1901 / 25 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 29 Jan 1901 18:00:01 GMT) scan diff

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Gesundheitsamt der Seuchenfrage eine besondere Aufmerksamkeit widmen foll. Das Kaiserliche Gesundheitsamt hat aber keine Erekutiv- befugnisse. Einen Streit in dieser Frage zwischen den einzelnen Bundeëstaaten herbeizuführen, ‘die am Rhein liegen, ist eine heifle

© erinnere nur an den Streitfall zwishen Hessen und Baden. Diese Sache sollte partikularistishen Händen entzogen werden ; fie gehört nah der Verfassung zur Kompetenz des Bundesraths. Die Erklärung des Staatssekretärs hat uns sehr enttäuscht.

Abg. Singer (Soz.) führt aus, die Beschäftigung der Frauen in den Konsumbvereinen könne doch nit mit der gesundheits\{ädlichen Beschäftigung der Frauen in den Gruben und Hüttenwerken verglichen werden. dem Abg. Stoecker solle Neligion als Privatsache un- mögli sein; er (Redner) weise ihn nur auf Amerika hin, wo es that- sählih so sei, und der Staat sich in keiner Weise einmishe. Nach einer längeren Polemif gegen die Ausführungen des Abg. Stoecker in der vorbergehenden na wendet sich Nedner gegen den Abg Dr. Oertel, dem gegenüber er erklärt, die sozialdemokratische Partei sei für die Gründung und Handlungen der Konsumvereine niht verantwortlih, wohl aber habe die fozialdemokratishe Presse wiederholt si für bessere Be- zahlung der Angestellten der Konsumvereine ausgesprochen. Als am Sonnabend der Abg. von Siemens von den Getreidezöllen ge\prochen, habe er vor seinen neuen Standesgenossen auf der Rechten eine Ver- beugung gemacht, indem er sagte, die Nechte stelle die meisten Ver- waltungsbeamten und Offiziere. Jm übrigen sei jedoch die Haltung des liberalen Bürgerthums gegenüber der Getreidezollfrage eine recht s{chwählihe, dadurch erweise es den Agrariern einen Dienst. Bereits habe der Reichskanzler vor den Agrariern im preußischen Abgeordnetenhause fkapituliert, und bereits trieben die Konservativen in Bezug auf die Kanalvorlage Obstruktion. Aber traurig sei es, daß im preußischen Abgeordnetenhause, dieser Karikatur einer Volksvertretung (Vize-Präsident Þ)r. von Frege ruft den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung), daß in dieser Klafsenvertretung über die Getreidezollfrage entscheidende Erfklä- rungen abgegeben werden. Auf der einen Seite nehme das Reichs- amt des Innern Geld vom Zentralverband deutscher Indu- ftrielleÊ, und auf der anderen Seite sollten dem deutfchen Volke zu_ Gunsten einer vers{chwindenden Zahl von Großgrund- besißern Hunderte von Millionen abgenommen werden. Zentrum und Nationalliberale sche man in der Gefolgschaft des Bundes der Landwirthe. Würde wegen der Getreidezollfrage an das Volk appelliert und der Reichstag aufgelöst, \o würden bei der Neuwahl die Brotwucherer dezimiert werden, troß aller ministeriellen Unter- stüßung. Das Volk müsse aufgerüttelt werden. Es müßte eine elementare Bewegung hervorgerufen werden unter der Devise, daß mit dem Volk ein s{händliher Brotwucher getrieben werde.

Abg. Dr. Arendt (Np.): Wie kommt Herr Singer zu folchen Angriffen, da doch eine große Mehrheit dieses Hauses auf dem Boden höherer Getreidezölle steht? Herr Singer sollte doch der Volksfouveränetät soviel Achtung zollen. L ndelsverträge à la Caprivi sind beute unmöglich; dazu hat das Volk seit 1892 zu viel Erfahrung. Von Obstruktion bei der Kanaivorlage im Abgeordneten- hause is mir nichts bekannt; ich fenne nur die Obstruktion, welche hier / im Reichstage bei der lex Heinze unter Führung des Herrn Singer getrieben worden ist. Herr Singer spricht wieder von Subsidien, welche das Reichsamt des Innern bezogen hat, und hat damit wieder einmal eine jener unverantwort- lichen Uebertreibungen geleistet, mit denen die Herren unbekümmert um die Feststellung der Wahrheit das öffentliche Leben vergiften. Den Inhalt des sogenannten „Scheiterhaufenbriefes“ mißbilligen wir entshieden; aber zwishen diesem Brief des Abg. Stoeter und dem angeblichen Brief des Bischofs Tuer, welch leßterer Brief sih überhaupt nicht bewahrheitet hat, ist doch ein himmelweiter Unterschied. Dr. Peters ist durch diese Geschichte mit dem Tutcker- Brief ins englische Lager getrieben worden; diese betrübende That- sache steht allerdings aktenmäßig fest. Herr Singer spricht von Orgien der Niedertracht und meint damit die Arbeitswilligen-Vorlage. (Redner sucht längere Zeit vergeblih in seinen Akten. Pause.) Ich komme in anderem Zufammenhang darauf no& zurück. Daß das Ausland den Zoll trägt, wird von uns nicht behauptet, aber Ausland und Inland tragen gemeinsam den Zoll. Russen und Oesterreiler machen uns doch den Vorwurf, daß wir durch böhere Getreidezölle die Handels- verträge unmöglich machen. Wenn es \ih nur um ein paar Tausend Großgrundbesiger handelte, würde doch nit das deutsde Volk eine fo ansehnliche abl von Abgeordneten mit der Forderung der Erhöhung des Schutzzolls auf Getreide hierher schicken. Mit dem Koalitionsreht hatte der §F 8 des Gesetzes, der Zuchthaus androhte, garnichts zu thun. Nicht die Gegner, fondern die Freunde des Kanals auf der Necbten wünschen die Rolltorifvorlage, vor der Entscheidung über den Kanal erledigt, da sie sih davon eine Verbesserung der Aussichten für den Kanal erre Herr Singer ereifert fich über den preußischen Land- tag; über die Berliner Stadtverordneten-Versammlung, die sich ebenfalls E des Dreiklassenwahblsystems mit der Getreidezollfrage beschäftigt, ver- liert er kein Wort. Herr Singer \priht von Religion als Geschäfts- ae ih möchte doch dringend bitten, in einem folchen Tone von Dingen niht zu reden, die Anderen höher stehen und beilig sind. Herr Saunders wird, wenn er wirkli die mitgetbeilte Absicht haben sollte, bei den englischen Arbeitern keinen Anklang finden. Das Volk bat doch noch ret viele Rechte, wie {hon die Zahl der Sozial- demokraten im Reichstag beweist; ob im Zukunftsstaat so viele Nechte vorhanden sein werden, bezweifle ih. Den „Vorwärts“ - Artikel vom 18. Januar hat Herr Singer selbst als einseitigen binstellen müssen. Wie man durch den Reichstag die Nepublik in Deutschland cinführen will, ist mir dunkel: es gehört doh auch der Bundesrath dazu. Steinhauer bebauptet \{lankweg, daß der Bauer im Besitz bis zu 20 Morgen keinen Vortheil von böberen Getreidezöllen hat. Wäre das der Fall, so würde die Zabl der Anhänger des Bundes der Landwirthe unter den kleinen Bauern nicht so groß und die Zabl der Mitglieder des „Nordost“ nicht o flein sein. Herrn Fischbeck wird Fürst Bismarck wobl selbst noch ausführlih antworten; ih möchte nur feststellen, daß die Partei des Herrn Fischbeck bisber als Manchesterpartei sich jeder Sozialpolitik widerseßt hat. Nur wenn wir die Landwirtbschaft und die Industrie existenzfähig erhalten, können wir auch Wéeltpolitik treiben, und daher ist der Schuß der nationalen Arbeit für Land- wirth\{aft und Industrie “nah meiner Ansicht eine unbedingte Notb- wendigkeit. Die Rede des Herrn von Siemens bat sich wieder einmal auf das alte, durch die Thatsachen längst widerlegte Maltbusianiscbe Gesetz gestüßt. Auch die Vermehrung der Getreideproduktion ist nur cines e des Kapitals und der Rentabilität ; an sich ist in Deutsch- land noch eine ganz erbebliche Vermehrung der Getreideanbaufläche möglich. Wer den Zoll zahlt, ist überwiegend eine Frage der Kon- junktur. Der Pakt von 1878 zwischen Landwirthschaft und Groß- industrie hat es ganz besonders Herrn von Siemens angethan : damals bieß es: Hobe Getreidezölle gegen hobe Industriczölle! That- sählich war damals ein Zoll von 50 A vorgeschlagen, - der nur auf 1 M4 erbôht wurde. Seitdem hat die Industrie sh zu großer Blüthe entwickelt, und {uld daran ist auch nach Herrn von Siemens die Landwirthschaft. Die Verantwortung dafür wird die leßtere gewiß ern tragen. Herr von Siemens \yricht von einer Erhöhung des rbeiterbudgets um 30 # durch den böberen Getreidezoll, sodaß der täglihe Lohn ‘um 10 4 für jeden Arbeiter er- höht werden müßte. Würden alle E aes aufgehoben, dann’ würde die Landwirthschaft unrentabel, die Arbeiter drängen in die Städte und drücken dort die Löhne“ auf einen nie dagewesenen Tiefstand, und das Ende wäre eine Katastrophe. Damit wäre doch gewiß auch nah Herrn von Siemens der Bevölkerung nit geholfen. Die For- derung der Getreidezollerhöhung wird nit allein von den 25 000 Groß- ge , den ostelbishen Junkern vertreten. In meinem hlfreise spielt der Großgrundbefiß gar feine Rolle, sondern der feine Bauer berrs{t dort vor, und der fagt, wenn nicht bald Hilfe kommt, so kommt sie zu spät. Würde selbst der ganze Zoll vom Jn- lande getragen, fo fiele er nit aus\schließlich auf die Arbeiterschaft : die landwirtbschaftlichen Arbeiter hätten ja überhaupt - keinen Theil daran. Redner rihtet dann noch an den Staatssekretär einige Fragen, welche auf die Geshäftsführung der Reichsbank Bezug haben.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Daß der Etat des Reichsamts des Innern ein sehr großet ist, das weiß ih schon lange, daß er aber fo umfangreich ist, habe ih erst durch die Verhandlungen der leßten 10 Tage erfahren. (Heiterkeit.)

Es ist hier auf eine Erklärung Bezug genommen, die der Herr Reichskanzler Graf von Bülow im Hause der Abgeordneten abgegeben hat. Ih möchte gegenüber den Angriffen, die aus diesem Anlasse gegen den Herrn Reichskanzler gerichtet worden sind, darauf hinweisen, daß der Herr Reichskanzler gleichzeitig auch preußischer Minister- Präsident ist (sehr wahr! rechts), und daß er demgemäß seine Erklärung im Abgeordnetenhause abgegeben hat als preußisher Minister- Präsident, indem er bei der Debatte klarlegte, auf welchem Stand- punkt er und die preußische Regierung steht. Im übrigen hat der Herr Reichskanzler nur aufs neue in seiner Eigenschaft als preußischer Minister-Präsident bestätigt, was bereits seitens eines Staatssekretärs des Reichs, des Herrn Freiherrn von Thielmann, in der Budget- kommission als Ansicht der verbündeten Regierungen erklärt worden war. (Sehr richtig! rechts.) Jch kann also nicht zugestehen, daß durch die Erklärung des Herrn Grafen von Bülow, die er im preußischen Abgeordnetenhause abgegeben hat, irgendwie die verfassungs- mäßige Schwerkraft verlegt sei. (Sehr richtig!)

Ich bitte um Entschuldigung, wenn ih nunmehr auf eine Reibe von Einzelheiten eingehe, die mit dieser Zolldebatte nihts zu thun haben. Der Herr Abg. von Heyl is wiederum auf die Frage des Zustandes der deutshen Ströme zurückgekommen. Jh babe dem ver- ehrten Herrn Abgeordneten erklärt, daß ih \achlich über die That- sachen mit ihm vollkommen einverstanden bin; ih kann ibm aber nicht zugestehen, daß eine Differenz vorliegt zwischen dem, was ih erklärt habe bei Gelegenheit der Berathung des Gefeßes zur Bekämpfung gemeingefährliher Krankheiten, und dem, was ich erklärt habe in den leßten Sißungen des hohen Hauses. Jh glaube, der Herr Abg. Freiherr von Heyl würdigt doch nit ganz die Bedeutung der Einrichtung, die wir zu trefen im Begriff sind. Nicht das Kaiser- liche Gesundheitsamt soll in dieser Frage in Thätigkeit treten, sondern eine besondere Abtheilung des neugebildeten Reihs-Gesund- heitsrath8, die aus hervorragenden Sachverständigen aller der Branchen zusammengeseßt sein wird, die bei Beurtheilung des Zu- standes der Flußläufe überhaupt in Frage kommen fönnen.

Ich glaube auch nicht, daß, wie der Herr Abg. Freiherr von Heyl annimmt, man die Zuständigkeit des Reis im vorliegenden Falle auf Art. 4 Nr. 9 der Reichsverfassung begründen kann; denn Art. 4 Nr. 9 der Reichsverfassung überweist dem Reich nur die Beaufsichtigung und Gesehgebung über die Flößerei und den Schiffahrtsbetrieb auf den mebreren Staaten gemein- samen Wasserstraßen und über den Zustand der leßteren. Mit anderen Worten ist hier meines Erachtens dem Reih nur die Aufsicht über den Zustand der Flüsse überwiesen, insoweit er für die Flößerei und den Schiffahrtsbetrieb in Frage kommt, aber eine hrgienische Aufsicht in der Nichtung, wie der Herr Abg. Freiherr von Hevl sie annimmt, ist durch dies e Bestimmung der Reichsverfassung dem Reiche nit eingeräumt, vielmehr kann \ih die Zuständigkeit des Neichs in Bezug auf den Zustand der Flüsse in hygienischer Beziehung nur auf, Art. 4 Nr. 15 stüßen. Nun liegt bereits, wie ich {hon in einer der vorigen Sitzungen erklärt habe, dem Bundesrath ein Antrag vor, der die Kompetenz jener Abtheilung des Reichs-Gesundheitsraths regeln will, und ih glaube, wenn der Herr Abg. Freiherr von Heyl diesen Antrag, den ic, da der Bundesrath sih darüber noch nicht s{lüssig gemacht hat, bier noch nicht mittheilen kann, fennen würde, so würde ein erheblicher Theil seiner Bedenken beseitigt sein. Aber das kann ih heute s{hon sagen: ih kann mich nit der Hoffnung hingeben, daß die verbündeten Regierungen irgend einer geseßlihen Regelung oder einer Verwaltungsmaßregel ihre Zustimmung ertbeilen werden, wo- durch eine Reichsinstanz geschaffen würde, die in der Lage wäre, erxekutiv einzugreifen in die Kompetenz der Einzelstaaten soweit es sich um Beaufsichtigung der Flußstrecken bandelt, die inner- halb der einzelnen Bundesstaaten liegen. Jh meine aber, daß aus diesem Ausschuß des Gesundhbeitsraths sih sehr wobl eine Institution entwickeln kann, die ein solhes Shwergewicht hat, daß durch ihre Einwirkung die Mißstände, die der Herr Abg. Freiherr von Heyl meines Erachtens durchaus zutreffend gekennzeichnet hat, in Zukunft vermieden werden werden.

Man ift gestern auh wiederum zurückgekommen auf einen Gesetz- entwurf, der denjenigen eine Unfallrente zusichern soll, die beim Retten und Bergen verunglücken. Der Herr Abgeordnete der sozialdemokratishen Partei war der Ansicht, daß ein solcher Gesetzentwurf niht nöthig sei, denn das See-Unfallgesep und die Strandungsordnung böten voll- kommen die Gelegenbeit, denjenigen, die bei solchen Nettungs- versuchen verunglüdcken, cine entsprehende Rente zu gewähren. Es ist das eine Frage der Interpretation. Ih glaube nit, daß die bestehenden Gesege son alle die Personen, die beim Bergen in Frage fommen fönnen, umfafsen. Aber der Antrag, der hier befürwortet wurde, bezog si ja nicht nur auf das Bergen bei Schiffsunglüen, sondern vor allen Dingen auf das Retten bei Brandfällen, und da geben meines Erachtens die bestehenden Unfallgeseße keine Handhabe, solchen Personen, soweit sie niht schon an sich versicerungépflichtig sind, eine Rente zuzusichern. Jch gestehe also ohne weiteres zu, es ist hier noch eine geseylihe Lücke, die wohl verdient, mit der Zeit ausgefüllt zn werden.

Es ift weiter die Frage angeregt, ob die Berufsgenossenschaften berechtigt sind, privaten wirthschaftlihen Vereinigungen beizutreten, und ebenso ist gerügt worden, daß die Vorsitzenden von Berufs- genossenshaften hohe Gehälter beziehen, die mit ihren Leistungen in gar feinem Verbältniß stehen. Bezüglich des leßteren Punktes ist jeßt das Reichs-Versicherungsamt befugt, einzuschreiten und eventuell Einspruch zu erheben gegen die Festseßung zu hoher Gehälter. Ich glaube, “sowohl in dem ersten von mir berührten Punkt wie in dem zweiten wird das Reichs-Versicherungsamt entscheiden, erstens ob auf Grund der bestehenden Gesetze die Berufsgenossenschaften be- fugt find, wirthschaftlichen Vereinigungen beizutreten, und zweitens wird es eine Revision eintreten lassen da, wo in der That tie Vor- sitzenden von Berufsgenossenschaften Gehälter beziehen, die mit ibren Dienstleiftungen in keinem verständigen Verhältniß stehen.

Es ist gestern viel polemisiert worden über den berühmten & 616 des Bürgerlichen Geseßbuchs. Aber der Herr Redner der sozial- demokratishen Partei hat selbst anerkennen müssen er ist ja

Jurist —, daß es zweifelhaft sei, cb man den § 616 des Bürger; Geseßbuchs durch Vertrag aus\{ließen könne oder nicht. Ich bin feft überzeugt, daß im Laufe der Zeit hierüber ein Erkenntniß des Gerichtshofs ergehen wird. So lange aber die Frage ¿weifélhaft ist " lange nit eine endgültige Interpretation durch den bösen Gers

hof stattgefunden hat, wird man faum jemandem nachfagen fönnen, :

daß er gegen bonos mores verstößt, wenn er diesen 8 616 vertrags. mäßig aus\{ließt. Wie die Frage nah ihrer sozialpolitischen Seite hin liegt, will ih hier nit erörtern; denn dazu ist das möchte ih gegenüber dem an mi gerichteten Appell erwähnen der Staats. sekretär des Innern nicht stark genug, um auf Privatarbeitgeber cinen allgemein erziehlichen Einfluß auszuüben.

Es ist weiter an mich appelliert, ih sollte die Rechte der Gewerbe. Inspektoren, die nah Auffassung des Herrn Vorredners in einem Fal verlegt sind, vertreten. Ich muß dem gegenüber einwenden, daß tj Gewerbe-Inspektoren niht Reichsbeamte, sondern Landesbeamte sind und ich garnicht in der Lage bin, den Gewerbe-Inspektoren irgend: welche direkte Anweisungen zu geben. Werden die Rechte der Gewerbe- Inspektoren verleßt, so ist es Sache der betreffenden Landesbehörde, für ihre eigenen Beamten einzutreten. Jh bin fest überzeugt, dag werden die Landesregierungen in geeigneten Fällen thun. Es ift auch hier auf das Schreiben Bezug genommen, daß sich auf cine Unterhaltung mit dem Herrn Minister Brefeld bezieht. Herr Minister Brefeld hat mir erklärt, daß eine solche Unterredung unzweifelhaft stattgefunden hat, daß er si aber selbstverständlih nach"bier Jahren niht mehr entsinnen könne, ob das, was er damals gesagt, vollkommen richtig in seinem Sinne wiedergegeben sei oder nit, daß er im übrigen diese Erklärung als preußisher Staats-Minister abgegeben habe und, wenn er im preußischen Abgeordnetenhause darauf an- gesprochen würde, er seinerseits dort auch die nöthigen Erklärungen zur Sache abgeben würde.

Es ist au den verbündeten Regierungen daraus ein Vorwurf gemacht worden, daß die Gewerbeordnung in Bezug auf die Haus- industrie noch nit in Kraft geseßt sei. Wir baben, meine Herren, Erhebungen in der Zigarrenindustrie angestellt. In der Spiel- waarenindustrie weitere Erhebungen anzustellen, ist nicht nöthig. Die traurigen Zustände, die in der Spielwaarenindustrie bestehen, sind uns vollkommen bekañnt.

Die Hausindustrie, betreffend die Herstellung von Zündholz- waaren, ist jeßt bereits durch das Geseß verboten. Ünd troßdem haben wir bier gehört, wie unendlich {wer es ist, wirksam zu ver- hindern, daß diese gefährliche Industrie heimlih fortgeführt wird. Es ist das ein Beweis, wie {wer es ist, überbaupt wirksam in den Bereich des Hauses einzugreifen.

Auf die übrigen Beschwerden, die gegen die meiningenshe Re- gierung erhoben sind, kann ih nicht eingehen. Das sind Details, die meines Erachtens im meiningenschen Landtage zur Sprathe | gebradt werden müssen. Aber ih erkenne ohne weiteres an, daß schwere Miß- stände in der Hausindustrie bestehen. Es ist indeß leicht zu fordern, diese Mißstände fofort zu beseitigen; man steht dann aber auch sofort vor der Nothwendigkeit, die Hausindustrie überhaupt zu verbieten. Die mißlihen Wohnungsverhbältnisse, die Herstellung von ungesunden Waaren in denselben Räumen, wo .gekocht wird, wo die Leute wohne und schlafen, steben eben einer thatsählihen Abhilfe hindern im Wege. Es heißt das nichts anderes, als den Leuten ein- fah den Gewerbebetrieb verbieten. Man kann also in dieser Dingen nur sehr shrittweise vorgehen. Das Geseß, das JIhnén seiner Zeit vorgelegt werden wird, das Gesetz, betreffend die gewerblihe Kinder- arbeit, wird au in die Familie eingreifen müssen und wird auch auf dem Gebiet der Hausindustrie einzelne Mißstände zu beseitigen suhen. Jch bitte also dringend, daß die Herren sich gedulden, bis jenes Geseß vorgelegt wird.

Was die Wünsche des Herrn Dr. Arendt anbetrifft bezüglich der früheren Erstattung des Berichts der Reichsbank und der früheren ein- jährigen Publikation unseres Goldbestandes, so werde ih mi dieser- halb mit dem Herrn Reichsbank-Präsidenten in Verbindung fegzen.

Meine Herren, ih komme noch auf einen leßten Punkt zurück, der mir am Herzen liegt. Einer der Herren Vorredner hat wieder be- hauptet, daß die Einführung der sozialpolitischen Gesetzgebung ‘längft vor der Kaiserlichen Botschaft angeregt wäre und garnicht so sehr das Verdienst der verbündeten Regierungen und der monarchischen Spiße im Deutschen Reiche gewesen sei. Jch gestatte mir, demgegenüber auf einen Artikel des „Vorwärts“ vom 3. August 1898 Bezug zu nehmen, der meines Erachtens in durchaus sachliher Weise die Verdienste an- erkennt, die in der Allerhöchsten Botschaft Kaiser Wilbélm's I. und in der Thätigkeit seines großen Staatsmanns ibren Ursprung haben. Es beißt dort wörtlich:

„Was nun die Erfolge der „positiven Förderung des Wohls der Arbeiter“, die Zwangsbetsicherung, anbelangt, so wird man beute anerkennen müssen, daß sie immerhin größer sind, als man anfangs seitens der Gegner glaubte. . . . Auf diesem Gebiete fteht heute Deutschland an der Spitze aller Staaten

(hôrt! bört!. rechts); : selbst aus dem leßten Bericht der englishen Kommisstón, welche zur Prüfung der Altersversorgungspläne eingeseßt war, klingt etwas wie Neid gegen die deutshe Jnstitution beraus. . . . Es ift jedoch andererseits ein Beweis, daß in dem Geiste Bismarck's viel Zeit- gemäßes und Nichtiges \teckte.“

Es beißt weiter :

„Das ‘persönliche Verdienst des Fürsten Bismarck war die un- bestreitbare Energie, mit der er den einmal gefaßten Entschluß gegen alle Widerstände, selbs aus konservativen Kreisen, durh- führte; ohne den überragenden Einfluß des Fürsten wären die Vor- lagen, die so oft ins Stocken geriethen, vielleicht ganz zum Scheitern gekommen.“

(Sehr richtig! rechts.) Und \{ließlich heißt es bort noch:

„Ebenso unbestreitbar ist jedo, daß auch das entwideltste freie Kassenwesen das in England die arbeitsunfähigen Arbeiter in Tausenden von Fällen“ unents{ädigt läßt, in denen sie béi uns in Deutschland, wenn auch mit minimalen Beträgen, ber Unkérstlißuris gewiß sind.“

Meine Herren, das ist also eine Erklärung aus einem Artikel des „Vorwärts“ vom 3. August 1898 (hört! hört! rets); undi glaube, hierin liegt ein, wenn auch nur bedingtes, Anerkenntniß dessén, was gerade die monarchischen Regierungen auf diesem- Gebiete! geleistet haben (sehr rihtig! rechts), und daß sie auf viesém Gebiete etwas geleistet haben, was Staaten mit republikanisher Verfassung biéher niht zu stande gebracht haben. (Seht richtig! rechtó:)

_Her Herr Abg. Singer ist endli wieder auf sein Bekenntniß urüdgekommen, daß die Sozialdemokratie republifanijch sei und die (inführung der Republik durh eine Aenderung der Verfassung herbei- führen wolle. Meine Herren, wenn Sie (zu den Sozialdemokraten) eine Arbeiterpartei sein und dadur das Loos der Arbeiter verbessern wollen, so, wiederhole ih, halte ih diese Verquickung von wirthschaftlichen Bestre- bungen zu Gunsten der Arbeiter mit einem derartigen politischen Ziele für cinen taktischen Fehler. Aber, meine Herren, wir können darüber geruhigt fein! Seit Jahrtausenden ist der {hönste Zug des deutschen Yolkscharakters die Treue, und solange das deutsche Volk nit feinen gmzen Charakter ändern sollte, werden die deutshen Menarchien fest- sehen auf cinem rocher de bronce, und Sie werden Jhre Ziele nit erreijen. Es werden Velleitäten bleiben, aber nie geschichtliche Thatsachen werden. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Abg. Gamp (Rp.): Der Staatssekretär Freiherr von Thiel- mann hat im_ vorigen November besonders betont, daß in Deutschland im Herbst 1900 der Goldstand sehr steif war, sodaß man die 80 Millionen niht ohne Furcht vor Diskonterhöhung in Deutsch- sand placieren zu können glaubte; troygdem hat sich die Börse und die Haute financeo zu demselben O mit einer solchen Menge fremder Anleihen an den Markt gewandt. Jch werde nicht ermangeln, immer und immer wieder auf dieses un- patriotishe Verhalten der Börse hinzuweisen. trr von Siemens wirst den Landschaften Treubruch vor, weil sie konvertiert haben. Die Landschaften haben den Zinsfuß niht gemaht. Wohl aber waren gewi andere Konvertierungen ein Treubruch, denn das Publikum hätte Jeiner Zeit die betreffenden Papiere nur genommen, weil es die Konvertierung für aus eshlossen hielt. Ich komme nun noch mit einigen Worten zu den Agrarzöllen. Herrn Singer bestreite ih das Necht, im Namen der Arbeiter zu sprechen. Die ganze Be- völférung, des platten Landes und die Tausende von Fabriken, die von der Landwirthschaft unterhalten werden, haben ein s Inter- esse. an dem FEN M SL genen der Landwirthschast. Die große Mehr- heit der deutshen Bevölkerung ist an dem Ergehen der Landwirth- daft und also an höheren Getreidezöllen etheiligt, damit die Arbeiter angemessen gelöhnt werden können. Die Herren von links verweisen den kleinen Landwirth auf die Viehproduktion. Jch bedaure da sehr, Herrn von Siemens in der Gefellshaft der Herren Stein- hauer und Singer zu sehen. (Präsident: Das ist keine angemessene Bemerkung, wenn Sie sagen, Sie bedauern einen Abgeordneten in der ellschaft zweier anderen zu sehen.) Ein Blick in die Praxis, ein Blick auf die Marktberichte von den Vichhöfen lehrt ja das Ungereimte des Vorschlags, daß die kleinen Land- pirthe alle zur Schweine- oder Nindviehzucht übergehen \ollen. Auch hat Herr von Siemens von den Os par Zahlen nur diejenigen gefunden, die ihm passen. Das Nindvieh des Großgrundbesißters ist 5 bis 4 mal so werthvoll wie das Kleinvieh des kleinen Land- wirthes. Der kleine Grundbesiß ist garniht in der Lage, die Rind- viehzuht zu pflegen, er ift angewjesen auf Kälber und Schweine, und damit ist er ganz hervorragend an der Höhe der Getreidezölle interessiert. Der Herr Steinhauer hat über mein Verhältniß zu meinen Arbeitern ein günstiges Urtheil gefällt: ich wünsche nur, mich f. Z. revanchieren zu können. Jn den Verein „Nordost“ bin i bros meiner Meldung nicht aufgenommen; denn ich müßte in allen Punkten mit dem Verein einverstanden sein, {rieb mir Herr Steinhauer, nicht allein mit der Tendenz der Hebung des kleinen Grundbesißes. (Zuruf links.) Der Bund der Landwirthe würde auch Sie, Herr Bachni e, aufnehmen. Liegen die Verhältnisse im „Nordost“ so, dann kann man sich über die Einstimmigkeit seiner Beschlüsse nicht wundern. Ob bei allen Mitgliedern des „Nordost“ fo intensive Krankenfürforge stattfindet, wie bei mir, weiß ih auch nicht. Jeden- falls wäre es sehr angezeigt, wenn wir einmal in den Kreisen des eNordost“ diese Frage diskutierten; ich würde gern hinkommen und referieren und bin überzeugt, die Herren würden \ih auf meine Seite stellen. Herr von Siemens sagt, die Landwirthschaft sei zurü- gegangen. Sein Fraktionsgenosse Barth hat wenigstens immer an- ertannt, daß die deutsche Landwirthschaft auf der Höhe der Zeit steht. ett von Siemens hat mir Unkenntniß in Banksachen vorgeworfen.

6 will ihm den Vorwurf nicht zurückgeben, aber seine Aus- führungen über landwirthschaftliche Dinge befähigen ihn nah meiner Meinung au nicht, ein Fideikommiß mit Erfolg zu bewirthschaften. Der Bauernstand muß erhalten bleiben, er ist die sicherste Stüte der nationalen und wirthschaftlihen Ordnung. Es kann in der That noch schr viel Land gewonnen werden zum Getreidebau; vor 10 Jahren gab es allein an Brachen und Oedländereien drei Millionen Hektar. Auf Sandboden oder leihtem Boden mit Erfolg Viehzucht zu treiben, ist doch wirklich niht mögli. Wie uns Herr Siemens jeßt rathen kann, wir wollten die Industrie, der wir auf die eine geholfen haben, wieder vernihten, verstehe ih nicht. Die Industrie sollte jeßt den Dank uns abstatten, den sie uns seit 1879 s{uldet; sie sollte jeßt eintreten für hohe Getreidezölle, um die Landwirthschaft in den Stand zu seßen, die Arbeiter zu be- [ten, die sie noch hat. Auch in der Industrie wird es hoffentlich von jeßt ‘ab von Herrn von Siemens heißen: Mein Freund fannst Du nicht länger sein! Ï heimer ODber-Regierungsrath im Ministerium für Handel und Gewerbe Wendelstadt: Es sind hier in Bezug auf die Zulassung frèmder sMentenpaptere Bemerkungen gefallen, welche die Deutung zu- lassen, als ob die Regierung, insbefondere die preußische Negierung, ihre Pflicht nicht gethan hätte. Jh muß dies zurückweisen. Das Börsen- aen bestimmt, daß folche Emissionen nicht zuzulassen sind, durch welche erheblihe allgemeine Interessen geschädigt werden; au hat der vreußishe Minister eine regelmäßige Kontrole angeordnet. Nach der vexiaguns der Regierung ist gegen das Börsengeseß in keinem Falle toßen worden.

Um 81/2 Uhr wird die weitere Berat auf Diensta 1 Ubr vertagt. Ó MRA auf y G

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 13. Sißung vom 28. Januar, 11 Uhr.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts- Etats für 1901 wird im Etat der landwirthschaftlichen Verwaltung bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei dem Titel „Gehalt des Ministers“, fortgeseht.

Der Abg. Herold (Zentr.) beantragt:

„dié Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in Ergänzung des

i dam über die Schlachtvieh- und Fleischbeshau baldigst

einen Geseßentwurf vorzulegen, betreffend die Einrichtung öffentlicher

Schlachtviehversicherungen in Verbindung mit Maßnahmen zur an-

gemefsenen Verwerthung der verworfenen Theile des Schlachtthieres, und zwar unter Beihilfe von staatlichen Mitteln“.

Abg. Herold: Der Reichstag hat bei Berathung des Fleisch- beschau ches eine Resolution, betreffend die Einrichtung öffentlicher Schlachtvie ersiherungen dur die Landesgesetzgebung, angenommen. Dieser Resolution entspricht mein Antrag. Die privaten Viehversiche- rungsgesellshaften fönnen ihre Aufgaben nicht vollkommen erfüllen, D A [ofal beshränkt sind und der Beitritt nur ein [aNdiliger ist. e

iherung muß einen obligatorishen Charakter erhalten.

In Verbindung damit menen Maßnahmen getroffen werden, damit e

u untaugliches Fleisch angemessen _verwerthet werden kann. dur könnten die Beiträge für die Versicherung geringer werden. e Apparat muß möglichst einfach und darf nidht bureaukratis{

gemacht werden y Gamp (freikons.): Der Antrag Herold stellt auf den allein ri gen Standpunkt, indem er \sih auf das Schlacht be-

schränkt. Die bisherigen Versue in dieser Nichtung sheiterten daran, daß man verlangte, daß der Verluft jedes einzelnen Viebes erseßt werden sollte. Es liegt hier ein öffentliches Interesse vor, es ist aljo erer nst, daßder Staat mit seinen Mitteln eingreift. Die Verwaltung wird den Landwirthschaftskammern angegliedert werden fönnen, der Staat soll nur finanziell helfen. Die Kosten werden \ih niedriger stellen als biéher. Wir haben in manchen Gegenden son eine Zwangéver- sicherung; dieser Zwang wird aber von den Händlern ausgeübt. Sie machen an diefer Versicherung ein mehr oder minder glänzendes Ge- schäft. Jch bitte, den Antrag anzunehmen. 5 A

Abg. Ring (fkonf.): Wir stehen dem Antrag \ympathisch gegen- über. Seitens der Konferenz der Landwirthschaftskammern sind aber bereits die nöthigen Schritte gethan, die Zentralstelle der Landwirth- schaftskammern hat einen Geseßentwurf aufgestellt, der morgen weiter berathen werden foll. Die konservative Fraftion wird dann den Ent- wurf im Hause als Antrag einbringen.

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- etn:

Meine Herren! Nach den eben gehörten Darlegungen erübrigt es si, zu dem materiellen Inhalt des Antrages schon jeßt Stellung zu nehmen. Das würde auch niht den Grundsäßen der bisher geltenden Praxis der Staatsregierung entsprehen. Die Staats- regierung nimmt grundfäßlih erst dann zu solchen Anträgen Stellung, wenn sie als Beschluß des Hauses vorliegen. Die Königliche Staats- regierung fann abwarten, ob von der fonservativen Partei dem Hause ein entsprehender Geseßentwurf vorgelegt werden wird, welche Be- schlüsse das Haus dazu fassen wird. Nimmt eventuell das Haus den in Aussicht gestellten Antrag der konservativen Partei an, dann wird der Zeitpunkt gekommen fein, zu welchem das Königliche Staats- Ministerium Stellung zu nehmen hat.

Abg. Dr. Crüger (fr. Volksp.): Diese Versicherung liegt aller- dings im Interesse ber Landwirthschaft. Jch soße mich aber daran, daß der Staat für diese Zwecke Mittel zur Verfügung stellen soll. Der Staat foll also mit seinen Mitteln der Landwirthschaft ihr Risiko abnehmen. Dann kann man verlangen, daß der Staat auch allen anderen Geschäfts8zweigen das Risiko abnimmt. Das führt zu sozial- demokratischen Zuständen. Die Herren wollen die sozialdemokratischen Lehren für ihren Zweck ausnußen. Es sollten le Lea gebildet werden; aber der Staat sollte niht mitwirken. Mit demselben Recht kann man eine staatliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit verlangen. Prinecipiis obsta! Der Antrag verläßt den Boden der gegenwärtigen Wirtbschaftsordnung. Wir stimmen deshalb dagegen.

Abg. Lüders - Gronau (fr. kons.): Meine Freunde stehen dem Antrag sehr \sympathish gegenüber, wünschen aber, daß bei der Durch- führung des Fleischbeshaugeseßzes Freizügigkeit für das Vieh ein- geführt wird. i : S : i

Der Antrag wird hierauf mit großer Mehrheit ange- nommen. i: | :

Alsdann findet die allgemeine Debatte über den land- wirthschaftlihen Etat statt.

Berichterstatter Abg. von Arnim (kons.) referiert über die Ver- handlungen der Kommission und die bei denselben zur Sprache gekommenen allgemeinen Gesichtspunkte. Es sei bemerkt worden, daß der feiner Beit angenommenen Refolution, betreffend die Förderung der Viehzucht, des Molkereiwesens und des landwirthschaftlichen Unter- richt8wesens, noch nit in ausreihhendem Maße Rechnung getragen sei.

Abg. von Mendel-Steinfels (konf.): Jch schließe nd diesen Ausführungen vollkommen an. Das Extraordinarium dieses Etats ift im Verhältniß zum Ordinarium besonders stark bedacht; es {eint also, daß man solche Ausgaben, wie für Landeskulturwesen und Wald- wirthschaft 2c., nur als vorübergehend ansieht. Für die Förderung der Viehzucht ist sehr wenig in den Etat eingestellt. Wir finden" nur 21000 Æ zur Förderung der Pferderennen und 50000 im Ertra- ordinarium für die Viehzucht mit Aus\{luß des Geflügels. Andere Länder verwenden mehr dafür. Die landwirthschaftlichen Lehranstalten sind au nicht gut weggekoinmen. Die Landwirth schaftliche Hochschule in Berlin erfährt eine stete Fürsorge dur größere Mittel ; das Gleiche kann man leider nicht von den anderen landwirthschaftlichen Instituten sagen, zum Beispiel dem in Königsberg. Es ist daher zu befürchten, daß das landwirthschaftliche Unterrichtswesen immer mehr in Berlin zentralisiert wird. Den Haushaltungss{ulen ist im Etat gar keine Berücksichtigung zu theil geworden. Die Thätigkeit der Frau ist gerade in der Landwirthschaft von größtem Werth und unentbehrlich. Der Staat sollte einen Beitrag für die Errichtung folcher Schulen geben, wenn man auch nicht verlangen kann, daß er selbst solhe Schulen gründet. Der Staat hat nur einmal 1900 Æ zur Förderung des Molkereiwesens gewährt. Wie steht es mit dem Futtermittel- und Düngergeseßz ? Den Fälschungen auf diesem Gebicte muß endlich geseßlich entgegengetreten werden. Durch das gerippte Steinmebl sind in den leßten Jahren allein in der Provinz Sachsen 300000 Æ Schaden erwachsen. Nah dem technishen Gut- achten beträgt der Werth dieses Mehles 274 „g, der Preis dagegen 4 # Mit Hilfe des Reichsgesezes gegen den unlauteren Wettbewerb und des Lreecungdmiliesgelegen ist diesen Fälschern nicht beizukommen. Zur Bekämpfung der Viehseuchen müssen die MERT geseße von 1880 und 1894 einer Nevision unterzogen werden. ir haben noch immer die Maul- und Klauenseuche. Die polizeilichen Maßregeln sind für die Landwirtbschaft noch \{limmer als der Schaden der Seuchen. Die Seuchen werden von einem Ort zum anderen vershleppt, weil die Desinfektion der Transportmittel nicht durchgeführt wird. Die Gehöfte zu sperren, nüßt nichts, die Seuchen müssen bezirksweise bekämvft werden. Hinsichtlich des Schutzes der Grenzen ist alles geschehen, was geschehen konnte; wir leiden aber noch darunter, daß nach dem österreichishen Handels- vertrag Vieh aus Desterreih bereinkommt, das immer verseucht zu sein scheint. Eine Revision des Viehbandels muß stattfinden, bin- sichtlich des Marktwesens sowobl, wie der Preisnotierung. Von 1875 bis 1898 ist der Fleispreis gestiegen, der Preis des lebenden Thieres digegen gesunken. Für Rinder ist der Preis nah Lebendgewicht in diejer Zeit um 10 0% gesunken, der Preis des Fleisches dagegen um 12 9/9 gestiegen; bei Schafen ist der Preis des Thieres um 12 9/9 gesunken, der Preis des Fleisches um 20 9/5 gestiegen; bei Schweinen ist der Preis des Thieres um 9 9% gesunken, der Preis des Fleisches um 10 0% gestiegen. Die theureren Preise sind also nah diesen amtlichen Zahlen lediglich an den Handel gezablt worden. Es ift ein Hohn, von einer Fleishvertheuerung durch die Begehrlichkeit der Landwirthe zu sprechen. Jch kann bloß dringend rathen, daß im Interesse von Produktion und Konsumtion dagegen etwas geschieht. Nothwendig erscheint es sodann, daß gegen die Tuberkulose bei den Thieren mehr geschicht als bisher, nahdem uns in den leßten Jahren die Tuberkulose în einem ganz anderen Lichte gezeigt worden ist. Wie steht es mit den Ausführungsbestimmungen zur Gewerbeordnungsnovelle über die Regelung der Gesindevermicthung ? Herr Wintermeyer hat sich auf die Landwirthschaftskammer in Wiesbaden berufén. Die Landwirthschaftskammer für Hessen - Nassau hat sich immer besonders der kleinen Leute angenommen. Ich habe mich gewundert über die Kritik dieser Kammer durch Herrn Wintermeyer. Jch protestiere auch dagegen, daß er aus den kleinbäuerlichen Verhältnissen Hessen-Nassaus auf die Landwirthschaft im allgemeinen Schlüsse zieht. Hat er schon je cinen anderen Landwirtbhschaftskammer-Bericht als den von Wiesbäden ge- lesen? Wegen der klimatischen N muß in den nördlichen Gegenden unseres Vaterlandes der Landwirth viel größeren Grundbesitz haben, um den Betrieb überhaupt übernehmen zu können. Ueber Din e, die man nicht kennt, sollte man nicht urtheilen. Man möchte immer be- haupten, Deutschland habe aufgehört, ein Agrarstaat zu fein, und sei Industriestaat geworden. Jn der Statistik der landwirthschaftlichen Bevölkerung sind alle diejenigen nit mitgezählt, die von der Land- wir malt mitleben. Die [andwirthschaftliche Maschinenindustrie, die lillérei und andere Gewerbe gehören eigentlich mit zur

“gerechnet.

Landwirthschaft. Rechnet man alles dazu, fo kommt man zu anderen Resultaten, als wenn man bloß die Zahl ! der in der Landwirthschaft selbs beschäftigte» Personen berehnet. Der Werth der Produktion der Landwirthschaft beträgt 7441 Millionen Mark, aber auch diese Zahl ist cum grano salis zu nehmen, denn bei der Industrie werden alle Halbfabrikate und Rohstoffe mit- Wir halten . daran fest, daß Deutschland ein Agrarstaat ist. Wir wollen keine Liebesgaben, fondern nur unser Ret, und wir werden dafür kämpfen, solange es eine Landwirthschaft giebt.

bg. Dr. Heisig (Zentr.) bespriht das landwirthschaftliche Schul- wesen, die Schlachthausgebühren und die Leutenoth, ohne im einzelnen verständlih zu werden. Er tritt für die Förderung der landwirth- schaftlichen Winterschulen und Fortbildungsshulen und für eine Ver- mehrung der Ackerbauschulen ein. In diesen Schulen müsse au der Religionsunterricht ertheilt werden, nit weil die Neligion die Land- wirthschaft direkt fördere, sondern weil sie den Landwirth in die Lage seße, auch in {weren Zeiten sein Gottvertrauen nicht zu verlieren. Die Religion sei auch der feste Schuß gegen den Umsturz und die Sozialdemokratie. In manchen Kreisen Ober- eR seien die Winterschulen viel zu dünn gesät; man könne den andwirthen nicht zumuthen, ihre Söhne in so weit entlegene Schulen zu schicken. Der Redner bemängelt sodann die Entschä igungen für Flurshäden bei Manövern; die Militärverwaltung lehne zu Unrecht die Entschädigungen o die Schäden ab, welche durch die Zuschauer verursacht werden. Die Abschätßzungskommission nehme ferner die Ab- schäßungen zu spät vor. Dadurch würden weder die Interessen des Militärfiskus, noch die der Landwirthschaft gewahrt.

Geheimer Regierungsrath Dr. Mueller erwidert, daß das land- wirthschaftlihe Schulwesen nit der a ien Verwaltung, sondern den Provinzialbehörden unterstehe. In manchen Fällen Habe der Staat F der Unterhaltungskosten übernommen. Auf die Lehr- pläne der Winterschulen habe die Verwaltung keinen Einfluß.

Abg. Freiherr von Wangenheim (kons, sehr {wer ver- ständlich, da er fortgeseßt nah rechts gewendet spricht): Während der Etat große Summen für Wasserbauten enthält, ist es mir sehr shmerzlih, daß für die Hebung der Viehzuht nicht mehr eingestellt ist. Die Aandwirth bcftolnnuwen namentlih in den ärmeren Provinzen sind bis zur äußersten Grenze bei der Erhebung ihrer Beiträge gegangen. In Pommern muß schon? eine Anleihe aufgenommen werden, um nur das nöthige Material an Zuchtvieh zu decken. Den Abg. Wintermeyer weise ih darauf hin, daß die Aufwendungen der Landwirth- shaftskammern dafür nur dem kleinen Grundbesiß zu gute kommen, die großen Grundbesißer können sih durhweg felbst Zu tvieh halten. Ich fürchte aber, daß, wenn man so weiter geht, die Landwirth- \chaftskammern bankerott gemacht werden. Der gjebige Moment ist gerade geeignet, größere Summen einzustellen. Jh bitte den Land« wirthschafts-Minister, in dieser Beziehung recht energisch dem Finanz- Minister gegenüberzutreten. Wenn man zum Finanz-Minister geht und Geld haben will, beklagt er sich immer aufs bitterste darüber, daß von seiten der landwirthschaftlihen Verwaltung so wenig gefordert werde. Von dem Werth der Geflügelzuht für den kleinen Grund- besißt, für die Arbeiter und für die ackerbautreibende Bevölkerung in den kleinen Städten bin ich vollkommen durchdrungen. Wir werden aber günstige Erfolge darin nur haben, wenn wir die - Seuchen verhindern. Einer der größten Mißstände ist der Hausierhandel mit Vieh. Es i vorgekommen, vas ein foeben für frank erklärtes Schwein noch an demselben Tage von einem - herum- ziehenden Händler verkauft. worden ist. Der Poulendel mit Vieh muß verboten werden. Auf dem Berliner Viehhof bestehen mancherlei Mißstände. Die Verordnung, daß die Untersuhungen nur bei Tageslicht erfolgen dürfen, ist für die Abfertigung sehr beschwerlich, und diese Verordnung wird auch nach Mittheilungen von Herren, die die Sache an Ort und Stelle kennen gelernt haben, etwas wunderbar gehandhabt. Das Ausladen von Vieh darf nur von 6 bis 8 Uhr Morgens stattfinden. Eine unnöthige Ershwerung liegt auch darin, daß die Papiere immer von dem Amtsvorsteher mit unter- zeichnet sein sollen. Der Antrag Herold is mir sehr sympathisch, und hoffentlich kommt bald der gewünschte Geseßentwurf. Aber au auf anderem Gebiete empfiehlt sich die Regelung der Versicherung dringend. Die Versicherung darf nur ein Wohlthätigkeits-, aber kein finanzielles Unternehmen für Aktiengesellschaften sein. Hoffent- lich kommen wir nun durh die Thätigkeit der Landwirthschafts- kammern aus den unleidlichen Verhältnissen des landwirthschaft- lichen Versicherung8wesens heraus. Die Herren von der Linken, die immer gegen den Zwang sind, weise ih darauf Ri daß in großen Städten der Zwang für die Immobiliarversicherung besteht. Ohne eine solche wäre auch das Feuerlöshwesen niht durchzuführen. Es ist also kein Unrecht, zu verlangen, daß man in der Landwirthschaft zu den früheren Zwangöversicherungen zurückkommt. Die Preisnotierungen für Vieh müssen im ganzen Lande erfolgen. In Stettin ist es vorgekommen, daß die Händler sich weigerten, der Notierungskommission Angaben zu machen. Herrn Wintermeyer weise .ich ferner darauf hin, daß die Thâtigkeit der General-Moorkommission und die ganzen Arbeiten der Landwirthschaftskammern auf diesem Gebiete nur zu Gunsten der kleinen Grundbesißer begonnen sind. Für die Forft wirthschaft muß der Staat die Landwirthschaftskammern mehr unterstüßen. Die Forstabtheilung der pommerschen Landwirth, sts, kammer hat sich schon so entwickelt, daß wir fort und let Gehilfen anstellen müssen. Wenn erheblih größere Mittel dafür zur Ver- tagung gestellt und bei allen Landwirthschaftskammern dieselben Einrichtungen getrossen werden wie in Pommern, o wird ein großer Theil der privaten Forstwirthschaft ma einen anz anderen Standpunkt gestellt werden können. Auf die Frage der Hypothekenbanken gehe ih nit ein, wünsche aber, daß die Regelung des Kredits für den Grundbesiß möglichst bald zu einem Resultat gelangt. Wenn auf irgend cinem Gebiet, so darf hier nicht gezögert werden. Tectidis der Vrganisation der General-Kom missionen U es die allerhöchste Zeit, aus dem Stadium der Er- wägungen herauszukommen und an die Reorganisation beranzugeben. Der General-Kommission sind manche neue Aufgaben überwiesen worden, namentlich das Meliorationswesen. Die General-Kom- missionen müssen auf diesem Gebiet ihre Arbeiten noch weiter außs- dehnen. Es liegt cin organischer Febler darin, daß die General- Kommissionen von allen anderen Behörden abgesondert sind. Sie müssen dem übrigen Verwaltungsorganismus eingegliedert und dem Ober-Präsidenten unterstellt werden. Es würde id empfeblen, - für die General-Kommissionen eine besondere Abtheilung bei jedem Ober- Präsidium zu bilden. Dem Abtheilungs-Chef müssen juristische Mit- lieder zur Seite genent werden, deren Zahk nah den Bedürfnissen der etreffenden Bezirke bemessen wird. Für die östlichen Provinzen, wo das Ansiedlungs- und Rentengutöswesen eine größere Nolle spielt, könnte die Jau der juristishen Mitglieder erheblich beschränkt werden, während im Westen eine größere Anzahl nöthig wäre. Daneben müssen ein landwirthschaftliher und ein technischer Beamter den Abtheilungen zugewiesen werden. Auch die Spezial-Kommissionen wären- nah ‘den lokalen Bedürfnissen auszugestalten. Die Auffassung daß die General- Kommissionen so reformiert werden müssen, wird nit nur aus landwirthschaftlihen Kreisen, sondern aub aus Kreisen der General - Kommissionen selbst laut. Jch rene mi, daßin diesen Etat zum ersten Mal der Posten eines ¿oor-Kommissars- eine gestellt ist, der der ostpreußishen General - Kommission zugewiesen werden foll. Seine Thätigkeit wird vorbildlich dafür sein, wie man auf diesein Gebiet praktisch aubeiten soll. Das Gebiet, das die General-Kommissionen zu bearbeiten baben, wird nes anz bedeutend erweitert werden müssen. Der Redner verbreitet si {ließlich über die Flußkorrektionen, für welche er Gegenaufwendungen wünscht, und kommt dann auf die Debatte vom vorigen Sonnabend über die Getreidezollerhöhung zurück, wobei er den Antrag Barth als eine „frivole Verhöhnung“" bezeihnet. Wenn der Abg. Barth am vorigen Sonnabend hier ausgeführt babe, daß die Mehdrau dung bei der Getreidezollerhöhung für jede Arbeiterfamilie vro Jahr 40 bis 50 M betrage, so habe der Abg. Dr. von Siemens îim Reichötagce diesen Mehraufwand nur auf 30 „K pro Jahr verans(lagt. Man sehe also, wie weit die Ansichten hier auseinandergingen. Die Sade