1909 / 287 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 Dec 1909 18:00:01 GMT) scan diff

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Jugendliche Fabrikarbeiter und Fabrikarbeiterinnen in Deutschland 1908.

Nach dem 4. „Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs“ wurden im Jahre 1908 jugendlihe Arbeiter in 91888 und über 16 Jahre alte Arbeiterinnen in 86 381 Fabriken beschäftigt. Von deu unter 14 Jahre alten Kindern waren 6677 männlichen und 5385 weiblichen Geschlehts, ihre Zahl hat gegen das Vorjahr um 600 bezw. 400 abgenommen. Von den jungen Leuten von 14 bis 16 Jahren waren 289 000 männlichen und 150 000 weib- lihen Geschlehts. Gegen das Vorjahr zeigte sih bei den weiblichen jugendlichen Arbeitern ein Rückgang von etwa 200, während die Zahl der männlihen jugendlihen Arbeiter um 4000 gestiegen ist. Die Zahl der beschäftigten erwachsenen Arbeiterinnen betrug 1150033; davon waren 450887 16 bis 21 und 699 146 über 21 Jahre®alt. Gegen das Vorjahr hat eine Zunahme der erwachsenen Arbeiterinnen um 4500 stattgefunden, wovon 1400 16 bis 21 Jahre und 3100 über 21 Jahre alt waren. Auf jede Fabrik, die L oder erwachsene Arbeiterinnen beschäftigt, entfielen durhschnittlih 4,9 jugendliche Arbeiter beiderlei Gel lechts und 13,3 erwachsene Arbeiterinnen. Die entsprehenden Zahlen a das Vorjahr sind 5,0 bezw. 13,5.

Die Schöneberger Sparkasse. ahresberiht der Schöneberger Sparkasse für die Zeit 2A D i zum 31. Oktober d. J. zeugt von H ches er- freuliGen Entwicklung der Anstalt. Die parbü j um 10638 vermehrt, sodaß SchönebergMürzeit nicht weniger als 80 326 Sparer zählt. Die Einlagen sind in dem gleichen Zeitraume von 41 517 519 auf 47 621 646 1 gestiegen. Die Stahlkammer der Sparkasse, die 1907 eingerichtet wurde, weist heute 3183 Fächer auf und hat „in den 24 Jahren ihres Bestehens einen Mietsertrag von Die Ee bisher in Betrieb genommene -Schulsparkasse an der 8. Gemeindeshule hat in noch nicht 5 Jahren einen Sparbestand von 51 000 4 geliefert, sodaß man si enfshlossen hat, diese Einrichtung auf die 7. Gemeindeschule auszudehnen. Die Sparautomaten für Einlegungen von 10 in der Gemeindeshule Hohenstaufenstraße und für solche von 1 in der Volksbadeanstalt haben 6570 4. ergeben, und die im Jahre 1909 geleerten. 1867 Heimsparbüchsen führten einen Betrag von nahezu 80 000 6 ab. Besonders wirksam als Erziehungsmittel zur Wirtschaftlichkeit erweist sich das erst im Oktober d. I. ins Leben getretene Sparabholungssy stem. 1726 Teilnehmer zablen {hon jeßt allwöchentlih 3150 M.

Zur Arbeiterbewegung. Zum Ausstand der australishen Bergarbeiter meldet «W. T. B." aus Sydney, daß der Vorsißende und der Sekretär des Bergarbeiterverbandes sowie ein anderer Führer der aus- ständigen Arbeiter, die, unter der Anschuldigung, eine Verschwörung angezettelt zu haben, verhaftet worden waren, gegen Stellung einer Kaution wieder auf freien Fuß geseßt worden sind.

(Weitere „Statistische Nachrichten“ \. i. d. Zweien Beilage.)

Wohlfahrtspflege.

Der Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen bielt unter dem Vorsiße des Staatssekretärs a. D. von Hollmann am 3. Dezember d. J. im Vorstandszimmer des Herren- hauses seine diesjährige ordentliche allgemeine Mitgliederversammlung

ab. Der Vorsißende erstattete zunähst den Jahresbericht, aus dem hervorgeht, daß der Verein auch im __ah- gelaufenen Jahre aus seinen nicht unerheblihen Mitteln

eine ganze Reihe gemeinnütziger Unternehmungen unterstüßt hat. An Stelle der verstorbenen Ausshußmitglieder U Dr. Edm. Lachmann-Berlin und Geheimer Kommerzienrat Schlutow-Stettin wurden Dr. Paul S E Se und Kommerzienrat N. Käsemacher, Generaldirektor der Union, Fabrik Ge! er Produkte, Stettin, in den Eu gewählt. In einer sih anschließenden Vorstandssißung wurde der alte Vorstand wiedergewählt und der Etat für 1910 be-

, raten und angenommen.

Kunst und Wissenschaft.

Im Königlichen Kunstgewerbemuseum sind die Neu- erwerbungen des Jahrgangs 1909 zu einer Sonderaus stellung vereinigt worden. Die Absicht des Museums war, dem Reichtum der vorhandenen Bestände gemäß, weniger auf eine große Anzahl von An- fäufen gerihtet, als vielmehr auf Kunstwerke Fêfter Qualität, die das Niveau der Sammlungen noch zu heben vermögen. Die Ausstellung enthält, wie das die Gelegenheiten des Kunsthandels mit sh bringen, ein sehr verschiedenartiges Material, das die Zeit vom 13. Jahr- hundert bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts umfaßt. Das hohe Mittelalter ist allerdings nur durch ein Stü vertreten: ein Emailbild aus der Werkstatt des Nikolaus von Verdun, des orfgeshrittensten Künstlers unter den Goldshmieden der romanischen Zeit. Auch das ausgehende Mittelalter hat bloß ein bemerkenswerles Denkma auf-

uweisen, die bilderreiche Breslauer unftkanne aus der jüngst ver- teigerten Sammlung Lanna. Diese Versteigerung erbrahtke dem

useum außerdem rine P Reihe der wichtigsten Werke der Töpferkunst an farbig glasierten Hafnergeschirren, Kacheln, Majolika und Steinzeug des 16. Jahrhunderts. er Zeit der Renaissance ehört überhaupt der größte Teil der Neuerwerbungen an; e Bronzen, Seidenbrokate und französishe Möbel vervollständigen diese Gruppe. Von den späteren Möbeln sind die bereits in die sammlung eingeordneten großen Schränke nicht in die Aus- stellung aufgenommen worden. Daher ist das 18. Jahrhundert vorwiegend dur Porzellane, R Figuren wie Gefäße, vertreten. Der Klassiziómus bildet mit drei hervorragenden keramishen Werken den Schluß: mit der Portlandvase Josiah Wedgwoods von 1792, der Gruppe der Kronprinzessin Luise von Preußen und ihrer Schwester riederike von Gottfried Schadaw und einer bisher wenig bekannten ee iedhén Büste Friedrihs des Großen aus Berliner Biskuit- orzellan, von dem Bildhauer Riese aus dem Jahre 1805. Die Aus- tellung bleibt bis Anfang nächsten Jahres geöffnet.

A. P. Die Dezembersißung der Berliner Gesellschaft für Erdkunde brate an erster Ste e die L aus 15 Mitgliedern estebenden Beirats. Es wurden die bisherigen Mitglieder wiedergewählt. e Revision der Bibliothek übernahmen die Herren von Ziethen und Arcivrat Granier. Zur Erhaltung des Andenkens an seinen verstorbenen aler, den Kaufmann Carl August König, der 42 Jahre lang Mitglied der Gesellschaft war und für ihre Zwecke jederzeit großes Interesse bekundete, hat sein Sohn, Professor Dr. Walter König in Giesen, der Gesellschaft eine Schenkung von 3000 4 zugewandt, die zur Ver- mehrung der Kartensammlung Verwendung finden sollen. Unter den Bucheingän en, die vom Vorsizenden, Geheimrat, Professor Dr. Hellmann besprochen wurden, sind dervorbebenöntert! Sven L lebhaft, zum Teil poetish geschriebenes Buch ,Transhimalaya“, Hahns „Einführung in die Geologie“ und eine deutsche Uebersezung von „Shaletons Südpol-Expedition", die manche Seltsamkeiten und Un- genauigkeiten der eberse zung, u. a. hon in ihrem Titel, enthält, der „21 Meilen vom Südpol“ lautet, obglei nah den Angaben Shadletons im englischen Original der dem Südpol nächste Punkt 88° 23’ st. B. war, was einer Entfernung von 2,3 geographischen Meilen vom Pol entspricht. j : Gine höchst rem Mitteilung empfing die Gesellschaft durch Geheimrat, Professor Dr. | von der britishen Regiérung berufenen internationalen geo graphischen Konferenz beigewohnt hatte, deren Zweckd Besprechung und Vereinbarung der Herstellung einer Welt karte im Maßstab von 1:1 Million war. Der Gedanke fand allseitige Zustimmung und Unter-

useums-

er haben sid

enck, der vom 16.—20. November einer

stüßung, ebenso zeigte sich Uebereinstimmung über Mittel und Methoden j der Herstellung. Das Ergebnis {ließt mchts Geringeres ein als die endliche Anerkennung des ‘Meridians von Greenwich als Meridian 0

durch die Franzosen, wogegen Engländer und Amerikaner der alleinigen Anwendung metri\théc Maße für die Karte zustimmen. Jedes Blatt wird 6 Längen- und 4 Breitegrade umfassen. Alle Ortsnamen sollen in lateinischen Buchstaben die Nainen tragen, mit denen sie an Ort und Stelle durch die Eingeborenen benannt werden. Zu dem Zweck wird unter anderem Ruß- land aufgefordert, ein alphabetishes Negister sowie Ortsnamen in lateinisher Schrift anfertigen zu lassen. China ist in diesem Punkte durch Anlegung eines fo beschaffenen Ortsregisters für posta- lishe Zwecke mit gutem Beispiel bereits vorangegangen. Die Höhen- schihten werden in der Karte entsprehend siht ar gemacht werden. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Frage nach der besten Pro- jektion, da man do unmöglich Mercators Projektion wählen konnte und eine Anpassung der ebenen Blätter bei einer Weltkarte an die Kugelgestalt der Erde unerläßlich ist. So wurde beschlossen, immer 5 Blätter in einer Ebene berzustellen und die An- passung der Ra ttgrap en an die benachbarten unter Berück- sichtigung der Erdgestalt nab einem vorgelegten Entwurf zu bewirken, E „Polykonischer“ bezeichnet wurde und äußerste Genauigkeit verbürgt.

Den Vortrag des Abends hielt Prof. Dr. G. Merzbacher aus München über das Thema „Von meiner neuen Forshungs- reise in den Tian-Schan +1907 und 1908“. er Vortragende hat, wie der Professor Hellmann bei feiner Begrüßung hervorhob, die Erforschung des gewaltigen Hoch- gebirges L entralasiens auf der Grenze zwischen Rufsis- und

Chinesish-Turkestan zu seiner S gemaht. Er war dort \hon 1892, um sich zunächst mit den ortetten und Zugängen be- kannt zu machen, dann brachte er das Sommerhalbjahr 1902, den Winter 1902/3 und Sommer und Herbst 1903 im Herzen des Ge- birges zu, und fast genau die gleiche Zeit der Jahre 1907 und 1908 nahm die dritte Expedition in Anspruch, über die Professor Merzbacher jeßt berichtete, nachdem er bereits im März 1905 über feine erste und zweite Erpedition der Gesellschaft für Erd- kunde ausführlih Bericht erstattet hatte (vergl. Nr. 58 vom 8. März 1905 dieser Zeitung). Es ist begreiflich, daß der Forschungsreisende bei dieser seiner jüngsten und, wie er ‘versicherte, leßten Meise, da er nunmehr die Lücken seiner ersten beiden Expeditionen aus- gefüllt hat, sih wesentlich den Teilen des ungeheuren Gebirgsstockes zuwandte, die er früher nicht kennen gelernt hatte. Hatte er sich 1902/3 die Aufgabe gestellt, die Lage des höchsten Punktes des Gebirges, des 7200 m hohen Khan Tengri zu bestimmen, und hatte er dabei festgestellt, daß in Wahrbeit das Zentrum des Tian Schan ein BretnGsiger Berg aus Marmor bildet, der in einer fast 2000 m

hohen Wand fast fenkre{t abfällt, so galten diesmal seine Forshungen an erster Stelle dem Osten des Gebirges. Im fin Teil ‘seiner -Nélsé, bie äm 17° April - 1907

von Munchow ausging, um am 15. Mai Taschkent in der Richtung auf Kuldscha am Nordwestrande des Tian Schan zu verlassen, hatte des ta Merzbaher vornehme Begleitung .in der Person des rinzen Arnold von Bayern, der indessen bald, nach Ueberschreitung der chinesishen Grenze auf dem Musart - Paß und nachdem er den Freuden der Jagd in den waldreichen niederen Teilen des Gebirges obgelegen, nah Europa zurück- kehrte. Die Fortsezung der Meise in östlicher Nichtung legte zunächst dem Neisenden die Notwendigkeit der Erklimmung steiler Grate und der Ueberschreitung von Kammhöhen von 5000—5500 m nicht auf, weil die westöstlih \treichenden Hauptketten zwischen p Täler “und Hocflächen lassen, deren reicherer Graswuchs die Vie zucht durch die tirgisishen Eingeborenen begünstigt, ja im Sommer eine Massenein- wanderung aus den vergleihéweise öden Teilen von Chinesish- Turkestan im Süden des Gebirges hervorruft. (Einer solchen Masseneinwanderung begegnete der Vortragende E einmal. Sie machte auf ihn den Eindruck einer Völkerwanderung.) Dieser Weg führte zum Südostrande des Tian Schan und beim Aus- treten aus dem Gebirge an den großen Bagrubsh-Kul-See und die an seinem Ufer gelegene chinesishe Stadt Kurla. Von hier wurde der Weg am Südrand des Gebirges nach der volkreihen und inter- e Stadt Kutscha fortgeseßt. An diefem Punkte wandte si der cisende aber wiederum dem Gebirge zu mit dem festen Vorsaß, es in südnördliher Nichtung zu durchqueren, eine Aufgabe, die voraussihtlih die mehrfache Ueber /Wreitüng des unsagbar zer- klüfteten Hochgebirges zur Folge haben mußte. Solange die eine Anzahl Lastpferde und die entsprehende Zahl eingeborener Begleiter mit sich führende Expedition die Täler von aus dem Gebirge berab, abkommenden Flüssen oder durch Moränen ausgefüllte Schluchten zu passieren hatte, ging alles leidlih, bald aber wurde das Gebirge von einer verzweifelten Wilvheit. Schon vermochte man nicht mehr neben pern nur noch im tosenden Gebirgswasser voranzukommen oder ja ih zum Verlegen des Weges an unsäglich steile und steinige Abhänge gezwungen. Dreimal war man überhaupt S Ed einen Aus- weg anders als dur kühnes Ueberklettern des shneebedeckten Gebirges zu finden. Keines Menschen Fuß, kein jagdbares Tier schien je diese grenzenlose Cinöde und Wildnis betreten zu haben. In dieser Lage fürchtete Professor Merzbacher ernstlih für das Schicksal seiner Karawane, da der Proviant stark auf die Neige ging da, in der gébten Not, wurde er durch die Begegnung mit vier dem Vol Ssftamme der Dorguten angehörigen Männern erfreut, die weg- und sahkundig die Karawane zu einer kirgisishen Niederlassung begleiteten, wo Nahrungs-

mittel gekauft werden konnten. Professor Merzbacher hat sih der Mutlosigkeit solhen Gefahren gegenüber so wenig hinge eben, daß er die bedenklihsten Momente auf die photographische

Platte gebracht hatte und sie, die fesselnde Schilderung feiner Irrfahrt in ihrer Wirkung erhöhend, in wohlgelungenen Lichtbildern zeigen konnte. Die Reise war in Kutsha am 6. Juni 1908 angetreten worden. Anfang Oktober erst traf Professor Merzbacher auf der Nük- reise wieder in Taschkent ein. Doch rie, er keineswegs nah Er- reichung des Nordrandes des Tian Schan alsbald an die Nüreise a sondern war, um auch noch den nordöstlihen Teil des Seßirges kennen zu Lernen, an dessen Nordfuß 500 km weit bis zu der im Nordosten gelegenen gro en Stadt Urumtschi marschiert, um von hier noch einen kurzen Vorstoß ins Gebirge zu machen, der ihn hier einen {önen großen See, idyllishe Andschait, schöne Vegetation und u. a. ein chinesishes Kloster kennen lehrte, in dem er anfangs bei den Lamas gastfreie Aufnahme fand, bis der Wunsch, ihnen ein Rind abzukaufen, jene mißtrauisch machte. Sie erklärten ihre Herde als der Gottheit gehörig, vermochten ihre Gottheit aber später, in einen gebotenen guten Preis zu willigen. Die eue Untersuchung des Tian Schan hat diesmal dofelior Merzbacher aufs neue bewiesen, daß auch über den Tian Schan in mehreren Phasen eine Eiszeit hinweggegangen ist, deren Zerstörungs- und Uebershüttungswirkungen hier Ausdehnungen von ungeheurer

Größe angenommen haben, sodaß ganze Gebirgsketten der Tertiärzeit verschüttet und fast eingeebnet worden find. Cine Merkwürdigkeit ist, daß nördlih wie südlich der Tian Schan begrenzt“ ist durh Wüsten: im Norden die Wüste Schobuga, im Süden die Wüste Gobi, deren Niveau teil- weise unter Meeresspiegel liegt. Das läßt den Tian Schan

mit seinen 5000 m Kammhöhe in noch viel \tärkerem Grade mächtig und überragend erscheinen. Großer Beifall am Schluß des 24 stün- digen Vortrags zeigte dem Vortragenden, der vor 2 Jahren bei Ge- legenheit des Jubiläums der Gesellschaft bereits mit der Karl Nitter-Medaille ausgezeichnet ist, daß seine Forschungsergebnisse weiter dankbare Anerkenmtng finden. Professor Hellmann gab der Befriedigung der geographischen Forschung über diese mit soviel Auf- opferung erlangte genauere Kenntnis des vor Professor Merzbacher fast unbekannten Lian Schan, in beredten Worten Ausdruck.

Im Verein für Deutsches Kunstgewerbe \sprah der Regierungsrat von Zur Westen über die Graphik im Dienste der Musik. Zahlreiche Lichtbilder und eine gutgewählte Ausstellung

von Originalblättern aus den reihen Sammlungen des Vortragenden begleiteten die Ausführungen, deren Inhalt in Kürze etwa folgender war: Die Gebrauchsgraphik dient der Musik auf zwei Gebieten, auf dem der Propaganda und dem der Ausstattung der musikalischen Druckwerke. as hauptsächlihste Propagandamittel, bas Inserat ist unkünstlerisch geblieben; auch das Plakat für musikalische Auf- führungen und Musikalienhandlungen zeigt nur selten fünstlerishen Inhalt, wie ihn z. B. im ahtzchnten Jahrhundert die Konzert- einladungen hatten, die ein Bartolozzi in England \tach. Das Beste im Musikplakat hat Hans Unger geleistet und leisten die JIta- liener. Die musikalishen Druckwerke alter Zeit besizen nicht ein besonderes Format, fondern gleichen darin vollständig den anderen Druckwerken. Dementsprehend {mücken s au besonders gern ihre Titel. Drei Perioden kann man da unterscheiden: die erftere, die des E, bält sih rein dekorativ, stellt aber Beziehungen zum nhalte her. Die besten Ausstattungen -bieser Art erfährt Orlando di Lasso. In der zweiten Periode, der des Kupferstiches, tritt das wichtige Barock hervor, und an Stelle der dekorativen Ausstattung sett sih die illustrative. Das hing damit zusammen, daß man die neue, 1594 auffommende musikalishe Gattung, die Oper, in ihren Auf- führungen durch Kupferstihe festhielt und diese den Opern- ausgaben beifügte. Darin glänzte namentli} Ludovico Burna- cini, en eichnungen attheus Küsel stach. Berühnite Bücher ihrer Zeit waren Bickhams Musical Entertainer (um 1720 und der Choix de Chansons von de Laborde. Die besten Titel sa

in England Bartolozzi nach Entwürfen von Angelika Kaufmann, Cipriani u. a. Jn Deutschland zeichnete ia namentlich der Berliner Verleger Hummel dur gut ausgestattete Musikalien aus. Mit der Erfindung der Lithographie verschwindet allmählich der ute vom Musikalientitel; der Steindruck erseßt ihn. Darin geht Frank- reich {on um deshalb voran, weil man dort die Lithographie zu einem ausgiebigen Propagandamittel für den Bonapartismus benutt und sie in diesem Sinne auch für die Auszierüng von Musikalien verwendet. Später zeihnen die Franzöfischen Romantiker viele solcher Titel ganz im Sinne ihrer Zeit. Damit verliert der Musikalien- titel fein früheres Wesen gänzli, er gewinnt rein malerische Tendenz und wird zur Jllustration des Textes, bis ihn die Kaärikatur ablöst. Das alles spielt sich in Frankreih ab; in Deutschland und England widmen sich nur wenig Künstler gelegentlich diesem Gebiete, wie die Berliner Dörbeck, Hosemann, Burger, Menzel, Wilhelm Scholz. “Auch Ludwig Richter zeichnet treffliche Titel. ie ganze Periode {ließt mit dem Blatte, das Max Klinger für vier Lieder seines Freundes Brahms gezeichnet hat. Die ahtziger und neunziger Jahre sehen vornehmlich \üßliche, bunte Mufikalientitel. Von ihnen scheint die Plakatbewegung die Erlösung zu bringen. Berliner, Münchener und Dresdener Künstler wetteifern in aus- gezeihneten Arbeiten, aber die Bewegung versandet. Im Gegensaßtze zum Buchgewerbe, das heute in Deutschland auf anerkennenswert hoher fünstlerisher Entwicklung angelangt ist, läßt der Musikalientitel noch fast alles zu wünschen übrig; es- feh

( L 7 es. fehlen kunstsinnige Verleger, die ich seiner annehmen, wie das die führenden deutschen Verleger mit dem Buche getan haben.

Literatur.

Vor hundert Jahren. Erinnerungen der Gräfin Sophie Schwerin geb. Gräfin Dönhoff. Nah ihren hinter- lassenen Papieren “rzt g von ihrer jüngeren Schwester Amalie von Romberg. Mit dem Porträt der Gräfin Sophie. Zweite Ausgabe. Berlin 1910. J. A. Stargardt. 649 S. 6.

Das vorliegende, sehr wertvolle Buch, die Erinnerungen der Gräfin Sophie Schwerin, geb. Gräfin Dönhoff, aus dem jeßt erloschenen Hause Dönhoff-Dönhoffstädt, der Gemahlin des Grafen Wilhelm Shwerin-Wolfshagen, der als Oberst an der Spiße feiner Kavallerie- brigade bei Belle - Alliance den Heldentod fand, hat seinerzeit (4. März 1909) an dieser Stelle seine gebührende Würdigung gefunden. Jett hat die L S eine Volksausgab-e (Zweite Aus- gabe) veranstaltet, in der der Text unverkürzt geblieben ist, nur 10 Seiten Anmerkungen und das Personenverzeihnis sind weggelassen. Der Preis für den stattlichen Band ist auf 6 X festgeseßt worden. So viel Köstliches die zahlreihen Aufzeihnungen von citgenossen der Befreiungskriege für uns enthalten, so werden die vorliegenden Jtemoiren einer edlen Frau, der höchste Lebenswonneu und dann der bitterste Schmerz beschieden waren, durch ihren in seiner Fülle an- ziehenden und zum Schluß aufs tiefste ergreifenden Inhalt \téts mit an erster Stelle genannt werden müssen. : Erinnerungen eines alten Oesterreihers. Von Ludwig Ritter v. Przibram. Stuttgart und Leipzig. Deutsche

Verlagsanstalt 1910. 411 S. Geheftet 8 H, in Halbfranz ge- bunden 10 H. Cinige Abschnitte aus dem Vorlleantea Buch sind im Laufe dieses Jahres in der „Deutschen Revue“ erschienen, jeßt

werden diese „Erinnerungen eines alten Oesterreichers“ stattliGen Band vereinigt vorgelegt. Der Verfasser spricht auf der ersten Seite davon, daß es ihm vergönnt war, mit ersönlihfeiten in Beziehung ju treten und Zeuge von Geschehnissen zu werden, die der Geschichte seinerzeit angehörten und es verdienten, in den Votberck eue gerúckt zu ‘werden; aus diesem Grunde, niht um seine Person g

zu einem

ervorzukehren, sei er mit seinen Erinnerungen vor die Oeffentlichkeit etreten. Schon die Art und Weise, wie ih der Autobiograph dann über den Quellenwert seiner Mitteilungen äu ert, verrät einen überaus gewandten, zum Frobsinn geneigten Plauderer und Erx- zähler. Höchst anschaulich und lebendig ist die Schilderung seiner Jugendzeit in Prag (1840—1858), die im wesentlichen mit dem Jahr 1848 einsept, sehr reizvoll auch der Nükblick auf die Studenten- zeit in Wien (1858—1862).. In höheren Semestern nahm Przibram, um eine Einnahme zu haben, die Stelle eines Korrektors an einem juristishen Fachblatt an und kam so in Berührung mit der Pressé; der Journalistik und dem Parlament gilt der dritte Abschnitt. Im Jahr der Gasteiner Konvention (1865) wurde Cs vom Staats- minister Grafen Belcredi als ständigèr Mitarbeiter der Kaiserlichen „Wiener Zeitung“ angestellt, zu deren Mitarbeitern auch Männer der Wissenschaft wie die Historiker Alfred Arneth und Ottokar Lorenz gé- hörten. Ergreifend liest sich, wie der Krieg von 1866 in das Berufs- leben des Verfassers bineinspielte. In dem folgenden Abschnitt wird unter anderm die feierlihe Krönung des Kaisers Franz Joseph zum König von Ungarn am 8. Juni 1867 ausführlih Fes{ildert. Im Mai 1868 wurde Przibram zur i alpseng besserer Beziéhungen mit der preußischen Presje V Berlin ge\chick und hier von Bankier Vleichröder empfangen, lehnte aber dessen Vorschlag, ihn Bismarck vorzustellen, ab. Dagegen nahm er an einem Empfangsabend bei Strousberg teil Und war aufs höchste überrascht fon dem Luxus, der in dessen Palais in der Wilhelmstraße entfaltet wurde. Durh Bankier Oppenheimer suchte Przibram Fühlung mit der „Kölnischen Zeitung“ zu gewinnen. Im April 1869 wurde er als fc ie Preßleitung im Ministerium des Aeußern zugeteilt und nahm in dem Kaiserlichen Gefolge an der Eröffnung des Suezkanals (1869) teil. Hier E vor allem die Erinnerungen des Verfassers an Kronprinz Friedri Wil elm von Preußen und an die Kaiserin Cugenie äußerst fesi

Kairo wurde Przibram vom Reichskanzler Grafen eust, dem er seit seinem Eintritt in den Staatsdienst unmittelbar unterstellt war, die Eröffnung gemacht, daß er nah Rom zu gchen habe, um dort während des Konzils dem Botschafter zur Verfügung zu tehen. So werden auch die damaligen Zustände im Kir jerstaat in den Kreis der Be- trahtung gezogen. Die - beiden letzten Teile behandeln den deutsh- französischen Krieg, das Ministerium Hohenwart, Beusts Sturz und die Aera Andrássy. Unter Andrássy machte Przibram eine Reise nah Konstantinopel, der levantinishen Küste und Griechenland und be- richtete über Angelegenheiten, die die ao berührten. Man hört weiter von der Wiener Welkausstellung im Jahre 1873 und dem Besu des Königs Viktor Emanuel, dem Gegenbesuh deg Kaisers ranz Joseph in Venedig, den Kriegsgerühten vom Jahre 1875 und endli bon dem Aufstand in Bosnien und der Herzegowing der zu der Offupation im Jahre 1878 führte. Hier bricht die Dar- stellung ab, do stellt der Verfasser eine F eyung in Ausficht für eine Zeit, wo der Konflikt mit Serbien, Montenegro und der Türkei,