an die Familienverbältnisse, an den Besitz, an die Vererbung defsen, was sie erwerben nicht allzu \{wer, einen Menschen von geringem Bildungs- ad dahin zu führen, daß er {Glieglich mit Fauft \priht: „Fluch lei der Hoffnung, Flu dem Glauben und Fluch vor Allem der eduld!“ Ein so geistig verarmter uud nackt ausgezogener Mensch, was bleibt denn dem übrig, als eine wilde Jagd nach sinnlichen Genüfsen, die allein ihn noch mit viesem Leben versöhnen können.
Wenn ih zu dem Unglauben gekommen wäre, der diesen Leuten beigebracht ist, — ja, meine Herren, ih lebe in einer reihen Thäâtig- Teit, in einer wohlhabenden Situation, aber das alles könnte mih doch nicht zu dem Wunsche veranlassen, einen Tag länger zu leben, wenn ih das, was der Dichter nennt, „an Gott und bessere Zukunft
lauben“, nit hätte. Rauben Sie das dem Armen, dem Sie gar eine Entschädigung gewähren können, \o bereiten Sie ihn eben zu deim Lebensüberdruß vor, der sich in Thaten äußert, wie die, die wir erlebt haben. E i i: E
Wenn wir fragen, wie ist es eigentlich gekommen, daß diese negativen Tendenzen, daß dieses Evangelium der Negation bei uns gerade in Deutschland einen folhen Anklang gefunden hat, so müssen wir der Zeit, in welcher das geschah, etwas näher ins Auge sehen. Wir sind erft seit 1867 mit den Führern der Sozialdemokratie amt- lih bekannt geworden durch die Gegenwart der Herren Bebel, Lieb- knecht, Fribshe, Schweitzer, Mende, sie we{hselten, es waren zwei und man könnte, wenn ih — nun ich will mich auf der Dichtung nicht weiter verlieren — aber diese zwei, die landeten wie die Weißen in Amerika, und ich will keine Indianerklage darüber anstellen, denn wir beherrshcn noch die rothe Rasse Damals traten se doch noch mit einer gewissen Schüchternheit auf, wenn sie auch Sorge trugen, zu bekennen, daß sie niht etwa die zahmen Leute wie Lassalle und dergleichen seten, sondern sie wären die eigent- lichen Sozialdemokraten, ih habe das in den Reden auch in desen Tagen nachgelesen, aber der eigentliche Aufs{chwung zu dem Streben, das sie jett beseelt, fich der Staatsgewalt zu bemächtigen und sie im Sinne ihrer Interessen und Ansichten auszubeuten in Zukunft, trat doc erst nach 1870 auf. Was hat nun 1870 für einen Unterschied in der Sache gemacht? Bis zu 1870, wo auch die Leiter der inter- nationalen Liga wohnen mochten, in London, Genf, war doch Frank- reich das eigentliche Versuchsfeld ; das eigentlihe Operationsfeld war Frankrei, und nur in Frankreich hatten fie eine Armee bereit, welche die Schlacht der Kommune {lagen konnte und sih auch wirklich der Hauptstadt auf eine Zeitlang bemächtigte. Haben sie nun damals, wo sie im h der Gewalt waren, irgend ein positives Programm aufgestellt, wie sie diese Gewalt für den Vortheil der nothleidenden Klassen nußbar machen könn- ten? Mir ift keines bekannt, was irgendwie praktisch ins Leben ge- treten wäre — es mögen in den Zeitungen utopishe Phrasen ge- standen haben, aber der Versuch der damaligen Machthaber in Paris, der doch nahe gelegen hätte, wenn sie etw1s könnten und wüßten, damals wo sie die Gewalt hatten, nun mit einem Beispiele zu zeigen, was sie eigentlich wollten, wurde niht gemacht. Er unterblieb, fie haben nihts wie gemordet, gebrannt, mißhandelt, nationale Denk- mäler zerstört, und auch, wenn sie ganz Paris in einen Aschenhaufen verwandelt hätten, so würden sie Angesichts dessen immer noch nicht gewußt haben, was fie wollten: wir Ând unzufrieden, es muß anders werden, aher wie? das wissen wir niht, Dabei wären sie geblieben. Nun, nachdem sie von der französishen Regierung niedergeworfen waren, bei der Energie, mit der die französishe Regierung gegen sie einschritt, und die der Herr Vorredner zu rühmen vergaß — oder vielleiht hat sie niht seine Anerkennung, dann wäre es mir lieb, wenn er offen und tadelnd dafür aus\prühe — bei der Energie sahen die Leiter wohl ein, daß dieses Ver- suchsfeld verlassen werden mußte, daß da ein zorniger und ents{lossener, harter Wächter darüber stand, daß sie es räumen mußten. Sie sahen sich um in Europa, wo fie nun den Hebel anlegen könnten, wo sie ihre Zelte, die fie in Frankreich ab- brachen, aufs{lagen könnten; daß ihnen da Deutschland in erster Linie einfiel, dorthin die Agitation zu verlegen, das wundert mich gar- nicht. Ein Land mit so milden Gesetzen, mit so gutmüthigen Rich- tern (Lachen und lebhafter Widerspruch) — meine Herren, sind un- sere Richter niht gutmüthig? find sie etwa bös? (Widerspruch. Hei- terkeit) — mit so gutmüthigen Richtern, ein Land mit hervorragen- der Moe an der Kritik, namentlich wenn sie die Regierung betrifft, ein Land, in dem der Angriff auf einen Minister, das Tadeln eines Ministérs noch heut für eine That gilt, als ob wir noch anno 30 lebten, — cin Land, wo die Anerkennung für irgend etwas, was die Regierung thut, glei in den Verdacht des Servilimus bringt, ein Land, in dem die Operationsbasen des Sozialismus, die großen Städte, dur die fortschrittlihe Bearbeitung sehr sorgfältig vorbereitet waren, wo die Diskreditirung der Behörden und der Institutionen durch die forischrittlihe Agitation bereits einen sehr hohen Grad erreicht hatte, das hatte sein Anziehendes. Der A ist, um landwirth- \caftlich zu sprechen, eine sehr gute Vorfruht für den Sozialismus als Bodenbereiter, er gedeiht danach vorzüglih. Daß beide sich - äußerlih,“ wenigstens ‘in Reden, in Thaten haben wir es noch nicht erlebt, bekämpfen, nun das mag auch von der Eigenart der Frucht- arten gelten, die doch gern und gedeihlich aufeinander folgen. That- sache ist aber, sie fanden die Achtung vor den Institutionen zerstört, die Neigung, sie in Bild und Wort mit Hohn zu überhäufen, die Freude an diesem Hohn bei jedem Philister, der nachher froh ift, wenn er aus den Folgen dieses Hohns gerettet wird, fanden sie ganz außerordentlich entwickelt, — kurz und gut, sie erkannten hier das Land, von dem sie sagten: lasset uns Hütten bauen.
Der Deutsche hat an und für si eine starke Neigung zur Un- zufriedenheit. Jh weiß nit, wer von uns einen zufriedenen Land8- mann kennt. Ih kenne sehr viele Franzosen, die vollständig mit ihrem Geschick, mit ihren Erlebnissen zufrieden sind. Wenn sie ein Handwerk ergreifen, so stellen sie sih die Aufgabe, durch dasselbe, wenn es mögli ift, vielleicht bis zum 55, Jahre eine gere Vermö- genêquote zu erreichen; haben sie die, so ist ihr ganzer Ehrgeiz, sich als Rentier bis zu ihrem Lebensende zurückzuziehen. Vergleichen Sie damit den Deutschen ; dessen Ehrgeiz ift von Hause au: nicht auf eine nach dem 50. Jahre zu genießende mäßige Rente gerichtet , — sein Chrgeiz ist \{rankenlos. Der Bäer, der sich etablirt, will nicht etwa der wohlhabendste Väter in seinem Ort werden, nein, er will Haus- besißer, Rentier, er will na seinem größeren Berliner Ideal \{chließ- lich Banquier, Millionär werden, Sein Ehrgeiz hat keine Grenze. Es ift das eine Cigenschaft, die ihre sehr guten Seiten hat, es ist die deutsche Strebsamkeit, sie steckt sich ihr Ziel niemals zu kurz, — aber sie hat auch für die Zufriedenheit im Staat ihr sehr Bedenk- lies, namentlich unter den unteren Beamtenklassen. Wo ist der Beamte, der in der Erziehung seiner Kinder niht eine Stufe höher hinauffsteigen will, als die, die er selbst gehabt hat? Und die Folgen diefer Unzufriedenheit sind, daß ein großer Theil unserer Subaltern- beamten von der sozialistischen Krankheit angeßteckt ift.
Nun, wie bestätigte sich die deutsche Erwartung der Sozialisten ? — Die internationale Agitation Me in das gelobte Land über, in welchem fie sich jetzt befindet. ir hattcn aleidzeitia vorher und nachher nach vielen Richtungen hin ganz neue Einrichtungen ; wir hatten das L R N kombinirt mit dem Unterstützungs- wohnsiß, die Abschaffung der Paßpflichtigkeit, — Einrichtungen , die plößlich eine große Menge von Arbeitern den kleinen Städten und dem platten Lande entzogen und in den größeren Städten eine fluk- tuirende Bevölkerung erzeugten, deren Erwerbsfähigkeit schr abhängig war von den \{chwankenden Verkehrs- und Industrieverhältnissen in den großen Städten, die ab und zu reihlich Arbeit hatten, — bis zu 10 Thalern, gagt man, sei ein Steinträger bezahlt — uner plößlich wieder ein Rückshlag — und keiner hatte Neigung, in feine ländlichen Verhältnisse zurückzukehren. Jch bin in der Lage gewesen, daß Jemand, für den ih den Unterstüßungswohnsiß zu leisten hatte und welcher mir krank, entnervt, arm, abgerissen wiederkam, belastet mit Rechnungen der Charité und der Berliner Krankenpflege, nahdem er bei mir auf meine nicht bloß Pee Dis, sondern gern geleisteten Koften hergestellt war, wieder nach Berlin zurückehrte. Ich fragte ihn, ob er nit genug hätte an dem einen Mal, und bei der Ermittelung
für ihre Kinder, ihnen alles das nehmen, so ist
* der Motive, die ihn anzogen — es war ein ehrliher Mann, was
fam heraus ? Ja, wenn er auf dem Lande einen Biergarten — er nannte es anders — Musik hätte, wo er des Abends hingehen könnte, so wolle er das Theater {hon entbehren, und man kriegte auf dem Lande nit eine anständig gekleidete Person zu sehen. Kurz und gut, diz Vergnügungen der großen Stadt haben sehr viel Anziehendes. Die Leichtig des Verkehrs auf den Bahnen, die eizlgigreß, — alles dies zieht die in den größeren Städten durch ergnügungen fergeva ene ur an sie, und dies hat der Agitation großen Vorshub geleistet. Noch viel stärker wurde dies, wie wir das neue Yrehgeseß \{hufen, wobei ich von Hause aus be- vorworte, um jeder Verdächtigung der Reaktion zu entgehen, daß ih nicht die Absicht habe, dieses anzufehten, ih will nur die Diagnose der Krankheit geben. Das neue Preßgeseß {hafte plößlich vor allen Dingen die Kaution ab, es {afte den Stempel ab. Bis dahin war ein gew!ssecs Kapital und mit dem Kapital vielleicht ein gewisses Maß von Bildung vorhanden und erforderlich, um cine Zeitung ins Leben zu rufenz heutzutage kann man mit 100—150 Æ dem Unternehmen näher treten, und nach Bildung ist ia gar kein Bedürfniß, man braucht blos abzuschreiben, was einem eliefert wird, und das bekommt man von der Agitation geliefert, was gedruckt werden soll, und solche Blätter, die einmal in der Woche erscheinen, und die der Betheiligte, der sie cmpfängt, der Arbeiter auf dem Lande oder in der kleinen Stadt, um so länger lies und um so mehr zirkuliren läßt und sich um: so deutlicher einprägt, was darin steht — der Mann liest kein zweites Blatt, ich weiß nicht, wie die wohlfeilsten Abonnements sind, sie werden 20 Silbergroschen nicht übersteigen — ih weiß nur, daß die Gefälligkeit der Kaiserlichen Post sie zu einem Porto von 4 Silbergroschen das ganze Jahr lang viel Hundert Meilen weit durch das ganze Land fährt, so weit sie gehen wollen — die Facilität des Verkehrs, dieser App.U an den gemeinen Mann und seine gefährlihsten Instinkte, waren früher nit so leit, die ist durch unser Preßgeseß außerordentlich ge- stiegen; sie ist gleichzeitig gestiegen durch die außerordentliche Milde unseres Strafgeseßes, und wenn wir sie bis zu so {weren Verbrechen si aufschwiugen geschen haben, wie geschehen, fo trägt dazu auch nit unwesentlih bei, daß der Glaube an die VolUlstreckung. eincr er- kannten Todesstrafe ges{wunden ist, Wird der Mörder nicht hin- gerichtet, was steht ihm dann bevor? Gefängniß. Die Hoffnung bleibt ihm, daß ein gelungener Putsch seiner politischen Freunde ihn freimachen kann und ihn aus einem Sträfling zu einem Helden der Partei stempelt; es {webt ihm auch die dunkle Hoffnung auf eine Amnestie vor, daß man beim Regiecungëswechsel oder sonst eine Anzahl Menschen, über deren Unschädlich- machung man sonst froh ist, wieder auf die Gesellschaft loslassen werde. Das ist meines Erachtens eines der mächtigsten Motive, welches auf die Verwegenheit des Verbrechers einen ganz wesentlichen Einfluß hat, und ich bin Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit außerordentlich dankbar, daß wir an Hödel endlich mal ein Beispiel gelten haben, daß die Obrigkeit das Schwert noch zu handhaben verstcht. Wenn auf diese Art und Weise es nun eigentlih nit so schr
. zu verwundern ift, daß die Gefahr anges{wollen ist, wenn wir sehen,
daß der ungeheure Schwindel in den Geschäften in den ersten Jahren nach dem Kriege von einem vollständigen Verfall der Ge- schäfte gefolgt ist, und viele Leute, die eine Zeit lang einen großen Verdienst gefunden hatten, denselben nicht mehr haben, fo kann es eigentlich nicht verwundern, daß die Sache unter so exzeptionellen Verhältnissea, unter so neuen Verhältnissen, wie unsere ganze deutsche Gesetzgebung, wo so manches durch die Plôß- lichkeit unserer Vershmelzung in Verstimmung geblieben ift und wo alle mit der Regierung unzufriedenen Elemente sich in einem großen Körper vereinigen, den ih den negativen nennen will, der für jede legislative Operation der Regierung unzugänglich is, — da kann man si eigentlich nicht wundern, daß die Gefahr zu der Höhe an- ges{wollen ist, die vorliegt, und daß wir hier in Berlin zwischen 60000 und 100000 wohlorganisirte, in Vereinen gegliederte Männer haben, die sihch ofen zum Kampse gegen die bestehende Ordnung und zu dem Progamm, wie wir es kennen, be- kennen. Daß unter diesen Umständen die Gewerbsthätigkeit, der Kredit, der Mai! wung der Industrie in Berlin leiden muß, ist ganz natürlich, denn für den, der hier ein Kapital anlegen soll, oder dér èinem Anderen ein Kapital leihen foll, in der beunruhigten Phantasie eines auf Verlust vorbereiteten Eigen- thümers hat doch diese Masse, diese Organisation von 60000 bis 100 000 Menschen den Charakter einer feindlichen Armee, die in unserer Mitte lebt und-die nur noch nicht den Moment gefunden hat, wo sie über den Eigenthümer, den leichtfertigen Kapitalisten, der hier etwas anlegen will, Gericht halten kann, um ihm das wohl- erworbene Eigenthum zu entziehen oder zu beshränken oder ihm die Verfügung darüber überhaupt zu nehmen. Also die Frage der Ver- besserung unseres Verkehrêwesens, oder die Verbesserung der Lage der Arbeiter — will ih lieber sagen — und die Frage der Sozialisten, das sind zwei Bestrebungen, die sich gegen fett aus\cließen; so lange die sozialistischen Bestrebungen diese bedrohliche Höhe haben wie jeßt, wird aus Furcht vor der weiteren Entwickelung das Vertrauen und der Glaube im Innern nicht wiederkehren und deshalb wird die Ar- beitslosigkeit auch so lange, wie die Sozialdemokratie uns bedroht, mit geringen Ausnahmen anhalten. Die Arbeiter selbs Hätten es in der Gewalt, wenn sie sich von den Agitatoren losfagen, das Vertrauen früher wiederkehren zu Tassen als es bei der Haltung, die sie jeßt eingenommen haben, möglich ist. Die Furcht, die ih nicht theile, daß im Kern dcs Volkes die Ideen aus Schiliers Räubern schon vollständig von den Arbeitern aufgenommen seien, drückt auf das öffentliche Vertrauen. Um dasselbe zu heben, E ih, daß cs nothwendig ift für den Staat, die Macht der
itatoren zu brechen. Es ift ja heutzutage die Stellung eines sozia- listishen Agitators ein ausgebildeter Gewerbszweig wie jeder andere ; man wird Agitator, Volksredner, wie man früber Schmied oder ars wurde, man ergreift dieses Gewerbe und steht sich da- ei unter Umständen sehr viel besser, als wenn man bei dem ursprünglichen geblieben wäre, hat ein E und freies, viel- leiht auch angesehenes Leben in gewissen Kreisen. Aber das hindert nit, daß wir gegen die Herren, die diese Gewerbthäthigkeit ergriffen haben, uns im Stande der Nothwehr befinden, und je zeitiger wir diese Nothwehr eintreten lassen, mit desto weniger Schaden für die Freiheit der Uebrigen und für die Sicherheit und den inneren Frieden werden wir, glaube ih, damit zu Ende kommen.
Diese Gefahren sind mir nicht neu. Meine Stellung und meine Erlebnisse bringen mi dazu, gefährlihe Blätter mit mehr Aufmerk- samkeit zu lesen, als es von Seiten der meisten hier Anwesenden der
all sein mag, und wer die sozialistishe Presse in den legten Jahren ier verfolgt hat, der mußte ja doch die Gewaltthat, den Mord, den önig8smord, die Abschaffung des Königthums zwischen den Zeilen durchblicken sehen in so mancher Nummer, und so entgeistet in der Beurtheilung solcher Sachen, wie unser Strafrichter das zum Theil auffaßt, so buchstäblich ist der Leser dieser ne nicht, der hat ein feineres Verständniß wie der Strafrihter für diese Nuancen, der Ee ‘gas die Presse sagen will, wenn auch der Strafrichter das nicht zugiebt.
Mich hat die Lektüre aber doch noch nicht gerade auf die Wendung der Sache vorbereitet, die eine tief betrübende und für unser natio- nales Gefühl demüthigende if. Jch konnte niht glauben, daß ein Monar, ter mehr wie irgend ein lebender, und ich möchte wohl sogen auch ein der Vergangenheit angehöriger gethan hat mit Ein- cia tens Lebens, seiner Krone, seiner monarchischen Existenz, um die Wünsche und Be - antr e seiner Nation zu verwirklichen, der dies mit einem gewaltigen Erfolge und dabei doch ohne jede Ueber- hebung gethan hat, der dabei ein milder, volksfceundlicher Regent
eblieben ist, eine populäre Figur, wenn der von hinten mit Hafen- chrot zu E Gn wird, — ja, meine Herren, da reicht jedes andere Verbrechen ja gar nicht an dieses heran, da ist man wirklich auf jedes andere auch gefaßt. Dieser Bliy bei Nacht — doch wie bekannt, es geay ja am Tage — hat weithin die Situation beleuchtet und hat auch in den Wählerkreisen
; der nes Monarchie hinein gtlentblet, glaube ich, — ich hálte für
rih a was ein Artikel der tionalzeitung“ vor kurzem sagte, daß die Wähler aller Abgeordneten, also aud des Zentrums und der Fortschr rtei, mit alleiniger Ausnahme der Sozialdemokraten, von ihren enen erwartet haben, daß sie der Regierung gegen Beseitigung dieser Gefahr beistehen würden. habe ja darüber mit den Herren nicht zu reten, wie sie sich mit ihren Wählern auéeinanderseßen; wenn alle Parteien das Versprechen gegeben haben, so kann ich einigen wenigstens die Quittung, daß fie es erfüllt, nit ausstellen. Ih bin vielleiht auch nicht zu dieser Ausftellung be- rufen, nur i erklärc, meine Ueberzeugung sagt: was sie ihren Wählern versprochen haben, haben sie dur ihre bisherige Stellung zu dem Geseß nicht erfüllt. Ih nehme davon in der Fortschritts- partei den auen, Abg. Hänel aus, der seinerseits zum ersten Mal den Bann der P lGritepartel, den Bann der Nega- tion, den ein anderer Abgeordneter des preußiscben Landtags auf diese Partei geworfen hat, in einer erfreuliden Weise durhbrochen hat mit einem positiven Antrage, meines Erinnerns der erste Antra
von dieser Bedeutung, der je aus dem Schooße der Fortschrittsparteï gekommen ist. Aber ih frage Sie alle, die Zeitungen lesen, hat er den Anschluß seiner sonstigen politishen Freunde dabei gefunden? Ih bin dem Hrn. Abg. Hänel s{uldig, ihn nicht in die Behauptung einzuschließen, daß die Fortschrittépartei an und für fi nur einé Parlei der Negation sei, die, fo lange sie existirt, noch fkei- nen positiven Vorschlag zur Verwirklihung ihrer Theorien gemacht hat und die dadur au eine gewisse Verwandtschaft mit der \ozia- listishen Partei hat, daß sie bekämpft, was besteht, ohne day sie sagt, was sie an die Stelle seßen will, aber ih nehme den Hrn. Abg
Hânel, wie gesagt, aus.
Nun, wenn wir den Erwartungen der Wähler näher treten, fo befindet die Regierung und diejenigen,- die mit ihr gehen wollen, fh in einer L \{chwierigen parlamentarischen Lage. Das parlamentarishe System fungirt leiht und elegant; wenn nur zwei Parteien bestehen, wie es in England nur Whigs und Torys gab, so wäre nicht zweifelhaft, wie die Sache sih zu gestalten hätte. Eine hatte stcts eine Mehrheit. Es trat in England eine Zeit ein, wo, man kann wohl sagen, fünf Fraktionen bestanten, die freilih zu dem D gegen cinander, den der Deutsche aus der Assoziation zu einem
orps, auf der Universität oder in den Fraktionen im Reichstage hat, zu dem gegenseitigen Haß sih nicht aufgeschwungen haben, und die doch immer in erster Linie die Landesinteressen und erst in zweiter Linie das, was den rivalisirenden Fraktionen Ünannehmlichkeiten be- reitet, in Anschlag brachten; es gab aber damals doch keine anderen Ministerien in England wie Koalitionèministerien, die Engländer haben eingesehen, daß darunter das konstitut'onelle Prinzip leidet, und ihr gesunder Sinn hat sie wieder dahin gebracht, daß sie nur zwei Parteien von irgend einer Bedeutunz haben, ih glaube, die anderen, ‘die ich englishe Nihilisten nennen möchte, brauhe ih nichi mitzuzählen, aber sie haben zwei große Parteien, von denen jede an sich unter Umständen die Ma- jorität im Parlament hat. Wenn es bei uns eine solche Fraktion gâbe, so wäre es für den Minister , der regiert , ein Vergnügen, sich dieser Fraktion anzuschließen, ihr, wenn nicht äußerlib so doch innerlih anzugehören und mit ihr gemeinschaftlih zu arbeiten. Von diesem Ideal sind wir aber weit entfernt, wir haben jeßt etwa acht Fraktionen , von denen ih kaum zwischen zweien eine so \ympathische Vermittlung kenne, daß an eine Verschmelzung zu denken wäre ; der Deutsche hält sich streng an den Corpsgeist und hält sich geson- dert. Wir haben uns zwar der geschlossenen Firma von Fortschritt, Centrum , Polen, Welfen in allen Situationen der leßten Jahre gegenüber befunden, aber wenn die nun wirklih einmal die Majorität hätten und sollten ihrerseits eine Regierung bilden, würde die Fortschrittspartei mit dem Centrum doch nicht zusammengehen können , die Polen vielleiht mit den Welfen ? Centrum und Welfen vertragen sich wunderbar, Centrum und Sozia- Ten haben vielfa mit Eifer übereingestimmt, es ist das aber nicht blos beim Centrum der Fall gewesen, auch andere Abgeordnete haben von den Sozialisten Stimmen geworben und erhalten; auch das Centrum hat in allen Fällen mit Ausnahme von einem, immer für den Kandidaten gestimmt, von dem zu vermuthen war, daß er der Regierung der feindlichere sein werde. Wenn ich sage, mit Aus- nahme von einem, so ist’ das der Abgeordnete für Mühlhausen, für den die Wähler des Centrums gestimmt haben, aber doch erft dann, nachdem man ganz sicher war, 0 er auch ohne sie gewählt werden würde. Auch andere Kandidaten haben aber, wenn fie einige Tau- send Sozialisten in den Wahlbezirken vorfande:, die Sympathien derselben forgfältig geschont und vielleiht Versprechungen ge- eben, daß sie nicht so scharf gegen sie vorgehen würden.
ber item wir befinden uns in der traurigen Lage auf Seiten der Regierung, daß wir bei Verständigung mit dem Reichstag uns drei Siebentel des Gebiets absolut ver- \{lofsen finden. Es ist das wie beim Manöver das Terrain, was nicht betreten werden darf. Wir haben von der Fortschrittspartei, vom Centrum, wir haben von den circa 150 Abgeordneten, die fich mit diesen beiden halten, unter keinen Umständen und für keine Vorlage, die wir zu machen im Stande sind, eine Unterstüßung zu erwarten, auch für die gegenwärtige nicht, darüber sind wir voll- ftändig klar. Unsere Operationsbasis beschränkt sich auf die vier Siebentel des Reichstags, welhe durch die drei Fraktionen der Nationalliberalen und der beiden Konservativen gebildet werden. In jedem anderen Lande würde die Thatfache, daß drei Siebentel der Landeëvertretung überhaupt die Eristenzbasis, auf der sich die Regierung ohne Zerfall des Ganzen bewegen kann, negiren, würde — mit Worten gewiß nicht, meine Herren, aber mit der That, ich rechne immer mit der That — den strengsten Zusammen- \{luß der übrigen, die überhaupt die bestehenden Sustitutionen halten und vertreten wollen, zur Folge haben. Bei uns in Deutschland ift aber der Corpsgeist in der Politik derselbe, der ja auch veranlaßt, daß zwei Regimenter in einer Garnison, die aus denselben Orten refrutirt werden, gar nicht ohne Stichelreden ausrücken können, ohne im Manöver auf einander einzuhauen, blos weil sie verschiedene Farben, verschiedene Namen tragen, s{chwarzes oder weißes Lederzeug, — wer von Ihnen Soldat gewesen ist, wird das erfahren haben — feindet sich an und will dem Anderen nichts gönnen. Meine Herren, dieser Geist ist es, den wir leider alle von der Universität einiger- maßen mitbringen. Aber diese Erinnerungen voa dort dürfen fich doch nicht auf das politische Leben übertragen, und ich kann nur die Bitte an diese drei Fraktionen richten, daß die Herren nicht der Re- gierung, sondern dem Lande und ihren Landsleuten den Dienst er- weisen, sich unter einander zu ten, und daß alle Diejenigen, die überhaupt die staatlihe Entwickelung des Reichs auf der jeßigen Basis wollen, sih näher an einander anschließen und sich nur über fahlich ganz unabweisliche Differenzen, aber niemals über die Frage einer Priorität, einer Rivalität trennen.
Meine Herren! Jh kann diesen Gegenstand nicht verlassen, ohne dagegen zu remonstriren, daß mir bei Gelegenheit der Auflösung eine Tendenzpolitik Schuld gegeben worden ist, als wenn ih irgend welche Reaktion oder Systemumwandlung erstrebt hätte. Ich habe bei der Auflösung nichts erstrebt, als daß die Abgeordneten sich mit ihren Wählern über die Situation besprehen möchten, und habe ich die Hollunng gehabt, daß Sie rie — Antaeus hieß er ja wohl, dur
erührung der heimatlichen Erde gestärkt wiederkommen möchten. D eie es nit Alle gethan haben, thut mir leid, aber Tendenze politik ist mir fremd, die habe ih allenfalls getrieben, ehe ich in den Staatsdienst trat, wo ih auch ein zorniges ala e? war, aber für einen preußischen, einen deutshen Minister ist das ganz unmöglih. Ich habe bestimmte, Pole: praktische d denen ih strebe, zu denen mir mitunter die Linke, mitunter die Rechte geholfen hat, nach meinem Wunsch beide gemeinschaftlih helfen ags Abr wer diese Ziele mit mir erstrebt, — ob map. sie so- ort erreicht, oder nach Ob ere gemeinschaftlicher Arbeit ihnea näher kommt und L {ließli erreiht, darauf kommt es so schr niht an — ich gehe mit dem, der mit den Staats- und mit den Landesinteressen nach meiner Ueberzeugung geht; die Fraktion, der er angehört, ist mir vollständig gleichgültig. I habe ja angenehm €
iele, nah
Xe : Fe gerichtet sein ; - langen * ein
| Fönnen, denn i bin fest ents{chlofsen, über die loyale
angenehme Erlebnifse tit -vershiedenèn Fraktionen gehabt, und b a mi, welches auch einem jeden Manne, der Eifer für sein Geichä hat, natürliche Empfindlichkeit sein mag, wenn ich im Stich gelassen werde, bei dieser oder jener Gelegenheit, derselben vollständig ents{lagen in meinem Amte. Jh kann mi von der Menschlichkeit, empfindlich zu fein, nit lossagen; ih räume aber cin, daß ih als Minister nicht das Recht habe, empfindlich zu sein sondern ich muß den Beistand annehmen, der mir eboten wird. Von diesen drei Fraktionen also erwarte ih
¿e Annahme des Geseßes, mit welchem wir die Gefahr, vie uns droht, bekämpfen wollen, und wir hatten zu diesem Behufe eine Vorlage gemacht, die mir als eine mäßige und fogar unzulängliche ershien. Ihrer Kommission is sie zu weitgehend er- schienen. Wir werden uns über das verständigen müssen, was an- nehmbar ist. Wenn Sie die Gefahr mit uns anerkennen, Ihre Wähler au, Sie wollen aber das, was wir, die verbündeten Regierungen, zur Bekämpfung dieser Gefahr von Jhnen erbitten, nicht bewilligen, nun, so is mir das der Bewes, daß Sie nicht das vollständige Ber trauen u uns haben, um uns das Maß von, nennen wir es Diktatur, zu Lehen was wir zur erfolgreichen Bekämpfung des Uebels brauchen. Dieses Vertrauen läßt sich nit erzwingen, es läßt sih vielleicht er- werben durh_ eine sorgfältige loyale Ausführung des Ge-
(8, das Sie uns geben sollen. Mein Bestreben wird
; deshalb aber muß ich von Ihnen ver- Geseh, in dem wir uns mit der Erreichung des Zweckes echrlich und ohne gewaltthätige Eutteaung bewezen
sführung des Gesehes zu wachen. Haben Sie nicht das Vertrauen zu uns und speziell zu mir, der ih im Reich die Hauptverantwortlichkeit trage, daß dieses Gesebß seinen Intentionen gemäß ausgeführt wird, haben Sie die Befürchtung, daß wir es niht brauhen werden, um unein- gestandene Zwecke damit zu erreichen, kurz und gut, fürhten Sie sich mehr vor mir und vor der Anwendung des Geseßes, mehr vor den ver- einigten Regierungen als vor den Sozialdemokraten, ja dann, meine erren, weiß ih, was ich zu thun habe, dann muß ih Personen ö laß machen, zu denen Sie mehr Vertrauen haben oder die andere Mittel zur Bekämpfung der Gefahr anwenden wollen, als ich nach meinem politish.n Urtheile anzuwenden bereit bin. : |
Fch habe über §. 1 gesprochen, indem ih sage, daß ih Vereine, die positive Zwecke verfolgen, die eingestanden sind, deren Ziel mög- lich ist, niht bekämpfe. Wenn wir niht Brücken hätten bauen wollen, von denen wir hofften, daß sie auch von den Herren, die einen Mißbrauch von Seiten der Regierung fürchten, betreten werden würden, so würde nah meiner Ansicht der §. 1 sehr viel einfächer gefaßt werden können; er würde nah meiner Ansicht lediglich zu lauten gehabt haben: Vereine, in welchen sozialdemokratishe Tcn- denzen zu Tage treten, werden verboten. Jn der jeßigen Fassung, die ih nit bekämpfe, denn sie is die Fassung des Bundcsrathes, und wenn ih auch niht dabei gewesen bin, so füge ich mich ihr do, da ist dem hinzugefügt das Kriterium von Untergrabung oder Umsturz. Das klingt ja fast so, als ob andere nichtsozialdemo- fratishe Vereine, Welbe diesen Umsturz betreiben, dadur ein Pri- vilegium bekommen sollten, es klingt außerdem so, als wenn dicses ganze Geseß, so nothwendig und geboten, wie wir es halten, do der rihtigen Grundlage entbehrt; denn wenn ih an die Thatsache glaube, daß die Bestrebungen, welche sozialdemokratische heißen, an und für sih {on als Umsturz und Untergrabung anzu- sehen scien, so hätten wir kein Reht zu diesem Geseße in L Aus\ließlihkeit, in dieser Art von bill of attainder gegen eine be- stimmte Richtungz aber von dieser Einfachheit der Fassung hat viel- leiht die Befürchtung abgehalten, daß man nicht klar feststellen könne, wer Sozialdemokrat ist und wer nit. Welche Tondenzen find sozialdemokratish? Das ist eine Aengstlihkeit, die dem Richter- stande angehört. Jeder Laie ist nicht rovi wt welche Abgeord- neten sozialdemokratish sind, welche Zeitung sozialdemokratif ist, wer sozialdemokrati\ch gewählt hat, welcher Verein sozialdemokratish ist, wie kommt es, daß jeßt, da man dem Geseß näher tritt, ‘das Einfachste, der alien Leuten sonst verständlihe Ausdruck jeßt zweifel- haft wird, daß blau nicht mehr blau, roth nicht mehr roth ist? Kein Mensch ist darüber im Zweifel, was und wer sozial- demokratisch ist. E E
Meine Herren! Jch bemerke indeß nur beiläufig, vielleiht um eine Anknüpfung für die Zukunft zu haben; wenn Sie uns dieses Geseß nit in dem Maße geben, wie wir es brauchen, so giebt es ja darüber verschiedene Abstufungen. Die eine ist die, daß wir es cum beneficio inventarii annehmen, aber gleich dabei erklären, zur Erreichung des Zwecks, den wir erstreben, genügt es nicht, und wir werden in der Lage sein, bei dem nähsten Zusammentritt {hon Nach- tragsvorlag.n zu maden. Aber wir wollen, ich wenigstens bin jeßt von der Vollkommenheit auch der Regierungsvorlage, von der That- sache, daß sie erschöpfend sei, nicht in dein Maße überzeugt, daß ih mir {on ganz sier bin, daß dieses umfängliÞ gezimmerte Schif in dem ganz neuen Fahrwasser gleich richtig fahren wird. Ich glaube, die Erfahrung wird uns erst belehren, welche Maschinentheile uns versagen, und wir werden vielleicht genöthigt sein, Ihnen wiederum mit einer Vorlage näher zu treten zur Aufbesserung dessen, was Sie uns heute bewilligen, ih glaube, felbst dann, wenn Sie uns die ganze Regierungsvorlage bewilligt hätten, aber ganz sicher, wenn Sie davon um ein erhebliches abweichen. Es gicbt gewisse Säße in diesem Geseß, die namentlich Bezug haben auf eine Einschränkung der Freiheiten in der Frei- zügigkeit und in der Presse, die ih vorher als die Hauptmotoren der plöglihen und fruchtbaren Entwidckelung andeutete, gewisse Bedin- gungen der Einschränkungen dieser {chädlichen Einwirkung, ohne die ih das Geseß für die Regierung überhaupt für unbrauchbar halten würde. Ich beschränke diesen Anspru auf das Mäßigste und Untentbehrlichste. Mein Bestreben geht über dieses Geseß und diese Vorlage hinaus, dahin, wo möglich aus den drei Fraktionen, die überhaupt an den staatlichen Zwecken der Regierung in befreundeter Weise mitarbeiten und aus der Regierung zu-
ammen eine feste, sih gegenseitig in allen Theilen vertrauende halanx zu bilden, die im Stande ist, allen Stürmen, denen unser Reich ausgeseßt ist, wirksamen Widerstand entgegen zu seßen.
Der Abg. Dr. Hänel erklärte hierauf, er müsse den von dem Reichskanzler gegen die Fortschrittspartei erhobenen Vor- wurf, dieselbe begünstige durch ihre Sáwächung der Staats- autorität die Ausbreitung der Sozialdemokratie, zurückweisen. Der Reichskanzler habe mit Unrecht die Forischrittspartei eine Partei dexr reinen Negation genannt. Bei der Berathung der Strafgeseßnovelle habe sie eine ganze Reihe von Verbesse- rungen angestrebt und er, Redner, habe in der Kommission positive Vorschläge gemaht. Das sei auch nicht ein persönliches Durhbrechen der Parteinegation seinerseits gewesen, sondern sein Antrag sei eingebracht unter ausdrüdlicher Beistimmung seiner Fraktion, als der positive Ausdruck ihrer Erörterungen über dieses Geseß. Für seine Partei seien noch heute die Gründe gegen das Geseß maß- gebend, die er in der ersten n angeführt habe. Die Natur der Sache und die Geschäftslage des Hauses verbiete eine fonattend des Antrages im Vlenini. Auch den Kommis- sionsbe hlüssen gegenüber nehme die Fortschrittspartei aus den in erster Lesung ausgeführten Motiven eine ablehnende Saug ein, Auf dem Boden des gemeinen Rechts sei sie bereit, Abhülfe gegen Ausschreitungen zu schaffen.
. Der Abg. von Schmid (Württemberg) bemerkte, er müsse dem Vorredner gegenüber konstatiren, daß sein Antrag von seiner gesammten Partei außer dem Hause und der gelan ten fortschrittlihen Presse verurtheilt worden sei. Er müsse hervorheben, daß in weiten Kreisen des Volkes die sozial- demokratische Sesade rihtig gewürdigt werde und daß man derRegierung Mittel zur Abwehr derselben geben wolle. Dazu
gee es aber keinen anderen Weg, als den voi der Regierung egt betretenen, für welhen sie die Verantwortung über- nommen habe. Das Heutige Gesammtauftreten des Abg. Sonnemann stehe wohl einzig da in der ai des Reichs- tages, jive heutige Rede - rihte sich dur si selbst. Er (Redner) müsse dagegen Verwahrung einlegen, daß der Abg. Sonnemann das Austreten einzelner Abgeordneter in der Kommission ohne Unterschied der Partet kritisire. Au hahe er den konservativen Parteien über ihre Haltung den Text gelesen. Dieselben lehnten das ab. Nicht Uebermuth über den durch die Wahlen erlangten Machtzuwachs ließen die konservativen Parteien für dieses Geseß stimmen , sondern die Grundsäße, welche stets auf dieser Seite des Hauses befolgt worden seien. Der Abg. Sonnemann habe sonst das Deutsche Reich als freiheitsgefährlich bekämpft, heute erkenne er in dem deutschen Preßgeseß ein hohes Gut der Freiheit. In dieser großen Krise, in der sich Staat, Familie und Eigen- thum befänden, müsse man offen Farbe bekennen, und da müsse er sagen, daß die konservativen Parteien im Prinzip ganz auf dem Standpunkte der Regierungsvorlage ständen und daß sie fest auf die Loyalität der Regierung bei Ausführung des Geseßes vertrauten. Die staatserhaltenden Elemente müßten sih aber auch in diesem Hause eng zusammenshließen, und er habe bei der nationalliberalen Partei das ernste Streben erkannt, auf dem Boden der Vorlage das Richtige zu schaffen. Jm §. 1 entspreche die Regierungsvorlage besser dem Zweck, die sozialistishe Agitation zu hemmen, aber er er- kenne an, daß dieser Zweck a mit einer geringen Aenderung der Kommissionsbeschlüsse erreiht werden könne, und als erste praktische Folge des soeben von berufener Stelle erfolgten Appells an die Einigkeit der staatserhaltenden Parteien ziehe er den unter seinem Namen gestellten Antrag zurück und bitte den Antrag Ackermann anzunehmen. /
Der Abg. Brüel ist der Meinung, daß die Erklärung, welche der Abg. Frhr. von Franckenstein verlesen, vollständig au der Ansicht der Wähler entsprehe. Wenn der Herr Reichskanzler die Vorlage als Vertrauenssache darstelle, so erkläre er unum- wunden, daß er persönlih ein solhes Vertrauen nicht habe. Aber es käme auch hier niht sowohl auf das Vertrauen, als darauf an, daß in dem Geseh selbst solhe Schranken gezogen würden, daß seine illoyale Ausführung unmöglich werde. Neue Momente habe der Reichskanzler niht vorgebracht; wie Ausnahmegeseße motivirt würden, daran sei man {hon aus dem preußischen Abgeordnetenhause gewöhnt. Der Redner sil: dert den Klassenhaß, den die Vorlage hervorbringen müsse ; den voxhandenen Mißständen könne hinlänglih mit Repressivmaß- regeln begegnet werden. Die Vorschläge in dieser Beziehung müßten allerdings von der Regierung ausgehen. (Die weiteren langen Ausführungen des Redners blieben bei der Unruhe im Hause im Zusammenhange auf der Tribüne vollständig unverständlih). Der Vize - Präsident ri herr von Stauffenberg (der inzwishen das Prä- sidium übernommen) verliest darauf nah dem stenographi- schen Berichte aus der Rede des Abg. Brüel eine Stelle, worin derselbe die derzeitige Herrshast über Hannover mit der Napoleonischen Fremdherrschaft gleihstellt und fügt n daß er diese Worte, wenn er sie gehört hätte, sofort
ür unparlamentarisch erklärt haben würde.
Der Reichskanzler Fürst von Bismarck ergriff hierauf noch einmal das Wort: /
Ih habe nur zu bemerken, daß daraus, daß ih auf Aeuße- rungen des Herrn Vorredners meinerseits nichts erwidere, niht etwa ges{chlossen werden kann, daß ich nichts zu erwidern hätte, sondern ih muß konstatiren, daß ich von der ganzen Rede des Herrn Vor- redners bei seinem leisen Organ bis hierher nicht eine Silbe ver- standen habe. :
Es folgte eine Reihe persönlicher Bemerkungen :
Der Abg. Dr. Lasker bemerkte, der Abg. Sonnemann habe Worte mitgetheilt, welhe er (Abg. Lasker) zur Be- gründung seiner Stellung in der Kommission gesprochen haben solle. Er habe si für eine Unterdrückung der sozial- demokratishen Ausschreitungen auf dem Boden des gemeinen Rechts prinzipiell ausgesprochen, aber hinzugefügt, da die Re- gers nur ein Spezialgeseß wolle und deshalb sogar den
eichstag aufgelöst habe, fo sche er für den Antrag Hänel
keinen u wolle für denselben also auch gar nicht erst
stimmen, sondern in Rüdlsicht auf die politische Gesammtlage in die Prüfung der Regierungsvorlage eintreten. Das sei etwas ganz anderes, wie der Abg. Sonnemann unter Ver- dächtigung seiner Motive ihm imputirt habe.
Hierauf entgegnete der Abg. Sonnemann, er habe als Worte des Abg. Lasker, „Trübung der öffentlihen Verhält- nisse“ angeführt. Das Pae auch in anderen von ihm nicht beeinflußten Berichten gestanden. Daß er die Aeußerung in seinem Sinne interpretirt habe, tangire deren objektive Wahr- oie niht. Der Abg. von Schmid habe sich auf eine Be-
auptung des Reichskanzlers hin, zu seinem Ankläger auf-
geworfen. Der Reichskanzler habe die Verdächtigung aus- gesprochen, daß er (Abg. Sonnemann) oder die von ihm her- ausgegebene „Frankfurter Zeitung“ in Verbindung mit der französischen Ne ierung stehe. So lange der Reichskanzler dies nicht durch Thatsachen beweise, E er diese Behauptung als unrichtig bezeichnen. Daß die „Frankfurter Zeitung“ gute Jnformationen habe, dürfe man ihr /doch nicht Vorwurf machen. Jn keiner Weise habe sie Sympathien mit der Wariszr Kommune geäußert.
Hierauf erklärte der Reichskanzler: B
Der Herr Vorredner hat sich über Vorwürfe Sees „die ih ihm gar niht gemaht habe. Wir haben gewisse deutshe Sprüch- wörter, wenn \ich einer getroffen fühlt, die ih hier nicht gerade wiederholen will, aber er sagte, er hätte mir keine Vorwürfe machen wollen. Jch habe ihm jedenfalls die Vorwürfe, die er jeßt accentuirt hat, niht gemacht. (Oh! oh! links.) — Meine Herren, warten Sie doch ab, bis ich die Sache entwickle; ich berufe mich auf die steno- graphischen Berichte für das, was ih sagen werde
Einmal habe ih ihm durchaus keine Sympathien für die Kom- mune vorgeworfen, sondern ih habe eine gewisse Anerkennung dafür ausgesprochen, vaß er für die der Kommune gegenüberstehende fran- ¿ösishe Regierung vollkommen freiwillige, von jedem Interesse unabhängige, Tediglih auf Wohlwollen beruhende Spmpathien habe; die Kommune war der Gegner der französishen Regierung, Ich wi mi auf die Einzelheiten nicht einläfsen, nur gegen das, was der Herr Vorredner noch anführte, nohmals wiederholen, daß ih gesagt habe, ih habe in meinem Leben französishe Agenten in Deutschland ge- kannt, die unter dem Vorwand, einer opposttionellen Partei anzu- gehören, im Dienst der französischen Regierung standen, und das war vor 1870, vielleicht mag es auch deren noch heut geben, — das habe ih aber niht behauptet, ih habe ausdrüdlich gesagt, ih habe fie im Kriege von 1870 als solche erkannt, die als Katone der Republik palte en und mir 1870 als Kaiserliche Agenten offenbar geworden E « Darauf habe ich gesagt; auf den Herrn Vorredner kann das 6, — ich habe
zum aber
b da er Abgeordneter ist, gar keine Anwendung finden; nit gesagt, ih wütde ihm den Vorwu
wenn eé nit . Abgeordneter wäre, sondern mein luß war ganz anders; wenn der Herr Vorredner fb 1 derselben Kategorie befinden scllte, so ¿f die Frankfurter Wähler- {aft ja viel zu flug, um das nicht auf den ersten Blick zu erken- nen, und dann hätte sie ihn nicht gewählt. So wär iein Argu- mént gemeint. Also ich hatte den Vorredner vollständig ex- kulpirt. Wenn dann der Herr Vorredner mit dem qui s'excus0 s’accuse die Sache wieder aufgenommen hat, so bedauere ich das, aber ich berufe mich auf den stenographischen Bericht, ich habe ausdrücklich gesagt: bei den Abgeordneten ift das nicht mögli, weil ih den Wähler, und namentlich den Fraakfurter — das sind ja ganz feine, gescheute Leute — für viel zu klug halte, um e‘“chech fran- zösishen Agenten zu wählen, also ist es niht mögli, daß der Herr Abgeordnete in diefe Kategorie fällt, Jch meine also, vollständiger kann man den Verdacht nicht abwehren, als hätte ich mit den Leuten, die ih vor 1870 kennen gelernt habe, und dem Herrn Redner irgend welche Analogie machen wollen. Jch habe nur angeführt, daß das Journal des Herrn Redners ganz ausgezeihnet unterrichtet ift, es ‘hat manchmal früher, als ich durch diplomatische Berichte, die Intentionen der französischen Regierung erkannt, das ist eine Geschicklihkeit da ZeitungSsredactcurs, die sehr beneidenswerth ist, und die ic) jedem An4 deren, der mir in anderen Sachen sympathischer ift, auch wünschen möÿte; aber den Vorwurf, gegen den der Herr Vorredner si ent-- \chuldigt und behauptet, er widerstreite das, den habe ih ihm nit gemacht. (Ruf: Zur Sache!) "Meine Herren, die Sie mich „zur Sache“ rufen, dazu haben Sie in keiner Weife das Recht, ih nehme hier das Wort kraft der Erlaubniß des Präsèdenten und des ver- fassungsmäßigen Rechts. Ich bitte den Herrn, der mir zur Sache“ zugerufen hat, sich zu nennen, damit er seine Gründe anführt. Jch bitte den Herrn Präsidenten, mich zu {hüßen, ih bin nicht von der Sache abgewichen, wie der Herr Vorredner.
Damit war die Diskussion wieder eröffnet; ein Ver- tazungsantrag wurde abgelehnt.
_ Zur Sache erhielt der Abg. Sonnemann das Wort und führte aus, daß die „Frankfurter Zeitung“ und ihre Mitarbeiter oder er selbst nie in Verbindung mit einer frem- den Regierung gestanden hätten.
Ein Vertagungsantrag wurde hierauf angenommen, und nah kurzen persönlichen Bemerkungen der Abgg. von Kar- dors und von Schmid gegen den Abg. Sonnemann die Sißung um 41/2 Uhr geschlossen.
— 0 der heutigen (9.) Sitzung des Reichstages, welcher der Staats-Minister Hofmann, der Staats-Minijtcr Graf zu Eulenburg und mehrere andere Bevollmächtigte zum Bundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten, seßte das Haus die zweite Berathung des Gesetzentwurfs gegen die gemeingefährlihen Bestrebungen der Sozialdemokratie mit der Diskussion des §. 1 fort. Zu- nächst erhielt der Abg. Hasselmann das Wort. Derselbe age als die Wirkung der jeßigen Vorlage voraus, daß die bis jeßt friedlihe Agitation in einen blutigen Kampf ausarten werde. Die Sozialdemokratie scheue den ihr aufgezwungenen Kampf nicht, sie werde denselben siegreich bestehen. Es sei der §. 1 durchaus unnöthig, da der Umsturz der Grundlagen des heutigen Staates schon durch den BoGverrathMa area des Strafgeseßbuches getroffen werde. Fürst Bismarck felbst stehe auf dem Boden eines allerdings gouvernementalen So- zialismus, indem er sih für Ee bei Produktiv- assoziationen erklärt habe. Freilich habe der Reichskanzler die leßten Ziele Lassalle's nicht begriffen, wenn er behaupte, derselbe sei ein Monarchist gewesen. Der edner entwictelte sodann in längerer Ausführung die angeblih friedlichen Ziele der Jnternationale, welhe in wohlthuendem Gegensaße stehe zu der Politik, die Fürst Bismarck befolge. Der Sozialismus wolle in Wahrheit Familie und Eigenthum schüßen, die von der heutigen Gesellschaftsordnung angetastet seien. Der Redner suchte sodann theoretisch und historish das sozialistishe Programm zu entwickeln und hatte beim Schlusse des Blattes noch das Wort.
— Aus Kopenhagen sind hierselbst die Herren Ober- Postmeister Petersen und Ministerial-Rath Nörgaard ein- getroffen, behufs Besprehungen mit dem General-Postmeister in Betreff der Herstellung einer beschleunigten Post- dampfschiffsroute zwischen Deutschland und Däne mark bezw. Shweden auf dem Wege über Rosto ck.
— Die Fortführung der Staatseisenbahnbauten, f welche dur besondere Geseße Kredite bewilligt worden ind, hat in dem dritten Quartal des laufenden Jahres, wie s mitgetheilt wird, die Summe von 40 500 000 6 er- ordert.
— Mittelst Allerhöchster Kabinets-Ordre vom 17. d. M. ist bestimmt worden, daß zum 1. April künftigen Jahres die 1. Compagnie Ostpreußischen Fuß - Artillerie - Regi- ments Nr. 1 von Pillau nah Danzig und eine andere, dem- nächst von Zeit zu Zeit abzulösende Compagnie des 1. Ba- taillons desselben Regiments von Danzig nah Memel bis auf Weiteres zu verlegen ist.
— Durch die Bestimmung im §. 101 des preußischen All- gemeinen Berggesezes vom 24. Juni 1865: „Die Kuxe haben die Eigenschaft der beweglihen Sachen“ ist, wie das Reihs-Oberhandelsgericht, I. Senat, in einem Erkennt- niß vom 21. Juni 1878 ausführt, das legislative Bemühen für „Mobilisirung der Kuxe“ zum Abshluß gebracht. „Die Kuxe sind nah diesem Geseße niht — gleih den Kuxen des alten Rehts — Antheile an dem immobilen Bergwerk, sondern ideelle Antheile an dem gesammten Gewerkschaftsvermögen oder — den Aktien O r decbalt burbuesch und diese Mo- bilisirung ist wesentlih auch deshalb durhgeseßt, um im Fnter- esse des Bergbaues die Kuxe — wiederum den Aktien ähnlih — für den merkantilen Umsaß zu befähigen“.
— Der General-Lieutenant Graf von Brandenburg Il, General-Adjutant Sr. Majestät des Kaisers und Königs und Commandeur der Garde-Kavallerie-Division, hat sich mit Urlaub nah Schlesien begeben.
(Fortsezung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)
Aus dem Wolffschen Telegraphen-Bureau.
Cassel, Donnerstag, 10. Oktobér. Dec General-Feld- marschall Graf von Moltke hat gestern zum ersten Male das Zimmer verlassen und einen Spaziergang ita Garten gemacht.
Madrid, Doanerstag, 10. Oktober. Fn der Nähe von Tetuan is ein Heamter des spanischen - Konsulats, der von den europäishe« Konsulaten zum int”enationalen Delegirten für die Erricztung eines Lazareths estellt worden war, von Marokkanecn ermordet worden. - ‘Die spanische Regierung hat von dex marokkanischen GenuU-thuung verlangt.