1901 / 28 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Feb 1901 18:00:01 GMT) scan diff

wirtb\caftlichen Zentralvereinen Hand in nd gehen. Eine fo A «: verdiente, mit größeren mittel

unterstüßt zu werden, und. wir hoffen, daß der Finanz-Minister dazu beitragen wird, der Landwirthschaft über die schwere Zeit binwegzuhelfen. -

Bei den Ausgaben für den Hafen-Deichverband im Memel- delta zur Durchführung der Binnenentwässerung, beziehungs- weise zum Bau von Wegen und Schaugräben theitt

cin Regierungs-Kommissar auf eine Ansrage des Abg. Buttkereit (kons.) mit, daß erwogen werde, Beihilfen für einzelne Ortschaften in Ostpreußen zu geben. ¿

Bei den O für den Ausbau der hochwassergefähr- lihen Flüsse in den Provinzen Schlesien und Brandenburg, sowie für die damit im Zusammenhang stehenden Verbesserungen an der Mitteloder, der schiffbaren Strecke der Glaßer Neisse und eventuell des Bobers und der Lausißer Neisse fragt

Abg. Seydel- Hirschberg (nl.) an, wie weit die Vorarbeiten für die Verbauung der Wildbäche und den Bau der Stauweiher ge- diehen sind. N N

Geheimer Ober-Regierungsrath Freiherr von Seherr-Thoß: Seit dem Inkrafttreten des vorjährigen Geseßes zur Verhütung der Hochwassergefahren in der Provinz Schlesien, also seit Anfang Juli des lehten Jahres, hat die Provinz die verflossene Zeit benußt, um die großen technischen Vorarbeiten vorzubereiten. Es handelt fich zunächst um die Feststellung des generellen Planes für die Arbeiten an den Gebirgsflüssen An Grund der Vereinbarung zwischen Staat und Provinz. Dieser Plan ift jeßt von der * covinzial- instanz fertiggestellt und sein Eingang hier in den nächsten Tagen zu erwarten. Dann wird die Regierung über das Projekt Beschluß fassen und ihre Zustimmung zu dem generellen Plane ertheilen. Es wird keine Zeit versäumt werden, um diese Zustimmung möglichst schnell auszusprechen. Außerdem sind einzelne kleine Spezialprojekte in der Provinzialinstanz ausgearbeitet worden, damit sofort bei Beginn der Bauperiode die Arbeiten in Angriff ge- nommen werden können. Die Vorbereitungen für die R Thal- sperre bei Marklissa sind am weitesten vorgeschritten. rofessor Inge, diè größte Autorität auf diesem Gebiete, ist für die Ausführung gewonnen. Im nächsten Frühjahr wird mit den Arbeiten begonnen werden. Die Provinz hat auch Vorbereitungen für die Aufstellung des Katasters in Angriff genommen. Mit dem Vorredner ist die Regierung darin einverstanden, daß le sih für die Ausführung dieses gewaltigen Unternehmens tehnische Kräfte allerersten Ranges wird sichern müssen, damit in jeder Beziehung für die Tüchtig- feit und Sicherheit der Arbeiten Gewähr geleistet ist. So- weit ih orientiert bin, wird dem nächsten Provinzial - Land- tage eine Vorlage zugehen, durch welche die Mittel zur Anstellung der technischen Kräfte gefordert werden sollen. Es ist sicher, daß auch der Provinzial-Landtag dafür Opfer bringen wird, und es wird dann die Stelle eines hervorragenden Technikers ausgeschrieben werden. Ich glaube, daß die Provinz die Ausgabe dafür übernehmen wird, denn die Anstellung der hervorragendsten Kräfte würde eine ute Kapitalsanlage sein. _ Für die Staatsaufsiht, die dem Ober - Präsidenten von Schlesien obliegen wird, sind im Etat. zwei neue Stellen für Negierungs-Bauräthe gefordert worden, und in der Erwartung, daß der Landtag dieser Forderung zu- stimmen werde, hat der Minister für Landwirthschast bereits eine neue technisde Negierungs-Baurathstelle in Schlesien vorgesehen ; es ist ein Baurath aus Münster bereits fommissarisch mit deren Ver- waltung beauftragt. Er wird den Nerhandlungen des beut gp Landtages beiwohnen, um sich einzuarbeiten. Auf die Anfrage des Vorredners kann ih bemerken, daß {hon mit den Mitteln des Nothstandgeseßes von 1888 in den verschiedensten Flußläufen, namentlich im Riesengebirge, Arbeiten zur Verbauung der Wildbäche ausgeführt worden sind. Neuerdings sind noch weitere 10 000 M zur Verfügung gestellt worden, die schon verbaut worden sind. Ich kann sagen, die Provinz selbst hat in der Zwischenzeit unter Betheiligung der Regierung alles géthan, was unter den \{wierigen Verhältnissen nur zu leisten möglih war. Es ist nicht zu verkennen, daß durh das Ableben des um die Provinz so hochver- dienten Landeshauptmanns ein Stillstand in den Arbeiten eingetreten ist. Es ift aber kein Zweifel, daß nun die Arbeiten zur Ausführung des vorjährigen Gesetzes mit aller Energie gefördert werden, und es ist zu bofen, daß in den Interessentenkreisen hinsichtlich der betreffenden Maßregeln Beruhigung eintreten wird.

Zum Ankauf eines Grundstücks behufs Erweiterung der Landwirthschaftlichen Hochschule in Berlin werden 360 000 M gefordert. Die Position wird nach einer kurzen Empfehlung des Berichterstatters Abg. von Arnim bewilligt; dasselbe geschicht bezüglih der Ausgabe von 10 000 M zur Anlegung von landwirthschaftlihen Versuchsfeldern auf der Domäne Dahlem und einer Neihe weiterer extraordinärer Ausgaben, über die der Abg. von Arnim berichtet.

Zur Gewährung von Beihilfen für die Melioration des linksseitigen unteren Warthebruchs bei Küstrin werden 300 000 M als erste Nate gefordert. Diese Beihilfen sollen nur unter der Bedingung erfolgen, daß die Bildung eines Deichverbandes zu stande kommt und der Provinzialverband ebenfalls sich mit einer Beihilfe betheiligt. Die Ausführung der Melioration erfolgt nur, wenn die Regulierung der unteren Oder von Hohensaathen abwärts zur Ausführung kommt.

Abg. von Bockelberg (kons.) weist darauf hin, daß alljährlich große Strecken Landes durch Ueberschwemmungen verheert werden, und dankt der Staatsregierung für die den Interessenten gewährten Beihilfen zur Melioration, glaubt aber, daß die Sache nit abhängig gemacht werden dürfe von der Regulierung der unteren Oder, da man das Schicksal einer solchen wasserwirthschaftlihen Vorlage noch garnicht voraussehen könne. In diesem Sinne müßten die Bedingungen, die an die Interessenten gestellt werden, geandert werden. Die Meliora tionen vertrügen keinen Aufshub. Wenn der Minister keine be- friedigende Antwort gebe, so müsse er (Redner) sih weiteres vor behalten.

Ein Regierungs-Kommissar vertheidigt die vorgeschlagenen Bedingungen.

__ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer stein:

Meine Herren! Ih möchte den Herrn Antragsteller von Boel- berg dringend bitten, es bei den Bedingungen, die hier in den (Ftat aufgenommen sind, zu belassen. Schon seit langen Jahren ist von den Anliegern an der unteren Oder die Klage erhoben, daß durch immer mebr fortschreitende Einengung des Hochwasserprofils der Oder, durch Eindeichung u. #. w. diejenigen Schäden herbeigeführt und ver stärkt seien, die unter Umständen zu einer Vernichtung der Grund besiger an der unteren Oder führen fönnen. I bin über zeugt, daß, wenn die Einengung des Hochwasser profils durch die Eindeiung des Wartliebruchs stattfä* „, ohne gleichzeitige Ausführung der Meliorationen an der ren Oder und obne daß in klarster Weise den Anliegern *- „eren Oder der Beweis erbracht wird, daß sie durch diese Lcaynahmen nicht geschädigt werden, daß dann ein großer Entrüstungssturm und unzählige Klagen seitens der Anlieger der unteren Oder wegen Schädigung durch diese Melioration eintreten wird. Jh glaube daher, daß es sowohl im Interesse der Verhütung von Klagen, wie auch im Interesse des Züstandekommens dieser Melioration des Warthebruches erwünscht und ¡weckmäßig ist, an der Regierungsvorlage nicht zu ändern.

Meine Herren, schon bei diesem Anlaß zu erörtern, ob und welchen Einfluß das Nichtzustandekommen der großen Meliorations-

vorlage, welche in nächster Wolhe das hohe Haus be- schäftigen wird, auf die gegenwärtige Vorlage ausüben würde, erahte ih für verfrüht. Zur Zeit ist jedenfalls die Frage noch nicht zu beantworten, welhe Stellung die Staatsregiérung nehmen wird, wenn etwa die Meliorationsvorlage ganz oder zum theil abgelehnt würde.

Soweit Kompensationen in Frage stehen, stehen und fallen die- selben m. E. mit Annahme bezw. Ablehnung der Hauptvorlage. Fch kann nur zur Zeit derartige Erörterungen zu vermeiden rathen und sie bis zur Berathung der wasserwirthschaftlihen Vorlage zu vertagen. Zur Zeit seinen mir solche Erörterungen unräthlih.

Der Titel wird unverändert bewilligt.

Zur Betheiligung des Staates an dem Ausbau der nichtschiffbaren Spree mit einem 1Umfluthkanal von Leibsch nah der Dahme wird nah dem Referat des Berichterstatters Abg. von Arnim als erste Nate eine Million Mark be- willigt.

Das Haus geht dann zu demjenigen Kapitel der dauernden Ausgaben über, welches die Ausgaben für den bau- technischen Revisor enthält. Hierzu liegt der schriftliche Be- riht über die Kommissionsverhandlungen wegen der Hypo- thekfenbanken mit Anträgen auf Verschärfung der Staats- aufsiht über die Hypothekenbanken und auf Erweiterung der Rechte der Treuhänder vor. Die fonservative Fraktion hat dazu den Abänderungsantrag gestellt, an Stelle der Erweiterung der Rechte der Treuhänder „geseßgeberische E in Erwägung zu zichen, wonach die Ausgabe hypothekarish gesicherter Jnhaberpapiere in der Form von Pfandbriefen lediglich öffentlichen, nicht auf bankmäßigen Er- werb gerichteten Jnstituten oder Genossenschaften, event. mit Tilgungszwang, vorbehalten wird, und bis dahin gegenüber den privaten Hypothekenbanken die gesezlih bestehenden staat- lichen Aufsichtsbefugnisse thunlichst wirksam und energischer als bisher auszuüben.“ E

Abg. Pr. von Heydebrand und der Lasa (kons.) wünscht mit Nücksicht auf den erst im Laufe des Tages eingebrachten Antrag seiner Partei die Ausseßzung der Berathung, damit sich die Parteien und die Regierung erst mit diesem Antrag beschäftigen könnten. Die Etatsposition selbst könne sofort bewilligt und nur der Kommissions- bericht sowie die Berathung der Anträge solle bis zu gelegenerer Zeit vertagt werden. i s j

Abg. Dr. Friedberg (nl.) {ließt sich diesem Wunsche an, wirft aber die Frage auf, ob nicht der Antrag der Konservativen zuvor der Budgetkommission zu überweisen sei. Der Kommissionsbericht bleibe ein Torso, wenn er nicht zugleich Kommissionsverhandlungen über den neuen Antrag enthalte. Í

Aba. Dr. Barth (fr. Vgg.) erklärt sich für die Vertagung, {ließt fih aber der Anregung des Abg. Friedberg nicht an, weil fich mit den grundsäßlichen Anregungen des konservativen Antrags zunächst das Plenum befassen müsse. Die Ueberweisung an die Kommission könne dann immer noch beschlossen werden.

Die Abgg. Friten-Borken (Zentr.) und Goerdeler (fr. konf.) äußern sich in demselben Sinne.

Abg. Dr. Krause (nl.) erhebt formelle Bedenken dagegen, daß die Etatsposition selbst bewilligt und der dazu gehörende Kommissions- bericht vertagt werde.

Präsident von Kröcher theilt diese formellen Bedenken nicht und bittet, die Etatsposition sofort zu erledigen, weil dies aus teh- nishen Gründen für die Fertigstellung und auch für die Drucklegung des Etats wünschenswerth sei.

Die Etatsposition wird bewilligt; die Berathung der Kommissionsanträge und des Antrags der Konservativen wird ausgeseßt.

Es folgt der Etat der Justizverwaltung. Ueber die Einnahmen berichtet Abg. Schmiß - Düsseldorf (Zentr.).

Abg. Dr. Porsch (Zentr.) hält es mit der Kommission für ¿weckmäßig, die Bemerkungen über das Gerichtsvollzieherwesen für eine andere Stelle zurückzuitellen.

Präsident von Kröcher schließt sich diesem Wunsche an.

Abg. Nölle (nl.) weist auf die große Steigerung der Einnahmen aus den Gerichtskosten hin. Ueber die Ursache dieser Erscheinung solle das Haus nah der Erklärung des Justiz-Ministers Mittheilung erbalten, nachdem das Gutachten des Finanz-Ministers eingeholt fei. Es wäre zweckmäßig, führt der Redner aus, eine Revision des Gerihtsfostengeseßes von 1895 vorzunehmen, da zweifellos im Wider- pru mit den Wünschen des Gesetzgebers eine Erhöhung der Ge- bührensätze eingetreten sei. Wir werden aa der Hand des von dem Justiz-Minister in Ausficht gestellten Materials diese Frage vrüfen können. Neue Erhebungen dürften aber nicht nothwendig sein: sie würden die Revision des Gerichtskostengesezes nur hinaus- schieben. Ih möchte sogar bitten, daß die Staatsregierung noch in dieser Session einen Gesetzentwurf vorlegt, in dem die Schlüsse aus den gemachten Erhebungen gezogen werden. Zeit genug haben wir ¡u dessen Berathung, zumal nahdem der Minister des Innern die Vorlegung eines Gesetzentwurfs über eine anderweitige Dotation der Provinzialverbände für diese Session in Aussicht gestellt hat. Der Fustiz-Minister würde sih durch eine solche Vorlage den Dank weiter Kreise erwerben.

Die Einnahmen werden bewilligt.

Bei dem Ausgabetitel „Gehalt des Ministers“ weist

Abg. Smit - Düsseldorf auf den bedeutsamen Uebergang aus der alten in die neue Rechtsordnung hin, der sich mit der Einführung des B. G.-B. und der Nebengeseße glatt und im allgemeinen zur Zufriedenheit im lezten Jahre vollzogen habe. Einzelne Landes- tbeile, fährt er dann fort, haben sich Opfer auferlegen müssen, und an Klagen bat es nit gefehlt. Dazu gehört die Abweichung von dem alten Rechtssay, der in Bezug auf die Erwer- bung von Rechten an Immobilien gilt. Jetzt kann diese Er- verbung nur durch gerichtliche oder notarielle Verträge erfolgen, was in der Praris zu großen Unzuträglichkeiten führt. Dieser Nechtsfay steht mit dem Rechtsempfinden des Volkes im Widerspruh. Ueber die Kompetenz des Verwaltungsgerichts einerseits und des Neichs- gerichts andererseits sowie über die des Gerichtshofs zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte sind zwischen diesen Gerichten Differenzen entstanden, die an Zustände in Schilda erinnern. Auch dieser Zustand ist für das Nechtsemvfinden des Volkes und für die Rechtspflege unhaltbar, und es wäre wünschenswerth, daß der Minister eine entsprechende geseß- lie Aenderung vors{lüge. Auf die Verhandlungen, die vor dem hiesigen Landgericht stattgefunden und auf den Anwaltsstand ein merfwürdiges Licht geworfen haben, möchte ih nit eingehen: Der An- waltsstand muß so intakt sein wie der Richterstand. Die Dezentralisation der Gerichte in Berlin wird hoffentlih dazu beitragen, die Richter und Anwälte in engere Füblung zu bringen. Ich freue mich, daß eine er- bebliche Zahl von Hilfsrichterstellen in etatsmäßige Stellen verwandelt worden ist. Die Besetzung von Hilfsrichterstellen steht im Widerspruch mit der Verfassung. Der Minister sollte aber auch in den Pro- vinzen auf eine Dezentralisation der Gerichte hinwirken. Es giebt Städte von 10 bis 20 000 Einwohnern, - die eines Amtsgerichts ent- béhren. Wo bleibt da die Rechtspflege? Die Assessoren sollten nicht mehr in den großen Städten sitzen bleiben, sondern ins Land gehen, um dort ibren Gesichtsfreis zu erweitern. Auch sollten die Richter nicht alle zwei Jahre wechseln. Richter, die sich entschließen, 10 Jahre bei einem Amtsgericht zu bleiben, follten früher befördert und aus- gezeichnet werden. Das Fürsorgegesei für Minderjährige ist durch die BVormundschafthrichter zum Segen der Jngend angewandt worden ; ih

BEEE nur, daß sie fih mehr mit den Waisenräthen in Verbindung elten.

Abg. Pelta sohn (fr. Vgg.): Die Ernennung der Notare erfolgt durch den Justiz-Minister in der Regel aus e Zah : âl Rechtsanwälte. Es ist aber vorgekommen, da sanwälte jüt Glaubens im Verhältniß zur Zahl der jüdischen Rechtsa1 später zu Notaren ernannt worden sind als die christliche

anwälte; das ist in Berlin der Fall gewesen und in noch höherem M

in Posen. Drei Herren sind seit 20 Jahren Rechtsanwälte und

ogar Justizräthe, aber noch niht der Chre gewürdigt worden, zue:

otaren ernannt zu werden. Es scheint ein bestimmtes Prinziv bet der Ernennung zu herrschen, das aber noch nicht enügend erkannt

ist. Es liegt hier do eine Unbilligkeit, wenn ni t Ungerechtigkeit

vor, und ich möchte den Justiz-Minister bitten, uns mitzutheilen, nach welchen Grundsäßen er die Notare ernennt. Der Minister fennt doch sicherlih die Verfassung, welche zwischen den einzelnen Bekenntnissen keinen Unterschied macht. Es ist nicht Erwerbs- finn, welcher die Juden dazu bringt, sich der Rechtsanwaliskarrière zu- zuwenden. Zum Staatsanwalt ist noch niemals ein jüdischer Jurist ernannt worden. Seit 10 Jahren sind jüdische Richter überhaupt nicht mehr bei einem Oberlandesgericht ernannt worden. Wenn auch die Zahl der jüdischen Rechtsanwälte er NE rößer ist als die der christlichen Anwälte, so können doch die jüdischen Anwälte dafür nicht bestraft werden. t / y

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ich glaube von der Ansicht ausgehen zu dürfen, j

daß es nicht die Absicht des Herrn Abg. Peltasohn gewesen ist, heute bei Berathung des Justiz-Etats die Iudenfrage im allgemeinen auf- zurollen. Ih glaube mich deshalb in der Beantwortung seiner An- frage beschränken zu dürfen auf den Schwerpunkt seiner Ausführungen, und das war die Beschwerde darüber, daß die jüdischen Rechtsanwälte nicht ‘nach dem Verhältniß ihrer prozentualen Zahl und der Ge- sammtheit der Nehtsanwälte zu Notaren ernannt werden.

Meine Herren, ih glaube, daß der Herr Abg. Peltasohn in seiner Anfrage und Beschwerde von einem unrichtigen Gesichtspunkt ausgegangen ist, nämlich von dem, daß bei der Grnennung von No- taren das Interesse der konkurrierenden Rechtsanwälte das Maß- gebende sei, nicht aber das Interesse der Bevölkerung. (Sehr richtig!) Es ift Jhnen auseinandergeseßt worden, wie das Verhältniß der jüdischen zu den christlihen Rechtsanwälten sih in einigen Groß- städten im Laufe der Zeit entwickelt hat. Es ist insbesondere auf Berlin hingewiesen worden. Da Herr Peltasohn die Güte gehabt hat, mich vorher auf seine Anfrage aufmerksam machen zu lassen, fo bin: ih in der Lage, die Zahlen, die für Berlin in Frage kommen, fest- zustellen. Unter den in Berlin ansäffigen 851 Rechtsanwälten be- finden sih 526 jüdische (hört, hört!), also etwa *|s sämmtlicher An- wälte gehören dem jüdischen Glauben an. Unter den 176 Notaren befinden ih 65 jüdische, also etwas über 5. Der Prozeutsaß der jüdischen Bevölkerung zur Gesammtbevölkerung in Berlin beträgt 5,14. (Hört, hört!)

Meine Herren, ih würde es zunächst ablehnen müssen, Auskunft zu geben über die Gründe, die mich im einzelnen Fall bei der Er- nennung von Notaren bestimmen. Jch glaube, daß ih dazu weder verpflichtet noch berechtigt bin. (Sehr gut!) Von dem mir geseßlih zugewiesenen Ernennungsrecht mache ih Gebrau nach bestem Wissen und Gewissen; und maßgebend is dabei an erster Stelle das Interesse der Bevölkerung. Ich glaube aber, daß ih es der Bevölkerung gegen- über niht würde verantworten können, wenn ih beispielsweise hier in Berlin die jüdischen Notare in demselben Umfang wie die christlichen nach Maßgabe ihres Prozentsaßes und ihres Dienstalters zu Notaren bestellen wollte. Ich glaube, es würde in den weitesten Kreisen der christlichen Bevölkerung ganz entschieden Anstoß erregen, wenn sie dur die mir obliegende Ausübung des Ernennungsrehts der Notare mehr und mehr dahin gedrängt würden, in denjenigen Geschäften, für die sie des Naths eines Vertrauensmannes bedürfen, mehr oder weniger auf jüdishe Notare angewiesen zu sein. (Sehr wahr!) Das kann ih nicht und werde ih niht. Meine Herren, gerade die Geschäfte, für die die Mitwirkung des Notars in Anspru genommen wird, sind in außerordentlich zahlreihen Fällen solche, die- cin be- sonderes persönliches Vertrauen vorausfsezen; in den meisten Fällen ist auch das Verhältniß der Klientel zu dem Notar ein solches, daß eine gewisse nähere Beziehung besteht. Es handelt sich vielfach um die intimsten Familienangelegenheiten, um die allerdiskretesten Ver- mögensangelegenheiten, und da glaube ich, wie die Verhältnisse bei uns einmal liegen, damit rechnen zu müssen, daß ein sehr großer Theil der christlichen Bevölkerung Bedenken tragen würde, alle diese Verhältnisse au jüdischen Notaren anzuvertrauen.

Das ist absolut kein Vorwurf gegen die jüdishen Notare. Ich erkenne unumwunden an, daß unter den jüdischen Rechtsanwälten in Berlin und in der ganzen Monarchie eine große Anzahl ganz hervorragender, echrenwerther und alles Vertrauen verdienender Männer sich befinden. Aber troß alledem muß ih mit der Thatsache rednen, das in weiten Kreisen der Bevölkerung eine Auffassung be‘ceht, der auch eine innere Berechtigung nicht abzusprechen ist, die die hristlihe Bevölkerung dahin bringt, zu verlangen, daß sie in dieser Beziehung mit christlihen Beamten zu thun hat, ihre An- gelegenheiten christlißhen Beamten anvertrauen fann.

Von einer Verletzung der Verfassung und von einer Verletzung des Gesetzes von 1869 ist dabei keine Rede. Das ist auch wohl nit ernstlich gemeint worden; wenigstens hat der Herr Abg. Peltasohn darauf selbft keinen Werth gelegt. Wenn es nah den Grundsäßen des Herrn Abg. Peltasohn ginge, wenn die Ernennung der Notare, gleihviel, ob es jüdische odec christliche sind, in einer Stadt wie Berlin ih lediglich nach dem Prozentsay und dem Dienstalter rihtet, dann, meine Herren, würden wir nah 10 Jahren vielleiht kaum noch einen christlihen Notar in Berlin haben (oho! links), und das ist ein Zu- stand, für den ih die Verantwortung niht würde übernehmen fönnen.

(Es sind auch noch andere Verhältnisse, so die von Bromberg und von Posen erwähnt worden. Ih kann die hierauf bezüglichen An- gaben im Augenblick nit kontrolieren und will in keiner Weise ihre Nichtigkeit bestreiten. Ich will nur das Eine hervorheben, daß die Zahl der jüdischen Rechtsanwälte iu den Jahrén von 1887 bis 1900 von 20,4 auf 26,8 9/9 der Gesammtheit gestiegen is also eine sehr erbeblihe Steigerung —, und diese Steigerung wird allem Anschein na aus Gründen, die Herr Abg. Peltasohn angedeutet hat, nicht auf- hôren, sondern vielleidt noch in progressivem Wtaße weilergehen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

f der älteren

Zweite Beilage

en Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

(Shluß aus der Ersten Beilage.)

Denn die eine Thälsache is nicht zu bestreiten : au die Anstellung der zahlreichen- jüdischen Assessoren im Richteramte bietet der Justiz- verwaltung die allergrößten Schwierigkeiten. Ich hätte nicht erwartet, daß nach dieser Seite hin von dem Herrn Abg. Peltasohn gerade der Justizverwaltung Vorwürfe gemaht werden würden, die ja noch die einzige ist in der, ganzen Monarchie, in der überhaupt jüdische Assessoren angestellt werden. (Hört! hört! bei den Freisinnigen.) Alle anderen Verwaltungen lehnen es ab, jüdische Herren zu über- nehmen. (Hört, hört! bei den Freisinnigen.)

‘Die Justizverwaltung behält also in ihrem Ressort diejenigen Herren, die aus dem Sudenthum hervorgegangen sind und dem Studium“ ‘der Jurisprudenz sich gewidmet haben. Sie unterschäßen vielleicht die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Thatsache ergeben. Auch bei dex Ernennung der Amtsrichter und Einzelrichter muß mit der (allergrößten Vorsicht vorgegangen werden, und wenn ih Ihnen die Berichte der sämmtlichen Obexlandesgerichts-Präsidenten vorlegen Fönnte, die an mich erstattet werden, wenn bei Beseßung von Stellen auch jüdische Bewerber in Frage kommen, so würden Sie finden, wie in zahlreichen Fällen gesagt worden ist: es ist absolut unmöglich, an dieser. Ort noch: einen jüdischen Richter anzustellen —, und dann würden Sie den Vorwurf, den Sie gegen mich richten, nicht aufrecht erhalten.

Ih erkenne an, daß nah dem Geseß die Juden völlig gleich- berechtigt. sind, ‘daß ihnen alle öffentlihen Aemter nah dem Gesetz von 1869 zugängliß sind. Aber ih erkenne nicht an, daß die Ablegung einet ‘Prüfung nun auch ‘einem jeden Kandidaten ein Anrecht «uf An- stellung im Staate giebt.

Ih weiß“ nicht, ob dem Herrn Abg. Peltasohn die Gesichts- punkte, die ih Jhnen hier angedeutet habe, genügen werden oder nicht. Es sind nicht feststehende prozentuale Zahlen, um die es ih handelt; in jedem einzelnen Falle, wo eine Stelle zur Erledigung oder Besezung kommt, wird geprüft, ob es unter Berücksichtigung der Gesammt- verhältnisse zulässig ist, ‘einen jüdischen Bewerber zu berücksichtigen oder nit. Meine Herren, unter ‘den Berliner jüdischen MNechts- anwälten ist das ganz genau bekannt. Die Herren kommen sehr zahlrei zu mir, um ihre Bewerbung bei mir mündlich zu betreiben. Ich kann auch ‘hier nur wiederholen, daß darunter eine große Zahl hochachtbarer, ‘éhrenwerther Männer ist, die jedes Vertrauen * ver- dienen. Aber die Herren geben selbst zu und haben mir wiederholt bekannt, daß es unzulässig, unmöglich sei, die jüdishe Rechtsanwalt- {haft in dem Maße zu berücksichtigen, wie das nah der Auffassung und den Anträgen des Herrn Peltasohn geschehen müßte. Die Herren find zum großen Theil fo vernünftig und objektiv, daß sie es unumwunden zugeben, wenn sie es auch für ihre Person beklagen. Daß es- infolgedessen bis jegt dahin gekommen ist, daß durchschnittlich die jüdischen Rechtéanwälte bis aht Jahre länger warten müssen, ehe sie éîin Notariat erlangen, als die hristlilen, das will ich niht bestreiten, das wird im allgemeinen rihtig sein. Der Zeitpunkt kann fich möglicherweise im Laufe der Jahre noch weiter hinauss{hieben. (Hört! hört! links ) JIch kann und ih werde daran nichts ändern, und ih glaube, daß ih damit der Gesammtheit diéne.

Meine Herren, ih glaube damit in diesex Frage den Herrn Peltasohn verlassen zu können und will nur noch die Gelegenheit er- greifen, einige kurze Bemerlungen auf die Anregungen des Herrn Abg. Schmitz zu machen. Soweit sie {hon im vorigen Jahre hier vorgebracht wurden, brauche id) wohl nicht darauf zurückzukommen.

Es hat mich gefreut, aus dem Munde des Herrn Abg. Schmitz die Anerkennung zu hören, daß der Uebergang von dem alten zum neuen Recht ih im wesentlichen viel leihter und glatter vollzogen hat, als das von vielen Seiten vor dem 1. Januar 1900 angenommen wurde. Ich kann nur mit hoher Anerkennung meinerseits aussprelhen, daß die Nichter, die mit der An- wendung des neuen Gesetzes befaßt gewesen sind, sich über Erwarten befähigt erwiefen haben, nah allen mir zugégangenen Mittheilungen, sich in die neuen shwierigen Verhältuisse hineinzufinden. Jch glaube mit dem Zeugniß nicht zurückhalten zu jollen, daß die Richter in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl mit größtem Fleiß und größtem Eifer bemüht gewesen sind, sih in die neue Gesetzgebung hineinzu- arbeiten und dieselbe in einer den Bedürfnissen des Verkehrs und der Bevölkerung entsprehenden Weise zur Anwendung zu bringen. Jch glaube nicht, daß die Schwierigkeiten vollständig überwunden find. Wenn bisher die Sache ganz glatt gegangen ist, fo ist das vielleicht zum theil auf den Umstand zurückzuführen, daß manche von den Schwierigkeiten, die unzweifelhaft in der neuen Gesetzgebung liegen, noch nicht überall zu voller Erkenntniß gelangt sind, und es werden vielleicht wir müssen mit dieser Möglichkeit rechnen fich noch andere Schwierigkeiten ergeben. JIch habe Veranlassung ge nommen, Anordnung dahin zu treffen, daß im Justiz-Ministerium eine Sammlung aller derjenigen Beshwerden angelegt wird, die bei der Anwendung der neuen Gesetze hervortreten. Es soll das gewisser- maßen cine Materialiensammlung sein für cine künftige Revision des Bürgerlichen Gesebuchs.

Daßin gehört au der Punkt, den der Herr Abg. Schmih an erster Stelle vorgebracht hat, die Erschwerung des Immobiliarverkehrs. Abet, meine Herren, diese Bestimmung ist von den maßgebenden Faktoxen der Reichsögesegebung mit vollem Béwußtsein in das Bürger- liche. Gésetbuüch bineingebraht. Jh glaube mih mit Bestimmtheit zu erinnern, daß über diese Bestimmung auch die Vertreter der Land- wirths{aäft !— Landwirthschaftskammern bestanden ja damals noch nicht; âber ‘des Landes-Oekonomiekollegiuis jedenfalls gehört worden find, uñd daß auth diese Herren, ebenso wie die in die Kommission berufenen Vertreter der Landwirthschaft es “waren ja mehrere von soldzen! Herren Mitglieder der Komimnifsion geworden —, sich \{hließlich für ‘diese Bêstimmung entschieden haben, und zwar deshalb, um den Immobiliakberkehr auf eine sichere Basis zu stellen, gerade mit Rücksicht auf die Gefahz, die erfahrungsgemäß recht häufig hervor»

Berlin, Freitag, den 1. Februar

getreten fein soll, daß geshäftsunkundige, mehr oder weniger leicht- fertige Leute im JImmobiliärverkehr fich haben zu Dispositionen ver- leiten lassen, die sie nahher bereut haben, von denen sie aber nicht mehr zurücktreten, konnten. Daß in Einzelfällen fih aus den neuen Vorschriften ein empfindlicher Konflikt zwischen Sitte und Gesetz ergeben kann, ist gar’ niht zu verkeúnen. Aber, meine Herren, derselbe Gegensaß und Widerspruch besteht ja und hat auch \{on früher bestanden bezüglich aller derjenigen Verträge, die nicht auf dem Ge- biete des Immobiliarverkehrs lagen, wenn für deren Gültigkeit und Verbindlichkeit die schriftliche Forni erfordert wurde. Auch da, meine Herren, konnten wir ja ausgehen von dem Grundsatz: ein Wort, ein Mann. Das hinderte aber nicht, daß der, der in mündlicher Weise Verpflichtungen übernommen hatte, zu deren Rechtsverbindlichkeit die schriftliche Form erforderlih war, sich nachher zurückziehen konnte und sagen: ih bin nicht gebunden, ih habe es nicht {riftli gemaht. So” ähnli liegt es auh hier auf dem Gebiet des JImmobiliarverkehrs. Ob in absehbarer Zeit hier eine Aenderung zu erwarten ist, wird abhängen von den Erfahrungen, die noh gemacht werden. Ich möchte aber jedem, der ein Grundstü kauft oder verkauft, den dringenden Rath geben, ih auf mündliche und privatschriftliche Versprehungen nur dann zu verlassen, wenn der betreffende Kontrahent absolut sicher ist. Vorsicht ist heutzutage in allen Dingen geboten; ohne sie geht es nicht.

Ueber die negativen Kompetenzkonflikte will ih mi heute nicht weiter verbreiten. Jch will die Herren, die sich für die Sache inter- essieren, darauf aufmerkfam machen, daß die neueste Nummer der „Deutschen Juristen-Zeitung“, die das Datum des 1. Februar trägt, eine eingehende Darstellung der Rehts- und Sachlage enthält, aus welcher die Herren besser, als ih das vorzutragen vermöchte, die Sach- lage kennen lernen können. Ich glaube, es. wird das besser zur Jn- formation des hohen Haufes dienen; als wenn ich hier eine folche Darlegung versuchen wollte. In welcher geschäftlichen Lage die Sache sich befindet, geht aus dem Kommissionsprotokoll hervor.

Der Abg. Schmit hat si in einer höchst anerkennenswerthen und verdienstlichen Weise für die Ausführung des neuen Fürforge- geseßes interessiert und eine s{äßenswerthe Abhandlung geschrieben, die als Führer dienen kann für die Organe, die mit der Ausführung des Gesetzes betraut sind, und außerdem geeignet ist, das Interesse für die Sache, wo es es noch nicht besteht, in die weitesten Kreise zu tragen. (Sehr richtig!) Der Abg. Schmiß hat nun den Wunsch ausgesprochen, daß seitens der Justizverwaltung auf die Vormundschafts- richter eingewirkt werde, daß sie mit den MWaifenräthen Hand in Hand

gehen möchten in dieser Angelegenheit, und hat erwartet, daß eine |

solche Weisung in der von mir zu erlassenden Verfügung zum Ausdruck gelangen werde. Meine Herren, die Verfügung, die ih erlassen werde, liegt gegenwärtig dem Herrn Minister des Junern zur Kenntniß- nabme vor. Alles, was auf diesem Gebiete - geschieht, geschieht in wechselseitigem Einvernehmen zwischen dem Herrn Minister des Innern und mir. Wie die Ausführungsbestimmungen, die der Herr Minister des Innern erlassen hat, zunächst mir zur Prüfung vorgelegen haben, bevor sie weiter gegangen sind an die zuständigen Behörden, fo habe au ich die von mir zu erlassende Verfügung dem Herrn Minister des Innern zugehen lassen, um zu hören, ob und welche Bedenken da vorhanden sind. Diese, Prüfung wird voraussichtlich nicht lange Zeit in Anspruch nehmen, und ih glaube, daß în der nächsten Nummer des „Justizministerialblattes“ in der näcsten Woche die von mir zu erlassende Verfügung sich finden wird.

Allerdings, um keine Enttäushung bei den Herren hervorzurufen, bemerke id, daß die Verfügung nicht an Vormundschaftsrichter ge ritet ist, sondera an die Strafvollstreckungsbehörden, also an die Staatsanwaltschaften, an die Amtsrichter, die mit der Strafvoll streckung zu thun baben, und an die Vorstände von Gefängnissen. Jch babe ibnen dringend ans Herz gelegt, gemäß den Ausführungsbestim mungen des Herrn Ministers des Innern mitzuwirken an der Ausführung des Geseßes. J habe bestimmte Direktiven ge geben, welhe Mittheilungen zu machen - find auf Grund der bei ibnen sich ergebenden Wahrnehmungen, und hoffe, daß es von gutem Erfolge scin wird. An die Vormundschaftsrichter habe ich mich deshalb nit gewandt, weil es fich um Ausführung richterlicher Funktionen handelt punkt aus, bier irgendwie einzugreifen. (Sebr ridtig!) Jh glaube, umsomehr davon absehen zu können, weil ih das Vertrauen habe, daß sämmtliche Vormundschaftsrichter obne Ausnahme der hohen Be deutung des Gesetzes sich voll bewußt sein werden und daß sie nirgendwo es unterlassen werden, soweit es in ihren Geschäftsbereid) fällt, das Jhrige dazu zu thun, daß die: heilsamen Erfolge, die wir von diesem Gesetze uns versprechen, überall zur vollen Geltung kommen. (Bravo!)

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Die Ausführungen des Justiz- Ministers waren so erstaunlih, daß ih darauf eingehen muß. Die Miniiter sind doch dazu da, den Parlamenten über die Art ihrer Nerwaltung Rede und Antwort zu stehen; ich muß mich also grundsäßlih dagegen verwahren daß der Minister über die Gründe der Nichternennung jüdisher Notare feine Auskunft zu aeben babe. Er hat sich gleihwohl in conereto über die Nicht ernennung jüdischer Notare ausgesprochen: Er stellte das Interesse der Bevölkerung obenan. Wenn für die Minister ihr subjektives Urtheil über das Interesse der Bevölkerung maß zebénd ist, so stellen sie sich außerhalb der Verfassung, denn die Zugehörigkeit zu irgend einer Kon fession soll nah der Verfassung nicht entscheidend sein für die Be setzung der Aemter. - Die Verfassung soll uns doch s{ühßen vor einer willkürlihen Interpretation ‘der Interessen der Bevölkerung. | Nur ein vershwindender Bruchtheil der Berliner Bevölkerung steht auf dem Standpunkt des Ministers. Es handelt sich nicht um Interessen der Bevölkerung, sondern um die Vorurtheile eines kleinen Theils der Bérliner Bevölkerung, Der Minister hat offén anerkannt, daß er Juden und Christen verschieden beurtheilt, niht nah der Qualifikation, sondern nah der Konfession. Es giebt eine jüdische und eine christ- liche Liste, und die ‘Juden werden 4 bis 10 Fahre später Notare als dié Christen. Es soll sogar noch eine Liste der getauftea Juden eristieren, die als sujets mixtes behandelt werden. Der Minister tönnte auch sagen, es «liege, in VBetlin kein Beh, rfniß vor, fatholishe Notare oder über eîne bestimmte Anzahl . inaus zu ernennen. Die Verfassung will gerade solche Unterschiede a: Acheiden.

1908.

Die intellektuelle und moralisde Befähigung darf allein den Aus- {lag geben. Nach den Grundsäßen des Sustiz-Ministers wird E

etwa bloß in seinem Ressort verfahren, obgleich es unter ihm n

relativ am besten zugeht. Wo is da die Spur eines Rechtsftaats in Preußen, wenn der Justiz-Minister solhe Grundsäße proklamiert? Solange die Verfassung besteht, müssen Sie und der Justiz-Minister den Muth haben, fie aufrecht zu erhalten.

_ Abg. Faltin (Zentr.) beshwert fich darüber, daß o wenig Dolmetscher in Oberschlesien angestellt seien. Die Dolmetscher müßten nicht bloß die betreffende Sprache beherrschen, sondern auch juristish genügend vorgebildet werden, damit sie die tehnis{-juristischen Aus- drücke richtig überseßèn oder wenigstens umschreiben könnten. Er wolle gewiß nicht über alle Dolmetscher den Stab brechen, aber manche ge- nügten doch nicht, was im Juteresse der Rechtspflege sehr bedauert sei. Der Minister sollte in dieser Richtung Nemedur eintreten lassen. Ein weiterer Uebelstand sei die außerordentlich dürftige Aus- stattung der Warteräume bei manchen Gerichten, besonders in Ober- \{lesien; es fehle sogar an Stühlen. Der Nedner verbreitet si dann noch über vie Anstellungs- und Gehaltsverhältnisse der Sub- alternbeamten un über die zu große Zahl der Hilfsarbeiter. Der Minister solle dafür sorgen, daß die Aktuare in kürzerer Zeit zur An- stellung gelangen.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ich entbehre heute zu meinem großen Bedauern der Unterstüßung meines Etatsreferenten, der vorgestern von einer heftigen Influenza befallen worden ist. Infolge dessen bin ih außer stande, auf die Einzelheiten, die der Herr Abg. Faltin soeben bezügli der Verhältnisse der Aktuare in Oberschlesien mitgetheilt hat, näher einzugehen.

Die Vermehrung der Zahl der Gerichtsschreiberstellen im Etat ist ja erheblicher als je zuvor. Die Gründe, die für die Vertheilung der neuen Stellen maßgebend gewesen sind, ersehen Sie aus der Erfklä- rung, die mein Referent auf Seite 10 des ProtokoUs der Budget- kommission abgegeben hat, und diese geht im wesentlichen dahin, daß die große Mehrzahl der neuen Stellen - der Rheinprovinz deshalb zu- gewiesen ist, weil da die Verhältnisse noch viel ungünstiger waren wie in Oberschlesien. Die Vertheilung der Stellen bezweckt eben einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Provinzen. Es hatten sich sehr große Verschiedenheiten in den einzelnen Provinzen entwickelt, und die Justizverwaltung ist nah Kräften bemüht, in dieser Beziehung auszuhelfen. Sie hat zunächst da die helfende Hand angelegt, wo die Zustände am wenigsten befriedigend waren. Daß nach der Darlegung des Herrn Abg. Faltin die Zustände in Oberschlesien noch feines8wegs befriedigende sind, gebe ih ohne weiteres zu; soweit in meinen Kräften steht, werde ih bemüht sein, auch Jort weiterhin für Abhilfe zu sorgen. Es fann vielleicht weitere Hilfe agMhaffen werden dur Versetzung aus einem Bezirk in den“ anderen, obgleich diese Verseßung in den meisten Fällen den Herren persönlich sehr unangenehm ist; sie wollen nit in fremde Verhältnisse hineinkommen.

Meine Herren, die mangelhafte Ausstattung der Gerichtslokale und Wartezimmer ist ein stehendes Kapitel in den Etatsberathungen. Jch bedaure, daß es nicht überall so ist, wie ih es selbs gern sähe Aber von hier aus können wir unmöglich im einzelnen feststellen, ob in dem einen oder anderen Zimmer noch ein Stuhl mehr stehen müßte. Ich glaube, die Dinge können nur lokal geregelt werden.

Was endlich die erste Frage des Herrn Abg. Faltin anbetrifft, die Dolmetscherfrage, so hat er einen Theil der Antwort, die er von mir erwartete, mir {on in den Mund gelegt; diefe Antwort geb nämlich dabin, daß Beschwerden aus Oberschlesien mir nicht zuge gangen sind. Jm vorjährigen Etat ist der Fonds für die Dolmetscb um 2800 M vermehrt worden, und zwar, wie in den &rlauterungen ¿um Etat damals ausdrücklich hervorgehoben war, für die Bezirke Königsberg, Marienwerder und Posen. Man ist aljo damals davon ausgegangen, daß für Oberschlesien ein solches Bedürfniß nicht vor kanden sei. Nach meiner Erinnerung hat sih auch damals keint Stimme bier erhoben, die den Antrag gestellt hätte, für Oberschlesien in gleicher Weise zu sorgen.

Da mir die Anregung nicht vorher mitgetheilt war, kann ih auch nit darüber Auskunft geben, wie die Provinzialbehörden ih zu der

Frage stellen. Daß es viele {hlechte Dolmetscher giebt, wissen wir

| wir wissen aber auch, daß alle Bemühungen, gute Dolmetscher zu be | schaffen, auf große Schwierigkeiten stoßen. Cs Ul außerordentlich | s{chwer, Dolmetscher zu finden, die die polnische Sprache auch nament

lid auf dem Gebiete der juristischen Technik völlig beberrshen. Der Andrang zu den Dolmetscherstellen is ein sehr geringer, und di Klagen aller Oberlandesgerihts-Präsidenten gehen fortwährend dahin, daß: ibnen das geeignete Material fehlt zur Besetzung der erledigten Stellen. Wenn es daher auch in Oberschlesien ih fühlbar macht, daß bei einzelnen Gerichten nicht immer Dolmetscher zur Verfügung der Nichter stehen, namentlih wenn in verschiedenen Gef häftäzimmern gleizeitig polnisch redende Bevölkerung abgefertigt sein will, dann ist das ja zu bedauern; aber vollständig wird ich dieje Klage überhaupt niemals beseitigen lassen. Von hier aus geschieht alles, um auf eine bessere Ausbildung der Dolmetscher hinzuwirken Es {weben gegenwärtig gerade Verhandlungen ¡wischen den betheiligten Ressorts des Innern, der Unterrichtsverwaltung und der Justiz, welche Mittel dabin führen könnten, uns ein besseres Dolmetschermaterial zu schaften ; diese Verhandlungen befinden sih aber nol im ersten Stadium, und id weiß nit bestimmt, was daraus werden wird. Der beste Nath, den ih zunächst geben kann, ist der, daß die Herren, die über den Mangel an Dolmetschern klagen, jeder in feinem Kreie, dabin wirken, »aß die polnishe Bevölkerung sih mit aller Kraft bemüht, deutsch zu lernen. (Bravo! rets.)

Hierauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.

5 Schluß 4 Uhr. Nächste Sizung Montag 11 Uhr. (Erste Lesung der Kanalvorlage.)