Charakterisierung hinzugefügt wird, Und auf déx anderen Seite wird nach einem Erkenntnis des Landgerichts Berlin 1 vom 20. September 1903 ein Verstoß gegen die guten Sitten als vorliegend erachtet, wenn die Aussperrung des Arbeiters bis zum Ruin seiner wirtschaft- lien Existenz durhgeführt wird. Aber das sind Einzelerscheinungen, welche an dem Grundsaß, daß das Sperrsystem nah gegenwärtigem Recht zulässig ist, nichts ändern.
Meine Herren, das System, nach dem Arbeitgeber \ich unter- einander die Namen folcher Arbeiter mitteilen, die sie nit einstellen oder die sie entlassen wollen, ist von den Arbeitgebern nicht frei er- funden, sondern dieses System if eine Folge wirtshaftlicher und sozialer Zustände, wirtschaftliher namentli dann, wenn dur die Aussperrung einem übermäßigen Wechsel in der Belegschaft, dem Kontraktbruch und ähnlichem vorgebeugt werden soll. Sozialer Natur Fann das System sein, wenn es si gegen die Zugehörigkeit zu bes \immten Organisationen richtet.
E!ne bedeutende Rolle haben heute und auch früher die Ver- hältnisse des Zechenverbandes in Essen gespielt. Nach den s{chon im November vorigen Jahres von dem Herrn Abg. Hengsbach hier vorgelegten Vorschriften soll bekanntlih ein auf einer Zeche des Verbandes kontraktbrüchig gewordener Arbeiter innerhalb ses Monaten auf keiner anderen Zeche wieder angenommen werden, und als kontraktbrühig wird angesehen, wer drei oder mehrmal hintereinander die Schicht versäumt oder sonst ohne Grund die Ar- beit niederlegt, oder wie der Bergmann sagk, die Brocken hingeworfen hat. Bezüglich der Zeche, auf der der Kontraktbruch vorgenommen worden ist, bietet dieser selbstverständlih keinen Grund gegen die MWiederannahme. Für das Magdeburg-Hallesche Bergrevier und das Rheinische Braunkohlenrebter sind mir durch den Herrn Abg. Sachse Einzellisten übercçeben worden, deren Inhalt ih, soweit es mir mözlich gewesen ist, au nah der materiellen Seite hin geprüft habe. Es handelt {h bei diesen Liilen um 334 Arbeiter, wel@e während der Jahre 1898 bis 1902 im Magdeburg- Halleschen Revier, und um 6 Arbeiter, welche 1908 im Rheinischen Braunkohlenrevier auf die Liste geseht worden sind. Von den 334 Arbeitern sind 211 als ausftändig an- gegeben worden. Bei ihnen handelt es fi also offensihtlich um Aussperrung im Lohnkampfe. 42 sind auf die Liste geseht wegen ver- einzelten Kontraktbruhs; bei 12 sind grobe strafbare Handlungen, bei 38 Arbeitsverweigerungen, Widerseßlichkeit oder Beleidigungen von Vorgeseßten als Grund angegeben. Einigen 20 wird politische Agitation oder Aufwiegelung vorgeworfen. Wegen Zugehörigkeit zu einer Organisation ist, wie ih sche, keiner auf die Liste geseßt worden. Wir haben es also in diesen Fällen mit Listen zu tun, welce, abweihend von den Listen des Zechen- verbandes in Essen, fich nicht bloß gegen Kontraktbruch, sondern au gegen andere — ih will fagen Mißliebigkeiten rihten.
Wenn i noch einmal zum Essener Verband zurückehren darf, so habe ich gesagt, daß er als alleinigen Zweck hinstellt die Be- fämpfung des Kontraktbruhs. Die Listen, die seinerzeit hier auf den Tisch des Hauses niedergelegt worden sind, haben eine Anzahl von 5600 Arbeitern ergeben. Wir werden alle darüber einig sein, daß es eine außerordentli auffallende Erscheinung ist, wenn in einem ein- zelnen Jndustriegebiet, mag es auch von noch fo zahlreichen Werken durchseßzt sein wie das rheinisch- westfälishe , der Kontraktbruch einen solhen Umfang angenommen hat. Man hat — in gewissem Sinne hat es auh der Herr Abg. Giesberts soeben getan — die Gründe schlechtem Lohn und s{lechter Behandlung der Arbeiter zu- geshoben. Solche Fälle werden unzwelfelhaft vorkommen, und auch die Unterschiede, welhe bezügli des Umfangs der Belegschaftswechsel auf den einzelnen vershiedenen Werken angegeben worden sind, geben zweifello3 ein gewisses Beweismaterial nach dieser Richtung hin. Aber für die Gesamtersheinung findet man darin noch keine den Umstand urteilen,
Erklärung. Aehnlich möhte ih über der im vorigen November hier ausdrücklich besprochen worden ist, in dem ausgeführt wurde, daß viele Beleg-
\chaftswechsel um deswillen staltfinden, weil die Arbeiter dem Steuzerexekutor entgehen wollen. Doch aber leitet dieser Umstand zu einem allgemeinen Erklärungsgrunde hinüber. Gerade im westlichen Sndustriegebiet is die Arbeiterschaft durchaus keine homogene. Neben den alt eingesefsenen deutschen Arbeitern, welche sih namentli im höheren Lebenéalter von selber fester an die einmal gewählte Arbeitsstelle halten, neben diesen steht eine große Zahl ausländischer Arbeiter, E von fremder Muttersprahe, die in jugendlicjem Alter ohne Kigenen dfo- nomishen Halt anwandern. Wenn sie, wie der Herr Abg. Gieéberts mitlteilte, dur falsche Reklamen herangezogen sein sollten, so würde 4ch dies aufs s{ärfste mißbilligen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ih sage, diese Arbeiter, die ohne eigenen ökonomishen Halt anwandern, die wegen der Verschiedenheit der Sprache, der Sitten, des Bildungsstandes s{hwerer festwurzeln, die liefern namenilich in thren jüngeren Elementen ein zahlreiches Kontingent der unstetigen Arbeiter.
Jch erinnere Sie bei dieser Gelegenheit darar, daß ein Teil dieser fremdsprahlihen Arbeiter direkt davon ab- gehalten wird, mit der deutshen Umgebung zu verwachsen (Z uuf bei den Sozialdemokraten), daß sie immer wieder aufgefordert werden, si als Fremde zu fühlen, sh als Fremdlinge unter Deuischen anzusehen. Die Herren, die sich im Novzmber die Listen des Zechen- verbandes hier angefehen haben, werden gefunden haben, daß die große Mehrzahl ber eingetragenen Arbeiter fremde Namen trägt — i bin dur die Herren, die die Güte hatten, mit mir über diese Frage iu sprechen, selbst darauf aufmerksam gemacht worden — und daß es si zumeist um nicht organisierte Arbeiter handelt. -
Meine Hezren, als eine weitere allgemeine Ursahe für den Kontraktbruh wird angegeben — und der Herr Vorredner hat sich ja darüber ausführlich verbreitet — die Art und Weise, wie das Gedinge gemacht wird. Man flagt darüber, daß die Interessen des Arbeiters dabei nit gerügend berüdsihtigt werden. Man klagt darüber, daß es verspätet gemaht werde, sodaß der Arbeiter, der die Kontraktzeit einhalten wolle, vielfa gezwungen würde, bis il 6 Wogen lanz bei einem ungenügenden, einem {lehten Gedinge aut zuhalten. Melne Herren, es ist mir nihcht gelungen, diese Frage objektiv aufzuklären, und es ergeben {h im Anschluß an sie so viele andere Fragen - des Gedingewesens, des Prämienwesens usw., daß es unmögli ist, heute darauf cinzugehen. Jch bin indessen mit der preußishen Bergverwaltung darüber ins Benehmen getreten und bebalte mir vor, eventuell bei einer anderen Gelegenheit darauf zurüd-
zukommen. Einen sehr wesentlichen Grund für die Kontrakibrühe — darin
stimme ich mit dem Herrn Vorredner vollständig überein — gibt das ganz außergewöhnlich gespannte Verhältnis ab, das namentlich im westlißen Induftriegebiet zwischen Arbeiterschaft und Unternehmer- tum besteht. Ich kann hier nicht kFritisch darauf eingehen, nicht die Schuld nah der einen oder anderen Seite abwägen. I möhte nur eine Seite der Sache hervorheben.
Meine Herren, in der Arbeiterbewegung wird den Arbeitern die Möglichkeit des jederzeitigen Stellenwechsels, die Arbeiterfreizügigkeit, immer als ein besonders hohes Gut geschildert, und es gibt in der Arbeiterbewegung gewiß eine Phase, wo der Wert dieses Gutes be- sonders betont werden muß Aber mande Führer in der Arbeiter- bewegung haben sich nicht damit begnügt, dies auszusprechen, sondern haben zuglei alle diejenigen Einrichtungen von Unternehmer- seite, welhe getroffen worden sind, um sich einen Stamm fester Arbeiter zu sichern, auf das heftigste bekämpft (schr wahr! rechts), auch dann, wenn diese Unternehmungen von einem hoch ausgebildet sozialen Geiste des Unternehmertums zeugten. (Sehr wahr! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, wenn das geschieht, und wenn gleichzeitig tendenziós dem Arbeiter der Haß gegen alles, was Unternehmer heißte gelehrt wird, dann darf man {ih nicht wundern, wenn in unsteten Köpfen die Sucht, heute hier, morgen dort zu arbeiten, immer mehr zunimmt, und dadur schließlich mittelbar auch der Kontraktbruch ge- fördert wird. (Sehr wahr! rechts.)
Es sind eine große Zahl verschiedener Gründe, welche gerade im westlihen Industriegebiete zu diesen Kontraktbrüchen geführt haben. Sie ganz zu durchschauen und, wie ich eben sagte, Schuld und Un- {huld rihtig abzuwägen ist außerordentli s{wer. “Ich habe mich bemüht, mi bei den Arbeitnehmern zu informieren, ich habe mich au bei den Arbeitgebern zu unterrichten gesuht; aber immer fstoße ih auf Widersprüthe, die nicht ohne weiteres aufzuklären sind. Sie wissea, meine Herren, es fehlt uns noch an Organen, wo wir in ges meinschaftliher Verhandlung derartigen Dingen nahgehen können.
So ist denn in der Tat in dem westlichen Industriegebiet, sei es
mit, sei es ohne Kontrakibru, eine ungeheure Fluktuation der Arbeiter- \chaft eingetreten. Sie ist auf’ den einzelnen Werken verschieden ge- wesen, hat sich aber durhaus nicht auf die Bergwerke be- schränkt. Sie entsinnen si, meine Herren, als im vorigen Jahre die Kruppschen Pensionskassen hier lebhaften Angriffen ausgeseßt waren, wurde festgestellt, daß im Jahre 1906 von circa 32 700 Ar- beitern 14300 aus der Arbeit in einem Fahre ausschieden (hört! hört! bei den Sozialdemokraten), davon 12 600, glei 87,79/o, ohne Einwirkung der Firma. Die wirtschaftlichen Schäden, welche ein folchzes unstetes Arbeitsverhältnis für die Unternehmungen mit \ich bringt, sind zu bekannt, als daß ih darüber hier zu sprehen hätte, und ebenso ist es bekannt, wie namentli im Bergbau die Unstetigkeit die Sicherheit des Bergbetriebs im höchsten Grade gefährdet. Wenn das aber der Fall ist, dann sage ih: es ist wirtshaftlich versländlih, wenn ih das Unternehmertum gegen die Fluktuation der Arbeiter zu chüßen sucht. Es ist wirtshaftlich verständlih und er- flärlid, daß es {ließli zu dem System von Ausfperrungen ge- kommen ist, und gerade diejenigen Teile in der Arbeiterschaft, welche e8 auf die Niederzwingung des kapitalistisen Unternehmens abgesehen haben, sollten i darüber nicht wundern. Meine Herren, Druck er- zeugt Gegendruck, und so«ist man bei diesen Aussperrungen nit bloß bei der Bekämpfung des Kontraktbruches geblieben. Man hat auch solche Arbeiter auf die Listen geseßt, welche agitatorisch hezen, mañ ist zum Kampf gegen die Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen gekommen.
Und nun ruft man nah dem Gesetzgeber. Auch der Herr Vor- redner hat gemeint, daß die Gesetzzebung eingreifen müsse. Der Ruf nach dem Gesetzgeber ist nicht neu, er beschränkt sich auch nit speziell auf das Sperrsystem, sondern bald von der einen, bald von der anderen Seite, wird gefordert, daß der Gesetzgeber gegen Maßregeln einschreiten möge, die ertragen werden, solange sie von kleinen Ver- einigungen, von kleinen Verbänden gehandhabt werden, die aber als nit zu duldender Druck empfunden werden, wenn sie von Organi- sationen ausgehen, die einen großen Bezirk, ein großes Gewerbe um- fassen. Es ist nicht eigentli die einzelne Maßregel, die vom Geseßz- geber eingeengt, untersagt werden soll, sondern der Ruf nah dem Gesetzgeber richtet sich gegen die Ueberma§t jeder übergroßen Koalition. Man läßt ih das kleine Geplänkel und Sar- müßel gefallen, aber die Truppen sollen zur Hauptscchlacht nit zusammengezogen werden. Darum, meine Herren, ruft man nah dem Gesetzgeber, fo muß er paritätisch einschreiten, dann muß er sich gegen jeden Verruf, von welher Seite er au ausgeht, wenben (sehr richtig! rechts und in der Mitte), gegen jeden Verruf, den au ih genau, wie es der Herr Abg. Giesberts nach dem Zitat des Herrn Grafen von Posadowsky getan hat, an ih durchaus verurteile. :
Auf den Standpunkt der Parität hat sih auch der Herr Abg. Bebel am 14. Dezember 1905 gestellt, indem er sagte, daß Sonne und Wind glei verteilt werden müsse, und au der Herr Abg. Heine fordert am 26. November 1906 freies Spiel und freien Kampf aller Kräfte.
Meine Herren, es gibt aber auch Stimmen, welche gerade bezügli des Aussperrens anderer Ansicht find. Der frühere Neichstag8abgeordnete Bernstein hat hier am 2. Mai 1906 gemeint, die Aussperrungen ‘ fänden in einem ‘ganz anderen soital- politischen Kapitel als die Streiks. Man fagt — ih entsinne mich nicht genau, ob das die Deduktion auch von Bernstein war —, die Mahtverhältnisse zwishen Arbeiterschaft und Unternehmertum seten so verschieden verteilt, daß in der Frage der Aussperrungen ie Arbeiterschaft bevorzugt werden müsse. Rigoros und auf lange Dauer durchgeführt, führe das Sperrsyslem zum wirtschaftlichen Ruin des einzelnen Arbeiters, und es entzöge den Koalitionen der Arbeitnehmer \{ließlich die Grundlage ihrer Existenz. Meine Herren, beides kann zutreffen, ih habe das \chon im Eingange meiner Ausführungen gesagt; aber man soll f rüdtsichtlich der Verteilung der Machtverhältnisse nicht allgemeinen und generalisierenden An- \{auungen hingeben. Unter dem Boykott, unter dem Streik leidet nicht nur das große Gewerbe, sondern auch das Mittelgewerbe und das Handwerk, und gerade gegen diese Schichten des Mittelstandes, die wegen Mangel an Kapital, wegen ihrer großen Anzahl, und wegen der Notwendigkeit, ein Besiztum zu verteldigen, häufig sehr organisátions\chwach find, gerade gegen sie rihten sich die Angriffe der Arbeitetschaft vielfa mit besonderer Schärfe. (Sehr richtig! rechts.)
Und auch davon macht man h hlelfach kcin richtiges Bild, bis zu
welem Grade auch Großunternehmungen durch Boykottierungen usw. geschädigt werden können. Die Schäden gehen vielfah weiter, als man nah dem Kapital, das in der Großunternehmung vereinigt ist, an sich vermuten sollte. z
Meine Herren, man muß praktisch fragen, ob das gemeine R:cht, unter dem der materielle Inhalt des Koalitionsrehts teht, versagt hat, und ob deshalb eine lex specialis, ein jus singulare erforderli ift. Die vielfahe Anwendung von s{chwarzen Listen hat die Judikatur fortgeseßt dazu genötigt, über die dabei in Betracht kommenden Frag: n Entscheidungen zu fällen, und unter Anerkennung der chgenerellen Etrlaubtheit des Sperrsystems hat die Judikatur bestimmte Grundsätze festgestellt, welhe einem Mißbrauch des Sperrsystems erk- gegentretzn follen. Wie ih bereits eingangs ausführte, wird es in verschiedenen Gerichtserkenntnifsen als Mißbrau@ hingestellt, wenn die Sperrung des Arbeiters bis zu feinem wirtshaftlihen Ruin durh- geführt wird. Das Reichsgeriht hat in der interessanten Ent- \{eidung vom 17. März 1904, die von dem Herrn Abg. Stadk- hagen seinerzeit sehr ausführlich besprochen wurde: das Reichs“ geriht hat ausgesprohen, daß auch die dauernde Aus\perrung oder Nichtbeshäftigung eines Arbeiters in einem bestimmten Gewerbezwetge als gegen die guten Sitten verstoßend zum Schadensersaße verpflichten würde. Das Reichsgericht hat dabei durhblicken lassen, und, wie ih glaube, mit vollem Recht, daß, wenn im einzelnen Falle durch unum- stößlihe Tatsachen festgestellt würde, daß ein Arbeiter sich überhaupt nicht dazu eigne, in Werkstätten, wo er mit etner größeren Zahl von Arbeitern in Berührung komme, beschäftigt zu werden, daß dann au seine dauernde Ausfsperrung nit gegen die guten Sitten verstoßen würde. Weiter wird in der ZFudikatur b:tont, daß die Ab- haltung des Arbeiters von allen Verbänden unzulässig sei — und ähnli werden ja auch die Beamtenverhältnisse zu betraten sein, von denen der Herr Vorredner im zweiten Teil seiner Rede ge- sprohen hat —, daß es über das zulässige Maß der Beschränkung der persönlichen Freiheit hinausgehen würde, wenn der Arbeitgeber seine Arbeiter und, wie ih hinzufüge, seine Beamten von sämtlichen Koalitionen zurückhielte.
J bin der Ansicht, daß den Mißbräuchen in der Anwendung des Sperrsystems am zweckmäßigsten und deshalb au am wirksamsten vorgebeugt werden kann, wenn bei der Anwendung des § 826 B. G.-B. der Begriff der guten Sitten so gefaßt wird, wie es die wirtschaft- lien und sozialen Verhältnisse erfordern. Der Begriff der guten Sitten ist nit starr und unbeweglih, und er darf es niht sein, wenn er sich den wechselnden Verhältnissen anschließen sol. Es kann die Aussperrung eines Arbeiters aus den sämt- lihen Werken eines kleineren Bezirks sidhz als erlaubt darstellen, während dieselbe Aussperrung eines Arbeiters aus den Werken eines größeren Bezirks, sodaß der Arbeiter tatsählich brotlos gemaht würde, gegen die guten Sitten verstoßen würde. Und ähnlich liegt es auch bei denjenigen Aussperrungen, welhe si gegen die Zugehörigkeit bei Organisationen richten. Ein Spezial- geseß würde niemals in der Lage sein, ih in ähnlicher Weise den wechselnden tatsächlihen Verhältnissen anzupassen, wie es dem Begriff der guten Sitte in § 826 mögli ist, vorausgeseßt, daß er nicht als ein starrer Ausspruch aufgefaßt wird, sondern daß er den tatsählihen. wirtshaftlihen und sozialen Zu- ständen — auf die lege i besonderes Gewiht —, au den sozialen Zuständen, dem sozialen Verhältnis zwischen Arbeitnehmerschaft und Unternehmertum gerecht wird. Ein Spezialgeseß würde notwendiger- weise der Kasuistik verfallen, und ich wüßte kaum, wie es durchgeführt werden follte.
Was soll den Inhalt eines solchen Spezialgeseßes bilden ? Au darüber ist hier im Reichslag wiederholt gesprcchen, man hat zu wiederholten Malen hier in Resolutionen, Anträgen von Ge- hilfen- oder Beamtenverbänden gefordert, es möge dem Arbeitgeber verboten werden, die Beschäftigung des Arbeiters oder Beamten ab- hängig zu machen von seiner Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation, Meine Herren, ih wiederhole, ih könnte mir zunächst ein folhes Geseß nur denken, wenn umgekehrt in ähnlihem Sinne ein Verbot auch bezüglich der Arbeitnehmer erlassen würde (sehr ritig! rechts), und dann bin ich weiter der Ansicht, ein solhes Geseh würde zur Vorausseßung haben, daß diejenigen Koalitionen, welhe dem Gegner den Krieg bis aufs Messer androhen, nicht nur androhen, sondern diefen Krieg unmittelbar ansagen, verboten würden. Man kann weder dem einzelnen Unternehmer, noch einer Vercinigung von Unternehmern verbieten, sh diejenigen Elemente vom Halse zu halten, die thnen unausgeseßt den Tod schwören. (Sehr gut! rechts.) Das ist ein unmöglihes Verlangen.
Weiter, meine Herren, wie soll denn ein solches Gesey durh- geführt werden? Die sozialdemokratishe Resolution von 1905 ver- langt, daß derjenige Arbeitgeber unter strenge Strafe gestellt wird, der sich auch nur mit einem anderen Arbeitgeber verabredet, um Arbeitern wegen threr Zugehörigkeit zu einer Organisation die Arbeitsgelegenheit zu erschweren. Man hat rihtig erkannt, man kann nit unter Strafe stellen die Enilassung oder Nichtannahme eines Arbeiters durch den einzelnen Arbeitgeber. Das wäre ein un- möglicher Eingriff in die Freiheit des Arbeittübertrages. Deshalb will man die Verabredung fassen. Wann und wie soll nun aber der Tatbestand dieses Deliktes konsumiert sein? Ich nehme ein Beispiel, eine Arbeitervereinigung verhängt — es if das ja wiederholt yor- gekommen, es ift kein Squlbelsptel — den Personalboykott über ein bestimmtes Werk. Der Besiger des benahbarten Werkes oder die Besißer benahbarter Werke wollen thren Kollegen zu Hilfe kommen, indem sie die Mitglieder dieser Vereinigung nicht einstellen oder Cingestellte entlassen. Sie vereinigen si{ch darüber vielleicht s{riftlich, vielleicht mündlich, vielleicht telephonisch, vielleiht gar nit einmal expressis yerbis. In welchem Momente soll da nun das Delikt begangen sein, das eine Gefängniéstrafe von 3 Monaten, wie damals vorgeschlagen wurde, nah {i ziehen soll? Und ebenso würde es do sein bei Verabredungen, welche nit an die Zugehörigkeit einer Organisation, sondern an irgend welche andere Voraussetzungen anknüpfen. Will man wirklich zum Ziele gelangen, so müßte man den Arbeitgebern untersagen, fh gegenseitig die Namen bestimmter Arbeiter mitzuteilen, denn allein in der Mitteilung einer solhe Namensliste würden bie Arbeitgeber ohne jeglihèn Zusaß erkennen, was sie im Sinne threr Organisationen tun sollen, d. h. nit an- nehmen oder entlassen.
Meine Herren, in einer anderen Gedankenreihe ist man auf folgenden Vorschlag gekommen. Man hat zugegeben: so
gut wie die Arbeitnehmer {h im Lohnkampfe des Strelks, des
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