1901 / 56 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 06 Mar 1901 18:00:01 GMT) scan diff

Die Auskunftertheilung der Ostasiatishen Abtheilung bezieht sih, wie nohmals bemerkt wird, nur auf Angehörige des Landheeres, während Anfragen über den Ver- leib von Angehörigen der Marine, zu welcher nicht allein die Schiffsbesazungen, sondern auch die Marine- Infanterie und die bei der Marine-Jnfanterie befindliche Feld- batterie, sowie das Feldpionier-, A S und Sanitätsdetachement gehören, von diefer Stelle aus nicht beantwortet werden können.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M.S. „Kurfürst Friedrih Wilhelm“, Kommandant: Kapitän zur See von Holtendorff, gestern von Tsingtau nah Wusung in See gegangen.

S. M. S. „Lu chs“, Kommandant: Korvetten-Kapitän Dähnhardt, ist heute in Tongku angekommen. e

Der Dampfer „H. H. Meier“ fmit den abgelösten Besazungen der Schiffe der Il. Division des I. Ge- \chwaders, Transportführer: Oberleutnant zur See Bunne- mann, beabsichtigte, heute von Tsingtau nah Schanghai in See zu gehen.

Der Hauptmann Gudewill vom Il. Seebataillon ist am 4. März mit 19 Rekonvaleszenten aus Ost-Asien in SBilhelmshaven eingetroffen.

Posen, 5. März. Die heutige (6.) Plenarsißzung des Provinzial-Landtages der Provinz Posen begann mit der durch das Allerhöchste Propositions-Dekret geforderten Wahl von bürgerlichen Mitgliedern und Stellvertretern Fit die Beziele1 Der 7,8, 19/520 Und T7, Fifanteries Brigade. Hierauf bewilligte die Versammlung mit 30 gegen 12 Stimmen dem Comité für die Errichtung eines Bismarck- Denkmals in Posen einen Beitrag von 3000 s und seßte fodann den Etat für die Provinzial-Hebammen-Lehranstalt in Posen für das Etatsjahr 1901 und die folgenden Jahre in Einnahme und Ausgabe auf 50 300 # fest. Zwei Gesuche des Direktors der Anstait wurden durch das Reglement und den Etat für erledigt erklärt. Nachdem die Versamm- lung von den Verwaltungsberihten über die land- wirihschaftlihe und die Bau - Unfallversicherung in den Jahren 1898 und 1899 Kenntniß genommen, genehmigte sie den Uebergang der Provinzial - Gärtner - Lehranstalt in Koschmin, der landwirthschaftlihen Wintershulen in Fraustadt und Jnowrazlaw und der Provinzial-Wiesenbauschule in Brom- berg in die Verwaltung der Landwirthschaftskammer und be- auftragte den Provinzial-Ausshuß mit dem Abschluß eines be- züglichen Vertrages und den sonstigen Vereinbarungen. Von einer Zuschrift des Ober-Präsidenten, betreffend die eventuelle Erhöhung der provinziellen Mittel für den Meliorationsfonds, wurde Kenntniß genommen. Endlich beschloß die Versammlung die Einführung der Milzbrandversiherung für Pferde (Esel, Maul- esel und Maulthiere) und Rindvich und beauftragte den Pro- vinzial-Ausshuß, dem nächsten Provinzial-Landtage ein Regle- nent zur Ausführung der Versicherung vorzulegen.

Cassel, 5. März. Der Kommunal - Landtag des Negierungsbezirks Cassel ist nah Erledigung der vor- liegenden Geschäfte heute durh den Ober-Präsidenten, Staats- Minister Dr. Grafen von Zedliß und Trüßschler geschlossen worden. Mit cinem von Tei Vorsißenden ausgebrachten, leb- haft avfgenommenen Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König trennte fih die Versammlung.

Hessen.

Der Entwurf cines Gesetzes, betreffend die Landstände, ist, wie die „Darnst. Ztg.“ meldet, gestern der Zweiten Kammer zugegangen. Die wichtigsten Abänderungen gegenüber dem geltenden Gesehe sind folgende: Der Ersten Kammer gehören auch ein Mitglied des Großen Senats der Technischen Hochschule, außerdem Bürgermeister (höchstens drei) von Städten mit Städteordnung an, die Seine Königliche Hoheit der Großherzog ernennt. In die Zweite Kammer haben an Abgeordneten zu ent- fenden: Darmstadt und Mainz je 3, Offenbah, Worms und Gießen je 2. Die Kammer zählt danach künstig 55 Abgeordnete. Es wird die direkte Wahl mit geheimer Rhstimmung (Wahlkuverts) eingeführt. Die Stimmberech- tigten müssen von Anfang des Rechnungs jahres an die Staats- oder Gemeindesteuer entrichtet haben. Alle drei Jahre findet eine Neuwahl der Abgeordneten statt; das eine Mal scheiden 28, das andere Mal 27 aus.

Die Zweite Kammer trat gestern in die Berathung des Budgets ein. Der Abg. Schmidt wies, dem „W. T. B.“ zufolge, darauf hin, daß sh nah dem Ableben der Prinzen Hcinrih und Wilhelm und im Hinblick darauf, daß Seine Koniglihe Hoheit der Großherzog bisher ohne männliche Leibeserben sei, eine staatsrehtlihe Regelung der Domänenfrage zw.shen dem Fürstenhaus und dem Lande dringend cmpfehle. Dec Staats-Minister R othe erkannte die

Wichtigkeit der Frage an, mit der cr sih nah dem Tode der |

bereits beschäftigt habe. Näheres könne er Eine hausg:seßlihe Negelung lehne er ab. Oldenburg.

Ueber das Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Gro herzoas ist, wie die „Meckl. Nachr.“ melden, am 4. d. Vet. das nachstehende Bulletin veröffentliht worden:

Seine Königliche Hoheit der Großherzog 1st volistand rzbeshwerden und hat einen längeren Spaztergang e Verzerweiterung Ut beleittig Ï Dresden, den 2. März 1901. a Gebeimer Medizinalrath von Neyher. Sanitäts Schwarzburg-Rudolstadt.

Jhre Durchlauht die Prinzessin Sizzo von Schwarzburg is, wie die „Schwarzb.-Rudoljt. Lds.-Ztg.“ meldet, gestern in Großharthau von einem Prinzen glüdcklih entbunden worden.

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Oesterreich-Ungarn.

Die „Wiener Abendpost“ veröffentliht genauere Nach- rihten üter die Theilnahme des ósterreihish-ungari-

schen Detachements an der Expedition nah Kalgan,

aus welhen hervorgeht, daß die Haltung des Detachements, seine Ausdauer und Manneszuht das einmüthige Lob aller fremden Offiziere gefunden haben.

| Vorlage dem Wehrausschusse überwiesen.

Lr Ad no | Lansdowne habe

| stebenden Systems we

| parlamentarischen | dem Staats]ekretar und den i en d ) ; L | verwaltung prüfen solle, was thatsählih für M ingel im Kriegs- und

parlameñtarischen

In der gestrigen Sißung des österreihishen Ab- geordnetenhauses wurden nach der Verlesung des Einlaufs verschiedene Anfragen an den Präsidenten geftellt darunter eine des czehishen radikalen Abgeordneten Zazvorka, welcher czedtis sprah. Alle Deutschen riefen: „Was spriht der Mensh?“ Der Vorsißende machte den Ab- eordneten Zazvorka darauf aufmerksam, daß es niht angehe, fiatt Anfragen an den Präsidenten Reden zu halten. Der Abg. Fan o ea entgegnete heftig, worauf ihm der Vorsißende das

ort entzog. Als der Vorsißende zur e: gie An über- P wollte, stürzte der czehish-radikale Abg. - Freß l auf ie Präsidententribüne, riß dort liegende Papiere an sich und zerknitterte sie. Der d Malik eilte auf Freßl zu und {lug auf ihn los, ebenso der Abg. Berger. Die beiderseitigen Parteigenossen rissen die Streitenden auseinander. Die Sitzung wurde unterbrohen. Die Jungczechen verhielten sich während dieses Auftrittes passiv; sie mißbilligten das Verhalten Freßl’s. Nah der Wiederaufnahme der Sißung reflamierten Freßl und dessen Parteigenossen das Wort für den Abg. Zazvorka. Der Präsident ertheilte dem Abg. Horiza das Wort zum Nekrutenkontingent, worauf seitens der czehishen* Radikalen weitere Protestrufe erfolgten. Die Jungczehen nahmen offen gegen Freßl Stellung, be- \himpften ihn und bedrohten ihn mit den Fäusten. Dieses Vorgehen der Jungczehen wurde vom ganzen Hause mit Beifall aufgenommen. Schlicßlich trat Ruhe ein. Das Haus nahm hierauf die erste Lesung der Regierungs- vorlage, betreffend das Rekrutenkontingent, vor. Der Abg. Horiza (Czeche) führte aus, die Existenz der Czechen sei an die Existenz des Staates geknüpft. Seine Partei wolle, daß die Armee tüchtig sei und zwar nicht allein an Zahl, sondern auch im Geist. Der Nedner kritisierte sodann die Armeeverwaltung. Seine Partei verlange, daß in der Armee auf die Eigenthümlichkeiten jeder Nation Rücksicht genommen werde; sie werde gegen die Vorlage stimmen, weil ste mit der Militärverwaltung nicht einverstanden sei, niht aber aus Haß egen den Staat. Nachdem der Abg. Scheicher (chrisilich- Dal) verschiedene Wünsche in Betreff der Armeeverwaliung vorgebracht hatte, besprah der Abg. Udora (Czeche) die Beziehungen zwishen Polen und Czechen, und er- flärte, Polen und Czehen müßten gemeinsam gegen die deutshe Hegemonie kämpfen , bis eine vollklommene Gleichbe- rechtigung erzielt sei. Die slavishen Völker erblickten in dem Interesse des Staates ihr eigenes Jnteresse und trösteten sich nicht mit dem cynishen Gedanken, daß sie bei dem eventuellen Verfall Oesterreihs nichts zu verlieren hätten. Nachdem die nationalen Gefühle der Czehen unberücksihtigt ge- blieben seien, könne die Partei des Redners nicht für die Vorlage stimmen. Der Abg. Biankini besprach die Verhält- nisse in der Kriegsmarine, beklagte die Aa Dalmatiens in fultureller und wirthschaftliher Beziehung und erklärte {ließlich, er werde troß aller Sympathie für die tapfere Armee gegen die Vorlage jtimmen. Die Debatte wurde hierauf geschlossen. Der Generalredner Fro erhob verschiedene Be- \hwerden in nationaler und wirthschaftlicher Beziehung. A dem noch der Generalredner Malfatti über Nichtberüksi tigung der Wünsche der JFtaliener gesprochen hatte, wurde die Die Sißzung wurde

um 5 Uhr ohne Zwischenfall geshlofen.

Großbritannien und Jrkand.

Ueber die gestern abgehaltenen Sißungen beider Häuser des Parlaments berichtet „W. T. B.“, wie folgt:

Im Oberhause nahm Lord Northbrooke die Debatte über die Heeresverwaltung wieder auf. Derselbe sprah sein Bedauern über den persönlihen Angriff des Marquis of Lansdowne auf Lord Wolseley aus. Er hoffe, die Berathung werde eine Aenderung herbeiführen, durchß welche die von Lord Wolseley hervor- gebobenen anormalen Verbältnisse beseitigt würden. Lord Chelmsford sagte, er habe mit Ueberrashung und Entrüstung den Angriff des Marquis of Lansdowne auf Lord Wolseley angehört, denn Lord Lansdowne habe gewußt, daß Lord Wolseley auf die An- flagen nit babe antworten fönnen. Lord Dunraven führte aus : wenn die Anklagen begründet seien, se gehe aus ihnen hervor, daß Lord Wolseley unnöthigerweise den füdafrikanischen Krieg verlängert habe und für viele Niederlagen verantwortlih fei; aber, seßte der Nedner binzu, babe denn nit der General Sir Redvers Buller den Bedarf auf 100 000 Mann geshäßt? Der Marquis of Lansdowne unterbrach den Redner und bemerkte, es sei feine solche Erklärung abgegeben worden. Lord Spencer sagte, er sche es für ein Unglück an, daß man Geheimnisse des Kriegsamts zu Zeiten einer Krisis aufdecke.- Er sehe niht, daß der Oberbefeblshaber bei dem gegenwärtigen System in feinem nüßlichen Wirken beeinträchtigt werde. Das System stelle gegenüber dem Par [ament Verantwortlichkeit des Staatssekretärs des Kriegs8amts fest, s{mälere aber niht in geringstem Grade die Autorität des C dierenden oder die Schlagfertigkeit des He Hierauf Herzog von Devonshire das Wort. Er beklagt® daß

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ergriff der

Lord Wolseley's Kritiken zu allgemein gewesen seien, und vertheidigte

das Vorgehen Lord Lansdowne's, in welchem keinerlei pers- sönliche Angriffe auf Lord Wolseley enthalten gewesen seien. Lord ber eine Herausforderung bingeworfen, auf welche zu antworten für Lord Wol!eley angemessen gewesen wäre. Ferner wies der Herzog von Devonshire darauf hin, daß sih in feinem zivilisierten Lande cine Parallele in der militärishen Organisation finde für tellung, welche Lord Wolseley dem Oberkomman dierenden geben wolle. In Frankreih sei kein Beamter in der Stellung de tfommandierenden, auf dem die ganze Verantwortung für die Armee Iu Deutschland gebe es einen Oberkomman- dierenden der Armee, aber das sei der Kaiser, und dieser befinde sich nicht in der Stellun, in welher Lord Wolseley den

dierenden seben möchte. Es würde ein großer Fehler sein, zu einem allgemein verurtheilten System zurückzukehren. Lord Nos ebery bezeibnete Lord Wolseley's Nede als von dem patriotischen Bemühen eingegeben, die Aufmerksamkeit auf die Mängel des be- binzulenken, und tadelte {arf Lord Lansdowne's Antwort lche feine Beziehung zu dem eigentlihen Streitpunkte ge- habt habe, bei welchem es ih darum gehandelt, ob das bestehende System gut funktioniere. Der Redner beantragte die Einseßung eines Ausschusses, welher in gehcimen Sitzungen mit Beamten der Kriegs- und Marine-

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Marineweten vorhanden seien. Der Premier - Minister Marquis of Salisbury vertheidigte gleichfalls die Antwort Lord Lansdowne's auf Lord Wolseley's Kritik und bemerkte, daß kein persönlicher An- griff auf Lord Wolseley beabsichtigt gewesen sei. Der Premier Ministoex bob ferner hervor, die britishe Armee unterstehe der Kontrole, daber weihe das britishe System von dem aller anderen Länder ab. Man müsse sih den bestehenden Berbältnissen anpassen. Der Erfolg des britishen militärischen Svstems sei lediglich dur die Tüchtigkeit, Stärke und die ausgezeih- neten Eigenschaften der Mannschaften erreiht worden. Hieraus ergriff Lord Wolseley das Wort, sprach sein schmerzlihes Bedauern über Lord Lansdowne's Antwort aus, legte dar, daß seine von Lord Lanédowne erwähnte Denkschrift auf Anweisung Lord Salisbury's verfaßt worden fei, und bat das Haus, mit seinem Urtheil zurück- zuhalten, da er bei einer späteren Gelegenheit die Aufmerksamkeit des

| Korps den

Hauses auf die gegen ihn erhobenen Anklagen lenken dürfte. Die Be. rathung wurde hierauf ges{lossen. G 0 Be

_ Im Unterhaufe verlas der Sprecher eine Botschaft dez Königs, in welcher Allerhöchstderselbe das Haus ersuht, geseßlihe Bestimmungen zu treffen über Bezüge des Herzogs und der Herzogin von Cornwall und York, der Prinzessin Louise, der Prinzessin Viktoria, der Prinzessin Karl von Dänemark und ebenso der Königin für den Fall, daß die Leßtere den König über- [eben sollte. Bei dem Schluß der Sißzung kam es zu äußerst stürmischen Auftritten. Im Laufe des Abends war über die Bewilligung eines Kredits von 17 Millionen Pfund Sterling berathen worden. Der Erste Lord des Schaßamts Balfour beantragte dann den Schluß der Debatte. Dieser Antrag wurde unter lärmenden Zwischenrufen der Irländer mit 220 gegen 117 Stimmen angenommen. Als dann der Kredit selbst zur Abstimmung gelangen sollte, weigerten sih mehrere Natio- nalisten, den Sißungsfaal zu verlassen, um in der gewohnten Weise ihre Stimmen abzugeben. Der Chairman machte ihnen vergeblih Vorstellungen. Ein Nationalist schrie ihm zu, daß seine Parteige- nossen diefeh R einshlügen, um gegen den L der Debatte Einspruch zu erheben, da sie dadur verhindert worden seien, über den Theil der Kreditvorlage zu debattieren, der sich auf Irland beziebe. Der Chairman erklärte, daß er die Angelegenheit dem Sprecher unteubreiten müsse. Dieser trat bald darauf in den Sißungsfaal und wies darauf hin, dáß Mitglieder, welhe sich weigerten abzu- \timmen, gegen die Geschäftsordnung des Hauses verstießen. Er rief dann die betreffenden Mitglieder, elf an der Zahl, die fih geweigert hatten abzustimmen, zur Ordnung. Der Erste Lord des Schaßamts Balfour beantragte hierauf, daß_ die zur Ordnung gerufenen Mit- glieder von der Sißung ausgeschlossen würden; ein Antrag, welcher von dem ganzen Hause, mit Ausnahine der Irländer, mit großem Beifall aufgenommen wurde. Der Antrag wurde sofort angenommen, und der SÞrecher forderte nun die zur Ordnung gerufenen Mit- glieder auf, den Saal zu verlassen. Diese weigerten sich, der Auf- orderung Folge zu leisten, und der Sergeant at arms tourde sodann beauftragt, die betreffenden Mitglieder hinauszubefördern. Der Sergeant at arms trat zu einem derselben vor, doch dieser weigerte sich, feinen Siß zu verlassen, und so mußte Gewalt angewandt werden. Die Angestellten des Hauses versuhten zunächst, eines der Mitglieder fortzuschaffen, doch gelang ihnen dies niht. Es wurden nun Poslizei- beamte herbeigerufen, die den verzweifelt fich Wehrenden mit Gewalt von seinem Sitze zerrten und aus dem Saale trugen. Der Auftritt machte auf allen Seiten des Hauses einen peinlichen Eindruck, und Nufe: „Es ist eine Schande, es ist eine Schande!“ wurden laut. Der Sprecher, welcher sehr erregt war, richtete an die wider- spenstigen Mitglieder die Aufforderung, doch das Haus etwas zu respektieren und sich ohne Widerstand zurückzuziehen, doch blieb seine Aufforderung ohne Erfolg, und eines der irischen Mitglieder schrie ihm zu: „Wir find völlig entshlossen, Widerstand zu leisten!“ Der Sprecher rief dann S der gemaßregelten Mitglieder namentlih auf, worauf Poslizeibeamte in den Sitzungssaal traten und die betreffenden, einen nach dem anderen, hinaustrugen. Diese seßten sich verzweifelt zur Wehr. Einer derselben rief: „Gott be- \hüße Irland!“, als er hinausgetragen wurde, worauf die irischen Mitglieder sih von ihren i t erhoben und sangen: „Gott s{hüße Irland!“, während sie gleichzeitig ihre Hüte s{chwenkten. Patrick OD’Brien {lug vor, dem Auftritt durch Vertagung des Hauses ein Ende zu machen, aber dieser Vorschlag fand keine Zustimmung. Als die widerspenstigen Mitglieder des Hauses alle aus dem Saal entfernt waren, wurde die Kreditvorlage angenommen und die Sißung geschlossen.

Wie die „Times“ meldet, hat ein von dem König er- nannter Aus |\chuß sih dahin ausgesprochen, daß in der Nach- barschaft der Westminster-Abtei oder des Buckingham-Palastes ein Gedächtniß-Denkmal errichtet werde, dessen Haupt- bestandtheil eine Statue der Königin Viktoria sein solle.

_Das neue Schlahtshiff „Albemarle“, eines der größten Schlachtschiffe, die jemals in Chatham gebaut worden sind, ist gestern vom Stapel gelaufen. Ein Schwesterschiff des- selben Montagu“ und der Kreuzer „Drake“ sind gleichfalls gestern in Devonport, bezw. in Pembroke vom Stapel gelaufen, während der Stapellauf des Kreuzers „Kent“, welher in Portsmouth stattfinden sollte, des stürmishen Wetters wegen verschoben worden is. „Albemarle“ und „Montagu“ haben je ein Deplacement von 14000 Tons, „Drake“ ein solches von 14100, „Kent“ von 9800 Tons. '

Frankreich.

In dem Ministerrath, welcher gestern im Elysée ab- gehalten wurde, machte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Minister des Acuß.rn Delcassé Mittheilung von den aus China eingetroffenen Telegrammen. Aus diesen gehe hervor, daß alle Mandarinen, welche sih der in Peking begangenen Ver- brechen shuldig gemacht hätten, bestraft worden seien. Weiter werde gemeldet, daß zwei Dekrete veröffentlicht worden seien, welche die verhängten Strafen aufzählten und die Abschaffung d-r Examina in denjenigen Prooinzen anordneten, wo gegen Ausländer Ausschreitungen begangen worden seien.

Der Senat seßte gestern die Berathung der Vorlage, be- treffend dieEinfuhrgutscheine für Getreide und Mehl, fort. Viger trat für die Vorlage ein, betonte, welche Erfolge ein gleihes System in Deutschland gehabt habe, und bat den Senat, für d'e Landwirthschaft einzutreten. Die Sißung wurde sodann geschlossen.

Rußland.

Wie dem „W. T. B.“ aus St. Petersburg berichtet wird, verwehrte am Montag die Polizei etwa 200 Studenten der dortigen Universität den Eintritt zu dem anläßlih des Gedenfktages der Leibeigenen-Befreiung in der Kasanschen Kathe- drale abgehaltenen Gottesdienst. “Die Studenten, welche die Nationalhymne sangen und Hurrahrufe auf den Kaiser aus- brachten, wurden von berittener Polizei den Newskipro}pekt entlang in den Hof des Stadthauscs gedrängt. Als die Studenten die Ansprache des Stadthauptmanns, welcher sie beruhigen wollte, mit erneutem Lärmen beantworteten und an dem Nationalfesie theilzunechmen verlangten, ging die Polizei gewaltsam vor, und es gelang ihr, die Studenten, welhe nun ihrerseits Drohrufe gegen den Stadthauptmann ausstießen, im Hofe des Stadthauses einzuschließen, von wo sie in langem Zuge unter starker Polizeibedeckung in Polizeigewahrjam ab- geführt wurden. : - Z

Aus Marghilan wird vom gestrigen Tage über Fest- lichkeiten und Stiftungen berichtet, die anläßlich des 25 jährigen Jubiläums der VereinigungFerghanas mit Rußland stattfanden. Dem General-Gouverneur wurden durch Deputationen eine Schenkung von 100000 Rubeln zur Gründung von Schulen, zu Stipendien für Schullehrer und zur Errichtung von zwei Spitälern und 25000 Nubel zur Verwendung für Zwecke der Volksaufklärung übergeben. Die Stadt schenkte 20 000 Rubel zum Bau eines Mädchen-Gymnasiums. Es fand eine Parade der Garnison statt, ferner waren Konzerte und Festvorstellungen veranstaltet worden. ï

Der Kaiser hat befohlen, daß der zum Schuße der ojt- cinesishen Eisenbahn neu gebildete Bezirk des Grenzwache- Namen „Transamurischer Bezirk“ führen solle. Zum Chef desselben i} der Generalleutnant Saharow ernannt worden.

j Spanien. .

Sagasta hat, dem „W. T. B.“ zufolge, den Auftrag ur Bildung des neuen Kabinets übernommen und wird id wahrscheinlich schon heute mit dem neugebildeten Kabinet zur Königin-Regentin begeben.

Portugal.

Der brasilianishe Konsul in Oporto Calmon is, wie M meldet, zum General-Konsul in Triest er- nannt worden und wird heute dorthin abreisen. :

Depeschen aus Oporto, in welchen es heißt, daß eine

- Volksmenge in der Nacht zum 3. März das Hospiz Sardao

in der Nähe von Oporto mit Steinen beworfen habe und daß Kavallerie dorthin abgesandt worden sei, sind, wie dem W. T. B.“ aus Madrid mitgetheilt wird, von der portugie- sischen Zensur angehalten worden.

Niederlande.

Die Königin und der Prinz Heinrich der Nieder- lande sind, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Vormittag 111/3 Uhr in Amsterdam eingetroffen und am Bahnhofe von den Behörden empfangen worden. Nach einer Ansprache des Bürgermeisters fuhren die Königin und der Prinz nah dem Königlichen Palais, wo sie von der Königin- Mutter empfangen wurden. Auf dem ganzen Wege vom Bahnhofe bis zum Palais stand eine dichtgedrängte Volks- menge, welhe das hohe Paar mit endlosen Hoch- rufen begrüßte. Nach der Ankunft im Palais traten die Königin und der Prinz auf den Balkon, was zu immer erneuten begeisterten Hochrufen Anlaß gab. Abends fand im Großen Saale des Königlichen Palais ein Festmahl statt, an welchem auc der deutshe Gesandte und die Mitglieder der deutshen Gesandtschaft im Haag theilnahmen. Die festliche Fllumination der Stadt wurde wegen des Regenwetters auf morgen vertagt.

Heute früh wurde der Königin und dem Prinzen H von den Musikgesellshaften Amsterdams eine Morgenmusik dargebraht. Vor dem Königlichen Palaste hatte sih eine große Menschenmenge angesammelt, welche dem hohen Paare, das sich während der Vor- träge kurze Zeit auf dem Balkon zeigte, begeisterte Huldigungen bereitete, die sich in noch verstärktem Maße wiederholten, als die Königin und der Prinz, nahdem die Musik zu Ende war, nochmals auf dem Balkon erschienen.

Bulgarien.

Aus Sofia erfährt das Wiener „Tekegr.-Korresp.- Bureau“/, es vezlaute daselbst, der Fürst habe die Petition der Shüßenvereine dahin erledigt, daß der Bestand der Vereine aufrechterhalten, daß dieselben aber der Aufsicht des Kriegs-Ministers unterstellt werden sollten.

Schweden und Norwegen.

Der deutshe Gesandte Graf von Leyden E wie „W. T. B.“ berichtet, von dem König in feier- icher Audienz empfangen, um sein Beglaubigungs}|chreiben zu überreihen. Unmittelbar darauf empfing auch der Kronprinz den Gesandten.

wurde

Amerika. De Präsident McKinley hat, wie dem „W. T. B.“ aus Washington gemeldet wird, (ämmtliche Mitglieder des Kabinets in ihren Aemtern bestätigt.

Asien.

Der General-Feldmarschall Graf von Waldersee hat, dem „W. T. B.“ zufolge, aus Peking vom 4. d. M. ge- meldet, daß am 1. d. M. eine Erkundungsabtheilung von 25 Mann unter dem Oberstleutnant von Wallmenich unter Verlust von 3 Todten und 1 Verwundeten die Anwesenheit starker Truppen westlich von Lungthsüankuan (etwa 18 km westlich des Antsuling-Passes nahe der chinesishen Mauer) festgestellt habe.

Auch bei Wuthai (50 km südwestlih von Lungthsüankuan in

Schansi) ständen erhebliche Kräfte. Der Oberst von Ledebur sei am 4. d. M. früh von Paoting-fu mit 4 Kompagnien abgeschickt worden, um den Antsuling-Paß bis zur Mauer vom Feinde zu säubern und dauernd zu |chüßen.

_ Der General - Feldmarschall Graf von Waldersee hat ferner die Belegung von. Tshangphing (35 km nördlich Peking), wo noch Räuber und Boxer thätig sein sollen, mit der 4, Kompagnie des 2. Regiments und einem Zug berittener Znfanterie angeordnet.

Der „Agence Havas“ wird aus Peking vom gestrigen Tage mitgetheilt, der Kaiser habe ein Edikt veröffentlichen lassen, nah welchem alle Dekrete und Berichte, welche zwischen dem 20. Juni und dem 14. August 1900 erlassen re)pektive erstattet worden seien, vernichtet werden sollen, um jede Spur derselben in der Geschichte zu verwischen.

Afrika.

Nach _ einer Mittheilung des britishen Kriegsamts belaufen sich die gesammten Verluste in Süd-Afrika während des Februar, einschließlih der als Jnvaliden nach Pause gesandten Mannschaften, auf 95 Offiziere und 2274 Mann.

Seit dem Beginn des Krieges sind in Süd-Afrika im Ganzen |

gefallen 664 Offiziere und 13137 Mann; die Gesammtzahl der Verluste aus\shließlich der Jnvaliden, welhe sich wieder erholt haben, beträgt 685 Offiziere und 16 174 Mann. : Aus Cradodck vom 5. d. M. meldet das „Reuter"sche Bureau“, daß die Buren Pearston, eine kleine Stadt un- gefähr 40 Meilen südwestlich von Cradock, rens hätten. Demselben Bureau zufolge ist Sir Alfred Milner am 2. d, M. in Bloemfontein eingetroffen und hat sich am 4. d. M. von dort mit Lord Kitchener nach dem Norden begeben. 15 Wagen mit flüchtigen Buren sind aus Labanchu in Bloemfontein angekommen.

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Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sizungen des Reichs- tages und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

Jn der heutigen (62.) Sißung des Neichstages wurde zunächst der o C n (our, betreffend Aende- rung des Gesetzes über das Posttarwesen, in dritter erathung ohne Debatte angenommen und sodann die zweite

Berathung des Reichshaushalts-Etats für 1901 bei em Etat des Auswärtigen Amts fortgeseßt.

Das Haus der Abgeordneten seßte in der heittigen (42.) Sißung, welcher der Minister der geistlichen 2c. An- gelegenheiten Dr. Studt beiwohnte, die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlihen, Unterrichts- und Medizinal - Angelegenheiten bei dem Kapitel „Provinzial-Schulkollegien“ fort.

An der Debatte betheuigten sich bis zum Schluß des Blattes der Abg. Dr. Beumer (nl.), der Minister der geist- [ichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt, die Abgg. Dr. Gla tt- felter (Zeniir.) und von Knapp (nl.).

__ Dem Hause der Abgeordneten ist eine Denkschrift über die durch die Revision der allgemeinen Lehr- pläne der höheren Schulen herbeigeführte Erhöhung der Gesammtstundenzahl und die dadurch ent- stehenden Mehrbedürfnisse, sowie eine Denkschrift über die Ausführung des Geseßes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutsher An- siedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1900 nebst Anlagen zugegangen.

___ Vei der gestern im 8. Posener Wahlbezirk (Jarotschin, Koschmin, Krotoschin, Pleschen) vorgenommenen Ersaßwahl zum Hause der Abgeordneten wurde nah der amtlichen Feststellung Dr. Anton Chlapowski-Poscn (Pole) mit 378 von 537 Stimmen gewählt. Der Baumeister Köppel- Krotoschin (nl.) erhielt 159 Stimmen.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

_ Ueber den Stand der Lohnbewegung der Berliner Fabrik- Schuhmacher (vergl. Nr. 55 d. Bl.) berichtet die „Dt. Warte“, daß, nach einer Mittheilung der Aus\stands-Kommission bisher 8 Fabriken mit 245 Mann die gestellten Forderungen bewilligt haben, während in zweien mit 68 Arbeitnehmern die Verhandlungen noch \{chweben. Die Gesammtzahl der Ausständigen- beläuft sh zur Zeit auf 173.

Zur Lage des allgemeinen Ausstandes der Kürscchnergehilfen Leipzigs (vergl. Nr. 43 d. Bl.) meldet die „Lz. Ztg.“, daß die Zahl der Beschäftigungslosen, einschließlich der gleichfalls am Ausstand betheiligten Nauhwaarenzurichter, etwa 600 beträgt. :

j; In Pale rmo befinden sih außer den Hafenarbeitern (vergl. Nr. 54 d. Bl.) nunmehr auch, wie der „NRh.-Westf. Ztg.“ mitgetheilt wird, die B ä cker im Ausstande.

Aus Marseille meldet „W. T. B." vom heutigen Tage, daß, infolge des Hafenarbeiter - Ausstandes (vergl. Nr. 55 d. Bl.), zwei dortige Zuckerraffinerien die Arbeit einstellen mußten, da sie ihre Erzeugnisse nicht verladen können.

Kunst und Wissenschaft,

3+ Die von der Königlichen Akademie der Künste ver- anstaltete Ausstellung von Werken des im vergangenen Sommer verstorbenen Bildnißmalers, Professors Max Koner giebt einen guten Ueberblick über das Schaffen des zu früh seiner erfolgreichen Berufsthätigkeit entrissenen Künstlers. Nicht weniger als dreiund- sechzig Delgemälde sind mit zahlreichen Skizzen, Studien und Zeichnungen zu einem ges{mackvollen Ganzen in den Oberlichträumen des Akademie- gebäudes vereinigt. Koner’'s Begabung gipfelte in einer feinfühligen Eleganz des Bortrags, die auf folider tehnisher Grundlage entwickelt war und ihn zum bevorzugten Porträtisten der vornehmen Welt machte. Unter den ausgestellten Bildern \prechen namentlich die Bildnisse Seiner Majestät des Kaisers und Königs, der Gräfin Solms-Baruth, Adolf von Menzel’s, des Fürsten Lihnowsky und die beiden Gouacheporträts der Maler, Professoren Brausewetter und Eugen Bracht für die Be- weglihkeit feines Talents. Gefällige Natürlihkeit muß dabei niht selten “geistige Tiefe ersetzen. Aber es soll dem Maler unvergessen bleiben, daß er mit Ziererei und Pose, die das âltere Berliner Salonporträt unerträglih machten, gebrochen hat. Koner's leßte Arbeiten ließen, was namentlid a8 Y bild von Angelina Gurlitt beweist, auf eine ko entwickelung {ließen liebenswürdigen Lebrer Tüchtigkeit gilt es, ein

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Iruft Lui.

Dr. Ernst Horneffer vom Nießshe-Arhiv in Weimar hielt am Sonnabend im Saale der Königlichen Hochschule für Musik vor einem fehr aufmerksamen und dankbaren, aber wenig zahlreichen Publikum einen Vortrag, betitelt „Nach Niebßshes Tode“. Der

Bortragende suchte einen kurzen Ueberblick über die Bedeutung Nietzsche?s |

für die Gegenwart zu geben, aber obwohl er betonte, daß Nießsche?s Anregungen auf dem Gebiete der Philosophie und der Kunst eine völlige Neubearbcitung aller seiner Ausführungen und eine äußerst \orgfältige Nachprüfung nöthig machten, so hat er selbst eine solhe niht vorgenommen, befindet sich vielmehr ganz im Niebsche’shen Fahrwasser und verlangt mit ihm eine „Umwerthung nahezu aller Werthe. Es kann daher niht überraschen, wenn der Vortrag eine Anzahl etwas übers{wänglicher Superlative bot. Hier einige zur Probe: „Ein grenzenloses Verwaistsein sei das Gefühl der führerlofen Menge nah dem Tode des Philosophen, der das Problem vom Werth der Wahrheit zuerst gestellt, die Unentbehrlichkeit der Lüge gepredigt und so den höchsten bekannten Grad der Aufklärung erreicht habe. Unübersehbar sei die Zahl der rihtigen Blicke, die Nietßzsche in das Neich der Erkenntniß gethan habe ; er sci nicht nur einer der muthigsten, sondern auch einer der feinsten und \{ärfsten Denker, vor allem ein unübertrefflider Kenner, ja fast der Entdecker de Menschenseele. In seinem Leben sei er ein Heiliger gewesen, di europäishe Geschichte habe solhe Menschen lange entbehrt.“ Zu sammenfassend bezeihnete der Vortragende seinen Helden als Propheten, als Erzieher und Zuchtmeister. Allerdings knüpfte er daran die bedingte Schlußfolgerung: „Wenn Nießsche mit seiner For derung der Umwerthung der Werthe im Necht ist, so ift eine völlige Umwandlung aller Formen unseres Lebens nöthig.“ Man wird indessen dem Todten, {on auf Grund seiner eigenen Lehre, mit solcher Uebers{chwänglichkeit keineswegs gerecht. So tiefgehend Nictzsche*s Wirkung auf die Gestaltung der heutigen Kunst und Literatur gewesen ist, so unhaltbar sind seine moralishen Theorien. Er telbst hat mit ihnen nicht den Anspruch erhoben, etwas un- bêdingt Neues zu lehren: seine Gedanken sind nur der {ärfite und verführeris{ste Ausdruck für MNegungen, die besonders seit dem Bekanntwerden der Lehre Darwin's jeden Menschen interessieren und denen der Muthige niht aus dem Wege geht, sondern die er tapfer bekämpft und dur die er sich hindurchringen muß, um mit voller Freiheit und vollem Bewußtsein das Gute thun zu fönnen. Nießsche's Lehre ist deswegen, weil sie sih mit einer noch nie dagewesenen Kühnheit und Konsequenz in den Gegenfaß zur herrshenden Moral gejeßt hat, von nicht zu untershäßendem Werthe ; aber sie wird diese Moral nicht erschüttern und stürzen, sondern läutern und festigen.

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Der Publizist, Politiker und Historiker Professor Friedrich Karl Biedermann ist, wie „W. T. B." meldet, gestern früh in Leipzig gestorben. Er wurde daselbst am 25. September 1812 ge boren, studierte in s

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und Philologie und habilitierte fich im Jahre 1835 für Philologie an der Universität zu Leipzig, wo er im Jahre 1838 eine außer- ordentlide Professur erhielt. Im Jahre 1848 trat er in das Vorparlament zu Frankfurt und \päter în die Deutsche National- verfammlung ein, în der er den fäbsischen Wahlbezirk Zwickau ver- trat, und wel{che ihn zu ihrem Ersten Vize-Präfidenten und zum Mit- glied der nach Berlin entsandten Kaifer-Deputation wählte. Auch nahm er am Nachparlament in Gotha theil und vertrat als Ab- geordneter zur fäcsishen Zweiten Kammer des Landtags (1849 bis 1850) den Anschluß an die Unionsyolitik Preußens. Als Heraus- geber der „Deutschen Annalen“ (seit 1852) wörde er wegen eines gegen den französishen Staatsstreih vom 2. Dezember 1851 gerichteten Aufsaßzes iîn_ einen Preßprozez verwickelt, in dessen Folge er seiner Professur entseßt wurde. Im Jahre 1855 berief ihn der Großherzog Carl Alexander als Leiter der „Weimarischen Zeitung“ nah Weimar und zehn Jahre später wurde ihnr die Leipziger Professur zurückgegeben. In den folgenden Jahren bethätigte er fich an der Spiße der neugebildeten nationalliberalen Partei in Sachsen in hervorragender Weise an der sächsischen Reformgesetßgebung und in der von ihm redigierten „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ als Vorkämpfer der Einigungsbewegung: au dem Neichêtag gehörte er von 1871 “74 an, zog sich dann aber mit Nücksicht auf seine wissenschaftliche Berufs- arbeit vom parlamentarischen Leben zurück. Als Schriftsteller war er außerordentli fruchtbar und vielseitig. Außer streng wissenfchaft- lihen Werken, wie „Die deutshe Philosophie von Kant bis auf unfere Zeit“ (2 Bünde, Leipzig 1842 und 1843) und „Deutschland im 18. Jahrhundert" (4 Bände, Leipzig 1854—1880; Band - 1 und 2 in zweiter Auflage 1881) welches leßtere ein allseitiges Bild der materiellen, politischen, sozialen geistigen, sittlichen und religiösen Zustände Deutschlands im 18. Faghr- hundert giebt, veröffentlihte er eine Anzahl vopulärer Geschichtswerke und politisher Schriften. Auch gab er H. von Kleift's Briefe an seine Braut nah den Originalhandschriften (Breslau 1884) beraus und war, indem er einige vaterländische Dramen verfaßte, selbst dichterisch, thätig. : )

__ Der Forschungsreisende Gent il (vgl. Nr. 49 d. Bl.) überreichte. wie „W. T. B.* aus Paris meldet, gestern dem Minister der Kolonien Decrais den Bericht über die Umstände bei dem Tode des Forschungsreisenden hagle: nah demselben kann jetzt richt mehr daran gezweifelt werden, daß Béhagle auf Befehl des S i Naban aufgehängt und sein Leichnam dann in cinen L worsen wurde.

Bauwesen.

A. F. In der am 27. v. M. in der Urania" abgehaltenen Versammlung der „Vereinigung zur Erhaltung deutscher Burgen“ machte zunächst der Borsißende, Architett Bodo Ebhardt, die Mittheilung, daß für die Pfingstwohe den Vereinsmitgliedern ein gemgcinschaftlicher Besuh der Marksburg bei Braubach vor- geschlagen werde. Alsdann nahm der Geheime Baurath Dr. Meydenbauer das Wort zu einem Vortrage „über mittel alterlihe Befestigungsanlagen“. Was uns von solchen in Deutschland erhalten geblieben, ist nach Ansicht des Vortragenden nur ein kleiner Nest eines früher vorhandenen großen Bestandes anfehn licher Bauwerke; denn gerade die bedeutendsten Städte haben längst im Interesse ihrer Ausbreitung und im Verlangen nah Licht und Luft diese alten Anlagen beseitigt und vielfah faum daran gedacht, sie der Nachwelt wenigstens im Bilde zu erhalten. Selbit die Literatur ist arm auf diesem Gebiet, nennenswerth sind nur zwei ältere Werte. Ist doch die Werthschäßung dieser Dinge ziemlih neuen Datums und erst erwacht, als es leider nicht mehr viel zu retten und zu erbalten gab. In Preußen hat die Einrichtung der „Konservatoren“ jetzt wenigstens dem willkürlichen Schalten von Privaten und Gemeinden über folche Baureste einen Riegel vorgeschoben, und das seit 16 Jahren im Entstehen begriffene „Denkmal-Archiv“ sorgt dafür, die noch in der Ocffentlichkeit vor- handenen Schäße älterer deutsher Kunst, darin eingesclossen Architektur und Kunstgewerbe, der Nachwelt in getreuen Abbildungen zu erhalten. Aus dem bereits 7000 Blätter umfassenden, groß ange legten Werke führte der Vortragende hierauf durch den Bild- werfer 67 Darstellungen mittelalterliher Befestigungsanlagen vor. Sie umfassen, von der Westgrenze Deutschlands beginnend, mit wenigen Ausnahmen allerdings nur Baudenkmäler innerhalb Preußens, denn das „Denkmal-Archiv“ ist, wie {hon gesagt, cine reußische Einrichtung. Das erste Bild gehörte jedoch den Neichs anden an und fte in dem „deutshen Thor“ von Met iten, bis in das 12. Jahrhundert zurück

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n I, So 6 Bei i BoU i | puedlinburg der edner darauf aufmerksam, daß dort die ältesten, ursprünglich deutschen Bauten, frei von jeder romanischen Beeinflussung in Stil und Bau ausführung erhalten find. Sie reihen bis in das 9. Jahrhundert zurück. Von der Morißburg in Halle leitete die Darstellung zu den an Zabl und architektonishem Werth unerwartet reichen ostdeutsceu Bauresten über. Tangermünde ist eine ergiebige Fundgrube für den Freund der Baukunst unserer Vorfahren; doch auch das an alten Thorthürmen reihe Brandenburg mochte nah dieser Seite manchem der Zuschauer eine Ueberrashung bringen,

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Cvenlo a Thorthürmen ausgestattete Stendal und die Stadt Königsberg in der Neumark, die deren zwei besitzt. Die Stadt des 15. Meridians, nach deren Orts-Mittagszeit wir unsere Uhren auf M. E. Z. regulieren, Stargard in Pommern, darf sich besonders wohlerhaltener Bau - Alterthümer rühmen, und- in dem 1280 von den deutschen Rittern gegründeten Thorn wird innerhalb der modernen Festungsanlage ein großes Stück der mittelalterlihen Mauer pietätvoll konserviert, das zu den besonders charakteristishen Bauresten jener Zeit gelb als die Schießscharten îin den Wällen noch den Armbrüsten angepaßt wurden. Mit einer Reihe von Bildern des größten Denkuals mittelalterliher Befestigungskunst, der Marienburg, {loß der Vortrag. Zuvor aber mahte Geheimer Baurath Meydenbauer darauf auf merksam, daß das Jedermanu zugänglihe „Denkmal-Archiv“, das all mählih si bis auf 20 000 Blätter zu vermehren versyrehe, noch allzu wenig benußt und verwerthet werde. Wer immer \sich über Eut stehungs- und Entwickelungsgeshichte eines bestimmten Gegenstandes auf dem Gebiete der Kunst oder des Kunstgewerbes untarrihten wolle, der finde dort ausgiebige Belehrung. Wie üm vorliegenden Falle die Befestigungsanlagen, so könnten auf Grund des darin vorhandenen Materials ebensowohl die Erker, die Altäre, die s{miedeeisernen Gitter u. a. zum Gegenstande von Spezial-Vorträgen unter Begleitung zahlreicher Lichtbilder aus diefer Sammlung gewählt werden.

Land- und Forftwirthschaft. Weizeneinfubhr Marseilles.

Nach den Wochenübersichten des „Sémaphore“ betrug die Weizen- Einfuhr Marseilles auf dem Seewege: in der Zeit vom 27. Januar bis zum 1. Februar . 63933 dz, Mt ae B c O in der Zeit vom 3. bis zum 8. Februar 121 081 davon aus Rußland En 86 178 in der Zeit vom 10. bis zum 15. Februar 119 513 davon aus Rußland : 94 079 in der Zeit vom 17. bis zum 22. 99 263 davon aus Rußland “L In den Docks und Entrepôts von Marseille befanden sib

Februar

seiner Vaterstadt sowie in Heidelberg Theologie | 20. Februar 81 990 dz.