1922 / 282 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 Dec 1922 18:00:01 GMT) scan diff

E S RhEL ca:

Vrésidium des Reihw?:schaftsrates für eine unermüdlihe Arbeit. Wir bedauern, daß der stellvertretende Präsident des Hauses heute niht in unserer Mitte weilen kann, um diesen Dank persönli cnigegenzunehmen. Das Heim, das hier geschaffen ist, ist einfah und anspruchslos, einfach und anspruchslos, so, wie es dem Ernst der Zeit und der Lage - der deutshen Wirtschaft, wie es der Situation entspricht, in der sih unser Land und unser Bolk zu dieser Zeit befinden. Fndem ich dies feststelle, möhte ih zugleich der Hossnung Ausdruck geben, daß dieses einfache und anspruchs- lose Heim der Zeuge sein möge einer Weiterentwicklung und einer Wiedergesundung der wirtshaftlicen Kräfte in unserem Lande. (Beifall) Die Gründung dieses Heims macht den Reichstirt- schastsrat hier erst fest ansässig. Dieses ist ein Ausdruck zugleich der Festigung und der Betätigung der Arbeit, die im Reichëwirt schastsrat bisher geleistet worden ist. Sie wissen, der Gedanke des Retich3wirtschaftsrates als eines besonderen wirtschaftlichen darlamentes war lange umstritten und ist auch heute noch nit dem Streit der Meinungen enthoben. Aber Sie, die Sie in der taglihen Arbeit gestanden haben, wissen es besser als irgendein anderer, wie sehr die Arbeit des Reichswirtschaftsrates

in ihrer bisherigen Form dazu angetan war, cinen Zusgleih 2wishen den wirtshaftlihen Kräften unseres Volkes zu ¡hafen und zu einer aufbauenden Arbeit zu )

Yteine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht etwa von heute zu morgen ist der Gedanke des Retichswirtschaftszrats zur Tat geworden. Obwohl noch heute viel umstritten, wurzelt ex fest in Gedan!en der Vergangenheit, in der Ueberzeugung, daß politishe umd wirtscastlicle Kräfte zusammenarbeiten müssen, wenn das Wohl des Vaterlandes fest gegründet sein soll. Kein Geringerer ais Vismark war es, der den preußischen Volkswirtschaftsral ins Leben rief, um alle wirtschaftlichen Fragen zunächst vor wirtschast- lichen Kreisen der Beratung zu unterziehen. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis der Reichswirtschaftsrat, in der Ver- fassung begründet, ins Leben trat. Und anch heute hat erx dieselben Aufgaben, die damals Bismark dem Volkswirtschastsrat gegeben

hat: Er soll grund zende wirtschaftliche Fragen durch wirtschaft- liche Kreise ‘es eg dekr begutachten lassen und zugleich der

' erung Unregunoen geben, die auf wirlschaftlihem Gebiete Liegen. Was auf diesem Gebiete bisher geleistet worden ist, das, mein

ET Damen und Herren, erlassen Sie mir, in dieser Stunde _auszu=- fuhren. Die Borlagen, die Sie beraten und begutahtet haben, die Anregungen, die aus Fhren Kreisen der Reichsregierung und dem ferbeiag geworden find, find fo zahlreih und vielseitig, daß sie im Rahmen dieser Stunde einzeln aufzuzählen nicht möglich ist. Aber Männer möchte ih herausgreifen, die sich ganz besondecs um die Arbeiten des Reich8wirtschaftsrates verdient gemacht haben. Neben dem Präsidium, welches wir auch heute die Freude haben, vor uns zu sehen, waren es zwei Männer, die niht mehx unter uns me len, die Gedanken und di des MNeichéqpirt- schaftsrates ganz besonders gefördert haben: es waren Legien und Rathenau, beide Männex des Ausgleihs der Fntere|sen ¡wischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und des Ausgleichs zwischen den verschiedenen ivirtschafstlichen Auffassungen. Sie an diele Nomen in diesem Kreise zu dieser Stunde zu erinnern, ist mir Pflicht, Die Zusammenseßung des Reichswirtschastsrats und seine Zustaitdigkeit entspringt und entsprihßt einem aufrichtigen Be- DuUrsinis unserer Tage. Niemals zuvor wax die Wirtschaft als Macht- und Kraftfaktor dem deutschen Volle und dem deutschen Lande nôötiger als in unseren Tagen: niemals zuvor kam es so jehrx davauf an, daß alle wirtschaftlichen Kräfte zusammengefaßt würden, um das Ziel zu erreichen, nah dem wir alle streben, endlih das Problem, welches auf unserem ganzen wirtschaftlichen Leben lastet und immer stärker drückt, einer endgültigen Lösung entagegenzufithren. Niemals zuvor ist es mehr darauf ange kommen, beî dieser Arbeit den Ausgleich der Gegensäve zu finde! und alle Kräfte auf das eine Ziel einzuspannen. den Ausgleich der Gegensäße der Parteien im Staate, den Ausgleich dex Gegensäße int den verschiedenen Klassen, den Ausagleih nah beiden Rich- tungen hin und den Weg zu einer Bersachlichung der Arbeit. Diese Aufgaben des Reichswirtschastsrats entsprechen genau “dem, was wir im neuen Reichskabinett uns als unser Arbeitsprogvamm vorgeseßt haben. Die Zuständigkeit des Neihswirtschaftsrats gibt ualeih Aufschluß über das Verhältnis des Netchswirtschaftèrats zur Reichsregierung. Der Reichswirtschaftsrat hat nach der Ver- jassung nicht entscheidend aufzutreten, sondern begutachtend, befüvr- ivortend, anregend. So joll auch das Verhältnis der wirtschast- licven Kveise zur Regierung das sein, daß die Negierung führt, und daß die Wirtschaft die Regierung unterstüßt. (Lebhafter Beijaill.) Es gibt hier keinen Machtfaktor, kein Kraftzentrum der Wirtschaft, welche stark genug wären, der Regierung die Führung aus der Hand zu neymen (lebhafte Zustimmung), aber wir können der Unter=- stüßung, der Mitarbeit der öffentlichen Kreise nicht entraten und wollen es auch nicht. Wir, die wir zu einem guten Teil der Wirt- schaft entstammen, wix wollen mit der Wirtschaft zusammen die Lasten des Tages tragen und die Lösung der Probleme aus diesem Wirrwarr zu finden suchen. So appelliere ih heute ganz besonders an die restlose Unterstüßung der Regierung und der Regierungs- arbeit dur Sie alle, nicht in dem Sinne, als ob ih von Fhnen verlangte, daß alles, was die Regierung tut, von Ihnen restlos aut acheißen wird. Aber arbeiten Sie der Erreichung des großen Zieles mit der Regierung zusammen entgegen! Fch möchte glauben, daß diese Stellung von Wirtschaft und Regierung jebt ihren besonderen Ausdruck in der Wsung der Reparationsfrage zu finden haben wird. Jh spreche hier nicht über Einzelheiten, ih spreche niht über schwebende Verhandlungen. die in London begonnen haben und in Paris fortgeseßt werden sollen; nux einen Grundgedanken mochte ih herauêsschälen aus dem, ivaë gesehen ist, aus dem, was werden soil, Die Regierung ist der Ansicht, daß nux aktive und positive Mitarbeit der Wsung unserer Schitsalssrage zum Heile gereichen sann. Die Regierung ist der Meinung, daß es falsch máre, das Zhickal des Volkes und Landes in die Hände anderer zu legen ass der berufenen und verantwortlichen Leiter des deutshen Volkes. Das hat wohl zu dem Standpunkt geführt, daß wir auch in dent ersten Tagen unserer Regierung niht die Hände in den Schoß legen, sondern uns melden sollten auch da, wo wir nicht hingebeten waren, und wir glaubten, daß dieser Weg auch weiter Zeschritten werden solle. Wir haben das getan, indem wir einen positiven Vorschlag vorgelegt haben, der allerdings keine endgültige Lösung, aber do ein Vorbote der endgültigen Lösung sein konnie. Dieser positive Vorschlag war, man möge über seine Einzelheiten denken, wie man wolle, aufgebaut auf dem Grundgedanken, daß für die Lösung die Befreiung weiter Gebiete unseres Reiches und unserer Wirtschaft von dem Druck dex ungelösten Reparationsfragen nötig sei, daß es für alle diese Ziele der Zusammenfassung der leßten Kraft des ganzen Volkes bedurfie und der Zusammenfassung des ganzen Vertrauens des Auslandes, das noch zu Deutschland besteht. Beides sollte zugleih dex Wertmesser scin für die Leistungen, den wir an dieses Vroblem anlegen konnten. Mehr kann nicht von uns verlangt werden. JFch finde es wenig befriedigend, daß ein so eurnstlicher, von dem festen Willen getragener Vorschlag, dieses Problem zux Lösung zu bringen unter Einseßung unserer ganzen Kräfte und unserer Mitarbeit, nicht weniastens die Beachtung gLe- fundeg hat, daß man angesichts dieses Vorschlages den Weg zu cemeiMsamen Verhandlunaen beschritt, ohne die die Lösung der Frage überhaupt nicht möglich ist. (Sehr ridhtig!) Was uns aud bevorsteht, was immer auch kommen möge in der Weiter- entwiclung dieser Verhandlungen, wir müssen zusammenarbeiten mit allon unseren Kräften; es muß die Einheit nicht nur der Wirt- schaft, sondern der Stämme und der Länder gewahrt werden, und ez darf kein Teil des Deutscn Reiches abseits stehen. Darüber hinaus müssen wir die wirtschaftliche Kraft aufbringen, das Mög- lihsie zu leisten, was wir bei einex enßgültiaen Lösung des Problems auf uns nehmen müssen. Wir müssen da auch zu acsunden wirtschaftlichen Beziehungen über die Grenzen dés Deutschen Reiches hinaus zu den benaGhbarten Ländern Zerutrak- curopas zu gelanren suhen. Wenn das qelingt. wird es denen besonders zugute kommen, die an uns heute noch außerordentli

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hohe Forderungen stellen. Wir wissen, daß kein Staat die Gesetze der Wirtschaft mißachten darf, wir wissen au, daß für die Wirt- schaft die leßte Grenze in der Freiheit der Nation und der größeren Würde des Staates liegt. Darum ist die Ausschrift und Fnschrift dieses Hauses, wenn auch unsichtbar, dieselbe, die an der iFassade des Reichstags steht, daß nämlich dieses Haus und die Arbeit der Mitglieder des Reichswirtschaftsrats gewidmet ist „dem deutschen Volke“. (Beifall.) Und so, meine Damen und Herren, übergebe ih dieses Haus für eine weitere fruchtbare Arbeit TFhrer Be- ratungen und Ihrer Sißungen Seiner Exzellenz dem Herrn Präsidenten des Reichswirtschaftsrats als Vertreter der deutschen Reichsregierung. Jch sprehe die Hoffnung aus, daß die Arbeit, die Hier geleistet wird, dienen möge und reihen Segen bringen möge dem deutschen Volke. (Lebhafter Beifall.)

Darauf hielt der Vorsißende des Reichswirtschaft3rats Edler von Braun folgende Ansprache:

Der Tag, an dem der NReichswirtschaftsrat scin eigenes Heim bezieht, verdient eine besondere Feter, und wenn in. der Zeit, no Deutschland in schwe&ster materieller und jeclischer Not um seinen Bestand und seine Zukunft kämpft, auch ¿etne raushenden Feîte am Plaße sind, so danken wir doch dem Herrn Jeicspräsidenten, dem Iouhskanzler, den Ministern und Vertretern des Reiches, der Läuckrx und der parlamentarischen Körperschaftent, daß sie unserer Cinladung gefolgt sind, um dem Akt auch äußerlich eine besondero Weihe zu geben. Fch übernehme im Namen des Retchs=- wirtschaftsrats zu treuen Händen das Haus, das hier im Herzen von Berlin uns von der Reichsregierung zur Verfügung gestellt ivorden ist, und gelobe, daß es eine Stätte ernster, leidenschasts3- loser und aufopfernder Arbeit für die wirtschaftlihe Zukunft Deutschlands sein soll. Das wird die würdigste Form des Dankes sein, den wir vor allem dem Reichswirtshaftsministerium, dem Neichsschaßministerium, dem Reichsfinanzministerium und der Reich8bauverwaltung s{chulden für die Förderung und das Ent- gegenkommen, durch die es ermögliht worden ist, troß aller ent- gegenstehenden Schwierigkeiten in der verhältnismäßig _kurzen Zeit von fünf Vierteljahren die frühere Bildungsstätte für die «sugend zu einem zwar nicht prunkvollen, aber unseren Zwedcken aenügenden Beratungshaus für den Reichswirtschaftsrat umzu- gestalten. Ich sprehe aber namens des Reichswirtschaftsrats auch allen anderen Fnstanzen und Personen den herzlichsten Dank aus für die freundlihHe Unterstüßung mit Rat und Tat, durch die das Werk gefördert worden ist, vor allem den hochherzigen Spendern, die durch Stiftungen in Werten und in Geld es uns ermöglicht haben, die Raume über die nüchterne Zweckmäßigkeit hinaus be- haglicher und wohnlicher zu gestalten. Fhr Andenken soll durch eine Stistertafel festgehalten werden. Ein besonderes Wort des Dankes und dex Anerkennung dem Bauleiter, Regierungsbaus- meister Bickel. Der Reichswixtschaftsrat ist immer noch ein /,00X= läufiger“, und wann er in den „endgültigen“ umgewandelt wird, steht noch dahin. Aber aus dem schlimmsten Stadium der Vor- läufigkeit ist er nun doch heraus, er ist bodenständig geivorden und wird nach Beseitigung der äußeren Störungen und Hems- mungen seiner shweren Aufgabe um so erfolgreicher sich widmen können. Will man objefktive Kritik an den Arbeiten des Reichs- wirtshaftsrats üben, so darf nicht außer acht gelassen werden, daß die großen und grundlegenden Neuerungen auf allen Gebieren der sozialen, wirtshafts- und finanzpolitishen Geseßgebung nah der Revolution bereits vollzogen waren in dem Augenblick, als der Retichswirtschaftsrat zusammentrat. Auch die Geldentwertung hatte wohl damals bereits die Grenzen überschritten, innerhalb deren eine Gesundung aus eigener Kraft des Retches noch mögli gewesen war. Deshalb trifst den Reichswirtschaftsrat für die arundlegenden Aenderungen des Wirtschastslebens, soweit sie die Geseßgebung der Nachkriegszeit herbeigeführt hat, nur eine be- shräantie Verantwortung. Es ist ihm andererseits auch nicht in dei wünschenswerten Maße möglih gewesen, aufbauend an der (Gestaltung einer besseren wirtschaftlichen Zukunst mitzuarbeiten. Die Kräfte von außen, vor allem die Folgen des Versailler Ver- trages und der Abmachungen in Spaa und London einerseits, die NRüctfsichtnahme auf politische Strömungen im Julande anderer- seits haben für eine sachlihe und aufbauliche Arbeit auf wirt- [haftlibem Gebiete ohnehin nur einen {malen Raum gelassen. Fn diesen Grenzen aber hat sih der Reichswirtschaftsrat ehrlich bemüht, das der Wirtschaft Förderliche zum Siege zu bringen und

allzu shwere Belastung nah Möglichkeit von ihr abzuwehren oder zu mildern. Redner gibt sodann einen UÜeberblick über die bis-

herigen Arbeiten des Reichswirtschaftsrats cuf sozialpolitischem ivie auf wirtschastspolitischem Gebiete. Er erinnert besonders an die Arbeiten auf finanzpolitischem Gebiet, wo nicht nur das große

Neparationéstieuerprogramm in außerordentlih schwieriger Kleinarbeit |

auf das genaucsie begutachtet, sondern darüber hinaus aus eigener «Fmitiative versucht wurde, die Grundlagen für die Einführung einer stabilen Währung sowie die Richtlinien für die Aufbringung

der Verzinsung und Amortisation etwaiger Auslandsanleihen zu finden. Es habe den RNeichêwirtschaftsrat oft Mühe gekostet, sich gegenüber den Behörden durchzuseßzen. Es müsse aber

dankbar anerkannt werden, daß vieles besser geworden sei, nament- lich auh dank der Initiative des früheren Herrn Meichs- fanzlers. Aber auch jeßt noch hat der Reichswirtschaftsrat im großen und im kleinen mit manchem Widerstond zu rechnen. Fede Erhöhung der Diäten hat troß des wirklih bescheidenen Maßes,

in dem sich uñsere Wünsche hielten, lange Monate ge- braucht, bis sich die beteiligten Ressorts darüber ver-

ständigen konnten, und es ist namentlih beim Reichsfinanzmini- sterium in dieser Frage nicht selten eine Auffassung zutage getreten, ie der’ Stellung des Reichswirkschaftsraté mckcht entspricht. Sbensv ist immex wieder versucht worden, den Mitgliedern die Freifahrtsfarte zu entziehen, die sie doch wirklih nicht zu ihrem *ergnügen gebrauchen. Fch darf wohl die Hoffnung aussprechen, daß unsere Wünsche in Zukunft eine wohlwollende Behandlung, oor allem aber eine schnelle Erledigung finden. Wix können es unseren Mitgliedern cinfah nit zumuten, monatelang ihre Auf- wendungen 1m Dienste des Reichswirtschaftsrats ans cigener Tasche zu bestreiten und den Ersaß ihrer Auslagen, wenn Üüber-

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haupt, so erst nah Monaten in cinem entwerteten Gelde zu empfcngen. Was die sahlide Struktur des NReichäwirtschaftsrats

und sein Arbeiten mit der Reichsregierung angeht, so können wir nur den Wunsch aussprechen, daß das seitherige Einvernehmen zwischen der Regieruna, den gesebgebenden Körperschaften und dem Vorlaufigen Reich3wirtshasksrat sich weiter befestigen möge. Doch möchte 1ch mir nit versagen, an dieser Stelle zwei alte Wünsche zum Ausdruck zu bringen, die unser Zusammenarbeiten mit der Regierung und den geseßgebenden Körperschaften betreffen. Fh meine die Heranziehung des Reichswirtschaftsrats im Stadium der sogenannten Referentenentwürfe und die Entsendung von Kommissaren des Reichêwirtschaftsrats in die Verhandlungen der gesckgebenden Körperschaften und ihre Ausschüsse. Aus staats- rechtlichen Gründen ist dur Kabinettsbeshluß den Reichs- ministerien zur Pflicht gemacht worden, dem Neichswirtschafts- rat erst die fertigen Gesezeëvorlagen nach Verabschiedung durch das Neichskabinett vorzulèaen. Dieses Verfahren hat wesentliche Mäugel. Einmal pflegen die Ministerien sih bei Aufstellung der Meferententemvürfe meist dur Sachverständige beraten zu lassen, und es bietet sih in diesem Falle das eiaentümlihe Bild, daß beliebige Sachverständige, deren Eicnung keiner Kontrolle unter-

liegt, herangezonen werden, während das amtliche Gutahter- oraan, der Reichswirtschaftsrat, niht in Anspru genommen wird. Sodonn aber wird bei dem Eiltempo der jeßigen Gesetz-

abung die Vorlace gewößnlih gleichzeitig dem Neichswirtschafts- rat und dem Reichsrat überwiesen. So is es vorgekommen, daß im Plenum des Reichswirtschaftsrats oder auch noch in einem Auss{Huß eine Vorlage behandelt wurde, die gleichzeitig Don den zuständiaen Auss{nß des Reichstages beschäftigte. Fn einzelnen Fällen ist es im Plenum zur Verhandlung von Vor=

lagen überhauvt nicht mehr gekommen, weil sie der Reilistag bereits verabschiedet hatte. Für diesen Mißstiand muß Abhilfe

geschaffen werden. Durch eine elastischere Handhabung der Ge-

[äfte müssen sich die hier efwa

latten

zu erwartenden ScHwierig- Frage der Entsendung von ¡¿swirtschafstsrats zu den Verhandlungen der ejeßgebenden Körperschaften anlangt, so habe ih die exalle im Auge, wo der Reichswoirtshastsrat im ordentlichen Geschäfts- gange Entwürfe der Regierung begutacitet. Die Gutachten, die oft eine Fülle wertvollen Materials enthalten, werden gedruckt und der Geseßesvorlage bei ihrer Einbringung im Reichsrat und Reichstag beigesügt. Es fragt sih aber oft, ob dieje gedrudten Gutahten die gleiche Bedeutung haben können, wie ein kurzer

keiten beseitiger Was die J

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Vortrag oder auch nur eine sachlihe Auskunft des Bericht- eritatters des Retchswirtschaft3raies in den Verhandlungen der

gejeygebenden Körperschaften. Nun läßt sich nicht verkennen, daß versassungsrehtlihe Gründe eine jolche Zuziehung der Mitglieder des MNeichswirtschaftsrates als solhe erschweren mögen. Gbenjo sicher aber ist, daß es keinerlei geseßlihe Gründe gibt, die es verhindern, daß die Mitglieder des Reichswirtschaft3rats als Kom- nisjare der Reichsregierung an den Beratungen der geseßgebenden Körperschaften teilnehmen. Dem Vernehmen nah hat auch das Kabinett eine solche Teilnahme an sich gebilligt, zur Ausführung aber ist diejer Entschluß nicht gekommen, und ich möchte die be- teiligten Ressorts bitten, die Frage wieder auszugretfen und im Interesse der Sache eine Teilnahme der Mitglieder des Retchs- wirtschaftSrats an den Verhandlungen der gejeßgebenden SLOTPCL- schaften in den für sie geeigneten Fallen zu ermöglichen. Die Zeit ist zu ernst, um die drängenden Ausgaben der wwirtschast- lichen Rettung Deutschlar.ds durch formalistische Bedenken stôren zu lassen. Die Zukunft Deutschlands liegt awischen zwei Möglich= keiten. Entweder gehen wir den Gang des Verderbens weiter, dann wird Deutschland ein Menschenalter hindurch ein Trümmer- feld sein. Dann werden die an den Grenzen lauernden Feinde aus dem verfallenden Leib Deutschlands die leßten Länderfeßen herausreißen, deren Ausbeutung noch Gewinn verspricht, und werden damit sich selbst den Todesteim einpflanzen, der den Niedergang Europas besicgelt, Aber noch ist es möglich, diesem Schicksal zu entgehen, und zwar aus eigener Kraft, wenn es ge- lingt, den Genius des deutschen Volkes aus seinem Todesschlaf zu erwecken und die Gespersber der Hoffnungslosigkeit und Ver- zweiflung zu versheuhen, wenn uns der Führer entsteht, der das Velk mit sich fortreißt, wenn wir wieder fühlen und glaube: lernen, daß die höchste Pflicht das Einseßen der eigenen Kraft für das Wohl der Gesamtheit ist, wenn endlih das ganze Volk beareift, daß wir Deutschen zusammen sterben müssen, wenn wir nicht lernen, zufammenzuleben. Schwarz und unheildrohend ballen sich die Wolken des Verhängnisses über Deutschland

nd in dieser äFahreswende. Aber wir wollen den Mut und die Hoffnung nicht sinken lassen.

Wir wollen hier in diesem Hause der Arbeit über alle Unterschiede der Parteien, des Berufes, des Stammes und des Bekenntnisses hinweg uns vertrauensvoll und hilfsbereit die Hände reichen zum gemeinsamen Wirken für Deutschlands Rettung. Wir wollen aus diesem Hause verbannen Parteihader und Klassen- fampf, Verhebung und Verleumdung und wollen hier nur daran denken, daß wir Deutsche sind, berufen, Deutschlands Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu retten. Das sei das Gelübde, mit dem der Retchswirtschaftsrat von seinem neuen Heim Besiß er- greift. (Lebhafter Beifall.) ;

Hierauf trat das Haus in die Tagesordnung ein. Der Erhöhung der patentamtlichen Gebühren wurde zugestimmt, ebenso der Er gänzungde3Gesehßes gegen die Kapitalfluchk. f

Das Haus vertagte sich darauf auf Mittwoch, 11 Uhr (Arbeitszeitgeseß).

Schluß 114 Uhr.

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i: Preußischer Landtag. 193. Sißung vom 12. Dezember 1922, Mittags 12 Uhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger *3.)

Vizepräsident Dr. von Kries eröffnet die Sißung um 12 Uhr 15 Minuten. Das Haus nimmt in dritter Beratung den Entwurf

des GOeseves Uer SQuUI eraum e 11 den vormaligen Fürstentümern Hohen zollern an, ebenso den Geseßesantrag der Abgg. Dr. von

Campe (D. Vp.) und Genossen zur Aenderung des GeseßesüberdasHebammenwesen.

Ebenso ohne Aussprache wird dec Gesehentwurf über den Verleho mtrGOrunotuccken dem ver stärklen Gemeindeausschuß überwiesen. Nach dem Entwurf bedürfen alle Rechtsgeschäste, die die Veräußerung eines Grundstücks oder cines Grundstückteiles zum Gegenstand haben, zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung. Ferner wird ein geseßliches Vorkaufsrecht für die Gemeinden festgelegt. Durch den Entwurf soll den mit den vielfahen Massenkäufen von städtischen bebauten und unbebauten Grundstücken ver- bundenen Gefahren abgeholfen werden. Besonders sollen auch reine Spekluialionsgeschäste erschwert werden. Die Versagung der Genebmigung ist an ganz bestimmte Gründe geknüpft.

Es folgt die zweite Beratung desGesetent wurfs über die Erhebung einer vorläufigen Steuer vom Grundvermögen.

Aba. Dr. Waentig (Soz.) erklärt in der Aussprache die Zu- slimmurg seiner Partei troß s{chwerer grundsäßliher Bedenken. (Fs handelt sich ja aber hier, führt der Nedner aus, nur um eine vor- laufige Kegesung, und wir müssen auf möglichste Veschleunigung der endgültigen Besteuerung dringen. Die Reichssteuergejeßgebung ist ja bisher gerade hinsihtlih des Grundvermögens nur allzu glimpflich vor- gegangen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es bedeutet das eine erapórende Ungerechtigkeit gegenüber weiten Bevölkerunqs= schichten, die in ganz anderer Weije erfaßt worden sind. Die anderen Länder sind auch Preußen hinsichtlih der Besteuerung des Grundvernögens weit voraus. Drei Streitpunkte gibt es zwischen den verschiedenen Parteien. Es ist die Frage: Erstens Staatssteuer oder Gemeindesteuer; zweitens Ertragswert oder ge- meiner Wert; drittens Einheits\saß oder Staffelsäke. Die Stellung meiner Freunde zu diesen Fragen geht dahin, daß wir sehr wohi der Not der Gemeinden Rechnung tragen wollen. Das darf abex niht auf Kosten des Staats geschehen. Als Vertreter des deutschen Einheitsstaates wenden wir uns auch dagegen, daß die finanz- politishe Macht der Länder auf Kosten des Reiches verstärkt wird.

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*) Mit Ausnahme der dur Sperrdruck herborgehobenen Meden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergegeben sind.

(Fortseßung in der Ersten Beilage.)

Verantwertlider Scriftleiter: Direktor Dr Tyrol Charlottenburg. Verantwortlich für den Anzeiaenteil- Der Vorsteber der Geschäftsstelle Necbnungsrat Menaering in Berlin Verlag der Geschäftsstelle (Mengering) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt, Berlin. Wilhelmstr. 32.

Bier Beilagen (eins{ließli® Börsenbeilage.) und Erste, Zweite, Dritte und Vierte Zentral-Handelsregister-Beilage.

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E (Fortseßung aus dem Hauptblatt.)

GrundsäßliG halten wir an der Forderung des gemeinen Wertes sest. Wir haben aber diese Frage vertagt mit Rücsicht auf die bündige Erklärung des Finanzministers, daß alles getan werden soll, um die iatjählihen Grundlagen zur Beurteilung der Bedeutung der Frage über Ertragswert und gemeinen Wert fu geben. Was die Frage Einheitssaß oder Staffelsäße angeht, o holten wir grundsäßlih an der Forderung der Staffelsäße fest. Wir stehen auch hier auf dem Standpunkt der Bodenreformer. Wenn wir bei dem vorliegenden Entwurf darauf verzihtet haben, für die Durchführung der Staffel & kämpfen, so tun wir das auch wieder mit Rücksiht auf die Erklärung der Regierung, daß das eine Ershwerung der Veranlagung und eine Verlangsamung der Erhebung bedeute, und daß anderseits die Steuer so gering- fügig sei, daß sie auch von den fleineren Besißern getragen werden kann. Vei dem endgültigen Grundsteuergeseß, dessen Vorlegung wix recht bald wünscien, werden wir den Gedanken der Staffelung weiter verfolgen. Diesem Entwurf wünschen wir eine möglichst furze Lebensdauer. :

Abg. Loenary (Zentr.): Jh {ließe mich dem Wunste des Vorredners an, daß die Gestaltung des Geseves in versöhnlihem Sinne erfolgen möge. Die Not der meinden wird gewiß allseitig anerfannt; fraglich ist es aber, ob der Staat in der Lage ift, a ihm gehörige Mittel zu verzihten, um die Selbstverwaltung aufrecht erhalten zu können. Die gesunde Selbstverwaltung war efnst Preußens und Deutschlands Stolz. Auch Kollege Ee hat sih, als die Not hereinbrach, gehütet, zu fordern, daß Ge- meindesteuern dem Reih überantwortei würden. Die Eingriffe in die Gemeinderechte sind auch nur dadurch entstanden, daß wir von oben nach unten organisieren und zentralisieren mußten. Wir nähern uns dem französischen Präfekturensystem. Das stimmt niht zur deutsclen Eigenart, niht zur Eigenart unserer Länder und Provinzen. Darum sagen wir: Bis hierher und nicht weiter. Wir dürfen den Gemeinden nicht die Steuerquellen nehmen, deren É zu ihrem Leben bedürfen. So groß auch das Eregbnis unserer Steuertede ist, kann sie dech nit alle Erfordernisse in Reich, Staat und Gemeinden decken. Diese drei Körperschaften sind aber für das Reich gleih wichtig. Nun stehen wir vor dem Tode, vor dem finanziellen Zusammenbruch der Gemeinden. Darum muß eingegriffen werden. Jm Ausschuß ist die Lage der Landwirtsc;ast als außerordentlih günstig geschildert worden, diese Auffassung hat sih wie ein roter Faden durch die ganzen Verhandlungen gezogen, das trifft aber E u; vielmehr ist speziell die Lage der Bauernschaft sehr heikel. Wenn Abgeordneter Waentig Ertrags- wert und gemeinen Wert als nahezu übereinstimmend ansieht, stehen wir auf dem Standpunkt des Reiches, das überall den Ertragswert als maßgebend ansieht; dieser Wert ist auch für die Landivirtschaft das einzig denkbare. Wir werden der Zugrunde- legung des gemeinen Wertes unter keinen Umständen zustimmen. Ebenso halten wir fta fest, pas die Steuer in erster Linie den Gemeinden zugute kommen muß. E i;

Abg. Dr. Preyer (D. Nat.): Jch bin niht der Meinung, daß

andere Staaten für Preußen maßgebend sein können. An einer Reform

der Grundsteuer wollen auch wir mitarbeiten, aber mit dem vorliegen- den Entwurf sind wir nit in allem einverstanden und erwarten bestimmte Abänderungen. Auch wir erkennen die Kommunen als die Gläubiger dieser Steuer an. Die Gemeinden sind doch die Kaftquellen des Reiches, sie müssen gestärkt werden. Trob mancher Bedenken sind meine Freunde für eine rashe Durch- führung der Steuer, um endlich klare Verhältnisse zu schaffen, aber sie muß als eine reine Ertrags\teuer, nicht als eine Ver- mögenssteuer behandelt werden. Daß eine Staffelung_ niht mög- lih ist, leuhtet ohne weiteres ein, da das nid;t dem Ertragswert entsprechen würde. Wir werden jedenfalls nur dann für die Vorlage eintreten, wenn die Ertragssteuer beschlossen wird; ebenso auch nur dann, wenn eine Kontingentierung der Grundsteuer- zuschläge erfolgt. Wir schlagen eine Kontingentierung von 300 % vor und werden seinerzeit bei der dritten Lesung über diese Frage namentlihe Abstimmung beantragen. (Beisall.)

Finanzminister Dr. von Richter: Jh möhte mih in der heutigen Sißung darauf beschränken, auf das einzugehen, was hier im wesentlihen an Bedenken gegen den Geseßentwurf vorgebracht worden ist, indem ich zur Befürwortung im wesentlichen auf das Bezug nehmen darf, was in der ersten Lesung au8geführt worden ist, und namentli auf das, was H im Ausschuß eingehend dar- geleat babe. Fh glaube, es entspriht auch niht dem Wunsche des Hauses, jeßt noch einmal die durchshlagenden größeren politischen Gesichtspunkte zu hôren, die nach meiner und nach der. Regierung Auffassung entscheidend für das Geseß sprechen, ohne daß ih mih deshalb mit allen Beschlüssen des Ausschusses in jeder Einzelheit identifizicren möchte. Nur eins möchte ih bei dieser Gelegenheit jagen. Meine Herren von der Deutshnationalen Partei, ih nehme eigentlih an, daß Jhr Widerspruch gegen dieses Gesey doch nicht von so restloser Freude getragen ist, wie es scheinbar in Jhren Neden zum Ausdruck kommt... (Widerspruch bei der Deutshnationalen Volkspartei.) Es handelt sich um die Gelegenheit und diese Ge- legenheit ist eigentli jeßt die einzige —, in der wir au einmal in der Lage sind, dem preußischen Staate Steuerquellen zu ershließen, Steuer- quellen, die alle anderen deutschen Länder längst für sih, für den Staat eröffnet haben, und Sie nehmen doch immer für sich in Anspru, gerade für den preußischen Staat eine besondere Liebe, ein besonderes Jnteresse zu haben. Es kann Jhnen doch eigentli

nit so ganz leiht werden, bei dieser Gelegenheit dem preußischen

Staate die Möglichkeit zu verschließen, immerhin bis zu einem gewissen Grade sich von der Kostgängerschast des Reiches zu e:tanzipieren und, entsprechend allen anderen Ländern, auf eigene Steuerquellen zurückzugreifen.

Die beiden Herren Redner, die bisher gegen das Gesey ge- sprochen haben, die Herren Loenaryß und Dr. Preyer, haben \ih in ihren Ausführungen wesentlich voneinander unterschieden, ihre Ausführungen sind eigentlih nicht ret miteinander in Einklang zu Bringen. (Zuruf &i der Deutschnationalen Volkspartei: Sie gehören tod verschiedenen Parteien an!) Sehr richtig! Herr Dr. Preyer hat seine Gegnershaft im mwesentlihen vom Standpunkte der Gemeinden aus motiviert, Herr Loenarß vom Standpunkte des Steuerzahlers aus. (Widerspruh im Zentrum.) Doch, Sie haben gesagt, es sei namentlich für die Landwirtschaft eine geradezu unerträgliche Last. Fch werde gleih nachher darauf kommen. Herr Dr. Preyer, der doch für die Gemeinden dieses Gesey wünscht, geht davon aus, daß es si nicht um eine unerträgliche Last handle. Fch habe schon im Ausschuß gesagt: Wenn eine Last unerträglih für mich als Steuer- shuldner ist, so ist es mir ziemli gleichgültig, ob der Steuer- gläubiger, der mir diese unerträgliche Last aufbürdet, die Gemeinde t oder der Staat. Darin werden wir wohl übereinstimmen,

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Erste Beílage

Berlin, Mittwoch, den 13. Dezember

Nun sagt Herr Dr. Preyer und ih stimme ihm darin ohne weiteres zu —, die Gemeinden [itten mindestens ebenso Not wie | der Staat, sie müßten also vom Staate unterstüßt werden, und der | Staat dürfe ihnen nicht das nehmen, was sie bisher hatten. Jh

habe wiederholt gesagt, daß wir das au gar niht wollen. Nach- dem aber infolge der Reichsgeseßgebung die Grundlagen für die Steuerpolitik der Länder völlig vershoben worden sind, ist es nit denkbar, daß wir, sagen wir mal, mit sklavisGer Ehrfurht an der Miquelshen Steuerreform, die gewiß eine große Tat war, fest- halten, wie Sie es jeßt tun. Meine Damen und Herren, glauben Sie wirkli, glauben insbesondere die Herren, die die Miquelsche Steuerreform mitgemacht haben, der Herr Abgeordnete Herold, der Herr Abgeordnete Winckler, daß ein Mann wie Miquel jemals auf den Gedanken gekommen wäre, dem preußishen Staat die Ein- nahmen aus der Grund- und Gewerbesteuer zu entziehen, wenn er finanzielle. Verhältnisse vor sih gesehen hätte, wie sie augen- blicklih sind? Miquel konnte doch seine Gedanken nur durchführen, weil er als Rüdckgrat des preußishen Staates und der preußischen Finanzen die Einnahmen aus den Eisenbahnen und die Einnahmen aus den direkten Steuern, besonders aus der Einkommensteuer, hatte, und ih bin fest überzeugt, ein Mann wie Miquel hätte den Gedanken als gerade läberlich, als absurd, als gegen die Interessen des Staates gerichtet scharf zurückgewiesen, wenn man ihm gesagt hätte: das Einkommen aus den Ertragsteuern den Gemeinden, wo der Staat mit seinem Einkommen bleibt, ist eine Sache für sich. Da si jeßt die Verhältnisse völlig verschoben haben, da das Reich die Einkommensteuer für sich nimmt und ioir auf das angewiesen sind, was es uns davon gibt, so ist es in der Tat auch vom Stand- punkte der Gemeinden aus nicht zu viel verlangt, wenn man sagt: wir müssen die Grundlage, auf der am Anfang der neunziger Fahre die Miquelsche Steuerreform aufgebaut wurde, die Grundlage, die vollkommen verschoben ist, revidieren; denn es geht nicht an, daß der Staat allein die Nachteile dieser Verschiebung zu tragen hat, sondern diese Nachteile müssen wir, die wir damals an der Teilung beteiligt waren, der Staat und die Gemeinden, bis zu einem ge- wissen Grade teilen, oder wir müssen wenigstens gemeinsam an dem teilnehmen, was uns noch übrig bleibt.

Dann möchte ih von dem, wie er sich au3gedrüdckt hat, \Glecht unterrihteten Abgeordneten Dr. Preyer an den besser zu unter- rihtenden appellieren. Jh zweifle gar nicht, daß der Herr Oberbürgermeister von Hannover sih in dem Sinne ausgesprochen hat, wie das der Herr Abgeordnete Dr. Preyer eben gesagt hat. Aber es gibt neben dem Oberbürgermeister von Hannover, der sih in diesem Sinne ausgesprochen hat, und dem Herrn Ober- bürgermeister von Stettin, der sih in meinem Sinne aus- gesprochen hat, auch noch andere Herren. Mir ist von einer sehr authentisGen Seite des Preußischen Städtetages gesagt worden, daß in der Tat die mir gewordene Mitteilung des Herrn Ober- bürgermeisters Ackermann aus Stettin in weiten Kreisen des Preußischen Städtetages geteilt wurde, und das liegt auch auf der Hand. Jh würde als Oberbürgermeister einer großen Stadt genau so denken. Stellen Sie sich doch vor: die Stadt König3- berg ih habe das hier wiederholt [hon gesagt trägt 42 vH sämtlicher Provinzialsteuern, die Stadt Stettin ‘trägt 33 vH sämtlicher Provinzialsteuern. Worauf berußt denn das? Das beruht doch darauf, daß bei der ungenügenden Einschäßung der Grund- und Gebäudesteuer auf dem platten Lande (Zurufe: Das wollen wir ja auch!) ja, ih komme gleih drauf! jeßt die Städte in einer über ihre Leistungsfähigkeit hinausgehenden Weise herangezogen werden. Da sagen sih die Herren in den Städten: da muß ein Wandel eintreten. Was haben wir dazu für ein Mittel? Doch nur das Mittel, daß die Grund- und Ge- bäudesteuer im ganzen Staate gleihmäßig veranlagt und erhoben wird. Das können wir natürlih nur erreichen, wenn sie staat- lih wird, und so haben wir daurch den scheinbaren Nachteil, der uns entsteht, der namentlih von Herrn Loenarß und von Herrit Dr. Preyer hervorgehoben worden ist, doch den Vorteil, daß wir durh die Verstaatlihung und gleihmäßige Veranlagung der Steuer sehr wesentlich auf dem Gebiete der Provinzialsteuern entlastet werden. Meine Damen und Herren, ih sehe nicht ein, vas in dieser mir sehr s{hlüssigen Deduktion für ein Fehler liegen soll, und ih kann Jhnen nicht zugeben die Herren des Städte- tages geben es ja ebenfalls nicht zu —, daß die Beteiligung des Staates an der Grundsteuer eine Gefahr, eine Schädigung für die Gemeinden bildet.

Dann hat noch der Herr Abgeordnete Dr. Preyer damit hat er, ih will niht sagen eine Taktik eingeschlagen, darin läge subjektiv ein Vorwurf, den ih gar niht erheben will einen Weg eingeschlagen, der von vielen Gegnern des Geseze3 ein- geschlagen wird. Er stellt nämlih ein Schreckbild auf, wie sich die Säße der Besteuerung, und zwar einschließli der Kommunal- zuschläge nah diesem Gesetze gestalten werden. Er sagt, das sei unerträglich, * und siebt nun ohne weiteres die Schuld diesem Gesege in die Shuhe. Herrn Dr. Preyer hat selbst zugegeben im Gegensay zu Herrn Loenary —, die Steuer an sich spielt ja keine Rolle, aber die Zuschläge! Dem Herrn Dr. Preyer ist so gut wie mir bekannt, daß diese Zushlagswirtshaft seitens der Gemeinden jeßt auch besteht, daß die Gemeinden genau so wie jest die Möglichkeit haben, Zuschläge zu erhebe, daß dieses Gesey die Zuschläge nicht erhöht, sondern nur auf eine andere Grundlage stellt. Es liegt also, was ih gar nicht leugne, die Möglichkeit vor, innerhalb der einzelnen Gemeinden sehr erheb- lihe Zuschläge zu erheben. Diese Möglichkeit kann doh aber nicht auf das Geseÿ geshoben werden, sondern sie ist eine Folge der wirtschaftlihen Lage der Gemeinden, eine Möglichkeit, die sie jezt auch schon haben. Fch erinnere an die Klagen in den west- lihen JFndustriegegenden über die Höhe der Gewerbesteuer. Sie wissen so gut wie ih, daß auf Grund der jeßigen Gesehgebung

schon Zuschläge zu Steuern erhoben werden, die sih erheblich

hen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger

1922

schlimmer gestaltet haben und wahrsheinlih auch ohne dieses Gese noch immer zunehmen würden, so daß man nah meiner Auffassung mit dem Gedanken, dieses Gesetz sei \chuld daran, wenn später zu hohe Gemeindezuschläge erhoben werden, un- möglih operieren kann. Dic Frage der Zuschläge hängt mit diesem Gesey nah meiner Meinung überhaupt gar - niht zu= sammen; sie ist eine Frage der wirtschaftlihen Notlage der Ge- meinden, die aber unabhängig von diesem Geseß beantwortet und beurteilt werden muß. Es bleibt also \shließlii nur das übrig, was Herr Dr. Preyer selbst als die Folge des Gesetzes bezeihnet hat: eine auh nah seiner Meinung zu ertragende und, wie er sich sogar selber zu meiner Freude ausgedrückt hat, eigent- lih läherlih geringe Steuer. (Zuruf bei der Deutshnationalen Volkspartei.) Natürlih; von den Zushlägen habe ih chen schon gesprochen.

Nun klat Herr Dr. Preyer Ausführungen gemacht, die mehr auf theoretis{em Gebiet liegen, denen ih nit eingehend folgen fann und die ich nur kurz besprehen muß. Er hat sich nämslih über die Frage des Abzuges der Schulden verbreitet und hat gesagt, selbstverständlih sei die Frage des Abzuges der Schulden bei einer reinen Objekts\teuer zu verneinen, bier handle es si aber niht um eine Objektssteuer, sondern um eine Vermögenssteuer, und hier müssen die Schulden abgezogen werden. Jh muß offen sagen, ih habe diesem Gedankengange niht ganz folgen fönnen. Auf der einen Seite, Herr Dr. Preyer, wollen Sie selbst für die Objektssteuer den Ertrag8wert. dieser Steuer als einer Objektssteuer niht deshalb bestreiten, weil sie auf den Ertragswert aufgebaut worden is. Auf der anderen Seite gibt es und das weiß auch Herr Dr. Preyer in den Städten Grundsteuern und Gebäudesteuern na dem gemeinen Wert, doch auch reine Objekt3steucrn, bei denen kein Mensch daran denkt, die Schulden abzuziehen. Jh weiß also nicht, inwiefern ich dieses Argument des Herrn Abg. Dr. Preyer bewerten foll, daß es sich hier niht um eine Objektssteuer, sondern um ein andere Steuer handle, und daß bei dieser Steuer die Schulden abgezogen werden müßten, während sie bei der Objektssteuer nit ab- gezogen werden dürften. (Zuruf bei der Deutshnationalen Volks- partei.) Das sehe ih niht ein. Sie können doch nur sagen

» und darin stimme ih Jhnen volllommen bei, das hat als erster

schon Herr Abg. Dr. Waentig ausgeführt —: Selbstverständlich ist das, wa3 hier geboten wird, niŸts Vollkommenes. Es ist viel= mehr, wenn Sie wollen, sogar etwas ziemlich Unvollkommenes: es ist nicht nur un3, sondern auch dem vorigen und dem vor- vorigen Ministerium dur die Not der Zeit aufgedrängt worden. Wir haben, um möglichst schnell zu Einnahmegquellen zu kommen, uns auf die Reihe von Fragen, von denen auch Herr Abg. Dr. Preyer gesprochen hat, naturgemäß nicht einlassen können. sondern haben zugegriffen und aufgebaut auf der Grundlage, die da war. Diese Grundlage war die preußische Ergänzungssteuer. Wir wären nicht so schnell vorwärts gekommen, wenn wir diese Grundlage nicht genonmen hätten. (Zuruf bei der Deutschnatio- nalen Volkspartei.) Da mag das gebe ih gern zu etwas entstanden sein, was nicht jeder wissenschaftlichen, theoretisHhen Auffassung standhält. Darauf kam es uns bei der Not des Staates auch nicht an, sondern wir glaubten, etwas immerhin Tragbares, Praktishes machen zu müssen, was dem Staate nügt.

Wenn ih dann zu den Ausführungen des Herrn Abg. Loenarß übergehe, so glaube ih, daß er es gewejen ist, der von der Not der Gemeinden und dann davon gesprochen hat, daß der Staat diese Steuer eigentlih gar niht nötig habe. Wenn ich Jhnen aber sage und Sie werdet, es ja demnähst selbst an den Haushalt sehen —, daß unser neuer Haushalt mit einem Defizit

ven ungefähr 8—9 Milliarden abschließen wird, dann, glaube

ih, ist es sehr shwer, sih auf den Standpunkt zu stellen: der Staat hat dieses Geld aiht nötig. Fch glaube, Herr Loenary ih hatte das eigentli}, erwartet hat denselben Fehler gemacht, den gestern im Aufshuß bei anderer Gelegenyeit ein von mix sehr verehrter Kollege von ihm, Herr Dr. Schmedding, gemaht hat. Jh möchte kurz darauf eingehen, weil diese Frage jedenfalls sehr oft wiederkehren wird. Herr Dr. Schmedding hat nämlich ganz fabelhafte Zahlen gegeben über unsere Ueberweisjungen aus der Einkommensteuer, oder vielmehr Zahlen, die das Reich aus der Einkommensteuer an Einnahmen haben würde; er hat gesagt, das übertrage sih natürlich auf den preußischen Staat, also braucht der preußisYHe Staat dieses Geld niht. Jh würde mich freuen, wenn ich Herrn Abg. Dr. Shmedding beistimmen könnte. Aber ih könnte ihm doch nur dann beistimmen, wenn die Einnahmen unter sonst gleichbleibenden wirtschaftlichen Verhältnissen, nament- lih unter Beibehaltung des bisherigen Wertmessers, einseitig steigen würden. Davon ist aber gar keine Rede. Wenn jevt die direkten Reichssteuern so und so viel mehr bringen, so ist das doch weiter nichts als ein Zeichen dex allgemeinen Geldentwertung, die man nicht einseitig vom Standpunkt der Einnahmen aus be- trahten darf. Ob sie bei cinem Stande der Mark von so und so viel, ih will mal sagen, Einnahmen und Ausgaben von 50 Mil= lionen haben oder bei einem entsprechenden Stande der Mak Einnahmen und Ausgaben von 500 Millionen, ist selbstverständ- lich wirtschaftlih völlig gleichgültig; es ist aber ganz ausgeschlossen, daß Sie allein die Einnahmen herausgreifen und sagen: iyr habt ja so und so viel Einnahmen. Nein, meine Damen und Herren, entsprehend der Geldentwertung sind das liegt auf der flaGen Hand nicht nur unsere Einnahmen, sondern und zwar leider niht nur entsprechend, sondern mehr unsere Ausgaben ge- stiegen. Jch glaube, daß jeder in seinem privaten ‘vie 1m ö*fent- lichen Leben die Erfahrung macht, daß die Steigerung der Ein- nahmen im allgemeinen der Steigerung der Ausgaben nachhinkt (sehr richtig), und desbalb ist cs ganz unmögli, diese Theorie aufzustellen, weil das Reich, weil der preuz!che Stat aus der Reichssteuern so und so viel mehr Einnahmen hat, sci er in der Lage, diese Steuer zu entbehren.

Nun, meine Damen und Herren, muß ih aber doch mit ein

Sie können also den Charakter.

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