1878 / 2 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 03 Jan 1878 18:00:01 GMT) scan diff

mte r r E arts e nrr es

estellte Beamte wenden und von ibnen die Enthüllung der That- \ verlangen, die pas bekannt, oder die Mittheilung der gericht- lichen Aktenstüe, die ihnen anvertraut sind. Der Richterstand muß naturgemäß bereit sein, Nacforshungen zu unterstüßen, die kein an- deres Ziel haben und haben dürfen, als die Freiheit und Aufrichtig- keit der Wahloperationen zu sichern und mit Gewißheit alle mit den- selben C Vnreg “trn Bi peR Akte festzustellcn; aber der zum Zeugnisse auf eforderte Richter at vermöge seines Berufes selbst besondere Pflichten der Vershwiegenheit und Zurüthaltung, die er- nicht von si abshütteln kann. Ehe er Rede steht, wird er daher feine hierarchishen Vorgeseßten befragen; seine Bedenken werden bis zu Ihnen gelangen. Sie wer- den dann in den Rathschlägen, die Sie ihm geben, nit ermangeln, die den Vertretern einer großen politischen Körperschaft, welche fich des ihnen gewordenen Auftrags entledigen, {{uldigen Achtung mit den Vorrechten in Einklang zu bringen, die der Justiz nothwendig sind, um das ihr von dem- Gesetze anvertraute gesellshaftlibe Amt u erfüllen. Dasselbe gilt von der Mittheilung der gerichtlichen [ftenstüde. Ihnen speziell, Herr Generalprokurator, steht nah den Gesetzen das Recht zu, sie der Oeffentlichkeit preiszugeben oder geheim zu halten. Sie dürfen die Rücksichten nicht vergessen, welche bald das öffentliche Interesse, bald die Chre eines Individuums oder einer Familie, bis8weîlen auch das Bedürfniß einer noch nit beendeten Untersuchung auferlegen. Im Zweifel werden Sie gefälligst an mich berihten und mit aufmerksamer Prüfung und gutem Glauben wird es uns hoffentlih gelingen, Konflikte hintan zu halten, die Niemand mehr bedauern würde, als wir selbst. Empfangen Sie u. \. w. I. Dufaure.“

83. Januar. (W. T. B.) Das „Journal officiel“ publizirt die Ernennung Fourniers zum Botschafter in S onfian tar el Zur anderweiten Deputirtenwahl in 9 Wahlbezirken, in welchen die roher-rh für ungültig er- Fflärt worden waren, oder in denen die ewählten ihr Mandat niedergelegt hatten, ist der 27. d. anberaumt.

Bordéaux, 2. Januar. (W. T. B.) Bei dem Empfange des Maires. von Bordeaux erklärte Ge- neral Rochebouët, die Gerüchte hinsihtlich der Vor- gänge in Limoges seien nicht ernster Natur. Die dort ertheilten Befehle seien nur eine Wiederholung der bereits von seinem Vorgänger erlassenen gewesen. Sie seien defen- siver Art gewesen, niht um anzugreifen, sondern um einem Angriffe zu widerstehen. Der General fügte hinzu, er werde sich niemals auf Abwege ziehen lassen. „Jh habe niemals daran gedacht, fuhr er fort, einen Staatsstreich auszuführen, weder für die Bonapartisten —» Sie wissen, was ih von ihnen denke noch für Andere, von denen Sie, wie ih, wissen, daß sie unmögli sind. Niemals hat der Marschall oder sein Kabinet an einen Staatsstreih gedacht, im Gegen- theil, das Kabinet hat dem Marschall gerathen, ein Ministerium aus der parlamentarischen Majorität zu bilden.“ GONS

Îtalien. Nom, 2. Januar. (W. T. M Die „Jtalie“ erklärt die Gerüchte, nah denen der König bei dem gestrigen NeujahrsempfangekriegerisheWorte gesprochen haben sollte, für unbegründet und fügt hinzu, der König habe sih nur darauf beschränkt, von der gegenwärtigen schwierigen Situation in Europa zu sprehen und Eintracht unter den Vertretern der Nation zu empfehlen. Die „Ztalie“ hebt weiter heroor, daß auch alle Gerüchte von angeblihen stungen, sowie von kriegerischen Absichten der Regierung unbegründet seien; ebenso unrichtig sei es, daß die Minister Unter- redungen mit Gambetta gehabt hätten über die Allianz- frage und die Haltung, welche angesihts der bevorstehenden Ereignisse einzunehmen wäre. Der französische Botschafter, Marquis de Noailles, gab zu Ehren Gambetta's, welcher morgen ich Nizza abreist, ein großes Diner.

Griechenland. Athen. Nach den Informationen, welche der Kriegs-Minister auf Jnterpellation von Seiten des Deputirten Koronaios über den Stand der Landarmee abgegeben hat, wird dieselbe aus 25 326 Mann gebildet. Da- von find 764 Offiziere, 110 Fähnriche, 15 532 Jnfanterie- soldaten und Unteroffiziere, 2736 Jäger, 1793 Artilleristen, 807 Kavalleristen, 1632 Mann Genietruppen ; 163 Arsenal- arbeiter, 32 beim Gensd’armerie-Kommando, 1792 FUß-Gens- d'armen, 91 berittene Gensd'armen, 155 supernumeräre Unter- offiziere, 112 Mann der ersten Lazareth-Compagnie,- 141 der zweiten Lazareth-Compagnie und 56 Garnisonsmusiker. Die Cadres sind nicht komplet; es fehlen noch 2450 Mann dazu. Die Marinemannschaften betragen 2790 Mann.

Amerika. New-York, 29. Dezember. (Neuters Bureau.) Die mexikanishen Behörden haben an der Rio Grande-Grenze Bekanntmachungen anshlagen lassen, welche mexikanische Unterthanen warnen, si niht an irgend welchen künftigen Ruhestörungen, die in El Paso versucht w-rden möchten, zu betheiligen.

2. Januar. (W. T. B.) Die Staatsschuld der Vereinigten Staaten hat im Monat Dezember um 72 000 Doll. abgenommen. Jm Staatsschate befanden si am 31. Dezember 139 518 000 Doll. in Gold und 5 499 000 Doll. in Papiergeld.

Der russisch-türkische Krieg.

London, 2. Januar. (W. T. B.) Jn mehreren eng- lishen Städten haben weitere Kundgebungen für die Erhaltung der Neutralität Englands statt- gesunden. Von der Handelskammer in Bradford wurde eine Resolution zu Gunsten der Neutralität einstimmig an- genommen. Die Handelskammer in Leeds sprach sih mit allen gegen 3 Stimmen in einer Resolution für die absolute" Neutralität aus. Bei einer Arbeiterversammlung in. Roch - dale hielt der Bischof von Manchester eine Ansprache, in welcher er betonte, daß weder die Besitzer be Konstanti- nopels durch russishe Truppen, noch die Oe nung der Dar- danellen britishe Jnteressen gefährde. Sodann f rah dexr Bischof die Erwartung aus, daß das englische Volk sich laut gegen einen Krieg zu Gunsten der Türkei erklären werde.

(W. D. B.) Der Staatssekretär der Kolonien, Carnarvon, empfing eine Deputation von Kauf- leuten vom Kap, welche die Befürchtung aussprach, daß ihre Fnteressen im Falle einer“ weiteren Verwicke- lung im Orient verna(lässigt werden könnten. Carnarvon erklärte denselben, troß des Falles von Plewna sehe er keine materielle Aenderung der Situation; die Haltung Englands sei ebensowenig verändert. Obgleich England nit vorbereitet i die rterefen der Türken als solche zu unterstüßen, so ei die Regierung doch entshlossen wie sie dies von Anfang an gewesen bei der Regelung der orientalischen Fra e ihre Stimme geltend zu mahen. Was den Schritt Englands bei der russishen Regierung, betreffe, so habe England keine Mediation angeboten, ebensowenig eine öntervention in dem gewöhnlichen Sinne. „Wir haben,

Sofia.

_züurüdcdgezogen haben.

fuhr Carnarvon fort, nur Eröffnungen des einen Kriegführen- den bezüglih des Friedens an den anderen übergeben. HO kann in der Antwort Rußlands keine Beleidigung oder Be- shimpfung Englands sehen; ih fan aufrichtig, daß die russishe Regierung und das russishe Volk nicht vergessen werden, daß die gegenwärtigen Fragen solche sind, deren Regelung nicht den Kriegführenden allein zusteht. Es handelt sich um europäische Prroen. Wir, als ein Mitglied der europäischen Familie, haben niht nur ein Recht, darüber ge- hört zu werden, sondern es ist sogar sehr wichtig, daß wir eine entscheidende Stimme bei der definitiven Negelung der obwaltenden Fragen haben. Jh glaube, es giebt wenig Per- jonen, welche sih des Krimkrieges mit Genugthuung erinnern ; ich bin gewiß, es giebt Niemanden in diesem Lande, der so thöriht wäre, eine Wiederholung desselben zu wünschen.“

3. Januar. (W. T. B.) Die „Morningpost“ erfährt, daß der gestrige Kabinetsrath dahin über- eingekommen sei, die russische Antwort auf das Ver- mittelungsanerbieten Englands nicht als den Schluß der englischen Aktion zu betrachten. Es - sei beschlossen worden, vor der Uebermittelung der russishen Antwort an die Pforte St. Petersburg anzufragen, welhe Bedingungen bas einen Waffenstillstand die rufsfishen Commandeure zu ald e P seien. Heute findet abermals ein Minister- rath statt. f

Der „Standard“, sowie die liberalen Morgenblätter sprechen sih sehr befriedigt über die Rede des Staats- Sekretärs Carnarvon aus. Die „Times“ meint, die- selbe sei dazu angethan, die Beunruhigung und die Auf- regung im Lande endgültig zu beschwihhtigen. „Times“ glaubt, eine Politik, welche durch solche staatsmännische An-

sichten und Prinzipien geleitet würde, wie sie Carnarvon dar- gelegt habe, würde die einmüthige Unterstüßung des Landes „Daily News“ spriht fich im gleichen

finden. Die Sinne aus.

Europäischer Kriegsschauplaßt.

St. Petersburg, 3. Januar. (W. T. B.) Offizielle Telegramme aus Bogot, 31. Dezember: Nach hier eingegan- genen Meldungen vom 30. Dezember sind die Truppen des westlihen Detachements von der Front bis Babakonak vorgerückt und befinden sich auf dem Vormarsch gegen die türkishen Positionen bei Arabkonak und Schander- nik, welche Ortschaften der Feind beseßt hält. Am 29. De- zember räumten die Türken Lutikowo, wo die Russen darauf einzogen. Das Wetter ist in den Bergen sehr un- günstig; der Eisgang auf der Donau dauert fort; es ist zu erwarten, daß das Eis bald feststehen bleibt. Ueber die Einnahme von Pirot durch die serbischen Truppen werden folgende Details. gemeidet : Nach der Be- seßung von Babinaglava und der Einnahme des Passes St. Nikolai wurde ein starkes Detachement gegen das be- festigte Lager von Budindol dirigirt , welches Pirot von Norden her deckte. Das Lager bestand aus mehreren Reihen von Befestigungen auf beiden Ufern der Nissawa, zwischen den Dörfern Stanetschno - Nischar und Sapot. Da das Lager stark beseßt war und beinahe unangreifbar von der Front her erschien, wurde entschieden , zuerst Ak-Palanka und dann Pirot anzugreifen. Am 24. Dezember begann der Angriff. Die rehte Kolonne griff Ak-Palanka an

und nahm dasselbe tin. . Die linke Kolonne eröffnete an *

diesem Tage eine Kanonade gegen Budindol und führte de- monstrative Angriffe gegén diesen Ort aus, um die Auf- merksamkeit des Feindes abzulenken. Die gesammte Reserve blieb in Babinaglava. Am 26. Dezember rückte die rechte Kotonne von AËPalanka aus gegen Pirot vor. Am 27. De- zember, Morgens 8 Uhr, griff dieselbe die linke Flanke der türkishen Position an, beseßte am Nachmittag gegen 4 Uhr Blata und Belajewa und verweilte daselbst während der Nacht. Bei dem ersten Schuß, welcher von der r:chten Kolonne ab- gegeben wurde, begann die linke Kolonne den Angriff von der Front her, bemächtigte sich Stanehßkas und stellte die Fühlung mit der rechten Kolonne her. Am 28. Dezembex, dei Anbruh der Morgendämmerung, wurde der Kampf auf der ganzen Linie wieder aufgenommen. Bereits um 11 Uhr Morgens zog die rehte Kolonne in Pirot ein, und wurde daselbst von den Einwohnern, an deren Spite ih die Geist- lihkeit befand, empfangen, Die linke Kolonne überwand den hartnäckigen Widerstand der Türken erst, nachdem diese die tachriht erhalten hatten,- daß die in ihrem Rücen befindlichen Befestigungen genommen seien. Der Verlust der serbi- schen Truppen beträgt über 50 Todte und gegen 150 Ver- wundete. Die Türken, welhe 6 Tabors stark gewesen waren, haben sehr große Verluste erlitten. Die ganze Posi- tion war mit Leichen bedeckt. 23 Geschütze fielen in die Hände der Serben. 2. d.: Nach achttägigem anstrengenden Kampfe gegen Frost, Schnee und Sturm und gegen das bergige Terrain hat General Gurko den Balkan überschritten und ist mit seinem Corps in die Ebene von Sofia hinabgestiegen. Am 31. v. M. beseßte der General nach einem hartnäigen Kampfe bei Taschkosen, welcher bis 6 Uhr Abends dauerte, die be- festigten Positionen dieses Ortes mit Ausnahine einer Redoute bei - einem Wachtposten. Jn der Nacht verließen die Türken sämmtliche Positionen. Am 1. d. früh begannen die Russen die Verfolgung des Feindes und beseßten Arabkonak, Schan- dernik und Dolni Komarzi. Ein Theil der russischen Fnfan- terie drang in der Richtung auf Petrikidi vor, ebendahin au die Garde-Kavallerie über Bolowo und Tscherkesskiöi. Den übrigen Theil der ermatteten Mannschaften ließ General Gurko ausruhen und begann sodann den Vormar})ch gegen Am 1. d. mußte sih das Detachement von Etro- pol mit dem Detachement von Tschelopeja unter Ge- neral Brock vereinigen, um nah Möglichkeit die Türken von Petritschewo abzuschneiden. Der Verlust der Russen am 31. v. Mts. betrug 700 Todte und Verwundete. Unter leßteren befindet sich déèr Commandeur des Volhynischen Regi- ments, General Mirkowitsch.

Konstantinopel, 2. Januar. (W. T. B.) Nach aus

Sofia hier eingegangenen Nachrichten ist zwischen JFchtiman und Sofia russische Kavallerie eingetroffen und hat den Telegraphen und die Brücke von Jsfor zerstört. Aus Rasgrad werden kleinere Nein O gemeldet, dic am 30. v. M. bei Mehemdlar und Mariani stattgefunden haben. Ein Telegramm des bisherigen Kommandanten von Scharkiöi bestätigt , daß die türkischen Truppen in Folge des am Freitag stattgehabten Kampfes gegen 20 serbische Bataillone und 5000 Bulgaren Scharkidi geräumt und \i ch nach Sofia Einem Telegramm des Gouver- neurs von Kossowo zufolge haben sih die Serben der Orte

. rufsisherseits eine größere Thätigkeit, man könnte

Kurshumlja, Oskonb und Lesfowaß bemächtigt. Die Gar- nison von Kurschumlja trat nah einem Kampfe gegen über- legene Kräfte den Rückzug an.

Wien, 2. Januar. (W. T. B.) Der „Polit. Korresp.“ wird aus Bukarest vom gestrigen Tage gemelbet : Die Russen beseßten bereits mehrere von den Türken bestigte Ort- schaften in der nähsten Umgebung von Sofia. Sofia selbst ist von den meisten Seiten eingeschlossen.

Varna, 28. Dezember. (Telegr. des W. „Fremden- blatt“.) Dem Vernehmen nah werden die Türken auch nah dem Abzuge der Truppen Suleiman Paschas aus Bulgarien die Stadt Sulina “an der Donaumündung beseßt halten.

Der „R. Mir“ erfährt, daß Osman Pascha Rjasan, F

Abdul-Davud und Mahmed-Nadshi Tambow, Mamud-Gunib und Suleiman Rjasan zum Aufenthalt angewiesen werden wird. Die bei der Einnahme von Plewna zu Kriegsgefan- genen gemachten Soldaten werden in verschiedenen Städten des Fnnern internirt. Seit dem 18. (30.) Dezember sollen täglih 3200 Mann aus Bukarest nah Rußland befördert wer- den. Wie der „Golos“ erfährt, wird die Rückkehr des Groß- fürsten-Thronfolgers und der Großfürsten Wladimir und Alexei Alexandrowitsh nach St. Petersburg am 22. oder 23. Dezember (a. St.) erwartet.

Vom bulgarischen Kriegsschauplaßtze wird der „Pol. Korr.“ aus Simnißa vom 26. Dezember berichtet :

„Die Pause, welche nah dem Falle von Plewna in den Kriegs- operationen eingetreten ist und die durch den Eintritt des \{lechten Wetters um einige Tage si verlängert hat, dürfte mindestens noch zehn Tage dauern. Nichtsdestoweniger ist die auf dem Kriegs\chau- playe herrshende Ruhe nur eine scheinbare, man könnte sogar fagen , daß die Pause nicht in den Operationen, sondern nur in den Ereig- nissen eingetretea ist. Diese leßteren befinden ih im Stadium der Vorbereitung, die Operationen aber, welche zu den Thatsachen führen sollen, find im vollen Gange. In keinem Abschnitte des Krieges ist fast sagen Hast, an den Tag gelegt worden, wie jeßt. Es sieht gerade so aus, als wenn der Krieg von Neuem beginnen würde; nur die Operations- basis ist weiterzerüdckt.

Nach Bessarabien war es Rumänien, na Rumänien war es die Donau, jeßt is Ober-Bulgarien der Centralpunkt der russischen Offensive oder vielmehr Jnvasion geworden. Erst seit dem Falle von Plewna hat die russische Kriegsleitung ihre ursprünglich ins Auge gefaßte natürliche Operationsbasis wieder gewonnen. Vor den mör- derischen, für die Russen so unheilvollen Kämpfen von Plewna war das Hauptquartier des Großfürsten Nikolaus {hon in Tirnowa auf- ges{lagen worden. Jeßt erwartet man wieder, daß es dorthin ver- legt wird Es scheint eine ausgemahte Sache zu sein, daß man nur das - Ende der verschiedenen vorgenommenen Truppenoershiebungen abwartet, um das Hauptquartier näher an den Balkan zu verlegen. Dieses Mal dürfte die Ver- legung des Hauptquartiers gleichzeitig einen mit starken Truppen- massen auszuführenden Balkanübergang bedeuten; denn von der Donau bis zum Fußé des Balkans sieht man in einer Front von mindestens 150 Kilometer einen gewaltigen Aufmarsch ih voll- ziehen, welcher binnen ‘aht bis zehn Tagen beinahe ganz beendigt sein wird. Der Hauptstoß dürfte aber do niht beim Schipka- oder Trojanpasse, sondern auf dem reten Operationsflügel der rufsi- schen Armee erfolgen. Stärke Abtheilungen haben nämlich die Direktion auf Vrata und Berkowica genommen und werden in einigen Tagen über den Ginzipaß im Sofiathale angelangt sein. Die Aufrollung der türkischen Stellungen jenseits des Balkan würde also im westlihen Sofiathale beginnen , 10. Da. Ute türkishe Armee in Sofia nicht. na Westen, sondern nah Often zurückgedrängt werden würde, und die Armee des Generals Gurko ihre defensiven Stellungen nur in dem Augenblicke verlassen müßte, als die aus dem Ginzipasse vor- dringenden Abtheilungen die türkische Armee zwischen zwei Feuer ge- bracht und dieselbe zum Rückzuge nah Osten oder nah Süden ge- zwungen haben würden. Sodann würde der Vormarsh über den Balkan durch den Hankidi-, Schipka-, Trojanpaß und die anderen weniger wihtigen Pässe vor sih gehen und die Vereinigung aller russischen Abtheilungen in der rumelischen Ebene stattfinden. Dieser ODperationsplan hat unstreitig große Vortkeile. Einmal ist das Balkangebirge in seiner. westlichen Abflahung viel leichter passir- bar; weiter erspart \ich die russische Kriegsleitung dur diese Umgehungsoperation die immerhin nur mit namhaften Opfern möglihe Forcirung des Balkanüberganges dur die Pässe, deren Ausgänge von den Türken befestigt und bewacht find; \{ließlich wäre damit russisherseits die Konzentrirung aller noch di: poniblen operationsfähigen türkischen Truppenkörper im rumelischen Been er- reiht und dadurch auch die massenhafte Konzentrirung der russischen Armee zu einem lebten entscheidenden Schlage erleichtert. Es scheint, daß man nit mehr in den am Anfange des Feldzuges gemachten Fehler der Kräftezersplitterung verfallen und deswegen nur dann zum Vormarsche über den mittleren Balkan schreiten will, wenn man sich östlih vor jeder Flankendiversion gesichert haben wird. Alle Truppen- bewegungen deuten bis jeßt auf das eben Le hin. Der Vor- marsch starker Kolonren auf Berkovica, die erstärkung der Armee des Generals Gurko durch anderthalb Divisionen, die Konzentration einer großen Centrumsarmee vor den mittleren Balkanpässen zwischen Tirnowa, Gabrowa und Selwi sind lauter Operationen, welche für al EOEAMIA E des hier in Militärkreisen cirkulirenden Planes

prechen.

Hier ist seit der Abreise des Kaisers und des Fürsten Karl eine Ruhe eingetreten, welche in diesen Tagen nur durch starke Trans- porte türkischer Gefanzenen und einer ziemlich großen Zahl von Blessirten und Kranken beider Armeen unterbrochen worden ist. Lange dürfte diese Ruhe niht währen, da der Eisgang der Donau die Kriegsbrücke auf der Insel Boatin fast ganz zerstört hat und dadurch der größte Theil der Durchzüge an Truppen, Kriegs8material und Proviant wieder auf unsere Brüe e ift. Die Donau ist zwar wieder ganz eiéfrei und statt des \tarken &rostes ist ein Gußregen eingetreten, aber von den Uebelständen, welche der Grof und denen, die das Regenwetter mit sih bringt, müßte do der Frost der erwünschtere sein, da derselbe wenigstens die Straßen fahrbar mae O man jett wieder in einem meilenweiten Kothmeere versinkt,

Die Belagerungsarmee für Rustschuk hat gestern den Vormarsch angetreten; der Transport der s{chweren Belagerungsartillerie dürfte aber dur die Beschädigung der Petrosanibrücke und wegen der grundlosen Wege auf große Schwierigkeiten stoßen.

Der Truppendurch{zug hat wieder zugenommen. Aus der Moldau E in den nächsten Tagen 30000 Mann Reservetruppen er- wartet.“

S 98 Aus Varna, 2. Dezember, {reibt man demselben atte : i

„Nach in hiesigen unterrichteten Kreisen verbreiteten Versionen scheint die“ türkische Kriegsleitung in diesem Augenblicke vor Allem darauf bedacht zu sein, die Verbindung zwischen der Armee des Ge- nerals Gurko und der russishen Centrumsarmee zu verhindern und sodann mit der in aller Eile aus dem Festungsviereck herbeigezogenen Armee die aus den Balkanpässen debouchirenden russischen Abtheilungen vereinzelt anzugreifen. Durch die Aufstel- lung einer 80000 Mann starken Armee in der Richtung von Eski- Sagra und einer Reservearmee in Hermanli hofft Suleiman Pascha, den Vortheil einer Operation auf der inneren Linie benütend, die relative Ueberlegenheit über die russishen Armeen zu erlangen, wäh- rend Schakir Pascha und Ahmed Ejub Pascha, mit der vereinigten

—türkishen Armee von Sofia und von Schipka ven General Guro #

in Schach halten würden. Ob dieser Plan nicht auf Jllusionen be- ruht, möge allerdings vorerst ununtersuht bleiben.

ier herrs{t in diesem Augenblicke eine fieberhafte Thätigkeit. Der Bet ist voll von E und Transportschiffen, welche täglich mit Truppen und. Kriegsmaterial abgehen, um anderen Plaß zu machen, die auch in wenigen Stunden beladen nah Konstantinopel wieder abfahren. Außerdem haben starke Abtheilungen ihren Rük- marsh nach Rumelien über die östlihen Pässe des Balkans ange- treten. Troßdem s{äßen kompetente Fachleute die über igen afen und den Balkan nach Rumelien zurückehrenden türkischen A in runder Zahl auf niht mehr als 50000 Mann, welche allerdings beinahe aus\{ließlich aus Kerntruppen bestehen. Auf der Eisenbahn Rustschuk-Varna passiren tägli mindestens zwanzig Mi- litärzüge und man erwartet, daß die Züge bald nur bis Rasgrad werden verkehren können, da eine Blofirung Rustshuks nach dem Rückzuge der türkischen Operationsarmee unausbleiblih erscheint. Nach einem Ausspruche Suleiman Paschas ist Rust{chuk für 6 Monate verproviantirt und kann einer Belagerung erfolg- reih widerstehen. Ebenso verhält es sich mit Silistria. Wenn auch viel Uebertreibung in diesen vor Selbstbewußtsein \troßenden Aeußerungen enthalten sein mag, bleibt es doch eine Thatsache, daß während der leßten Monate anhaltend und mit größter Anstrengung an der Instandseßung der beiden Donaufestungen gearbeitet worden ist, so daß man, bei der den türkishen Soldaten eigenen Zähigkeit im Vertheidigungskriege, sih auf langwierige Belagerungen gefaßt machen kann. Am wenigsten vertheidigungsfähig scheint garade Varna zu fein, welches, als außer dem Bereiche der Operationen, in diesem Kriege etwas vernachlässigt. worden ift, während Schumla geradezu in ein uneinnehmbares verschanztes Lager verwandelt wurde. Seit einigen Tagen wird auch an den äußeren Forts von Varna, welche noch nicht vollendet sind, mit aller An- strengung gearbeitet. Man befürchtet einen Vorstoß der russischen Dobrudscha-Armee, die man für viel stärker hält, als sie wohl in Wirklichkeit sein mag. Besonders seitdem der Rückzug der türkischen Armee nah Rumelien sich theilweise durch Varna vollzieht, besorgt man die Möglichkeit eines russischen Angriffes als nähergerückt. Nach den Berichten jedo, welche die europäishen Konsulate hier haben, scheinen die Russen vor der Hand nicht entfernt an einen Vorstoß in dieser Richtung zu denken, da die russishe Dobrudscha-Armee im Verhältnisse zu ihrer Stärke mit der Belagerung von Silistria und der Behauptung der Linie Tschernawoda-Medschidje-Küstendsche voll- auf zu thun hat.“

Wien, 2. Januar. (W. T..B.) Telegramm des „N. W. Tageblattes“ aus Serajewo: Die bosnische Fnsur- rektion beginnt wieder lebhafter zu werden. Die türkischen Befestigungen bei Askowißa und Blatno sind von Fnsurgen- ten angegriffen worden. Die Redifs dritter Klasse sind ein- berufen worden.

Asiatischer Kriegsschauplaßt.

Konstantinopel, 2. Fanuar. (W. T. B.) Fsmail Hakki Pascha meldet, daß die russische Kavallerie, welche Soukzerin (eine Meile von Erzerum entfernt) beseßt hatte, dur türkische Kavallerie von dort vertrieben worden sei.

Smyrna, 31. Dezember. (Telegr. des „W. Fremden- Blatt“.) Bis Mitte dieses Monats zählte die behufs einer Entsezung Erzerums bei Diarbekir zu sammengezogene Armee im Ganzen blos 14000 Mann, der es noch dazu an Artillerie fast gänzli fehlte. Der Kriegsrath soll jeßt entscheiden, ob diese Armee noch vervollständigt, oder in ihrem gegenwartigen Stande belassen werden soll. Fm leßte- ren Falle wird sie als Observationscorps zu dienen haben.

Aus Syra wird der „Daily News“ unterm 30. ult. telegraphirt:

Von, s Freunde in Erzerum, in welchen ih das größte Vertrauen seßen kann, habe ih ein Telegramm, datirt vom Weih- nachtstage, folgenden Inhalts empfangen: „Die Russen {ließen die Stadt- ein, Alles scheint vêrloren zu sein und Alles geht {lecht in der türkischen Armee.“ Ein weiteres Telegramm fagt: „Die Russen versuchen Erzerum via dem Olti-Thale und Baiburt zu umgehen. Das Wetter i} \sibirisch. Wir erwarten täglich ein Bombardement oder einen Angriff, Der Großfürst Michael und General Loris Melikoff sind, begleitet von 15 Bataillonen und 12 Belagerungs- geshüßen, von Kars in Dara - Bojun ange?ömmen. Die Bauern werden gezwungen, die Gebirgspfade zu säubern, aber es wird ihnen ein Tagelohn von 30 Piastern gezahlt. Es herrscht die größte Be- stürzung vor. Der Dragoman der persishen Gesandtschaft sandte einen Parlamentärx an- die Ruffen, aber derselbe is noch nicht zurüdck- gekchrt“

Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau.

Wien, Donnerstag, 3. Januar. Telegramme der „Presse“ aus Sistowa, 2. d.: Seit gestern sind alle Donaubrücken auf das linke Ufer geschafft worden. Dessertirte Tscherkessen berihten bei dem Corps des Generals Gurko , daß bei dem türkfishen Corps bei Sofia Mangel an Lebensmitteln und Winterkleidern herrshe. Das Corps- zählt 27 000 Redifs und Baschibozuks, sowie 2000 Ts\scherkessen.

Neichstags - Angelegenheiten.

Der Vertreter des Fürstenthums Lippe im Reichstage, Stadt- richter Hausmann zu Horn, ist am 30. v. M. u. F. gestorben.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Im wissenschaftlichen Verein in derSing - Akademie wird am Sonnabend, Nachmittag um 5 Uhr, der Geheime Legations- Rath Professor Dr. Aegidi den diesjährigen Cyklus der V or lesungen mit einem Vortrage „über das heilige römische Reich im Mittelalter“ beginnen. : : i

Ein Telegramm der „Daily News* aus Alexandria meldet die Ankunft des Afrikareisenden Mr. Stanley in Suez, an Bord des Dampfers „Zambesi“. Mr. Stanley hat sich nach Cairo begeben und wird dort eine Woche verweilen. e

Paris, 31. Dezember. Die Akademie der moralischen und politishen Wissenschaften hat den Freiherrn Alexander v Hübner in Wien an D D R NEE Lord Stanhope zu ihrem auswärtigen Mitgliede ernannt. C j : ? Das wissenschaftliche Iahr, schreibt Henri de Parville im „Journal des Débats“ {ließt gut ab. „Lor aht Ta en konnten wir melden, daß es den Herren Cailletet und Raoul Pictet einem jeden einzeln gelungen war, den Sauerstoff flüssig zu machen, und nun theilt unterm 31, Dezember Hc, Cailletet dur die Vermittlung des Hrn. Dumas der Akademie der Wissenschaften mit, daß ihm dieselbe Vperation mit dem Stickstoffe und sogar mit dem Wasserstoffe geglückt ist, welcher leßtere einen augenblick- lichen Mißerfolg befürchten ließ. Das Erperiment wurde vorgestern im Laboratorium der Ecole normale in Gegenwart der Herren Boussingault, Henri Sainte-Claire Deville, Berthelot, Marcart und anderen voll-

ogen und ließ im Geiste dieser E nen Chemiker und Physiker einen Zweifel zurück: der Stickstoff ist in Form kleiner Tropfen und der Wasserstoff in Gestalt eines Nebels gesehen worden. So steht es also fest, daß allè Gase der Regel gehorhen und in flüssigen

Datum in der Geschichte der Wissenschaft.“

haben fünfundzwanzig Grundbeßüßer der nähsten Umgegend die Ver-

“Zustand gebracht werden können. Dies geschieht bei dem Stickstoff | Heitalter, also etwa in die Zeit, welche zwischen dem 12. und

300 Grad unter Null beträgt. Die Kälte und der Luftdruck ver-int drängen die Gasmolekülen so dit aneinander, daß fie in flüssigen Zustand übergehen. Da die Luft aus Sauerstoff und Sti- stoff zusammengeseßt i und ein jedes dieser Gase flüssig emacht werden fann, so erhellt daraus, daß die Luft felbst dieser Dreration mit Erfolg unterzogen werden kann. Hr. Cailletet hat dies bewiesen, indem er ganz trockene und von aller Kohlensäure freie Luft nahm und sie in seinem Apparate flüssig machte. Als er den Hahn öffnete, träufelte die so verwandelte Luft heraus, wie eine parfümirte Flüssigkeit aus einem Verdünster. Wenn may das Experiment nohzweiter verfolgt, fo kann die Flüssigkeit in festen Zustand gebracht : und also die Luft in Klumpen verwandelt werden. Die feste Luft ‘ist gewiß eine der größten Groberungen der modernen Chemie und der 31. Dezember 1877 ein denkwürdiges

Gewerbe und Handel. ( In der Generalversammlung der Renaissance, Aktien- Gesellschaft für Holz-Architektur und Möbelfabri- kation wurde die Liquidation beschlossen. E RU: Behufs Gründung einer Zuckerfabrik in Dirschau auf dem Terrain dec ehemaligen Cementfabrik fordert, der „Mägdb. 3g: zufolge, ein Comité zur Zeichnung von 450 000 (4 Aktien auf. Es

pflihtung übernommen, vom Jahre 1879 ab: 287 ha mit Zuter- rüben zu bestellen, Der Bau soll in zwei Jahren fertig gestellt fein. Das Aktienkapital beträgt 450 000 4 in 900 Stück Aktien à 500 Die Einzahlung oll in Raten von 10% nach Bedarf erfolgen.

Der Einlösungscours für die Silber-Coupons der Desterreihischen Eisenbahn-Gesellshaften an den deut- sen Zahlstellen is seit gestern abermals und zwar von 176 auf 1753 4. pro 100 Gulden Silber herabgeseßt werden.

Paris, 31. Dzzember. Der Finanz-Minister hat den Gouverneuren und dem Verwaltungsrath des Crédit foncier er- öffnet, daß er zwei Finanz-Inspektoren mit der Prüfung der Bücher, Kassen und Depots dieser Anstalt beauftragt und bei ihnen einen Bericht üer die allgemeine Lage derselben bestellt hat. : S1. Petersburg, 3, Januar. (W. T. B.) Der „Regie- rungsbote“ publizirt eine Kaiserlihe Verordnung, wona das Stammkapital der Odessaer Bank von 5 auf 3 Millionen reduzirt wird. 8000 Aktien werden amortisirt.

Verkehrs-Anstalten.

Triest, 3. Januar. (W, T. B.) Der Lloydpostdampfer „Es\pero" ift mit der Konstantinopeler Post heute hier einge- troffen. ; E aitamblin. 2, Januar. (W. T. B.) Der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Oder“ ist hier eingetroffen.

New-York, 2. Januar. (W. T. B.) Der Dampfer „Eng- land“ von der National -Dampfscchiffs - Compagnie (C. Messingshe Linie) und der Hamburger Postdampfer „Pommerantia“ sind hier eingetroffen.

Berlin, 3. Januar 1878.

Athen, 17. Dezember. Am 13. d. Mts. hatte sih zur Feier des Geburtstagès Winkelmanns in den Räumen des Kaiserlichen archäologischen Jnstituts hierselbst eine große Anzahl deutscher und griechi]her Kunstfreunde zu einer Fest- sißung zusammengesunden. t |

Der geistvolle Vortrag, welchen bei dieser Gelegenheit der Sekretär des O Professor Köhler, über Herkunft und Alter der mykenischen Alterthümer hielt, wird hier so vielfa besprochen, daß eine Mittheilung der Hauptgedanken desselben gewiß von allgemeinem Glresse sein dürfte.

Jn der ganzen gebildeten Welt führte Professor Köhler aus haben gleich im Anfang die Funde auf dem durh Sage und Geschichte hohberühmten Boden des gold- reichen Mykene die größte Theilnahme hervorgerufen. Eine Ernüchterung, ja Enttäuschung trat aber ein bei dem näheren Bekanntwerden der gefundenen Schäße. /

Vergeblih suchte man in diesen Schmudcksahen und Ge- räthen griehishe Formenschönheit und Anklänge an alt- hellenishe Sage und Sitte zu entdecken. Es wurden selbst Stimmen laut, welche das hohe Alter der mykenishen Funde überhaupt in Frage stellen zu müssen glaubten, Nach den bald darauf in der Nähe Athens, in Sparta gemachten Gräber- funden, welhe mit den mykenishen so merkwürdige Ver- gleihungspunkte bieten, können folhe Zweifel freilih nicht mehr aufkommen, Troßdem bleibt es eine unumstößliche Thatsache, daß die in Myfkene gefundenen Alterthümer sowohl in Technik als Stil ein durchaus ungriechisches, barbarisches Gepräge tragen. E e

"Man idei6 nun zwar, daß auch die älteste griechische Kunst, wie sie uns in den -homerischen Gedichten geschildert wird, asiatischen barbarischen Einflüssen unterworfen war. Doch finden sich in diesen Anfängen überall {on Spuren des später zur vollen Entwikelung kommenden griechischen Kunstcharakters. Das Ueberrashende und Befremdende bei den myfkenischen Alterthümern ist, daß bei ihnen aus \chließ- [i ch nux der orientalishe Charakter vertreten ist. i

Aus Asien blos importirt, ohne Einwirkung von ein- heimischen Elementen, kann die große Menge der in Mykene gefundenen Gegenstände auch niht sein, Es wäre dies gegen alle Analogie. Aus welcher Zeit stammen also diese Funde?

Die Vorstellungen, welche auf den Ornamenten und Re- liefs der mykenischen Alterthümer eine Darstellung gefunden haben, sind größtentheils dem Seeleben entnommen. Wir sehen zahlreich Ruder, Meereswellen, Polypen, Fische bildlich nachgeahmt. N

V hrlithes tritt uns in der ersten“ Kunstthäigkeit der Jnselbewohner des aegäischen Meeres entgegen. Bekanntlich wurden diese erst spät hellenisirten Fnseln ursprünglih von einem aus Asien eingewanderten Stamme, den Karern, be- völkert. Dies ag ungesähr gegen das 12. Jahrhundert vor Christi. Unter ihrem mythishen Könige Minos gewannen diese Karer niht nur die Secherrschaft über den ganzen Archipelagos, sondern gründeten auh an den Küstenstrichen von Hellas zahlreihe Kolonien. Die aus der griechischen Sa nicht erklärbaren Namen Hymettus, Lykabettos und andere erinnern noch an diese uralten Ansiedler. Das Symbol des karischen Gottes, die Doppelaxt, findet sich auch auf den mykenishen Schmucksachen abgebildet. Ferner stimmen die zahlreihen Waffenfunde in den Gräbern von Mykene durch- aus mit den Angaben des Thukydides (1., 8), welcher berich- tet, daß die Karer ihre Todten mit den Waffen zu bestatten pflegten, eine Sitte, die uns von den alten Griechen, J: D. aus den homerischen Gesängen bei der Bestattung der Leiche des Patroklos, nicht bekannt ist. Es hat daher die größte Wahr cheinlichteit für si, daß die in Mykene und Sparta entdeckten Gräber auf U Ursprung zurückzuführen find. Das Alter dieser Gräber dürfte mithin zwischen die Ansiede- lung dés karishen Stammes in Hellas und das homerische

er Verein für die Geschichte Berlins hielt am Sonn- abend seine leßte vorjährige Arbeitsfißzung ab, in der nah Erledigung der cewöhnlichen geschäftlichen Angelegenheiten zunächst Hr. Baumeister Schäfer einen Vortrag über die Gebräuche des Maurer- gewerkes hielt. An zweiter Stelle sprach Hr. Lehrer Dr. Scheins über denKelhunbvdie Lal, Meile Nefod atNTr L2G Ves Kurfürsten im Jahre 1662 zum Geschenk erhalten hat. Ein kürzlich über denselben Gegenstand im Verein gehaltener Vortrag hatte lediglich die Absicht, an eiñe ältere Arbeit des Professors Adler zu erinnern. Hr. Dr. Scheins ging direkt auf eine genaue Beschret- bung der qu. Gegenstände ein und zog daraus Schlüsse auf Be- nußung, Stiftung und Urfprung derselben. Wir geben in aller Kürze das höchsst wahrscheinliche Resultat. Der Kelch, aus stark vergoldetem Silber, auf welchem die Figuren aufgelöthet find, stammt, wie die Patene, aus der Mitte des 13. Jahrhunderts; beide rühren von demselben Meister her, obwohl die Patene wegen ihres Zwees nur gravirte Ornamente zeigt. Der Kelch enthielt 126 Edelísteine, die größtentheils noch vorhanden sind, und war für den konsekrirten Wein bestimmt. Auf beiden Gegenständen kommt die Kreuzigung 3 Mal, Christus 6 Mal, Maria 4 Mal vor; eine eigentliche Komposition war also bei der zlusschmüdckung nicht beabsihtigï. Nur die Patene mit den 4 Propheten und 4 Aposteln, welhe die Majestas domini umgeben, läßt eine naheliegende Deutung zu. Aus den, wenn au oft verwishten Inschriften ergiebt sich aber nun, daß die Markgrafen Johann und Otto IlT., die um 1250 regierten, Kelch und Patene haben herstellen4 lassen. Die gedahten Fürsten gründeten die Klöster Chorin, Zehdenick und Straußberg. Leßteres war bei der Säkulari- sation im Besiße von 14 Kelchen und 7 Patenen. Es ist also nit unwahrscheinlich, und auch mehrere Gründe sprechen dafür, daß dieser Kelch nebst Patene aus dem Straußberger Kirchenschatz herrühren. Bis 1662 im Besiße der Hohenzollern, werden sie von dieser Zeit als die größten Schätze der Nikolaikirhe in hohen Ehren gehalten.

Aus Schleswig-Holstein schreibt maxn der „Nat.-Ztg.“ : Die Alterthumsforscher unseres Landes haben zum Schluß des Jahres eine Ueberraschung erhalten, die kaum weniger die Beer im ganzen Deutschland interessiren dürfte. Unter dem Titel: „Von vorchrist- lichen Kultusstätten in unserer Heimat“ läßt der Geheime Rath Dr. Michelsen in Schleswig eine „antiquarische Mittheilung“ ver- breiten, worin er die Insel Alsen als die langgesuchte, berühmte Nerthus-In sel des Tacitus nachzuweisen versucht. Der Bericht des rômischen Geschichts\hreibers in seiner „Germania* beschreibt bekanntlih eine Jnsel im Ozean mit einem heiligen Hain und einem heiligen See” an den sih der Dienst von sieben zu einer religissen Einheit verbundenen Völkerstämmen knüpfte. Er spricht. von einem heiligen, von geweihten Kühen gezogenen Wagen, auf dem die Erd- göttin Nerthus umhergeführt wurde, läßt diese dann von Sklaven in einem geheimnißvollen See gebadet und die Sklaven von dem See vershlungen werden. : :

Man hat früher auf. die Insel Rügen „gerathen und viel von einem sogenannten Hertha-See gefabelt; später wollte Dr. Maa Kiel den Siß des Nerthus-Dien'tes im östlichen Holstein, im foge- nannten Land Oldenburg entdeckt haben: ein Hypothese, die mehr Inklang gefunden, als fie verdiente. Wenn Dr. Michelsen nun die Insel Alsen in den Vordergrund treten läßt, so gründet fih diese Annahme auf eine Reihe höchs beachtenswerther und merk- würdiger Umstände, die wir im Folgenden kurz darzulegen versuchen wollen.

Als Thatsache kann zunächst bezeichnet werden, daß noch heute auf Alse1 ein heiliger Pat und ein heiliger See untér dem Namen Hellewith und Hellesö erhalten sind, daß in dem nordwestlich von Norbur belegenen Rest des Waldes ein großer Opferaltar steht und der im Volke gebräuchliche Name Hellod = Heiliges Cigen für die Dorf- haft Hellewith auf altheidnishe Verhältnisse hinweist. Dazu treten noch mehrfache Umstände, welche die Annahme von einer alten heid- nischen Kultusftätte zu bestätigen \ch{einen. Während nämli einer- seits Alsen eine auffallznd große Zahl yon Marienkirhen zählt, die 1ih durch den früheren Nerthusdienfst erklären lassen, existiren anderer- seits in der Umgegend des Sees eine Reihe nicht verwandter Fa- milien, die den gemeinsamen Beinamen Hellesö führen. Merkwür- digerweise wiederholt sih diefe leßtere Erscheinuag auch noch in einem Kirchspiel des nördlihen Schleswig, wo gleichfalls ein „Hellesö“ in der Nühe liegt. Der Verfasser suht dann noch im Anschluß an die Geschichte der Königs8güter und Herrenhöfe auf Alsen, mit Bezug auf einzelne hier im Mittelalter ansässige Adelsfamilien, }- B. der Holcks und deren Wappen, Beziehungen auf den altheidnifchen Dienst nachzuweisen. Absichtlih lassen wir bei der ganzen Frage die Etymologie die leßte Rolle spielen, da diese bei Drtsnamen in den meisten Fällen sehr \{chwierig ist. Wir geben zu, daß Alsen =

eiligthum, Tempelland sein kann, wean wir auch eine andere Er- Mir, (Elfenland) vorziehen. Am meisten Bedenken wird jedoch der Versuch erregen, einen Theil der Namen der sieben sogenannten Nerthus-Völker mit einigen noch heute auf der Halbinsel Sundewitt erhaltenen Dorfnamen in Verbindung zu bringen. Wie viel nun aber au im Einzelnen weiterer Forschung vorbehalten werden muß, wie vieles auch auf bloßer Konjektur beruhen mag, darüber kan unsers Erachtens kein Zweifel fein, daß die Hypothese Michelsens bei allen Forshern Beachtung verdient. Sollten Nachgrabungen an Ort und Skelle, die im näch|ten Sommer vorgenommen werden dürften, dieselbe indirekt bestätigen, so dürfte die durch die ella, Ereignisse der jüngsten Vergangenheit bekannte Insel ein Wallfahrts- ort für Alterthumsforscher werden, wie in Deutschland kein zweiter existirt.

Die seit langem erstrebte Verschmelzung der 1373 gegründeten „Deutschen Gesellschaft zur ErforsZung Aequatorial- Afrivcas“ und der aus der Initiative des Königs der Belgier zur internationalen Erforschung Afrikas hervorgegangenen „Deuts chen afrikanischen Gesellschaft“ ist, nah der „Wes. Ztg.“, nun- mehr \soweit perfekt geworden, daß nur noch die endgültige, rein formelle Genehmigung der Mitglieder der beiden Gefellshaften aus- steht. Die Bedingungen der Fusion wurden nach langen schrift- lichen Verhandlungen zwischen den Vorständen der beiden Gesell- haften am vergangenen Sonnabend in einer gemeinsamen Sißung vereinbart, an welcher. auch viele auswärtige Comitémitglieder, wie General-Arzt Roth aus Dresden und Prof. Bruhns aus Leipzig theilnahmen. Die Verschmelzung der beiden Gesellschaften, von denen die ältere noh im Befiße eines verhältnißmäßig ansehnlichen Baar- vermögens ist und die jüngere vor Kurzem eine Subvention aus Reichsmitteln erhalten hat, wird eine energische Betreibung des an- gestrebten Zweckes ermöglichen.

n der vereinfachten Stolze’ shen Stenographie wird ein are Unterrihtskursus in der Königlichen Gewerbe- Akademie, Klosterstraße 36, Hörsaal Nr. 1, am Mittwoch, den 9. Ja- nuar 1878, Abends 8 Uhr, beginnen und jedesmal Mittwochs Abends von 8 Uhr ab weiter geführt werden. Dauer des Kursus: 12 Unter- richts\tunden. Beitrag zu den Kosten mit Eins{hluß des Lehrbuches: 6 Æ pränumerando.

London, 1. Januar. (A. A. C.) Ueber die durch den an- haltenden Rohlenruben-A rbeiter-Strike in Süd-Wales und dem Schwarzen Lande (Black Country) herrschende Noth- ge laufen nob immer die traurigsten Berichte ein. Jn der Nach- kari@aft von Marthyr leidet eine etwa ‘30 000 Seelen zählende Arbeiterbevölkerung so sehr, als ob eine thatsähliche Hungersnoth im Lande herrshte. Ganze Familien haben in vielen Fällen für thren Lebensunterhalt kein größeres Ginkommen als 6 bis 8 Scillinge pro Woche. Dem Schulamte ist gemeldet worden, daß sehr viele Kinder die Schule aus dem Grunde nicht besuchen können, weil fie fi»

unter einem Druck von 200, bei dem Wasserstoff von 280 Atmo- \phären und wird durch die Kälte bewirkt, die bei der Operation bis

10. Jahrhundert vor Christi Geburt liegt, zu seßen sein.

Zustande abfoluter Nacktheit" befinden. .

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