1841 / 232 p. 3 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung) scan diff

liberale Partei, die diesen Minisker durch ihren Einfluß vor zwei Jahren in der Provinz Luxemburg, wo derselbe bedeutende Eisen: | Fabriken besißt, zum Senator ernennen ließ, indem sie ihn als | einen túchtigen und mit den industriellen Jnteressen wohl ver- trauten Kandidaten rühmte. Mit einiger Konsequenz hâtte man

doch jeßt wenigstens einräumen mússen, daß Herr de Briey besser |

den auswärtigen Angelegenheiten als den Finanzen vorstehen wird, da der Minister der auswärtigen Angelegenheiten auch den Han: del in seinem Departement hat, und die Handels -: Angelegenheiten vorläufig wenigstens die Hauptbeschäftigung für dieses Ministe- rium bilden werden. Was den Austritt des Herrn de Muele- naere betrifft, so hat man freilich nicht unterlassen, densel- ben mit der an der Tagesordnung stehenden Frage in Verbindung zu bringen, indem man behauptet, daß die- ser Minister, personlich einer Zollvereinigung mit Frankreich zugeneigt, wegen des Widerstandes, den diese Zdee bei seinen Kollegen gefunden, das Kabinet verlassen habe. Französische Blätter, wahrscheinlich um uns glauben zu machen, daß die Regierung {elbst einer solchen Vereinigung zugethan sey, haben, wie häufig, die Sache wieder auf den Kopf gestellt, indem sie Herrn de Mue- lenaere als Gegner dieser Verbindung auftreten lassen. Die er- stere Vermuthung schreibt sich vielleicht daher, daß der austre- tende Minister Gouverneur von Westk-Flandern ist, einer Provinz, die, wenn gleich ihre Provinzial-Ständekein Gesuch um einen Handels- Nertrag mit Frankreich an das Ministerium gestellt haben, doch dabei bedeutend wegen des Leinwand - Handels gewinnen würde. Sollte aber wirklih auch im Kabinette einige Meinungs-Verschie- denheit Úber diesen Punkt obgewaltet haben, so ist sie doch jeden- falls nicht der Art gewesen, daß sie den Austritt eines Mitgliedes motivirt hâtte. Der Hauptbeweggrund if der, welchen wir an- gegeben haben. Denn man bemerke wohl, daß Herr Graf de Muelenaere berathendes Mitglied des Kabinets bleibt, an allen Beschließungen, und also auch an der Verantwortlichkeit Theil nimmt, nur aber, seiner Gesundheit wegen, der Last der wirklich erefutiven Functionen úberhoben if.

Die Handelsfrage beschäftigt noch immer die öffentliche Auf- merfsamfkeit und is wenigstens in der Hinsicht um einen Schritt weiter gebracht, daß man ziemlich allgemein von einer Zoll : Ber: einigung mit Franfreich zurückgekommen ist, Daß wir uns in den die Französischen Blätter bei dieser Angelegenheit leitenden Motiven nicht geirrt haben, beweist der leßte Artikel des Jou r- nal des Débats, welcher manches fúr Frankreich sehr zu be- herzigende enthält, aber unumwunden die politische Seite der Handels-Verbindungs-Frage in den Vordergrund sellt und offen erflârt, daß eine Zoll- Vereinigung mit Belgien eine auf fried- lichem Wege unternommene Reaction der Friedens-Berträge von 1815, d. h. mit andern Worten eine unter der Zoll: Vereinigung masfirte politische Vereinigung Belgiens mit Frankreich sey. Was soll man aber einem Journale antworten, welches immer wieder von neuem das Beispiel des Eintritts von Bayern, Württemberg, Ba- den u, \. w. in den Preußischen oder besser Deutschen Zollverein anführt, um ein gleiches von Seiten Frankreichs in Bezug auf | Belgien geltend zu machen? Das Verhältniß ist doch gerade das umgekehrte, Denn, wie wir schon fruher bemerften, dort bildet | eine schon bestehende politische Bundesvereinigung das Prinzip und den Ausgangspunkt zu einer Handelsvereinigung als einer der natúrlichen weiteren Konsequenzen, hier hingegen will man bei einer Handelsvereinigung die politische in Kauf obendrein er- halfen. E S

Unsere Artikel sind hier theilweise Gegenstand der Diskussion in denjenigen Blättern geworden, welche eine vollskändige Zoll: Vereinigung mit Frankreich verfechten. Man hat diese Artikel sogar aus offizieller Quelle ableiten und mit vorgegebenen diplo- matischen Verhandlungen und Vorstellungen in Berbindung brin- gen wollen ; daß diese Bermuthungen ganz grundlos sind, brauchen wir nicht weiter zu bemerken, Wir haben diese Lage aus einem ganz unabhängigen und das wahrhafte politische wie kommerzielle Interesse Belgiens vor Augen behaltenden Gesichtspunkt betrach- tet. Unser nächster Artikel wird sich etwas ausführlicher mit den Mitteln beschäftigen, die Belgien, nach unserer Ansicht, zu ergrei- fen oder auszudehnen hat, um seine induftrielle Lage zu verbessern.

Deutsche Bundesstaaten.

Haunover, 16. Aug. Die vom Verein fär inländische Pferdezucht eingeführten jährlichen Wettrennen begannen auf der Rennbahn bei Celle am vorigen Mittwoch, Mittags 12 Uhr, nach- dem in den Vormittags- Stunden die jährliche Thierschau nebst der Vertheilung der Prämien stattgefunden hat,

Mae, 17, ua, (Kass: S) Versammlung der Stände. Sißung vom 14, Aug. Es erfolgte die Berathung des von Herrn Nebelthau erstatteten Berichts des Nechtspflege- Ausschusses über den Antrag des Herrn Schanß, das Ersuchen um Vorlegung eines Amnestie-Geseßes betreffend. Jm Berichte wird aus der Begründung des Antrags hervorgehoben, daß, wäh- rend in den Nachbarstaaten die polischen Umtriebe der Vergessen- heit übergeben seyen, noch ein rechtlicher und ausgezeichneter Yann (Prof. Jordan) aus bloßem Berdachte einer Mitwissenschaft bei jenen Umtrieben bei uns im Untersuchungs-Gefängnisse schmachte ; mit ihm theilten noch manche andere ein gleiches Schicksal, und mehrere seyen bereits verurtheilt worden. (Das Resultat dieses Antrags wird in der Kass. Z, noch nicht mitgetheilt“)

Frankfurt a. M., 8. Augusk. Die hier als Extrabeilage zum “Frankfurter Journal erscheinenden Mittheilungen aus den Protokollen der geseßgebenden Versammlung der freien S tadt | Frankfurt“ enthalten in ihren beiden leßten Nummern einige in- teressante Vorträge. So liefert Nr. 13 uns die Ansichten úber Poönitentiars\ysteme, welche Hr. Geh. Hofrath Pr. Stiebel aus dem reichen Vorrath seiner Belesenheit in der Commission úber das Gefängnißwesen mitgetheilt hat. Nach ausführlicher Erórterung des Gegenstandes faßt derselbe die Resultate zusammen, unter denen die nachfolgenden uns die erheblichsten scheinen: Hr. Stiebel „Hält nur ein solches System fur zweckmäßig, welches die Besserung nicht bloß durch Unterdrückung und EinschÜchterung, fondern durch Ent- wicklung, Hoffnung und Stärkung erreicht, Es muß ein HÜlfs- Nerein bestehen, ohne welchen die Besserung nicht möglich ist. Die Untersuchungs-Gefangenen müssen getrennt seyn und die mödg- lichste Freiheit haben. Die einsame Einsperrung is troß ihrer Nachtheile (in mehreren näher bestimmten Fällen) nothwendig. Trennung der Geschlechter, der Jungen und Alten, ist zur Ver- hútuug der Ansteckung nothwendig. Nachts soll in jeder Zelle nur Einer seyn. Die eigentlih dem Besserungs- System unter- worfenen Gefangenen sollen am ‘Tage gemeinschaftlich arbeiten, gemeinschaftlichen moralisch - religidsen und industriellen Unter- rit genießen, während der dogmatisch - confessionelle in der, Zelle gegeben wird. Es sollen verschiedene Klassen-Abtheilungen für die Gefangenen seyn, Der Gefangene kann, je nach seiner Auffüh- rung, seiner Fúgung unter die Geseke, von einer niederen zu einer höheren steigen oder zur Strafe zurúckverseßt werden. Es soll

1032 Belohnung oder Strafe stattfinden, und dem Gefangenen ein Theil des Erwerbes zur Disposition stehen und ein Theil dem Húlfsverein zur Aufbewahrung gegeben werden. Durch die Ge- seße soll zum voraus bestimmt werden, unter welchen Umständen Begnadigung und theilweiser Erlaß der Strafe stattfinden kann. Der Bau soll nach dem panoptischen Plane stattfinden, allein so, daß die Aufsicht mehr auf die Arbeitssâle gerichtet sey als auf die | Zellen.“ j Hamburg, 19. Aug. (Börsen - Halle.) Heute is ein Mann beerdigt worden, der unter den musikalischen Künstlern Europa’s schon seit langer Zeit einen der ersten Plàße eingenommen hatte und dem in Bezug auf das Jnstrument seiner Wahl, das Bioloncell, allgemein der Vorrang vor Allen zuerkannt worden ift. Es ist Bernhard Romberg, der am 13ten d. M. im 73ften Jahre seines Alters hier an der Brustwoassersucht starb. Sein Tod wird in allen Europäischen Ländern viele Theilnahme finden, denn fas alle bedeutenden Städte unseres Welttheils hat er auf seinen Kunskreisen besucht und durch sein Spiel begeistert.

Desterreich.

‘4Þ Prag, 15. Aug. Die L tormal-:Verordnung fúr die Jsraeli- ten in Böhmen vom Zahre 1797 hat durch eine neuerliche Ent- schließung Sr, Majesktàât des Kaisers mehrere Aenderungen erfah- ren, die ein neuer Beweis der Humanität unserer Regierung sind. ZUvorderfk die Kultur der Jsraliten berüsichtigend, wird angeord- net, daß die Jugend da, wo keine vorschriftsmäßig organisirten jüdischen Schulen bestehen, zum Besuche der christlichen Schulen anzuhalten sey. Jn Absicht auf den Religions - Unterricht sey es vor Allem nöthig, zu diesem Behufe vollkommen geeignete Nab- biner zu bilden, und es ist darúber ein genau motivirter Bericht der Landes-Behörde verlangt, ob nicht eine ähnliche mosaisch:-theo- logische Lehr-Anstalt, wie sie in Padua besteht, auch für Böhmen zu errichten wäre, worúber die Vorsteher der jüdischen Ge- meinden zu vernehmen seyen, Der Gehalt für die biner sey von nun an nah Maßgabe der Scelen, die jeder in seinem Sprengel hat, und nach den Orts - Verhältnissen des Rabbinats zu bemessen, und der höchsten Hof- Behörde zur Bestatigung vorzulegen, j

E Rab-

Unbeschrankt durch die frühere Verord- nung, welche die Heiraths - Bewilligung für Jsraeliten an den Besiß einer sogenannten Familien - Matrik, oder an den Betrieb der Landwirthschaft oder eines ¿ünftigen Gewerbes band, ist nun- mehr den Rabbinern oder geprüften Schullehrern sich zu verehe- lichen gestattet, mit dem Beisabe jedoch, daß durch eine solche Heirath feine bleibende Familienftelle gegründet werde, somit ihre ESdhne nur dann auf eine gleiche Begünstigung Anspruch machen fonnen, wenn fie dem Berufe ihres Vaters im NRabbinat folgen, oder geprüfte Schullehrer sind, Die bürgerlichen Verhältnisse der JFsraeliten betrejfend, ist für jene, die nicht als Erstgeborene oder Aelteste in die Familienstelle, die ihr Vater besessen, eintreten kön: nen, die Heiraths-Bewilligung auf Grundlage eines Gewerbe- betriebs nur auf solche Beschäftigungen beschränkt, die bereits im Jahre 1797 zünftig waren, und sindet die Ausdehnung dieser Be- gúnstigung auf jene Jsraeliten, welche damals schon frei gewesene Beschäftigungen betreiben, nicht statt. Das bestehende Verbot, welches für JZsraeliten den Ankauf von Christen-Häusern unter- sazt, hat zwar als Regel zu gelten, jedoch geruhten Se. Majestät der Kaiser ZJhre Bereitwilligkeit zu erklären, denjenigen Jsraeliten, welche sich im Gebiete der Jndustrie, der Gewerbe und der Wis- senschaften auszeichnen, oder sonst Verdienste um den Staat er- werben, den Anfauf und Besiß von Chrisken-Hgusern ausnahms- weise, gegen von Fall zu Fall einzuholende Allerhöchste Bewilli- gung, zu gestatten, Als aufgehoben wird dagegen die frühere Beschränkung erklart, welche bisher selbst den israelitischen Großÿ- hândlern und Fabrikanten in Prag das Wohnen in gewissen Straßen und auf einigen Pläßen untersagte. Vom Ankaufe und der Pachtung unterthäniger Gründe bleiben die Zsraeliten zwar noch ferner ausgeschlossen, jedoch wird ihnen von nun an der An- fauf und Besiß von obrigkeitlichen und städtischen Kommuna(- Grundstücken, mit dem Befugnüife, sich die nöthigen Häuser da- selbst aufzuführen, gegen die Verpflichtung erlaubt, daß sie die Grundstücke mit eigenen Händen oder durch andere “Ts\raeliten bearbeiten; nur in der Saat- und Aerndtezeit ist ihnen gestattet, sich hierbei christlicher Hülfs-Arbeiter zu bedienen. Von der Pach- tung der Mahlmühlen und dem Betriebe des Apotheker-Gewerbes bleiben sie jedoch wie bisher ausgeschlossen. Ob übrigens die in Prag beskehende Jsraliten- Gemeinde als besondere Corporation aufzulósen und die sogenannte Judenskadt als ein integrirender Theil der Stadt Prag zu behandeln, die Domestikal - Kasse der ersteren einzuziehen und der Kosten - Aufwand für offentlichen Straßen- Anstalten aus der skädtischen Kasse zu bestreiten, und an selbe die von den Zsraeliten bisher zu diesem Behufe geleisteten Beiträge cinzuzaßlen seyen, darüber wurde die Aeußerung des Prager Magistrats verlangt. Die bisherige Taxe von 50 Fl. für die Aufstellung der Thora in neuerbauten Syna gogen wird nachgesehen, und auch die in der Juden-Ordnung von “ahre 1797 ausgesprochene Außerlandschaffung aufgehoben, welche fúr gewisse Vergehungen gegen jenes Patent ausgesprochen war, und sollen für die dort bezeichneten Uebertretungsfälle andere Strafen eingeführt werden. Eben so hat die frühere Bestimmung eines von den FJsraeliten zu entrichtenden Abfahrtsgeldes von 20 pCt. aufzuhdren und sind die Zsraeliten in Auswanderungs- Fällen auf gleichem Fuße mit den chrisilichen Unterthanen zu be- handeln,

Tyrol. Der Bote. für Tyrol meldet aus Jnnsbruck vom 11, August: „Als eine meteorologische Merkwoürdigkeit ver: dient angeföhrt zu werden, daß wir gestern hier ein Gewitter, oder vielmehr eine Reihenfolge von Gewittern hatten, welche ohne Unterbrechung durch beinahe eilf Stunden, von 4 Uhr Morgens bis naße an 3 Uhr Namittags, andauerten, Dabei regnete es die ganze Zeit hindurch sehr heftig, während auf den Hochgebirgen Schnee siel, der die Temperatur bis zur Empfindlichkeit herab- drückte, obwoohl dieselbe am vorher gegangenen Tage durch den anhaltend wehenden Sirocco auf 24 Grade im E chatten, Nach- mittags um. 4 Uhr, gehoben worden war. Das Gewitter war

| in manchen Momenten schr heftig, so daß der Bliß an zwei oder

| drei firhlichen Gebäuden herabgefahren seyn soll, jedoch ohne auf-

| fallende Spuren zu hinterlassen.“ (Eine ähnliche Erscheinung

| zeigte sich am nämlichen Tage in Wien von 5 Uhr Nachmittags bis gegen 9 Uhr Abends.)

© Madrid, 8, Aug. Die Besorgniß, daß in Folge der defretirten RNeduzirung des Garde-Corps unruhige Auftritte statt- finden möchten, is bisher nicht in Erfüllung gegangen, obgleich man aus verschiedenen in der Stille getroffenen Maßregeln lie: ßen fann, daß jene Besorgnisse höheren Orts getheilt wurden. Die gänzliche Auflösung der Garde du Corps, die seit Philipp V. den Dienst zunächst der Person des Souverains verrichtete, hat na:

| | Spanien, |

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mentlich bei dem schönen Geschlechte, dessen Urtheil hier mehr als irgendwoo von Gewicht ist, großes Mißfallen erregt, und zwar, um jeder falschen Auslegung meiner Worte vorzubeugen, weil auch der Souverain dem schonen Geschlecht angehört, und dieses es in der Ordnung findet, daß eine Königin durch wohlerzogene junge Edel- leute von Offiziers-Rang und nicht durch schmutige, grobe und steinalte Sergeanten umgeben und begleitet sey. Der Regent denkt ver- muthlich, daß die Königin doh etwas vor ihm voraus haben müsse, und da er selbst, wenn er öffentlich erscheint, stets von 50 Mann glänzender Kavallerie eskortirt wird, so fann es aller- dings für eine Auszeichnung gelten, daß die Königin fortan von feinem anderen Geleite, als der Treue ihres Volkes umgeben, die Mauern ihres ‘Palastes verlassen soll. Vorgestern Abend hicß es, die Garde du Corps würde den Palast ver!assen, und eine Menge Volks, meist dem {wachen Geschlecht angehörend, hatte sich vor .demselben versammelt, um abzuwarten, ob dieses ange- kündigte Ereigniß wirklich stattfinden werde. Allein man wurde getäuscht; bis heute hat die Garde du Corps die Königin auf ihren S pazierfahrten nach wie vor begleitet, i

Ein ganz neues Schauspiel für die Bewohner der Hauptstadt ist aber das Wegfallen der Hofdamen, welche sonst die der Kb- niglichen Kutsche folgende Karosse einnahmen. Da sämmtliche Ehrendamen der Königin ihre Entlassung eingereicht haben und Herr Arguäëlles bei der neuen Organisation des Hofskaates sich bisher in dem Kreise seiner Freunde, die in der That fast alle dem ehrenwerthen Junggesellenstande angehdren, vergeblich nah Da- men umsfah, durch welche er die entstandenen Lücken hâtte aus- füllen können, so befahl er, daß jedesmal zwei Kammerherren in einem offenen Wagen der Kutsche, in welcher die Königin fährt, folgen sollen, Herr Arguëlles, sonst von conftitutionellen Grund- säßen begeistert, hat doch fúr gut befunden, im Jnnern des Pas- lasses als unumschränkter Herrscher aufzutreten. Als er sich neulich zu der Königin begeben wollte, bat ihn der im Vorzimmer verwecilende dienstthuende Kammerherr, einen Augenblick zu ver- ziehen, damit er ihn anmelden fönnez allein Herr Arguëlles er- klärte ihm, er bedürfe feiner Anmeldung und trat ungeme(det vor die Königin, die, ihn nicht sogleich erkennend, eine Art von Ueber- raschung gehabt haben soll, Der vorlaute Kammerherr erhielt am folgende Tage seine Entlassung zugeschickt, Auch der Chef der Koniglichen Garderobe, ein alter treuer Diener Ferdinand's VII,, ift durch den neuen Vormund seiner Stelle entseßt worden.

Uebrigens sorgt dieser mir dem löblichsten Eifer dafür, daß das Privat-Vermögen seiner erlauchten Mündel feine Einbuße erleide. Seiner Anordnung gemäß, werden der Königin monat lich 25 Piaster Taschengeld gereicht, über deren Verwendung sie ihrem Lehrer. schriftlich Rechnung abzulegen hat. Da die Köni gin bei ihren & pazierfahrten häufig um Almosen angesprochen wird, so erhält sie durch diese ihr bewilligten Geldmittel natürlich die Gelegenheit, ihre Freigebigkeit auf eine wahrhaft Königliche LWeise an den Tag zu legen, Auch die bisherigen Leibärzte der „Fönigin haben ihre Verabschiedung erhalten, und der Privat-Arzt des Regenten soll an ihre Stelle treten. Würden Sie glauben, daß der Parteigeist so weit geht, dieses anstößig zu finden, als ob es bedenklich wäre, die Pflege der Gesundheit der Königin einem Manne anzuvertrauen, der in den engsten Verhältnissen zu dem Regenten des Neichs seht 2

Herr Arguëlles hat seinen Busenfreund, den Senateur He- ros, zum Intendanten des Königlichen Palastes ernannt, und ibm dadurch das hochste Amt des Königlichen Haushaltes Übertragen Der Art, 43 der Conffitution verfügt ausdrücklih, daß ein Se- nateur, der eine Stelle im Königlichen Haushalt annimmt, sich einer neuen Wahl zu unterziehen habe, und der Art, 97 des Wahl-SGeseßes schreibt vor, daß; die höchsten Beamten des Kö- niglichen Haughaltes weder Senatoren noch Deputirte seyn kón- nen. Dennoch hat der Senat entschieden, Herr Heros folle Se: nateur bleiben, selbst ohne einer neuen Wahl unterworfen ¡ul seyn

_Der General und Senateur Don Francisco Narvaez (frú- herhin Kriegs-Ninister) hat von Paris aus an den Senat eine Schrift eingeschickt, in der er auf etwas derbe Weise gegen den Deschluß protestirt, durch welchen die Königin Christine der Vor: mundschaft entseßt wird. Hierüber geriethen die progressistischen Senatoren in solche Erbitterung, daß fie förmlich darauf antru- gen, jenen General vom Senat auszuschließen, „weil er Theil an den Plänen habe, die jenseits der Pyrenäen gegen die Spanische Freiheit geschmiedet würden,“ Das GegenikÜck zu diesen Be sclüjsen liescrt der Kongreß. Der durchgeprügelte Frai Gerun dio hatcte den Deputirten Prim bei dem Gerichte verélagt, und dieses vem Kongresse die Erlaubniß verlangt, den Schuldigen ver- haften zu Die Mehrheit des Kongresses is aber der An- sicht, diese ubniß sey nicht zu ertheilen, da dem geprügelten Satiriker nur iein Recht widerfahren sey. „Was würde“, rief der Graf de las Navas gestern aus, „der Cid, was vúrde GBonsalvo de Cordova agen, wenn fie bórten, daß die & panischen T ortes fich über die schlage berathschlagen, die auf den Rücken ei- nes elenden Feiglings gefollen sind 2“ Regent selbst hat sein Necht nicht finden können. Ein hiesiges Blatt hatte den biographischen Artikel „Esparrero“ aus dem Franzöfischen Journal „la Presse“ überseßt aufgenom inen, und mit boshaften Anmerkungen begleitet, Der Regent ließ den Artifel als Jnjurie denunziren, allein die Beschwornen erflârten das Blatt einstimmig für unschuldig. Welche Folge: rung für den Regenten ? A

Auch der

Suürkei.

Smyrna, 30, Juli, (Smyrn. Bl,) Ein enksebliches Unglück hat die Stadt Smyrna betroffen und 20,000 ihrer Be- wohner in Trauer und Noth verseßt, Eine furchtbare Feuers- brunst, wie sich Niemand hier einer solchen zu erinnern weiß, hat in dem Zeitraume von etwoa 18 Stunden die Hälfte der Stadt in Asche gelegt und mehr als 20,000 Personen völlig zu Grunde gerichtet. Das Feuer brach am 28. Juli gegen Mitternacht in einem Kaffeehause des Basars der Goldschmiede aus, Zwei & tun- den darauf nahm die Feuersbrunst eine Strecke von einer halben Meile ein und ergriff Hunderte von Häusern gleichzeitig. Der heftige Wind trieb die Flammen mit unglaublicher Wuth gegen verschiedene Quartiere der oberen Stadt und machte alle mensch{- liche Hülfe unnüß. Das Feuer drang wie ein wüthender Berg- sirom, dem fein Hinderniß, fein Damm entgegensleht, vorwärts Die Lage, das Alter und die fehlerhafte Bauart der Hâuser die dort dicht zusammengedrängt sind, die unerträgliche Hiße, der Wassermangel an mehreren Punkten, der Wind, furz Alles schien nich zu vereinigen, um das Unglück vollständig zu machen, L Ein Drittel der Türken:Stadt, das Juden-Vicrtel, mehrere Dasars, wie der des Getraides, der Goldschmiede, Schuhmacher Saítler, Zuéerbäcker, Trödler, Droguisten u. s. w., eine große «lnzahl Moscheen, sieben Synagogen und 9000 bis 10,000 Hâu- ser sind in Asche verwandelt und bilden nur furchtbare Haufen von noch rauchenden Trümmern. N

Mehrere Personen sind bei

dieser entseßlichen Katastro ums Leben gekommen ; blich strophe

man fennt zwar die Anzahl derselben

. rér 41 orDern.

noch nicht genau, doch schâßt man sie auf 30 bis 40. Der er- littene Verlust läßt sich noch nicht berechnen, beträgt indeß gewiß hrere Millionen.

a T ersten Nachricht von dem Unglúcke sandte der Oe- sterreichische Admiral, Baron von Bandiera, sogleich ein Detasche- ment von 200 bis 300 Mann von der Fregatte „Benere“, der Korvette „Lipsia“ und der Goelette „Aurora“ ans Land, wo es, so lange die Gefahr währte, beständig abgelöst wurde. Es is un- möglich sich einen Begriff zu machen von dem bewundernswürdi- gen, bis zum Heroismus gesteigerten Benehmen der Oesterreichi: schen Seeleute. Commandeure, Offiziere, Unteroffiziere, Matrosen und Soldaten, Alle haben sich ausgezeichnet, Alle ihr Leben stun- denlang muthig aufs Spiel geseßt, Alle haben sich gleiche Ansprüche auf die Dankbarkeit unserer Skadt erworben, denn ihnen allein ist die Rettung des noch übrig gebliebenen Theiles zuzuschreiben. Der Admiral selb| gab das Beispiel der Hingebung, indem er sich mehrmals auf den Schauplaß der Feuersbrusk ver- fúgte. Die Französische Brigg „llcibiades,“ die am Mittwoch unter Segel gehen mußte, um einem Französischen Handels-Fahr- zeuge, welches sich am Nord-Ende der großen Jnsel Burla_in gro- ßer Gefahr befand, Beistand zu leisten, beeilte sich, nach Smyrna zurlickzukehren, wo sie noch bei Zeiten anfam, um ihre Spriße und einen Theil ihrer Mannschaft ans Land zu schicken. Diese Hilfe war nicht ohne Nußen, denn da das Feuer geftern Abend mit einer gewissen Heftigkeit wieder ausbrach, so trugen die Fran- fischen Seeleute sehr viel dazu bei, dasselbe zu dâmpfen. Auch dies Französische Detaschement wurde alle vier Stunden abge- lóft, bis alle Gefahr vorüber war.“

Aegypten.

Alerandríien, 27. Juli. (L. A. ZZ) Oberst Napier's Auf: trag beschäftigt jeßt alle Gemüther, Wie ih schon früher mit- theilte, sandte dieser Offizier, als er keine Antwort mehr von Meh- med Ali erhalten konnte und einsah, daß alle gütlihen Verhand- lungen erfolglos seyn würden, ein Dampfschiff nah Malta ab, um neue Befehle einzuholen. Diese Befehle ließen nicht auf sich warten; geskern gingen zwei Englische Linienschiffe auf der hiesigen Rhede vor Anker; zwei andere werden ihnen folgen; der Commo- dore begiebt sich heute in das Palais, um die Losgebung der Sy- : Noch kennt man den Erfolg nicht, glaubt aber, daß er günstig seyn werde, da der Commodore Befehl haben soll, im Weigerungsfalle zu handeln. Nachschrift, Der Englische Commodore is aus dem Palais zurücgekehrt und foll eine ab- schlägige Antwort erhalten haben. Mehmed Ali weigert sich, wie man sagt, die Syrier loszugeben, weil er jeßt, nach dem Abschlusse des Friedens, nur vom Sultan Befehle zu empfangen habe und nur einem Ferman aus Konstantinopel gehorchen werde, So eben wird die Ankunft der beiden noch erwarteten Englischen Li- nienschiffe signalisirt,

S Ano.

Magdeburg, 19, Aug. Das Direktorium der Magde- burg - Leipziger Eisenbahn hat nachstehende Bekanntmachung über einen gestern eingetretenen Unfall erlassen: L Î

„Ein schweres Unglück hat uns betroffen! Gestern Abend gegen 9 Uhr sind 2 Lokomotiven, wovon die etne den von Schönebeck kom menden Abendzug führte, die andere, eine Hülfs-Maschine, demselben von dem Bahnhofe bei Buckau hex entgegengefahren war, lit der Nähe von Fermersleben auf cinander gestoßen. Durch diesen Zusam menstoß sind außer dem Vorsieuden des unterzeichneten Direkto riums, Herrn Stadtrath Cuny, welcher auf der Maschine des Abend zuges stand, fünf von unseren Beamten schwer beschädtgt und da von drei, ein Lokomotiven-Führer, ein Feucrmannt und ein Schaffner, in Folge der erhaltenen Verleßungen mit Tode abgegangen. Außec dem sind einige Passagiere, jedoch zum Glück nicht gefährlich, beschädigt. Die Veranlassung dieses traurigen Ereignisses liegt- so weit sich bis iebt hat ermitteln lassen, dacin, daß ein Bahnwärter aus einem, vielleicht durch den dichten Nebel des gestrigen Abends herbeigeführten Versehen, das zum Herbeirufen einer Hülfs-Maschine bestimmte Signal in der Richtung hierher gegeben hat, worauf die auf dem Bahnhofe von Buckau be reit stehende Hülfs-Maschine dem Zuge, welcher etner Hülfe gar nicht bedurfte und dieselbe daher auch nicht erwarten konnte, enigegenge fahren ift.

Naumbur, 17. Alg, Nachträglich zu dem in Nr. 225 enthaltenen Berichte úber den Hagelschaden in den be- nachbarten Ortschaften des Querfurter Kreises muß noch bemerkt werden, daß nach den von den Behörden angestellten Besichtigun- gen in zwölf Ortschaften und in der Flur der Stadt Freiburg dieser Hagelschaden fein partieller, sondern ein totaler gewesen ift, Die Feldfrüchte find durchaus vernichtet, der Berlust für die Land- leute ist außerordentlich.

Dic Jusel Kandia unter der §Herrscafi der S encttiauner.

D O O Sam e nee,

Ca O, gla. U 222 205, 20 1 214

V, Ohnmacht und fortdauernde Gährung. Einfälle Os máant\cher Fretbeuter. —= Barbarossa greift die Fnsel an. Händel mit dev Pforte. Gtacomo Foscarini. Schlu f.

Wir haben nicht nöthig, den Zustand der Jnsel Kandia nach den zwei zuleßt erzählten Aufständen näher zu schildern, Mit etwas Phantasie kann sich leicht Jeder selbs das traurige Bild eines Landes entwerfen, welches, eins der reichsten und von der Natur beglücktesten der Erde, damals der Sammelplaß alles menschlichen Elends, ein furchtbares Denkmal des im Kampfe seitier eigenen Leidenschaften untergehenden Menschengeschlechts geworden war. Wüsk liegende Felder, verödete Thäler, zerstörte Städte und Burgen, ausgeskorbene Dörfer und Weiler, überall noch die blutige Mahnung aa das Unglück der lesten Jahre, Pest und Hungersnoth, eine nur spärlich zerstreute Bevölkerung voll Mißtrauen, Entmuthigung, Verzweifelung, und über ihr das eljerne Schwerdt der bis zum Jngrimm gereizten Signorie, wel- ches jeden Augenblick herabzustürzen drohete, um dieses verhaßte Geschlecht lieber bis zu den leßten Spuren seines Daseyns aus- zutilgen: das sind die Hauptzúge jenes Bildes, dessen Ausfüh- rung wir dem Wohlgefallen und der Geschicklichkeit des denken- den Beschauers überlassen.

Wir treten jeßt in die Periode der Ruhe, einer furchtbaren Ruhe, ein. Venedig fing an, die spärlichen Früchte eines Werkes zu genießen, woran es zwei Jahrhunderte gearbeitet hatte, Um nur erst die ausgestorbenen und herrenlosen Güter wieder nach uind nach durch eine der Republik ergebene Bevblketung zu be-

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leben und nußbar zu machen, ließ die Signorie, den Untergang ihrer ehemaligen Besißer zugefallenen Ritterlehen zu Venedig felbst bffentlich an die Meistbietenden verstkeigern. Diese Versteigerung, welche wenig Theilnahme gefunden zu ha- ben scheint, begann im Jahre 1367 und zog sih mehrere Jahre hindurch bis zum Jahre 1371. Ein neuer Eidschwur, welcher, nach Aufhebung der alten von dem Dogen Pietro Ziani (1211) gegebenen Capitulation, die gesammte Ritterschaft von Kandia zur Treue und zum Gehorsam gegen die Republik verpflichtete, war schon vorher, im März 1366 verordnet worden, Zehn Jahre nach der Ankunft der neuen Ritter erhielt Kandia einen aber-

maligen Zuwachs der Bevölkerung durch die Bewohner des auf |

Befehl des Senats geschleiften Kasiels von Tenedos, welche sämmt- lich nah Kandia verpflanzt und in einem eigenen Quartiere vor den Thoren der Hauptstadt angesiedelt wurden. Auch zogen von anderen Seiten her, bei dauernder Ruhe, bald neue Koloni- sten ein, welche zur Belebung des Landes durch Anbau, Handel und Verkehr nicht wenig beitrugen.

Es wáre vielleicht selbst ein gewisser Wohlstand möglich ge- wesen, wenn man sich von den Schlägen der früheren Jahre schnel- ler hâtte wieder erholen fönnen, und das Mißtrauen der Repu- blik überhaupt menschlicher Thätigkeit, im Genusse unendlicher Miittel, eine freiere Entwickelung gestattet hätte. Die Signorie wußte aber wohl, daß sie sih den Besiß der Jnfel nicht hier- durch, sondern nur durch jenes auf unerschütterliche Grundsäße gestúkte und in seinen Formen streng ausgebildete System der Berwaltung sichern könne, welches, bei scheinbarer äußerer Frei- heit, die Geister in Fesseln {ch{lug, und in seiner Unbeweglichkeit den Stürmen aller Zeiten troß bieten wollte, Venedig täuschte sich nicht. Es fannte sein unnatúrliches Verhältniß zu Kandia, aber es war ein Verhältniß der Nothwendigkeit, jener eisernen Nothwendigkeit welche, wie eine undurchdringliche Scheideivand, die Herrscher für immer von den Beherrschten trennte, und folg- lih die Bedingungen der unvermeidlichen Auflösung vom An- fange an in sich selbst trug. Schon im Laufe des funfzehnten Fahrhunderts trat in Kandia jener merkwürdige Zustand cin, welcher spáter das Erbtheil der Repubiik Venedig überhaupt ge- worden if, und weichen Soranzo so treffend mit dem sterbenden Lowen verglichen hat, in dessen Mähne noch die Mäuse spielen, Denn während die Herrschaft Venedigs auf Kandia offenbar schon jeßt der Ohnmacht und der Erschöpfung entgegen ging, fehlte es fast zu feiner Zeit an wiederholten Versuchen der Eingebornen, sich von diesem Joche frei zu machen. Sie beschränkten sich aber meistens auf verfehlte Plane ohne festen Zweck und hinlängliche Mittel, nichtige Vorbereitungen, und oft selbst blos eitele Wünsche.

Von Volks-Aufständen, wie in früherer Zeit, war jebt frei- lich nicht die Rede; der Unmuth äußerte sich aber in vereinzelten ohnmachtigen Bolks-Bewegungen und, was die Kandiotischen Zu- stánde um damalige Zeit am besten zu harafterisiren scheint, in Verschwodrungen unter ihrer gehässigsten Gestalt, So hatte z. B. ein angesehener Grieche in Rethimo, Vlasto mit Namen, im Jahre 1453 den teuflischen Plan entworfen, alle Venetianischen Beam- ten und die angesehensten Ritter auf der ganzen Jnsel an einem Tage und zu derselben Stunde zu ermorden, und dann einen aus- heimischen Fürsten, wahrscheinli aus der schon vertriebenen Fa- milie der Palâologen, herbeizurusen, der die Herrschaft von Kan- dia úbernehmen sollte, Der Plan fand Beifall, die Verschwore- nen mehrten sich mit jedem Tage, und schon dachte man an die Ausführung des verwegenen Schlages, als zwei der Mitverschwo- renen, cin Priester und ein Jude, den Herzog, damals Bernardo PVicturio, davon in Kenntniß seßten. Die Verschworenen wur- den, auf diese Anzeige hin, mit leichter Mühe aufgehoben, in Fes- seln geschlagen und ohne Weiteres hingerichtet. Die Verräther belohnte der Senat mit Ehren und cinträglichen Gütern.

Schon diese einzige Thatsache beweist zur Genüge, auf wel:

chem Grunde damals die Herrschaft der Benetianer auf Kandia beruhte. Sollte sie Úberhaupt noch dauern, so war ihr vielleicht eben von Außen ein heftiger Anstoß nöthig, der ihr dann auch von innen heraus neue Kraft und Festigkeit geben mußte. Und dieser Anstoß blieb nicht aus, Schon mit dem Anfange des funfzehnten Jahrhunderts erstreckten sich die Raubzúge Türkischer Freibeuter bis in die Kretischen Gewässer und nahmen bald einen gefährli- chen Charakter an. Cypern und Kandia wurden die Vormauern der Christenheit, und Venedig mußte an ernstlicher Abwehr denken, Auch wurden die ersien verwegenen Einfälle Osmanischer See- râuber, welche sich meistens auf die Ausplünderung einzelner Kü- stenstriche beschränkten, wie z. B. einer im Jahre 1427, immer mit Glück zurückgeschlagen. Schwieriger und bedenklicher ward die Stellung der Insel shon nach dem Falle von Konstantinopel im Jahre 1453. Das gute Vernehmen, in welches sich die Re- publif gleich vom Anfange herein zu der Pforte zu stellen wußte, blieb ohne Einfluß auf die Unternehmungen einzelner Freibeucter. Ueberdies war Kandia natürlich bei jedem Bruche der Republik den ersten Angriffen der Osmanischen Flotten am meisten ausge- seßt, So wurde im Jahre 1469 die Znsel auf mehreren Punk- ten zugleich von den Osmanischen Schisfen angegriffen, verheert, gebrandschakt und entvölkert. : Doch fehlte es damals noch, wie es scheint, an cinem durch- greifenden Systeme der Vertheidigung, Im Jahre 1471 schickte deshalb die Ritterschaft selbst eine Deputation nach Venedig, um Verstärkungen und namentlich Waffen, wahrscheinlih zur Be- waffnung des Landvolkes, zu verlangen, Der Senat hatte aber damals, außer Kandia, auch den Peloponnes und Albanien zu shüßen, Ersk nachdem Negroponte und ein großer Theil von Albanien in dem Frieden von 1479 hatten aufgegeben werden müssen, konnten die Krafte der Republik den Besißungen im mittelländischen Meere zugewendet werden. Gleichwohl beschränkte man sich auch jeßt noch zunächst nur auf das Nothwendigske und vorübergehende Maßregeln, wie sie das Bedürfniß des Augenblicks verlangte. Es bedurfte erst noch mchrerer dringender Vorstellun- gen von Seiten der Nitterschaft, ehe sih die Signorie endlich im Zahre 1501 entschloß, die längst verfallenen Festungswerke von Kandia wieder herzustellen und die gewöhnliche Besaßung der Jn- sel durch eine beträchtliche Vermehrung der Reiterei zu verstärken. Indessen konnten auch im Laufe des sechzehnten Jahrhunderts die Grundfehler des cinmal eingeführten Systems der Vertheidigung und Verwaltung nicht mehr gehoben werden. So lange die Re- publik noch Cypern besaß, schien Kandia überhaupt von unter- geordneter Wichtigkeit zu seyn. Den augenblicklichen Aufregungen drohender Gefahren folgten in der Regel die Jahre der Erschlaf- fung und träger Ruhe. Zu den Türkischen Seeräubern, welche die Jnsel fortwährend von Zeit zu Zeit heimsuchten, gesellten sich bald inländische Räuberbanden, welche das Land noch mehr beun- ruhigten, als jene, Eine solche hatte sh z. B. um das Jahr 1525 bei dem Flecken Alicambi, in der Gegend des alten Phala- xarna, festgesest und fonnte nur mit Hülfe einer bedeutendèn Heeresmacht ausgetilgt werden, welche der Senat ausdrücklih zu diesem Zwecke nach Kandia abschickte. -

Bon den Türkischen ann hatte Kandia am meisten wäh- rend des Krieges zwischen der Republik und Solyman dem Präch-

| fel ohne weiteren Aufenthalt verließ.

die ihr dur | tigen im Jahre 1538 zu leiden. Jm Juni dieses Jahres erschien

namlich Barbarossa mit der ganzen Türkischen Seemacht, nachdem er bereits die Cycladen gebrandschaßt hatte, auch vor Kandia, seßte bei Mylopotomo Truppen ans Land, welche die Umgegend verheerten, machte einen vergeblichen Angriff auf Rethimo, lief dann in den Hafen von Suda ein, shijfte hier abermals einen großen Theil seiner Truppen aus, verheerte weit und breit das

| Land, legte den von den Einwohnern verlassenen Burgflecken Am-

picorna in Asche und s{leppte Menschen, Vieh und bewegliches Eigenthum nach seinen Schiffen, Gleiches Schicksal traf die Um- gegend von Kanea, welches nur durch die Entschlossenheit des Pro- veditoren Andreas Gritti gerettet wurde. Zulebt versuchte Barba- rossa auch einen Angriff auf Kandia, welches, schwach vertheidigt, wahrscheinlih \chon damals in die Hände der Osmanen gefallen ivâre, wenn es nicht der Herzog Antonio Amulio und der Be- fehlshaber der Truppen, Marco Antonio Trevisani, verstanden hâtten, ihre geringen Streitkräfte so zu disponiren, daß Barba- rossa úber ihre wahre Stärke getäuscht, den beabsichtigten Sturm nicht wagte, sich während der Nacht wieder einschiffte und die FJn- Gegen das Ende des Fah- res kehrte zwar cine kleine Abtheilung seiner Flotte zurück da aber die beiden Küstenschldsser, gegen welche sle sh versuchte,

| Kissamo und Mirabella, ernstlihen Widerskand zeigten, so be-

schränkte sich für dieses Mal ihre ganze Unternehmung auf einige Räubereien in der Umgegend.

Nach diesem Sturme trat wieder eine längere Periode der Sicherheit und Abspannung ein, welche der Aufrechthaltung eines tüchtigen Vertheidigungs - Systems nicht eben günstig war. Erst im Jahre 1560 wurden, auf die Vorstellungen der Ritter, die Ar= beiten an den Befestigungswerken von Kandia, unter der Leitung des Herzogs Antonio Calbo, wieder mit Ernst betrieben, Zwei Zahre spater ward endlich, auf dringendes Bitten des Herzogs Marco SGrimani, zum ersten Male ein Geschwader zur Vertheidi-

| gung der Gewässer und Küsten von Kandia ausgerüstet, welches unter einem eigenen Präfekten, fortwährend seine Station in der | Nähe oder in einem der Haupthäfen der Jnsel haben sollte. Der erste Befehlshaber dieses Geschwaders war Pietro Throno. Al- lein sein Erscheinen veranlaßte auch sogleich neue Händel mit der

| Pforte. Denn als Throno kurz nach seiner Ankunft bei der Jnsel ) ; 4A

einen Türkischen Seeräuber, welcher sich für einen Gefährten Solymans ausgab, in dem Augenblicke aufheben und niedermachen licß, wo er mit Kandiotischer Beute beladen zu entkommen suchte z da ver!'angte Solyman Genugthuung von der Republik, und gab dabei deutlich zu verstehen, er werde sie niit den Waffen etzwin= gen, wenn man sie ihm nicht gutwillig zu gewähren gedächke. Die Schwäche der Signorie belohnte hierauf den Diersteifer des armen Throno mit der Verbannung, und schicktè den gewandten Daniel Barbaro als außerordentlichen Botschafter nach Konstan- tinopel, dem es, wie die Chronistei melden, gelang, den Zorn So= lymans durch die Geschicklichfeit seiner Reden zu besänftigen. _ Dech war diese \chimpflich erkauste Ruhe nur von Lurzer Dauer. Der Tod Solymans zerriß das schlaffe Freunbschafts- | band, welches Venedig an die Pforte knüpfte, und sein Nachfol- | ger, Selim 11, nahm gleich nach seiner Thronbesteigung (1566) | gegen die Signorie eine feindliche Stellung ein. Der erste Sturm | brach jedoch nur úber Cypern aus, und die Republik mußte daher ihre Kräfte vorzüglich auf diesen Punkt konzentriren. Jn Kandia geschah unterdessen, was. die Nothwendigkeit gebot und was die Mittel erlaubten. Der Eifer, welchen der Herzog Pasquali Ci- conia seit dem Jahre 1567 in der Verproviantirung Und Verthei- digung der Jnsel entwickelte, wird allgemein gerühmt. Er war der Erske, welcher daran dachte, der von Zeit zu Zeit einreißenden | Hungersnoth durch die Anlage regelmäßig zu unterhaltender Ma- | gazine vorzubeugen. Auch bot er alles auf, die größeren und | Éleineren Küsten-Fesktungen in guten Vertheidigungs-Zustand zu seßen, und die einheimischen Truppen, damals fast die einzigen auf der ganzen Jusel, an einen geordneten Dienst zu gewöhnen. Allein

| seine Bemúhungen wurden weder von der Signorie, noch von den

Eingebornen gehörig unterstüßt, Er. fand unsägliche Schwierig: feiten, und erreichte seinen Zweck doch nicht. Schon 1567 wurde Suda bei einem üächtlicen Ueberfalle von den Osmanen eingez nommen, ausgeplúndert und in einen Aschenhaufen verwandelt. Kanea und die Umgegend wurde damals nur durch den Muth und die Entschlossenheit des dortigen Rettoren, Luca Michieli, geret- tet, welcher die Túrken mit einer kleinen Schaar Korsischen Fuf- volfes und einigen Abtheilungen der einhcimischen Milizen nach den Schiffen zurückwarf. Fast um dieselbe Zeit legte ein Húlfs- geschwader aus Algier, welches, 50 Schiffe stark, zu der Túrki- {chen Flotte sioßen sollte, in der Gegend von Rethimo an, ver- heerte zuerst die nächsten Küstenstriche mit Feuer und Schwerdt, fiel dann in die von ihren Betoohriern in aller Eile verlassenë Stadt ein, plunderte sie aus, und steckte sie gleichfalls in Brand.

„Kaum war dieses Unglück vorüber, als unter dem Landvolke, vorzuglich in der Umgegend von Rethimo und unter den Spha- fioten, ein Aufstand ausbrach, weil man die Bauern während des Cyprischen Krieges zum Galeerendienst zwingen wollte. Die Meu=z terci um Rethimo herum, wo man schon Schritte gethan hatte die Herrschaft der Jnsel den Türken anzutragen, unterdrúckte Ma: rino de’ Cavalli, damals General: Capitain der gesammten. Landz macht auf Kandia, und die Sphakioten brachte Luca Michieli noch als Rettore von Kanea zur Ruhe, Aber die Gährung im Znnern dauerte fort, die unaufhörlichen Rüstungen erschöpften das Land, und die Gefahren von außen minderten sich nicht. Fn Jahre 1571 hob zwar der Sieg der christlichen Flotten bei den Kurzolarischen Jnseln den Stolz der Republik; allein er änderte wenig in ihrer mißlichen Stellung zur Pforte, verminderte den allgemeinen Nothstand nicht, und brachte am Ende keinen Vor- theil. Schon 1572 ging Cypern verloren; und der unsichere Friede des nächsten Jahres (den 7. März 1573) seßte fortan das nothdürftig erhaltene Kandia den ersten Angriffen der Osmanischen Waffen aus,

Dies war der Zeitpunkt, wo die Signorie die Nothwendigkeit erkannte, sich den Besiß der Jnsel Kandia durch tief eingreifende Reformen in der Verwaltung und der Vertheidigung dieser Kolonie

| für die Zukunft zu sichern. Sollten sie Wurzel fassen und Früchte

tragen diese Reformen, so durften sie nicht, wie bisher, aus den geheimnißvollen Gemächern der Pregadi oder des Rathes der Zehn hervorgehen, sondern sie mußten der Weisheit und Gewissenhafz- tigkeit eines Mannes Überlassen werden, welcher mit dem Ver-

trauen der Signorie zugleich die Fähigkeit verband, die Dinge an

Ort und Stelle richtig aufzufassen, schnell zu helfen, wo es Noth that, die Strenge der Geseße durch Tüchtigkeit und Milde der eiz genen Gesinnung zu lindern, und neben den Jnteressen der Repuz blif auch die Bedúrfnisse der eingebornen Bevölkerung wa uned: men. Die Wahl eines solchen Mannes war schwer. Die Signo- a. entschied sich fúr den Prokürätor von San Märco, Giácodmo oscarini, id ain «26 Giacomo Foscarini stammte aus einer der âltesken und

angesehensten Familien der Nepublik, welche, wie wir beil ufig aus einer handschriftlichen Notiz über die Geschlechter der Venetianiz

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