die Erklärung des Reichskanzlers keinen Gindruck auf uns machen; er hat nur erklärt, daß den Herren die Ein- bringung unbequem ist. Dem Zentrum aber kann ih den Vorwurf niht ersparen, daß es einer Anzahl unserer Anträge denselben Einwand entgegengeseßt hat. Einige andere Einwände sind ernfter zu nehmen. Der Antrag und sein Bruder, der den Staatsgerihtshof will, der sogar Erbfolge und Regentschaftsstreitigkeiten vor sein Forum ziehen foll, find Schritte zum Einheits\taat und passen fehr \{lecht zum föôderativen Prinzip, welches die Partei hier stets ver- treten hat. Die Art, wie Herr Lieber diese Einwände abthat, war zu allgemein; mit solcher Beweisführung kann man alles beweisen Das Reich foll zuständig sein für die Freibeit, aber niht für die Sklaverei, meint Herr Lieber, und er weist au das Geseß von 1869 bin. Dieses Geseß if zwar angenommen worden, aber gegen den Widerspruch des Abg. Windthorst. Und wie hat si das Zentrum zu den Anträgen gestellt, welche verfassungs- mäßige Zustände in Mecklenburg betreffen? Es hat sich ablehnend verhalten wegen der Kompetenzbedenken bezügli) der Selbständigkeit der Einzelstaaten. Nun kommt dasselbe Zentrum frank und frei mit diesem Antrage, der auh von den bayerischen Mitgliedern desfelben unterzeichnet ift, mit welhen ih darüber an anderer Stelle zu reden haben werde Man hat dem Antrage ferner in der Prefse vorgeworfen, der Antrag sei nit ehrlich gemeint, er sei ein Ausfluß fkirchenpolitisWer Heuwelei. Die Zusammenstellung der Worte „Toleranz®* und Zentrum hat allerdings für den ersten Augenblick etwas Verblüffendes. Aber der daraus konftruierte Vorwurf hat doch keine Beweiskraft. Die hinter uns ltegenden hiftorishen Thatsachen kommen in tiesem Punkte nit in Betracht: aber es muß doch festgestellt werden, daß es eine bürgerliche und sittliche Freiheit gegenüber der Wahrheitsnorm dex katholi]hen Kirche nicht giebt, die dogmatisce Toleranz if al'o für die katholische Kirche unsittlih, wie ih, um siher zu gehen, nah dem Kardinal Herger- rocther ziti-ce. Der Antrag fordert, wie die katholische Kirche, die politisde Toleranz für si, niht aber, um sie au ihrerseits zu üben. Nun jind aber die Verhältnisse stärker gewesen als die mens(- lihea Saßungen. Ganze Völker sind von der katholishen Kirche ab- gefallen, und ledigli diese veränderten Verhältnisse haben die fathc- lishe Kirche zur Toleranz gezwungen; sie duldet das Uebel, weil sie es nit ändern kann. Auch die katholishen Parteien haben si dem anbequemen müssen. Sie focdern für die Minderheit eine Tolerari, die Sie, wenn Sie in der Mehrheit sind, nicht gewähren. (Zuruf im Zentrum: Bayern!) Bayern ift do kein katho ischer, sondern ein paritätisher Staat. Gin Münchener katholisches Blatt hat den Antrag befämpst. (Zuruf im Zentrum: Sigl!) Es wird darin gefragt, ob dic Juristen und Theologen des Zentrums ihre Studienzeit verschlafen oder jonst verbummelt haben. Im übrigen gebe die Sache das Reith gar nichts an, Das Zentrum fei ein sehr zweifelhafter Hort der MReligtonsöfretheit; es verfolge bei dem Antrage nur seine eigenen Partetinteressen. Wir Sozialdemokraten nehmen den Antrag des gs als ernst gemeint und behandeln ihn sachlich. Wir 13d Vertreter der Gewissens- und Glaubensfreibeit. Der Staat hat sich in ‘die Religionsübungen und den Kult der einzelnen Religtonsg-meinschaften nicht einzumishen. Wir wünschen die Trennung der Kirche vom Staat. Das Zentrum freilih bemüht fih, uafern Grundsaß: „Religion ist Privatsace", als nicht ernst gemeint hinzustellen, Wenn einzelne von uns von diesem Grundsaß abweichen, so ist das Jhre Schuld (zum Zentrum), die Sie Religion und Politik mitetnonder verquicken. Das Zentrum verguickt sogar dic Sozialpolitik mit der Religion; wir haben doch neuerdinas erlebt, daß von hoher firchlider Seite und. 2uch von einem Theil der Zentrumépresse konfessionellen, kaiholishen Gewerkyereinen das Wort geredet wird, Œs9 giebt freisinnige Leute in und außer dem Haut,

nichts mehr fürchten als die Invasion von Mönchen, Nonnen, E ein und Jesuiten. Jh weise nur En den Abg. Rickert hin. Aber die Freiheit der Religionsbethätigung soll nit nur katholishen Orden, sondern Allen gewährt werden. Wenn Sie (zum Zentrum) konsequent sein wollen, jo müssen Sie völlige Trennung der Kirhe vom Staate wollen, wie sie in Nord-Amerika be- steht. Die Religionsfreiheit darf nicht von der Gnade der Etinzel- staaten abhängig aemaht werden. Religionsfreiheit bedingt, daß die Religionsgesellshaften von den Staatsorganen völlig unabhängig sind. Auch wir find für Kommissionsberathung und werden in der Kom- mission beantragen, daß nit allein die anerkannten, sondern sämmt- lihe Religionsgesellshaften völlige Freiheit haben müssen. In diesem Sinne stimmen wir für den Antrag.

Abg. Bassermann (nl.): Der sogenannte „Toleranzantrag*“ des entrums hat in breiten Kreisen bedeutende Grregung hervorgerufen. E isstt von weittragender Bedeutung, niht nur in der Richtung der Toleranz, sondern auch in der Aus\schaltung der Einzelstaaten. Wir werden den Antrag lediglich nah seinem sachlichen Inhalt be- urtheilen. Bei der Kritik des Antrages sind Uebertreibungen unter- gelaufen, Man hat von einer Rekatholisierung Deutschlands ge- sprohen. Das heißt doch die Kraft des evangelishen Glaubens in erheblichem Maße unterschäßen. Man hat von einem neuen Kultur- fampf gesproden. Bet den sozialen Kämpfen unserer Zeit wird niemand das Bedürfniß haben, neue religiöse Kämpfe zu entfesseln. Auh wir wollen den Frieden zwishen Staat und Kirche und zwischen den einzelnen Konfessionen, Db aber dieser Antrag in allen seinen Theilen dazu dient, den Frieden zu fördern, das is eine andere Frage. Das Zentrum proklamiert in dem ersten Abschnitt seines Antrages das Prinziy der Toleranz und der religiösen Freiheit. Das find schône Grundsäße, denen wir unsererseits immer volle Anerkennung gezollt haben. Wir hoffen, daß daraus auh die Konsequenz gezogen und in allen den Staaten , in denen die Katholiken die große Mojorität bilden, der Minder- heit der anderen Konfessionen dieselbe Freiheit gewährt wird. Frühere Emanationen der fkatholishen Kirhe nahmen einen anderen Stand- punkt ein. Jch erinnere nur an den Syllabus. Diese Grundsätze der offiziellen katholishen Kirche sind in diesem Antrage verlafsen worden. Was nun dîe verfafsungsrehtlihe Seite der Frage, die Kompetenz des Reichs, betrifft, so is meines Erachtens in der Reichsverfassung eine Handhabe nicht zu finden, durch die die Megelung dieser Angelegenheit herbeigeführt werden könnte. Die Meichs- vefafsung enthält weder Bestimmungen über die Religions- frelheit dec Gemeinden, noch der verschiedenen Konfessionen. Wir glauben daher, daß es sih hier um eine Er- weiterung der Reichsverfassung handelt, und zugleich um ejne Aus- shaltung der Landeshoheit. Wir haben gegen eine reich8zese lie Festlegung der Religionsfreiheit, gegen eine Aufnahme soler ein- zelnen Bestimmungen in die Reichsverfassung nihts zu erinnern. Das entspricht unserer ganzen-Haltung, die wir in den Jahrzehnten seit Gründung des Reichs eingenommen haben. Wir haben von jeher die Reichsgewalt stärken wollen, und wir werden gewiß au auf dem Gebiete der Toleranz nicht davor zurücks{recken. Wir haben gehört, daß der Reichskanzler und der Bundesrath es ab- gelehnt haben, eine Einschränkung der Rechte der Ginzelstaaten auf diesem kirhenpolitishen Gebiete eintreten zu lassen. Wir haben aber auch gehört, daß der Reichskanzler die Geseßgebungen, die in einzelnen Staaten bestehen, als völlig veraltet be¡eihnet hat, und das ift zweifellos der Ausgang?punkt. der ganzen Aktion der Zerntrumspartei. Wenn derartige veraltete Ginrihlungen bestehen, die Gewifsensfreiheit und Religionsfreiheit in einzelnen Staaten bedrüden und etnengen, so müfsen wir das überall mißbilligen und wünschen, daß die einzelstaat- lichen Geseßgebungen möglichs bald Hand ‘anlegen, um derartige ver- altete Zustände aus der Welt zu shaffea. Wir billigen die Toleranz, wo wir sie finden, in jedem einzelnen Staate, aber wir haben diefe unsere Tendenz avch ftets zur Geltung gebraht. Der Abg. Büsing hat {on 1871, 1872 und in den folgenden Jahren entsprebende An- träge geftellt, die darauf abzielten, die mecklenburgische Vaeifafsung auf eine moderne Grundlage zu stellen. Wenn man an die Regelung der Religionsfreiheit berantritt, dann muß man sie darin stimme ih dem Abg. von Vollmar bei niht nur auf die Angebörigen bestimmter MReligionsgemeinschaften beshränken, sondern sie auch fordern für die Dissidenten, Altkatholiken und die anderen Meligions- gemeinschaften, wie fie auch heißen mögen. _Was die formale Seite der Frage anbetrifft, ob es mögli ift, mit einem der- artigen Gesegentwurf eine Aenderung der Reichsverfafsung zu ver- anlafsen, oder ob dazu andere Weçce nöthig sind, ob es nit ins- besondere erforderli ift, eine Verfafsungsänderung herbeizuführen, fo ift diese Frage bereits seit der Gründung des Deutschen Reiches ausß- führlih erörtert worden. Dazu gehört namentlih die Frage der Reths-Kompetenz. Windthorst stand seiner Zeit auf dem Stand- punkt, daß aus eigener Kompetenz heraus das Reich überhaupt niht berechtiat sei, feine Kompetenz zu erweitern, und daß dazu die Einftimmigkcit der Bundesstaaten nothwendig sei, Wir sind diesem Standpunkt jeweilig entgegengetreten, wir mejnen, daß das Reich allerdings aus eigenem Rechte heraus feine Kompe- tenz erweitern kann. Œs fragt fich nur: kann auf diesem Wege ein- facher Reich?gesezgebung eine Abänderung erfolgen unter der Voraus- seßung, daß sie im Bundesrath die verfassungsmäßig nöthige Majorität findet, oder muß sie in die Reichsverfassung aufgenommen werden? Ich möchte mi der letzteren Auffassung anschließen. Zweifellos wird eine Verfafsung8änderung durch diesen Antrag bedingt. Auf die Einzel- heiten des Abshuitts I will ih niht näher eingehen. Wenn im 82 dem Kinde nach beendetem zwölften Lebentjahre die Entscheidung über jein religiöses Bekenntniß eingeräumt wird, jo ist dieser Vorschlag für uns absolut unannehmbar. Er muß bei gemischten Ghen zu unerwünschten Konfl'kten führen. Das Landesreht wird durch den Antrag in echeblihem Umfange beschränkt. Wir tehen auf dem Standpunkte: die katholishe und die evangelische Kirche sind öffentliche Korporationen mit ftaatlihen Privilegien. Die Regelung ihrer Angelegenheiten fann deshalb nicht der Vereinsgesezgebung überlassen werden. Die Staatsaufsiht if in Bayern durch Konkordat geregelt, und in anderen Staaten herrshen befriedigende Zustände in- folge ftaatliher, autonomer Geseßzebung. Wir hatten also an dem Prinzip fest, daß man die großen geltenden Religions- gemeinschaften niht herabdrücken soll ia die Stellung von Privat- vereinen. Diese Gemeinschaften sind auch mit so _reihlichen Geldmitteln vom Staat auégestattet, daß ein vollfländiges Jgnorieren und Ausschalten des Staates unmöglich ift. Wir müfjen deshalb an der Staatsaufsicht festhalten. Dem Antrag des Abg. Lieber auf Kommi sionsberathung shließen wir uns an. Auch wir wünschen, daß die Punkte des Antrazes in der Kommission eingehend geprüft werden, damit eisihtlich wird, ob auf d-m Wege der einzelstaailihen Geseßgebung Mißstände zu beseitigen sind. Dabei werden wir aber auer für die volle Wabrung der Rechte des Staates einzutreten

aben. e

Abg. Richter (fr. Volkép.): Es if als ein Fortschritt zu be- ¡cidnen, daß seitens des Bundesraths vor Eintritt in die Debatte Erklärungen abgegeben werden. Damit ist die bisherige Praxis durch- brohen worden. Im leyten Abschnitt der Regierung des Fürsten BVismarck war die Praxis für den Bundedrath aufgekommen, sich an der Debatte nicht zu betheiligen, bis ein Beschluß des Hauses vorlag. Das Verhältniß zwishen Bundesrath und Reichstag wird jedenfalls in der jeßigen Praxis erleihtert. Ih hoffe, daß dec Bundesrath noch weiter geben und sich nun auh an der Debatte betheiligen wird. Freilich kann man ah in der jeßigen Praxis zu weit gehen, indem zum Beisyiel der Herr Reichs- anjler {hon bestimmte Stellung genommen hat, che der Antrag selbst begründet worden war. A1s es heute zu Beginn der Stßung hieß, der Reichskanzler werde eine Erklärung abgeben, hatte man niht erwartet, daß si diese Erklärung auf diesen Antrag beziehen würde, Man glaubte vielmehr, der Herr Reichskanzler würde ih über die Haltung der Regierung bei der Abweisung des Präsidenten Krüger aussprehen. Die einbeitlihe Regelung der Relitgionsfreiheit ür das ganze Reich ist mit dem föderativen Pi inzip wohl vereinbar. Die Fortschrittspartei hat diesen Standpunkt schon im Nord-

deutshen Reichstage im Jahre 1867 zusammen mit der bundes- ftaatlih-konstitutionellen Fraktion vertreten, und wir sind olz darauf, daß damals in die Reichsverfassung durh den Abg. Ars Wichers Métcklenburg) ein Theil des Artikels 12 der preußischen erfafsung erübergenommen worden ist. Damals hat der Abg. Wind1horst da- gegen estimmt. Der jep'ge § 1 des Antrags deckt sich sahlich mit dem rtikel 12 der preußischen Verfafsung ; er wikl die individuelle Religions- freiheit aller Reichsangehörigen \chügen. Uns geht der Antrag des Zentrums niht weit genug, weil er ih nur auf die anerkannten Religionsgemeinschaften bezieht. Wir verlangen Freiheit für alle Religtonsgemeiyschasten, für die Dissidenten sowohl wie für die Altlutheraner. Nicht nuc in Braunschweig, Sachsen und Mecklenburg werden Kinder zum Unterricht in einer Religion gezwungen, welche die Eltern verabsheuen; es geschteht dies auch in Preußen gegenüber den Déssidentenkindern, bei welchen fich die Behörden herausnehmen, einen Normalbegriff von Religion zu statuieren, unter den die Dissidentenkinder einfa fallen sollen. Wir wollen nit nur freien Austritt aus den anerkannten Kirchen, sondern auch Freiheit der Anschließung an alle Religtonsgesellshaften. Gleich- beit und Freiheit für alle, nicht allein für die anerkannten Gemein- schaften; keine Konzession der Obrigkeit ; volle Vereinsfreiheit. Wir verlangen, daß die juristishe Persönlichkeit für alle Religionsgesellschaften erworben werden fann.

Abg. Fürst Radziwill (Pole): Wir betrachten den Antrag im allgemeinen als ein viel verheißendes legitlatorishes Borgehen und begrüßen ihn als solches. Auch wir sind für ein gemeinsames, religiöses NRechtsbewußtsein für. das ganze Reih. Gerade die polnishe Be- vôlkerung, welhe in nationaler und religiöser Beziehung viel unter dem Druck der Behörden zu leiden hat, weiß am besten religiöse Freiheit zu s{häßen. Redner gebt einer Rethe Beschwerden der Polen wegen des Reltgionsunterrihts in der Muttersprahe Ausdruck und verliest einen Artikel der „Posener Zeitung®, nah welchem die anti- polnishe Agitation von der Regierung unterstüßt werde. Er fordert entshieden Religionsfreiheit auch für die Polen und volle Freiheit des Religionsunterrihts in polnisher Sprache.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der verehrte Herr Vorredner hat in feinen Ausführungen Bezug genommen auf einen Artikel der „Posener Zeitung“. Jh möchte ihn dringend bitten, die Königlich preußische Staatsregierung nit verantwortlih zu machen für diesen Artikel. Ich glaube, es liegt der Königlich preußishen Staatsregierung der Ge- danke vollkommen fern, irgendwie die legitime Verbindung zu unter- bredhen oder zu behindern, die zwischen der katholishen Kirche einer- seits und ihrem geistliheza Oberhaupt andererseits besteht. Für Ge- danken, wie sie der H2rr Vorredner aus jenem Artikel folgert, kann deshalb die Königliche Staatsregierung unmöglih verantwortlih ge- macht werden.

Der Herr Vorredner if ferner auf eine Reihe Gravamina zu sprehen gekommen in Bezug auf die Handhabung der Schul- und Kirchengestzebung in der Provinz Posen. Jh bin felbftverständlih niht in der Lage, ,da ih zwar preußisher Staat3-Minister, aber nicht der Refsort-Minister bin, auf diese einzelnen Beshwerden, die ih gegen die preußishe Kirhen- und Schulverwaltung richten, hiec im Reichstage zu antworten. Jh muß das meinem Herrn Kollegen im Kultus-Ministerium vor dem preußischen Abgeordnetenhause über- lassen; aber, wenn der Herr Abgeordnete gesagt hat, die preußische Staatsregierung ließe sich treiben von den Wogen der Agitation (fehr rihtig!), so bin ih genöthigt, dem bestimmt zu widersprechen. Die preußishe Staatsregierung hat indeß die Verpflichtung, in einer Provinz, in der fo außerordentli s{chwierige politishe und religiöse Verhältnisse vorliegen, vor allen Dingen darauf zu-fehen, daß Ruhe und Frieden in dieser Provinz herrshen und daß dieselbe dauernd in der Lage bleibt, die «Aufgaben, die sie der Gesammtheit des preußishen Staats gegenüber hat, auch zu erfüllen. (Zuruf von feiten der Polen.)

Abg. Rickert (fr. Vag.): Es würde uns außerordentlich leiht werden, aus der polnischen Presse eine ganze Reihe von Ausfprüchen zu zitieren, welhe viel gravierender find als die von dem Fürsten Radziwill vorgebrachten. Diese Dinge gehören aber ins Abgeordncten- haus, wo wir uns weiter darüber unterhalten werden. Die gegen- wärtige Debatte wollen wir damit nicht belasten. U-ber die Frage der Zuständigkeit ernsthaft zu fireiten, lohnt wirklih niht. Auf die Einzelheiten i Herr Lieber nicht eingegangen, und das war vielleicht im Interesse des Friedens klug genug von ihm. Mit dem §1 des Gesetzentwurfs sind wir einverstanden, anders ftehen wir aber zu dem zweiten Theil, der die Freiheit der Religionsgesellshaften betrifft. Die Beseitigung der Religionsbeshwerden, die in ver- schiedenen Einzelstaaten erhoben worden sind, wünschen wir auch und hoffen, daß die Erörterungen in der Kommission den Weg dazu ebnen werden. Aber weshalb sollen nur die anerkannten Religionsgefell- \chasten der Freiheit theilbaftig werden, die die Antragsteller ver- langen? Wir haben indessen die Hoffnung, daß? troy dieser Be- \{chränkung aus der Kommissionsberathung etwas Brauchbares ent- f 1 wird.

"Tus Dr. Stockmann (Rp.): Dem Grundgedanken des Antrages

steht wohl jeder sympathisch gegenüber, der sich die humanistische

Bildung unserer Zeit zu eigen P ee Bedenken haben wir

dennoch {hon mit Rücksicht auf die Frage der Erweiterung der

Neichskompetenz, und dann mit Rücksicht auf den Widerspruch, in dem

der Antrag zu dem Verhalten katholisch-ultramontaner Mehrbeiten in

gerissen Staaten fteht. Zu dem leßteren Punkte hat der Abg. von

Bollmar {hon das Nöthige bemerkt. Wenn das Zentrum auch in letzter

Zeit eine nationale Haltung bewiesen hat, so hat es doch ftets bet

der Konkurrenz nationaler und religiöser Interessen die leßteren voran-

gestellt. Das haben wir erst jüngst noch bet der Nachwahl im dritten

Posenshen Wahlkreis gesehen. Die Ee des Reichs besteht

für den Antrag des Zentrums bisher nit. as Zentrum hat {on

im Jahre 1871 bei Berathung der Reichsverfassung einen Antrag

eingebraht, der in nucs daéselbe enthielt, was der jeßige Antrag

bringt; jener Antrag ist aber vom ganzen Hause abgelehnt worden, weil man die Grundrewhte nicht in die Verfaffung aufnehmen wollte, da dadurh die Rechte der Einzelstaaten zw sehr beshnitten würden. Das Gefeß von 1869 hat per Reichêtag als ein {on vorhandenes in den Kauf aenommen/ aber j-de Erweiterung aus- {ließen wollen. Au der Separatvertrag mit Bayern {ließt in seinem Artikel 2 eine Erweiterung det Reichékompetenz aus. Der An- trag greift that\äblich außerordent[(ch tief in die Staatshoheit der evangelisch-lutherishen Staaten S{chlen, Braunshweig und Medcklen- burg ein; aber auch für Baytrn z. B. würde das placotum roegium damit beseitigt werden, /und in Preufen würden damit nicht nur bie aufgehobenen Artikel der Verfassung wiederhergestellt, sondern darüber hinaus noh viel weitete Rechte den Kirhengemetnschaften ge- geben werden, Mit dem Antcage würde überdies das Jesuitengeseß sammt allen die Jesuiten betreffenden einzelstaatliGen Vorschriften aufgehoben sein; darin erbljcken wir eine Gefahr für den konfessionellen

Frieden und können s{chon aus diesem Grunde dem Antrage nicht zu-

stimmen. Gegen die Kommissionsberathung haben wir nichts ein- uwenden. : /

y Abg. Dr. Pichler (Zentr.): Wir haben es s{hon als einen großen ortschritt zu betraten, daß die seitens der Katholiken in verschiedenen inzelstaaten erhobenen Religionsbeshwerden vom ganzen Hause bei

seltener Einmü!bigkeit aller Parteien als berechtigt anerkannt worden

find, und wir hoffen, daß diefe Ginmüthigkeit aud auf die betheiligten

d verbündeten Regierungen ni&t ohne Einfluß bleiben werde. Den Stbuh des refigiülen Freiheit haben die Vertreter der Katholiken

worden. Ueber die Zuftändigkeit kann n Geseß von 1869 und 1872 kein Zweifel sein. Es würde niht schaden, wenn durh diesen Antrag das placetum regium in Bayern aufgehoben würde; die Kämpfe, die darum ausgefohten werden müßten, find längst aus- gefochten worden und haben mit einer Niederlage der Regierung geendet. Wenn das Jesuitengesey dieses Schicksal theilte, wäre es ebenfalls nit shade darum, fondern nur eine erfreulihe Thatsache, da doch der Reichstag zu wiederholtea Malen mit immer E Mehrheit die Beseitigung dieses Gesetzes verlangt hat. or der Rückkehr der Jesuiten \heint Herr Stockmann große Angst zu haben ; es ift aber noch die Frage, ob dieses Gese dur den a abrogiert wird. Es if dann gesagt worden, die ultramontanen Parteien in anderen Ländern sollten sorgen, daß dort die anderen Konfessionen gleihberechtigt würden. Diesem Einwand gegenüber weise ih darauf hin, daß erst jüngst in Steiermark eine protestantishe Kirche ein- geweißt worden ift. Die Auslegung, welche der Abg. von Vollmar dem fozialdemokratishen Proarammjay „Religion ist Privatsache“ ge- geben, war eine sehr fubjektive. (Widerspru bet den Sozial- demokraten.) Lesen Sie doch Ihre offiziellen Parteitagsprotokolle. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) ch fann nur fonftatieren, daß über diesen Programmsaß innerhalb Ihrer Partei verschiedene Meinungen bestehen. Dann hat Herr von Vollmar die Ge- legenheit benußt, um auch die Gewerkschaftsfrage hereinzuzieben. Diese Frage ift vorläufig durch die Erklärung des Erzbischofs von Freiburg an die Vertreter der Mannheimer katholischen Arbeiter - vereine erledigt. Unser Antrag bezweckt keineswegs nur eine Ver- besserung der Lage der Katholiken. Nach feinem Wortlaut soll er vielmehr allen aneikannten Religion8gemeinschaften, also auch j. B. den Alt-Lutheranern, zu gute kommen. Wir hoffen au, daß der Antrag in der Kommission sowohl wie im Bundesrath eine eingehende Würdi- gung finden wird. Jh komme nun zu den Klagen, welche katholischerseits über vershiedene Bundesftaaten zu erheben find. Man kann sagen: je kleiner der Staat, um so größer die Klagen. Da ist zunächst Reuß j. L. In Gera, das etwa 2000 Katholiken aufweist, werden den Katholiken die Kirhen- und Schulbauten äußerst erschwert. Die katholischen Gemeinden dürfen niht einmal Schulgeld erheben. Die reußischen Katholiken find gezwungen, ihre Glaubensbrüder anzubetteln. Auch in Schwarzburg-Sondershausen steht es schlimm. Dort ist der katholische Gottesdienst in polnischer und czehisher Sprache für die fremden In- dustrie- und Bergarbeiter verboten worden. Ja, man hat sogar katholische Priester pelnischer und böhmischer Nationalität ausgewiesen, weil sie Gottesdienfte in diesen Sprachen abgehalten haben. Erft lockt man diese fremden Arbeiter durch Agenten an, um ihnen dann den Gottesdienst vorzuenthalten. Auch aus Braunschweig ertönen tiefe Klagen. Dort müssen die katholishen Väter zwishen Geburt und Taufe der Kinder anmelden, ob dieselben katholis getauft und erzogen werden sollen. Es herrscht hier die größte Imparität; denn gegenüber den evangelischen Vätern bestehen keinerlei Vorschriften. Den katho- lishen Geistlihen werden die Bibeltexte vorgeschrieben, die sie dem sonntäglihen Gottesdienste zu Grunde zu legen haben. Will ein fatholisher Geistliher eine Trauung und Beerdigung vor- nehmen, so darf er es nur thun, wenn er die Erlaubniß des Staats-Ministeriums hat und zugleih zu Protokoll angelobt, daß er die Vorschriften des braunshweigishen Katholiken-Aufsichtögesezes von 1867 getreulih befolgen will. Auch auf dem Sulgebiet bestehen allerlei Mißstände. Es is vorgekommen , daß katholishe Kinver gewaltsam zur Theilnahme am protestantishen Unterricht gezwungen sind. Unlängst hat eine große Katholikenversammlung in Braunschweig stattgefunden, welche die vielfahen Beschwerden in einer Eingabe dem Staats-Ministertum übermittelt hat. Damit kann ih Braunschweig verlassen. Jch komme zu Mecklenburg. Selbst die protestantischen Mitglieder dec Ständekammern von Mecklenburg haben an die Re- gierung das Ersuchen gerichtet, mit Rücksicht auf die Zunahme der Fabrikarbeiterbevölkerung den Bedürfnifsen der fathelijchen Arbeiter mehr entgegenkommen. Dem Ersuchen is niht entsprochen worden; dagegen hat das Schweriner Ministerium der geiftlichen Angelegenheiten eine Menge von Maßregelungen gegen katholische Geistliche und Ordensmitglieder verfügt. In Schwerin wurde den Grauen Schwestern der heiligen Elifabeth die Nieder- lassung versagt. In jedem Falle, wo ein katholischer Geistlicher Messe lesen will, muß er vom hohen Großberzoglihen Ministerium die Erlanbniß dazu haben. Jch kann diejenigen katholischen Geist- lichen, die den katholischen Arbeitern von der Einwanderung nah PDècckienburg_ abrathen, nur loben. Bleibt mir noch s{ließlich das Königreih Sachsen. Die säcksishen Katholiken kann man nicht aus den katholishen Kirchen ausschließen, aber es ?ommen doch bôse Ver- gewaltigungen vor, und das Vikariatsgericht, welches darüber zu ent- \heiden hat, zählt in seiner Mehrheit Protestanten. Das placetum regium besteht felbstverftändlih au in Sachsen. Aus- wärtigen fkatholishea Geistlihen if das Lesen einer Messe in Sachsen ebenfalls niht gest:ttet, wenn sie nit vorher sih mit der Polizei verständigt haben. In den Kreisen des Evangelishen Bundes hat in jüngster Zeit die Zunahme der Katholiken unter dem sächsischen Adel besondere Aufmerksamkeit erregt ; Professor Nippold hat darüber einen besonderen Vortrag gehalten. Weitere Aufregung hat dann das Auttreten des Prinzen Max und namentlich auch die bekannten Ver- gänge bei der Fronleihnaméprozession hervorgerufen. Œs wurde der Name des Kriegs»Ministers Generals von der Planit hinein- gezogen. Eine Erklärung desselben nahm das amtlihe Blatt aur auf der legten Seite unter den bezahlten Inseraten auf. Dem Grafen voa Schönburg, einem Katholiken, wurde in seiner eigenen Kapelle niht gestattet, für die katholishen Arbeiter Gottesdienst abzuhalten. Redner zählt no cine Reihe weiterer Ent- shließungen des sächsishen Ministeriums auf, welhe gegen den Grafen Schönburg gerichtet seien. Es sei z. B. verfügt worden, das Kino eines Hausbediensteten des Grafen Schönburg dürfe nit in dessen Hauskapelle getauft werden. Der Graf sei ein Schwager des öôsterreihishen Thronfolgers. Auch diesem würde nah der Ent- schließung des sächsischen Ministertums ber Hauskaplaa - die Theil- nahme am fatholishen Hausgottesdienfff verweigern müfjen, wenn die Reichsregierung nicht besondere Maßregeln für den Fall träfe, daß es dem öfterreihishen Thronfolger einfallen sollte, den Grafen Schönburg- Vorderglaucau zu besuchen. Bei den Gottes- diensten in dem gräflichhen Schloß hielten Gendarmen die Zugänge beseßt, um das Publikum zurückzuhalten. Zeitweise seien sogar die eigenen Beamten des Grafen von dem Gottesdienst gewaltsam aus- ge|chlossen worden. Das sächsishe Kultus, Ministerium habe die meisten Verfügungen der Amts- und Kreishauptmannschaft ledigli bestätigt. Dos Zentrum habe diesen Antrag gerade jeßt gestellt, weil diese Mißstände in der leßten Zeit so ftark hervorgetreten seten. Es hoffe, daß das Schicksal des Antrages cin folches sein werde, daß es die berechtigten Ansprüche der fatholishen Kirche befriedige. Ls A

Königlich sächsisher Bevollmächtigter zum Bundesrath Dr. Graf von Hohenthal und Beraen (außerordentlih {wer verständlih) bemerf! zunächst, daß die Erklärung, die der Reichskanzler im Namen der verbündeten Regierungen abgegeben habe, ihn der Nothwendigkeit Doberhebe, auf den matertellen Theil des Antrages einzugehen. Gr be- \chäftigt sih ausführlich mit der Wechselburger Angelegenheit und führt auf Grund des Aktenmaterials und der ministeriellen Ver- ordnung den Nachweis, daß das Verhalten der Regierung durhaus loyal fei und im Einklang mit der Auffassung des katho- lischen Königs stehe. Wenn das apostolishe Vikariat si darauf berufen hätte, daß früher bereits die ministerielle Genehmigung zur Abhaltung öffentlihen katholishen Gottesdienstes in der privaten Wecselburget Schloßkapelle ertheilt worden sei und -deshalb jeßt niht verweigert werden olufe, so müsse darauf hingewiesen weroen, daß nur gewissen Geistlichen für ihre Person gestattet worden sei, die Hausandaht zum sogenannten Privatgottesdienst zu erweitern, daß diese Erlaubniß aber jedes::1al mit dem Abgange der betreffen- den Geistlihen wiedec hinweggefallen sei. Stiftungsgemäß müßten die von der Mutter des Grafen von Schönburg zum dächtniß ihres Gemahls eingerihteten evangelishen Gottesdienste

{hon im Jahre 1848 verlangt. Ihre ann ma d allerdings abgelehnt

au heute noch in der Kapelle abgehalten werden, weshalb die völlige