1901 / 35 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 09 Feb 1901 18:00:01 GMT) scan diff

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die Sicherheit gegeben, daß es nicht gefälsht ist. Immerhin bieten aber die Grenzzahlen für die Untersuchung und für die Frage, ob ein solches unzulässig gestrecktes Getränk vorliegt oder nicht, einen werth- vollen Anhalt. Jch möchte deshalb die Grenzzahlen nicht ganz ver- worfen wissen.

Nun gestatte ih mir noch auf eine Frage mehr tehnischer Natur

einzugehen, die Zusammenhang hat mit dem ersten Geseßentwurf, der heute Jhrer Berathung unterlegen hat, eine Frage, die auch bereits in der Oeffentlichkeit angeregt ist. Man hat nämlich gesagt: es ist ein Fehler des bisherigen Weingeseßes, den man bei Gelegenheit dieser Novelle verbesseru sollte, daß von den Bestimmungen des Weingeseßes die moussierenden Getränke, der sogenannte Champagner, zum theil ausgenommen sind, und würde man bei der jeßigen Novelle, die den Kunstwein ganz verbietet, während das vorige Geseß nur die Dekla- ration verlangte, diese Lücke nit ausfüllen, so würde die Konsequenz sein, daß alle Fälscher sich auf die Herstellung von moussierenden Weinen werfen würden. Die Frage ist keineswegs sehr einfach und wird in der Kommission noch eingehend erörtert werden müssen. Es ist nämlich, wie die Champagnersachverständigen versichern, ausgeschlossen, gewisse Sorten Champagner, namentlich die, welhe nah dem Aus- lande gehen, nah Indien, nah Sibirien, wo sie wegen der klimatischen Verhältnisse besonders dauerhaft sein müssen, herzustellen mit dem jeßt nur zugelassenen Zusaß von 1 %/ Alkohol. Denn diese Cham- pagner haben zum theil nur es sind das leiht abgekelterte Weine einen Alkoholgrad von 8 0/0. Würde man deshalb nur 1 9/6, wie bei den üBrigen Weinen, zuseßen dürfen, so würde dieser Alkoholgehalt nicht genügen, um den klimatischen Einflüssen in Rußland, in Indien, in sonstigen heißen und tropischen Ländern Widerstand zu leisten, vielmehr wäre, um die moussierenden Weine dort beständig zu erhalteu, mindestens ein Alkoholgehalt von 10 bis 11 0/6 erforderlih. Ih glaube also, man wird die Frage, ob man auch die moussierenden Weine allgemein unter dieses Geseß nehmen will, noch einer eingehenden Erörterung in der Kommission unterziehen müssen.

Dazu kommt, meine Herren, daß man auch bei den moussierenden Getränken mit den Grenzzahlen niht recht auskommt, weil diese mous- sierenden Getränke, namentli die Lothringer Weine und Champagner- weine, die nur leicht abgekeltert werden und einer Einmaishung nicht unterliegen, die Grenzzahlen niht nahweisen sollen wie wenigstens die Champagnerfabrikanten behaupten —, welche die stillen Weine nach- weisen, aus dem einfahen Grunde, weil diese moussierenden Weine nicht so lange in Berührung mit den Trestern bleiben wie diestillen Weine. Nach der Auffassung der Champagnerfabrikanten wirkt dieser Zustand, daß der Wein ohne Einmaishung gekeltert wird, auf die Grenzzahlen zurück. Andererseits behaupten aber die Fabrikanten, daß man Cham- pagner nur herstellen könnte mit den schnell abgekelterten Weinen, die nicht gemaischt und infolge dessen erheblich dünner und deshalb dem Mousseux zugänglicher sind als ein dickerer, stiller Wein.

Nun noch eine leßte Frage; das ist die Kontrole des Zuker- zusatzes, die seitens einer Anzahl Winzervereine erhoben ist. Man hat verlangt, daß dem Wein nur ein ganz bestimmter Prozentsaß von zuckeriger Lösung zugeführt werden dürfe, und manche Inter- essentenkreise sind noch weiter gegangen und haben sogar die Forde- cung aufgestellt, daß diese zuckerige Lösung nur bis zu einem be- stimmten Zeitpunkt, z. B. bis zum 1. Dezember, dem Most zugeseßt werden dürfe. Ich halte eine solche Bestimmung für vollkommen unausführbar. Wenn man eine derartige Bestimmung nicht einen todten Buchstaben sein lassen will, so muß man sie kontrolieren, und ih frage: wie denken sich in aller Welt die Interessenkreise, die eine solche Forderung stellen, wie eine solhe Kontrole ausgeübt werden soll in den Tausenden von Kellern, wie lange einerseits zuckerige Lösung dem Wein zugeführt werden darf, und ferner: in welhem Prozentsaß? Man wird darüber Untersuchungen anstellen müsen, wenn man im einzelnen Falle einen Mann, den man für einen Fläscher bält, faßt, aber eine allgemeine Kontrole auszuführen halte ih für

vollkommen unausführbar. Dann würde aber diese Bestimmung nichts

weiter sein als die Aufstellung eines moralishen Grundsayes für Winzer und Weinhändler, aber meines Erachtens ohne jede praktische Wirkung.

Meine Herren, ih gestatte mit eine Shlußbemerkung. Es werden von den Weininteressenten Forderungen aufgestellt, von denen ih bereits im Beginne meiner Ausführungen bemerkte, man überlege sich bei solhen Forderungen nicht, daß dies Geseß gelten soll niht nur für kleine Orte in Weingegenden, sondern au für den Weinhandel, den Weinverkehr in den größten Städten, die wir in Deutschland baben, und andererseits vergißt man, daß die Chemie noch nicht zu dem Grad der Erkenntniß gelangt ist, die wünschenêwerth wäre, um Fälshungen so \s{nell, billig und objektiv festzustellen, wie nothwendig wäre. Jch glaube, gerade der Schuß des ehrlichen Winzers in Form eines Weingesetes kann nur allmählich erfolgen, und wir thun gut, nit grundstürzende Gesetze zu fordern, sondern, wie es hier in diesem Gesetzentwurf geschehen ist, Lücken, die sih gezeigt haben, allmählich auszufüllen und auf diesem Wege fortzuschreiten nah Maßgabe der Erfahrungen und der verbesserten technishen Kenntnisse, die wir uns im Laufe der Zeit erwerben. Ich bitte deshalb, meine Herren, dem Gesetz ein recht wohlwollendes und freundliches Gesicht bei der Be- rathung in der Kommission zeigen zu wollen.

Aba. Dr. Blankenhborn (nl.): Ich freue mich der Anerkennung der Reformbedürftigkeit des Weingeseßzes von 1892 durh den Staats- sekretär. Leider geht dieser langerwartete Gesehentwurf nicht weit genug. So lange können wir nicht warten, bis die Chemie so weit ist, Fälsun en unbedingt erkennen zu können; denn dahin wird die Chemie äberbaupt niht kommen. Der Entwurf bringt uns die längst ewünschte Definition des Begriffs „Wein“. Ich selbst gehöre zu den Puristen und hätte gern die frühere Deklaration, welhe jeden Zusaß aus\ch{chlok, beibehalten; aber die Verhältnisse baben sich eben ge- ändert, man will keine sauren Weine mehr, die früher leichter abzusegen waren, und damit müssen wir uns abfinden und können von diesem Standpunkt aus die jet vorgeschlagene Definition als cinen Fortschritt ansehen. Thatsächlich Tassen ih die Weine ganz übermäßig \trecken, obne unter die Grenuablen und unter die Analysefestigkeit zu sinken. Unerlaubt sind Zusäße von Obstwein, denno werden diese nicht deklariert; ferner werden die Trestern mit Wasser übergossen, was durch das Gese von 1892 nicht verboten ist, und mit diesem Tresterwasser werden die Weine verlängert. Andererseits bleiben öfters Weine, in guten Lagen gewachsen, binter den Grenzzahlen zurück, sodaß die Richter eventuell auf den Verdacht kommen, diese Weine müßten verzuckert sein. Mit den Grenzzahlen kommt man also nicht mehr durch; sie müssen wenigstens aus dem Tert des Gesches heraus. Was am meisten begrüßt werden muß, ist das Verbot des Kunstweins, welchés uns die Vorlage bringt. Mit der Kunstweinsteuer ist nihts zu machen ae es wir werden also nihts gegen das Verboi haben. Dén

ustrunk aber sollten wir weiter arfiatien, damit wird keine Bresche

in das Geseß gelegt. Ob die Branntweinbrennerei - dieser Kunst- weine auch weiter nicht entbehren kann, vermag ih nit zu beurtheilen, jedenfalls müßten dann aber \chärfere Kontrolen eingeführt werden. Eine gewisse Kontrole hälte ih unbedingt für nothwendig. Sie ist ja auch in Süddeutschland vórhanden, und in diesem ganzen Theil des Deutschen Reichs wird ja auch fehr wenig fabriziert. Die idealste Kontrole wäre ja die dauernde Kellerkontrole, aber sie ist {on wegen ihrer Kostspieligkeit ‘nicht “durchzuführen. Von | der Wein- steuer hat man * ja erfreuliher Weise bstand génommen. Nun follen zu der beschränkten Kontrole Sachverständige und Vettrauens- männer im Ehrenamt zugezogen werden. Sollen die Sachverständigen Käufer sein oder Wirthe oder andere Personen? Und sollen auch aus den Konsumentenkreisen Vertrauensmänner entnommen werden? Da liegen nun allerhand Unklarheiten. Gegen die ausländischen Kunst- weine können uns die Zölle hüten, nicht aber gegen diejenigen Kunst- weine, welche in dem Eldorado der Kunstweinfabrikation, in Luxemburg, hergestellt werden. Darum muß inan sich diéserhalb mit Luxemburg direkt in Verbindung seßen, um eine Verständigung herbeizuführen. Beseitigt werden muß auch der ail aus von Noth- und Weißweinen, wie wir ihn durch den italienishen Handelsvertrag bekommen haben. Hoffentlich ist die Zeit dazu bald gekommen. An dem Geseß ist also durchaus zu ändern und zu bessern. Die bisherigen ee ge- statten uns sehr wohl, f{chon Q t etwas weiter zu sehen als die Vor- lage. Jch beantrage, das Geseß der vorher eingeseßten Kommission gleidfalls zu überweisen. i

Abg. Baumann (Zentr.): Die Weinbauern von Unterfranken begrüßen das Verbot des Kunstweins mit Freuden, vermissen in der Vorlage in der Definition des Begriffes Wein aber den enügenden E des Publikums gegen Zusaßweine. Das Publikum hat ein MNecht M reine Naturweine. Die Winzer wieder haben ein Recht auf den Schuß der Produktion reiner Naturweine. Das Mischen unserer Naturweine mit ausländischen Weinen sollte einges{chränkt werden. Nachdem die Brauereien und Brennereien bereits der Staatsaufsicht unterliegen, ist es unbedenklich, auh für die Wein- produktion eine Kontrole einzuführen, nur sollte dieselbe durch besondere Wein-Inspektoren nah Art der Gewerbe-Inspektoren erfolgen. Redner erklärt zum Schluß, R zu sein, zu versichern, daß das Zentrum niemals für eine allgemeine Reichs-Weinsteuer stimmen werde, und stimmt der beantragten Kommissionsberathung zu.

Um 6 Uhr wird die Fortsezung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

21. Sißung vom 8. Februar, 11 Uhr.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1901 wird im Etat der Justizverwaltung bei dem Titel „Gehalt des Ministers“ fortgeseßt.

Abg. Dr. Opfergelt (Zentr., {wer verständlih) beschwert {ih über einen Fall, in dem einem Ausländer die Erlangung eines Heiraths- attestes erschwert worden sci.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Der von dem Herrn Abg. Dr. Opfergelt vor- getragene Fall ist mir speziell nicht bekannt; aber ich bedauere auf- rihtig das junge Paar, welches so viel Zeit, Mühe und Wege gehabt, ehe es in den Hafen der Ehe einlaufen konnte. Die Schwierigkeiten, die demselben entgegengetreten sind, liegen im wesentlihen auf dem Gebiete der ausländischen Gesetzgebung. Sobald die Justizverwaltung angegangen ist, {eint nah dem Vortrage des Herrn Abg. Dr. Opfer- gelt dasjenige sofort geschehen zu sein, was nah Lage unserer Geseß- gebung zulässig ist. Ih erkenne aber an, daß alles geschehen muß, um solche Schwierigkeiten bezüglich der Ausländer, die im Inlande eine Ebe eingehen wollen, zu beseitigen, und ih kann mittheilen, daß seitens des Auswärtigen Amts in Verhandlungen eingetreten ist® mit einer großen Zahl von auswärtigen Staaten, jedenfalls mit den zunäst betheiligten Nachbarstaaten, die dahin gehen, daß wenigstens die Bebörden bestimmt werden, die in den ausländischen Staaten zuständig sind, um solche Heirathsatteste zu ertheilen, nämlih Atteste, daß nach den Gesetzen des Landes der Eheschließung nihts entgegen- stehe. Ih hoffe, daß diese Verhandlungen bald ein erfreuliches Er- gebniß Haben und daß dann diese Klagen verstummen werden.

Abg. Dr. Crüger (fr. Volksp.): An Stelle des erkrankten Abg. Hirsch komme ich auf die Grundsäße für die Ernennung von Beamten zurüdck, die der Minister neulih vertreten hat. Man kann es dem Minister niht zumuthen, bestimmte Beamte anzustellen, denn er trägt die Verantwortung für die Beamten, aber er hat ein bestimmtes System vorgeführt, nah dem die Beamten angestellt werden, das mit der Ver- fassung und der Reichsgeseßgebung nit vereinbar ist. Es handelt sich nicht um einzelne Personalfragen, sondern um das System. Wir könnten uns dabei noch über andere Punkte unterhalten, z. B. wird eine große An- ¡abl von böberen Nichterstellen aus Beamten der Staatsanwaltschaft beseßt, die Rechtsanwälte werden so gut wie garnicht dabei berück- sichtigt. Vielleicht ist au auf diesem Gebiete noch nicht alles so, wie es sein sollte. Mit den Begriffen Autisemitismus und Philo- semitismus sollte man hier niht operieren. Die Frage ist so zu stellen: Macht die Zugebörigkeit zu einer Konfession einen Mann ungeeignet, ein bestimmtes Amt zu bekleiden? Ueber einzelne Miß- griffe, die hervortreten und wieder vers{winden, könnte man hinweggehen. Aber der Minister sagt, alle Verwaltungen, außer der Justiz, lebnten es ab, jüdi)he Herren aufzunehmen, und er hat diesen Grundsay s\tillschweigend gebilligt. Sehen wir überbaupt in den böchsten Stellen des Staates einen liberalen Mann? Die bêchslen Stellen find niht nur den Angehörigen der jüdischen Konfession verschlossen, sondern allein dem Adel vorbehalten. Es giebt keine höchste rihterlihe Instanz, die über die Anwendung folcher Verwaltungsgrundsäte entscheiden kann. Hätte eine höchste richter- lide Instanz, 1. B. das Reichsgericht, über die Geseümäßigkeit der Grundsätze zu entscheiden, die der Minister vertreten hat, so würde die Regierung «ebenso \{lecht abschneiden, wie Lübeck mit seinem Verbot des Strikepostenstebhens. Jh widersprehe der Auffassung des Ministers über die Notare. Er geht von dem Grundsatz aus, daß Notare eines ganz besonderen Vertrauens be- dürften. Ich behaupte, daß die Rechtsanwälte noch viel mehr Ver- trauenêpersonen als die Notare sind. Deshalb ift die Meinung des Justiz-Ministers, daß an den Notar höhere Anforderungen zu stellen seien als an den Rechtsanwalt, unzutreffend. Jch gebe zu, daß kein Rechtsanwalt Anspruch darauf hat, Notar zu werden. Mein Angriff ritet sich nur gegen das System, daß gewisse Rechtsanwälte das Notariat niht bekommen. Auch soll durchaus niht das Juteresse der Nechtêanwälte maßgebend sein, sondern das der Bevölkerung, aber nur im Rahmen der Verfassung und der Reichs - Gesctgebung. Der Justiz - Minister hat die Pflicht, die Bevölkerung darauf auf- merksam zu machen, daß Wünsche, die ih außerhalb dèr Verfassung b en, nicht befricdigt werden können. Es wird eine Verwirrung im Volke bervorgerufen, wenn es nicht weiß, was Recht ist. Die eins{lägigen Bestimmungen der Gesetzgebung find doch klar genug. J verweise nur auf die Artikel 1V und X11 der Verfassung. Der leßtere bestimmt, daß der Genuß staatsbürgerliher Rechte unabhängig ist von religiösem Bekenntniß, und auch Artikel XIV, der vom Gristlichen Bekenntniß handelt, bezicht sich nur auf christliche Religionsübung. Das Notariat hat mit dem Christenthum nichts zu thun. Das Reichsgesehß von 1869 hat allen Staatsbürgern dieselben Rechte eingeräumt. Nach Briefen, die ih von christlihen Rechts- anwälten erhalten habe, werden bei der Besetzung von Notariats- stellen Grundsäye befolgt, die allgemeinen Unwillen hervorgerufen

ben. Man hat nah Kattowiß von auswärts einen chriftlice; Mofisanivalt zum Notar berifan, S der jüdische eta das volle Vertrauen der Bevölkerung genoß. “Der Justiz-Minister wollte den jüdischen Rechtsanwälten und “Notaren nichts vor- werfen, er ihnen“ im Gegentheil ein glänzendes Zeugniß ausgestellt. Aber was nüßt dieses glänzende Zeugniß? In der Praxis sieht es ganz anders aus. Es liegt ein System in der ganzen Sache. W

seit Jahren m daß gewisse Kreise der Bevölk deklassiert

werden, daß wir Bürger erster und zweiter Klasse “haben. Der Minister des Innern hat die Sozialdemokraten gewisser- Taf für vogelfrei erklärt, weil sie eine andere politische Au Paz haben. Deèr Handels-Minister hat den Handel einer wissen ranche für ein nothwendiges Uebel erklärt und diese Kaufleute damit als Bürger zweiter Klasse hingestellt. Die Reichs- regierung erstrebe in China, dal die Christen als gl egte Bürger zugelassen werden. Man follte do lieber darauf halten, daß zunächst in Preußen in der Praxis ausgeübt wird, was in - der Ver- eung steht. ir haben nicht einmal in Preußen erreiht, was für

ina erstrebt wird. Worin unterscheiden 8 gewisse Leute, die mit Dreschflegeln gegen die Mitglieder anderer Konfe fionen vorgehen und die Bevölkerung aufheten, von den chinesishen Boxern? Wir wollen doch erst Nuhe schaffen gegen die Borerbande, die bei uns vorhanden ist. Diese Bewegung erhält Wasser auf ihre Mühle von oben herab, obwohl jene Leute die obersten Nichter der Be- stehlichkeit bezichtigen. ir p ein System, welches in anderen Ressorts herrscht und nun auch Eingang in die Justiz gefunden hat. Welcher Widerspruch, daß man die Juden nicht zu den Gleichen zulassen will, aber bei patriotischen Veranstaltungen und Wohlthätig- feitszwedcken sie nicht verschmäht! Dafür lind die Juden gut genug.

Man je doch konsequent und \perre die Juden lieber in bestimmte Stadtt h

eile ein! Wir leben in einem Staat der allgemeinen Wehrpflicht und Steuerpfliht. Wie kommt nun der Staat, der von den Juden gewisse Pflichten verlangt, dazu, ihnen die Rechte abzusprechen ? Darin liegt ein Un- recht. Die Konfession is ein Hinderniß zur Ausübung politischer und anderer Rechte. Wer wee ob nicht einmal die Zeit kommt, in der es nöthig ist, das ganze olk aufzurufen, wie es 1870 noth- wendig war. Hüten wir uns, dazu beizutragen, daß gewissen Kreisen die Liebe zum Vaterlande auf diese Weise so {wer beeinträchtigt wird, daß sie ihnen ausgetrieben wird. Wir müssen doch Sculter an Schulter stehen in {weren Zeiten; Verfassung und Gesetz sollen cin Palladium sein, um das wir uns alle schaaren müssen. Ob ein paar jüdishe Rechtsanwälte zu Notaren ernannt werden oder nicht, is uns gleichgültig; aber es ist uns nicht gleiQglltig, daß Grundsäße zur Geltung kommen, die die Glei

erechtigung der Staatsbürger P his Wollen Sie I Glei

berechtigung nicht, fo bringen Sie einen Antrag ein zur Abänderung der Berfaffuria und der Reichs-Geseßgebung. Gerechtigkeit und Billig- keit find au heute noch die Stüße der Staaten. Sorgen wir dafür, daß dieser Sinn im Volke hoch gehalten wird. Darum ist es unsere Adi sorgen Grundsäßen, wie wir sie vom Ministertische gehört aben, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Der von dem Herrn Vorredner am Schlusse seiner Ausführungen ausgesprohene Wunsch, will ih nicht gerade sagen, aber die Forderung, daß eventuell beantragt werden möge, die Bestim- mungen der preußischen Verfassung und des Neichsgeseßes von 1869, auf die seine Ausführungen sich stüßten, aufzuheben, wird wohl bei feiner Seite Gegenliebe finden. Wenn ih den Herrn Vorredner im Beginn seines Vortrages richtig verstanden habe ih gebe aber die Möglichkeit eines Mißverständnisses zu —, so hat er angedeutet, daß meine Ausführungen in der vorigen Sitzung auf antisemitisher Ge- sinnung beruhten. Sollte eine solche Behauptung von ihm aufgestellt sein, so müßte ih ihr mit Bestimmtheit widersprechen; ich bin nicht Antisemit, und wenn etwa die antisemitishe Partei irgendwie den Versuch machen wollte, auf Grund meiner Ausführungen in der vorigen Sitzung mih für ih zu vindizieren, so müßte ih es dankend ab- lehnen.

Ich folge dem Herrn Vorredner nicht in allen seinen Aus- führungen; i: folge ihm nicht nach China, und ih will auch nicht die Sätze zum Gegenstand einer Erwiderung machen, die er aufgestellt hat, und die von niemand bestritten werden. Jh halte mich einfach an die Sache, und da handelt es sich darum, ob die in der Justiz- verwaltung bestehende Praxis, die zu vertreten ich in der vorigen Sitzung genöthigt worden bin, mit der Verfassung im Ein- klang steht oder nicht. Hierbei möchte ich zunähst bemerken, daß ich einigermaßen über den großen Lärm erstaunt gewesen bin, der si erhob auf Grund der Thatsachen (Unruhe links), die angeführt sind in der vorigen Sitzung. Jh habe also zunälhst die Thatsache festgestellt, daß im Bereich der Justizverwaltung die jüdischen Be- werber nit lediglich nah Maßgabe ihres Dienstalters zur Anstellung gelangen und gelangen können; ih habe dabei zuglei bemerkt, daf die Verhältnisse für die jüdishen Bewerber in der Justiz günstiger seien als in anderen Verwaltungen, und habe dabei den Ausdruck gebraucht, in anderen Verwaltungen würden diese Herren überhaupt abgelehnt. Meine Herren, ich will die Möglichkeit zugeben, daß ih diesen Ausdruck nit ganz glücklich gewählt habe; denn ih weiß es nit, ob die Herren dort abgelehnt werden. Ich weiß nur das Eine, was aber niemand in diesem Hause und niemand außerhalb des Hauses eine Neuigkeit gewesen sein kann, daß in den anderen Verwaltungen jüdische Assessoren nicht zur Anstellung gelangen, und ih habe konstatieren wollen, daß, solange ich im Amte bin, kein einziger jüdischer Gerichts-Assessor in eine andere preußishe Verwaltung übder- getreten ist. Ob sie abgelehnt sind, weiß ih niht; möglicherweise hal sich keiner gemeldet (Heiterkeit); möglicherweise fühlen sie fih in der Justiz am wohlsten und halten troy der Angriffe, die gegen mich er- boben worden sind, den Justiz-Minister doch noch für einen gerehten Mann.

Nun, meine Herren, was die Verfassung betrifft, so berufen si die Herren auf die Artikel 4 und 12, in denen die Gleichberechtigung der Konfessionen für die staatsbürgerlihen Rechte, für die Erlangung der Befähigung zu allen Aemtern ausgesprochen ist. Diesen Saß erkenne ich vollständig an, und habe ihn niemals bestritten. Wenn die Herren nun in der Verfassung cinige Seiten weiter blättern, 10 werden Sie den Artikel 47 finden, der dahin lautet:

Der König besetzt alle Stellen im Heere, sowie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, sofern niht das Geseh ein Anderes verordnet.

Meine Herren, da ist neben den Bestimmungen der Artikel 4 und 12 und neben den Bestimmungen des Reichsgeseyes von 1869 als verfassungsmäßiges Kronrecht hingestellt die auss{ließliche Anstellungë- befugniß in Bezug auf sämmtliche Staatsdiener. (Schr richtig! rets.) Meine Herren, dieses Recht bleibt ein verfassungsmäßige® Kronreht auch da, wo es auf andere Behörden delegiert ist, und. id fönnte ja vielleicht nun den Spieß umkehren und sagen, daß diejenigen Herren einen Angriff auf die Verfassung machen, die es unternehmen, | eine Beschränkung dieses verfassungsmäßigen Kronrechts* anzuregen- | (Lebhafter Beifall rets; lebhafter Wioerspruch links.) Denn, meine

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ir find ja

varüber besteht kein Zweifel und. der Herr Abg. Crüger

Vitesganzausdrücklihausgesprochen —, daßdieGleichberehtigung sämmt-

licher Konfessionen, daß die Erlangung der Befähigung zur Bekleidung aller Staatsämter niemand ein Anrecht auf Grlangung eines solchen mtes giebt, dáß in dieser Beziehung diejenigen, die dies verfassungsmäßige «cht der Anstellung auszuüben und dabei mitzuwirken haben, voll- fommen freie Hand haben.

Jch darf mich, da der Herr Abg. Crüger sih auf Staatsrecht3- lehrer berufen hat, hier beziehen auf die neueste Auflage des Nönne-

, jeyt Zorn'schen Staatsrechts, in dem sich auf Seite 426, im an\Ö{luß an die eben erörterten Bestimmungen, der Saß befindet :

Ebensowenig besteht für die Staatsregierung eine Pflicht zur Anstellung im Staatsdienste, und es wird eine solche auch nicht unh die Zulassung zu den Vorstufen des Staatsdienstes begründet. (ige Zeilen weiter befindet sih der Saß: ;

Durch Ablegung - der vorgeschriebenen: Prüfungen wird keine ndtlih begründete Anwartschaft auf Anstellung im Staatsdienst er- worben.

Nun, meine Herren, in der älteren Auflage des Nönne steht an dieser Stelle noh - der weitere Saß, daß es allerdings mit den Bestimmungen der Verfassung nicht vereinbar sein würde, ganze (ategorien ein für allemal (aha! links), obwohl sie die Bedingungen afüllen, vom Staatsdienste auszuschließen. Meine Herren, ih er- fame die Berechtigung dieses Saßes an; es würde sih das in der zhat nicht vollkommen im Einklang mit den Bestimmungen der Ver- f sung befinden. Ich glaube aber, daß niemand im stande ist, der Zustizverwaltung den Vorwurf zu machen, daß sie den von Nönne terworfenen Standpunkt jemals vertreten habe; denn auch sie {ließt fine Kategorie aus, ‘es sind außerordentlich zahlreiche jüdische Herren im Justizdienste angestellt, im Richteramt und im Notariat, (sehr rihtig! rechts) und daraus ergiebt sich, daß ein solcher Vorwurf gegen mi niht erhoben werden kann.

Nun, meine Herren, der Buchstabe der Verfassung ist do auch nicht immer das Entscheidende, sondern es sind zu berücksihtigen Be- dürfnisse, Interessen der Bevölkerung. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, auf solde Interessen, auf \solche Bedürfnisse in meiner Amtsführung Rücksicht zu nehmen. Meine Herren, ih habe damit niht allein gestanden, alle meine Vorgänger haben es ebenso gehalten. Jh habe {hon erwähnt, daß gerade in Bezug auf die: Anstellung jüdischer Bewerber sämmtliche Oberlandesgerichts-Präsidenten von Fall zu Fall prüfen, ob solche berücksihtigt werden können. Ich weiß niht, ob jemand unter Jhnen ist an jener Seite (links) ganz gewiß nit —, der etwa behaupten möchte, daß der verstorbene Oberlandes- gerichts-Präsident Dr. Falk jemals zu einer Verletzung der Verfassung seine Hand geboten haben würde. Meine Herren, ih fönnte Ihnen Dutende von Berichten des Präsidenten Falk vorlegen, die dahin gingen: im vorliegenden Fall ist es gänzlich ausgeschlossen, einen jüdishen Bewerber anzustellen.

Meine Herren, ih berufe mich darauf keineswegs zu meiner Ent- lastungz die Verantwortlichkeit für das, was geschehen ist, trage ih ganz allein und kann ih tragen. Ich berufe mih darauf nur, um Shnen darzulegen, wie die communis opinio der höchsten richter- lihen Beamten in Preuße? über diejenige Auslegung der Verfassung ist, die ih vertrete, und die von den anderen Herren angefochten ist. (Sehr gut! rets.)

Die Bedürfnisse! Der Herr Abg. Dr. Barth hat mir vor- geworfen, ih beurtheile die Bedürfnisse so, wie ih sie verstehe. Ja, meine Herren, ganz gewiß! Nur so, wie ih sie verstehe, nicht so, wie sie Herr Dr. Barth vielleicht versteht. (Bravo! und Heiterkeit rets.) Und so lange ih an dieser verantwortlichen Stelle stehe, wird mir nichts anderes übrig bleiben, als lediglih nah meiner Ueberzeugung und nach meiner Erkenntniß der Verhältnisse und der Thatsachen zu verfahren. {Bravo! rets.) Meine Herren, ich glaube, aub meine Nachfolger, deren erstem ich sehr gern den Plaß hier räumen möchte, werden denselben Standpunkt vertreten. Ih glaube sogar, wenn Herr Dr. Barth Justiz-Minister würde, er würde cs auch nicht anders machen. (Sehr richtig! und Heiterkeit rets.) Vielleihßt im Anfang, nah seiner Nede halte ih nicht ganz undenkbar, daß er sofort 50 oder 100 jüdische Notare für Berlin anstellen wird, um \i{ch dadurch ein lebendiges Denkmal seiner Ver fassungstreue zu seßen. (Heiterkeit.) Meine Herren, dauernd würde er es nidt dur{chführen. Und da komme ich auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, auf den Herr Abg. Crüger vorhin hingewiesen hat.

Meine Herren, man kann in der Theorie sehr \{öôöne Ansichten baben: wenn man nachher in die Praxis kommt, wird man sehr leiht allerlei Hindernisse finden, die einen bei der besten theoretischen Ueber- jeugung zu gewissen Abweichungen nöthigen. Meine Herren,

Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit,

Leicht beicinander wohnen die Gedanken,

Do hart im Raume stoßen \sih die Sachen. Das würde au Herr Dr. Barth erleben, wenn er Justiz-Minister würde.

Nun, meine Herren, das, was ih in thatsählicher Beziehung in der vorigen Sizung festgestellt habe, konnte, ih wiederhole das, niemandem etwas Neues sein. Alle diese Umstände sind hier in aller Breite vor fünf Jahren verhandelt worden, und alle Zeitungen, die sich jeßt so stellen, als wäre etwas Unerhörtes enthüllt, werden unmöglich, wenn sie ein ordentliches Redaktionspersonal haben, der Meinung sein kônnen, daß ih in der That Ihnen etwas Neues gesagt habe. Jch laube, daß ich mit Recht bemerkt habe, ih begriffe nicht vollständig den Lärm, und ih glaube, meine Herren, auch der Abg. Peltasohn wird vielleicht einsehen, daß er besser gethan hätte, sich nicht zu seiner Anfrage drängen zu lassen, sondern des Grundsayes eingedenk zu eiben : quista non movers! (Lebhaftes Oho! links. Sehr wahr! rets.)

Meine Herren, was ih gesagt habe, das habe ich gesagt, um dem Herrn Abg. Peltasohn zum Bewußtsein zu bringen, daß sein Angriff gegen die Justizverwaltung nach meiner Auffassung vollständig de- blaciert war (sehr wahr! rets), und ihm weiter zum Bewußtsein zu bringen, daß es faktisch unmöglich ist, in der Justizverwaltung allein den ungemessenen Nachwuchs jüdischer Bewerber in der von den Herren gewünschten Weise zu absorbieren. (Sehr wahr! rets.)

Meine Herren, der Herr Abg. Crüger hat in seiner Rede zugleih einer Kritik unserer Gerichte Erwähnung gethan, die er sehr bedauert und mit Necht bedauert einer Kritik, wie sie vielfah und ohne

idlage laut wird. Meine Herren, das veranlaßt mih unter Ver- assung des Themas, mit dem ih mih bisher beschäftigt habe, auf einen Vorgang zurückzufommen, der sih gestern im Reichstage zu-

. getragen hat. Dort hat ein Mitglied der- sozialdemokratischen „Fraktion {ih bewogen gefunden zy heftigen Angriffen auf unsere Gerichte «und auf . die preußishe Justizverwaltung. Er hat die Be- hauptung aufgestellt nach den auszugsweisen Berichten, den Wort- [aut seiner . Rede kann ich ja noch nicht kennen —, daß die Gerichte in Preußeu einem ftarken Druck unterlägen, daß sie unter diesem Druck er foll ihn auch einen brutalen Druck genannt haben gegen ihre Ueberzeugung Entscheidungen fällten aus Schwäche oder aber aus anderen, vielleicht noch weniger anerkennen8werthen Motiven. Meine Herren, wenn ich im Reichstage anwesend gewesen wäre, so würde ih dem Herrn die Antwort nicht \{uldig geblieben sein. Jch halte es aber nicht für meine Pflicht, habe auch keine Zeit dazu, allen Reichstagsfizungen beizuwohnen und mich gewissermaßen dort als Kugelfang hinzuseßen füx etwaige Angriffe gegen die preußische Justizverwaltung. (Sehr wahr! rechts.) Ich glaube auch, daß der Umstand, daß ih in Berlin wohne, nah dieser Richtung hin mir keine weiteren Verpflichtungen auferlegt wie den Vertretern der betreffenden Ressortverwaltungen in anderen Bundesstaaten. . Aber, meine Herren, hier ist der Plaß, wo solche Dinge erörtert werden können (sehr rihtig! rechts), und von hier aus will ih dem Abgeordneten die Antwort geben und will fie ihm dahin geben, daß, wenn er die Behauptung aufstellt, daß von mir jemals der Versuch gemacht worden sei, irgend einen Richter in Preußen zu beeinflussen, direkt oder indirekt, unverblümt oder ver- blümt, durch Gunst oder durch Mißgunst daß das eine grobe Un- wahrheit is (Bravos!), und daß ih den, der, nachdem ih diese Er- klärung abgegeben habe, eine folhe Behauptung wiederholen sfollte, einen frechen Lügaer nennen müßte. (Bravo! und Sehr gut!) Meine Herren, die Gerichte in Preußen erfreuen sich einer Unabhängigkeit, die von keiner Seite angefochten wird. Wenn eine Beeinflussung der Richter unternommen wird, dann kommt fie niht von oben, dann fommt sie von unten, dann kommt fie von dem Terrorismus, der von einem Theil einer zügellosen Presse ausgeübt wird (lebhaftes „Sehr wahr!“ rechts und links) in der Kritik über Nichtersprüche, die einer folchen Kritik von NRechtswegen entzogen sein sollten.

Meine Herren, es i} insbesondere von dem Herrn Abg. Dr. Heîne auf Majestätsbeleidigung8prozesse hingewiesen worden. Es ist ein früherer Fall erwähnt, über den ich mich nicht auslassen kann, der vor meiner Zeit liegt, ein Fall, der breit erörtert ist, den ih aber in seinen Einzelheiten niht kenne, von einem Direktor Smidt hier beim Land- geriht. Ich kenne den Fall, wie gesagt, nit, er liegt vor meiner Zeit. Wenn die Darstellung dieses. Falles aber, wie sie der Abg. Heine gegeben hat, rihtig ist, dann, meine Herren, muß ih bekennen, daß dieser Direktor Schmidt, der ein sehr ehrenwerther Mann ge- wesen sein soll, zugleih ein sehr {wacher Mann gewesen ist. Meine Herren, ich würde es bedauern, wenn irgend ein Richter durch Nülk- sichten nah oben si beeinflussen ließe, seiner freien Ueberzeugung in seiner amtlichen Thätigkeit überall Ausdruck zu geben. Bei mir würde der Mann kein Glück machen; das kann ih sagen.

Meine Herren, es ist ein stehendes Thema in den Zeitungen, die erhebliche, ershreckende Zunahme der Majestätsbeleidigungsprozesse, und gerade in Bezug hierauf hat der Abg. Heine gesagt, daß da ein Druck von oben auf die Richter ausgeübt wiirde. Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, über meine Stellung zu der Behandlung der Majestätsbeleidigungsanklagen mich auszusprechen, im Reichstage und hier. An und für sich habe ih keinen Zweifel daran, daß Seine Majestät über solche Angriffe persönlih hoch erhaben steht. (Sehr gut!) Aber ebensowenig habe ih einen Zweifel daran, daß den zu- ständigen Behörden die Pflicht obliegt, gegen gehässige, böswillige An- griffe gegen Seine Majestät einzuschreiten mit den Mitteln des Gesetzes (bravo!); daß diese Verpflichtung um so mchr besteht, je mehr das Bestreben zu Tage tritt, jede Autorität zu untergraben und die Achtung vor dem höchsten Landésherrn anzufehten. (Bravo!) Aber, meine Herren, ih liebe nicht diese kleinen Majestätsbeleidigungs- anklagen gegen ungebildete Personen, die mal ein unbedahtes Wort hingeworfen haben, dessen Tragweite sie niht gekannt haben, und so- weit es in meinen Kräften gestanden hat, habe ih dahin gewirkt, daß solde Anklagen niht erhoben werden, daß sie sih vermindern.

FXch habe vor zwei Jahren, glaube ih, Jhnen zahlenmäßig nach- gewiesen, daß seit dem Jahre 1895 von Jahr zu Jahr die Zahl der Maiestätsbeleidigungssachen abgenommen hat, die der Verurtheilungen wie die der Freisprehungen. Meine Herreng ih kann diese Statistik beute ergänzen und Ihnen nachweisen, daß gerade in den beiden letzten Jahrew eine außerordentlich erhebliße Abnahme der Majestätsbelei- digungssachen weiter stattgefunden hat. Jch konnte vor zwei Jahren konstatieren, daß im Jahre 1897 die Zahl der wegen Majestäts- beleidigqung Verurtheilten die geringste war seit dem Jahre 1886; es waren in dem Jahre 305 Verurtheilte, Diese Zahl ist in dem Jahre 1898 auf 301 zurückgegangen, im Jahre 1899 auf 246 und im Jahre 1900 auf 184. (Hört, hört !)

Trotz alledem, meine Herren, bin ich darauf gefaßt, daß nah einigen Monaten wiederum in den Zeitungen von der ershreckenden Zunahme der Maijestätsbeleidigungssachen die Rede ijt. (Schr gut! rechts.) Alle diese Feststellungen haben keinen dauernden Erfolg. Es ist vor einiger Zeit in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Neichsstatistik bezüglih der Majestätsbeleidigungsfsachen urbi ot orbi verkündet worden; sie ergab eine Abnahme für das ganze Reih. Da laa es sebr nahe und blieb niht aus: wenn es- im Deutschen. Reiche so wäre, dann würde wahrs{heinlich die außerpreußishen Bundes- staaten das Lob treffen, dann hätten dort die Sachen abgenommen, aber in Preußen ershreckend zugenommen. Sie wissen jet, meine Herren, was Sie von der Behauptung zu halten haben, und was Sie davon zu halten haben werden, wenn solhe Be- hauvtungen sh später wiederholen. Beinahe hat es den Anschein, als wenn die Frage von der ershreckenden Zunahme der Maiestätsbeleidigungssahen gewissermaßen auf Meproduktions verfügungen der Redaktionsbureaux beruhe, daß von Zeit zu Zeit solde Mittheilungen im Volke verbreitet werden müssen. (Heiterkeit) Ich habe das Gegentheil bewiesen, und diejenigen, welche etwas von der Sache wissen, würden vielleiht in der Lage sein, zu konstatieren, daß diese in meinen Augen erfreulide Abnahme der Majestäts. beleidigungssachen zum nit geringen Theil auf die persönliche Ein- wirkung des. Justiz-Ministers zurückzuführen ist.

Meine Herren, ‘ih bin seit vorgestern \o einigermaßen vogelfrei geworden, wenigstens nah den Zeitungsausschnitten, die mir alltäglih in größerer Menge zugehen; da regnet es nur Angriffe auf mih. Es wird mir cin Sündenverzeichniß nah allen Richtungen hin vorgchalten.

Ich sehe zunächst ab von den Angriffen wegen der Gerichtsvollzieher-

ordnung und wegen der Berliner Gerichtsorganisation. Das sind sachliche Fragen, über die man verschiedener Meinung sein kann; wir werden darauf an anderer Stelle zurückommen. Dann aber werde ih gewissermaßen als der Erfinder des dólus eventualis hingestellt, den nicht ih, sondern große Juristen vor mir erfunden haben. Ich habe nur einige Male Gelegenheit gehabt, hier festzustellen, daß der dolus eventualis in der Rechtswissenshaft ein feststehender Begriff ist, über den kein Richter sich hinwegseßen kann, und jeder Jurist im Hause wird mir bestätigen, daß das so ist.

Es ist gesagt worden: seitdem der gegenwärtige Justiz-Minister, auf den fo große Hoffnungen geseßt würden, ans Nuder gekommen ist, wie haben sih die Verhältnisse gestaltet! Eine Bemerkung habe ih in der Vossischen Zeitung gelesen, die auf mein angebliches Ver- hältniß zu meinen Mitarbeitern und Näthen hinwies. Meine Herren, ih glaube, daß diese Bemerkung im Justiz-Ministerium einen großen Heiterkeitserfolg gehabt hat.

Dann. ist weiter behauptet worden: in der Anwendung des Grobenunfugparagraphen sei doch viel weiter gegangen unter dem gegenwärtigen Justiz-Minister, und ebenso höre man jeßt erst von dem bösen fliegenden Gerichtsstande.

Ja, meine Herren, diese Behauptungen sind alle das Gegentheil der Wahrheit, sie stellen die Thatsachen vollständig auf den Kopf.

Was den groben Unfug angeht, so habe ih niemals in Abrede gestellt, daß dieser Paragraph. nicht immer eine richtige An- wendung findet, daß Dinge darunter gebraht werden, die nah der Absicht des Gesetzes nicht darunter gebracht werden follen, und, meine Herren, ih habe schon vor vier Jahren Gelegenheit genommen, in einer Nundverfügung die Beamten der Staatsanwaltschaft auf die richtige Auslegung dieses Paragraphen, wie sie sich nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts darstellt, aufmerksam zu machen und ihnen zur Pflicht zu machen, nicht diesen Paragraphen als ein Mädchen für alles zu betrachten, unter den solche Dinge ohne weiteres gebraht werden fönnen, für die man andere Strafparagraphen nicht hat.

Dann, meine Herren, der fliegende Gerichtsstand. Nach der Nechtsprehuug des NReichsgerichts existiert dieser fliegende Gerichts- stand für die periodishe Presse von NRechtswegen. Das Reichsgeriht hat in Uebereinstimmung mit dem früheren Ober-Tribunal in einer Reihe von Entscheidungen ausgesprochen, daß ein durh die periodishe Presse verübtes Delikt überall da zur Vollendung kommt, wohin dieses Preßexemplar gelangt, und daß deshalb die Anklage niht nur an dem Erscheinungsorte des Blattes, sondern überall sonst im Lande erhoben werden kann. Ja, meine Herren, diese rechtlihe Ausführung ist nah meiner Auffassung unanfehtbar. Ich halte auch den fliegenden Gerichtsstand niht für absolut entbehrlich ; es kann Fälle geben, in denen ein dringendes privates oder öffentlihes Interesse besteht, daß eine Anklage wegen eines Preßver- gehens niht am Orte der Erscheinung, \sóndern vielleicht an einem anderen Ort erhoben wird, wo der Artikel hat wirken \ollèn, wo die be- sprochenen Verhältnisse spielen, wo man ein Urtheil hat zur Sache u. \. w. Aber, meine Herren, ich habe niemals verkannt, daß die rücksihtslose Anwendung des fliegenden Gerichtsstandes zu großen praktishen Unzuträglichkeiten führen kann und daß sie eine Belästigung und eine Beschränkung unserer Presse enthält, die in keiner Weise wünschenswerth i. Ich habe deshalb auch {hon vor 4 Jahren, meine Herren eine allgemeine Verfügung an die Beamten der Staatsanwaltschaft erlassen und habe fie angewiesen, Anklagen wegen Preßbeleidigung regelmäßig nur am Orte des Erscheinens des periodishen Blattes zu erheben, und nur, wenn solche besondere Aus- nahmefälle vorliegen, welche die Erhebung der Anklage an einem anderen Orte angezeigt erscheinen lassen, in dem Forum des sogenannten fliegenden Gerichtsstandes, aber dies nur nach vorheriger Bericht- erstattung an den Ober-Staatsanwalt und mit dessen Zustimmung. Meine Herren, diese Verfügung wird seit 4 Jahren beobachtet, und eine für das vorige Jahr von mir vorgenommene Feststellung hat ergeben, daß im ganzen preußishen Staate im vorigen Jahre nur fünf \olche Anklagen nicht am Erscheinungsorte des Preßorgans erhoben worden sind, da von zwei unter einer von den betreffenden Beamten zugestandenen Nichtbeahtung meiner Verfügung, eine in einem Falle, wo es vollkommen gleichgültig war, ob die An klage es handelte \sich um ein Blatt in einem kleinen Octe in Nassau in Wiesbaden oder in Frankfurt erhoben worden wäre. Die Anklage ist in Frankfurt erhoben worden mit Rücksicht auf einen Mitangeklagten. In den betden anderen Fällen habe ih die Umstände nit feststellen können, weil die Akten dem Reichsgericht vorliegen.

Also, meine Herren, Sie sehen, wie es mit der Anschuldigung steht, als wäre ih der Vater aller dieser bösen Sachen. Mich für meine Person lassen diese Vorwürfe vollkommen kalt. Es werden ja so viele unrihtige Mittheilungen auf dem Gebiete der Rechtspflege und der Justizverwaltung dur die Presse verbreitet, daß ih längst davon abgeschen habe, da etwa mit Berichtigungen hervorzutreten. Ich müßt mir dafür einen besonderen Beamten dur den Herrn Finanz-Minister be willigen lassen. Aber von Zeit zu Zeit halte ih es doch für gut, festzunageln, wie öffentliße Meinung gemacht wird. die Zeitungen, die diese Vorwürfe gegen mih erhoben haben, allerdings nit wissen, wie ih zu den Sachen stehe. Sie meine Verfügungen niht, denn diese sind noch nich Redaktionstis{ch des „Vorwärts“ geflogen. (Heiterkeit.) bingeflogen wären, würde der „Vorwärts* fie wahrscheinlic öffentlicht baben, weil er kein Geschäft damit machen konnte ridhtig!) Das eine darf ih jedenfalls sagen, daß die die positive Behauptung aufgestellt haben,

Meine Herren

t x m + Lik Cnt n U T

L T eel h ch fci {Guld a

| angeblichen mißbräuchlihen Anwendung des fliegenden Gerichtsstandes

ih sei s{uld an den übermäßigen Anklagen wegen groben insoweit doch um mich höôflich auszudrüden viell vorsichtig gewesen \ind, als sié wahrheitswidrig Thatsachen baben, die sie nit behaupten konnten. Denn man kann von die man nicht weiß, niht positiv behaupten, daß fie (Lebhaftes Bravo rechts und im Zentrum.)

Abg. Dr. Porsch{ch (Zentr.): Der Abg. Crüger bat die Frage auf geworfen, ob die Zugebörigkcit zu einer Konfession von cinem Amt aus\{lickt, und der Abg Barth bat sie direkt an das Zentrum ge ritet. Uebrigens kann man bier nicht von einer jüdicen sprechen. Hat denn der Abg. Barth die Verhandlungen dieses Hauses nicht elesen? Er spricht bypotbetish von ciner Imvarität gegenüber den Katholiken. Ich muß mein Erstaunen darüber ansdrückten, dak die Herren jeßt so sehr auf die Verfassung pochen, wenn es fih um die Inden bandelt, während sie schr kühl waren, wenn wir uns über Imparität beschwerten. Das kann aber unfcre grundsätlide Stellung nid

V C tenen

E % M F - - Ä Ÿ beeinträchtigen. In den höchsten Stellen der StaatWwerwaltung de-