1879 / 53 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 03 Mar 1879 18:00:01 GMT) scan diff

dieser Bureaus immer dasselte ist und ausschließlich auf eine Geldprellerei hinausläuft. Der mit einem dieser Bureaus in Korrespondenz Tretende erhält zunächst eine sehr höfliche Vorantwort, in welher ihm mitgetheilt wird, daß man eine seinen Wünschen entsprehende Stellung in Aussicht habe, daß es aber erforderlich sei, zu- vörderst zur Deckung der Schreibegebühren, Fahrkosten 2c. einen zwischen 5 und 10 # wechselnden Betrag durch Post- mandat einzusenden. Js der deutsche Jnteressent dieser Auf- forderung nachgekommen, so erhält er entweder gar keine weitere Nachricht, oder aber nah öfteren vergeblihen An- fragen die Mittheilung, daß die für ihn in Aussicht ge- nommene Stelle unmittelbar vor Eingang des Geldes beseßt worden sei, daß man jedoch seine Wünsche im Auge behalten würde. Hiermit ist die Angelegenheit beendet, und bleibt dem um sein Geld Geprellten nichts weiter übrig, als eine geriht- liche Klage auf Herausgabe des eingesandten Betrages gegen das Placementsbureau anzustrengen, wozu bei der Gering-

fügigfeit des Objektes, dem zu leistenden nicht unbedeutenden | | stände von Wermuthpulver, welches zwar noch nicht nah

Kostenvorshuß und der Weitläufigkeit des Verfahrens füglich nit gerathen werden fann.

Bereits wiederholt ist die besondere Aufmerksamkeit der Pariser Behörden amtlich auf das Treiben der gedachten Placementsbureaus gelenkt und es ist dabei erreiht worden, daß die Jnhaber mehrerer derselben wegen Betrugs verurtheilt wurden, au einem derselben noch vor wenigen Tagen die Konzession entzogen worden ist. Es wird genügen, hierauf

inzuweisen, um das betheiligte Publikum vor den gedahten lacementsbureaus zu warnen.

Das auf Täuschung berechnete Vorgehen der leßteren hat

außerdem noch die Folge, daß, angeregt dur die betreffenden |

Annoncen, eine Anzahl Deutscher in der Hoffnung, selbständig eine passende Stellung zu finden, ohne genügende Subsistenz- mittel nach Frankreich fommen und dort hon nah wenigen Tagen gezwungen werden, Behörden und Vereine um Unter- ftüßungen anzugehen.

Das „Journal de St. Pétersbourg“ vom 25. v. M. veröffentlicht eine Reihe von Beschlüssen der St. Peters - burger städtishen Behörden, betreffend Maßnahmen, welche mit Rücksicht auf die drohende Pestgefahr daselbst durchgeführt werden sollen. S

Die hauptsächlihsten dieser Maßnahmen sind folgende: Es wird ein temporäres Exekutivcomité für öffentlihe Gesund- heitspflege eingeseßt, dessen Aufgabe darin besteht, die vorhan- denen Krankheiten zu bekämpfen und dem Auftreten der Pest in der Hauptstadt vorzubeugen. Um die Aufsicht über die Stadt in dieser Beziehung zu erleihtern, wird jedes Stadt- viertel in möglichs viele Sektionen getheilt und jede der leßte- ren für den bezeihneten Zweck cinem aus der Einwohnerschaft bezw. dem Medizinalpersonal gewählten Jnspektor unterstellt. Diese Jnspektoren bilden in Gemeinschaft mit den Aerzten des betreffenden Stadtviertels Subkommissionen zur Durchführung der angeordneten Maßnahmen innerhalb des Leßteren. Dem Comité selbst ist ein Kredit von 50 000 Rubeln aus städtischen Mitteln eröffnet worden. Dasselbe hat allmonatlih über seine Thätigkeit dem Munizipalrath Bericht zu erstatten und am 1. September einen detaillirten Rehenschastsberiht vorzulegen.

Als Obliegenheiten des Comités für den Fall des Auf- tretens der Pest in der Hauptstadt sind folgende bezeichnet :

Die Leitung des von der städtischen Verwaltung ein- gerihteten Asyls zur Aufnahme verdächtiger Kranker, Aus- arbeitung der Projekte für die Einrichtung von Pest - Hospi- tälern; im voraus zur bewirkende Aufstellung des Personals für diese Hospitäler; Bedachtnahme auf event. Einrichtung von Kirchhöfen für die Opfer der Epidemie; Ausarbeitung eines Projekts für die Desinfektion infizirter Wohnhäuser; Ausarbeitung eines Entwurfs für obligatorishe Reglements, Ne im Falle des Auftretens der Pest zu erlassen sein würden.

Von den verschiedencn konsularishen Beobachtungs- orten in Süd-Rußland i| in Betreff der Pest-Epi- demie Neues nichi zu melden. Zwei in Taganrog gleichzeitig vorgekommene verdächtige Todesfälle sollen t amtlichem Berichte als exanthematisher Typhus konstatirt worden fein.

Nach einem Berichte aus Tiflis war bis zum 19. v. M. im gesammten Bereiche der kaukasischen Statthalter- schaft fein einziger Fall ven Erkrankung weder an der Pest, noch an einer der leßteren verwandten Krankheit vor- getommen.

Längs dem an jenes Gebiet angrenzenden Lande der Donischen Kosaken, fowie längs dem Gouvernement Astrachan ift ein Grenzkfordon durch Kosakenkavallerie gezogen.

Außerdem sind am fkaukasishen Ufer des Kaspischen Meeres an den hauptsäthlihsten Landungspläßen, namentlich in Lenkoran, Baku, Derbent und Petrowsk, Quarantäne- E zur Kontrolirung des Personen- und Waarenverkehrs errichtet. ;

Auch die \chwedische Regierung hat nunmehr Schußmaßnahmen gegen die Einschleppung der Pest- epidemie getroffen. Eine Königliche Verordnung vom 24. v. M. enthält über den Reise- und Waarenverkehr Bestimmungen, welche den deutscherseits vorgeschriebenen im Wesentlichen analog sind, und für den Land- und Seeweg in gleicher Weise Anwendung finden. Verboten is die Einführung fol-

ender Waaren aus Rußland bezw. Finnland : Gebrauchte

einen- und andere Kleidungsfstücke, sowie Bettzeug, Lumpen aller Art, rohe Häute, rohe und zubereitete Felle von Schafen und Ziegen, Haare, Krollhaare, Borsten, Federn und Daunen, Filz, geräucherte oder getrocknete Fische, Därme in frischem, gesalzencm oder getrocknetem Zustande, Hausenblase und Kaviar. Ausgenommen von dem Verbot sind Kleider und andere Reiseefsekten, wenn sie von Personen, welche mit Ge- sundheitsattest versehen sind, mitgeführt werden. Die Einfuhr von roher und chemisch gewashener Wolle is unter den in der Verordnung vom 30. Mai 1873 festgeseßten Bedingungen au ferner gestattet.

__ Eine weitere Verordnung vom 14. v. M. bestimmt, daß diejenigen Vorschriften, welche bereits nah Anordnungen -aus den Fahren 1862 und 1870 zur Verhütung einer Einshleppung der Pest für die nah Schweden bestimmten Schiffe von der Berberei, Egypten und den übrigen türkishen Häfen des Schwarzen und Mittelmeeres in Geltung sind, auch auf die Seeprovenienzen von den russishen Häfen des Schwarzen und Asowschen Meeres Anwendung zu finden haben.

_ Demzufolge müssen derartige Schiffe mit einem Gesund- heitspaß Derieles sein, welcher namentlich Atteste darüber ént- hält, ob eine pestartige Krankheit an dem Ladungs- oder Ab- gangsortíe oder in dessen Nachbarschaft besteht, oder in den

| legten 30 Tagen vor dem Abgange bestanden hat.

Die Schiffe haben, bevor sie mit dem s{hwedishen Boden oder dessen Be- wohnern in Berührung treten dürfen, den Quarantäneplaß in Känsö anzulaufen, um daselbst hinsichtlih etwaiger sanitärer Vorkommnisse auf der Reise und des Gesundheitszustandes an Bord untersucht zu werden.

Je nah Lage der Umstände unterliegen Schiff, Personen und Waaren einer Quarantäne von 20 tägiger Dauer. Schiffe,

welche von Orten, wo die Pest herrs{ht, kommen oder unter- .

wegs mit infizirten bezw. verdächtigen Schiffen in Berührung gewesen sind, dürfen ohne Quarantäne rur nah einer Reise- zeit von mindestens 20tägiger Dauer zugelassen werden.

Das Staats-Ministerium trat heute Mittag 1 Uhr zu einer Sißung zusammen.

Durch Beschluß dcs Bundesraths vom 5. Februar d. J. sind die obersten Landesfinanzbehörden ermächtigt wor- den, die nahweislich s{hon vor dem 1. Januar 1879 auf Salzwerken und bei Salzhändlern vorhanden gewesenen Be-

Maßgabe der vom Bundesrath unterm 25. März 1878 ge- troffenen Bestimmungen hergestellt ist, aber von der zustän- digen Steuerbehörde als steuerlih fichernd anerkannt wird, bis zum 1. Mai 1879 in Mengen von 1 pCt. des Gewichts des Salzes zur Denaturirung des leßteren zuzulassen.

Die Antwort, welche in der vorgestrigen Sißung des Reichstags der Präsident des Reichskanzler - Amtes, Staats-Minister Hofmaun auf die Fnterpellation des Abg. Dr. Thilenius und Genossen, betreffend die gegenwärtige Verbreitung der Pest und die gegen die Einschleppung dieser Krankheit ergriffenen Maßnahmen ertheilte, hatte fol- genden Wortlaut :

Meine Herren! Die geftellte Anfrage is zwar nur darauf ge- ribtet, ob die Reichsregierung Mittheilungen über die gegenwärtige Verbreitung der Pest und über die dagegen ergriffeneu oder zu er- greifenden Maßregeln machen werde. J glaube indessen im Sinne der Herren Fragesteller zu verfahren, wenn ih in der Beantwortung der Interpellation zugleih die Mittheilungen mache, nach denen hier gefragt wird.

Was zunächst die Vecbreitung der Pest betrifft, so ist ja dem hohen Hause bekannt, daß in dem russishen Gouvernement Astrachan im Dezember des vorigen Jahres eine verheerende Krankheit auftrat, die von den Aerzten als Pest erklärt wurde. Von dem Dorfe Wetljanfta aus, wo die Krankheit am beftigsten auftrat, verbreitete sie sich in eine Reihe von anderen Ortschaften, die längs der Wolga- ufer gelegen sind, und es war nur sehr energishen Maßregeln der russiscen Regierung zu danken, daß die Pest in jenem Gebiete nicht weiter um sich griff.

Die Kaiserlich russishe Regierung hat im Dezember einen Mi- litärkordon errichtet, der das infizirte Gebiet gegen außen so vollstän- dig als mözlih absrerrte. Sie errichtete einen zweiten Kordon zu dem Zwette, um diejenige Eisenbahnstation, die dem infizirten Ge- biete zunächst liegt und bei welcher deshalb die Gefahr einer Ueber- tragunz der Ansteckung auf das europäische Eisenbahnnez drohte ich meine die Stadt Zarizin gegen das Eindringen der Pest zu {Üüßen,

In Folge dieser Maßregeln der russishen Regierung, die neuer- dings noch wesentlich verstärkt worden sind, ist es gelungen, die Peft auf das ursprüngliche Gebiet zu beschränken und auc innerhalb die- ses Gebiets nahezu zu ersticken.

Bis jetzt, meine Herren, ist keis Fall mit Sicherheit konstatirt, in welchem die Pest fich aufierhä Bes Kordons gezeigt hätte. Der Fall, den der Herr Vorredner er@ähnt hat und der wehl geeignet war, neuerdings grcße Besorgniß zu erregen, ist nach den Mitthei- lungen, die der Kaiserliden Regierung amtlich zugekommen find, niht mit Sicherheit als ein Pestfall zu betrachten. Von hier aus war sofort, nachdem der Telegraph die Nachriht ge- braht hatte, daß Dr. Bottkin einen Pestkranken in Petersburg behandle, an die Kaiserlihe Botschaft in Petersburg telegraphirt worden, um möglich genaue Mittheilungen über diesen Fall zu erkalten. Die Antwort lautete dahin, daß nah dem Re- sultat der von der rufssishen Regierung veranstalteten amtlichen Untersuchung ein Fall von Pestkrankheit hier nicht vorliege.

Meine Herren! Welche der beiden Diagnosen die richtige ift, darüber kann die Reichsregierung ein Urtheil nit fällen. Sie muß, um vorsihtig zu sein, auch diejenige Diagnose, welche zuerst ins Publikum drang, als mögiiherweise richtig unrerstellen. Anderer- seits ist auch wied:r darin Vorsicht nöthig, daß man Alarmna{h- rihten, wie sie vielfach seit dem ersten Ausbruch der Pest ver- breitet worden sind, nit sofort für wahr und richtig hält. Häufig kann ja die Schwierigkeit und Zweifelhaftigkeit der Diagnofe selbst daran Schuld sein, daß eine Krankheit, die nicht Pest ift, dafür gehalten wird, aber in sehr vielen Fällen ist auch der Telegraph zur Verbreitung vollständig unbegründeter Nachrichten benußt worden, in Fällen, wo absolut von einer Pesterkrankung gar keine Rede sein konnte. Jch erlaube mir als Beispiel anzu- führen, daß am 8. Januar ein rufsisdes Blatt „Golos“ aus Za- rizin, also dem gefährlihften Punkte, auf den ih vorhin hinge- wiesen habe, si telegraphiren ließ: „in Zarizin ift die Pest ausge- gebrochen, nach offiziellen Berichten find von 189 Personen 173 gestorben“. Das war am 8. Januar. Bis heute ist in Zarizin kein Pestfall vorgekommen. Ich führe das an, um zu belegen, wie wenig das Publikum \sich dur Alarmnachrichten auf den ersten Schlag beun- rubigen zu laîsen braucht.

Für die Reichsregierung entsteht aber aus derartigen Nach- rihten und namentlich auch aus folhen, wie sie teht über den Petersburger Fall in widersprehender Weise vorliegen, eine schwierige Situation. Ihre Verantwortlihkeit wird dadur in doppelter Richtung in Anspruch genommen. Sie i} ein- mal dafür wverantwortlib, daß alle Vorsihtsmaßregeln ergriffen werden, welche eine Einschleppung der Pest nah Deutsch- land verbinderr. können. Auch die kleinste Nachlässigkeit in dieser Beziehung würde unabfehbare Folgen haben können, vor denen wir unser deutsches Vaterland zu bewahren verpflichtet sind. Auf der andern Seite aber kommt in Betracht, daß Verkehrshemmungen, wie wir sie jeßt schon angecrdnet haben und viekleiht noch weiter auszu- dehnen genöthigt sein werden, außerordentlihe Verluste, und zwar für die beiden benachkarten Länder im Gefolge haben, die man nicht ohne Noth, nit auf falsche Alarmna{hhrihten hin ver- hängen darf. : :

Meine Herren! Ich komme damit zu dem zweiten Punkt der Interpellation, nämlich den Maßregeln, welche die Reithtregierung gegen die Einschleppung der Pest ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt. Die Reichsregierung war si ihrer Verantwortlichkeit nah der doppelten Richtung, die ih soeben bezeichnete, von Anfang an bewußt. Schon in der erften Hälfte des Januar, als die Nachrichten über die astrahansche Krankheit, wie fie ja neuerdings genannt wird, bedenklich wurden, d. h. dahin bedenklich, daß man annehmen mußte, es handle si wirklich um einen Ausbruch der Pest, {on damals ordnete der Herr Reichskanzler von Friedrihsruh aus an, daß das Gesundhbeit2amt sich mit der Frage beschäftige, ob und welche Vorsichtsmaßregeln für Deutschland zu treffen seien. Bei näherer Erwägung der Frage ergab es sih als zweckmäßig, daß, ehe irgend- welche Maßregeln hier ergriffen würden, wir uns mit der österreihis{ch- ungarischen Regierung in Verbindung seßten, weil selbstverständlich nur ein gleichmäßiges Vorgehen der beiden Staaten Deutschland und Oester- reich die Gefahr von beiden gemeinsam abwenden könne. Um eine derartige Verständigung eventuell herbeizuführen und um zunächst sih über das zu orientiren, was öfsterreihisherseits beabsihtigt sei, wurde der jeßige ftellvertretende Direktor tes Reichs-Gesundheits-

Amts Geheimrath Finkelnburg nach Wien gesandt. Er traf dort die österreihishen Behörden mit der Frage bereits beschäftigt, es fan- den Besprechungen statt, die zu einer Verständigung über die wesent- lihften Punkte geführt haben. Unamittelbar nach der Rüdckehr des Geheimraths Finkelnburg trat dann hier zur Begutahtung und Feststellung der nothwendigen Maßregeln eine Kommission von Vertretern der betheiligten Ressorts der Reichsverwalturg und der Königlich preußishen Verwaltung zusammen, eine Kommission, ¡zu welcher auch wissenschaftliche Autoritäten, wie der Geheimrath Profefsor Dr. Hirsch in Verlin und Professor Dr. von Pettenkofer aus München binzugezogen wurden. Die Kommission machte, und ¡war in Uebereinstimmung mit den in Wien gepflogenen Besprechun- gen, zunächst den Vorschlag, durch Entsendung von Aerzten nah dem Pestgebiet genaue Informationen über den Stand der Sache einzu- ziehen. Es ift das cin Punkt, auf dessen Aufführung ih ncch zurück- kommen werde. y

Die augenblicklich nothwendigen Maßregeln, welche die Kom- mission vorschlug, bestanden in einer Beschränkung des Eingangs- verkehrs aus Rußland sowobl bezüglih der Waaren als der Per- sonen. Es wurde sofort nah Maßgabe der Vorscbläge der Kommission mit Zustimmung des Bundesraths die Kaiserlihe Verordnung vom 29. v. M. erlassen, welche die Einfuhr aus Rußland bezüglich derjenigen Gegenstände verbietet, die ihrer Natur nah als Träger des Kontagiums gefäbrlih sein könnten. Es folgte die Verordnung vom 2. l. M. über die Einführung der Paßpflichtigkeit der aus Rußland kommenden Reisenden und weiter die Anordnung einer sanitätlihen Inspektion der aus Rußland in deutschen Häfen ankommenden Schiffe. Das sind die Maßregeln, die bis jeßt ausgeführt find.

Außerdem berieth die Kommission auch darüber, welhe weiteren Maßregeln im Falle des Näberrückens der Gefahr zu treffen seien. Es sind in dieser Beziehung noch größere Verkehrsbeschränkungen eventuell in Aussiht genommen, namentlich die Beschränkung der aus Rußland eingehenden Personen und Waaren auf bestimmte Stationen, und wenn die Gefahr noch näher fommen sollte, die Einrihtung von Quarantänen mit einem militärishen Kordon. Ob wir genöthigt sein mèrden, zu solchen Maßregeln überzugehen, hängt von dem weiteren Verlaufe der Dinge ab, über welchen die nah Rußland entsandte ärztlihe Kom- mission demnächst zu berihten haben wird.

Es war, wie ich vorhin {on erwähnte, der Wunsch der hier versammelten Kommission, daß durch cine Eutsendung von Sachverständigen nach dem Pestgebiet genaue Ermittelungen über die Natur und ten Gang der Krankheit und über die dcrt getroffenen Maßregeln eingezogen werden möchten. Diesem Wunsche der Kommission kam die Kaiscrlih russische Regierung entgegen, indem sie selbst den Wunsch ausfprach und die Einladung hierher richtete, man möge durch Entsendung von Aerzten an Ort und Stelle Ermittelungen vornehmen. In Folge dessen ift denn eine Kommission entsandt worden, an deren Spiße der vorhin {hon genannte Professor Dr. Hirsch steht; demselben sind zwei jün- gere Aerzte, der Königlich preußische Stabsarzt Dr. Sommerbrod und der Privatdozent Dr. Küßner aus Halle beigegeben. Die Kommission ist am 9. oder 10. Februar in Warschau mit den österreichischen Dele- girten, die zu gleichem Zwecke nach dem Gouvernement Astrachan gesandt sind, zusammengetroffen und über Moskau nach Zarizin gereist, wo sie am 20. Februar eintraf. Nach einem Bericht vom 22. Februar, den ich vom Prof. Hirs{ aus Zarizin erhalten habe, gedachte derselbe sih in den nächsten Tagen in das Pestgebiet zu begeben, dasselbe zu durcbreisen, die am meisten von der Pest beimgesuchten Orte zu be- sihtigen und nach einer etwa 20 tägigen Reise, einscließlich einer JOtägigen Quarantäne, der auch die Kommisfion sih zu unterwerfen habe, in Astrachan einzutreffen. Vermuthlih wird also heute unsere Kommission sib in dem Pestgebiete bereits befinden und vielleicht das Schauspiel haben, das Dorf Wetljanka in Flammen aufgehen zu seben, da es die Absicht der Kaifserlih russishen Regierung ist, diesen Heerd der Pest durch Feuer zu vernichten. h _ Meine Herren! Wenn die ‘neueren Nachricten über den angeb- lichen Pestfall in Petersburg sib, wie ih hboffe, dahin bestätigen, daß fein wirklicher Peftfall vorliegt, dann können wir nach den bis- herigen Mittheilungen annehmen, daß die dringendste Gefahr be- seitigt, daß es gelungen ift, die Pest auf das ursprüngliche Gebiet zu beshränken und auch dort zu ersticken, denn es sind neue Erkran- kungsfä!!e an der Pest in dem Pestgebiet seit einer Reihe von Tagen nit gemeldet worden. Aber ich gebe dem Herrn Vorredner darin vollkommen Recht, daß wir uns deshalb keiveëwegs der Sorglosigkeit überlassen dürfen: wir müssen fortwährend auf die Gefahr der Einschleppung der Pest von außen her ein wahsames Auge haben, wir dürfen darin nicht nachlafsen und es liegt in der jeßigen Erfahs- rung zuglei eine dringende Aufforderung, Maßregeln zu ergreifen, die für die Zukunft einer ähnlichen Gefahr vorbeugen können. Der Herr Vorredner hat in dieser Beziehung der Verhandlungen erwähnt, die in den Jahren 1874 und 1875 über die Einseßung einer inter- nationalen Seuchenkommission ges{webt haben. Es ist beceits von der Kaiserlichen Regierung in KRussiht genommen, die Verhand- lungen, die damals ins Stocken gerathen sind, aus dem jeßigen An- laß wieder aufzunehmen, und wir hoffen, daß dieselven zu einem be- friedigenden Abschluß geführt werden können.

__ Aber auch darin gebe ich dem Herrn Vorredner Recht, daß es nicht genügt, nur den äußeren Feind abzuwehren, daß vielmehr die jeßige Lage eine ernste Mahnung enthält, auch die innere Gefahr mit aller Energie zu bekämpfen.

Meine Herren! Ob die Behauptung richtig ist, daß unser heutigen gefellshaftlihen Zustände der Verbreitung ansteckender Krank- heiten weniger günstig seien, als die Zustände früherer Zeiten, will ih dahin gestellt sein laffen. Ih meine, daß vielleiht der Boden unserer großen Städte heutzutage mehr Gefahren in si birgt, als dies früher der Hall war. Jedenfalls hat die Möglichkeit der raschen Verbrei- tung von Krankheiten durch die außerordentlihe Vermehrunz und Verbesserung der Kommunikationsmittel so zugenommen, daß wir fein unbedingtes Recht haben, uns vor der Gefahr der Einshleppung und Verbreitung der Pest sicherer zu fühlen, als unsere Vorfahren im Mittelalter es gewesen sind.

Es wird deshalb darauf ankommen, die deutshen Regierun- gen haben darin zum Theil {on die Initiative ergriffen —, auch auf dem Gebiete der inneren Gesundheitepolizei Alles mit doppeltem Eifer zu thun, was einer Ausbeutung ansteckender Krankheit ent- gegenzuwirken geeignet ist. Die Reichsregierung wird damit ließe ich an gewissenhafter Pflichterfüllung au in dieser Hin- sicht es nicht fehlen laffen.

Im weiteren Verlaufe der Sißung seßte der Reichs- tag die erste Berathung des Etats pro 1879/80 fort. Der Abg. Dr. Reichensperger (Crefeld) erklärte, obwohl er mit den vorliegenden Steuerprojekten sympathisire, so müsse er doch sehr bedauern, daß der Abg. Lucius so sehr gegen die Erhöhung der Zucker- und Branntweinsteuer polemisirt Yabe. Bedenklicher noch sei es, daß der Abg. Richter noch nicht von seiner Abneigung gegen die indirekten Steuern abgelassen e Der Probirstein ihrer Abschaffung, nämlich die Auf-

ebung der Mahl- und Schlachtsteuer, sei in der öffentlichen Meinung bereits gerichtet, und selbst der Abg. Löwe, mit dem er im Kampfe über die Abschaffung derselben manche Lanze gebrochen habe, dürfte jezt bekehrt sein. Freilich sei er egen neue indirekte Steuern, wenn neben den- elben die direkten unverändert bestehen blieben. Aber daraus, daß die direkten Steuern, wenn der Exekutor dahinter stehe, auch prompt eingingen, könne man eine Prosperität dieses be- dentlichen Jnstituts nicht folgern. Die Matrikularbeiträge würden gewissermaßen als Schraube betrachtet, um die Centra- lisation im Reiche zu fördern. Man klage über die Ungerech- tigkeit ihrer Vertheilung, habe aber nie eine gerechtere Ver- theilung versucht, obgleich eine fsolhe wohl möglich sei. Man

lasse fie bestehen, um fie als Sturmbock zu gebrauchen. a Hintergrunde lauere der Unitarismus. Man sollte daher nit so ohne Weiteres gegen die Matrikularbeiträge Sturm laufen, denn sie bildeten den Shußwall des Föderalismus, auf dem die deutsche Reichsverfassung einmal gebaut sei. Das Reich auf eigene Füße zu stellen, das sei der Euphemismus, mit dem man die Beseitigung der Matrikularbeiträge be- eichne. Aber das Deutsche Reich sei von Natur vielfüßig und fasse sih niht auf ¿zwei Füße oder gar auf cinen stellen. Die Tendenz der Sparsamkeit habe er bis jeßt außer bei seiner Partei nirgend wahrgenommen. Dadurch aber, daß man die Belastung von einem Verbande auf den andern wälze, werde nichts erspart. Auch in dem vorgelegten Etat sei nicht auf

Ersparungen Bedacht genommen, sondern wie bisher für | Alles, was s{hön und nüßlich scheine, Ausgaben verlangt. Der |

Abg. Lucius verlange Abstrich bei der Marine; das Landheer aber lasse er unberührt. Gegenüber den großen Kosten der Armee habe man sich gewöhnt, alle andern Ausgaken für geringfügig zu erachten, und es auf die Vermehrung um ein Paar Millionen nit ankommen zu lassen. Um in der Armee wesentliche Ersparnisse herbeizuführen, sollte der Reichskanzler seinen großen Einfluß benußen, um einen allgemeinen Ab- rüstungsfongreß zu berufen. ODesterreich und Deutschland vereint, könnten die große Militärlast der andern Staaten des Kontinents erleichtern, zu denen sie behufs Erhaltung ihrer Großmachtstellung genöthigt seien. Aber auch auf anderen Gebieten werde nicht gespart. Das preußische Unterrichtsgeseß ruhe nur deshalb, weil man dreißig Millionen zu feiner Ausführung brauche. Zunächst aber follte der Reichstag, wenn er im Bauwesen sparen wolle, das Projekt eines neuen Reichstagsgebäudes auf dem Altare des Vaterlandes opfern. Seitdem das Haus den Beschluß zu einem folhen monumentalen Bau gefaßt, seien hier mit Auf- wand von 2 Millionen Mark alle Bequemlichkeiten, die man beanspruchen fönne, eingerihtet. Nur für die Kanzleibeamten, welche hier nur auf Durchgängen untergebraht s\seien, müsse eine Besserung geschaffen werden. Da aber bei dem monu- mentalen Bau auch für Beamtenwohnungen geforgt werden müsse, so sei es besser, von diesem 28 Millionen kostenden Projekt Abstand zu nehmen und das durch das Gewerbemuseum vakant gewordene Nachbargebäude für die Beamten zu ver- wenden. Jn einer glänzenden Finanzlage könne man ja das Projekt wieder aufnehmen. Endlich, um die Opferwilligkeit der Steuerzahler zu erhöhen, sollte der auf den Gemüthern von 7 bis 8 Millionen Deutschen lastende Dru des Kultur- fampfes aufgehoben werden.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Geh. Ober-Regie- rungs-Rath Huber erwiderte, angesichts der internationalen Vertragsverpflihtungen, welche die Regierung übernommen, Exportprämien nicht zu bewilligen, sei er genöthigt, auf einige Bemerkungen zurüczukommen, welche neulih der Abg. Nichter in Betreff der Nübenzuckersteuer und Brannlweinsteuer ge- macht habe, um sie auf das rihtige Maß zurückzuführen. Es liege in der Natur der Sache, daß, wenn Verbrauchssteuern vom Rohmaterial erhoben würden, dieselben innerhalb ver- schiedener Perioden variirten. Es sei bekannt, daß der Zuer- gehalt der Rüben in den verschiedenen Gegenden Deutschlands verschieden sei, daß er noch ve-schiedener sei innerhalb der verschiedenen Jahrgänge und daß er sogar innerhalb der ver- schiedenen Monate, in welchen die Rüben verarbeitet würden, verschieden sei. Eine Rübe, die im Februar verarbeitet werde, habe einen geringeren Zuckergehalt, als sie gehabt haben würde, wenn sie im Oktober verarbeitet worden wäre. Um nun die thatsächlihen Verhältnisse zu zeigen, wie sich der Steuersaß zu der Exportbonifikation verhalten M wolle er auf Grund statistisher Erhebungen aus den leßten Fahren einige Zahlen mittheilen. Dem geseßlichen Steuersaß, der bei der Rücvergütung bezahlt werde, liege die Annahme zu Grunde, daß 113/, Ctr. Rüben zu 1 Ctr. Rübenzucker noth- wendig seien. Seien weniger als 11/4 Ctr. nothwendig, so würde eine Exportprämie vorliegen, seien mehr nothwendig, so werde eine zu geringe Exportvergütung vorliegen. Fm Betriebsjahr 1871/72 seien nun 12,2 Ctr. nothwendig ge- wesen, also mehr als der Geseßgeber angenommen habe; im Jahre 1872/73 12,1 Ctr., also wiederum mehr; im Fahre 1873/74 12 Ctr. ; 1874/75 10,75 Ctr. Hier liege der è all vor, wo nah der in dieser Beziehung zuverlässigen Statistik die Ex- portvergütung etwas größer gewesen sei, als die Steuer; 1875/76 seien 11,62 Ctr., 1876/77 12,27 Ctr. nothwendig ge- wesen. dur 1877/78 sei eine ganz genaue Zahl noch nit an- zugeven, sie betrage aber jedenfalls über 11 Ctr. Wenn man hier- nah aug nur 2 bis 3 Jahr zusammennähme, fo könne von einer Exportprämie nicht die Rede sein. Daß in einzelnen Jahren die Harmonie zwischen dem Steuersaß und der Ex- portvergütung etwas gestört werde, lasse sih nicht vermeiden, weil die Steuersäße niht jedes Jahr anders regulirt werden fönnten. Was nun den Branntwein betreffe, so habe der Abg. Richter bemerkt: „Aehnlich sei die Branntweinsteuer im Verfall, weil die veränderte Technik bei der Her- vorbringung vun mehr Alkohol aus demselben Maisch- raum, die auf dem Liter Branntwein ruhende Steuer herunter- drüdcke“’. Das sei ganz richtig: würde der Steuersaß, wie er in dem Branntweinsteuergeses normirt sei, rückvergütet, so würde allerdings eine sehr bedeutende Exportbonifikation vor- liegen ; denn dem jeßigen Branntweinsteuergeseß liege die An- ales zu Grunde, daß aus der Maische 4,8 Proz. Alkohol gewonnen werde. Jeder, der einigermaßen mit der Brannt- weinbrennerei vertraut sei, wisse, daß dieser Saß in Folge der bedeutenden Fortschritte der Technik weit überschritten werde, allein der Rückvergütung sei niemals dieser Steuersaßz zu Grunde gelegt worden, sondern die Annahme einer Alkohol- ausbeute von 8,2 Proz. So lange die Annahme einer Aus- beute von 4,8 Proz. richtig gewesen sei, sei also kaum etwas mehr als die Hälste der bezahlten Steuer bei der Ausfuhr rückvergütet worden. Jeßt gebe er zu, daß in Folge der Fortschritte in der Technik allerdings die Ausbeute ca. 8 Proz. im Durchschnitt betragen werde, in einzelnen Fahren fönne sie auch etwas mehr als 8 Proz. betragen. Da aber der Exportbonifikation der Saß einer durchschnittlichen Alkohol- ausbeute von 8,20 Proz. zu Grunde liege, und für den Ex- porteur noch Verluste für Verdunsten u. f. w. in Rechnung kämen, so sei entschieden zu behaupten, daß Deutschland eine Exportprämie auch für Branntwein nicht bewilligt habe.

Der Abg. Dr. Rickert erklärte sich zunächst mit dem An- trage Nieper, den Etat der Post- und Telegraphenverwaltung einer besonderen Kommission zu fiberietten, einverstanden. Mit dem vorleßten Redner theile ér den Wunsch auf Beseiti- gung des Kulturkampfes, aber er könne dazu nichts beitragen ; dazu sei der Vorredner vielleiht noch eher im Stande. ‘Der vorleßte Redner sei auch auf das Thema der Mahl- und Schlacht-

steuer gekommen.

als Gegner dieser Steuer.

Aufhebung dieser Steuer habe keinen Einfluß auf die

pes und Brodpreise gehabt, so {lage man den That- | Was den Etat im Ganzen angehe, |

achen einfach ins Gesicht. so müsse er zunächst konstatiren, daß in keinem anderen Staate

die Wehrkraft des Landes in so vorzüglicher Weise organisirt | im | habe bei den leßten Wahlen gezeigt, daß sie die Ansicht des Jr | Abg. Nichter über Beibehaltung der Matrikularbeiträge nit verwaltung 575 Millionen Mark, in Frankreich betrage der- | selbe Etat 800 Millionen, in Rußland 613 Millionen und in | Für eine gemeinsame | Abrüstung der europäishen Armeen würde er si eb:nfalls | er müsse die Anregung dazu aber |

und doch mit so geringem Auswande bestritten werde, wie im Deutschen Reiche. Jn England koste die Militär- und Marir e-

Deutschland nur 354 Millionen Mark.

erwärmen können , dem Reichskanzler blick seine Man dürfe die man

r überlassen. Der gegenwärtige Augen- ihm wenig deshalb dem Volke nicht Aussichten

nicht verwirklichen könne. Dem

machen,

nit in der Entwickelung zu stören.

des Landes zur Geltung bringen. Der Bau der Schiffe müsse

mit der Ausbildung der Mannschaften gleihen Schritt halten ; | Auch der Etat ¿er Post: und | in Bezug |

Prüfung. | tren Reichslanden | auch dort | möge man mehr das Sekundär-Eisenbahnsystem zur Geltung | Er freue sich, daß alle Redner darin übereinstimm- | ten, daß man im Extraordinarium alles Ueberflüssige besei- |

wir müßten langsamer bauen. Telegraphenverwaltung bedürfe auf das Extraordinarium einer Auch bei dem Eisenbahnbau in müsse eine größere Sparsamkeit eintreten;

namentlich sorgfältigen

bringen.

tigen müsse, um wenigstens hier Ersparnisse herbeizuführen ;

er hoffe, daß die Komniission sich diefer Aufgabe mit großer | Jn Bezug auf den Reichs-Zn- | Regierung dafür Sorge | tragen werde, den gegenwärtigen sicheren Zinsenertrag die- | Abg. von Deutschlands

stolz sein | so habe man den cFnvalidenfonds und den Kriegsschaß, und die Finanzlage | Deutschlands beruhe überhaupt auf so gesunden Grundlagen, | daß sich jeder Staat glücklih shäßen würde, wenn er sich in | Wenn jeßt die konservative Partei | so sehr betone, man müsse die eigenen Einnahmen des Reiches | vermehren, so erinnere er daran, daß diese Forderung von der | national-literalen Partei schon seit Jahren erhoben worden; | aber ohne fonstitutionelle Garantien sei eine Steuerreform | Minnigerode | | gezwungen werden könne, 11/5 bis 2 M unter der Notirung

Sorgfalt unterziehen werde. validenfonds hoffe er, daß die

sem Fonds zu erhalten, Jm Widerspruche zum Minnigerode hielt Redner die Finanzlage noch immer für eine solhe, daß man darauf könne. Habe man auch feine Reserven,

ähnlicher Lage befände.

\hlehtertings unmöglih. Der Abg. von wünsche niht nur die gegenwärtige Finanznoth zu beseitigen, sondern mit derselben auch zugleich mäßigen Garantien, die gegenwärtig in den fularbeiträgen der Volksvertretung zuständen. Er be- dauere, daß der Abg. Richter, noch che die Vorlagen

über die Steuerreform an das Haus gelangt seien, sih be- | züglich des Tabaks fo ablehnend und nicht lieber si so “4 | Die Re- |

jervirt, wie ‘der Abg. von Benda verhalten habe. serve des Abg. von Minnigerode sei allerdings eine unbe-

dingte, während Abg. von Benda eine sahlihe Prüfung zu- |

gesagt habe. Es fei aber niht gut, daß der Abg. Richter auf dem Gebiete des Zuckers und des Branntweins dem Steuer- bouget noch einige Blumen hinzufügen wolle. Die Bundesregierung habe einen festen Finan;plan vorzu- legen; das Haus habe nur das Recht der Kritik. Der Abg. Lucius habe eine so ruhige und objektive Auf- fassung der Steuerreform kundgegeben, daß der Boden für eine Verständigung sehr geebnet scheine, falls derselbe im Namen seiner Partei gesprochen habe. Er (Redner) beklage es tief, daß die Steuerreform von 1807—20, der Stolz Preußens, jeßt so wenig Anerkennung mehr finde. Die preußische Steuerverfassung sei troß ihrer Fehler die respek- tabelste der Welt, und andere Länder suchten dieselbe nach- zuahmen. Es wäre ein verhängnißvoller Fehler, wenn das Haus jeßt die Früchte aus derseiben vernihten wollte. Man bezahle heute in Preußen weniger an direkten Staatssteuern als im Jahre 1820. Man habe 1820 an indirekten Steuern 6,4 M6 und an direkten Steuern 5 # pro Kopf der Be- völkerung bezahlt und erhebe jeßt an indirekten Steuern 8,20 per Kopf und 5,5 #6 an direkten Steuern. Die indirekten Steuern seien also von 6,4 M auf 820 M, gestiegen und die direkten seien gleih geblieben. Angesichts diefer That: sache sei es doch richtig, daß man heute in Preußen sehr viel weniger an direkten Staatssteuern bezahle als damals. Frankreih, welhes immer als das ‘¡zdeal der zukünftigen Wirthschaftspolitik angesührt werde, erhebe an direkten Steuern das Doppelte wie Preußen, nämlich 10 M pro Kopf. Allerdings erhebe es 43 H. an indirekten Steuern pro Kopf. Auch England habe viel indirekte Steuern, es fäámen dort 35 M auf den Kopf der Bevölkerung, abcr Eng- land müsse auch zur Verzinsung und Tilgung seiner Schuld 600 Millionen Mark jährlih ausgeben. So schr seine Partei geneigt sei, die indireften Steuern auf gewissen Gebieten zu vermehren, so wäre es doch der verhängnißvollste Fehler, die Zukunft und Finanzgebahrung des Deutschen Reiches lediglich auf indirekte Steuern zu gründen, noch verhängnißvoller aber, wenn man die ganze Finanzgebahrung der einzelnen Staaten und noch mehr der Kommunen daran knüpfte. Fn guten, glüdlichen L würde man Ueberschüsse haben, und in

eiten der Noth würde man zu den zuverlässigeren, direkten Steuern greifen müssen. Man möge daher auf diesem Wege nit zu weit gehen, sondern dur ein gegenseitiges Entgegen- kommen eine Vereinigung zu erreichen suchen.

Der Abg. von Kardorff erklärte, der Vorredner habe gegen früher eine ‘wesentlih entgegenkommende Haltung na- mentlich in Bezug auf die Matrikularbeiträge eingenommen. Er habe scinen frühcren Standpunkt insofern verlassen, als er für eine Modifikation derselben durch indirekte Steuern eingetreten sei. Obwohl er (Redner) die Nothwendigkeit einer Verständigung zwischen den verschiedenen Parteien anerkenne, so könne er dech die Richtigkeit der Schilderung nicht zuge- stehen, welche der Vorredner von dem preußischen direkten Steuersystem gegeben habe. Er hoffe, daß es gelingen werde, die direkten Staatssieuern für die Kommunen nußbar zu machen, ohne zu präjudiziren, daß man darauf zurückgreifen könne in den Zeiten der Noth. Er müsse dem Vorredner gegenüber auch darauf hin-

weisen, daß man durch übertriebene Sparsamkeit wirthschaft- liche Mißstände herbeiführen könne. Jn Bezug auf die Mahl-

/ Wenn derselbe gesagt, selbst der Abg. Löwe | werde ]eßt bekehrt sein, so bekenne er (Redner) sich noch heute | Wenn man behaupte, die |

i Abg. Lucius | stimme er zu, daß man der Marineverwaltung nit allzu | große Schwierigkeiten machen dürfe, um die deutsche Marine | t Man müsse aber dem | Chef der Admiralität gegenüber den finanziellen Standpunkt |

die verfassungs- | Matri- |

und Schlachtsteuer stehe er mit dem Vorredner auf demselben Standpunkt und er hoffe, daß niemals wieder eine derartige Verkehrsers{hwerung eingeführt werde, die man zum Glück der Nâätion beseitigt habe. Er müsse aber zugestehen, daß die arbeitende Bevölkc.rung von dieser Aufhebung wenig Vortheil gehabt habe und wenn dieselbe diese Steuer ohne Druck er- tragen habe, dann würde das gewiß der Fall sein, wenn Ge- treidezölle an der Grenze erhoben würden. Die deutsche Nation

theile, sondern daß sie eine Beseitigung derselben unter den Tonstitutionellen Garantien wolle, wie fie jeßt im preußischen Ab- geordnetenhaufe vereinbart seien. Der Abg. Richter sage, es sei un- mögli, daß das Volk so hohe indirekte Steuern aufbringen

könne, wenn es erst durch Schußzölle arm gemacht sei. Es sei

gen- | doch eine starke Fiftion, wenn er glaube, daß der 14jährige eeignet dazu zu fein.

FFreihandel in Deutschland normale Zustände geschaffen habe. Allerdings sei der Freihandel nicht unmittelbar und allein Schuld an dem wirthschaftlihen Nothstande, aber die Un- rihtigfeit der eben angeführten Behauptung des Abg. Richter werde aus folgender Erwägung klar. Frankreih habe nah dem Kriege gewiß in finanziellen Bedrängnissen gelebt und dabei habe es ein Schuzßozllsystem, das fast an Prohibitiv- system grenze. Wenn also dieses System zu einer Verarmung des Volkes geführt hätte, dann würde Frankrcih seine indirekten Steuern niht haben zu der Höhe bringen fönnen, welche der Abg. Rickert angegeben habe. Wenn gesagt wor- den, ähnliche Zustände beständen in der ganzen Welt, nament- lih aber in Amerika, so bestreite er, daß die Urfachen der Krisis in Amerika die gleichen seien, wie hier; sie seien zum Theil gegensäßliche, und seine Meinung gehe dahin, daß die Krisis in Amerika innerhalb eines Jahres beseitigt sein werde, während sie bei uns nur dur Aenderung unseres Zoll- und Wirthschafts\systems gehoben werden könne. Der Abg. Richter habe gemeint, daß 70 Millionen Zölle einer Mehrbelastung von 700 Millionen entsprehen würde. Das sei falsch. Die Nationalökonomie sei keine exakte Wissenschaft wie die Mathematik, und diese Art von Berehnung sei nah keinem System rihtig. Werde bei einem Getreidezoll von 25 bis 50 Pf. etwa das gesammte Getreide um diesen Betrag erhöht? Diese Frage könne er verneinen. Neun Zehntel des gesammten Getreideverbrauchs werden in seiner Produktionsweise nicht alterirt, nur ein Zehntel werde ver- theuert. Das könne doch auf den Gesammtpreis keinen Ein- fluß ausüben. Nun sage der Abg. Richter, wenn die Produkte durch die Steuern nicht vertheuert würden, was nüßten dann die Steuern dem Lande? Erstens dienten die Einkünfte aus dem Getreidezoll zur Entlastung der direkten Steuern, zweitens gäbe derselbe namentlich den kleinen Landwirthen an den öst- lichen Grenzen einen Vorsprung auf dem inneren Markt, so daß sie dur die Konkurrenz des ausländischen Getreides nicht

zu verkaufen, drittens sei der Getreidezoll eine wirksame Waffe gegen die Differentialzölle und endlich sei er, wie die Auzlassungen derrussischen und österreichischen Presse über diesen Gegenstand be- wiesen, ein gutes Kampfmittel beim Abschluß von Handelsverträ- gen. Leo habe den Say aufgestellt, die Nationen, welche niht mehr ihr eigenes Getreide und Eisen produzirten, gingen direit dem Untergang entgegen. Roscher sagte; daß ein ausreichender Getreidebau für die politishe Sicherheit eines Landes erfor- derlih sei. Die Anführung von Ziffern in wirthschaftl: hen Fragen fei für jene Seite gefährlih, denn damit erkenne man auch die ungünstigen Zahlen der Handelsunterbilanz während der Freihandelsperiode an. Wenn auch eine solche niht an und für sih gefährlich sei, so führe sie doch in Permanenz zu wirthschaftlichen Zuständen, wie sie augenblicklich in Deutsch- land herrschten, und die Erfolge einer dauernd günstigen Han- delsbilanz sehe man an Frankreih. Auf die politishen Aus- führungen des Abg. Richter gehe er nicht ein. Der Reichs- kanzler habe hinlänglich und oft bewiesen, und namentlich auch durch die leßten Vorgänge im preußischen Abgeordneten- hause, daß die parlamentarische Freiheit erhalten bleiben solle. Dem Geheimen Rath Huber sei er dankbar für den Nahweis, daß es sih bei der Zucer- und Branntweinsteuer in keiner Weise um Exportprämien handele. Deutschland stehe vor einer ereignißvollen Zeit: die wirthschaftlihe Reform sei noch von größerer Bedeutung als die finanzielle, weil sie die Wohl- fahrt und Einigkeit des Handels zu stärken bestimmt sei. Nach den Ausführungen der Abgeordneten von Benda und Rickert werde man Einigungspunkte finden, um dem jeßigen Zustande der Matrikularbeiträge ein Ende zu machen.

Der Abg. Dr. Bamberger erklärte, daß Niemand die Ansicht vertreten werde, Deutschland hätte sich im Fahre 1865 von dem Systeme der Handelsverträge losfagen und sih in Europa isoliren follen. Ein Blick in den Tarif von 1865 zeige, wie vortheilhaft es für Deutshland gewesen, daß es ih damals der allgemeinen Strömung in Europa angeschlofsen habe. Der Abg. von Kardorff ignorire offenkundige That- jachen; selbst in Frankreih habe man noch im vergangenen Fahre eine Kommission eingeseßt, die nah den Ursachen des Nothstandes forschen sollte. Fn Schweden, Norwegen, in der Schweiz habe man sich ebenfalls sehr eingehend mit der Krisis beschäftigt. Uebrigens seien solche Krisen auch nihts Neues in Europa; dieselben seien zu Zeiten des Freihandels und zu Zeiten des Schußzolls aufgetreten. Jhre Ursachen seien deshalb ganz wo anders zu suchen, als in der Wirthschaftspolitik. Wie könne man Deutschland über- haupt immer Frankrei gegenüberstellen, das so ganz anders von der Natur veranlagt und reich und mit ganz anderem Klima geseignet sei als Deutschland. Wolle man s{hutzöllneris{ sein, dann dürfe man gar keine Verträge abschließen. Schließe man Verträge, dann müsse man immer einem gewissen Frei- handel Raum geben, aber für jeden Handel und Verkehr bleibe die Stabilität erforderlih. Seiner Partei werde vorgeworfen, durch Herabseßung der Eisenzölle diese Stabilität unterbrochen zu eile Ja, eigentlih hätte seine Partei es nicht mit denEisenindustriellen verderben sollen, denen do vorzugsweife der Umschwung auf dem Wirthschaftsgebiete zu verdanken sei. Die neuen Getreidezölle sollten dem Landmann Steuererleihterung gewähren, sollten die Eisenbahntarife reguliren. Ja, den großen Schaden, den sie anrihten würden, bedenke man nicht und ihr Nuzen sei sehr problematish. Finde man die Land- wirthschaft zu hoch besteuert, nun, dann möge man doch Vor- {läge machen durch direkte Erleichterung. Die jeßigen Vor- schläge seien immer sophistisher Art, denn es handele si immer nur darum, das Volk ¿u beglücken durch Besteuerung und Vertheuerung. Der Abg. von Kardorff habe gemeint, er (Nedner) als guter Kaufmann wüßte wohl, wie s\chädlich es wäre und zur Spekulation führen müßte, wenn man von den Vorschlägen der Tarifkommission vorher hon Mittheilungen