1901 / 61 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 Mar 1901 18:00:01 GMT) scan diff

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Abg. Dr. von Heydebrand und der Lafa bemerkt persönlich gegenüber dem Abg. Haenberg, daß er in der Kommission nicht ge- jagt habe, daß feine Freunde die Angelegenheit im kirchlichen Interesse betrieben, fondern daß er gesagt habe, seine Freunde legten im Schul- interesse Werth darauf, daß aus erzieherishen Gründen der Einfluß der Kirche auf die Schule möglihst gewahrt und erweitert werden müsse, und daß dazu auh die Wahrnehmung der Schulinspektion im Nebenamte dienlich fei.

_Bei der Abstimmung werden außer den von der Kom- mission bewilligten Stellen in Bohum und Charlottenburg auch noch die Stellen in Jgehoe und Recklinghausen bewilligt. EN dicse stimmen auch dié Konservativen. Die Stellen in &schweiler, Pr.-Holland und Stutthof werden abgelehnt. Die von der Kommisfion beantragte Resolution wird gegen die Stimmen der Freikonservativen und der gesammten Linke angenommen. ;

__ Bei den Remunerationen für die Orts-Schulinspektion wuün)cht 4

Abg. Zimmermann (fr. konf.) eine Erhöhung dieser Remu- neration wegen der großen Arbeitslaft, welche die Lokal-Schulinspektion verursache. ,

__ Abg. Stanke (Zentr.) glaubt, daß die Klagen wegen Ueber- lastung der Lokal-Schulinspektoren nur für einzelne Fälle begründet fein können, und tritt für die Wahrnehmung der Orts-Schulinspektion dur die Geistlichen ein, besonders in seiner Heimath Oberschlefien. Den katholischen Geistlihen thue man aber die Kränkung an, daß man sie troß ihrer loyalen Gesinnung nicht zu den Schulvorständen heranziehe. :

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Viele von den Beschwerden, die der Herr Ab- geordnete soeben vorgetragen hat, beruhen auf dem Umstande, daß die Regierung nicht sicher sein kann, daß diejenigen Herren, die durch Uebertragung der Ortsschulinspektion sich an der Schulverwaltung und an dem Leben der Schule betheiligen würden, auch voll dem Unterrichts\system zustimmen, wie es in Oberschlesien seitens der Re- gierung eingeführt worden ist, und bereit sein würden, im Sinne des- selben zu wirken. Wenn dies der Fall wäre, würden doch wohl zahl- reiche Anträge seitens der betheiligten Geistlihen um Uebertragung der Schulinspektion eingehen. Der Zentralinstanz liegen aber derartige Anträge nicht vor. Ich bin nicht in der Lage, dem Herrn Vorredner Aenderungen in dem bisherigen Verhalten der Behörden in Aussicht zu stellen, bevor niht der von mir angedeutete Zweifel beseitigt ist.

_ Abg. Szmula (Zentr.) {ließt sich den Ausführungen des Abg. Stanke an.

teu eingestellt ist eine Forderung von 500009 M zu Ent- shädigungen an Orts-Schulinspektioren für die Theilnahme an amtlichen Kreisfonferenzen. j Ï b Berichterstatter Abg Winckler spriht seine Befriedigung dar- über aus, daß die Unterrichtsverwaltung dur Neueinftellung dieses Titels den mehrfahen Anregungen aus dem Haufe nachgekommen fei, und befürwortet die Bewilligung dieser Forderung.

Das Haus beschließt demgemäß.

Bei dem Titel „Höhere Mädchenshulen“ theilt

__ Berichterstatter Abg. Winckler mit, in der Kommission sei von einem Ee gewünscht worden, daß die akademish gebildeten Lehrer der höheren Mädchenschulen den Normal-Etat erhalten möchten. Die Unterrichtsverwaltung habe darauf erwidert, hierüber s{webten Verbandlungen mit der Finanzverwaltung, und es sei zu erwarten, daß der nächste Etat die Mittel hierfür bringen werde.

Abg. Ernst (fr. Volksp.) wünscht, daß die Verhandlungen mit der Finanzverwaltung bald zum Abschluß kommen mühten, welhem Wunsch

Abg. von Knapp (nl.) si ans{ließt. i j _ Geheimer Regierungsrath Dr. Waeßoldt erklärt, daß die Unter ridtsverwaltung ebenfalls die baldige Beendigung der Verhandlungen wünsche.

Abg. Dr. Mizerski (Pole) führt darüber Beschwerde, daß in den höheren Töchterschulen der Provinz Posen die volnishe Sprache zurücge}eßt werde. Es fehle insbesondere ein guter Religionsunter-: richt in polnischer Sprache. Der Unterricht in deutscher Sprache dem die Mädchen nicht immer zu folgen vermöchten, genüge in keiner Weie.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat zu Anfang seiner Aus- führungen in Ausficht gestellt, daß er cine sogenannte Polendebatte hier niht eröffnen wolle. nach dem Eindruck, der von allen Seiten hier von seiner Nede gewonnen fein wird, doch mit Recht behaupten zu können 3 es cine Polenrede im eminentesten

sehr richtig! rechts), welche der Herr Vor- bekannten \charfen Ausdrücken eingeleitet hat,

und Unterstellungen, die ih hier nicht näher

if, wie ich {on einmal betont dieser Frage mit den Herren

(Abg. von Mizersfki:

Sinne des Wortes w redner wieder mit de und mit Anfeindungen dcharakterisieren will. ch gebe es a! habe, mi über die grundsäßliche Seite von der polnishen Fraktion verständigen. Sehr bequem!)

Meine Herren, densel Dr. Mizersfi hinsichtlid

n Einwand, den heute der Herr Abg.

geseßlihen Zulässigkeit der von der Regierung zu-Posen getroffenen Maßnahmen erhoben hat, hat neulich der Herr Abg. von Jazdzewski gemaht. Jch kann nur erklären, daß niht allein die Praris der Verwaltungsbe! selbe be findet ih in Uebereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte de treffenden geseßlihen und Verfafsungsbestimmungen feit langen Reihe von Jahren dieser Auffassung widerspricht, fondern daß auch eine erneute Prüfung der rechtlihen Zulässigkeit immer wieder zu dem Resultat geführt hat, daß die Ober-Präfidialverordnung von 1873 sich vollständig auf dem Boden der Verfassung und des Gesetzes bewegt. Jn den Maßnahmen, die damals getroffen worden sind, eine Aenderung eintreten zu lassen, dazu hat die Negierung umsoweniger Veranlassung, als, wie Sie aus den Worten des Herrn Abg. von Jazdzewski neuliG wohl entnommen haben werden, die entgegenkommenden Versuche die im Jahre 1891 und im Jahre 1894 seitens der Unterrichtêverwaltung dahin angestellt worden find, den von polnisher Seite ihr zugegangenen Wünschen gerecht zu werden, vollständig fehlgeschlagen sind. Der Herr Abg. von Jazdzewski hat diese Versuche als mangel hafte, als durchaus erfolglose bezeihnet. Nun frage ih Sie, meine Herren: wenn auh eine entgegenkommende Regierung dieser ab- sprechenden Kritik unterzogen wird, bleibt doch in der That nichts Anderes übrig, als zu dem System zurückzugehen, welhes durch das Staatsinteresse unbedingt geboten ist. Jh will nur noch hervorheben, daß; diese Ober-Präsidialverordnung von 1873 in ihrer praktishen An- wendung zu Unzuträglichkeiten niht geführt, vielmehr uns die Mög- lichkeit gegeben hat, gewisse deutshe Minderheiten vor der Polonisie- rung zu bewahren. Fch komme hier auf ein Thema, welches ih bereits wiederbolt berührt habe und wegen der Peinlihkeit seines Charakters beute nur furz streifen will.

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Aber, wenn der Herr Abg. Dr. Mizerski wirklih den thatsächlichen Nachweis vermissen sollte, daß die von mir {hon wiederholt aufgestellten Behauptungen rihtig seien, dann könnte ih mit einer Fluth von Literatur dienen, die die Richtigkeit meiner Behauptungen bestätigt. Jch habe absihtlich davon Abstand genommen, in neuerer Zeit noch einzelne Zeitungsäußerungen befonders hier bervorzuheben. Sie sind aber andererseits so harakteristisch, daß ich mit gutem Ge- wiffen behaupten fann: sie bestätigen in vollem Umfange die Befürch- tungen, welche ich hinsihtlich einer systematischen Polonisierung der deutschen Katholiken ausgesprohen habe. Da dabei betont worden ist, daß die polnische Presse die deutschen Katholiken nicht glimpflih be- handelt, bitte ih, noch auf die Nr. 6 der „Praca“ vom 10. Februar 1901 verweisen zu dürfen, wo in einer geradezu empörenden Weise ein hochverdienter Erzbischof des westlichen Theiles unserer Monarchie wieder verdächtigt worden ift.

Meine Herren, ich nehme davon Abstand, diese Sachen hier nochmals näher zu berühren. Was die höheren Mädchenschulen in Posen anbetrifft, so kann ih nur erklären, daß die Königliche Negierung zu Posen sich vollständig im Rechte befunden hat, wenn sie zwischen öffentlihen und Privats{chulen in Beziehung auf den Lehrplan und die Unterrichtssprache keine Unterscheidung gemacht hat. Es ift das cine Praris, die stets beobachtet ist, und auch ganz unangefohten bleiben muß. Das unterrihtlihe Interesse bleibt genau dasselbe, ob es sih um eine öffentlihe oder um eine Privat- \s{ule handelt. Wir haben neben dem unterrihtlihen Interesse auf Grund der sehr ungünstigen Ergebnisse, die die Revision der höheren fatholishen Mädchenschulen in Posen ergeben hat, sehr wichtige staat- lie Interessen zu wahren. Es hat sich herausgestellt, daß gerade bei Ertheilung des Religionsunterrihts eine niht unerhebliche Anzahl junger Mädchen, die in den Schulen, die sie früher besucht hatten, deutschen Religionsunterricht erhielten, der polnischen Abtheilung zu- gewiesen war. Das spricht dafür, daß hier eine bei der deutshen Sprach- kenntniß aller Schülerinnen unbedenklißhe Maßnahme am Plage war, die geeignet ist, folhe Mißstände auszuschließen.

Meine Herren, es ist uns {on früher ein Kampf angedroht worden für den Fall, daß wir diese Maßnahme durchführen und nicht abändern, in derselben Weise, wie das heute wieder Herr Mizerski in Ausficht gestellt hat. Wir sehen dem Kampf ruhig entgegen, und wir werden ihn mit voller Zähigkeit durchführen. Aber einen be- scheidenen Nath gestatte ich mir an Herrn Mizerski und an seine Fraktionsgenossen: wenn der Kampf weiter fortgeführt wird, so sorgen Sie in Ihrem eigenen Interesse dafür, daß die Art und Weise, wie täglih unser nationales Empfinden und unsere patriotishen Gefühle in der brutalsten Weise beleidigt werden, allmähblih aufhört. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Dann kann mögliher- weise eine rubigere und entgegenkommendere Stimmung plaßtgreifen. So lange auf polnischer Seite dieser rohe Kriegszustand aufreht- erhalten wird, ist an eine Verständigung niht zu denken. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Shall (kons.) bespricht die neue Prüfungsordnung für die Lehrerinnen der höheren Mädchens&ulen und erkennt es als richtig an, daß als Grundlage der Prüfung die allgemeine pädagogische Aus- bildung gelten soll. Es sei eine berechtigte Forderung, daß alle Mädchen, welche später eine höhere wissenschaftliche Ausbildung sich aneignen sfollen, durch die höhere Töchtershule gehen müßten und daran verhindert würden, ihre Ausbildung auf Anstalten zu suchen, die darauf angelegt sind, lediglich für das akademische Studium vorzubereiten. Der Minister habe mit Recht die Errichtung eines neunfla\sigen bumanistischen Gymnasiums in Köln abgelehnt mit der Begründung: Es beruhe auf einer Verkennung des Wesens und der Bestimmung der bestehenden Gymnasialkurse für Mädchen, wenn man ibnen die Aufgabe zuweisen wolle, mit ihren Schülerinnon in 4 oder 5 Sahren cinen neunjährigen Lehrgang des Gymnasiums zu durh- eilen: ibre Aufgabe würden sie vielmehr darin zu erkennen haben, die beiden Bildungsgänge in organischen Zusammenhang zu seßen und auf Grund der allgemeinen Bildung, wie die höheren Mädchen- schulen sie gewährten, ihre Schülerinnen zu den Zielen des Gymnasiums zu führen, niht in der Art einer Presse für die Neifeprüfuna, sondern in geordneten, methodischen, fortschreitenden Lebraängen. Das Benehmen der emanzipierten Mädchen \ei bedenklich. Er habe in der Pferdebahn das Benehmen eines folhen Mädchens gesehen, an dem er als Geistlicher hätte Anstoß nehmen müssen. Es lei genug, wenn die Töchter höherer Stände das Lehrerinneneramen machten und als Lehrerinnen vermittelnd auf die unteren Schichten einwirkten. Hier sei ein Gebiet für die Frauenarbeit gegeben. Er fönne dem Minister gegenüber den Emanzipationsbestrebungen zurufen: Landgraf, werde hart!

Abg. Dr. Dittrich (Zentr.) spriht au die Meinung aus, daß den Beitrebungen der Frauen {hon genug entgegengekommen sei.

Gébeimer Regierungsrath Dr. Waeßzoldt dankt dem Abg. Schall für seine Anerkennung der neuen Prüfungsordnung für Oberlehrerinnen. Wenn auch unsere Mädchenschulen niht den Anforderungen der neuen Zeit genügten und einer Umgestaltung bedürften, so werde sih doch die Regierung durch die Bestrebungen einer Minderbeit nicht zu un- bedachten Schritten hinreißen laffen.

Bei den Ausgaben für das Elementarshulwesen be- mängelt

Abg. Malkewih (konsf.) die Ungleichheit in den Alterszulagen der Lebrer in einem und demselben Bezirk der Provinz Pommern und tritt ferner für die Gleihlegung der Ferien an den höheren und den Volks\{ulen ein.

Abg. Dasbach (Zentrum) bemerkt, daß, wenn in letzter Zeit bei der Errichtung neuer Schulstellen die katholischen Schulen besser weg- gekommen seien, dies keineswegs cine Bevorzugung der Katholiken fei, sondern daß damit nur lange Versäumtes nachgeholt werde, daß aber diese Vermehrung der katholisWen Schulen noch lange nicht dem wirklichen Bedürfnisse entsprehe. Es seien viel inthe fatholische Kinder in evangelishen Schulen einges{hult als evangelische Kinder in katholiswen Schulen. Der Redner bespricht verschiedene folche Fälle.

Ministerial-Direktor Dr. Kügler: Herr Malkewiß wünscht die Gleichstellung der Lebhrergebälter im Kreise Stargard. Unter allen Umständen wird das nicht möglich sein, -weil die Ausführung des Lehrerbesoldungégesezes auf der Grundlage erfolgen - soll, daß die Gehälter unter Berücksichtigung der [lokalen WVerhält- nisse festgeseßt werden sollen. Wir fkönnen die Gemeinden niht zwingen, \sich in den Gehältern nach anderen Gemeinden zu rihten. Es muß in dieser Hinsicht vorsichtig vorgegangen werden, damit man die Gemeinden nicht übermäßig belastet. Aus den ein- zelnen vom Abg. Dasbach angeführten Fällen kann man nicht allge- meine Schlüsse ziehen. Die Unterrichtsverwaltung sorgt in leider Weise für katholische wie für evangelishe Schulen. Für katholische Minderheiten bis zu 17 Kindern herunter, in einem Ly sogar für 10 Kinder, seien Schulen errihtet worden. Im Jahré 1821 entfiel auf 450 Evangelische und 660 Katholische je eine Lehrkräft, 1871 auf 460 Evangelische und 463 Katholische, 1888 auf 416 Evangelische und 463 Katholische, 1896 auf 382 Evangelische und 426 Katholische. Aller- dings stehen die Evangelischen immer noch besser als die Katholischen, aber die ersteren wohnen auch mehr in den Städten, wo mehr Lehr- kräfte vorhanden find, die Katholishen mehr auf dem Lande. Jeden- falls hat die Unterrihtsverwaltung auch stets für die Fortentwidelung

des fkatholishen Schulwesens gesorgt.

ZEIDE * erford Fon.) ‘tritt für n, da die Kinder dort sehr weite Schulweg - Düsseldorf (Zentr.) bedauert die Land

Lehrer und wünscht Maßregeln, um die Lehrer feß r zu maten Die Lehrer \trebten nah den großen Städten, um bessere Stell Gn zu bekommen, sie sollten aber bedenken, daß 3 Æ auf dem 9 H in der Stadt aufwiegen. Der Redner weist ferner auf zu strenge Ben onnia dex Schulversäumnisse in Schlesien hin und empfiehlt dis geseßliche Regelung der Schulpflicht.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Ich gestehe zu, daß die von dem Herrn Abg. Schmit foeben am Schlusse seiner Ausführungen hervorgehobenen Uebelstände, welche aus eiñer großen Verschiedenartigkeit der Gesetzgebung und Recht. sprechung auf dem Gebiet der Shulpflicht hervorgehen, zu erbeblihen Mißständen zu führen geeignet find. Die Unterrichtsverwaltung ist aber bisher niht in der Lage gewesen, den bezüglichen Anträgen zuy entsprehen, weil die vorhandenen rechtlihen und thatsählihen Schwierigkeiten hindernd im Wege standen. Sollte es aber das ein- müthige Votum des Hauses fein, daß auf dem Wege der Gefeßgebung die Schulpflicht einheitlich geregelt werde, meine Herren, dann würde die Unterrichtsverwaltung darin einen werthvollen Anhalt und eine dankenswerthe Anregung finden, den Versuch zu machen, auf geseß. geberishem Wege vorzugehen. :

Nach 41/2 Uhr wird die weitere: Berathung bis Dienstag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die Thätigkeit der Ansiedelungskommission in den Provinzen Westpreußen und Posen von 1886 bis 1900.

In Nr. 57 des „Neihs- und Staats-Anzeigers“ ist über die Förderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen im Jahre 1900 nat der kürzlih dem Hause der Abge- ordneten zugegangenen „Denkschrift über die Ausführung des Geseßes vom 26. April 1886 für das Jahr 1900“ berihtet worden. Um die Gewinnung eines Gefammtüberblicks über die Thätigkeit der Ansiede- lungsfommission in der Zeit vom August 1886 bis zum 1. Ja- nuar 1901, also in rund 143 Jahren, zu erleichtern, hat die Regie- rung der genannten Denkschrift einen kurzen Abriß der Thätigkeit dieser Kommission seit ihrem Bestehen beigefügt, dem die folgenden Mittheilungen entnommen sind. N

Grunderwerb. Angekauft wurden 147 475 ha Grundstü, zumeist größere Güter oder Güterkomplere (241) und 68 Einzel- L artetdrSaften (1,8 9/9 des Gefammterwerbes) für rund 100 Mil- lionen Mark. Der Grunderwerb beträgt 2,71 9/4 der Fläche der beiden Ansiedelungsprovinzen, und zwar 3,64%/6 in Posen und 1,65% in Westpreußea. Er erstreckt sich über 32 von 42 Kreisen der Provinz Posen und über 15 von 27 Kreisen der Provinz Westpreußen.

Kult urelle Hebung dieses Grunderwerbes. Geregelter, von der Ober-Rechnungskammer überwachter Verwaltung sind unter- stellt gewesen oder noch unterstellt im ganzen rund 145 000 ha in 241 Großbetrieben. Während dieser zwischenzeitlichen Verwaltung wurde dur folgende besondere Maßnahmen neben der auf ausgiebige Hebung des allgemeinen Kulturzustandes der Güter gerichteten rationellen Bewirthschaftung dabin gestrebt, die Erträge der Ländereien zu erhöhen, und zwar durch: 1) Drainagen auf 172 Gütern, umfassend 37300 ha, zum Kostenaufwande von 6,35. Millionen Mark, 2) Mod®drkultur- anlagen, umfassend rund 2000 ha, zum Kostenaufwande von 1,15 Mil: lionen Mark, 3) Wiesenmeliorationen, umfassend rund 60 ha, zun Kostenaufwande von rund 10000 4, 4) Wegebefestigungen (ob Beihilfen der Provinzen oder Kreise) in einer Gesammtstrecke tor 32,1 km zum Kostenbetrage von 257 000 #(; außerdem find Bu beihilfen zu Kreishausseen, die Ansiedelungen berühren, von der % siedelungskommission gewährt.

Besiedelung. Ansässig sind gemaht 4277 Ansiedlerfawmili auf rund 30 000 Köpfe geschäßt, auf 70 500 ha Stellenlandes, dess Selbstkostenwerth rund 50 Millionen Mark beträgt. Zu diesem Privatbesiß der Ansiedler treten an Dotationsländereien für Gemeinden, Kirhen und Schulen rund 4000 ha, fast 6% und fiskalische, als verfügbar bezeihnete Ländereien im Un fange von 18 000 ha, die für die spätere Auftheilung, bezw. Ver gebung an den Ansiedlernahwuhs, d. i. für allmendartige Zwecke oder zwecks freihändigen Verkaufs als für Besiedelungszwecke ungeeignet vorbehalten sind, sodaß der Grunderwerb hierdurch mit rund 92 500 ha in Anspruch genommen erscheint und von den gesammten Erwerbungen der Ansiedelungskommission bisher rund F zu W- siedelungszwecken verwendet find. Die ' unter den 4277 Ahsiedler: familièn gezählten 2715 Familien, die von außerhalb der An- fiedelungsprovinzen zugewandert sind, haben ein Kapitalvermögen hierher importiert, das mit 5000 Æ auf die Familie, also nit 13 Millionen nicht zu hoch verans{lagt sein wird. Der bei weitem größte Theil dieses Kapitalimports ist der Provinz Posen zu qut gekommen, da die fremde Ansiedlereinwanderung nah Westpreuß immer noch schr. gering ist.

An Wohnungen werden durch die Neubauten der Ansi2lz neben den fisfalishen Aufbauten in den beiden Ansicdelungsprot# gegen 4000 neu geschaffen worden sein. Dabei ist Westpreußen mit25% Posen mit.759%/o betheiligt. Damitistein Geringes für Besserung der Vo nungsverbältnisse auf dem platten Lande durch die Thätigkeit der An siedelungskommission beigetragen. Neu erbaut find etwa 3700 An nedlergehöfte alt übernommene oder aptierte Gebäude sind bier nit mitgezählt —, und zwar a. im Eigenaufbau der Ansiedler 3400 b. dur fisfalis{en Aufbau 300. Von dem Materialverbrauch bei dieser Bauthätigkeit giebt folgende Angabe einigermaßen einer Begriff. Die Verwendung von Ziegelsteinen durch die Bauten der Ansiedler ist zu \{äßen auf rund 170 WMiillonen Stüd, von denen allein 125 Millionen Stück in fiskalischen Ziegeleien hergestellt sind. Der Werth sämmtlicher Gehöfte der Anfiedler it auf etwa 32 bis 35 Millionen Mark zu s{häyen. Die Ansiedler baben bisher an Ergänzungsdarlehen zur ersten Ausrüstung ihrer Stellen rund 2 Millionen Mark erhalten; außerdem find ihnen rund 100 000 Obstbäume geliefert und 719 Stück Kühe und Färfen Wertbe von fast 150 000 M aus den Heerden der Ansiedelungsgul?r verkauft worden. E

Regelung der Gemeinde-, Kirhen- und Schulverhäl! nisse. Ausweislih der Denkschrift für 1900 kommen auf jedes siedelungsgut 30 bis 35 Ansiedlerjtellen. Der derzeitige Stand Regelung der Gemeindeverhältnisse ist folgender: a. Ne bildet sind 75 Landgemeinden, die durh Umwandlung aus Gutsbejirlen entstanden sind. b. Geregelt sind für 8 befiedelte Gutsbezirke die Gemeindeverbältnisse dadurch, daß die Ländereien zu bestehenden F meinden mit deutschen Majoritäten kommunalrechtlich zugela sind. c. Ansiedlergruppen auf 10 größeren Grundstücken oyne Gutsbezirksqualität sind in dem vorhandenen Landgemeindeverband, iu dem sie Anshluß- an eine vorhandene Majorität alteingeseener deutscher Wirthe fanden, verblieben. d. Weitere Ansiedelungen au! 25 Gutsbezirken stehen diht vor dem Abs{chluß der Gemeinde- bildung. 6. Die auf den 35 vereinzelt liegenden Bauernwirthschasten angesiedelten deutschen Bauern theilen die Geschicke der Landgemeinden, innerhalb deren fo liegen, d. h. sie verhalten \sich bisher in n der Bethätigung eines Gemeindelebens Passiv. f. 76 Gebäude ind für Semeindezwede erbaut, meist Armenhäuser und Spriyenhäuser-

(Sc{hluß in der Zweiten Beilage.)

(

Statistik und Volkswirthschaft. (Schluß aus der Ersten Beilage.)

Regelung der kirchlihen Verhältnisse hat folgenden Lies u t: H in 19 Parochien, innerhalb deren das Anfiedler- intere}fe vorwiegt, sind 19 Kirchen fiskalischerseits erbaut; b. in 12 weiteren Parochien, innerhalb deren es sich um Befriedigung eines eringeren Ansiedlerinteresses handelte, sind 12 Bethäufer fiskalischer- ‘its gebaut; c. in 17 Parochien find Pfarreigehöfte und ein Organisten- ehóft errichtet worden ; d. in 10 Parochien sind seitens der Ansiedelungs- mmission Subventionen gezahlt zur Vergrößerung der Kirchen aus Anlaß der zutretenden Ansiedlerbevölkerung. —, Ueber die Regelung der Shulverhältnisse ist Folgendes zu. berichten, daß 113 Schul- gemeinden neugebildet und auf fistalische Kosten 116 Schulen, darunter 16 zweiklassige, erbaut worden sind. Der Gesammtschäßungswerth sämmtlicher neu errichteten öffentlichen Gebäude beträgt rund 35 Mill. Mark; außerdem sind zahlreiche größere Ansiedelungen mit Feucrsprißen ind Löschgeräthen ausgestattet worden. E :

Genossenshaftswesen in den Ansiedelungen. Die Thätigkeit der Anstiedelungskommission in Sachen der Gründung von Genojjenschaften, Bildunasanstalten u. f. w. zeigt folgende Zusammen- Ie Genossenschaftlihe Gründungen in den Ansiedler- gemeinden: A. 61 Spar- und Darlehnskassenvereine; 3. Ein- und Verkaufsgenossenschaften: 1 Kornhausgenossen- haft mit Silospeicher, Dampfmühle und Dampfbäerei; 3 Kaufhaus- genossenshaften, davon 1 mit Kornlagerhausbetrieb, 1 mit Silo- veiher und Mühlenanlage; Ein- und Verkaufsgenossenschaft land- virthschaftlicher Erzeugnisse; 3 Eier-Ein- und Verkaufsgenossenschaften ; (. Produktivgenosfenshaften: 15 Molkerei- und 3 Müllerei- genossenshaften; 2 Brennereigesellschaften mit beshränkter Haftung ind 9 Brennereigenossenshaften, darunter 2 mit Dampfmühlen- anlagen; D. 21 D rainagegenossenshaften; E. 3 Pferde- ¡uhtgenossensha ften; 1. 6 Genossenschaften zum An- fauf und Betrieb eines Dampfdreschsaßes.

11. Gründungen auf fachunterrichtlichem 9 Wintershulen, 1 Mustergärtnerei mit Obstbaumschule.

[ll. Gründungen von deuts{chen Büchereien: 91 Volks- shulbüchereien. E E L [y. Gründungen von gemeinnüßigen Vereinen u. dergl.: 1 Wohlfahrtsverein, 14 landwirthschaftliche Vereine, 2 frei- willige Feuerwehren. - i | ;

V. Wohlthätige Anstalten, begründet auf geeigneten Grundstlicken der Ansiedelungsgüter durch die kirchlichen Behörden oder gemeinnüßigen Vereine: 3 Waisenhäuser, 1 Siechenhaus, 9 Diakonissen-Anstalten und 3 Diakonissen-Stationen, fowie 1 Kon-

firmanden-Anstalt.

Gebiete:

Zur Arbeiterbewegung.

Die Lohnbewegung der Steinbildhauer Berlins (vergl. Nr. 147/1900 d. Bl.) ist, wie die „Volks-Ztg." berichtet, bei den maßgebendsten Firmen durch nachträglihe Begleihung der Tarif- diferenzen beendet worden. A S, O

Die Berliner Wag en- und Ge schirrfattler beschlossen, dem- selben Blatt zufolge, in threm bereits aufgestellten Tarif Abänderungen vorzunehmen und insbesondere die Lohnforderungen zu erhöhen. Dem- entsprehend verlangen sie nunmehr u. a. 24 tatt 22 „16. Mindest- Wodhenlohn und 19,50 statt 18 A wöchentlich für ausgelernte Arbeiter im ersten Jahre. Die Unternehmer follen ersuht werden, d bierüber bis zum 23. d. M. zu äußern. (Vergl. Nr. 49 d. Bl.)

Literatur.

Swhriften der Zentralstelle für Arbeiter - Wohl- fabrtseinrichtungen. Heft 18: Die Erziehung des Volkes auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, Heft 19: Fürsorge fur die hulentläfsene Jugend. Vorberichte und Verhandlungen der neunten Konferenz. Berlin, Karl Heymann's Verlag. Preis zusammen 9 M Der erste Verhandlungsgegenstand der Um vergangenen Jahre zu Berlin abgehaltenen neunten Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter- Woblfahrtseinrichtungen, die Erziehung des Volkes auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, war sechs Referenten zur Behandlung übertragen, deren Berichte im

18. Heft der Schriften der Zentralstelle gedruckt vorliegen. fo Dr: Natorp-Marburg behandelt den allgemeinen Theil der Frage. Er geht davon aus, daß den hierauf gerichteten Bestrebungen in Deutschland gegenüber der „University Extension in England ¡wei Faktoren besonders günstig seten, einmal die nicht bloß gründlihere, sondern allgemeiner und gleichmäßiger über die ganze Nation verbreitete elementare Vorbildung, die zugleich das Verlangen nach weitergehender Bildung wecke und An- fuüpfungspunkte für solhe nah vielen Richtungen biete, ]o- dann aber au die gleichfalls tiefere sowie stärker und gleich- mäßiger verbreitete höhere, insbesondere akademische Bildung. Diesen Vortheilen ständen aber die Schwierigkeiten unserer politishen Lage nah außen und na innen gegenüber : auf der einen Seite die harte, do unbestreitbare Nothwendigkeit, alle Kräfte zu unjerer nationalen Selbstbehauptung einzuseten; die innere Zerklüstung der wirthschaft- lichen, politischen und religiösen Parteien. Gleichwohl folle man mit gutem Zutrauen an die Lösung der Aufgabe herantreten ; denn That- sache sei das Bedürfniß einer bis zu den Anfängen der Wissenschaft und Kunst vertieften Bildung auf seiten des Volkes und der aufrichti e Ville, diesem Bedürfniß ohne irgend welhe Nebenabsicht entgegenzukommen, auf seiten der Vertreter der Wissenschaft uind der Kunst selbs, die sich bejonders deshalb diese Aufgabe nit aus dea Händen winden lajsen dürften. Das Ziel der Volksbildungsbestrebungen soll nah Natorp fein: nicht Fahgelehrsamkeit, aber auch nicht bloße Unterhaltung und vorüber- gehende Anregung, sondern gründlihe Wildung, d- h. nicht Anhäufun ingenußter Kenntnisse, sondern dies, daß etwas im Menschen sich bildet und formt und sich zu einem eigenthümlichen Ganzen zu gestalten strebt, mit [keiner anderen Absicht, als dem einzelnen Menschen selb\|t einen für sich werthvollen geistigen Gehalt ju geben. Solle aber dies erreiht werden, }o genügten nicht bereinzelte Anstrengungen, sondern es müsse Anleitung zu ge

feltem Fortarbeiten gegeben, das Verständniß für weitere, geistig beberrshte Zusammenhänge geweckt, der Blick für die Gesegmäßigkeiten in Natur und Menschenleben, in den Welten der Erkenntniß, der Sitte, der Kunst erschlossen werden; es müsse der Sinn für die Frage nah den Gründen und den Gründen der Gründe sih öffnen. BVollks- thümlihe Hohschulkurse, die darauf bewußt und planvoll hinzielen, würden zngleich das Gute haben, daß sie dauernd nur solche, die ein echtes Verlangen nach Bildung mitbringen, anzögen. _Professor Fuchs - Freiburg giebt dann eine umfassende Darstellung dessen, was auf dem Gebiete der volksthümlichen Dodicbulkurse bisher an deutschen Universitäten und von eigens dazu geschaffenen Vrgani- sationen geleistet worden ist, und {ließt daran theoretishe Erörterungen. = Professor Dr. Plate-Berlin referiert über Führungen von Arbeitern dur naturhistorishe Museen. Um solche Führungen nußbringend veranstalten zu können und um vor allem das Volk Ju, einem ‘regem esuh der Museen zu veranlassen, sei es nothwendig, diese elbst anders einzurichten. Die Aufstellung der Gegenstände sei vielfach noh

Zweite Beilage

zu magazin- und schablonenmäßig und übe deshalb auf das Laien- publikum nicht den nöthigen Reiz aus. Es fehle noch zu fehr an biologishen Gruppen, welche ein Bild von dem Leben und Treiben der Thiere in dem Rahmen ihrer natürlichen Umgebung dar- stellen. Auch fehle es unseren . Museen vielfa noch an populären gedruckten Führern: die vorhandenen Kataloge seien zu wissenschaftlich für das Volk. Ein solcher populäârer Führer könne zugleih als Schulbuch für die Volksschule dienen. Was die Füh- rungen selbst anbetreffe, so sollten sie vor allem der Vermehrung des Wissens dienen, Freude und Interesse an der Natur auch von ihrer ästhetishen Seite wecken und zum Nachdenken anregen. Man folle in frischer, interessanter Form multum, non multa geben, stets zum Nachdenken anzuregen fuchen und besonders Pprak- tisch verwerthbare, namentlich hygienishe Kenntnisse verbreiten. Professor Dr. Lichtwark - Hamburg hat 20 Thesen über die Er- ziehung des Volks auf dea Gebiete der bildenden Kunst aufgestellt. Er geht davon aus, daß ein Wesensunterfchied zwischen dem Empfindungs- vermögen des Arbeiters und des Gebildeten nicht bestehe, also fein Lebrgang aufgesucht werden dürfe, der auf der Annahme einer geringeren Befähigung aufgebaut wäre. Es solle wesentlich Methode und zwar vor Originalwerken gelehrt werden. Ein Unterschied zwischen älterer und neuerer Kunst sei für die Praxis niht anzuerkennen. Grundlage und Ausgangspunkt habe die deutshe Kunst zu bieten, darüber hinaus zunähst die germanishe. Die Einführun in die Kunst bedürfe, wenn fie als Geshmaksbildung für das bort fruchtbar werden solle, der Ergänzung durch die Einführung in die Natur. Ueber volksthümlihe Musikaufführungen referiert Professor Dr. Stumpf-Berlin. Er sucht zu ergründen, wie der große Erfolg, den man. mit hervorragenden Musikwerken in Berlin und an anderen Orten bei einem wenig vorgebildeten Publikum erzielt hat, psycho- logisch fi erklären lasse, und kommt zu dem Refultat, daß die Grund- elemente der Musik unter Mitwirkung des Volks ih gebildet hätten, daß Rhythmus, Harmonie und Melodie dem Volke entsprungen seien und daß sie, die auch heute noch das Wesen der Musik aus- machten, zugleich die Vermittelung zum Verständniß auch s{wierigerer Musik selbst beim wenig vorgebildeten Volke abgäben. Naturgemäß werde darum auch die Musik dem Volke am zugänglichsten sein, in der Nhythmus, Harmonie und Melodie in einfacheren Formen auf- treten, d. h. die si noch mehr an das Gemüth wendet, die mehr Stimmung machen als zum Nachdenken anregen will über die kunst- volle Behandlung ihrer Themata, über geshickte Auflösung + von Dissonanzen und Aehnliches. Die Erfahrung habe gelehrt, daß die klassische deutshe Musik noch innerhalb der Grenze des dem Volke Zugänglichen liege. Ueber den Werth volksthümlicher Musik- aufführungen an sich fönnten kaum Zweifel bestehen. Seit Aristoteles sei die veredelnde Macht der Musik anerkannt. Zwar höre man öfters sagen: die Musik sei mit {huld an der hyperidealistifschen Gefüblsweise des deutshen Volkes, die es so lange Zeit habe dichten und \{chwärmen, statt- handeln lassen, das sei vor 1863 gewesen; beute aber sei es nicht mehr nothwendig, Thatkraft, Sinn für das reale Leben und für das harte Aufeinanderstoßen der Dinge zu weten, nothwendig dagegen, daß wir, ohne wieder Träumer zu werden, doch unser inneres Ceben nicht verkümmerten und das deutsche Gemüth niht zur Sage werden ließen. Ueber volksthümliche Theater- vorstellungen hat Kammerherr von Ebart-Gotha einen Bericht ver- faßt, in dem er darlegt, wie solche Aufführungen in Gotha praktisch ins Leben gerufen find. lr. von Erdberg hat dessen Aus- führungen nach der theoretischen Seite hin ergänzt. Er stellt als ersten Grundsatz auf, daß die Frage der volksthümlichen Theater- vorstellungen, wie die der Popularisierung der Kunst überhaupt, feine Frage der Volksunterhaltung, sondern etne solche der Volkserziehung sei. Die Erfahrung habe gelehrt, daß dort, wo das Gute und das Scblehte in freier Konkurrenz weiten Kretjen zugänglich gewesen ist, stets das Schlechte die Oberhand gewonnen habe. Das Bedürfniß nach Unterhaltung arte sehr bald in ein Bedürfniß nach Amüsement aus, d. h. nach einer Unterhaltung, die în der Kunst nicht mebr eine Vertiefung der Weltanshauung, eine Bereicherung des inneren Lebens und eine Veredelung der etgenen Persönlichkeit sucht. Hierin aber gerade liege die Aufgabe der Kunst, und sie immer wieder mißbrauchen, bedeute zugleih: fie auf ein tmmer ttieferes Niveau herabdrücken: denn jedes Volk habe die Kunst, die es verdient. So werde die Frage der volksthümlichen Theateraufführungen zu einer Frage für unsere Kultur überhaupt. Cine Erziehung des Volkes auf diesem Gebiete sei möglich. Die dramatische Poesie wurzele, wie viel leiht fauni eine andere Kunst, im Volke, und ihre Aufgabe, dem Leben und dem Menschen einen Spiegel vorzuhalten, be fähige sie gerade in unserer Zeit ganz befonders dazu, auh_ in ibrem edelsten Wirken vom Volk erfaßt zu werden. Die Meister, welche die Eigenart des deutschen Volkes und wetter der germanisfchen Nasse am tiefsten erfaßt und am reinsten zum Ausdruck gebracht baben, würden zur Einführung in diese Kunst vor allem heranzuziehen sein : Lessing, Schiller, Goethe, Shakespeare, von neueren Ludwig und Hebbel. Wo man auf tehnische Schwierigkeiten stoße, z. B. auf dem Lande, solle man au ruhig zu Hans Sachs greifen. Aufführungen für das Volk dürften aber, wenn fie der Erziehung dienen wollten, nit Aufführungen durch das Volk fein. e dramatische Poefie \{ildere uns die Menschen in ihrer psychologischen Entwickelung. Um sie darstellen zu können, dazu bedürfe es ganzer Künstler. Dilettanten fönnten bödstens allgemeinste Typen schaffen, und das Ueberwuchern des Dilettantismus in der dramatishen Kunst müßte jomit zu einem Niedergang dieser selbst führen. E E l Das zweite Verhandlungsthema: „FUr}orge ur die shul entlassene Jugend“, war durch den 1m Jahre 1898 begründeten Nerband deutscher Woblfahrtsvereine bezw. dur die von demselben eingesezte Kommission in der Meise vorbereitet, daß das Gesammt- ebiet in cine Anzahl Einzelreferate getheilt und jedes derselben einem speziellen Fachmann übertragen wurde. e Berichte waren in folgender Weise vertheilt: einleitendes Referat: Pr. Andreas Voigt, Frankfurt a. M.; das Vormundschaftswefen und _ die eseylihe Organisation der Jugendfur]orge: Amtsrichter Dr. Fle, Rhevdt: Schuß jugendlicher Persouen dur Fabrikgeseßgebung und Fabrikinsvektion: Dr. Pieper, M.-Gladbgch; die Wohnungsfrage mit Bezug auf jugendliche Personen, Schlaf llenwesen, Logierhäufer : Pastor Hennig, Berlin, und Pastor Seiffert, Strausberg; Fork- biltungs. und Fachshulwesen: Direktor Pache, Leipzig; Zugend- bibliotheken und Jugendunterhaltung: Lehrer Tews, Berlin; die Mäßigkeitsbestrebungen mit Bezug auf die Jugend: L berpfarrer Dr. Martius, Freienbessingen ; Sittlichkeitsbestrebungen mit Bezug auf die Jugend: Generalsekretär Henning, Berlin: Vereine für jugendliche Personen (Lehrlings-, Gesellen-, Jünglings-, Jungfrauen- u. ). w. Der- eine): Präses Dr. Drammer, Köln, und Pastor Fritsch, Berlin; Berufsorganisationen und deren Jugendfürsorge: Dr. Pieper, M.-Gladbah; Wohlfahrtseinrihtungen für „Jugendliche“ in Fabriken, Unterbringung und leberwaczung Der Lehrlinge : Fortbildung ul- dirigent Pagel, Berlin; Hauswirthschaftliche Erziehung für M aden, Dienstbotenerzichung und Unterbringung in ersten ienstitellen: Profehor Dr. Kamp, Frankfurt a. M.; jugendliche Verbrecher und Straf- gefangene: Geheimer Ober-Regierungsrath von Massow, Potsdam. Diese Referate enthält das 19. Hest der Schriften der Zentralstelle. An die Berichte der Referenten über die beiden _ Verhandlungs- gegenstände haben sih lebhafte Diskussionen angeschlossen, L Ee in demselben Heft ausführlich berihtet wird, in denen zum theil die

in den Neferaten berührten prinzipiellen Fragen erörtert worden find,

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

Berlin, Dienstag, den 12. März

1901.

zum theil geschildert ist, was auf den in Rede stehenden Gebieten in den verschiedenen Städten geleistet worden und welche Erfahrungen man dort gemacht hat. Im einzelnen auf die vielfach gegebenen An- regungen einzugehen, ist hier nicht möglih. Die Intere}jenten eten daruin für eine nähere Information auf die genannten Schriften der Zentralstelle für Arbeiter-Wohblfahrtseinrihtungen verwiesen.

Land- und Forftwirthschaft.

Die Anbauflächen Rumäniens im Herbst 1900. Das Kaiserliche Konsulat in Galay berichtet Folgendes: Im „Monitor official“ vom 14./27. Februar d. I. werden amtliche Angaben über den Umfang des Saatenanbaues in Rumänien im Herbst 1900 veröffentliht. Danach waren bestellt mit :

Weizen 1560941 ha gegen

505 210 ha der Jahresfampagne 1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900,

Roggen 184277 ha gegen

ha der Jahreskampagne 1895/96,

1896/97

1897/98

1898/99

1899/1900,

9IR 77

G) l 70 e 193 080 , s 189 340 #

169 L Gerste 23 849 ha gegen 607 700 ha der Iahreskampagne 1895/96 G i 1896/97 O Â 1897/98 O e V 1898/99 T É 1899/1900, Raps 182660 ha gegen 31 810 ha in der Jahreskampagne 1895/96 a 1896/97 T e d ä 1897/98 d R R K 1898/99 2 Z 1899/1900. Es ist zu beachten, daß in den Vergleichszahlen der Jahre 1895/96 u. ff. au der Frühbjahrsanbau mit einbegriffen ist, was besonders für den Anbau der Gerste von Bedeutung iît.

Washington, 11. März. (W. T. B.) Nach dem heute ver- öffentlichen Jahresbericht des Ackerbau-Departements über die Getreide- menge, welhe sch am 1. d. M. in den Händen der Farmer befand, betrug dieselbe für Weizen 128 100 000 Bushels oder 24,5 °/o der leßten Ernte, für Mais 776 200 000 Bushels oder 36,9 9/6, für Hafer 292 800 000 Bushels oder 36,2 9/0.

Die Frühbeettreiberei der Gemüse 2c. Von Johannes Böttner, Chefredakteur des „Praktischen Rathgebers im Obst- und Gartenbau“. Mit 84 Abbildungen. Verlag von Trowißsch u. Sohn in Frankfurt a. O. Pr. 2 #. Die Frühbeetgärtnerei ist ein sehr lohnendes Gebiet für ole Gartenbesißer, die einer kleinen Fläche guten Gartenlandes boben Gewinn abringen wollen. Einsichtige Gemüsegärtner gehen immer mehr von dem Anbau im freien Lande zur Kultur unter Glas über. Das vorliegende Handbuch giebt nun Anleitung, wie man dieses kostbare Gartenland unter Glas auf das beste ausnuyen und ibm dur geschickte Eintheilung drei- bis fünffache Ernten abgewinnen kann. In leiht verständliher Ausführung beschreibt der Nerfasser die Lage der Treibbeete, die Einrichtung und Vor- bereitung derselben, die Wärme, die Düngerpackungen, die Frühbeet- erde, die Fenster, das Säen, Lüften, Gießen, Verpflanzen, Schatten- geben, Jäten 2c. Dann behandelt er die einzelnen Treibgemüse, indem er bei jedem die besonderen Ansprüche an Wärme, Luft, Licht u. }. w. zeigt und diejenigen Kulturanweisungen giebt, durch welche die günstigsten Erfolge zu erzielen sind. Die zahlreichen Abbildungen in Verbindung mit dem klaren Tert werden es auch dem Unerfahrenen ermöglichen, nah den Anweisungen dieses Buches mit Nutzen und Erfolg zu arbeiten.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Griechenland. - : Die Quarantäne gegen Smyrna ist aufgehoben worden. Es findet nur noch eine strenge sanitätspolizeilihe Unter- suhung der Besaßung und der Passagiere statt. Auch die Waareneinfubhr aus Smyrna ist wieder gestattet. Aus- genommen ist nur die Einfuhr von Lumpen jeder Art, Kleidern, Säcken, Matraten, Decken, Strohmatten, alten oder s{chmutzigen Kissen, sowie alten Papiers oder gebrauchter s{mugiger Zeitungen, als Waaren erpediert. Vergl. „R.-Anz.“ Nr. 52 vom 1. d. M.

Kavstadt, 11. März. (Telegramm des „Reuter’schen Bureaus“.) Die Pest nimmt cine gefährlihe Ausdehnung. Heute find 15 Neuerkrankungen gemeldet worden, 97 Perfonen stehen unter Be- obahtung. Die Krankheit ergreift jeyt au die wohlhabenderen Be völkerungsshihten. Ein Europäer und feine Familie wurden nah dem Hospital geschafft, es haben aber noch mehr Erkrankungen unter den Europäern stattgefunden. (Vergl. Nr. 59 d. Bl.)

Handel und Gewerbe.

(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und Industrie“.)

Frankreich.

Verbot der Einfuhr von Medaillen. Ein Zirkular der General-Direktion der indirekten Steuern vom §8. Dezember 1900, Nr. 420, lautet: i i E ?

Der Artikel 1 des Beschlusses vom 5. Germinal des Jahres X11 hat dem Staat die Prägung von Medaillen vorbehalten : Private fönnen diesen Gewerbszweig in ihren Werkstätten nur mit besonderer Genehmigung der Regierung betreiben. Von dieser Regel ist eine Ausnahme nur bezüglich der religiösen Medaillen von kleinem Durch- messer und mit Oehr, der Orden und der Prägungen in Stanzen gemacht, welche die Privatindustrie ohne Genehmigung auf Grund alle emeiner Duldung herstellen kann. Das Verbot der Einfuhr von Medaillen ift die Folge der Beschränkung, der die innere Fabri- kation unterliegt. Dieses Verbot ist unabhängig von der Form, în der die Gegenstände bei der Einfuhr vorgeführt werden, und erstreckt ih - deshalb nah einer Entscheidung des Finanz-Ministeriums vom 3. Oktober 1900 au auf Taschenuhrgehäuse, deren Boden durh im Ausland hergestellte Medaillen gebildet wird.