1879 / 44 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 20 Feb 1879 18:00:01 GMT) scan diff

unerträglihen Zustande ein Ende zu machen. Es sei seine Absicht, die Sache möglichst objektiv zu behandeln, und bitte er das Haus, den Antrag ad 1. einstimmig, den ad 2. mit möglihsi großer Mehrheit anzunehmen, damit die großen und zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen der Reichstag diesmal zu kämpfen habe, nicht noch erschwert würden. Die politische Lage sei ohnehin shwer genug.

ierauf nahm der Bevollmächtigte zum Bundesrath Justiz-

Minister Dr. Leonhardt das Wort. S

Meine Herren! Gestatten Sie mir, daß id mich über diese Angelegenheit in aller Kürze und in beschränkter Richtung ausspreche. Die Rechtsfrage, welche von dem Hrn. Abg. Lasker erörtert worden ist, berühre ih nicht, dieselbe kommt bier gar nit in Betracht; über sie haben die Gerihte zu ents&eiden, und nur die Gerichte. Ih Fade mi auc nit aus über die Bedeutung und Wirksamkeit der

esolution; was ich in dieser Beziehung bemerken könnte, kann Sedermann \ich selbst sagen. Ich beschränk: mich auf das Folgende:

Der Staatsanwalt des Königlichen Stadtgerichts Berlin hat, um einer verfassungsmäßigen Vorschrift zu genügen, an den Reich8- tag den Antrag gestellt, derselbe wolle genehmigen, daß gegen zwei Mitglieder des Reichétags eine strafrechtlihe Verfolgung eintrete. Wenn der Staat8anwalt daneben noch eventuell die Genehmigung zur Verhaftung beantragt hat, so hat er meiner Ansicht nua damit etwas Uanöthbiges gethan; denn ih nehme an, daß in der Genehmi- gung eines ftrafrechtlichen Verfahrens jede einzelne strafrechtliche

rozedur inbegriffen ift, in Sonderheit die Verhaftung. Wenn im rt. 31 der Verfafsungsurkande neben der Genehmigung zur Ein- [eitung eines Strafverfahrens auch von der Genehmigung der Ver- haftung gesprochen wird, so Hat diese Vorschrift ihre gute Bedeutung für den Fall, daß die strafrechtlihe Verfolgung eingeleitet ist vor Beginn der Sitzungen des Reichstags, im Laufe derselben aber eine Verhaftung folgen soll. Ih nehme an, daß der Staats- anwalt, wenn er verfuhr, wie geshehen, einen Beweis von Voersidt und Loyalität gegeben hat. Meine Herren, der Antrag des Staat3anwalts bezweckt nicht die Gewährung Hesonderer Befugnisse, sei es für die Staatsanwaltschaft, sei es für das Gericht. Der Antrag des Staatsanwalts zielt lediglid und allein dahin ab, die Möglichkeit zu eröffnen, gegen die beiden Herren Abgeordneten zu prozediren, die Möglichkeit, die Sache zur richterlichen Kognition zu bringen und auf Grund der Kognition den Spruch der Gerichte her- beizufübren. Wenn Sie Ihre Genehmigung ertheilen zur Einleitung der Untersuchung, so folgt daraus für die Durhführung des Ver- fahrens nichts; wenn Sie die Genehmigung ertheilen zur Verhaftung, fo folgt daraus gar nit, daß die beiden Herren verhaftet werden ollen. (Lachen links und im Centrum.) Meine Herren, ist Ihnen as zweifelhaft, so vergleiden Sie mit meinen Worten doch den SFnhalt des Autrages des Staatsanwalts! Es folgt daraus nur die Möglichkeit, daß der Staatsanwalt die Verhaftung bei den Ge- rihten beantragen fann unter bestimmten Vorausseßungen. Für diese Vorauéseßzungen folgt aus der Genehmigung nichts, und es steht bei dem Éerichte, den Antrag auf Verhaftung abzulehnen oder zu genehmigen. 5 /

Es steht in Ihrem freien ungebundenen Ermessen, ob Sie den Antrag des Staatsanwalts annehmen wollen oder nicht. Sie be- \chließen frei, Sie beschließen sogar souverän. Es wird Jhnen von der Staat2anwaltschaft, gesckweige denn von anderen Behörden, nihts angesonnen, was bedenklih ersheinen könnte. Es ift ganz fehl- sam oder ih sage rihtiger, es würde ganz fehlsam sein, wenn man annähme, daß der preußische Justiz-Minister und der Reich2- kanzler durch die Thätigkeit, welhe sie bei dieser Gelegenheit ent- faltet haben, den Antrag zu dem ihrigen gemacht oder au nur unterstüzt Lkätten. Diese Thätigkeit i eine rein ge- \chäftlihe gewesen, eine vermitteinde, sachlich eine ueutrale. Daraus, daß sie die Vermittelung übernommen haben, Fönnen Sie weder für noch gegen den Antrag des Staat8anwalts irgend welhe Schlüsse ziehen. In diesem wie in anderen F [len, welche in dieser Richtung vorgekommen sind, enthält der preußische Justiz-Minister wie der Reichskanzler \sih jeder sachlihen Prüfung, und ¿r muß das auch thun.

Meine Herren! Der Staattanwalt ist das berufene staatliche Draan für die Recbtsverfolgung in Strafsachen. Wenn der Staat!s- anwalt na sorgfältiger Prüfung der Sacbe dafüc hält, daß ein Fall ftrafre{chtlich zu verfolgen sei, so ist es sein Ret und zugleich seine dienstliche Pflicht, dies zu tbun, und wenn der Staatëanwalt dafür bält, taß dieses Verfahren sofort einzutreten habe und wenn er darin f gehindert sieht durch eine v:rfafsungsmäßige Vorschrift, diese versassungsmäßige Vorschrift ihm aber den Weg weist, den er gehen soll, um seine Intentionen zu erfüllen, so ift es sein Recht und seine dienftlihe Pflicht, diesen Weg zu betreten.

Der §8. 31 der Verfassung giebt den Reichêtagéabgeórdneten ein wichtiges Privilegium, aber daneben giebt er au den betbeiligten Behörden des Landes die Befugniß, den Reichstag anzugzhen, um eine Auênahme von diesem Privilegium eintreten zu laffen. Der Staat8anwalt handelte also recht- und verfassungsmäßig, seinem Recht und seinen Pflichten getreu, wenn er den Weg einshluz, den er für erforderlich erachtete. Zu diesem Zwecke muß er sich an den preußi- schen Justiz-Minister wenden, seine Vermittelung in Anspruch neh- men. Geschäftémäßig mußte der preußishe Justiz-Minister den Reichskanzler angehen. Diese Vermittelung können weder Justiz- Minister noch Reichskanzler versagen, jedeafalls nur unter be- sonderen Vorauéseßungen, wie vielleiht, wenn eine Ver- fafsungswidrigkeit vorliegt; au das will ich dahin- gestellt sein lassen. Aus dem einfahen Grunde können Sie das Gegentheil niht annehmen, weil Sie damit dem Reichsfanzler oder dem Justiz-Minister das Recht in die Hand legten, die Rebtspflege des Landes zu bemmen. Ich weiß niht, wie in diesem Saal die Ansichten des Hrn. Abg. Lasker haben Beifall finden kênnen, in diejem Saale, dessen Wände noch wiederhallen von den lebhaften Erörterungen über die Stellung der Staatsanwaltschaft, ihre Ab- hängigkeit vom Justiz-Minister. Wer solche Ansichten vertheidigt in der Theorie, in der Doktrin, der sollte sie auch anwenden auf den einzelnen Fall.

Der Hr. Abg. Lasker hat im Eingange sein.r Rede ein neues Ret schaffen wollen, indem er Bemerkungen machte, die Allem widerstreiten, was biélang über zehn Jahre hin- ans Nechtens gewesen ist und übliGz. Er behauptete, der Reichstag hakte es nicht zu thun mit einem Antrage des Staats- anwalts, sondern mit einem Antrage der Regierung. Davon kann gar feine Rede sein nah dem, was ih hervorgehoben hate. Dann wäre ja die Strafrechtspflege des Landes, wenngleich nur in be- schränkter Weise, in die Hände des preußischen Justiz-Minisiers und des Reichékanzlers gelegt. (Zucuf links: Gewiß.) Wie kann man scl%e Ansichten, folhe Behauptungen aussprechen !

Und dann, Sie haben ja ähnliche Anträge der Staat8anwälte in großer Zahl entgegengenommen, und in allen diesen Fällen ist stets davon au®2gegangen, daß die Juftiz-Minister und der Reicht- fan;ler ledigli und allein die Anträge vermitteln. Vie hat auch der Reichskanzler hier im Hause, soviel ih weiß, sich tarüber geäußert, ob ein solher Antrag gerechtfertigt sei oder nit, sondern die que Das kann

antwortung dieser Frage immer dem Haufe überlaffen.

i auch thun.

Demnächst ergriff der Staatssekretär im Reichs-Fustiz-Amt

Dr. grie das Wort eine Herren !

zeigt, daß Sie den hier vorliegenden Fa

Hauses eine

Die abweichende Behandlung, welche dem An- trage des Herrn Rei#kanzlers vom 17. graue zu Theil geworden,

als einen in vielen Be- ziehungen abweichenden ven denjenigen Anträgen erachten, welche bis- ber das hohe Haus ähnlich beshäftigt haben. Es sind ja son sonft fehr häufig an Sie Anträge gebraht worden,, in denen Sie befragt wurden, ob Sie es genehmigten, daß gegen ein Mitglied dieses ohen erihtlihe Prozedur entweder eing-:leitet werden solle,

brau beobachtet worden, daß Sie vielleicht die Frage selbft zuvor an die Geshäft8ordnungskemmission verwiesen haben, niemals aber find Sie in die merita causae eingegangen, sondern Sie haben ein- a einen Beschluß dahin gefaßt : wir ertheilen die Genehmigung, oder, was ja allerdings die Regel war, wir ertheilen die Genehmigung nit. In einem Falle ift sogar die Frage, wie das hohe Haus sich zu der- artigen Anträgen staatêrechtlic zu stellen habe, ganz ex profess0 hier verhandelt und entschieden worden und ih darf wohl auf jenen Fall etwas ausführlicher zurüdckfommen.

Es war nâmlich im Jahre 1876 ein Antrag gestellt worden, eines Ihrer Herren Mitglieder, den damaligen Abg. Gaupp, wegen verleumderisher Beleidigung eines Oberstaatsanwaltes zu verfolgen, und Sie wurden gefragt, F Sie zu dieser Verfolgung die Genehmi- gurg ertheilen wollten. Der Antrag wurde in die Geschäftsordnung8- kommission verwiesen, und die Geschäftsordnungskemmission erstattete ihren Antrag dahin:

Der Reichstag wolle beschließen :

Die Genehmigung zur strafre{tlißen Verfolgung des Abg. Gaupp während der gegenwärtigen Sißungépericde und während ric agi dec Iustizkommission des Reichêtags nicht zu er-

eilen.

Dieser Antrag kam auf die Tagesordnung des Hauses, und einer der Herren Abgeordneten, der Abg. Völk, sah si veranlaßt, in die Sache selbst einzugehen, und wollte entwickeln, weéhalb die Behaup- tung, daß der Abg. Gaupp sich einer verleumderishen Beleidigung \{uldig gematt babe, eine virtuell unrihtige sei. s Als er mit dieser Ausführung kam, erwiderte ihm der Hr. Prä- sident des Hauses wörtlih: E

Ich muß den Herrn Abgeordnetcn unterbrechen. Es ist stets Sitte des Hauses gewesen, bei derartigen Anträgen das materielle der Sache dur keine Diskussion und Beschlüsse zu präjudiziren, sondern si streng an die geshäft8crdnungsmäßige Frage zu halten, wie fie von Seiten der Kommission çeftellt und beantwortet wor- den ift.

Der Hr. Abg. Völk, der ja ein nabeliegendes Interesse daran batte, die behauptete Verleumdung von einem Kollegen im Hause abzuwenden, wollte sich diesem Au€ëspruce des Herrn Präsidenten es war damals Präsident Hr. Hänel nicht ohne Weiteres fügen, suchte vielmehr in seiner Rede fortzufahren, und da erklärte der Referent der Geschäftsordnungekommission , der Hr. Abg. Kloß:

„Meine Hecren! Ich erahte, daß der Herr Präsident das

Richtige au8gesprochen kat, was bisher der Brauch des Hauses ge- wesen is. Würden wir in eine materielle Würdigung des An- trages selbst eintreten, so glaube ich, würden wir dem künftigen Ricbtersprub präjudiziren und würden hier ents{heiden, ohne beide Theile gehört zu haben. S : Darauf wurde der Antrag auf gerihtlihe Verfolgung durch einfache Abstimmung abgelehnt. Nun will i mit dem Hrn. Abg. Lasker gern anerkennen, daß der vorliegende Fall allerdings von einer höheren Bedeutung ist, als der damals hier -verhandelte, und ih finde es daber ganz begreif- lid, daß derselbe als ein s{wieriger die allgemeine Auf- merksamkeit und die Verschiedenheit in den Meinungen des hohen Haufes in höherem Grade als gewöhnli bervorrufen muß. Eins aber muß ich von dem Antrage, der dur den Herrn Reichskanzler und ¡da der Antrag eben dur die Reichs- regierung an Sie gekommen ift, so glaube ic, daraus meine Legiti- mation, in der Sache selbs das Wort zu ergreifen, herleiten zu können einen Vorwurf, sage ich, muß ich von dem Antrage des Reichskanzlers absolut ablehnen, als ob rämlich mit demselben irgendwie der Versu hätte gemacht werden sollen, in die Privile- gien, und i darf hinzufügen, fast souveränen Privilegien dieses Hauses von Seiten der Regierung einzugreifen. Es sollte dur die- sen Antrag nichts weiter bewirkt werden, als damit dem hoben Hause selbst die Möglichkeit. zu geben, darüber zu befinden, ob Sie den Antrag für derartig gê@chtfertiat erachten, daß Sie alaubtén, demselben Folge geben zu dürfen. Hätte die preußische Regierunz, die bei dieser Frage in erster Linie betheiligt war, oder Hätte die Reich8regierung irgendwie meinen mögen, hier liege ein Fall vor, der {ih gut zu einer politischen Aktion eigne, dann würde ih glau- ben, daß andere Mittel hätten in Bewegung geseßt werden können, als das jeßt angewandte. Denn fo gut, wie man deduziren kann, die Gerichte könn:n auf Grund des §. 28 des Geseßes vom 21. Of- tober v. J. einen Abgeordneten, der unter diesem Geseße fleht, der auf Grund dieses Gesetzes ausgewiesen is, so gut bâtte teduzirt werden können: ein fsolher Abgeordneter könne von der Theilnahme an den Verhandlungen in diesem Hause auf administra- tivem Wege fern gebalten werden. Hätte die Regierung diesen administrativen Weg einges{lagen, dann würde man vielleicht darüber Klage haben führen können, daß man via facti in das Pri- vilegium dieses Hauses eingegriffen habe! Davon ift aber die be- treffende Regierung des Landes, die preußisce, entfernt geblieben ; dazu hat au die Reichéregierung nit rathen mögen, vielmehr hat diese nihts anderes gethan, als daß sie einen Schritt, den die be- theiligte, preußische, Regierung nach den {weren Erfahrungen des vorigen Jahres für nöthig gehalten hat, damit auß der Möglichkeit des Vorwurfs entgegengetreten werde, sie habe nit Alles gethan, was das Gese ihr an Mitteln an die Hand giebt, um ähnlichen unbeilvollen Ereignissen vorzubeugen, wie wir sie erlebt, und sie habe dur diese Säumniß mögliher Weise beirrend auf das Rechtébewufßitsein gewirkt, indem sie eine Person, die nun mal unter dem Bann dieses Gesezes steht und die auf Grund dieses Bannes von der Residenz ausgeschlossen ist sie babe eine solche Person zugelassen, indem sie nit streng genug in der Auffassung des Geseßes gewesen sei. Wenn sih dem- näht abermals unglücklihe Ereignisse die Gott verhüten möge! begeben sollten, dann follte man ihr wenigstens nicht den Vorwurf machen können, der früher wohl gemaht worden ift: warum habt Ihr nicht alles gethan, um derartiges, so viel an Euch war, zu vcrhüten?! Meine Herren, wie auch Ihr Beschluß ausfallen wird, die betreffende Landesregierung und mit ihr die Reichéregierung wird in vem Augenblick, wenn ih den Ausdruck ge- brauchen darf, von der Verantwortlibkeit desaisirt sein, man wird niht davon sprechen können, als ob sie nicht diligent, nit vorsichtig genug in der Handhabung des Gesetzes vom 20. Oktober v. J. ge- wesen sei. Jch wiederhole aber, meine Herren, zum S{luß, was ih zum Beginn ausgesprochen habe: der Gedanke, in die Privilegien dieses Hauses mit dem gestellten Antrage nider Frißsche irgendwie einen Einbruh zu versuhea, ist allen damit befaßten Theilen, der preußishen Regierung, wie der Reichsregierung, der preußischen Regierung, indem sie den Antrag der zuständigen Fustizbehörde an den Reichskanzler übermittelte, der Reichskanzler, indem er diesen ihm übermittelten Antrag Ihnen zugzhen ließ von dem Gedanken eines Privilegienbruhs sind beide Theile dabei absolut fern gewesen.

Der Abg. Dr. von Schwarze bemerkte, er und seine politischen Freunde seien mit dem ersten Theil des Antrages Ricert einverstanden, könnten dagegen dem zweiten Theile nicht bei- treten ; seine Partei vertrete eben den Standpunkt, daß sie eine Diskussion über die materielle Frage völlig von der Dis- fussion ausgeschlofen sehen wolle. Er sei der Anficht, daß keineswegs ein Regierungsakt von politisher Bedeutung vor- liege, es handle fich vielmehr um die geschäftliche Be- Es eines geschäftlichen Antrages; dieser Antxag sei vom Hause nur ebenso zu behandeln, wie alle ana- logen, die vorher an dasselbe herangetreten wären. Ganz falt und ruhig stehe seine Partei den Anträgen gegenüber. Was die Nr. 2 des Antrages anlange, so sei er überrascht, daß die Mehrzahl - der Unterzeihner solche seien, die gegen den §. W und gegen das ganze Gese gestimmt hätten, es sei

die staatsanwaltlihen Erwägungen stehe nur dem Gerichtshof die Entscheidung zu, dieser Bade auch alle eirs{hlägigen fstaats- rechtlihen Fragen in Betracht zu ziehen. Seine Partei wolle dem Gerichte keine Direktive geben, wie es entscheiden solle, und das bezwecke eigentlich der Pafsus 2. des Antrages, wel- cen Redner darum abzulehnen bitte. Der Abg. Reichensperger (Olpe) betonte, es handle sih bei dieser Frage nicht um das Sozialistengeseß, sondern um das Recht, das Privilegium des ganzen Reichstages und jedes seiner Mitglieder. Ein Eingehen auf den Antrag der Re- gierung würde nihts anderes bedeuten, als die Stellung des ganzen Reichstages unter Polizeiaufsiht. Es würde dann auf Grund des Kommunistengeseßes jedes Reichstagsmitglied ver- haftet werden können! Der ganze Verlauf der Dinge zeige Übrigens, daß sowohl der Staatsanwalt Tessendorff als auch der Justiz-Minister an der Richtigkeit des Verfahrens und der Doktrin erhebliche Zweifel hegten; sonst hätte der leßtere ohne Weiteres den Staatsanwalt zum Einschreiten vermocht. Art. 31 der Verfassung besage ja ausdrüdli, daß auch Abgeordnete, wenn fie in flagranti ergriffen würden, sofort fistirt werden jollen ! Durtschlagend für den zweiten Theil der Resolution sei die Frage, was bedeute die Ausweisung auf Grund des Sozialisten- gesezes? Sie bedeute weiter nichts, als die Aberkennung des Rechts, sih an gewissen Orten aufzuhalten, sie könne aber niht bedeuten , daß ein so Ausgewiesener niht mehr ver- pflihtet sein solle, dem Geseße Folge zu leisten. Solle er nicht mehr als Zeuge nach dem Ausweisungsorte kommen dürfen ? egen dürfen aber nah der Prozeßordnuna nicht fommissarisch vernommen werden; oder solle gegen ihn als Angeklagten in contumaciam verfahren werden? Welchen Werth würde die Militärbehörde einer folhen Ausweisung beimessen ? Man sage, der Reichstag werde en bloc einberufen dur den „Staats-Anzeiger“ , während das Herrenhaus per- sonaliter eingeladen werde. Aber wegen dieses Unterschiedes der Coutoisie könne man do keine Argumentation herleiten auf den Unterschied des Rechtsstandpunktes. Eine authentische Oen des Kommunistengeseßes solle ja, wie der Abg. asfer bereits anerkannt habe, keineswegs durch diese Reso- [lution gegeben werden; gerade deshalb werde eben die An- nahme desselben heilsam sein.

Der Abg. von Helldorff ‘bemerkte, er wolle kurz den Standpunkt feiner Partei zu dieser Frage mittheilen. Bisher habe der Reichstag immer die Praxis befolgt, seine Ein- willigung zur strafrehtlihen Verfolgung von Reichstagsmit- gliedern nit zu ertheilen. Jn dem vorliegenden Falle seien aber über die Strafbarkeit der Handlung des Abg. Frißsche Zweifel entstanden, und werde die deutshkonservative Partei deshalb für den ersten Punkt des Antrages Rickert stimmen. Der Antrag Rickert in seinem zweiten Theil dagegen be- zwede eine Deklaration des §. 28 des Sozialistengeseßes. Der Reichstag allein sei zu einer solhen niht berufen. Zu einer folhen Erklärung aber, welche lediglich den Charakter eines Protestes annehmen würde, liege ein sahliher Anlaß niht vor. Deshalb werde feine Partei gegen den zwciten Theil des Antrages des Abg. Rickert stimmen.

Der Abg. Dr. Hänel erklärte, wenn man morgen im „Reichs - Anzeiger“ die Reden unserer drei großen Juristen, des preußischen und des deutshen Justiz-Ministers, sowie des Abg. von Schwarze lesen werde, werde man kaum eine Ahnung von dem haben, um was es sich hier gehandelt habe. Jm großen Publikum werde man eher auf den Gedanken kommen, als sei ein geringfügiges Kriminalverbrehen begangen so wenig hätten die drei Herren den Kernpunkt der ganzen Frage berührt, so wenig hätten sie von der Frage des Privilegiums des Reichstags als Körperschaft ein Wörtchen verloren. Der preußische Justiz-Minister hätte erkennen müssen, daß hier die öffentlihen Rechte des Deutschen Reichs zu wahren seien, daß es sich hier um die staatsrehtlihe Stellung des oveutschen Reichstages handle, und dann wäre es seine Pflicht gewesen, auch materiell zu prüfen, ob der Antrag des Staatsanwalts eine Schädigung der Reczte des Reichstages in si trage. Auch für den Chef des Reichs-Justizamts hätte es nahe ge- legen, zu bedenken, daß die vorliegende Frage den Reichstag als Korporation, als legislativen Faktor angehe. Der Vorwurf, daß seine Partei selbst es seiner Zeit vershuldet habe, daß die jeßige Auslegung beliebt worden sei, müsse voll und ganz zurückgewiesen werden; Niemand von seiner Partei habe eine jolhe Jnterpretation für möglich gehalten. Es sei doch ret eigenthümlich, daß ein so gewiegter Jurist, wie der Abg. von Schwarze, es für mögli halten könne, für den Antrag 1 und gegen den Antrag 2 zu stimmen; es fei das ein vollkom- mener Widerspru. Die unerhörte Lage, in die der Erlaß des Polizei-Präsidiums den Reichstag gebracht habe, hätte schon von dem preußishen Justiz-Minister erwogen und durch ent- sprehende Weisung an den Staatsanwalt beseitigt werden fönnen. Statt dessen dieser Angriff auf die Würde des deut- schen Parlaments! Statt dessen die Erkenntniß, daß die Ber- liner Behörden dem Reichstage nicht die gebührende Achtung widmeten! Das englische Parlament würde die Urheber solcher Schritte vor seine Barre laden und möglicherweise mit Ge- fängniß bestrafen! Er wünsche dur eine Erklärung des Hauses die von der Staatsanwaltschaft dem §. 28 des Gesetzes gegebene Auslegung zurückzuweisen und bitte deshalb das Haus, die beiden Punkte des Antrages Rickert anzunehmen.

Der Atg. Dr. Gneist führte aus, er habe die Ueber- zeugung, daß die Gerichte, welche diese Frage zu entscheiden haben würden, sie nah dem Zusammenhange mit den staats- rechtlihen Normen, nit blos auf Grund des einen Geseßes entsheiden würden. Er könne sih aber niht überzeugen, daß das Verhalten der beiden Justiz-Minister der Sachlage ent- sprähe, es hätte ihnen die Tragweite dieser Vorlage doch faum enfgehen dürfen. Die Vorlage stelle den Reichstag vor die Alternative, entweder „ja“ zu sagen und Tamit anzu- erkennen, daß die Lokal- und Bezirks-Polizeibehörden einen Abgeordneten an der Theilnahme der Sißungen ver- hindern fönnen, oder die Erlaubniß zur Verhaftung

zu verweigern und sich damit schuldig zu machen, ein fort- geseßtes Vergehen zu befördern und sih zum Theilnehmer an demselben zu machen. Der Reichstag und fein Parlament könne si in diesem Fall einer Entscheidung entziehen. Solche Dinge könne man wohl, wenn es fsich um individuelle Rehts- fragen handele, der Entscheidung der Gerichte überlassen, aber niht, wenn es sich um die LeSen ade gen eines Parla- mentes handele. Man könne auch nit die Regel anwenden, daß das Spezialgeseß dem generellen vorgehe, denn es handele sih nit un: eine kriminalistish-technishe Frage, sondern um eine Frage ver Kompetenz. Das Sozialistengeseß sei feine Vorschrist für den Abg. Frißsche, sondern ein Polizcigeseß,

oder ob einer dürfe? Stets ift bei

eits On Projedur Forigang gegeben werden erartigen Anträgen der ftaatérechtliche Ge-

doch cigenthümlid, daß diese Minorität die Jntentionen der Majorität besser zu kennen behaupten als seine Partei, Uebex

welches den Polizeibehörden gewisse Befugnisse beilege. Behörden, welhe auf Grund dieses Geseßes Verfügungen

erlassen, repräsentiren niht die Autorität des Geseßes, sondern nur ihre eigene Autorität. Solche Verfügungen treten häufig in Widerspruch unter einander, und hier gelte unbedingt der Grundsaß, daß die höhere Kompetenz der niedrigeren derogire. Die höhste Autorität des Deutschen Reiches, der Kaiser, berufe die Abgeordneten, ihre öffentlichen Funktionen zu erfüllen im höchsten Rathe der Krone und gegen diese höchste Ordre solle eine Contreordre erlassen wer- den können von dem Chef einer Bezirks- oder Ortspolizei ! Was würde aus den Parlamenten der Welt geworden sein, wenn sie niht den Muth gehabt hätten, solchen Versuchen der Lokalpolizei mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Ein Parlament könne in einem Falle wie dem vor- liegenden niemals die Genehmigung zur strafrect- lihen Verfolgung ertheilen. Für ihn (den Redner) sei es aber das Dringendste, nicht nur diese Genehmigung zu ver- sagen, sondern noch ein ernstes Wörtchen hinzuzufügen, um zu zeigen, daß es sich nicht blos um eine harmlose Frage andele, sondern um eine für die Würde des Hauses ent- cheidende Frage. Es sei das erste Mal, daß er das Wort: „Würde des Hauscs“ hier aussprehe; aber wenn jemals ein Bedürfniß dazu vorhanden gewesen, so sei es heute der Fall. Seiner Meinung nach hätte die Regierung diefe Vorlage aus Achtung für das Haus gar nicht einbringen sollen ; wenn das Haus aber die Nr. 2 annehme, so sei das das Mindeste, was es thun könne. Der Versuch, dem deutschen Parlamente dur Verfügungen der Berliner Polizei beizukommen, müsse scharf urüdckgew.esen werden, und das Haus fönne es nicht scharf genug thun. O - :

Hierauf wurde die Diskussion ges{lossen. Bei der Ab- stimmung wurde der Antrag Rickert , ad 1, die Ermächtigung zur strafrechtlihen Verfolgung und sofortigen Verhaftung der Abgg. Frißshe und Hasselmann zu versagen, mit großer Majorität angenommen. Der Passus 2 des Antrages Riert gelangte ebenfalls zur Annahme, worauf sih das Haus um 4 Uhr vertagte.

Jn der heutigen (6.) Sißung des Reichstages, welcher der Präsident des Reichskanzler-Amts, Staats-Minister Hofmann, die Staats-Minister von Bülow, Graf zu Eulen- burg und mehrere Bevollmächtigte zum Bundesrath bei- wohnten, ging zunächst folgendes Schreiben des Reichs- kanzlers ein:

„Der Bundesrath hat in seiner Sißung vom 26. September v. I, zu Mitgliedern der Reichss{uldeakommission aus den Mit gliedern seines Ausschusses für Rehnungswesen den Grefßherzoglih hbessishez Staatérath Dr. Neidhardt und den Herzozlich braunshweig-lüneburgischen Wirklichen Geheimen Rath von Liebe und zur Verstärkung der Reichsshuldenkommission den Kaiserliben Staatssekretär, Wirklichen Geheimen Rath Dr. Friedberg und den Großherzoglich mecklenburgishen Geheimen Legations-Rath von Prollius für A Dauer der gegenwärtigen Session des Bundesraths wieder- etwai. 5 Außerdem ift als Vorsißender des Ausschusses für Rebnungs- wesen der Königlich preußische Wirkliche Geheime Ober - Finanz- Nath und Ministerial - Direktor Meinecke, Mitglied der Neichs- \{uldenkommission, gewählt worden.“ i

Bei der Wahl des zweiten Vize-Präsidenten wurden 210 Stimmzettel abgegeben, von denen 11 unbeshrieben waren. Abg. Dr. Lucius (Erfurt) erhielt 122, Abg. von Seydewiß 75 Stimmen; 2Stimmen waren zersplittert. Der Abg. Dr. Lucius ist somit zum zweiten Vize-Präsidenten gewählt und nahm die Wahl dankend an. 8

Bei Schluß des Blattes ergriff zur Einleitung der ersten Berathung des Handelsvertrages zwischen Deutschland und Oesterreich - Ungarn der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats - Minister von Bülow, das Wort.

Jm mweiterea Verlaufe der gestrigen Sißung des Herrenhauses bemerkte Herr von Knebel-Döberiß, es be- stehe kein Zweifel darüber), daß die Finanzlage eine be- dauerliche sei. Sie sei das Thermometer für die wirth- schaftlihen Verhältnisse. Nah dreimonatlicher Berathung habe das Abgeordnetenhaus ziemlich einstimmig den dringenden Wunsh nach Vereinfahung der Verwaltungsprinzipien zu erkennen gegeben. Die Gründe für diese komplizirten Ver- hältnisse des Staates seien in dem Mangel an Selbst- erkenntniß und Selbstbeherrshung zu suchen, der seit 1871 Plaß gegriffen habe. Das Alles könne sich nur än- dern, wenn Verwaltungsprinzipien geändert würden. Wenn schon alle diese Erwägungen ihn hätten ver- anlassen können, gegen den Etat zu stimmen, habe er doch niht den Muth, durch ein solhes Votum die Staats- maschine auf ungewisse Zeit zum Stillstand zu bringen. Früher habe mandie Kirche als den Fels bezeihnet, an dem das Narrenschiff der Neuzeit zerschellen werde; das könne man leider jeßt niht mehr in vollem Maße sagen. Dennoch habe er die Hoffnung, daß noch ein Fels bestehe, der Schuß gewähre der Fels der Pietät gegen das angestammte Herrscherhaus. Er hoffe, daß wir dahin gelangen würden, die Menschen nicht mehr als Engel, sondern als Menschen zu behandeln. Dann würden wir au in die Lage kommen, dem gegenwärtigen Uebel die Spiße ab- zubrehen. Baron Senfft von Pilsach erklärte, daß er gegen den Etat stimmen werde. Herr von Kleist-Reßow bemerkte dem Finanz-Minister, daß es mit Art. 109 der Verfassung nicht vereinbar sei, wenn man den jeßigen Bestand der Steuern un- angreifbar fixire und nur die künftige Steigerung der Ein- nahmen durch Quotisirung wandelbar mahe. Damit könne das Abgeordnetenhaus, wenn es im Einverständniß mit der Staatsregierung handle, auch eventuell eine Steuer- vermehrung beschließen, das Herrenhaus aber könne fi nimmermehr in eine dagegen vollständig impotente De bringen lassen. Er wünsche, daß in diesen Fragen eine voll- ständige Einigung zwishen den geseßgeberishen Faktoren herbeigeführt werde.

Die Generaldebatte wurde darauf geschlossen. Jn der Spezialdebatte eg bei dem Kapitel über die Eisenbahn- verwaltun raf Udo zu Stolberg das Wort. Fn dem anderen Hause sei die Rentabilität der Staatseisenbahnen angezweifelt, vom Handels - Minister jedoch diese Meinung wiederlegt worden. Er wolle nur konstatiren, daß wenn die Staatsbahnen in der That nicht die gewünschte Rentabilität ergäben, der Grund dafür niht dem Staatsbahn- system, sondern dem jeßt bei uns bestehenden gemischten System beizumessen sei. Die gutrentirenden Strecken befänden fich in Privatbesiß und die Aktionäre steckten die Dividenden in die Tasche, die unproduktiven Strecken dem Staat über- lassend. Der Redner wendete sich alsdann zur Tariffrage und machte den Handels-Minister darauf aufmerksam, daß es

troy des Bestrebens des Handels-Ministers und des Reichs- kanzlers, das Tarifunwesen zu beseitigen, dennoch den öster- reihishen Bahnen mit Hülfe des neuen Handelévertrages ge- lungen fei, für den Holzverkehr namentli, diese Bestrebungen zu umgehen. Der Redner citirte mehrere Beispiele, um seine Meinung zu begründen. Der Staats- Minister Maybach erklärte si ereit, der angeregten PAReCn es näher zu treten. Freiherr von Mirbach bat den Minister gleihfals, dem Tarifwesen sein Augenmerk zuzu- wenden. Die Landwirthschaft sei bereit, auf eine Steuerreform einzugehen, auh Schußzölle zu gewähren, werde sich aber ihre Konsumartikel nur vertheuern lassen, wenn ihr in gleichec Weise ein mäßiger Schuß für ihre Erzeugnisse gewährt werde. Fürst zu Menburg ersudte den Minister, den Differenzialtarifen für Holzbeförderung sein Augen- merk zuzuwenden. Graf Lehndorff erklärte gegenüber den Aeußerungen des Freiherrn von Mirbach, daß dieser nicht der Ansicht der gesammten Bewohner Ostpreußens Ausdruck gegeben. Viele dieser Bewohner ständen auf dem entgegengeseßten Standpunkt und würden gegen jeden Schuß- zoll stimmen. Freiherr von Mirbach bemerkte hiergegen, er habe allerdings nicht im Namen des Handels und der See- handelspläße, wohl aber im Namen vieler landwirthschaftlichen Vereine und Landwirthe gesprochen. Herr Theune konstatirte, daß man auch bei Einführung des Staatsbahnsystems ohn e Diffe- renzialtarife nicht auskommen werde, wenn man nicht die Jnteressen der Steuerzahler s{hädigen wolle. Redner wies weiter darauf hin, daß selbst bei einer Ausdehnung des Staatsbahnneßes nach diejem Prinzip verfahren und von Fall zu Fall entschieden werden müsse.

Ohne weitere bemerkenswerthe Debatte wurden sodann der Etat und dcr Geseßentwurf, betreffend die Feststellung des Staatshaushalts-Etats pro 1879/80 angenommen.

__ Bei dem Gesetzentwurf, betreffend die Ergänzung der Einnahmen in dem Staatshaushalts-Etat für das Fahr vom 1. April 1879/80 erklärte Baron von Senfft-Pil- jah, daß er gegen dieses Geseß stimmen werde. Herr von Knebel- Döberit bemerkte, daß dies bei der augenblicklichen Zwangslage des Staates nicht zulässig sei. Nachdem auch Graf Brühl den Baron Senfft ermahnt , jeßt, da die einzelnen Positionen des Etats genehmigt scien, von dem Widerspruch Abstand zu nehmen, wurde das Gese mit allen gegen die Stimme des Baron von Senfft angenommen.

__ Der zweite Gegenstand der Tageëordnung war der Be- rit derselben Kommission über den Geseßentwurf, betreffend Abänderung der geseßlihen Bestimmungen über die Zuständigkeit des Finanz - Ministers, des Ministers für die landwirthschaftlihen Angelegen- heiten und des Ministers für Handel, Gewerbe und öffentlihe Arbeiten. Auf Antrag des Referenten Sale e Lippe wurde dieser Geseßentwurf ohne Diskussion genchmigt.

És folgte der mündliche Bericht derselben Kommission über die Uebersicht von den Staatseinnahmen und Aus- gaben des Jahres vom 1. April 1877/78 nebst Anlagen und der dazu gehörigen Denkschrift. Die Kommission be- antragte dur ihren Referenten Grafen von der Shulenburg- Angern, die nachträgliche Genehmigung zu ertheilen, und das Haus trat ohne Debatte dem Antrage bei.

_ Vierter Gegenstand der Tagesordnung war der münd- lihe Bericht derselben Kommission über die allgemeine Rechnung über den Staatshaushalt des Jahres 1875 nebst den dazu gehörigen Anlagen, einem Vorbericht und den Bemerkungen der Ober-Rehnungskammer sowie die Rechnung über die Fonds des ehemaligen Staats\schaßzes für dasselbe Jahr. Der Referent Graf von der Schulenburg- Angern empfahl die Annahme der von dem Abgeordnetenhause in Bezug auf diese Vorlage gefaßten Beschlüsse, und das Haus trat diesen Anträgen ohne jede Debatte bei.

Der leßte Gegenstand der Tagesordnung war die ein- malige Schlußberathung über den dreißigsten Bericht der Staatsshulden-Kommission. Der Berichterstatter Graf von der Schulenburg-Angern empfahl auch hier in Uebereinstimmüng mit den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses, der Hauptverwaltung der Staatsschulden die Decharge zu er- theilen, und das Haus beschloß diesem Antrage gemäß. (Schluß der Sizung 22/, Uhr.)

Jn der heutigen (17.) Sitzung des Herren- auses, welche der Präsident, Herzog von Ratibor, um 121/, Uhr eröffnete und welcher der Vize-Präsident des Staats- Ministeriums Graf zu Stolberg-Wernigerode und die Staats- Minister Dr. Leonhardt, Graf zu Eulenburg, Maybach und Hobrecht, sowie mehrere Regierungskommissarien beiwohnten, trat das Haus sofort in die Tagesordnung, deren erster Ge- genstand die Fortseßung der am Donnerstag ab- gebrohenen Debatte über den Geseßentwurf, betref- fend die Erweiterung der durch das Gesetz vom 20. April 1869 für das Anlagekapital einer Eisenbahn von Finnentrop über Dlpe nach Rothe Mühle im Biggethal übernommenen Zins- garantie war. Die Debatte leitete der Handels-Minister Maybach ein. Er habe sich dem Geseßentwurfe gegenüber, troß der Befürwortung des Abgeordnetenhauses, sehr skeptish verhalten, jedoch müsse er ihn aus objeftiven Gründen empfehlen. Das Jnteresse der Bergish-Märkischen Bahn an diesem Unternehmen sei ein sehr sekundäres; es sei ihr unter einer ganz anderen Konstellation förmlich aufgedrungen worden. Die Bergish-Märkishe Bahn habe im Gegensaß zu vielen anderen Bahngesellshaften viele Unternehmungen von allgemeinem Jnteresse ohne jede Staatsunterstüßung ge- schaffen. Nur die Ruhr-Sieg-Bahn bilde eine Ausnahme, zu dieser aber seien Staatszuschüsse nicht mehr nothwendig. Außerdem aber sei bei dieser Tei weder von der Staats- regierung noch von der Eisenbahngesellshaft ganz korrekt verfahren worden, die Regierung habe stets die Gesellschaft gedrängt, den Bau auszuführen und die Königliche Direktion, welche die Bahn verwalte, sei einem Dru von Oben zugäng- licher als eine Privatdirektion. Auch wenn die Dahn sih in Privathänden befände, würde er eine solhe Vorlage befürwor- ten, denn das nit fertige Bahnstük Finnentrop-Olpe-Nothe Mühle sei eben der befruchtende Theil der ganze Strecke. Er bitte deshalb, dem Kommissionsantrage zuzustimmen.

__ Zu dem Antrage der Kommisfion auf Genehmigung der insgarantie hat, wie bereits früher erwähnt, Herr von Behr- chmoldow den Antrag gestellt, im §. 3 des Geseßes am Schluß genten Zusay zu machen :

„Zunächst und vor Allem leistet bei Zinsausfällen die Eigen- thümerin der Bahn, die Bergish-Märkisbe Eisenbahn, einen Zu- {uß von F % des im §. 2 dieses Gesetzes festgestellten Bau-

Außerdem hatte sich derselbe Antragsteller in seiner Rede

vom Dienstag für gänzliche Verwerfung der Vorlage ausge- sprochen. Herr Theune bedauerte, daß von Herrn von Behr dieser Antrag gestellt sei, der Landtag habe einmal A gesagt, also müsse er auch B sagen. Die moralishen Gründe, welche für die Bewilligung der Zinsgarantie sprächen, seien ganz bedeutend. Sollte das Herrenßaus im entsheidenden Moment anders urtheilen als die Staatsregierung? er könne das nicht annehmen. err von Simpson-Georgenburg wies darauf hin, daß der Minister für die Vorlace weder politishe noch moralishe Gründe geltend gemacht habe, er könne die Billigkeitsgründe, von denen der Minister gesprochen, nicht gelten lassen. Angesichts der gedrückten finanziellen Lage, Angesichts des Defizits im Budget und An- gesihts der fortwährend im Wachsen begriffenen Kommunal- abgaben müsse man jeden Groschen sparen, dessen Ausgabe nit absolut nothwendig sei. Er bitte, die geforderte Zins- garantie abzulehnen, ein solcher Beshluß werde Wiederhall im ganzen Lande finden. En Der Regierungskommissar Geheime Ober-Regierungs-Rath Fröhlih wendete sich gegen die von Herrn von Behr vorgestern erhobenen Bedenken ; diese habe Herr von Behr auch {on in der Kommission vorgebraht, ohne jedoch einen Erfolg zu finden. Redner legte die Vorgänge, wie sie in Bezug auf diese Bahn \sich entwickelt hätten, dem Hause dar; es gehe daraus Hervor, daß die Regierung ganz erhebliche mora- lische Verpflihtungen habe. Ursprünglih habe es in der Absicht der Staatsregierung gelegen, für die ganzen Bahn- strecken, die hier in Betracht fämen, die Zinsgarantie zu übernehmen. Herr Bredt dankte dem Minister für die Vor- lage, um deren Genehmigung er das Haus bat. Die Bahn werde jener armen Gegend es ermöglichen, ihre Produkte zu verwerthen. Graf Rittberg erklärte, daß er gern bereit fei, später die Zinsgarantie zu bewilligen, jeßt aber seien noch viele andere Dinge zu bewilligen, die wichtiger seien, als diese Bahn. Herr von Dechend bemerkte, eine im Sinne des Herrn von Simpson angewendete Sparsamkeit sei eine Sparsamkeit auf Kosten Anderer. Nach- dem noch Baron Senfft von Pilsach für Ablehnung gesprochen, bat Graf Brühl, die Genehmigung auszusprechen, denn das Haus habe dur die frühere Genehmigung si jeßt gebunden, und seine Ehre, wie auch die Ehre des Staats erfordere, daß man Wort halte. Die Generaldiskussion wurde hierauf ge- schlossen. (Schluß des Blattes.)

In der heutigen (57.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, welher der Minister des Jnnern, Graf zu Eulenburg, und mehrere Regierungskommissarien bei- wohnten, trat das Haus nach einer Erklärung des Abg. Hundt von Hafften, worin er bezügli seiner neulihen Angriffe ge- gen die namhaft gemachten Landräthe des Weiteren zu be- gründen suchte, daß er, von der persönlichen Fntegrität jener Herren durchaus überzeugt, lediglich das von diesen Herren befolgte Verwaltungssystem zum Gegenstande seines Angriffes habe machen wollen, in die dritte Berathung des Geseß- entwufs, betreffend die Rechtsverhältnisse der Studirenden und die Disziplin auf den Landes- universitäten, der Akademie zu Münster und dem Ly- ceum Hosianum in Braunsberg. Es erhob sich zunächst eine Debatte über die Frage, ob der vom Herrenhause zu 8. 6 beschlossene Zusaß, wonach die von den Gerichten gegen Studirende erkannte Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen auf Antrag der gerichtlihen Behörden auf dem akademischen Karcer verbüßt werden kann, ein Verstoß gegen die Reichsjustizgeseße sei, welche die akademische Gerichtsbarkeit aufgehoben haben, oder ob es aus Zweckmäßigkeitsgründen zulässig und an- gezeigt sei, diese Bestimmung aufreht zu erhalten. Während die Abgg. Dirichlet, Zelle, Dr. Köhler (Göttingen), Dr. Mommsen und Dr. Lasker sich zur ersteren Ansicht be- fannten und demgemäß die Streihung der Bestimmung wünschten, waren die Abgg. von Meyer (Arnswalde), Fiebiger, Windthorst (Meppen) und Dr. Gneist der entgegengeseßten Ansicht. Der Regierungskommissar Geheime Regierungs - Rath Dr. Göppert erklärte, daß der Justiz- Minister in der Kommission des Herrenhauses durch feinen Kommissar die Erklärung habe abgeben lassen, daß er die von dem Herrenhause angenommene Bestimmung für rehtlich unzulässig und gegen die Reichsgeseße verstoßend halte. Diese Ansicht theile auch der Kultus - Minister. Der Abg. Dr. Lasker konstatirte, daß nah dieser Erklärung im Falle der Annahme dieser Bestimmung durch das Haus die Regierung niht das Geseß publiziren dürfe. Die Be- stimmung wurde mit 135 gegen 115 Stimmen aufreht erhalten. Zu §. 15 wurde der Antrag des Abg. Dr. Burg und Genossen angenommen, welcher lautet :

„Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: Dem §. 15 als Absatz 1 hinzuzufügen ; Ein Studirender kann von den ihm in dieser Eigenschaft zustehenden Rehten durh Entscheidung des Se- nats ausgeschlossen werden, so lange gegen ihn ein gerichtliches Sirafvériabeen wegen eines Verbrechens oder Vergehens |ch{chwebt, wzgen dessen auf den Verlust der bürgerlihen Chrenrechte erkannt werden kann.“

Im Uebrigen wurde das Geseß unverändert ange- nommen. Der Gesetzentwurf, betreffend die Hessishe Brandversiche- rungs-Anstalt in Cassel wurde in der Fassung des Herren- hauses angenommen. Das Haus erledigte hierauf eine Reihe von Petitionen. (Schluß 121/54 Uhr.)

Die in der heutigen Börscn - Beilage abgedrudte tabellarishe Uebersicht der Wochenausweise deutscher Zettelbanken vom 15. d. M. schließt mit folgenden summarischen Daten ab: Es betrug der gesammte Kassenbestand 666 535 000 4/6 oder 15 288 000 4 mehr als in der Vorwoche, während der Wechselbestand mit 529 129 000 4 eine Abnahme um 15 996 000 6 und die Lombardforderungen mit 78 302 000 6 eine solhe um 1600000 4 nahweisen; es betrug ferner der Notenumlauf 729 225 000 #6 oder 3 628 000 4 weniger als in der Vorwoche, während die son- stigen tägli) fälligen Verbindlichkeiten in Höhe von 253 213 000 A eine Zunahme um 55550004 und die an eine Kündigungsfrist gebundenen Verbindlichkeiten im Betrage von 51346 000 4 eine solhe um 896 000 4 er- kennen lassen.

S, M. gedeckte Korvette „Bismarck“, 16 Geschüße Kommandant Korv.-Kapt. Deinhard, ist am 8. Dezember 1878 von Funchal CMErA in See gegangen, ankerte am 12. Ja- nuar 1879 auf der Rhede von Montevideo und beabsichtigte am 20. dess. Mts. die Reise nah Valparaiso fortzuseßen.

S. M. Panzerkorvette „Hansa“, 8 Geschüße, Kom-

kapitals“,

mandant Korv.-Kapt. Heusner, und S. M. Glattdeckskorvetté