1879 / 46 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 22 Feb 1879 18:00:01 GMT) scan diff

i E E am At Me? n e Its Ri: L Ort M Oa Dic ata Ba S er H E Eci dir Apir d oh erRBBE D H rgw tin ing n Dar

mals \&on wirtbscha“tlibe Tendenzen überbaupt gehabt bätte. Ih muß aber zu meiner Schande eingestehen, daß ih sie noch nit hatte. Wenn ih aber zu dem Herrenhaus \pra, eine Rede, die ja in dem Augenblick, wo der Kampf um die Sprengung des Zollvereins {on im vollen Gange war, doch vor der gesammten Oeffentlichkeit Europas gehalten wurde, wenn ich da etwa die wirthschaftliche Frage in den Hintergrund gedrängt und gesagt hätte, ih kenne die wirthschaftlichen Angelegenheiten gar nicht, ih kenne die Tarifposi- tionen nicht, i kann fie ja lesen, habe aber kein Urtheil über die Tragweite, indeffen politis ist es mir im hôhsten Grade erwünst, daß dieser Vertrag dur{geb, ich mache mir aus dem wirthschaft- lichen Ergehen unserer Zollverein8genossen garnihts, wenn ih nur mein Ziel erreiche, und ih muß fürchten, daß, wenn nun Frankreich sid au noch zur Aufgabe stellt, wie Desterreib, den Zollverein zu iprengev, daß er dann wirklich springt, und darum befürworte ich diesen Antrag. Ja, es ist möglich, daß der Herr Abg. Richter von einem auswärtigen Minister eine folhe Sprache er- wartet hat; aber ih habe mich doch nicht berufen gehalten, sie zu führen, sondern es war die natürlihe Deckung der Stellung, daß ih von wirthschaftlicen Dingen sprach, die mir damals sehr fern lagen, ih hate gar feine Eitelkeit in der Beziehung, daß die Art, iu der ih über diese Dinge zu reden hatte, von mir damals nicht erfunden und entworfen worden ift, sondern wahrscheinlich is mir von den technishen Ministerien und vermuthlich nicht von ihren Chefs denn v. d. Heydt war nicht mehr, und seinem Nachfolger traue ih eine solche intime Theilnahme für sein Ressort nicht zu der Ent- wurf gegeben und gesagt worden, in welcher Beziehung der aut- wärtige Minifter reden möchte. JIch will nur die Thatsache kTlarstellen, daß der Hr. Abg. Richter aus Allem, was ic etwa bis zur Herstellung des Norddeutsben Bundes gethan habe, bis ih Bundeét kanzler hieß es ja damals wurde, daß er daraus gar keine Verantwortlichkeit für das System, von dem ich annehme, daß es fich nicht bewährt hat, für mich ableiten kann. Die weitere Zeit da bin ih ja weit entfernt, zu bestreiten, daß die formale Verant- wortung auf mir lastet und auf mir ganz aus\f{ließlich. Ich wäre ja berechtigt gewesen, die Politik, di: der damalige Herr Präsident des Reichskanzler-Amts trieb, zu dur{chs{chneiden, wenn ih wirklich überzeugt gewesen wäre, daß sie nachtheilig für unser wirthschaftlihes Leben wäre. Es hätte das wahrscheinlich zu einem vorzeitigen Ausscheiden des Herrn Präsidenten aus dem Reichs- kanzler-Amt geführt, aber meine formale Berechtigung dazu war ja anz unzweifelhaft. Wenn ih aber für eine Aufgabe, wie die Konso- idirung des Deutschen Reiches in seinen ersten Anfängen oder des Norddeutschen Bundes als Vorakt zum Deutschen Reiche um die Mitwirkung eines Staatêmannues von der Bedeutung in seinem Ge- biete, wie der Hr. Abg. Delbrück es ist, mich bewarb und sie erhielt, fo liegt do ganz klar und wir brauchen uns darüber in kein Silben- stechen einzulassen, ih bin au nit unbescheiden genug, um das zu bestreiten, daß ich damit nicht die Prätension verbinden konnte, daß der Hr. Präsident Delbrück die wirthschaftliben Geschäfte, in denen er die erste Autorität in ganz Deutschland war, nach meiner Leitung und meiner Anweisung führen follte, sondern es war natürlih cum grano salis gegeben, daß id, wie cs au in der That der Fall war, vertrauensvoll mich seiner Führung überließ, und ich bin aub weit entfernt zu sagen, daß ich dieses Vertrauen bereue. Die mäctige Hülfe, welhe die Mitwirkung einer Kraft, wie die des Hrn. Del- brüdck der ersten Einrichtung des Reichs gewährt hat, war dur nichts Anderes zu erseßen. Wir hatten keinen Mann von seiner Vedeutung.

Ich habe meinerseit3 mich damals in eine Beurtheilung wirth- Laar Uegges nicht eingelassen, sondern ich habe die bedeutendsten Leute und Staatêmänner, die mir ihre Hülfe gewähren wollten, zu werben gesucht, um dieses Werk, was ih unternommen batte, mit mir in Gemeinschaft durchzusühren. Es ist ja ganz zweifellos, daß ih mitunter in wirths{caftlihen Fragen nicht der Anficht des dama- ligen Herrn Präsidenten gewesen bin, und wenn mir die Verstän- digung darüber nicht gelungen ist, ih weiß nicht, wie die Fälle sih erledigt haben, ich vermuthe, daß in den meisten Fällen ih nach- gegeben haben werde, weil ich politisch und an meiner Meinung gern Opfer brachte, um diese so ungewöhnlich bedeutende Mitwirkung der Sacbe, der ih diente, zu erhalten.

Ich bin ein Mann, der an Autoritäten claubt und sch{ ihnen da, wo ich nicht nothwendig auf mein eigenes Urtheil verwiesen bin, gern unterordnet. Wenn ih dem Rod entsprechend, den ich trage, zu Felde zu ziehen hätte und ih hätte das Glück, vom Hrn. Feld- marschall Graf Moltke geleitet zu werden, so würde ih mich unbe- dingt seiner Führung unterordnen und erft dann, wenn er sagt: jeßt geh id nach Hause, würde ih fageu: ja, jeßt stehe ib auf mi selber angewiesen und muß mir selbst belfen. IJch meiß nicht, ob ich nicht damals, wie der Hr. Präsident Delbrück seine Stellung aufgab, ncch weitere Opfer an meiner Ansicht gebracht bätte, um nicht blos es wäre unrichtig, wenn ih sagen wollte, mir fondern um der Ge- sammtheit die Mitwirkung meines Kollegen zu erhalten. Jch weiß nicht, in wie weit die stärker und stärker werdende Erkenntniß des Nothstandes, in dem wir leben, mich \{ließlich genöthigt bätte, einen Abschnitt zu machen. Ich hatte die Hoffnung, Angesichts der Noth- Tage, in der fih das Land befindet, mih mit meinem früheren Herrn Kollegen zu verständigen über eine neue Form beiderseitiger Mitwir- kung, noch vor einem Jahre nicht aufgegeben. Aber nachdem er mir seine Mitwirkung versagt hat aus Gründen, über die er ja selbst Richter ift, so bin ib gezwungen, wenn ih nicht überhaupt zurück- treten will, was ich ja mehrmals versucht habe und was mir aus Gründen, die nit bierher gehören, nit gelungen ift, wenn ih nicht zurüdcktreten will, bin ich durch meine Stellung gezwungen, mir eine Meinung über Alles zu bilden, in dem ich früher der Führung des Hrn. Abg. Delbrück gefolgt bin.

Daß meine Meinung, wenn ih {ließli ganz auf mich selbft gestellt bin, eine andere ist wie die, der ih bis dahin gefolgt war, ja das schâme ich mich in keiner Weise zu bekennen. Jch habe früher die Ansicht nit ganz getheilt, bin aber der Autorität gefolgt, weil ih nicht glaubte, meine Ansicht durchseßen zu müssen in allen Dingen, die ih nicht verstehe. Ich bin auc vielleiht nicht mit allen Einrichtungen der Post persönlich einverstanden; nichtsdestoweniger, da ich die Ueberzeugung habe, daß der General-Postmeister im Großen und Ganzen vollständig seiner Sade mädbtig ist und sie jedenfalls besser versteht als i, folge ih seinen Wünschen und Anträgen und würde es ziemlich verwunderlih finden, wenn ih dermaleinst an meiner formalen Verantwortlichkeit dafür angefaßt werden follte, daß diese oder jene Pofteinrihtung nit nah meiner eigenen Ueber- zeugung si bewährt hat und ih sie anders wünschte, als ih damals zugeftimmt hätte, daß fie sein follte.

Sie sehen aus meiner ganzen Darlegung, daß ih weniger das Wort ergreife, um dem Hrn. Abg. Richter zu antworten, als um, was mir viel mehr am Hcrzen liegt, meiner Stellung zu dem Hrn. Abg. Delbrück Ausdruck zu geben. Jch weiß ja niht, wie weit, wenn die Verhandlungen über unsere Tarifreform kommen, unsere Meinungen aus8einavdergehen; aber sie môgen so weit av8einander- gehen sachlich, wie sie wollen, diese Differenzen werden niemals hin- dern, daß ih mi ter großen Aufgaben, an dcnen wir gemeinsam und mit Erfolg gearbeitet haben, der mächtigen Unterstüßung, die dabei Deutschland dem Hrn. Abg. Delbrück zu danken hat, jeder Zeit mit Achtung und Wohlwollen erinnere. Jch habe überhaupt nicht die Neigung, sahlihe Meinungsverschiedenheiten auf das persönliche Gebiet zu übertragen, und ih bin tem Hrn. Abg. De!brück sehr dankbar, wenn er sjaclihe Meinungsverschiedenbheiten ohne jeden Ein- fluß auf unsere persönlichen Beziehungen läßt, und ih bin auch über- zeugt, daß er es thun wird.

Ich bin als Kanzler, allein gelassen, verpflichtet, meine Meinung zu haben, nicht blos beretigt, ih bin verpflichtet, nah meiner Mei- nung zu handeln; ih bin genöthigt gewesen, den Sachen näher zu treten, über die wir verhandeln, ih habe meine Ueberzeugung in- zwischen vollständig festgestellt, und werde darnach handeln, auch- wenn ih einen sofortigen Erfolg nit finden sollte; ich werde dann den- selben Weg von Neuem versuchen,Zwenn ih in meine Amte bleibe, was ich ja nicht weiß,

kann, mir vorgebalten hat, e8 sei mein Ideal gewesen, den Zolltarif auf wenige Finanzzölle zurückzufühcen, ja, jo ift das ganz rihtig, das ift das sogenannte englishe System. Jch habe es befürwortet, aber sagen Sie selbst, meine Herren, habe ih darin bei irgend Jemand Gegenliebe gefunden, ift mir darin irgend Jemand nur einen Finger breit entgegen gekommen? Iffft nibt der erfte Versuch mit dem Tabak (Zuruf: Monopol !) ja; meine Herren, ih bin heute noch für das Monopol mit dem Tabak dieses System einzuleiten, ift er nicht mit einer Unfreund- lichkeit aufgenommen, die mir gayvz neu war, ia den Fraktionen, mit denen ih früher in Beziehung gestanden habe? Der Minister Camphausen ift darüber zurückgetreten, wie er mir persönlich gesagt hat, ih berufe mi auf sein Zeugniß wegen der „Abs{chlachtung“ war sein Ausdruck —, die hier öffentlich von der Partei der National- liberalen und des Fortschritts mit ihm vorgenommen sei. Jch wiederhole, daß die Abgeordneten des Fortschritts an einer anderen Stelle, im Landtag, glaube ih, über die Geschichte dieses Rüktritts sib entweder nicht ganz klar gewesen sind, oder niht das Bedürfniß gehabt haven, daß darüber Klarheit im Publikum herrsche. Jch muß also sagen, daß dieser Versub von mir ganz ehrlich gemacht worden ift, und daß mein ganzes Bestreben rein auf sachlichem Ge- biet eine unfreundlihe Erwiderung gefunden hat, die ich mir eigentli nur cus politishen Gründen erklären känn. Ich weiß nit, was man für Motive hat, daß man die wirthschaftliben Ge- bicte so mit den politischen kombinirt. Die Herren, die genauer mit den Fraktions8gebeimnissen vertraut sind, werden es besser wissen, ih kann nur aus der Oeffentlichkeit urtheilen, und da muß ich aller dings sagen, daß die Hetereien in der Presse ganz außerordentli viel zu dieser Verstimmung beigetragen haben, und ic citire da mit vollem Bewußtsein Zeitungen, die ih seit langen Jahren lese und die eine so abtbare Stellung haben, daß ich eine objektivere Auf- fassung von ihncn erwartet hätte, die „Kölrische Zeitung“, die „Na- tional-Zeitung“. Es vergeht fast kein Tag in der Sozialistenfrage, in der jeßigen Frage, wo ich nicht aus diesen Zeitungen \tet3 von Neuem den EindruckX bekomme, daß binter den Koulifsen ein Bedürfniß ift, Feindschaft und Unfrieden zu säen! (Zuruf links.) Darf i bitten, fich deutlich auszudrüdcken, ih bin bereit, dem Herrn, der ‘a spricht, zu ant- worten, nur anonyme Unterbre{bungen machen nachher immer einen eigenthümlihen Eindruck im stenographischen Bericht; wenn der Name gleich dabinter folgt, würde das weniger ausmachen. i Ich muß fagen und sage es auédrücklich, weil ih damit den Wunsch verbinde, daß die Herren ihrerseits do auch einen verföhn- liheren Ton ans{lagen möbten und niht dem Bedürfniß, jeden Tag e nen fensationellen Zeitungsartikel zu liefern, den Frieden der Par- teien opfern möchten. Für mich ift das so, wenn ich das Bedürfniß zu einer ruhigen Verhandlung habe, so lese ich an dem Tage die von mir gehaltene „National-Zeitung“ schon lieber nicht. Genüßt hat das der Partei nit; es sind Maßregeln unter Umständen getroffen worden, wo der leßte Tropfen Wasser aus den Leitartikeln dieser Zeitung das Glas überlaufen maten. Vielleicht übershätßt man ihre Wichtigkeit, man darf aber glauben, daß die hervorragendsten Leute der bedeutendsten und zahlreihsten Fraktion, die wir haben, ihre Meinung in diesem Blatte ausdrücken. Wenn das nicht der Fall ist, wenn das nur Bru{btheile sind, nur einzelne leidenschaftliche Charaktere sind, die vielleiht mit dem, was sie \hreiben, niht mehr die volle Bedeutung dessen, was die anderen herauslesen, verbinden, so wäre es wünschenêwerth, daß die Fraktionen im Interesse des allgemeinen Friedens die Fiktion zerstörten, als ob ein Organ dieser Art jeden Tag in der Kriegstrompete, in der Aufregung, in der Ver- breitung von düsterer Unruhe und Befürhtung die Meinung einer großen achtbaren Partei ausdrüdt. Ich hab: ja in diesen Sachen im Hause und außer dem Hause erleben müssen, daß ein großer Theil der Angriffe, die der Sache gelten sollen, fih gegen meine Person zuspizen. Es ist nit mehr, wie vor Kurzem noch auf Seiten anderer Parteien - das Forschen in meinem Privatleben nah irgend einem Stück [Punhiger Wäsche, was man auftreiben könnte und nicht findet, die Neigung, um jeden Preis, weil ich an der Spitze des Landes ftebe, mir etwas anhäügen zu können, eine Nei- gung, die sich bis in die rihterlihen Kreise verbreitet hat, sondern es ist das Bedürfniß, mi als einen dilettantischen, wie sie sich aus- drücken, genialen —- nun ich verstehe den Ausdruck, auf der Universität würde tian wissen, was darauf folgt, wenn man Einen genial nennt.

Aber, meine Herren, nahdem Sie mich 25 Jahre und ic erinnere dabei wieder daran, daß ih mit dem Hrn. Abg. Delbrück 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert lang an der Vorbereitung und dem Aufbau des Deutschen Reichs gearbeitet habe, es war im Jahre 1852 zu Frankfurt, wo wir die ersten gemeinschaftlidben Arbeiten hatten, daß also eine Verstimmung, wie der Hr. Abg. Richter sie andeutet, auf meiner Seite wenigstens nicht denkbar ift. Also 25 Jahre und 17 Jahre als Minister sehen Sie mich nun vor der Oeffentlichkeit. Ich bin, ehe ih überhaupt in das Amt trat, in derselben Weise beurtheilt worden in Bezug auf jede politisbe Befähigung, wie ih jcht beurtheilt werde in Bezug auf mein Recht, ich möchte sagen meine Pflicht, in wirthschaftliben Dingen mitzureden. Ich erinnere mich, wie ich nach Frankfurt als Bundestags8gesandter ernannt wurde, kam in den Blättern, die den politishen Freunden des Abg. Richter von damaliger Zeit, vielleiht seinen Vätern und Obeimen angebör- ten, die Bemerkung über mich: dieser Mensh würde, wenn man ihm das Kommando einer Fregatte a.: vertraute, oder eine chirurgisce Operation zumuthete, sagen: nun, ich babe es noch nit probirt, i will es einmal versuhen. Das war die Schilderung, mit der man mi den Frankfurter Kollegen und vor Allem den österreichischen in den liberalen Blättern empfahl. Nun, meine Herren, diese chirurgishe Operation is naher zu Ihrer Zufriedenheit, wie ih glaube, vollzogen worden. Noch als ich Minister war, erinnere ich mich, daß in den damaligen liberalen Blättern die Wendung ftand: wie kann man „diefem Menschen“ und nun folgt eine Charakte- ristik von mir die erste Stelle in Deutschland anvertrauen! Ih weiß nicht, ob ich mich aus der Versehung dieser ersten Stelle in Deutscbland, die nacgerade 17 Jahre in meinen Händen ift, länger als jemals ein Minifter in fkonstitutioneller Zeit der Oeffentlichkeit und allen Stichen und Kritiken derselben gegenüber gestanden hat ob die zur Zufriedenheit erfüllt worden ijt, ob in dem absprechen- den und wegwerfenden Urtheile über mich der Abg. Richter Ret bekommt vor der Mit- und Nachwelt, oder ob mir zuerkannt wird, daß i, nachdem ich 17 Jahre lang an der Spitze der Gesammt- geschäfte stehe, auch ein Recht zu einer Meinung über wirthschaft- lihe Fragen habe, darüber erwarte ih getrost das Urtheil meiner Mitbürger, ih will von Nachwelt nicht sprechen, das ift mir zu pathetisch.

Der Abg. Dr. Witte (Nostock) erklärte, ein Beweis die Richtigkeit des wahrhaft staunenswerthen Urtheils der Thronrede über die frühere Handelspolitik sei in der Rede des Reichskanzlers nichi erbracht worden. Er vom Standpunkte der Praxis aus könne nur ftonstatiren, daß die wirthscaftlihe Geseßgebung jener ahre gute Erfolge aufzuweisen habe, und selbst die extremsten Schutzöllner hätten niemals einen Ausspruch wie den der Thronrede gewagt. Seit 1865 sei ein stetiger Fortschritt zu fonstatiren und nach tem Rüdäschlag von 1873 hätten die Thronreden in feierlihster Weise die Kalamität als eine all- gemeine bezeihnet. Von diefem Rücfschlage an datirten alle Klagen über die wirthschaftlihe Gesebgebung, aber sie rihteten sich immer nur gegen einzelne Theile der Zollgeseßgebung, nicht gegen das Ganze. Früher sei der Reichskanzler einer fundigen Autorität troy mannigfaher Differenzen gefolgt, jeßt bilde er sich selbst ein Urtheil auf wirths{haftlihem Gebiete. Er fürchte, die Verschiedenheit dieses neuen Arbeitsfeldes werde für den Erfolg nicht günstig sein; bei seinen früheren Arbeiten habe der Reichskanzler große Erfolge erzielt, die ihm die Dankbarkeit der Nation für jeßt

folge erzielt dur seine grandiose Energie, seine Genialität, seinen Scharfsinn und das Zusammendrängen der Kraft auf einen Punkt. Jn wirthschaftlihen Dingen sei aber nichts \chädlicher als ein sprungweises Vorgehen, sie erforderten eine sorgfältige, oft langweilige Prüfung aller Kleinigkeiten. Es sei bedenklich, daß der Reichskanzler, nachdem er lange Jahre hindur der Leitung eines Mannes gefolgt sei, der sih für die Förderung der wirthschaftlihen Gesetzgebung den niemals verlöshenden Dank der Nation verdient habe, plöglih seine Ansicht in so erstaunliher Weise ändere, daß man meinen sollte, die wirthscaftlihe Frage sei ein arithmetishes Erempel, an dem man lange falsch herumgerehnet habe und dessen Lösung man plößlih über Nacht gefunden habe. Das sei nah seiner Ueberzeugung ein bedenkliher Weg. Der Reichskanzler er- kläre nun ferner, der erste Steuer- und Zollreformversuch sei an dem Uebelwollen des Hauses gescheitert, die Nationalliberalen und die Fortschrittspartei hätten den Finanz-Minister Camphausen „abgeschlahtet“ ; er (Redner) habe von den damaligen Verhand- lungen den Eindruck gehabt, als ob es der Reichskanzler felbst gewesen sei, der diesen ersten Versuh gestört und zum Scheitern gebracht habe. Er sei auch für die Reform der indirekten Steuern, auch im Sinne einer Erhöhung derselben, aber darunter verstehe er feineswegs ein willkürlihes Heraus- greifen eines einzelnen Gegenstandes, um einen hohen Ein- nahmecertrag zu erzielen. Der Verkehr bedürfe der Sicher- heit, aber in welches Gebiet der deutshen Geseß- gebung habe der Reichskanzler niht mit rauher Hand eingegriffen? Die Erklärung des Reichskanzlers habe allgemeine Unruhe hervorgerufen. Geseße seien niht aus der Erde zu stampfen, aber wäre es nicht besser gewesen? im Interesse des Landes, wenn man mit solchen beunruhigenden Erklärungen gewartet hätte, bis wenigstens die nothwendigsten Gesetze fertiggestellt waren? Geradezu entmuthigend aber habe die Erklärung der Thronrede wirken müssen, daß die Gesetze an der Kalamität huld seien. Von den vielen Kundgebungen der öffentlihen Meinung wolle er schweigen, aber das müsse er doch erwähnen, daß in einer Versammlung von Vertretern der größten Handelsstädte Deutschlands die Zollpolitik und besonders die Getreidezölle des Reichskanzlers aufs Ent- schiedenste verurtheilt worden seien. Und diese Versammlung habe aus lauter Leuten von praftishem Verständniß und praktischer bewährter Erfahrung bestanden, niht aus Vertretern der Schulmeinung, die jeßt in Bcrlin so gern perhorreszirt werde. Er (Redner) wünsche und halte es für dringend erforderlich, daß man zu der alten Politik und zu den alten Prinzipien zurückehre, die den Deutschen so lange vor der beabsichtigten Umkehr zum größten Segen gereicht hätten.

Hierauf erwiderte der Reichskanzler Fürst von Bismarck:

Ich behalte mir vor, dem Herrn Vorredner auf seine ede etwa im April oder Mai zu antworten, wenn dann zur Ve: handlung stehen werden die Tarifvorlagen und die Verhandlungen über Schußz- zôlle oder Freihandel und nit mehr der österreihishe Vertrag. Für beute fürchte ich, die Diskussion unnöthig zu reriängern, wenn ich auf diese ganze, fehr umfassende, aber, wie ih glaube, etwas zu früh gehaltene Rede eingehen wollte.

F erlaube mir nur zwei Bemerkungen an zwei Stellen : ein- mal Élagt au der Herr Vorredner mich wieder der Genialität und der Sprünge an. Ich muß bestreitcn, daß ih der bin, der Sprünge mat; ih s{lage blos die Rükehr in die altgewohnten Wege von 1823 bis 1865 vor. Wir haben. uns von dentelben entfernt 1865. Auch darauf werden wir später zurückkommen. Aber ih bin auf dem Wege des reinen Trivialen, der trivialen Fortt]eßung des Alten. Die Versuche liegen in der Zeit, die wir bis heut durhgemacht haben. Die gewohnte fortschreitende Prosperität lag in der Zeit vorher. Fch will nicht, daß wir ganz zu ihr zurückommen, ich will nur, daß wir uns annähern. So steht es in der Thronrede. Der weite.e Beweis für das, weun der Herr Vorredner denselben v-n mir heute erwartet bat, dann müßte ich eben so sehr auf Ihre Nacbsicht bei der Ent- fernung von dem Gegenstande der Vorlage“ rebnen können, wie der Herr Vorrcdner es konnte. Nur in einem Punkte würde i wirklih sehr neugierig sein, wenn mich der Herr Borredner belehren wollte, wie er sich eigentli eine geheime Gesetzgebung denkt nah unseren Verhältnissen, daß ic den Weg nicht beschritten hätte, ge- beime Gesetze fertig zu machen und wie ein deus ex machina oder fertin, wie die Minerva aus dem Kopfe ihres Vaters hervorzuspringen und kurz mit Ja oder Nein in 14 oder 8 Tagen die En:scheidung zu gewinnen und dann den deuts{en Handel einer ruhigen Spekulation zu überlassen. Glauben Sie, daß die Nation si so rasch über ein jo fertiges Gese erflären würde ? Im Gegentzeil, es würde gewiß mit viel größerem Staunen eine reine Mache ohne Diskussion, ohne Vorberathung empfangen haben, als die jeßige Art des Proze- direns, und wenn der Herr Vorredner mir nicht sagt, wie geheime Gesetze bei uns zu macben sind, dann möchte ih doch bitten, mich mit einem Rathe derart zu verschonen.

Ich sehe voraus, daß über diese Fragen große tiefgreifende Kämpfe der wirthschaftlicen Interessen der Freihändler, der See- städte, wie der Herr Vorredner sie vertritt, um berechtigte Inte-efsen gegenüber der Industrie, vielleicht auch gegenüter der Landwirthschaft stattfinden merden. Das ift ganz unvermeidlih. Ein Kampf kündigt fich im Militär an durch Artillerie. Um Jedermann zu benach- richtigen, ist das vielleiht nüßlich. Nehmen Sie die Art, wie ih prozedirt habe, als Signalshüfse, aber nehmen Sie sie noch nicht als einen Kampf. Dec Kampf wird uns Jahre hindur bescbäf- tigen, aber i boffe, er wird zum Heil, zum Glück, zur Prosperität unseres Vaterlandes führen.

Der Abg. Dr. Löwe (Bochum) führte aus, niht nur die vergangene, jondern auch die künftige Handelspolitik sei hier in die Diskussion gezogen worden. Die gerühmte Stabilität in der Wirthschaftspolitik sei nicht mit dem bekannten Briefe des Reichskanzlers, sondern in dem Augenblick gebrochen wor- den, wo man mit rauher Hand in die Fnteressen der Cisen- industrie eingegriffen habe. Die Deutshen sehnten \ich ja jeßt nah den alten Zollverhältnissen von vor 12 Jahren zurück, wo man ohne die Zustimmung aller Staaten nichts thun Tonnte. Man sei 1866/67 natürlich dazu gekommen, die von ein: zelnen Staaten gegen den Willen der Mehrheit aufrecht erhaltenen Säße zu ermäßigen. Hätten die Schußzöllner bei den Wahlen 1869/70 nah der großen Reduktion der Eisenzölle irgend eine schußtzöllnerishe Bewegung hervorgerufen? Diese Frage könne er nur verneinen, die Vertreter der industriellen Kreise West- falens hätten damals im Einverständniß mit ihren Wählern für diese Ermäßigung gestimmt, weil sie nothwendig gewesen jei. Das Eisen habe sich lange gegen Allianzen gewehrt, um im Verein mit diesen seine Fnteressen geltend zu machen aus patriotishem Gefühl, um feine große Störung der poli- tishen Parteien zu veranlassen. Durch das spätere Ver- halten des Reichstags und der Regierung sei erst in Betreff der Zolltarife . die Unruhe in die Gemüther gekommen. Die Verhältnisse hätten sich aber jo bedeutend geändert, daß er der Re- gierung aus der Verlängerung dieses Vertrages feinen Vor- wurf machen könne, fie habe nur zu lange in der Hoffnung auf einen neuen Kombinationstarif damit gewartet. OVDester- reich habe den Vertrag gekündigt, weil es glaubte, den Deutschen Alles bieten zu können. Die deutsche Reichsregierung habe

Wenn aber der Hr. Abg. Richter, was ih sachlich noch bemerken

und alle Zeiten sichere; aber der Reichskanzler habe diese Er-

F

nur die Aufrechterhaltung des alten Tarifs gefordert, in dem

zu Gunsten Oesterreichs von Gegenseitigkeit für die deutsche ; Industrie keine Rede sei. Er habe den Eindruck, als ob vie | Herren glaubten, die Deutschen hätten den Vertrag um | jeden Preis, selbst gegen den höhsten Tarif von | österreihisher Seite annehmen müßen, denn sonst sehe er feinen Grund, den Vertretern des Reiches vorzuwerfen, sie hätten wesentlich dazu mitgewirkt, daß dieser Vertrag niht zu Stande gekommen wäre. Oesterreih habe ihn ge- kündigt und den Deutschen den hohen Tarif gegenübergestellt. | Daß man einer so komplizirten Regierungsmaschine gegen- über, wie Oesterreih-Ungarn, wo der Tarif erst dur zwei | Barlamente und zwei Ministerien vereinbart werden müsse, denselben im Handumdrehen ändern und den Leuten dur einen flugen Kommissar beweisen könne, alle ihre Positionen seien zu hoh gegriffen, sei unmöglih. Die der Jndustrie nöthige Stabilität sei von der Seite gebrochen, die die Aujhebung der Eisenzölle beschlossen und trotz aller Remon- | strationen aufrecht erhalten habe. Man sage, es hätten \ich | eine Reihe von Handelskammern, darunter auch folche aus Binnenstädten gegen die vom Reichskanzler geplanten Neue- rungen erklärt, obgleich man noch nicht wissen könne, worin diese im Einzelnen beständen. Warum erwähnten die Herren aber niht, daß in dem Handelstage die Mehrzahl \{uß- zöllnerisch geworden sei, und die Seestädte ausgeschieden seien, weil fie niht mehr die Majorität hätten? Die Mei- nung habe sich in dem ganzen koinmerziellen und industriellen Deutschland allmählich auf diese Art geändert. Er mache der Reichsregierung jedoch den Vorwurf, daß sie si erst so spät entshlossen habe, sich einmal über die Verhältnisse des eigenen Landes ovollkomnien zu orientiren. Seit der vorige österreichishe Handelsvertrag abgeshlossen worden sei, hätten sih die Verhältnisse wesentlich geändert, Tausende von Kilometern neuer Eisenbahnen seien diesseit und jenseit gebaut worden, die Menschen seien einander näher gekommen. Da müsse Deutshland doch in handels- politischer Beziehung eine ganz andere Stellung Oesterreich gegenüber einnehmen als vorher. Die Reichsregierung müsse feste Stellung behalten und werde so wohl auch wieder zu einem erwünschten Abschluß kommen. Vorläufig sei er der Ansicht, daß das erreicht worden sei, was irgend möglich gewesen sei. Darum bitte er, den Handelsvertrag ohne Kommissionsberathung anzunehmen.

Der Abg. Dr. Bamberger bemerkte, auh nach der heute gehörten Rede sei das Haus noch über ein bestimmtes System, das der Reichskanzler befolgen wolle, im Unklaren. Die Denkschrift, welhe dem Hause im vorigen Jahre zuge- gangen sei, habe den deutlihen Eindruck gemacht, daß die verbündeten Regierungen von der Nothwendigkeit durch- drungen und bemüht gewesen seien, einen Konventionaltarif abzuschließen, das sei au materiell dort deutlih ausgesprochen. Auf diesem Standpunkt wolle seine Partei der Neichsregierung zur Seite stehen. Die neueste Denkschrift aber zeige, daß man eigentlich gar keinen Vertrag habe abschließen wollen, also hätten die Ansichten der Regierung während eines ganzen Jahres geshwankt, und sie stehe heut auf dem entgegengeseßten Stand- punkt, wie vor einem Fahre. Desterreichische Aktenstücke aber sagten zudem, Deutschland allein solle Schuld sein an dem Scheitern des Vertrages. Die ersten Bevollmächtigten, welche die Reichs- regierung im April 1877 nach Wien gesandt habe, seien, heiße es, ohne jede Jnstruktion gewesen, fie sollten nur die allge- meinen und besonderen FJntentionen der österreihish-ungari- schen Regierung kennen lernen. Es wäre doch aber ganz gewiß vor Allem erforderlih gewesen, die deutshen Bevollmächtigten mit fertigen Vorschlägen nach Wien zu entsenden, bevor der öfterreichishen Regierung von ihren Parlamenten ein bestimmter Tarif gewissermaßen vorgeschrieben gewesen sei. Er erwähne das, um den verbündeten Regierungen Gelegen- heit zu geben, sich gegenüber solchen Behauptungen zu äußern. Die Angriffe des Abg. Nichter habe der Reichskanzler nicht für nöthig gehalten zu widerlegen; was den Abg. Delbrü an- lange, jo hoffe er, daß derselbe noch im Laufe der Debatte Gelegenheit haben werde, auf die Angaben des Reichskanzlers zurückzukommen, aber er für seine Person müfse do sagen, er finde es merkwürdig, daß man bisher immer die Statistik anerkannt habe, aber jeßt sie für gar nicht werth erahte, wo sie nachweise, daß die Ausfuhr bedeu- tender sei, als die Einfuhr. îun wenigstens müsse man doch die Zahlen anerkennen, welche für den Konsum nal- gewiesen seien. Jn den Jahren 1865/66 habe der Ver- brauch an Eisen pro Kopf 9,80, 1876 16,80 kg betragen, \sich also verdoppelt. Man führe gegen seine Partei gar keine Argumente ins Feld, und dieselbe könne niht zugeben, daß die Handelspolitik, welche dem Deutschen Reiche seit 70 Fahren zum Segen gereiht habe, jeßt auf einmal s{lecht geworden sei; daß man nun auf einmal die entgegengeseßten Prinzipien als maßgebend aufstele und das Gute ins Gegentheil verkehre. Der Reichskanzler sage, die frühere Aera habe keine Erfolge aufzuweisen. Nun nach den hundertfachen s{hlagenden Wiederlegungen sei cine sjolhe Behauptung unbegreiflich und bedauernswerth. Der Reichskanzler habe es sich zur Aufgabe gemacht, fich gegen den Vorwurf zu wahren, als habe er erst jeßt seine wirthschaftliche Ansicht geändert. Nun, im März 1877 habe er noch Zölle auf niht unentbehrlihe Verbrauchsgegenstände befürwortet, und 1878 s{on Korn- und Getreidezölle. Nachdem der Abg. Delbrü vor einem Jahre es abgelehnt habe, wieder in das Ministerium zu treten, sei der Name Varnbüler die Signatur der Politik des Kanzlers geworden. Auf die Vorwürfe des Reichs- fanzlers gegen die nationalliberale Partei antworte er, daß keine Partei wohl treuer zum Kanzler gestanden habe, als diese. Redner habe aber, als er die Frühere Politik des Reichskanzlers vertheidigte, nie gedaht, daß der größte Mann Eurapas seinen Namen für einen so veralteten und verdorbenen Zopf, wie es der Schußzoll sei, hergeben würde. Der Reichskanzler habe über die „Nat. Ztg.“ geklagt, daß er in allen Nummern derselben aufs heftigste angegriffen würde, er (Redner) könne dem gegenüber nur konstatiren, daß auch die nationalliberale Partei von der „Nordd. Allg. Ztg.“ und der „Post“ täglich schlecht gemaht werde. Der Reichskanzler sage, er könne sein Programm nicht schon heute entwickeln. Ja, das Land habe aber ein entschiedenes Jnteresse daran, dieses Programm end- lih zu erfahren. Der Zollpolitik der Jeßtzeit gegen- über mit ihrer Unklarheit sei es geradezu erfrishend, wenn man die 70 jährige Tradition der preußischen Handels- politik ins Auge fasse, und er denke, daß eine folhe Jahr- gate alte Tradition \{ließlich doch mehr gelte, als das

otum selbst eines Reichskanzlers, und wenn seine Partei diesen alten bewährten Prinzipien folge, so dürfe Niemand dieselbe wegen ihrer Opposition gegen den Reichskanzler der

| einen Tarifvertrag zu Stande zu bringen.

Hierauf ergriff der Präsident des Reihskanzler-Amts Staats-Minister Hofmann, das Wort : : …_ Meine Herren! Der Herr Vorredner hat im Eingang seines Vortrags einen sehr {weren Vorwurf gegen die Kaiserliche Regie- rung gerihtet, den Vorwurf nämli, daß es ihr bei dem Beginn der Verhandlungen mit Oefterreih-Ungarn nit ernst damit gewesen sei, 2 zu Stande Der Herr Abgeordnete hat sich zum Beweis dieser seiner Behauptung auf eine Stelle einer öfterreihiihen Staats\shrift bezogen. Wenn er die dem Reichstag vorliegende Denkschrift vom vorigen Jahre genauer angeschen und

| diese Staatsschrift scinem Vortrage zu Grunde gelegt hâtte, so

würde er zu jenem Vorwurf nicht gekommen sein. Denn, wie es der Wahrheit entspricht, ist in der bezeihneten Denkschrift dem Reichstage mitgetheiit, daß und mit wel&en Instruktionen die deutschen Unter- bändler im April 1877 nach Wien gegangen sind. Das Bestreben der Kaiserlichen Regierung und die Instruktion, die unseren Bevoll- mätigten ertheilt wurde, waren darauf gerichtet, das Verhältniß zu Vesterreiß-Ungarn, wie es dur den Vertrag vom Jahre 1868 be- gründet war, aufrecht zn erhalten und auf den Grundlagen dieses Vertrages weiter auszubilden. i Meine Herren! _Vir haben uns von Anfang an nicht ver- heblen können, daß dieses Bestreben auf große Schwierigkeiten bei der öfterreibisch-ungarishen Regierung stoßen werde. Es war damals sch{on bekannt, daß in Oesterreih eine \chutzöllnerische Strömung vorhanden war und daß in den Verhandlungen über den Ausgleich, der zwischen beiden Reih2hälften damals angebahnt wurde, diese shußzsllnerische Tendenz die Oberhand gewonnen hatte. Wenn wir troßdem den Vexrsub gemacht haben und durch Monate lang sih binziehende Verhandlungen fortgeseßt bemüht waren, einen Tarif-

| vertrag zu Stande zu bringen, so ist der Hr. Abg. Bamberger uicht | berechtigt, gegen die Regierung den Vorwurf zu erheben, daß sie einer-

eits nit mit genügender Sorgfalt die Wahrnehmung der deutichen Interessen sih habe angelegen sein lassen und daß fie auf der anderen Seite der österreichisch - ungarischen Regierung gegenüber illoyal ver- fahren sei. ]

Meine Herren! Die Schwierigkeiten, die es unmögli maten, zur erneuerten Feststellung von Konventionaltarifen mit Oesterreib-Ungarn zu Tommen, lagen einmal in der von mir [hon erwähnten protektionisti- hen Strömung in Oesterreich, lagen aber au, und wie i glaube, hauptiädblich darin, daß Defterreib-Ungarn gar fein oder do fein erheblihes Interesse hatte, einen Tarifvertrag mit uns zu \{ließen, und zwar aus d:-m einfachen Grunde, weil unser autonomer Tarif bereits alles gewährte, was man dortseits wünschen konnte. Die Forderungen, die Oesterreib-Ungarn in Bezug auf unsern Tarif auf- gestellt hat, gingen im Wesentlichen dahin, daß die Säte unseres autonomen Tarifs zu vertragêmäßiaen gemacht werden soflten. Es waren nur ganz wenige Artikel, die niht von erhebliher Bedeutung sind, z. B. feinere Sorten von Glaswaaren u. dergl., bei denen Oesterc- reih-Ungarn den Wunsch batte, daß wir unsere Zölle noch weiter er- mäßigen möchten, als es der autonome deutsche Tarif {on gethan. Im Uebrigen was die Zollfreiheit der Haupterportartikel Dester- reih-Ungarns, nämli der Rohprodukte und die Ermäßigung der Zölle für die hauptsäclihsten österreihisben Jndustrieerzeugnisse be- E entspra unser autonomer Tarif {on vollständig den öster- reihishen Wünschen. Wenn man aber nur einen solchen gesetz- liden Tarif in der“ Hand hat, der dem anderen Theile vollständig genug ift, dann kann man eben keinen Tarifvertrag ab- \{ließen. Wir waren bei den Tarifoerbandlungen mit Oesterreich- Ungarn und ic lege Werth darauf, dies zu konstatiren, weil i wünsche, daß die Erfahrungen, die wir bei diesen Verhandlungen ge- mat haben, der Nation zugute kommen wir waren bei den Ver- handlungen in der Lage eines durchaus wehrlofen Mannes, der mit einem vollständig gewaffneten und geharnishten Gegner zu kämpfen bat.

_Wenn Hr. Bamberger uns ferner den Vorwurf macht, daß wir zu spät mit bestimmten Vorschlägen aufgetreten seien, so ist auch dieser Vorwurf vollständig unbegründet. Wir haben unseren Bevoll- mächtigten die Instruktion gegeben, an dem bestehenden Konventional- Tarif festzuhalten und auf Ermäßigung Der -österrcihischen Säße hinzuwirken, aber keineéfalls zurückzugehen hinter die Säße von 1868. Nachdem nun Oefterreih uns seinen autonomen Tarifentwurf mitze- theilt hatte, wurden ‘die Kommissarien für jede Positio1 hier in- struirt, sie gingen mit dieser Instruktion abermals nah Wien und haben dort monatelang verhandelt, ehe dieser E. twurf den ôsterreici- schen Landesvertretungen vorgelegt war.

Der Hr. Abg. Bamberger hat so \{ien es mir wenigstens angenommen, als ob wir mit unseren Vorschlägen gewartet hätten, bis der autonome Tarif den Parlamenten von Oesterrei und Ungarn bereits zugegangen war. Das ift nicht der Fall. Die Verhandlungen über den Konventionaltarif gingen zu Ende im Oktober 1877, im November oder Dezember 1877 erst wurde der österreichisch-ungarische autonome. Tarifentwurf in Wien und Pest den Landesvertretungen vor- gelegt. Ueber die gesammte Lage der Tarifverhandlunger haben wir in der vorjährigen Denischrift dem Reichstage die ausführlihsten Mittheilungen gemacbt; es sind darin die einzelnen Artikel aufgezählt, bei denen eine Erböhung oder au eine Ermäßigung ‘der im Vertrage von 1868 festgestellten österreihishen Zollsäße nach den im Laufe der Verhandlungen gemadten dortseitigen Zugeständnisse in Aussicht stand. Auf dieser Grundlage so ist in jener Denkschrift ausge- führt ließ sih mit gutem Gewissen ein Tarifvertrag nicht ab- \chließen, weil wir dadurch unsere Autonomie einer Tarif- vereinbarung geopfert hâtten, durch welche die deutshe Industrie gescädigt worden wäre. Es ist von keiner Seite des hohen Hauses damals gegen diese Auffassung irgend ein Wider- spruch erhoben worden, und die Regierung konnte deshalb mit Recbt von der Ansicht ausgehen, daß sie in dieser Beziehung auf den Beifall und die Zustimmung des Hauses zu rechnen habe.

Bei den späteren, im vorigen Herbste wizcer aufgenommenen Ver- handlungen ift allerdings der Versuch nit erneuert wordcn, der na dem Vorangegangenen vollständig aussfihtslos war, nochmals über einen Tarif zu verhandeln. Nachdem wir so weit gekommen waren, uns überzeugen zu müssen, daß es zur Zeit nicht mög- lich sei, mit Oesterreich - Ungarn einen für die deutschen Interessen günstigen Tarifvertrag abzuschließen, da war es unsere Pflicht, auch für uns die Freiheit einer selbständigen Neugestaltung unferes Tarifs zu wahren, und daß wir dies gethan, daß wir unsere Autonomie bezüglih des Zolltarifs wiedergewonnen haben , das ist, wie ih glaube, cin Vortheil, den der vorliegende Vertrag uns giebt. Welchen Gebrau wir davon machen sollen, das ist freilih eine außerordentliÞch \chwierige Frage, über die noch und hbergesproßen werden wird; aber ih glaube, wir dürfen uns selber zutrauen, Regierungen und Reichstag dürfen es sich gegenseitig zutrauen, daß sie auf dem Wege der Ver- ftändigung {ließli dazu ge!angen werden, von der wiedergewonne- nen Autonomie denjerigen Gebrauchß zu machen, welcher den Ge- sammtinteressen der Nation, welcher der Wohlfahrt Deutschlands entspricht.

Nach diesem Vortrage wurde die Debatte auf morgen

sehe seine günstige Auffassung von dem ältern wirthschaft- lihen Programm des Reichskanzlers zu seiner Ueberrashung dur die Erklärung desselben, daß er früher gar kein Pro- gramm gehabt habe, vernichtet. An der „Abschiahtung“ des Ministers Camphaujen habe er niht Theil genommen, sondern nur an der des Tabaksmonopols, die leider nit fo gründlich ge- wesen sei, als sie es verdient hätte. Der Abg. Bamberger ve1wahrte sih dagegen, den Vorwurf der Flloyalität gegen die Reichsregierung erhoben, ja das Wort au nur in den Mund genommen zu haben. Nach einer weiteren persönlichen Be- | merkung des Abg. Dr. Dernburg, welcher, wenn gute Zollpolitik

Untreue zeihen.

b

emacht werde, auch für gute Leitartikel in der „Nat.-Ztg.“ foraen will, wird die Sißung um 51/2 Uhr geschlossen.

viel hin- !

vertagt. Persönlich bemerkte der Abg. Richter (Hagen), er | trähtigen Zusammenwirken und der von Neuem bethätigten

In der heutigen (8.) Sizung des Reichstages, welcher mehrere Bevollmächtigte zum Bundesrath und Kom- miffarien desselben beiwohnten, gelangte ein Schreiben des Reichskanzlers zur Verlesung, wodurch dem Hause das mit Oesterreih getroffene Uebereinkommen, betr. die Aenderung des Art. V. des Prager Friedens zur Kenntnißnahme mit- getheilt wird. Darauf seßte das Haus die erste Berathung des Handelsvertrages zwishen Deutschland und ODesterreih -: Ungarn fort. Der Abg. Findeisen (Altenburg) sprach sein Bedauern darüber aus, Daß man im Fahre 1873 eine Anzahl von Zöllen einseitig herabgeseßt habe. Der damalige Zustand sei ebenso wenig ein normaler gewesen wie der heutige, und deshalb warne er dringend davor, jeßt eine generelle handelspolitische Reform vorzunehmen. Niemand wisse in der gegenwärtigen Krisis, was auf einer vorübergehenden Konjunktur be- ruhe und was bleibend séin werde, und deshalb fönne man den jeßigen Zustand nicht zur Grundlage einer dauernden Geseßgebung machen. Der Versu, dur Erhöhung der eigenen Zölle die Nachbarstaaten zu zwingen, ihre Zölle herabzusegen, sei stets gescheiter. Der Abg. von Kardorff s\prach die Meinung aus, daß er wegen der engen Verbindung zwischen Deutschland und Oesterreich prinzipiell Oesterreih größere Vortheile zuerkennen möchte, als allen anderen Staaten, denen man die Meistbegünstigungs- kflausel zugestanden habe. Die deutschen Unterhändler seien von den österreichishen Kommiffarien darauf hingewiesen worden, daß die deutshe Zollpolitik eine entschieden frei- händlerishe sei, und deshalb sei dieser Vertrag das günstigste gewe)en, was fie hätten erreihen fönnen. Es sei cine falsche Deduktion, wenn man sage, an diesen shlechten Zeiten seien niht die Handelsverträge huld, vielmehr müsse man behaupten, an den früheren günstigen Zeiten seien diese Verträge unschuldig gewesen. Beim Schlusse des Blattes dauerte der Vortrag des Redners fort. :

Nath einem Erkenntniß des Reihs-Oberhandels- gerihts als höchsten Landesgerichtshofes für Elsaß-Lothrin- gen, vom 18. Oktober 1878, fann der Vater für die Kosten einer strafrechtlichen Verfolgung gegen seinen, weniger als zwölf Fahre alten Sohn nicht für civilverantwortlih er- klärt werden.

_ Der Kaiserliche Gesandte in Bern, General der cént- fanterie von Roeder, hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während seiner Abwesenheit fungirt der Legations-Sekretär von Tümpling als interimistisher Ge- schäftsträger.

Der General-Lieutenant von Cranach, Gouverneur von Cöln, hat sich nach Cöln zurückbegeben.

_ Vayern. München, 20. Februar. Die „Allg. Ztg.“ shreibt : Man ist in unseren Kammerkreiscn nunmehr der An- sicht, daß die Vertagung des Landtags vor dem 26. d. M. nicht mögli sein wird, obwohl die Berathung der Eisen- bahngeseß-Entwürfe bis zur Sommersession ausgeseßt bleiben wird. Während der vorgestern Abend im Finanzaus- \chu § der Abgeordnetenkammer fortgeseßten Berathung über den Gesezentwurf bezüglih der Kosten der Durhführung der Gerichtsorganisation übergab der Justiz - Minister eine Uebersiht über den künftigen Personalstatus der neuen Landgerichte. Aus derselben geht hervor, daß von den 402 gegenwärtig bei den Bezirksgerihhten verwendeten Beamten höchstens 352 bei den künftigen Land- gerihten Verwendung finden, sohin wenigstens 50 Richter zur anderweitigen Verwendung übrig bleiben werden ; außer- dem stehen weitere Personalersparungen bei den künftigen Ober-Landesgerichten im Vergleich zu den dermalizen Appella- tionsgerichten in Aussicht. Bei der gestern Abend fort- geseßten Berathung hat der Ausschuß auch die für die innere Einrichtung der Landgerichte postulirten 195 600 # nach län- geren Debaiten mit 11 gegen 4 Stimmen genehmigt; die Minderheit, namentlich der Abg. Frankenburger, sprach ih nur für 20 statt der projektirten 28 Landgerichte aus. Heute Abend hat der Ausschuß die Mittel für drei weitere von der Staatsregierung nicht vorgeschlagene Amtsgerichte be- willigt, und zwar für Furth im Wald, Weidenberg in Ober- frankten und Höchstädt an der Donau. Zum vollständigen Abschluß seiner Verhandlungen dürfte der Ausshuß erst morgen gelangen. Es kann deshalb auc der Gesezentwurf niht am Sonnabend, wie bestimmt wurde, sondern vielmehr erst in den ersten Tagen der nähsten Woche in der Kammer zur Berathung gelangen,

Vaden. Karlsruhe, 21. Februar. (W. T. B.) Der Großherzog schloß heute die Ständeversammlung mit einer Thronrede, in welcher es heißt: Am Schlusse der umfassenden, mühevollen Arbeiten dieses Landtages sei es dem Großherzoge eine werthe Pflicht, den Ständen seine volle Anerkennung und seinen warmen Dank auszusprehen für die unverdrossene Ausdauer und die vaterländische Gesinnung, in welcher sie ihre Aufgaben in Gemeinschaft mit ber Regie- rung zu einem befriedigenden Ziele geführt hätten. Seit dem lezten Zusammentritt hätten vornehmlich die auf die Einfüh- rung der Reichs-Justißgeseze gerihteten Entwürfe die Thä- tigkeit der Stände in Anspruch genommen, nunmehr sei dur die Beschlüsse beider Kammern die nach allseitiger Ueberzeugung gediegene Feststellung des umfangreichen be- deutsamen Werkes erfolgt. Das Land sehe mit dem Groß- herzoge vertrauensvoll der weiteren Erfüllung des großen nationalen Gedankens: der Herstellung der NRechtseinheit des Reiches auch im gerichtlichen Verfahren, entgegen. Die s{chwie- rige weitgreifende Aufgabe der zweckmäßigsten Deckung des Gemeindeaufwandes habe durch die - entgegenkommende Arbeit der Ständeversammlung eine Lösung gefunden, welche hoffent- lih durch billige Be ücksihtigung der verschiedenen Jnteressen befriedigen werde. Die Thronrede \{hließt: „Halten Sie sich meines lebhaften Wunsches versichert, daß dem allseitigen ein-

nationalen Gesinnung auch die weiteren Erfolge zum Wohle Sea und dem Gedeihen des Reiches niht fehlen möchten.“

Oesfterreich-Ungarn. Wien, 21. Februar. Die „Polit. Korresp.“ meldet aus Konstantinopel: Gegen die

Bulgaren in Tschirpan, welche den Finanz-Jnspektor der internationalen Kommission mit Gewaltthätigkeiten bedrohten, wurde vom General Stolypin energisch eingeschritten, derselbe hat den bulgarischen Bezirksvorstand abgeseßt, der Einwohner- schaft russishe Einquartierung zugetheilt und die vier Rädels-